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Dieser Band enthält folgende Romane: Sie ist deine Liebe nicht wert (Eva Joachimsen) Zum Glücklichsein gezwungen (Anna Martach) Gräfin Agneta von Listenfeld ändert kurz vor ihrem Tod ihr Testament. Sie vermacht ihr Vermögen zu gleichen Teilen ihrer Enkelin Regina Juliana Maria von Listenfeld und Raphael Markus Johannes Baron von Ulenhardt. Zwischen den Familien von Listenfeld und von Ulenhardt gibt es seit mehr als zweihundert Jahren Streit. Gräfin Agneta hofft, dass durch ihr Vermächtnis dieser alte Streit endlich beigelegt wird. Wird sich ihre Hoffnung nach ihrem Tod erfüllen oder wird der Streit eskalieren?
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Seitenzahl: 242
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Herzroman Doppelband 1013
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Sie ist deine Liebe nicht wert: Fürstenroman
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Zum Glücklichsein gezwungen
Dieser Band enthält folgende Romane:
Sie ist deine Liebe nicht wert (Eva Joachimsen)
Zum Glücklichsein gezwungen (Anna Martach)
Gräfin Agneta von Listenfeld ändert kurz vor ihrem Tod ihr Testament. Sie vermacht ihr Vermögen zu gleichen Teilen ihrer Enkelin Regina Juliana Maria von Listenfeld und Raphael Markus Johannes Baron von Ulenhardt. Zwischen den Familien von Listenfeld und von Ulenhardt gibt es seit mehr als zweihundert Jahren Streit. Gräfin Agneta hofft, dass durch ihr Vermächtnis dieser alte Streit endlich beigelegt wird. Wird sich ihre Hoffnung nach ihrem Tod erfüllen oder wird der Streit eskalieren?
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Alles rund um Belletristik!
von Eva Joachimsen
Der Umfang dieses Buchs entspricht 127 Taschenbuchseiten.
Joachim Fürst von Eppen zu Sande trifft bei einem Ball auf Mia von Sorpe, die Cousine seines Freundes Paul von Schirdorff. Die beiden verstehen sich gleich gut, da sie die Liebe zu Pferden und der Pferdedressur teilen. Mias Freundin Charlotte von Behrdorf, ist währenddessen auf der Suche nach einem adligen und reichen Ehemann, da ihre Familie in finanziellen Problemen steckt.
Charlotte Edle von Behrdorf strich eine Haarsträhne, die aus ihrem aufgesteckten schwarzen Haar herabgefallen war, hinters Ohr zurück. Ihr braunen Augen glänzten, als sie begeistert zu ihrer Freundin aus Schulzeiten meinte: „Hast du schon den Herzog von Holtau kennengelernt?“ Und als Maria Viktoria Baronin von Sorpe leicht den Kopf schüttelte, fuhr sie fort, ohne sich davon stören zu lassen, dass Mias Blick umherstrich und sich nicht bei ihr fokussierte. „Der junge Alwin ist vor einem halben Jahr Herzog geworden, da sein Onkel, der alte Herzog gestorben ist. Es kam ganz überraschend, denn Alwin ist erst fünfunddreißig und sein Onkel kann noch gar nicht so uralt gewesen sein. Du musst ihn unbedingt kennenlernen. Er sieht sehr gut aus, dunkles, gelocktes Haar, dunkelgraue Augen, groß und schlank. Und sein Benehmen ist so kultiviert.“
„Aha“, meinte Mia nur und nachdem Charlotte weiter in den höchsten Tönen von dem junge Alwin schwärmte, gab Mia ihre Illustriertenkenntnisse zum Besten: „Der kann sich vor Frauen gar nicht retten und soll kein Kostverächter sein, er wäre nichts für mich.“
„Klar, die Harpyien scharen sich um ihn, aber die können mit uns doch nicht mithalten. Mit unserer Herkunft und Ausbildung sind wir die geeigneten Kandidaten für ihn.“
Das entlockte Mia ein perlendes Lachen. „Warum nicht gleich als Frau eines Ölscheichs?“, spottete sie. Sie kannte die hohen Ansprüche ihrer Freundin zu Genüge und hatte sich schon öfter über sie lustig gemacht.
„Ein arabischer Ölprinz wäre mir auch recht. In Luxus leben, sich keine Sorgen mehr machen zu müssen.“ Charlottes dunkle Augen glänzten, als sie immer mehr ins Schwärmen geriet.
„Als zehnte Nebenfrau in seinem Harem“, versuchte Mia sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
„Blödsinn, die leben doch auch nicht mehr im Mittelalter.“ Charlotte schaute ihre Freundin missmutig an.
„Klar, die wohnen nicht mehr im Zelt, sondern haben einen Palast mit allem modernen Luxus und Bediensteten. Aber leider darfst du als Frau den Palast nicht verlassen und nichts entscheiden und den Schleier höchstens bei einer Shoppingtour in Europa ablegen.“
„Jetzt übertreibst du fürchterlich. Aber du hast ja recht, dieser kulturelle Unterschied wäre nichts für mich. Kannst du dafür sorgen, dass deine Tante den Herzog von Holtau und mich zu ihrem Wohltätigkeitsball einlädt?“ Ihre Stimme klang einschmeichelnd. Um ihre Bitte zu unterstreichen, legte sie freundlich lächelnd ihren Arm um die Freundin.
Mia lachte diesmal so laut, dass sich die Umstehenden des Sektempfangs der Gräfin von Lerchenheim nach ihr umdrehten.
„Mensch Charlie, wir leben doch nicht mehr im neunzehnten Jahrhundert. Und ich bin froh darüber. Sonst wäre ich vermutlich schon längst von meinem Vater verheiratet oder wenigstens versprochen worden. Aber heute kann ich mir meinen Mann auswählen und muss nicht irgendeinen degenerierten uralten Grafen mit acht Kindern heiraten. Ich darf meinen Wunschberuf lernen und ausüben und selbst entscheiden, wie und wo ich leben will. Ob ich Kinder haben will oder nicht.“
„Bitte, Mia, tu mir den Gefallen“, flehte Charlotte, und Mia nickte schließlich, weniger aus Überzeugung, sondern eher, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit unter den Gästen zu erregen. Sie ärgerte sich über ihre Freundin. Charlie hatte sich im letzten Jahr sehr verändert, leider zu ihren Ungunsten. Was war bloß aus der ehrgeizigen und fröhlichen jungen Frau geworden, seit ihr langjähriger Freund sie für eine heißblütige Latina verlassen hatte?
Während Mia sich mit der alten Gräfin von Lerchenheim unterhielt und sich geduldig die Sorgen um ihre Enkeltochter anhörte, wanderte Charlie weiter, wechselte freundlich mit jeder Gruppe ein paar Worte, bis sie sich an Herzog von Holtau herangearbeitet hatte. Der war von der Jugend des Empfangs umlagert und Charlie reihte sich ein. Mia beobachtete, wie ihre Freundin es schaffte, sich vorzudrängen, und mit ihm ins Gespräch kam. Hoffentlich würde eine weitere schlechte Erfahrung sie nicht noch mehr aus der Bahn werfen. Aber Mia konnte nichts tun, als zuzusehen und sich hinterher ihr Gejammer anzuhören.
„Paul, wenn es nicht deine Tante wäre und es um die Ausbildung ihrer afrikanischen Waisenkinder ginge, wäre ich lieber daheim geblieben“, erklärte der junge Fürst Joachim Karl Friedrich von Eppen zu Sande. Er überragte die meisten Anwesenden. Obwohl er schlank und durchtrainiert war, sah er mit seinem ebenmäßigen Gesicht, den wilden blonden Locken, die ein wenig zu lang waren, dem Dreitagebart und den strahlend blauen Augen wie ein Wikinger aus. Mit seinem guten Aussehen zog er viele heimliche Blicke auf sich.
„Komm, irgendwer muss doch mit meiner Cousine tanzen. Ich werde es nicht den ganzen Abend machen“, schmeichelte der rothaarige, untersetzte Paul von Schirdorff. Die beiden Freunde wirkten auf Fremde immer wie Pat und Patachon.
Joe musterte seinen Freund misstrauisch. „Hat sie es nötig, dass du ihr Tanzpartner besorgst?“
Paul schüttelte lachend den Kopf. „Normalerweise nicht, aber schau dich um. Wenn ich sie den potentiellen Tanzpartnern hier überlasse, spricht sie garantiert ein Vierteljahr kein Wort mehr mit mir, was wiederum meine Tante, immerhin meine Erbtante, erzürnen würde.“
Mit einem Blick auf die Herrschaften, die sich teilweise aus Altersgründen schon an die Tische am Rand der Tanzfläche gesetzt hatten, oder an den Bistrotischen, die noch auf dem Parkett standen, und sich unterhielten, musste Joe ihm Recht geben. Die meisten waren weit über fünfzig. Keine passenden Partner für ein Mädchen Anfang zwanzig.
Obwohl Joe mit Paul schon seit der Schulzeit befreundet war, da der seine Ferien häufig bei seiner Tante, der Baronin von Schirdorff, verbracht hatte, die eine Nachbarin der Fürstenfamilie war, kannte er dessen jüngere Cousine Maria Viktoria noch nicht.
Noch immer begrüßten Baron und Baronin von Schirdorff die Gäste. Paul zog los, um frische Getränke zu besorgen, während Joe stehenblieb und die Geladenen beobachtete. Viele kannte er nicht sehr gut, weil er sie zu selten sah. Seine Eltern hatten mehr die Kontakte zu der unmittelbaren Nachbarschaft gepflegt und weniger zur Hautevolee, da sie durch ihr Gut sehr beschäftigt waren. Nur selten, zu ganz besonderen Anlässen, besuchten sie die entfernten hochadligen Verwandten. Schon Joes Vater hatte sich nicht mehr an die alte Tradition und das Familiengesetz gehalten und eine Partnerin aus dem Hochadel gewählt, sondern nur eine Baroness. Bei ihren Kindern hatten sie von vornherein keine Vorgaben gemacht, so hatte seine ältere Schwester Anastasia einen französischen Musiker geheiratet, der aus einer Arbeiterfamilie stammte. Allerdings waren die Eltern dankbar gewesen, dass Joe sich freiwillig für den Beruf des Landwirts entschied, um das große Gut selbst weiterzuführen und die übrigen Besitzungen zu verwalten.
Während Joe die Gäste musterte und hin und wieder einem Bekannten zunickte, hörte er eine schwarzhaarige Schönheit sagen: „So mancher Bürger braucht eine starke Hand, sonst würde er doch keine radikalen Parteien wählen. Kein Wunder, sie sind einfach nicht gebildet genug.“
Joe ballte die Hände. Wie konnte man so über die normalen Mitbürger lästern? Wie konnte man im 21. Jahrhundert noch derart arrogant sein?
Da er den Schirdorffs den Abend nicht verderben wollte, hielt er den Mund. Wohl wissend, dass bestimmt die Hälfte der geladenen illustren Gäste Bürgerliche waren, wohlhabende Industrielle, begabte Künstler, Ärzte, Juristen und Professoren.
„Ich werde sicher einen Adligen heiraten. Wie schade, wenn die alten Familien nicht mehr erhalten bleiben“, meinte die Schöne gerade.
Joe hatte seine eigene Meinung zu den Adelsfamilien; zum einen gab es eine Reihe recht dekadenter Familien, zum anderen waren die Linien schon allein durch das neue Namensrecht nicht mehr im ursprünglichen Sinn erhalten. Außerdem heirateten inzwischen selbst die Königsfamilien Bürgerliche.
Er zuckte die Schultern. Es waren moderne Zeiten, und es war gut so. Wer weiß, ob seine Kinder, wenn er je welche hatte, die große Belastung und Verantwortung für die alten kostenintensiven Schlösser und die Güter auf sich nehmen wollten. Finanziell lohnte es sich kaum noch. Die nächste Generation würde schon mit der Erbschaftssteuer Probleme bekommen. Dazu kamen noch die teuren Instandhaltungskosten der Gebäude. Selbst Joe hatte vor drei Jahren, als sein Vater unerwartet starb, viel verkaufen müssen. So leid es ihm um seine alte Großmutter tat, deren Herz an jedem Acker und Wald, den Gemälden und der Pferdezucht hing. „Wir züchten schon seit Jahrhunderten Pferde, und du verkaufst unsere besten Tiere.“
Nur ihr zuliebe hatte er einige wenige der besten Stuten, zwei hatte sein Vater dazu noch kurz vorher decken lassen, behalten. Aber selbst diese Pferde, die Fohlen hatte er später versteigert, waren nur Kostenfaktoren und machten viel Arbeit. Eigentlich mussten er alle verkaufen.
„Na, ist Charlie wieder bei ihrem Lieblingsthema? Sie bildet sich wer weiß was ein, dabei ist sie nur eine kleine Edle ohne Besitz und Geld“, spottete Paul.
„Jedem das Seine“, meinte Joe und nahm Paul ein Glas aus der Hand.
„Dabei ist sie nicht dumm, studiert Jura und hat ein exzellentes Abi hingelegt. Sie ist eine Freundin von Mia, war mit ihr im Internat.“
Einen Augenblick später trennte sich eine zarte junge Frau mit langen, kastanienbraunen Haaren von Charlottes Gruppe und trat zu Paul heran. Ihre Augen waren grün wie bei einer Katze und genauso geschmeidig bewegte sie sich.
„Darf ich vorstellen? Mein Freund Joe und meine Cousine Mia“, erklärte Paul.
Förmlich verbeugte sich Joe, was er selten tat, auf jeden Fall nicht bei jüngeren Leuten. Aber Mia beeindruckte ihn. Sie sah nicht nur gut aus, sondern sie erwies sich auch als gewandte Gesprächspartnerin, und so unterhielten sie sich gleich über Reisen in die USA und Musik. Nebenbei erfuhr Joe, dass Mia Werbefachfrau war.
„Ich hatte keine Lust zu studieren, und Werbung ist unheimlich spannend. Es macht mir viel Spaß.“
„Vielleicht nehme ich deine Kenntnisse mal in Anspruch. Ich könnte etwas Werbung für meine Direktvermarktung gebrauchen“, stellte Joe fest. Er hatte ein Händchen dafür, sein soziales Netzwerk auszubauen.
„Hast du schon einmal daran gedacht, deine Produkte im Internet zu verkaufen?“, fragte sie gleich.
„Ich denke, die sind dafür nicht geeignet.“ Er schüttelte abwehrend den Kopf.
Sie waren so ins Gespräch vertieft, dass sie gar nicht mitbekamen, dass Charlotte sich dazu gesellte.
„Ich habe eben mit Herzog Alwin, Prinzessin Johanna und Prinz Harald gesprochen. Solche noblen Gäste, sie haben der Baronin gleich große Spenden für ihre Waisenkinder versprochen. Aber das kann man vom alten Adel auch erwarten“, warf sie schwärmerisch in eine Gesprächspause ein.
„Was? Dass sie mit ihren beachtlichen Spenden hausieren gehen? Ich finde das nicht sehr nobel, sondern nur peinlich“, protestierte Paul. „Charlotte, wann wirst du wieder normal? Früher konnte man doch mit dir Pferde stehlen, aber seit einiger Zeit wirkst du nur noch arrogant“, kritisierte er sie.
„Nur weil ich auf Etikette achte und einen Herzog, der den richtigen Wein zum Essen bestellt, einem Angeber aus dem Showbusiness vorziehe? Wie diesen Schlagerjüngling? Schau ihn dir doch an. Der ist mindestens sechzig, trägt ein Korsett und macht auf Teenager. Dabei kann er noch nicht einmal gut singen“, lästerte sie und nickte leicht in die Richtung von Schlagersänger Freddie Lion. Dann fuhr sie fort: „Prinz Harald hat sich herabgelassen und sich mit mir über die Restaurierung seines Schlosses unterhalten.“
„Na, dein Prinz passt eher zu deinen Eltern. Der ist älter als meine Mutter“, meinte Mia prosaisch.
„Wirklich? Er wirkt noch viel jünger, sowohl vom Aussehen als auch geistig.“
Joe musste sich sehr beherrschen, um nicht laut loszuprusten. Prinz Harald war ein Großcousin seines Vaters, und sein alter Herr hatte sich immer über den Snobismus des Verwandten aufgeregt.
„Mensch Charlotte, du hast ein super Abi gemacht, studierst erfolgreich Jura, was willst du mit so einem alten Kerl?“, fragte Paul kopfschüttelnd. Er wirkte noch immer fassungslos.
„Weißt du, wie viele Juristen arbeitslos sind?“ Charlotte sah niedergeschlagen aus.
„Deswegen lernst du doch so emsig. Du findest schon einen Job. Notfalls fragen wir im Bekanntenkreis, ob jemand eine Stelle für dich kennt“, versuchte Mia ihre Freundin aufzubauen.
Charlotte lächelte, dann wandte sie sich Joe zu: „Was machen Sie denn beruflich?“
„Oh, ich bin Landwirt“, stapelte er tief. Er hatte keine Lust, als nächster Heiratskandidat auf Charlottes Liste zu stehen.
„Dann haben Sie es in diesem Jahr bei der Trockenheit nicht leicht“, meinte sie charmant. Aber Joe spürte, wie ihre Herzlichkeit gleich schwand. Sie unterhielten sich noch eine Weile über Milchquoten, dann wandte Charlotte sich ab und trat zu Baronin von Schirdorff, um sich weiteren Gäste vorstellen zu lassen.
Nachdem sie längere Zeit mit den Vorstandsvorsitzenden Dr. Dresen und Dr. Weber geplaudert hatte, wandten die beiden Herren sich eigenen Bekannten zu und Charlotte stand allein in einer Ecke. Diese Gelegenheit nutzte Mia und trat wieder zu ihr.
„Charlie, wenn du Erfolg haben willst, darfst du nicht so herablassend über andere sprechen. Pauls Freund hättest du auch freundlicher behandeln können.“
„Warum? Dein Joe ist doch recht einfach gestrickt. Dem werde ich sicher nicht mehr über den Weg laufen.“
Mia schüttelte den Kopf. „Seit wann bist du so herzlos und egoistisch? Gib ihm doch erst einmal eine Chance.“
Charlotte lachte. „Sei doch nicht so. Weißt du noch, wie wir immer über unsere Französischlehrerin gelästert haben?“
„Damals waren wir auch dumme Kinder. Die arme Frau hat sich große Mühe gegeben, aber wir wollten einfach nicht lernen.“
„Kein Wunder, sie konnte uns auch nichts beibringen.“
„Hm, ich wäre froh, wenn mein Französisch besser wäre, deshalb mache ich inzwischen den Konversationskurs.“ Dann kam sie aber wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. „Charlie, überlege dir, was du sagst. Vieles wirft kein gutes Licht auf dich.“
Als Freunde ihrer Tante auf sie zutraten, lächelte sie erfreut, stellte Charlie vor und erkundigte sich nach dem Befinden.
*
Joe war ebenfalls weitergewandert. Er hatte mit einer Künstlerin, die von Baronin Schirdorff protegierte wurde, gesprochen, um dann ein längeres Gespräch mit den beiden Vorstandsvorsitzenden geführt. „Wollen Sie nicht unserer Landwirtschaftsgenossenschaft helfen? Wir suchen gerade einen neuen Kandidaten für den Aufsichtsrat“, fragte ihn Dr. Dresen.
Joe verzog sein Gesicht. „Ich kann nicht, auch wenn ich es gern würde. Aber mich frisst die Bewirtschaftung des Guts auf.“
„Sie könnten doch einen Verwalter einstellen“, schlug Dr. Dresen vor.
„Nein, erst einmal muss ich sehen, dass der Betrieb wirtschaftlicher wird. Vielleicht eines Tages …“, antwortete Joe und schüttelte den Kopf.
„Haben Sie promoviert?“, fragte Dr. Weber.
„Leider nein, die Zeit reichte nicht. Mein Vater litt die letzten Jahre an einer Herzschwäche, deshalb habe ich ihn unterstützt und keine Zeit mehr dafür gehabt. Es muss auch nicht jeder promovieren. Als Landwirt brauche ich den Titel nicht. Die intellektuelle Herausforderung hätte mich allerdings gereizt.“
„Mein Freund, Professor Dr. Hartmann, hatte Ihnen eine Karriere an der Universität vorhergesagt“, murmelte Dr. Weber.
Joe lachte. „Wer weiß, jetzt habe ich erst einmal genug zu tun.“
Längst waren die Tische weggeräumt worden und die kleine Musikkapelle hatte angefangen, Tanzmusik zu spielen. Joe staunte. Schirdorffs hatten wirklich eine hervorragende Tanzkapelle engagiert. Er schaute sich um, Paul walzte gerade mit seiner Cousine. Baronin von Schirdorff wurde von den älteren Herren aufgefordert. Doch als der Tanz zu Ende war, ging Joe zu seinem Freund und forderte, wie verabredet, Mia auf. Es war eine Freude mit ihr zu tanzen. Sie bewegte sich leichtfüßig und elegant über die Fläche.
„Haben Sie früher Ballett getanzt?“, fragte er.
„Ja, wie alle Mädchen habe ich davon geschwärmt und meine Eltern solange gequält, bis sie mich in einer Tanzschule angemeldet haben. Später wollte ich nur noch reiten und musste von ihnen fast zu den üblichen Tanzkursen gezwungen werden.“
Joe lachte. „Meine Großmutter hat mich einfach zu zwei Kursen angemeldet, ohne mich zu fragen. Ich war wochenlang böse mit ihr, dabei liebe ich sie über alles. Sie ist eine fantastische Großmutter, aber das war einfach zu viel. Doch nach dem zweiten Kurs habe ich gemerkt, dass die Mädchen alle hinter guten Tänzern her waren, da fand ich Tanzen auf einmal ganz toll.“
Mia lachte. „Ich habe auch immer für die besten Tänzer geschwärmt“, gestand sie.
Sie tanzten mehrere Tänze zusammen, bis Joe schließlich meinte: „Wenn wir weitertanzen, steht morgen in der Bildzeitung, dass wir im nächsten Vierteljahr heiraten und schon ein Kind unterwegs ist.“
Mia grinste. „Wäre so eine Meldung schlimm?“
Joe zuckte die Schultern. „Was sagen Ihre Eltern dazu?“ Dann entschuldigte er sich, brachte sie zu ihrem Platz zurück und suchte die Baronin auf. Auch mit ihr tanzte er mehre Tänze, um dann brav die von ihr genannten Damen aufzufordern. Denn als gute Gastgeberin achtete sie darauf, keine Mauerblümchen zu haben.
Am späten Abend wollte er aufbrechen und war auf der Suche nach den Gastgebern, als er Gesprächsfetzen einer Gruppe um Prinz Harald mitbekam. „Wie kann man nur solchen Standesdünkel haben! Dabei ist sie doch nur eine einfache Edle. Noch dazu ohne Besitz, da die Familie aus Ostpreußen stammt“, sagte eine Frau mit unangenehm hoher Stimme.
„Und selbst dort soll ihr Gut sehr armselig gewesen sein. Die Herrschaften mussten stets bei der Feldarbeit mithelfen.“
Joe kontrollierte mit Mühe seine Mimik. Solche Veranstaltungen entsprachen wirklich nicht seinem Geschmack. Er war froh, Baronin von Schirdorff endlich zu finden und sich bei ihr zu verabschieden.
„Schade, dass Ihre Großmutter nicht mitkonnte.“
„Das bedauert sie auch, aber es geht ihr momentan nicht so gut. Das Rheuma ist so schmerzhaft, dass sie sich kaum rühren kann. Ich hoffe, dass das neue Medikament ihr endlich hilft.“ Artig bedankte er sich und versprach die Genesungswünsche seiner Großmutter auszurichten.
Ein paar Tage nach dem Ball saß Joe mit dem alten deutschen Langhaar seines Vaters beim Tierarzt. Der Hund litt inzwischen an Arthrose, doch mit dem jungen Westie, den er nach dem Tod seines Vaters der Großmutter geschenkt hatte, erwachte der Spieltrieb und er erschien wieder erheblich jünger, als er jetzt wirkte.
Um sich die Zeit zu vertreiben, unterhielt Joe sich mit der Bäckerin, die ihren Papagei dabei hatte. Als jemand eintrat, wandte er sich nicht zur Tür um. Erst als er die helle Stimme, die einen guten Tag wünschte, hörte, drehte er sich um.
Mia setzte gerade einen Katzenkorb auf den Boden und ließ sich dann gegenüber von Joe nieder.
„Hallo“, grüßte Joe zurück. „Ist das deine Katze?“
„Nein, ich habe keine, und wenn, dann hätte ich sie lieber daheim gelassen und von meiner Nachbarin betüddeln lassen. Sie ist Rentnerin und liebt Tiere.“ Mia lachte. „Wahrscheinlich hätte es meine nicht vorhandene Katze bei ihr besser als bei mir.“
„Ist das nicht Prinzessin?“, fragte die Bäckersfrau neugierig.
Mia nickte. „Ja, das ist die verwöhnte Katze meiner Tante. Hoffentlich kann Dr. Schmidt ihr helfen.“
„Dann passt der Name?“, fragte Joe.
Die beiden Frauen lachten. „Und wie. Diese Katze hat garantiert noch nie eine Maus gefangen“, meinte die Bäckersfrau.
„Sie frisst nur aus goldenen Näpfen und nur Delikatessen“, spottete Mia.
Joe lachte. „Nein, deine Tante ist dafür viel zu praktisch veranlagt.“
„Sie hat dieses verzogene Biest von ihrer Schwägerin aufgehalst bekommen. Und da sie tierlieb ist, hat sie sie behalten. Dieses eigentlich normale Hauskätzchen läuft nur auf gepflasterten Wegen, sobald es kalt ist oder regnet, zieht sie es vor, im Haus zu bleiben, frisst nur eine Sorte Katzenfutter …“ Sie kam nicht weiter, weil ihre Zuhörer laut losprusteten.
„Woran leidet sie denn?“, fragte die Bäckersfrau, nachdem sie sich beruhigt hatten.
„Sie niest, hoffentlich ist es kein Katzenschnupfen.“
„Schade, dass Dr. Schmidt demnächst aufhört“, klagte die Bäckerin. „Er hilft Ihrer Katze bestimmt.“
„Gibt es einen Nachfolger?“, fragte Mia.
Joe schüttelte den Kopf. „Nein, da Dr. Schmidt niemanden gefunden hat, haben wir ihm geholfen und schon überall inseriert, sind sogar an die Universitäten herangetreten. Aber keiner will aufs Land. Die meisten wollen sowieso keine Großtierpraxis mehr, sondern nur noch Kleintiere behandeln.“
„Da verdienen sie mehr“, meinte Mia.
„Ja, aber die Landwirte brauchen unbedingt einen Arzt. Langsam läuft uns die Zeit weg, Dr. Schmidt sucht schon seit drei Jahren jemanden. Wenigstens hat er versprochen, notfalls noch ein Jahr länger zu praktizieren, damit wir nicht unversorgt sind. Allerdings tritt er jetzt schon kürzer und behandelt nicht mehr alle Tiere.“
„Oje, ich brauche unbedingt einen guten Arzt für meine Stute. Die steht seit Kurzem bei meiner Tante im Stall. Vor ein paar Tagen hat sie gelahmt. Aber nur unter dem Sattel, an der Longe oder auf der Weide ist nichts zu sehen. Inzwischen habe ich es allerdings nicht mehr bemerkt“, meinte Mia entsetzt. „Ich habe mich auf Dr. Schmidt verlassen.“
„Mein Freund ist Tierarzt, der besucht mich übers Wochenende. Soll ich ihn einmal vorbeischicken?“, schlug Joe vor.
„Warum wirbst du ihn nicht an?“, fragte Mia erstaunt.
„Tja, daran arbeite ich schon seit Ewigkeiten. Bisher ohne Erfolg. Seine Partnerin will in der Stadt bleiben. Sie hat dort einen guten Job.“
„Es ist immer dasselbe. Die jungen Leute ziehen alle weg. Übrig bleiben nur wir Alten“, klagte die Bäckersfrau.
Joe seufzte. „Wenn ich ausreichend Geld übrig hätte, würde ich hier einen Betrieb aufziehen. Am besten etwas mit Computern.“
„Verstehst du davon etwas?“, fragte Mia neugierig.
„Nein, überhaupt nicht. Ich bin froh, wenn ich mit meinen Programmen für den Betrieb zurechtkomme. Aber ich denke, es muss etwas Zukunftsorientiertes sein. Leider haben wir hier nicht einmal eine vernünftige Internetverbindung. Deshalb ist vor einiger Zeit die kleine Naturfarbenfabrik weggezogen“, klagte Joe und verzog sein Gesicht.
Neue Patienten betraten den Warteraum und grüßten. Eine Frau nickte Joe zu und sagte: „Guten Morgen, Herr Fürst.“
„Guten Morgen, Marianne, Sie sollen mich doch wie früher Joe nennen“, antwortete er.
„Das geht doch nicht. Sie sind kein kleines Kind mehr, sondern erwachsen und deshalb jetzt Herr Fürst.“
Joe schüttelte lachend den Kopf. „Liebe Marianne, Sie kennen mich schon seit meiner Geburt, bitte bleiben Sie bei Joe.“
„Aber Ihre Familie hat uns immer anständig behandelt und uns geholfen.“
„Das gehört sich auch so. Trotzdem bleibe ich Joe.“ Er lachte, dann wandte er sich wieder der Bäckersfrau zu. „Wenn es bloß einfach wäre, hier neue Arbeitsplätze für die jungen Leute zu schaffen“, seufzte er. Ein Blick auf Mia stellte seine gute Laune wieder her. Das Mädchen sah völlig irritiert aus. Aber er wollte sie nicht aufklären, sollte sie ihn ruhig weiter für einen einfachen Bauern halten.
„Warum hat Paul nie von dir erzählt?“, fragte sie nachdenklich.
„Hat er das nicht?“, wunderte sich Joe. „Wir kennen uns schon ewig. Wir sind Nachbarn von Schirdorffs. Ich habe auch schon seit der Grundschule von dir gehört.“ Er grinste sie frech an.
„Hoffentlich nur Gutes!“
In dem Augenblick wurde er in das Sprechzimmer gerufen.
Drei Tage später fuhr Axel Lissel mit einem altersschwachen Opel in die Auffahrt von Schloss Epen vor. Er ließ den Wagen seitlich vom Herrschaftshaus stehen, schnappte sich seine Reisetasche und eilte die Stufen zum Eingang hoch. Energisch hob er den Türklopfer und ließ ihn fallen. Erschrocken zuckte er zusammen. So laut hatte er das Teil nicht in Erinnerung gehabt. Erst nach einer Weile hörte er schlurfende Schritte, und der grauhaarige Butler Simon öffnete die Tür.
„Guten Morgen, Herr Simon. Tut mir leid, wenn ich zu stürmisch war. Hoffentlich hat die Tür keinen Schaden genommen.“
„Ihre Durchlaucht, Fürst Joachim, befindet sich in seinem Arbeitszimmer. Für Sie ist das blaue Zimmer vorgesehen.“ Er bückte sich, um die Tasche hochzuheben, aber Axel kam ihm zuvor.
„Lassen Sie bitte, ich muss doch die verpasste Stunde im Fitnessclub irgendwie ausgleichen“, sagte er lächelnd und folgte Simon die große Freitreppe hinauf in den ersten Stock und dann in den Südflügel bis zum blauen Schlafzimmer.
Axel kannte den Raum, der in der Nähe von Joes Zimmer lag, schon von früher. Er hatte bereits als Kind mehrmals auf Schloss Epen geweilt.
„Wenn Sie sich frisch gemacht haben, können Sie die Bibliothek aufsuchen oder im Park spazieren gehen. Fürst Joachim erwartet ein Telefongespräch. Sobald er Zeit hat, wird er Sie aufsuchen.“
„Und die Fürstin von Eppen zu Sande?“, fragte Axel. Er wollte gern Joes Großmutter begrüßen. Er hatte sie gleich bei seinem ersten Besuch ins Herz geschlossen. Sie hatte den Jungen herzlich aufgenommen, den Kindern immer Geschichten von früher erzählt und mit ihnen musiziert.
„Sie wird ihr Zimmer heute nicht verlassen.“
„Oh, geht es ihr so schlecht?“, fragte Axel erschrocken. „Richten Sie ihr bitte meine Grüße und Besserungswünsche aus.“
Nachdem er seine Tasche ausgepackt hatte, schlenderte er durch den Park. Den Namen hatte das Gelände gar nicht mehr verdient. Nur noch die großen alten Bäume, ein paar Skulpturen und ein kleiner Pavillon erinnerten an vergangene Pracht. Obwohl die Familie nicht arm war, sparte Joachim. Die Landwirtschaft brachte nicht mehr so viel Gewinn wie früher ein, Joe versuchte, den Betrieb wirtschaftlicher zu gestalten. Die Umstrukturierung kostete erst einmal Geld, würde sich aber hoffentlich in ein paar Jahren bezahlt machen. Eigentlich besaß die Fürstenfamilie genug Wertgegenstände, die Joe verkaufen konnte. Aber das waren alles Erbstücke, die sich seit Langem in der Familie befanden und an denen seine Großmutter hing. Inzwischen arbeitete der junge Fürst hart daran, die Ländereien profitabler zu machen. Einen Teil hatte er schon auf Bioprodukte umgestellt. Aber der Prozess dauerte jahrelang. Ein stattliches Herrenhaus hatte er vermietet. In dem war ein Hotel entstanden, in dem kleinen Jagdschlösschen lebte ein Großindustrieller. Nur seiner Großmutter zuliebe hatte er die Gebäude behalten. Auch wenn die Mieteinnahmen gerade eben die Ausgaben für Steuern und Instandhaltung deckten, wenigstens waren sie immer bewohnt und gepflegt worden, doch jede Kleinigkeit kostete bei der Größe der Gebäude enorm viel Geld. Zum Glück hatte sein Urgroßvater das eigentliche Stammschloss schon vor Jahrzehnten vermietet. In dem hübschen, aber altmodischen Gebäude wollte heute auch niemand mehr wohnen.
Nach einer Weile schlenderte Axel zu den Stallungen, wie erwartet waren sie leer. Die Pferde standen auf der nahen Koppel. Er musterte sie kritisch. Joe besaß nur noch wenige prächtige Tiere. Axel verspürte eine leichte Wehmut. Das alte Gestüt hatte so viele hervorragende Turnierpferde hervorgebracht. Noch zu Lebzeiten von Joes Großvater hatte Axel hier Reiten und den Umgang mit Pferden gelernt. Dadurch war er auch auf die Idee gekommen, Tierarzt zu werden.
„Na, bist du mit dem Zustand der Stuten zufrieden?“, fragte Joe hinter seinem Rücken.
Erschrocken zuckte Axel zusammen, er hatte auf dem weichen Boden den Freund nicht herankommen gehört.
„Ja, sie sehen gut aus. Schade, dass du die meisten verkauft hast.“
Joe seufzte. „Ich hätte sie gern behalten, aber das Gestüt kostet nur und bringt keinen Gewinn. Ich habe keine Zeit dafür und hätte viel investieren müssen. Die Ansprüche der Käufer sind gestiegen, ich hätte eine Reithalle bauen müssen. Dabei frisst mich schon der Milchbetrieb auf. Meine Vorfahren hätten lieber eine Fabrik aufbauen sollen. In den Gründerjahren wäre das problemlos machbar gewesen. Aber das war wohl unterhalb der fürstlichen Würde. Oder wenn mein Großvater in den Sechzigern wenigstens sein Vermögen ordentlich in Aktien angelegt hätte.“
„Und wenn es nun Lehman Brothers gewesen wäre?“, spottete Axel.
Joe lachte. „Du hast recht. Außerdem jammere ich auf hohem Niveau. Wir können gut von dem Gut leben. Wir dürfen nur nicht verschwenderisch sein. Mich belastet eher die Verantwortung der Familie gegenüber. Auch die Verantwortung für die Bewohner der Region. Jahrhundertelang haben wir ihnen Arbeit gegeben, und jetzt muss ich zusehen, wie immer mehr Menschen in die Großstädte ziehen und nur noch die Alten hierbleiben.“
„Vielleicht musst du eine Ausschreibung für ein Start-up machen, das hier in die Gegend passt und Arbeit schafft.“
Verblüfft sah Joe seinen Freund an. „Das muss ich mir durch den Kopf gehen lassen. Es hört sich interessant an.“
„Vielleicht sollten wir gemeinsam einmal Brainstorming machen“, schlug Axel vor.
Früh am Morgen, eigentlich noch mitten in der Nacht klingelte Joes Handy. Verschlafen brauchte er mehrere Versuche, bis er es geangelt hatte. Nach einem Blick auf die Uhrzeit wollte er den unbekannten Anrufer schon verärgert wegdrücken. Doch sein Bauchgefühl hielt ihn davon ab, deshalb nahm er das Gespräch an.
„Joe, entschuldige bitte, aber es ist ein Notfall. Meine Stute hat eine Kolik und Dr. Schmidt ist bei einem Bauern, da hat eine Kuh Probleme beim Kalben, aber der Stalljunge meiner Tante meint, dein Freund ist zu Besuch.“ Mia klang atemlos.
„Dann werde ich Axel wecken. Wir kommen, so schnell es geht“, versprach Joe. Er sprang in seine Jeans und ein Sweatshirt. Dann stürmte er in Axels Zimmer. „Ein Notfall, eine Stute hat eine Kolik.“
Verschlafen schaute Axel mit verstrubbelten Haaren auf. „Welche? Die Rappstute?“
„Keins meiner Pferde, im Stall von den Schirdorffs. Ich fahre dich hin. Komm, spring hoch. Ich hoffe, du hast deinen Arztkoffer mit.“
Axel stand schon vor dem Bett und griff nach einer Jeans.
„Und ich dachte, ich kann mich etwas erholen“, stöhnte er.
„Du bleibst noch ein paar Tage hier. Zum Glück treten nicht jeden Tag Notfälle auf“, tröstete Joe und marschierte voran. Sie fuhren mit Axels altem Opel, da er seine Arztsachen im Kofferraum hatte.
Im Stall brannte Licht, Mia, ihr Onkel und der Stallknecht Björn versuchten, die Stute, die sich im Stallgang wälzte, wieder auf die Beine zu bringen, da sie vor der Futterkiste lag und immer zum wiederholten Mal dagegen schlug. Ihr Bauch war stark aufgebläht.
Auf den ersten Blick bemerkte Joe, wie blass und angespannt Mia aussah. Mit belegter Stimme sprach sie auf Princy ein. Beruhigend strich er ihr über den Rücken.
Axel trat heran, warf einen Blick auf das Tier, dann befragte er Mia und Björn, schließlich kniete er sich hin, immer auf der Hut vor den Hufen, tastete er den Bauch ab und gab ihr anschließend eine Spritze. Mia reichte ihm eine Decke, die er über die stark schwitzende Stute legte. Leise sprach er besänftigend auf das Tier ein. Mit der Zeit wurde sie ruhiger und er konnte sie, unterstützt von Joe, überreden, aufzustehen. Tapfer bemühte sich das Tier. Nach mehreren Anläufen stand es wackelig auf den Beinen und ließ sich herumführen.
Sie wechselten sich ab. Immer zwei führten die Stute, die anderen ruhten sich erschöpft aus und tranken den starken Kaffee, den die Baronin inzwischen für sie gekocht hatte.
„Kommt die Stute durch?“, fragte sie besorgt. „Es ist Mias Lieblingstier. Ein hervorragendes Dressurpferd.“
Axel zuckte die Achseln. „Ich habe getan, was ich konnte. Jetzt können wir nur noch abwarten.“
Er stellte die leere Tasse ab und lief die Stallgasse entlang und bewunderte die Tiere.
„Wir haben nur noch wenige. Die Pferdezucht bringt nichts mehr. Es ist ausschließlich Liebhaberei.“
„Ja, leider“, nickte Axel.
Nach dem Sonnenaufgang frühstückten sie auf der Terrasse. „Die Stute ist über den Berg“, meinte der Baron und dankte Axel herzlich.
„Ich werde gegen Mittag nachschauen, wie es ihr geht“, erklärte Axel.
„Können Sie nicht die Praxis von Dr. Schmidt übernehmen? Wir sorgen uns schon, was mit unseren Tieren wird, wenn er aufhört. Bisher haben wir keinen Nachfolger gefunden.“
„Herr Fürst meinte auch, dass …“, warf Mia ein.
„Herr Fürst?“, fragte Axel überrascht.
„Ihr Freund, Joe genannt“, erklärte Mia.
Axel lachte laut los. Ihr Onkel und ihre Tante schlossen sich an. Auch Joe grinste.
„Herr Fürst ist gut“, sagte Axel außer Atem.
Mia schaut ihn verunsichert an. „Paul hat ihn als Joe vorgestellt, und beim Tierarzt sagte eine Frau Herr Fürst zu ihm.“