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In Zeiten der Krise sind konkrete, schnell wirkende Sofortmaßnahmen notwendig. Kostensenkung allein ist nicht das Allheilmittel. Hermann Simon liefert ein Buch von höchster Priorität: Er benennt 33 Sofortmaßnahmen, die Manager ergreifen sollten, um ihr Unternehmen durch die Krise zu führen. Simon bietet Sofortprogramme für veränderte Kundenbedürfnisse, Vertrieb und Außendienst, Angebots- und Preismanagement sowie Service und Dienstleistungen an. Er schlägt unter anderem vor: • Innendienstler als Verkäufer einzusetzen • Probezeit für Maschinen zu vereinbaren • Natural- statt Preisrabatte einzuräumen • stärker auf After-Selling-Dienstleistungen zu setzen und • Kunden der angeschlagenen Konkurrenz abzuwerben
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Seitenzahl: 254
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Information zum Buch
"Sofortmaßnahmen" ist das Schlüsselwort dieses Buches. Damit sind Maßnahmen gemeint, die sich schnell umsetzen lassen und die schnell wirken. Die Plötzlichkeit und das Ausmaß der Umsatzeinbrüche bringen Unternehmen, die nicht schnell und entschlossen reagieren, in höchste Gefahr. Es kann schwerlich überschätzt werden, welche Schnelligkeit nun gefordert ist. Die hohe Zahl von 33 konkreten Sofortmaßnahmen belegt, dass es viele Mittel und Wege gibt, sich gegen die Krise zu wehren. Resignation ist fehl am Platz. Trotz der Eilbedürftigkeit müssen fatale Fehler unbedingt vermieden werden. In der Krise kann schon ein kleiner Fehltritt das "Aus" für ein Unternehmen bedeuten. Verständnis der Ursachen, sorgfältige Diagnose, entschlossene Umsetzung und zeitnahes Monitoring sind in der Krise angezeigt. Dieses Buch gibt zu all diesen Aspekten praxisnahe Hilfestellungen.
Für die Nachkriegsgeneration, zu der auch ich gehöre, bildet die Krise eine völlig neue Erfahrung. Wir kennen bisher nur Frieden, Wachstum und Wohlstand. Die letzte große Depression ereignete sich vor unserer Zeit. Wir sind gefordert, mit all unseren Kräften gegen die Krise zu kämpfen. Dieser Kampf darf sich nicht darauf beschränken, Mitarbeiter zu entlassen und Kosten zu drücken. Nein, wir müssen uns vor allem auch an der Absatz- und Umsatzfront einsetzen, um den Schaden zu begrenzen und das Überleben unserer Unternehmen zu sichern. Dieses Buch zeigt Unternehmern, Managern und Mitarbeitern Mittel und Wege für diesen Kampf auf. Die 33 Sofortmaßnahmen werden die Krise nicht aus der Welt schaffen, aber den Schaden in Grenzen halten. Genau das kann den Unterschied zwischen Sein und Nichtsein eines Unternehmens ausmachen.
Information zum Autor
Prof. Dr. Hermann Simon ist Chairman der Unternehmensberatung Simon, Kucher & Partners. Seine Bücher wurden in 22 Sprachen übersetzt. Simon-Kucher gilt als die führende deutsche Beratung für Vertrieb und Marketing und als Weltmarktführer für Preisberatung. Zuletzt erschien von Professor Simon der Bestseller "Hidden Champions des 21. Jahrhunderts".
Hermann Simon
33 Sofortmaßnahmen gegen die Krise
Wege für Ihr Unternehmen
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Copyright © 2009. Campus Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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ISBN der Printausgabe: 978-3-593-38999-8
E-Book ISBN: 978-3-593-40546-9
Die Idee zu diesem Buch verdanke ich meiner Frau Cäcilia. Nachdem ich zahlreiche Vorträge zum Management in der Krise gehalten hatte, fragte sie an einem Sonntag: »Warum schreibst du nicht ein Buch über die Krise?« Eines war bei dem Gedanken an ein solches Buch sofort klar: Es musste schnell gehen, sehr schnell. Innerhalb einer Woche standen die Vereinbarungen mit dem Campus Verlag und ein Projektteam bei Simon-Kucher & Partners, das mich unterstützte. Zwischen dem Entwurf des ersten Kapitels und der Abgabe des Manuskriptes beim Verlag vergingen ein Monat und acht Tage. Während ich schrieb, bereitete das Verlagsteam den Produktionsprozess, die Markteinführung und das Coverdesign vor. Ungewöhnlich für ein Buch praktizierten wir »Simultaneous Engineering«.
»Sofortmaßnahmen« ist das Schlüsselwort dieses Buches. Damit sind Maßnahmen gemeint, die sich schnell umsetzen lassen und die schnell wirken. Die Plötzlichkeit und das Ausmaß der Umsatzeinbrüche bringen Unternehmen, die nicht schnell und entschlossen reagieren, in höchste Gefahr. Es kann schwerlich überschätzt werden, welche Schnelligkeit nun gefordert ist. Die hohe Zahl von 33 konkreten Sofortmaßnahmen belegt, dass es viele Mittel und Wege gibt, sich gegen die Krise zu wehren. Resignation ist fehl am Platz. Trotz der Eilbedürftigkeit müssen fatale Fehler unbedingt vermieden werden. In der Krise kann schon ein kleiner Fehltritt das »Aus« für ein Unternehmen bedeuten. Verständnis der Ursachen, sorgfältige Diagnose, entschlossene Umsetzung und zeitnahes Monitoring sind in der Krise angezeigt. Dieses Buch gibt zu all diesen Aspekten praxisnahe Hilfestellungen.
Für die Nachkriegsgeneration, zu der auch ich gehöre, bildet die Krise eine völlig neue Erfahrung. Wir kennen bisher nur Frieden, |10|Wachstum und Wohlstand. Die letzte große Depression ereignete sich vor unserer Zeit. Wir sind gefordert, mit all unseren Kräften gegen die Krise zu kämpfen. Dieser Kampf darf sich nicht darauf beschränken, Mitarbeiter zu entlassen und Kosten zu drücken. Nein, wir müssen uns vor allem auch an der Absatz- und Umsatzfront einsetzen, um den Schaden zu begrenzen und das Überleben unserer Unternehmen zu sichern. Dieses Buch zeigt Unternehmern, Managern und Mitarbeitern Mittel und Wege für diesen Kampf auf. Die 33 Sofortmaßnahmen werden die Krise nicht aus der Welt schaffen, aber den Schaden in Grenzen halten. Genau das kann den Unterschied zwischen Sein und Nichtsein eines Unternehmens ausmachen.
Hermann Simon
Bonn, im April 2009
|11|Kapitel 1
In diesem ersten Kapitel wird die aktuelle Krise untersucht. Damit Unternehmen konkrete Ratschläge für den Umgang mit der Krise bekommen, wird eine betriebs- und keine volkswirtschaftliche Perspektive angelegt.
Die aktuelle Krise, die im Jahre 2007 begonnen hat und sich in den Folgejahren verschlimmerte, ist eine Absatz- und Umsatzkrise, keine Kostenkrise. Absatzmengen und Umsätze brachen in erschreckendem Ausmaß ein. Die Kunden verweigerten einfach den Kauf. Dies lag nicht daran, dass ihre Kaufkraft plötzlich verschwunden oder Kosten und Preise zu hoch waren. Anders als in früheren Krisen bildeten auch nicht die Konkurrenz aus Niedriglohnländern oder ein ungünstiger Dollarkurs das Problem. Im Gegenteil, viele Faktoren wie zurückgehende Öl- und Rohstoffpreise sorgten sogar für Entspannung an der Kostenfront. Vielmehr liegt die Ursache der Kaufverweigerung darin, dass private wie geschäftliche Kunden Angst vor der Zukunft haben und ihr Geld horten. »Cash is king« gilt nicht nur für Unternehmen, sondern genauso für die sich verweigernden Verbraucher. Anders als in früheren Rezessionen ist die Sparquote der Verbraucher sogar gestiegen.1 Sie greifen in dieser Krise nicht auf ihre Ersparnisse zurück, um Einkommensverluste auszugleichen, sondern bauen weitere Guthaben auf – auch um Verluste in ihren Wertpapierdepots zu kompensieren. Je ernster die Krise wurde, desto stärker zeigten sich solche Tendenzen.
|12|Wie sollen die Unternehmen auf eine Krise dieser Art reagieren? Eines ist klar: Beim Kostenmanagement sind alle Register zu ziehen. Doch das reicht nicht aus. Zum einen haben die meisten Unternehmen in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Kostendisziplin bewiesen. Jürgen Heraeus beschreibt dies plastisch mit der Aussage: »Wir haben den zweiten Mitarbeiter erst eingestellt, wenn wir den dritten brauchten.« Zum anderen hat es in der Automatisierung erhebliche Fortschritte gegeben, sodass die Kosten heute deutlich niedriger sind als früher. Nicht nur sinkende Preise für Elektronikprodukte belegen dies. Man bekommt heute auch wesentlich mehr Auto pro Euro als vor zehn Jahren. Selbst die deutsche Lebensmittelindustrie gilt bei den Kosten international als äußerst wettbewerbsfähig, da sie unter dem Druck der starken deutschen Discounter konsequent rationalisiert hat.2 Die Kostensenkungspotenziale sind also im Vergleich zu früher deutlich eingeschränkter.
Wenn die Umsätze um 30 oder 40 Prozent einbrechen, geht es um das blanke Überleben. In einer derartigen Extremsituation reichen Kostensenkungen alleine nicht aus. Denn kein Unternehmen schafft es in kurzer Zeit, die Kosten um solche Prozentsätze zurückzufahren. Rationalisierung verursacht zudem im ersten Schritt fast immer Zusatzkosten. Die Einsparungen treten erst später ein. Die Amortisationszeiten sind oft beträchtlich. Wenn die aktuelle Krise primär eine Absatz- und Umsatzkrise ist, dann muss sie auch an der Absatz- und Umsatzfront bekämpft werden – und zwar mit allen Mitteln, die einem Unternehmen zur Verfügung stehen. Viele Unternehmen haben das erkannt. So sagten in einer Simon-Kucher-Studie bei 2 600 europäischen Industrieunternehmen 72 Prozent der Befragten, dass sie die Krise nicht nur kostenseitig, sondern gleichermaßen marktseitig bekämpfen wollen.3
Mehr noch als in guten Zeiten geht es dabei um Gewinn und Liquidität. Gewinne sind die Kosten des Überlebens, wie Peter Drucker sagte. In jedem Augenblick muss die Liquidität sichergestellt sein. Gewinn ist definiert als Preis mal Absatzmenge minus Kosten. Es gibt also nur drei Gewinntreiber: Preis, Absatzmenge und Kosten. Diese Grundzusammenhänge sind sehr einfach. Sie führen zwangsläufig zu der Einsicht, dass alle drei Gewinntreiber mobilisiert werden müssen. Es genügt nicht, nur einen der Gewinntreiber einzusetzen, beispielsweise |13|nur die Kosten zu senken oder nur etwas an den Preisen zu tun oder lediglich den Absatz durch höhere Vertriebsleistung zu fördern. Man braucht vielmehr ein umfassendes Programm von Maßnahmen, die sowohl schnell umsetzbar sind als auch schnell und stark wirken.
Solche Sofortmaßnahmen werden in diesem Buch vorgestellt. Dabei werden alle drei Gewinntreiber behandelt. Die Kostenthematik ist Gegenstand von Kapitel 3. Diese Ausführungen sind relativ kurz, da es zu diesem Thema bereits umfangreiche Literatur gibt und der Handlungsbedarf offensichtlich ist. Der Schwerpunkt liegt auf der Umsatzseite. In den Kapiteln 4 bis 7 werden insgesamt 33 Sofortmaßnahmen bei veränderten Kundenbedürfnissen, für Vertrieb und Außendienst, Angebots- und Preismanagement sowie Service und Dienstleistungen vorgestellt. Die Umsetzung dieser Sofortmaßnahmen wird in Kapitel 8 behandelt. Alle Sofortmaßnahmen sind konkret und werden durch Fallbeispiele aus der Praxis illustriert.
Angesichts des Ausmaßes der Einbrüche ist es für die meisten Unternehmen nicht realistisch, Umsatz, Absatz und Gewinn auf dem Niveau der vergangenen Boomjahre zu verteidigen. Häufig wird es darum gehen, sich mit aller Kraft gegen Umsatz- und Gewinneinbrüche zu stemmen, die das Unternehmen in den Ruin treiben. Wenn der Markt um 40 Prozent einbricht, dann ist ein Absatzrückgang von »nur« 20 Prozent schon ein Riesenerfolg. Und wenn die Preise der Konkurrenten um 20 Prozent fallen, dann kann man stolz sein, nur einen Preisrückgang von 10 Prozent akzeptieren zu müssen.
Neben den kurzfristigen und schnell wirkenden Maßnahmen, die den Schwerpunkt dieses Buches bilden, tragen wir in Kapitel 9 Gedanken zu möglichen längerfristigen Auswirkungen der Krise vor. Diese Gedanken haben einen stärker spekulativen Charakter, denn niemand weiß mit Sicherheit, wie es weitergehen wird. Es ist charakteristisch für diese Krise, dass kein Finanzminister, Zentralbankpräsident, Banker oder Wirtschaftswissenschaftler die Komplexität der Risiken auch nur annähernd durchschaut. Das hält manche Experten zwar nicht davon ab, Prognosen bis auf eine Stelle hinter dem Komma für das nächste Jahr abzugeben. Zunehmend geben jedoch auch Fachleute zu, dass sie selbst nach Orientierung suchen. So antwortete Wirtschafts-Nobelpreisträger Gary Becker auf die Frage, wie es mit der Krise weitergehe: »Nobody knows. I certainly don’t |14|know.«4 Jens Weidmann, Wirtschaftsberater von Bundeskanzlerin Merkel, benutzt das Bild einer »Nebelwand«.5 »Nebel« ist eines der geflügelten Worte zur Krise geworden. Es scheinen Zweifel angebracht, ob moderne Volkswirte die globale Wirtschaft in ihrer ganzen Komplexität verstehen.
Der Beginn der Krise wird üblicherweise auf das Platzen der amerikanischen Subprime-Blase im Sommer 2007 datiert.6 Ohne Zweifel fungierte der Subprime-Schock als Auslöser. Die tieferen Ursachen reichen jedoch viel weiter zurück und liegen vor allem in der amerikanischen Geldpolitik seit der Aufgabe der Golddeckung des Dollars im Jahre 1971 durch Präsident Richard Nixon. Seither wurde jede Krise in den USA mit niedrigen Zinsen und einer Ausweitung der Geldmenge bekämpft.7
Die langfristigen Folgen spüren wir heute. Die Subprime-Schockwelle breitete sich zunächst nur langsam aus. Solche »Time Lags« sind für wirtschaftliche Prozesse typisch. Spätestens mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers am 15. September 2008 wurde klar, dass diese Krise eine ungewohnte Dimension erlangen und nicht schnell vorübergehen würde. In der Frühphase gestellte Fragen, ob die Krise vom Finanzsektor auf die Realwirtschaft durchschlage oder auch die Schwellenländer erfasse, wirken aus heutiger Sicht naiv. Die Wirtschaft ist sektoral und regional ein System von kommunizierenden Röhren, in dem sich starke Verwerfungen niemals isolieren lassen. Das gilt für die Zusammenhänge zwischen Finanz- und Realwirtschaft oder zwischen Konsum- und Industriegütermärkten genauso wie für die globalen Interdependenzen. Spätestens ab dem vierten Quartal 2008 war die Krise in der Realwirtschaft angekommen. Und zwar mit einer Wucht und Schnelligkeit, die alle Betroffenen kalt erwischte. Die extreme Steilheit des Absturzes hatte einen nicht minder starken Einfluss auf die Stimmung wie dessen Ausmaß. Abbildung 1.1 zeigt am Beispiel der Industrieproduktion für Deutschland und Europa, dass die vorher über fünf Jahre vollzogene |15|positive Entwicklung innerhalb eines halben Jahres zurückgeführt wurde. Immer wieder hörte man Aussagen wie: »Einen derart plötzlichen Umschwung habe ich noch nie erlebt. Es traf uns über Nacht wie ein Blitz«.
Abbildung 1.1: Steiler Aufstieg, tiefer Fall8
Die Betrachtung der Abbildung 1.1 legt allerdings auch die Interpretation nahe, dass der extreme Absturz nicht zuletzt eine Folge des vorangegangenen extremen Aufstiegs war. »Wer hoch steigt, kann tief fallen«, scheint hier treffend. Das gilt insbesondere für die Stimmungen vieler Beteiligter, die im Boom den Bodenkontakt verloren hatten. Hochmut kommt vor dem Fall. Ein dauerhaftes Halten der erreichten Niveaus war in vielen Fällen illusorisch. Das gilt nicht nur für die Häuserpreise in den USA und Spanien, die Autoindustrie weltweit oder die Exzesse in Dubai. Ein eklatantes Beispiel für einen extrem steilen Aufstieg und Fall liefert der Weltmarktführer für Privatjets, die amerikanische Firma Cessna. Noch im ersten Halbjahr 2008 stieg der |16|Auftragsbestand von 12,6 auf 16 Milliarden Dollar. Dem folgte kurz darauf der ebenso steile Absturz. Innerhalb von Wochen fiel der Auftragsbestand durch Stornierungen von 535 auf 375 Flugzeuge.9
In der Summe erwies sich 2008 dennoch für die meisten Unternehmen und Branchen (mit Ausnahme der Banken und anderer Finanzdienstleister) als ein gutes Jahr. Das starke Wachstum der ersten Quartale wurde von der Verschlechterung in den letzten Monaten nicht gänzlich aufgezehrt. Erst 2009 schlug die Krise mit voller Wucht auf Absatzmengen, Umsätze und Gewinne durch.
Eine im Zusammenhang mit dem steilen und starken Absturz höchst relevante Frage ist, wie lange die Krise dauern wird. Dauert der Einbruch nur wenige Monate oder mehrere Jahre, oder wird das Absatzniveau auf lange Zeit niedriger bleiben? Dieser Frage wird in Kapitel 9 nachgegangen.
Es sei ausdrücklich betont, dass das Anliegen dieses Buches keine makroökonomische Sicht und Ursachenanalyse ist. Das ist nicht das Ziel. Vielmehr wird die Perspektive des einzelnen Unternehmens verfolgt. Es geht ausschließlich darum, den Unternehmen zu helfen, ihre Situation besser zu analysieren und entsprechend wirksame Maßnahmen ableiten sowie umsetzen zu können.
Auf der Ebene der einzelnen Unternehmen sind die wichtigsten Ursachen der Krise:
Die Verbraucher sind zutiefst verunsichert, haben Angst vor der Zukunft und horten deshalb ihr Geld, statt es auszugeben. Produkte und Dienstleistungen, deren Kauf man aufschieben kann, werden nicht gekauft, was durch den Ausdruck »Postponables« treffend beschrieben wird.
Ähnliches gilt für Dinge, die »nice to have« sind, die man aber nicht unbedingt braucht. Auf sie wird ganz oder teilweise verzichtet bzw. eine einfachere und billigere Variante der Bedürfnisbefriedigung gewählt. Hiervon sind Luxusgüter, Sonderausstattungen bei Autos, Restaurantbesuche und Urlaubsreisen betroffen.
Der Rückgang der Endproduktnachfrage schlägt blitzartig auf die gesamte Wertschöpfungskette durch. Wenn keine Autos bestellt werden, gibt es auch keine Aufträge für die Zulieferer. Diese ordern ihrerseits weniger Zwischenprodukte, Maschinen und Rohstoffe.
|17|Mit einiger Verzögerung kommt es zum Verlust von Arbeitsplätzen, in der Folge zu reduzierter Kaufkraft der Verbraucher, und das Spiel geht in verstärktem Ausmaß weiter.
Massiv verschärft wird der Kaufkraftschwund durch die eingeschränkte Kreditvergabe der Finanzbranche. Die »Kreditklemme« trifft gleichermaßen Verbraucher wie Firmen. Restriktive Kreditvergabe an Unternehmen behindert die Absatzchancen noch stärker als im privaten Bereich. Ohne eine Deckung durch eine Kreditversicherung fallen viele Lieferungen aus.10
Wie betroffen sind einzelne Branchen?
Die Betrachtung der Ursachen der Absatzkrise ergibt, dass einzelne Branchen und Unternehmen von der Krise äußerst unterschiedlich betroffen sind. Es kommt deshalb für das Management darauf an, die Krise nicht allgemein, sondern branchen- bzw. unternehmensspezifisch zu analysieren. Produkte und Dienstleistungen, die man unbedingt braucht, erleben einen deutlich geringeren Rückgang als »Postponables« und »Nice to haves«. Sehr aufschlussreich sind die Ergebnisse einer amerikanischen Untersuchung, bei der die Veränderung von Konsumausgaben in früheren Rezessionen untersucht wurde. Abbildung 1.2 zeigt die Befunde.
Insgesamt lag das Wachstum der Nachfrage während der Krisen 10 Prozent unterhalb des Wachstums in der gesamten Periode. Eine Durchschnittsbetrachtung ist angesichts der Varianz der einzelnen Zahlen jedoch nutzlos, wenn nicht sogar irreführend. Krisen haben offensichtlich einen extrem unterschiedlichen Einfluss auf einzelne Branchen. Am stärksten betroffen ist in dieser Studie »Essen außer Haus«, ein »Nice to have«-Produkt. Im Gegenzug ist »Essen zu Hause« deutlich gewachsen. Die Nachfrage nach Lebensmitteln im Handel ist in früheren Krisen also gestiegen. Erstaunlich ist der Anstieg der Ausgaben für Bildung. Bei einer Verschlechterung der Arbeitsplatzsituation kann man regelmäßig beobachten, dass junge Leute ihre Ausbildung ausdehnen, länger an der Universität bleiben oder sich verstärkt für Aufbaustudiengänge wie den MBA bewerben.
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Abbildung 1.2: Wachstum ausgewählter Branchen in Krisenzeiten11
Selbst auf der Ebene der einzelnen Branchen zeigen sich bei einer Untergliederung sehr große Unterschiede. Aufschlussreich ist diesbezüglich eine Betrachtung der deutschen Vorzeigebranche Maschinenbau, die in der aktuellen Krise massive Absatz- und Umsatzeinbrüche erlebt. Abbildung 1.3 gibt die Veränderung der Umsätze ausgewählter Fachzweige im Vergleich der Jahre 2007 und 2008 wieder.
Bei einem Wachstum von 35 Prozent im Bereich Verfahrenstechnik bis zu einem Rückgang von 32 Prozent bei Textilmaschinen ist jede Art von Durchschnittsbetrachtung fehl am Platz.
Wie betroffen sind einzelne Unternehmen?
Noch stärker variieren die Entwicklungen bei einzelnen Unternehmen. Und nur darauf kommt es letztlich aus Managementsicht an. So kann es durchaus sein, dass eine Firma in einer schrumpfenden Branche wächst bzw. in einer wachsenden Branche schrumpft. Gerade in Krisenzeiten gibt es starke Verschiebungen in den Marktpositionen. Marktanteile werden nicht in guten, sondern in schlechten Zeiten neu verteilt. Wenn es gut läuft, kommen alle zurecht, und die Marktanteile ändern sich kaum. Wenn es hingegen eng wird, gehen die schwächeren Wettbewerber in die Knie. Das ist dann die Chance für die |19|stärkeren, ihre Marktposition auszubauen. Dieses Muster hat Ähnlichkeit mit der von dem Evolutionsforscher Stephen Jay Gould propagierten Hypothese, dass die Evolution nicht gleichmäßig, sondern in Sprüngen abläuft (sogenannte Punctuated-Equilibria-These).13 Es gibt lange Phasen mit geringen Veränderungen, gefolgt von kurzen Zeiträumen mit abruptem Wandel. Diese Hypothese trifft auch auf Märkte zu.14
Abbildung 1.3: Veränderung der Umsätze in Fachzweigen des deutschen Maschinenbaus12
Insbesondere die Hidden Champions bestätigen diese These.15 So sagte eine Mehrheit der befragten Hidden Champions, dass die Entwicklung ihres Unternehmens in deutlichen Sprüngen verlief. In ihrer Geschichte haben viele dieser Unternehmen bereits Krisen überlebt, rund 30 Prozent sogar ausgesprochen schwere. Insofern reagieren die Hidden Champions auch auf die aktuelle Krise nicht mit Panik, sondern vergleichsweise gelassen. Dabei spielt eine Rolle, dass sie mit 42 Prozent Eigenkapitalquote weit besser finanziert |20|sind als der Durchschnitt der deutschen Mittelstandsunternehmen, für die diese Quote unter 20 Prozent liegt. Viele Hidden Champions erwarten, dass sie aus der momentanen Krise gestärkt hervorgehen. Auf dem Weg dahin müssen sie aber gefährliche Klippen umschiffen, sehr bedacht vorgehen und vor allem gravierende Fehler vermeiden.
Wie betroffen sind ausgewählte Produktkategorien?
Die Krise trifft vor allem »Postponables« und »Nice to haves«. Das sind jedoch nur grobe Hinweise. Jedes einzelne Unternehmen muss tief in die Ursachen einsteigen und seine spezifische Situation verstehen. Zum einen hilft dies im Hinblick auf die Antizipation der weiteren Entwicklung, zum anderen ist dieses Verständnis unabdingbare Voraussetzung für die Definition von Sofortmaßnahmen, die zum Ziel führen.
Gebrauchsgüter
Viele Gebrauchsgüter gehören zur Kategorie der »Postponables« und leiden insofern stark unter der Krise. Neben Automobilen sind Haushaltsgeräte, Konsumelektronik, Computer oder Möbel typische Beispiele. Doch selbst hier erscheint eine differenzierte Betrachtung notwendig. So können beispielsweise gestiegenes Umweltbewusstsein, soziale Herabsetzung des Autofahrens (insbesondere mit »dicken« Autos), hohe Energiepreise und verstärkte Sparzwänge dazu führen, dass mehr Leute mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren mit der Folge, dass die Nachfrage nach Fahrrädern trotz Krise anzieht. Eine Nachfrage bei ausgewählten Fahrradhändlern ergab, dass deren Geschäfte trotz der Krise gut laufen. Ähnliches gilt für Do-it-yourself-Produkte. Mehr Arbeitslosigkeit und der Zwang zum Sparen begünstigen das Selbermachen und somit die Nachfrage in Bau- und Heimwerkermärkten. Wenn weniger neue Waschmaschinen gekauft werden, müssen die vorhandenen Geräte häufiger repariert werden. Billigwerkstätten erleben in schlechten Zeiten höhere Auslastungen.
|21|Automobile
Die Autoindustrie ist mit am stärksten von der Krise gebeutelt. Dazu ist alles in der Presse gesagt worden, so dass wir uns hier Wiederholungen ersparen. Nach Ausbruch der Krise hat die Branche klug und vergleichsweise schnell reagiert, indem sie ihre Kapazitäten und Kosten reduzierte. Doch Absatzeinbrüche von 40 Prozent oder mehr lassen sich auf der Kostenseite nicht ausgleichen. Um zu überleben, hätte man auch an der Marketing- und Vertriebsfront mit allen Mitteln, nicht nur mit margenschädigenden Rabatten, kämpfen müssen. Diesen Kampf, der das Anliegen dieses Buches ist, hat der Autor bis heute nicht beobachten können. Zufällig lief der Leasingvertrag des Autors in der Krise aus, er »war also im Markt«. Haben ihn seit dem Ausbruch der Krise Autoverkäufer angerufen? Hat er Post von Autoherstellern erhalten? Wurden ihm Probefahrten angeboten? Hat ihn einer der zahlreichen Automanager, die ihn persönlich kennen, angesprochen, um ihm ein Auto zu verkaufen? Kamen Anrufe von unausgelasteten Innendienstlern, die Telefonmarketing betrieben? Meldete sich ein Vertreter der Marke, die die Ehefrau des Autors vor wenigen Monaten gekauft hatte, um sich zu erkundigen, ob der Ehemann nicht auch ein neues Auto dieser Marke kaufen wolle? Gab es ein Angebot für einen Leasingvertrag mit drei Monaten Mietfreiheit (bei einem Büro gab es genau das)? Versuchten Autoverkäufer, einen Termin für einen Hausbesuch zu vereinbaren? Offerierte eine Autofirma den Angestellten des Autors eine kleine Wagenflotte zum Test am Wochenende? Alle diese Fragen muss der Autor mit »Nein« beantworten. Alle diese Sofortmaßnahmen wären möglich und erlaubt gewesen.
Verbrauchsgüter
Verbrauchsgüter des täglichen Bedarfs wie Lebensmittel, Getränke oder Waschpulver werden von der Krise unterdurchschnittlich tangiert. Das Gleiche gilt für Pharmazeutika, Drogerieartikel, Energie und Telekommunikation. Je näher am notwendigen Lebensbedarf die Produkte liegen, desto weniger kann der Verbraucher auf sie verzichten. Süßwaren, Schokolade oder Knabbergebäck werden aufgrund von längerer |22|Freizeit oder vermehrtem Stress teilweise sogar stärker konsumiert. Bei Erkrankung wird man auch in der Krise nicht auf den Arztbesuch verzichten. Zum Friseur muss man von Zeit zu Zeit gehen. Die Urlaubsreise auf die Seychellen lässt sich hingegen problemlos aufschieben oder durch einen billigeren Aufenthalt im Schwarzwald oder an der Ostsee ersetzen. Doch auch bei Dienstleistungen ist eine tiefgründige Analyse angezeigt. Der CEO einer europäischen Kinokette berichtete, er profitiere von der Krise. Er begründete dies nicht mit vermehrter Freizeit, sondern wie folgt: »Es ist für einen jungen Mann preisgünstiger, seine Freundin ins Kino als in ein Restaurant einzuladen.«
Finanzdienstleistungen
In der Krise nimmt der Bedarf an persönlicher Absicherung zu. Abbildung 1.2 zeigt, dass Bereiche wie Kranken- und andere persönliche Versicherungen sowie Altersvorsorge in früheren Rezessionen überproportional gewachsen sind. Allerdings steht dem verstärkten Sicherheitsbedürfnis die geringere Kaufkraft gegenüber. Komplexe Finanzangebote wie Zertifikate und Investmentfonds brachen in der aktuellen Krise massiv ein. Neben der größeren Risikoaversion sind hierfür die Komplexität und die mit ihr verbundene Intransparenz verantwortlich. Ob die Krise diese Produkte dauerhaft beschädigt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist mit einer schnellen Erholung nicht zu rechnen. Einfache und sichere Anlageformen wie Bundesanleihen gewinnen hingegen. Besondere Anstrengungen zur Wiederbelebung des Geschäftes sind bei Banken und Versicherungen notwendig.
Industriegüter
Ähnlich wie bei Konsumgütern gibt es auch bei Industriegütern Produkte, die zu einem bestimmten Zeitpunkt gebraucht werden, und solche, deren Nachfrage »postponable« ist. Ersatzteile oder Reparaturservices werden genau dann benötigt, wenn eine Maschine kaputt ist. Der Ersatz einer alten, aber noch funktionsfähigen Maschine lässt sich hingegen aufschieben. »Der Kauf einer Fräsmaschine kann vom Kunden verschoben werden, dann muss es die alte Maschine |23|eben noch eine Weile tun«, sagt Hans-Gert Mayrose, Vorstand der Maschinenbau-Beteiligungsfirma Gesco.16
Kritisch ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob es sich um »abgeleitete Nachfrage« handelt. Ein Auto braucht genau zwei Außenspiegel. Die Bestellung der beiden Spiegel wird durch den Autokauf ausgelöst. Die Nachfrage ist also nicht originär, sondern »abgeleitet«. Dieser einfache Sachverhalt verdient höchste Aufmerksamkeit, da er entscheidend ist für die Beeinflussbarkeit des Absatzes. Pro Auto werden genau zwei Spiegel gebraucht, nicht mehr und nicht weniger. Anders als beispielsweise bei Reifen oder Bremsbelägen gibt es zudem keinen nennenswerten »Aftermarket«. Die Nachfrage nach Außenspiegeln ergibt sich also im Wesentlichen aus der Zahl der Autobestellungen. Geht diese Zahl zurück, so kann der Spiegelhersteller sich kurzfristig kaum wehren. Er kann zwar versuchen, neue Modelle zu gewinnen oder seinen Lieferanteil zu erhöhen. Aber kurzfristig dürften diese Maßnahmen nicht durchschlagen. Ähnliches gilt für viele andere Produkte (z. B. eine Heizung pro Haus, eine Festplatte pro Computer) und auch für Dienstleistungen wie etwa den Transport neuer Autos von der Fabrik zum Kunden. Produkte, deren Nachfrage abgeleitet ist, sind also durch die Krise ähnlich stark betroffen wie die Endprodukte. Der Nachfrageeinbruch beim Endprodukt bzw. beim »Postponable« setzt sich in der gesamten Wertschöpfungskette fort.
Gesundheit
Das Gesundheitswesen ist ein riesiger Sektor, der 11 Prozent des Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Obwohl Menschen immer krank werden und damit Behandlung notwendig wird, spürt auch der Gesundheitssektor die Krise. Steigende Arbeitslosigkeit und stagnierende Löhne schmälern die Beitragseinnahmen der gesetzlichen Krankenkassen und damit die Budgets für Krankenhaus-, Arzt- und andere Gesundheitsleistungen. Krankenhäuser und niedergelassene Ärzte verschieben geplante Investitionen. Krankenkassen setzen neue Instrumente zur Kostensenkung (Rabattverträge, Ausschreibungen) ein, um die Preise zu drücken. Selbst von Seiten der Patienten steigt der Druck auf die Hersteller. So ist ein erheblicher Nachfragerückgang bei Produkten zu beobachten, die die Patienten selbst bezahlen |24|müssen. Dazu gehören Zahnimplantate, Zahnersatz, Brillen sowie ästhetische Behandlungen. Selbst bei Gesundheitsanbietern sind also verstärkte Anstrengungen in Marketing und Vertrieb angezeigt, um der Krise zu begegnen.
Telekommunikation und IT
Der Markt für Telekommunikation und IT trägt mit 145 Milliarden Euro knapp 6 Prozent zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei.17 Etwas weniger als die Hälfte davon sind Telekommunikationsdienstleistungen und -produkte, die andere Hälfte entfällt auf IT-Services, Equipment und Software. Die Unterhaltungselektronik stellt mit 8 Prozent nur einen kleinen Teil dieses Marktes. Der Einfluss der Krise auf die verschiedenen Bereiche des Telekommunikations- und IT-Marktes ist sehr unterschiedlich. Am wenigsten tangiert werden Telekommunikationsdienstleistungen. Es gibt in der Krise keine sichtbaren Anzeichen für eine Reduktion der Telefon- oder Internetnutzung.18 Bei Daten steigt die Nutzung sogar weiterhin mit mehr als 20 Prozent pro Jahr an. Im B2B-Geschäft nimmt allerdings der Preisdruck in der Krise zu. Die Sparbemühungen der industriellen Kunden schlagen durch. Wesentlich stärker trifft die Krise die Hardware-Produzenten (z. B. Handy, PC) mit Absatzrückgängen von bis zu 20 Prozent sowie die Anbieter von Unternehmenssoftware. Hier handelt es sich um »Postponables«. Die aktuelle Rezession unterscheidet sich allerdings vom Platzen der »Internetblase« im Zeitraum 2001/2. Damals stand die Telekommunikations- und IT-Branche im Zentrum der Krise und wurde voll getroffen. Heute steht sie eher am Rande und leidet unterdurchschnittlich.
Chemie
Als Zulieferer der Automobil- und Elektroindustrie ist die Chemie stark von der Krise betroffen. Umgekehrt wirkt der pharmazeutische Teilbereich stabilisierend. Insgesamt erwartet die Branche einen vergleichsweise moderaten Produktionsrückgang von 3,5 Prozent, wegen gleichzeitig sinkender Preise jedoch einen stärkeren Umsatzeinbruch von 6 Prozent.19 Viele Unternehmen passten ihre Kapazitäten schnell |25|der gesunkenen Nachfrage an. BASF kündigte die Schließung von 80 Anlagen an. Bayer, Merck, Lanxess und Clariant folgten. Lyondell Basell musste als erstes Großunternehmen Insolvenz anmelden. Neue Kapazitäten, insbesondere in China, sorgen bei Basischemikalien für weiteren Druck auf die Preise. Produkte werden teilweise zu Grenzkosten verkauft. Die Preise für Spezialchemikalien erweisen sich als etwas stabiler, sind jedoch aufgrund der Sparzwänge in der Automobil- und Elektrobranche ebenfalls rückläufig.
Schlechte Kreditratings erschweren die Finanzierung. Bis zu 70 Prozent der amerikanischen Chemieunternehmen werden derzeit als »Junk« eingestuft. Wegen der weiterhin ungewissen Entwicklung der Nachfrage zögern Kunden, längerfristige Lieferverträge abzuschließen, und kaufen kurzfristiger ein. Chemieunternehmen müssen also mit allen Mitteln an der Absatz- und Umsatzfront kämpfen.
Bauindustrie
In der Bauindustrie zeigt sich in der Krise ein sehr uneinheitliches Bild. Während in Deutschland die Perspektiven noch als verhalten gut bewertet werden, ist die Lage im restlichen Europa teilweise katastrophal. In Osteuropa stehen viele Bauprojekte mangels Finanzierung still. In Spanien und Großbritannien ist die Nachfrage um mehr als 50 Prozent eingebrochen. Der Wettbewerb um die wenigen noch verbleibenden Projekte wird primär über den Preis ausgetragen. Die Unternehmen müssen ihre Vertriebsaktivitäten verstärkt auf den Renovierungsmarkt lenken. Die staatlichen Konjunkturprogramme dürften der Bauindustrie im weiteren Verlauf der Krise einen Turnaround bescheren.
Tourismus
Deutschland gilt als Land der »Reiseweltmeister«. Die mehrwöchige Urlaubsreise in den Süden war den Deutschen jahrelang heilig und wurde häufig noch durch einen Kurzurlaub ergänzt. Aber die Krise verändert auch bei Urlaubsreisen, als klassischen »Nice to haves«, das Kundenverhalten. Die sinkende Anzahl der Reisen in Kombination mit kürzeren Reisedauern und kurzfristigeren Buchungen machen den Reiseanbietern zu schaffen. In einer Schlagzeile heißt es: |26|»Die Bundesbürger fahren laut Umfrage künftig billiger, seltener und kürzer in die Ferien.«20 Diese Phänomene sind nicht grundsätzlich neu, zeigen sich aber in der Krise deutlich stärker. »Eine so schlechte Buchungskurve haben wir wirklich noch nie erlebt – auch nicht nach 9/11«, ist ein typischer aktueller Kommentar. Angesichts kurzfristiger Buchungen sind Anbieter, die das schnelle Zusammenspiel zwischen angebotener Kapazität und Preis beherrschen, im Vorteil. Bisher gelang es, sinkende Passagierzahlen durch Verknappung der Kapazitäten und Erhöhung der Preise zu kompensieren.21 Die Branche hat die Kapazitäten in der Krise reduziert und zeigt damit ein kluges Verhalten. Sie muss alles tun, um einen weiteren Preisrutsch mit negativen Ergebniseffekten zu vermeiden.
Medien
Die Medienbranche leidet extrem unter den Auswirkungen der Krise. Dies liegt daran, dass strukturelle und konjunkturelle Einflüsse in die gleiche negative Richtung wirken. Strukturell verlieren klassische Medien wie Print oder Fernsehen an das Internet, vor allem an Google. Gleichzeitig geht die Leserschaft klassischer Printmedien zurück. 1964 lasen 81 Prozent der amerikanischen Erwachsenen eine Tageszeitung, heute sind es weniger als 50 Prozent.22 Werbeausgaben gehören zu den »Postponables«. Entsprechend berichten namhafte Zeitschriften, dass die Zahl der gebuchten Werbeseiten um mehr als 50 Prozent gefallen sei. Bei den Zeitungen macht sich zudem der stagnierende Arbeitsmarkt bemerkbar. Zweistellige Einbrüche bei Stellenmarktanzeigen sind die Folge. Als Verbraucher stellt man fest, dass die Hefte spürbar dünner werden. Das, was früher für das »Sommerloch« typisch war, wird in der Krise zum Dauerzustand. Zudem kann man davon ausgehen, dass viele der erscheinenden Anzeigen nicht voll bezahlt wurden. Mengen- und Preisrückgang kommen zusammen. Dagegen müssen die Medienunternehmen kämpfen.
Luxusprodukte
Bei Luxusprodukten gibt es widerstrebende Einflüsse. Einerseits werden Luxusprodukte vor allem von wohlhabenden Kunden gekauft, |27|deren Kaufkraft durch die Krise nicht so stark leidet wie diejenige der unteren Einkommensschichten. Andererseits finden sich jedoch auch unter der Käuferschaft von Luxusprodukten Kunden, die sich diese teuren Produkte nur in guten Zeiten leisten konnten. Die Krise hat die Wertpapierdepots vieler Luxusgüterkunden schrumpfen lassen. Entsprechend schillernd fallen die Meldungen aus den Luxusgüterfirmen aus. »Luxusbranche gerät auf Abwege« hieß es, als der Luxusgüterhersteller Richemont einen deutlichen Umsatzrückgang ankündigte und keine Besserung in Aussicht stellte. Hingegen zeigt sich LVMH, das weltgrößte Luxusgüterunternehmen, weiterhin optimistisch.
Auch bei Luxusgütern sind die Segmente unterschiedlich betroffen. Lederprodukte wie Schuhe und Handtaschen erweisen sich krisenresistenter als Schmuck und Uhren. Selbst der Luxusuhrenhersteller A. Lange & Söhne führte für ein halbes Jahr Kurzarbeit ein, sieht aber langfristig dennoch gute Perspektiven.23 Traditionsmarken sind weniger krisenanfällig als Marken, die stärker auf Masse gesetzt und an Exklusivität eingebüßt haben. »Der Trend geht zu etablierten Marken und werthaltigen Produkten«, sagt Andrea Gerst, Managerin des Luxury Fund der Schweizer Privatbank Julius Bär. Ferrari erwartet trotz der Krise in 2009 ein Rekordjahr, zu dem das neue Modell California mit über 6 000 Bestellungen beitragen soll. Bis 2011 ist die Produktion ausverkauft.