Der gewinnorientierte Manager - Hermann Simon - E-Book

Der gewinnorientierte Manager E-Book

Simon Hermann

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Beschreibung

Das krampfhafte Streben nach Marktanteilen in umkämpften Märkten ist gefährlich. Denn was nutzt es, Erster oder Zweiter in einem Markt zu sein, wenn kein Gewinn erwirtschaftet wird?

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LESEPROBE

Bilstein, Frank F.; Luby, Frank; Simon, Hermann

Der gewinnorientierte Manager

Abschied vom Marktanteilsdenken

LESEPROBE

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2006. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40247-5

|5|In Erinnerung an Peter Drucker

|11|Kapitel 1

Gewinn geht über Marktanteil

»Wir müssen uns von dieser Marktanteils-Hysterie frei machen. Der Marktanteil ist Mittel zum Zweck – kein Selbstzweck.«

CEO eines Weltmarktführers

Wer heute nach dem stärksten Alarmsignal aus Führungskreisen Ausschau hält, muss sich nicht durch einen Stapel von Insolvenzerklärungen wühlen. Oder durch Zeugenaussagen aus einem publicityträchtigen Unterschlagungsprozess. Er kann sich einfach die Fotos einer Gruppe gestandener Automanager ansehen und wird bei jedem von ihnen ein kleines Modeaccessoire finden: eine Reversnadel in Form einer 29.1

Mit dieser Nadel würdigten die oberen Führungsebenen der General Motors Corporation nicht etwa ein Jubiläum, einen neuen Motorentyp oder die Anzahl der letzten Produkteinführungen. Die Nadel war vielmehr Symbol ihrer Entschlossenheit, im heiß umkämpften US-Markt 29 Prozent Marktanteil zu erringen. Auf dieses Ziel konzentrierte General Motors all seine Ressourcen. Als es dennoch verfehlt wurde, ließen einige der Manager die Nadel am Revers.

»Die ›29‹ wird da dran bleiben, bis wir ›29‹ erreicht haben,« sagte Gary Cowger, President von GM North America, 2004 in einem Interview. »Und dann besorge ich mir wahrscheinlich eine ›30‹.«2

Ganz ohne Zweifel verdienen diese Führungskräfte unsere Hochachtung und Anerkennung – allein schon deshalb, weil sie es geschafft haben, eine so riesige Organisation um ein simples Ziel zu scharen und diesem Ziel trotz mancher Rückschläge treu zu bleiben. Gewiss keine leichte Aufgabe. Und dennoch: Wie viele andere sind auch die GM-Manager einem Missverständnis zum Opfer gefallen, das so alt ist wie die Managementtheorie selbst: dem Glauben, der Marktanteil sei die beste Orientierungsgröße für die Definition von Unternehmenszielen, |12|die Führung des Unternehmens und die Messung seines Erfolgs. Die Anstecknadel bei General Motors ist nur eines von vielen Beispielen dafür, wie überaus stark und nachhaltig dieser Fehlglaube die Kultur eines Unternehmens beeinflussen kann.

Dieses Buch bricht mit all den Überlieferungen und Lehren, die den Glauben an die grenzenlose Macht des Marktanteils zum wahrscheinlich größten Management-Irrtum der heutigen Zeit werden ließen. Wir werden hier die inhärenten Widersprüche der Marktanteils-Obsession offenlegen und ihren zerstörerischen Einfluss deutlich machen, und wir werden die Unternehmensführer dazu aufrufen, sich wieder mit neuer Kraft dem Gewinn zuzuwenden. Wir fordern eine Renaissance des Gewinns – angeführt von Unternehmen, die in hart umkämpften Märkten tätig sind und alle »4 P« ihres Marketing (Price, Product, Place, Promotion) darauf ausrichten, mehr Geld zu verdienen – nicht darauf, mehr zu verkaufen.

Seit Jahrzehnten bekommen Führungskräfte von Kollegen, Vorgesetzten, Professoren und anderen Experten immer wieder vorgebetet, im Erreichen und Halten hoher Marktanteile liege das allein selig Machende. Folgerichtig haben sie jedes einzelne Element ihrer Unternehmen – von der Strategie über Marketing und Vertrieb bis hin zur Fertigung – auf dieses Ziel ausgerichtet. Zusätzlich bestärkt wurden sie durch Schulungen, Anreizsysteme und Beispiele aus anderen Branchen. Und natürlich durch die Belohnungen und Beförderungen, die sie von der Firmenleitung für ihre Marktanteilserfolge erhielten.

Und so haben sich diese Manager so gut wie nie gefragt, ob für ihre Unternehmen – und auch ihre Karriere – vielleicht eine andere Größe als der Marktanteil zum strategischen Leitprinzip werden sollte. Das war geradezu undenkbar!

Was gegen den Marktanteil als Leitprinzip spricht? Eine ganze Menge. Vor allem ist er eine willkürliche und häufig irreführende Größe: Wenn Unternehmen ihre Strategien des »profitablen Wachsens« darauf aufbauen, dann entstehen daraus Wertesysteme und Verhaltensweisen, die eher zur Vernichtung als zur Steigerung von Gewinnen führen.

Natürlich hätte unser Postulat einen falschen Klang, wenn wir es nicht belegen und ein Veränderungsprogramm präsentieren könnten. Wir werden ausführen, dass Unternehmen in jedem reifen Markt – nicht |13|nur in der Automobilbranche – weit hinter ihrem Gewinnpotenzial zurückbleiben, wenn sie sich von reinen Marktanteils- oder Absatzzielen leiten lassen. Umgerechnet 1 bis 3 Prozent des Jahresumsatzes gehen ihnen dadurch an Gewinn verloren. In konkreten Zahlen heißt das: Der Leiter eines Fünf-Milliarden-Euro-Unternehmens schenkt, solange er an dem antiquierten Marktanteils-Dogma festhält, seinen Kunden und Wettbewerbern jedes Jahr zwischen 50 und 150 Millionen Euro. Diese Zahl ist weder willkürlich herausgegriffen noch theoretisch hergeleitet oder von irgendeinem Supercomputer zusammengerechnet. Sie ist das Resultat von Ertragssteigerungsprogrammen, die Hunderte von Unternehmen durchlaufen haben. Diese Unternehmen liefern den Stoff für die meisten Ausführungen und Fallbeispiele in diesem Buch.

Für einige von ihnen brachte das Veränderungsprogramm weit mehr als nur Gewinnsteigerungen: Es sicherte ihr Überleben. Unser Programm ersparte diesen Unternehmen strategische Missgriffe, deren Konsequenzen – meist ebenso unvorhersehbar wie massiv – ihren Untergang bewirkt oder beschleunigt hätten.

So gerüstet mit den Daten und Fakten aus unserer umfangreichen Beratungserfahrung möchten wir mit diesem Buch zwei Dinge erreichen: Zum einen möchten wir Sie als Leser dazu bewegen, den Gewinn zum übergeordneten Ziel zu machen und sich mit neuer Energie für dieses Ziel einzusetzen. Zum anderen möchten wir, dass Sie Ihr Unternehmen mit dem praxiserprobten Programm, dem der Großteil des Buches gewidmet ist, zu Spitzengewinnen führen. Sie werden dazu Mut und Geduld brauchen, doch das Ergebnis wird die Mühe lohnen.

Unser Programm eignet sich nicht für Abenteurer, die die Welt verändern und ihre Branche auf den Kopf stellen wollen. Wir wenden uns vielmehr an Unternehmenslenker und Führungskräfte in reifen Märkten, denen die nüchterne Analyse lieber ist als der Adrenalinstoß. Und die sich beim Versuch, die Ertragskraft ihrer Unternehmen zu stärken, lieber an Fakten und Details orientieren als an Dogmen. Dieses Programm wird Sie vielleicht nicht als knallharten Sanierer in die Schlagzeilen bringen – aber es bringt deutlich mehr Geld in die Kassen Ihres Unternehmens.

Die ersten beiden Drittel dieses Einleitungskapitels werden sich mit der Gewinn- und Marketingmalaise beschäftigen, welche in reifen Märkten |14|grassiert. Im letzten Drittel werden wir im Überblick darstellen, wie man diese Malaise Schritt für Schritt überwinden kann.

Erkennen Sie die Symptome der Gewinnmalaise

Fragt man Leute auf der Straße, wie viel Gewinn eine typische Firma pro 100 Euro Umsatz erzielt, dann wird ihre Schätzung meist zwischen 25 und 50 Prozent liegen.3 Nichts könnte falscher sein. Tatsächlich liegen die durchschnittlichen Umsatzrenditen der Unternehmen in den meisten Industrieländern gefährlich nahe bei Null.4 In Abbildung 1–1 sind die Umsatzrenditen (nach Steuern) international tätiger Unternehmen des Fertigungssektors aus 19 Ländern dargestellt.

Schuldig an diesen deprimierenden Zahlen sind auch altbekannte Phänomene wie globaler Wettbewerb, hohe Kosten, Überkapazitäten und eine schleppende oder gar rückläufige Nachfrage – Faktoren, die in den nächsten Jahren nicht verschwinden werden. Ein einzelnes Unternehmen kann solche externen Trends kaum beeinflussen; folglich werden die meisten Unternehmen in den reifen Volkswirtschaften auch weiterhin ihre liebe Mühe haben, halbwegs zufriedenstellende Gewinne zu erzielen – es sei denn, sie ergreifen entsprechende Gegenmaßnahmen bei sich selbst.

Was aber können sie tun? Üblicherweise greifen Manager, meist parallel, zu drei Arten von Maßnahmen: Sie senken die Kosten, investieren in Innovationen und ändern ihr Marketing. Kostensenkung ist die häufigste und beliebteste Maßnahme, da sie besonders sicher erscheint. Wie man sie richtig angeht, ist in der Literatur zur Genüge beschrieben worden; wir werden daher in diesem Buch nicht eine weitere Detailanleitung liefern. Was wir allerdings sehr wohl ansprechen, ist eine kritische Frage an viele Unternehmensführer: Was, wenn die Kostensenkung als Mittel zur Ertragssteigerung an ihre Grenzen stößt? Oder anders gesagt: Wie soll ein Unternehmen reagieren, wenn alle Wettbewerber im Markt ein vergleichbares Produktivitätsniveau und weitgehend ähnliche Kostenstrukturen erreicht haben? Der Vorstandsvorsitzende eines Industrieunternehmens brachte die Problematik im Gespräch mit uns auf den Punkt: »Unsere Produkte haben kaum noch Vorteile, man könnte |15|sie schon fast als Commodities bezeichnen. Der Wettbewerb sitzt uns im Nacken, die Kunden machen gewaltig Druck, und wir haben auf der Kostenseite alles Menschenmögliche getan. Was soll ich jetzt machen? Welche Möglichkeiten habe ich, unser Ergebnis zu verbessern?«

Abbildung 1–1: Umsatzrendite nach Steuern (Quelle: Institut der deutschen Wirtschaft: Standort Deutschland. Ein internationaler Vergleich, 2006, S. 15, Köln 2006)

Innovation ist, wie Kostensenkungen, eine wesentliche und fortlaufende Aufgabe für jedes Unternehmen. Kaum jemand würde bestreiten, dass man immer wieder Neues schaffen muss, um dem von außen einwirkenden Kosten- und Preisdruck zu entgehen. Es gibt dabei nur ein Problem: Die Ausbeute aus den Innovations-Pipelines kommt in den seltensten Fällen dann, wenn man sie braucht. Der Traum vom großen |16|Durchbruch (und natürlich vom monopolgleichen Status und den Traumrenditen, die damit einhergehen) bleibt eben in den allermeisten Fällen genau das: ein Traum. Völlig neue Geschäftsmodelle brauchen Jahre, um Fuß zu fassen, und bieten keine Erfolgsgarantie. Nebenbei bemerkt, sind sie ebenso rar wie bahnbrechende Produkt- und Serviceinnovationen.

Der Vertriebsleiter eines globalen Multimilliardenunternehmens aus dem Fertigungssektor sagte uns dazu: »Das ganze Gerede vom ›Innovativ-Sein‹ ist ja schön und gut. Aber ich habe nun mal Produkte zu verkaufen, die im Minimum zehn Jahre alt sind, und es ist kaum davon auszugehen, dass mir einer morgen früh die nächste Innovation auf den Tisch legt. Was soll ich also in der Zwischenzeit machen?«

Auch über das Innovationsmanagement gibt es, ebenso wie zum Thema Kostensenkung, Unmengen von Abhandlungen. Diese strategischen Ratgeber wollen wir mit unserem Buch gar nicht ersetzen. Wir wenden uns vielmehr an gewinnorientierte Manager in reifen Märkten, die es sich nicht leisten können oder wollen, auf das bahnbrechende Wunderprodukt zu warten. Und die sehr genau wissen, dass auf sie wie auch ihre Wettbewerber die folgenden fünf Bedingungen zutreffen:

Die Kostensenkungsmöglichkeiten sind weitgehend ausgereizt.

Der Großteil ihrer Umsätze und Gewinne kommt von etablierten Produkten in wachstumsschwachen Märkten.

Die meisten ihrer Produkte haben ihre Alleinstellungsmerkmale mehr oder weniger eingebüßt.

Sie stehen in einem überaus harten Wettbewerb.

Die Kunden können problemlos den Anbieter wechseln.

Man sollte annehmen, dass ein Unternehmen, das sich eine profitable Marktposition aufgebaut hat, seine Erträge durch Ausbau dieser Marktposition – sprich: durch Erhöhung des Marktanteils – weiter steigern kann. Das postulieren zumindest die Studie Profit Impact of Marketing Strategy (PIMS) und das Erfahrungskurvenkonzept. Die Erkenntnisse und Fallbeispiele in diesem Buch werden jedoch zeigen, dass diese Annahme bei Unternehmen in reifen Märkten gefährlich, ja sogar völlig falsch sein kann.

Zweitens könnte man vermuten, dass der wirtschaftliche Erfolg |17|konkurrierender Unternehmen vergleichbar sein müsste, da ja alle vergleichbare Produkte mit ähnlichen Kostenstrukturen erzeugen und um dieselben Kunden konkurrieren. Auch hier zeigen unsere Fallbeispiele, dass dies in reifen Märkten nicht zutrifft. Wer keinen nachhaltigen Kostenvorteil erzielen und keine Innovation auf den Markt bringen kann, muss eben durch bessere Erlösqualität einen Vorteil erringen. Manche Unternehmen schaffen das: Sie setzen ihren Marketing-Mix geschickter ein, um ihre Umsätze bei Kunden mit dem höchsten Ertragspotenzial zu erzielen – und nicht, um nur Umsatz zu machen. Die Fallbeispiele in diesem Buch werden zwei wesentliche Punkte belegen:

Überlegene Gewinne gehen in vielen Fällen allein auf bessere Erlösqualität sowie höheres Umsatzwachstum durch effektiveres Marketing zurück.

Die erfolgreichen Unternehmen verwenden den Marktanteil nicht länger als Maßstab für Zielsetzung und Erfolgsmessung. Stattdessen konzentrieren sie sich auf den Gewinn.

Wir widmen also dieses Buch den Stiefkindern der Unternehmen weltweit – den reifen Produkten, die den Großteil der Umsätze beisteuern und den Laden am Laufen halten. Wir wissen aus unserer Beratungspraxis, dass diese Produkte großes Gewinnpotenzial bergen, welches die Unternehmensführungen bis dato entweder übersehen haben oder noch nicht ausschöpfen konnten. Innovation und Kostensenkung werden dieses Potenzial nicht erschließen. Wenn Sie Ihren Unternehmensgewinn um umgerechnet 1 bis 3 Prozent Ihres Jahresumsatzes steigern wollen, müssen Sie zwei Dinge ändern: Sie müssen Ihr Marktanteilsdenken durch Gewinndenken ersetzen, und Sie müssen Ihr Vorgehen zur Umsatzgenerierung ändern, indem Sie das hier beschriebene Programm durchlaufen.

Seien Sie sich der Ursachen für die Marktanteils-Obsession bewusst

Woher kommt es, dass der Marktanteil eine solche Faszination auf Manager ausübt? Das hat vielfältige Ursachen. Im Folgenden wollen |18|wir kurz beleuchten, woher die Verknüpfung zwischen Marktanteil und Gewinn kommt, wie die anfängliche Begeisterung darüber in regelrechte Obsession übergegangen ist, und wie die allzu simple Auslegung der ursprünglichen Erkenntnisse in hoch kompetitiven Märkten zu gefährlichen und destruktiven Entscheidungen führen kann.

Der bekannteste Ursprung der »Marktanteilsbewegung« ist die PIMS-Studie, deren wichtigste Ergebnisse in Abbildung 1–2 zusammengefasst sind.5

Ganz gleich, ob man nun Marktstärke als Marktposition oder als prozentualen Marktanteil definiert – PIMS zeigt eine starke Korrelation mit der Gewinnmarge. Beim Marktführer ist diese – in der PIMS-Studie definiert als ROI, also die Kapitalrendite – etwa drei Mal so hoch wie beim fünftgrößten Wettbewerber; ein Hersteller mit einem Marktanteil von 40 Prozent erreicht eine doppelt so hohe Marge wie einer mit nur 10 Prozent Marktanteil. Die strategische Implikation könnte kaum klarer sein: Sichert euch Marktanteile! Hoch leben die Skaleneffekte!

Eine zweite, etwas ältere Quelle der Marktanteilsbewegung ist die Erfahrungskurve. Dieses Konzept besagt, dass die Kostenposition eines Unternehmens von seinem relativen Marktanteil abhängt, wobei Letzterer definiert ist als der eigene Marktanteil, geteilt durch den des stärksten Wettbewerbers. Je höher dieser Wert, desto niedriger sollten die Stückkosten des Unternehmens sein;6 folglich hat der Marktführer automatisch die niedrigsten Kosten und damit auch die höchste Gewinnmarge. Der Erfahrungskurveneffekt lieferte auch die Grundlage für die berühmte 2x2-Portfoliomatrix, auch »BCG-Matrix« genannt, mit den beiden Dimensionen »Marktwachstum« und »relativer Marktanteil«. Nach der zugrunde liegenden Theorie erfordert jedes der vier Matrixfelder eine andere Strategie, wobei das Management des Marktanteils jeweils das Herzstück darstellt, denn am Marktwachstum kann das einzelne Unternehmen wenig tun. Auch hier ist die strategische Implikation eindeutig: Unternehmen tun gut daran, ihre Marktanteile so hoch wie möglich zu treiben.

Die Erfahrungskurve und PIMS sind die Vorreiter der meisten Marktanteilsphilosophen. Einer ihrer prominentesten Verfechter war Anfang der 80er Jahre der damalige Chairman und CEO von General Electric, Jack Welch: Er verkündete, sein Unternehmen werde sich aus jedem Geschäftsfeld |19|zurückziehen, in dem es sich nicht auf Platz 1 oder 2 halten könne.

Abbildung 1–2: PIMS zeigte eine Korrelation von Marktanteil und Gewinn

Einige spätere Studien zogen interessanterweise den strikten Zusammenhang zwischen Marktanteil und Gewinnmarge in Zweifel und stellten die Wechselbeziehung zwischen beiden weit schwächer dar als die PIMS-Autoren.7 Bis heute gibt es immer wieder Veröffentlichungen, welche die seinerzeitigen Erkenntnisse widerlegen – die aktuellste ist eine von Paul W. Farris und Michael J. Moore herausgegebene Anthologie.8

Die Kernfrage ist doch: Ist der Zusammenhang zwischen Marktanteil und Gewinn eine echte Kausalbeziehung oder eine bloße Korrelation? In jüngster Zeit findet letztere Hypothese immer mehr Befürworter. Forscher, welche mittels moderner Analysemethoden die Effekte so genannter unbeobachteter Faktoren herausfilterten, zogen ein klares Fazit: »Eliminiert man den Effekt solcher unbeobachteter Faktoren ökonometrisch, ist die verbleibende Auswirkung des Marktanteils auf die Profitabilität relativ gering.«9 Die Schlussfolgerung der Autoren: »Ein hoher Marktanteil steigert zwar per se nicht die Profitabilität; er versetzt jedoch die betreffenden Unternehmen in die Lage, bestimmte Gewinn bringende Maßnahmen zu ergreifen, welche für Unternehmen mit geringerem Marktanteil womöglich nicht machbar sind.«10 Diese Beobachtung widerlegt zwar PIMS und die Erfahrungskurve noch |20|nicht ganz, und sie liefert auch keine hinreichende Begründung für die Behauptung, Jack Welch liege völlig falsch. Doch eines steht fest: Die Philosophie »Marktanteil über alles« kann nicht länger als universelle Wahrheit gelten.

Während also die genannten Autoren die PIMS-Erkenntnisse direkt in Frage stellen, haben andere im breiteren Kontext untersucht, wie sich wettbewerbsorientierte Ziele wie Marktanteil oder Marktposition auswirken. Die frühesten bekannten Erkenntnisse hierzu stammen aus einer Zeit weit vor der PIMS-Studie und auch vor der Ära von Jack Welch. Schon 1958 wies Robert F. Lanzillotti nach, dass eine negative Korrelation zwischen der Verfolgung wettbewerbsorientierter Ziele (wie Marktanteil) und der Kapitalrendite von Unternehmen existiert.11 Eine neuere Abhandlung von J. Scott Armstrong und Kesten C. Green fasst weitere Indizien jüngeren Datums zusammen und kommt zu dem Schluss, dass »... wettbewerbsorientierte Ziele schädlich [sind]. Diese Beobachtungen haben jedoch bislang nur geringen Einfluss auf die akademische Forschung und finden bei den Führungskräften in Unternehmen kaum Beachtung.«12 Dies sind nur zwei Studien von vielen, in denen versucht wurde, die Auswirkungen von Marktanteils- oder Marktpositionszielen an der Erfahrungskurve und eines Portfoliomanagements gemäß BCG-Matrix zu messen. Fasst man all diese Erkenntnisse in ihrer ganzen Breite zusammen, so lässt sich eine klare Schlussfolgerung ziehen: Das hartnäckige Festhalten an wettbewerbsorientierten Zielen sowie den zugehörigen Instrumenten und Verhaltensweisen beeinträchtigt die Fähigkeit eines Unternehmens, in einem stark umkämpften oder reifen Markt Gewinne zu erzielen.

Warum hängen Manager und Investoren der Philosophie »Marktanteil über alles« überhaupt so hartnäckig an? Ganz einfach: Weil Marktanteil, Volumen und Umsatzwachstum die besten Indikatoren für nachhaltigen Erfolg durch Innovation dastellen. Erobert ein Unternehmen einen Markt, wie etwa Starbucks den internationalen Markt für Coffee Shops, dann nehmen Branchenbeobachter automatisch an, fortgesetztes Markanteilswachstum sei etwas Positives. Es suggeriert Überlegenheit, und diese wiederum suggeriert nachhaltige Gewinne. Natürlich hat sich Starbucks sein Wachstum und seine Renditen redlich verdient – wenn ein Unternehmen ein innovatives Produkt oder andere klare Wettbewerbsvorteile |21|aufweisen kann, ist der marktanteilsbezogene Ansatz in Ordnung.

Aber die Wettbewerbssituation von Starbucks verändert sich langsam. In Amerika haben inzwischen auch Donut-Ketten, McDonald’s und sogar die Tankstelle an der Ecke ihre Espressomaschinen; hier zu Lande sind sie ohnehin schon fast allgegenwärtig. Der Markt wird somit zusehends reifer. Es fragt sich, wie lange Starbucks noch weiteres Marktanteilswachstum gebührt – wo doch seine nachhaltige Überlegenheit nicht mehr gegeben ist.

Laut dem Mission-Statement des Unternehmens besteht eines von sechs Leitprinzipien darin, zu »erkennen, dass Profitabilität für unseren künftigen Erfolg wesentlich ist«.13 Doch wie seine Strategie tatsächlich aussieht, geht, zumindest für den Einzelhandelsbereich, sehr klar aus dem Geschäftsbericht hervor: »Die Strategie von Starbucks zur Erweiterung des Retailgeschäftes sieht vor, den Marktanteil in bestehenden Märkten durch Eröffnung zusätzlicher Ladenlokale zu erhöhen sowie in neuen Märkten immer dann Ladenlokale zu eröffnen, wenn sich eine Gelegenheit bietet, führender Retailer für Kaffeespezialitäten zu werden.«14

Irgendwann werden auf Starbucks und seine Mitbewerber die fünf eingangs genannten Bedingungen zutreffen. Wenn es so weit ist, wird das Unternehmen seine Fixierung auf den Marktanteil aufgeben und sich stärker am Ergebnis orientieren müssen, um seine Premiumposition und das damit verbundene Gewinnniveau zu halten. Wir werden uns in Kapitel 2 nochmals mit diesem Thema befassen, wenn wir das Konzept der Wettbewerbslandkarte am Beispiel von Starbucks und seinen Wettbewerbern vorstellen.

In Märkten mit starkem Wettbewerb sehen sich Unternehmen mit einem völlig anderen Umfeld konfrontiert als Starbucks. Das Gesamtvolumen des Marktes ist mehr oder weniger konstant; die Marketinginitiativen der Anbieter haben oft wenig oder keine Wirkung auf die Gesamtnachfrage. Preissenkungen – innerhalb vernünftiger Grenzen – können die Gesamtnachfrage ebenfalls kaum beeinflussen. Marktanteile können sich dagegen sehr stark verschieben, je nachdem, wie aggressiv die einzelnen Anbieter auftreten.

Die in Abbildung 1–3 dargestellte Formel verdeutlicht, wie Führungskräfte das Thema »Marktanteil« sehen.

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Abbildung 1–3: Die vermeintliche Kraft des Marktanteils

Liegt das Gesamtmarktvolumen bei 1 Milliarde Euro, dann kommt ein Unternehmen mit 10 Prozent Marktanteil und 10 Prozent Gewinnmarge auf 100 Millionen Euro Umsatz und 10 Millionen Euro Gewinn. Ausweiten lässt sich das Marktvolumen in reifen Märkten nur schwer; vor allem als einzelnes Unternehmen kann man da ohne durchschlagende Innovation wenig tun. Schon eher möglich erscheint eine Erhöhung der Marge, also der Differenz zwischen Stückpreis und Stückkosten. So würden sich etwa Kostensenkungen vollständig und unmittelbar auf die Höhe der Marge niederschlagen; aber wie schon erläutert, haben die meisten Unternehmen in reifen Märkten das vernünftige Maß an Kostensenkungen weitgehend ausgeschöpft. Damit bleibt die Preisgestaltung – ein hoch wirksamer und häufig vernachlässigter Ergebnistreiber, mit dem wir uns in diesem Buch eingehend befassen werden.

Jede Erhöhung des Marktanteils hat demnach einen direkten linearen Effekt auf den Gewinn. Könnte also unser Unternehmen seinen Marktanteil von 10 auf 20 Prozent erhöhen, würde sich sein Gewinn verdoppeln. Das Gesamtmarktvolumen kann es als einzelnes Unternehmen zwar nicht beeinflussen, aber bei seinem eigenen Anteil am Markt sollte das doch möglich sein. Dazu steht eine Reihe von Maßnahmen zur Verfügung – wie etwa intensivere Werbung, Ausbau des Vertriebs, Sonderaktionen oder auch Preismaßnahmen.

Diese Darstellung mag stark vereinfacht erscheinen. Doch scheinen Manager den Marktanteil als eine Art Pandoras Büchse für die Lösung ihrer Gewinnprobleme zu sehen: Sie konzentrieren sich mit aller Kraft auf den Umsatz – anstatt dieselben Initiativen zur Erhöhung des Gewinns einzusetzen.

Was sie unter anderem dazu verleitet, ist die allzu blauäugige Anwendung von PIMS und der Erfahrungskurve auf diese Gleichung. Wenn einer wirklich glaubt, mehr Marktanteil hieße auch höhere Margen, |23|dann hätte er damit das reinste Wundermittel für jedes Unternehmen mit Ergebnisproblemen entdeckt. Nehmen wir an, ein Unternehmen erhöht seinen Marktanteil von 10 auf 20 Prozent und steigert damit seine Gewinnmarge ebenfalls von 10 auf 20 Prozent. In unserem Beispiel von oben würde der Gewinn damit überproportional – und nicht mehr nur linear – ansteigen, nämlich auf 40 Millionen Euro. Das wäre eine phantastische Leistung! Darüber hinaus allerdings eine ziemlich unrealistische, wie wir anhand unserer Fallbeispiele aufzeigen werden. In reifen Märkten, wo die PIMS-Logik nicht mehr so richtig greift, haben Marktanteilszuwächse in der Regel eine überproportional negative Ergebniswirkung. Es hat schon etwas Ironisches: Je eifriger ein Unternehmen diesen Ansatz verfolgt, desto mehr vernichtet es sein eigenes Gewinnpotenzial.15

Setzen Sie dem Marktanteilsdenken ein Ende

Was diese Überschrift fordert, ist leichter gesagt als getan. Denn während sich die Wissenschaftler im stillen Kämmerlein noch damit abmühten, die PIMS-Hypothesen weiter zu testen, führten die Business Schools schon Tausende von MBA-Studenten in den Marktanteils-Kult ein. Und diejenigen, die in den 70er und 80er Jahren ihren MBA gemacht haben und diese Philosophie in ihrer frischesten und konzentriertesten Form genossen haben, bekleiden heute Vorstandspositionen. Ihren Höhepunkt erreichte die Marktanteils-Faszination aber mit der Internetwelle. Zu Zeiten des Web- und e-Business-Hype war alle Welt nur an einigen wenigen Kennzahlen interessiert: am Umsatzwachstum, der Marktposition, dem Marktanteil und der absoluten Anzahl der Kunden. Wehe dem, der das Wort »Gewinn« in den Mund zu nehmen wagte – er wurde postwendend als »Old Economy« gebrandmarkt.

Nun, die Internetblase ist geplatzt. Doch wer glaubt, das hätte die falschen Ideen aus den Köpfen der Manager verbannt, der irrt. Die blinde Jagd nach immer mehr Marktanteil, mehr Kunden, mehr Umsatzwachstum ging bei vielen nicht nur weiter, sie wurde sogar zur eingefleischten |24|Gewohnheit. Wer Marktanteile verliert – oder auch nur im entferntesten daran denkt, sie aufs Spiel zu setzen –, der handelt sich bei den meisten Unternehmen ernsthafte Schwierigkeiten ein. Man braucht entsprechende Überlegungen nur zu äußern, und die scharfen, ja bösartigen Reaktionen der Presse und Analysten, der Aktionäre und Kollegen, selbst der lokalen Behörden lassen nicht lange auf sich warten.

Wir lernten diese Problematik aus nächster Nähe kennen, als wir mit einem Automobilhersteller im Premiumsegment zu tun hatten – nennen wir ihn United Motors Corporation (oder kurz: UMC).16 Der Vertriebsvorstand des Unternehmens sagte uns voller Resignation: »Wenn wir einmal ehrlich sind, dann verfolgen wir unsere gewinnorientierten Ziele nur halbherzig. Wenn das Ergebnis um 20 Prozent fällt, passiert gar nichts. Schrumpft aber unser Marktanteil auch nur um den Bruchteil eines Prozentpunktes, dann rollen die Köpfe. Und das weiß hier jeder, wenn man es auch nicht offen sagt.«

Ein ähnlicher Unterton zog sich auch durch ein Gespräch, das wir mit dem Management eines anderen Unternehmens führten17 : Es handelte sich um einen führenden asiatischen Unterhaltungselektronik-Hersteller, dessen Gewinnmarge (vor Steuern) in den letzten Jahren immer unter 5 Prozent gelegen hatte. Globaler Wettbewerb und Preisdruck konnten daran schwerlich schuld sein, denn der Hauptwettbewerber Samsung Electronics erreichte über mehrere Jahre Umsatzrenditen von 15 Prozent. Im Laufe der Diskussion wurde klar, dass das Unternehmen als beste Maßnahme zur schnellen Ergebnisverbesserung die Preise erhöhen und seine großzügigen Preisnachlässe und Rabattaktionen im Handel zurückfahren sollte.

»Aber dann verlieren wir Marktanteil!«, sagte einer der Anwesenden. Es wurde still im Raum. Wir hatten an ein Tabuthema gerührt. Ein absichtlich herbeigeführter Marktanteilsverlust war für diese stolze Firma völlig undenkbar – selbst wenn das Unternehmen dadurch mehr Gewinn erzielen könnte.

Aus Erfahrung wissen wir, dass es niemandem Spaß macht, Marktanteile zu verlieren. Wenn wir diese Möglichkeit auch nur implizit ansprechen, riskieren wir, uns schon zu Beginn eines Projektes Feinde zu schaffen. Einer unserer Klienten sagte uns bei der ersten Zusammenkunft knallhart: »Wenn Ihre Empfehlungen darauf hinauslaufen, dass |25|wir Marktanteil verlieren werden, dann können Sie sich Ihr Ticket für den nächsten Besuch sparen.«

Marktanteil bleibt eine weit verbreitete und maßgebliche Zielgröße, intern wie extern. Um den mentalen Übergang vom Marktanteilsfokus zum Gewinnfokus zu schaffen, muss man nicht nur Denkhürden, sondern auch kulturelle Widerstände überwinden. In Unternehmen, die ständig nur dem Erhalt oder Ausbau ihrer Marktanteile hinterherjagen, wird die Unternehmenskultur früher oder später von zwei Dingen geprägt sein: Aggression gegen die Konkurrenten und Nachgiebigkeit gegenüber den Kunden.

Die Kultur der Aggression im Markt ist besonders häufig vorzufinden. Übertrieben ehrgeizige Marktanteilsziele – oft verbunden mit einer Vernachlässigung der Ergebniskomponente – führen zu aggressiven Handlungen, welche wiederum ebenso aggressive oder noch aggressivere Reaktionen der Wettbewerber provozieren. Die amerikanischen Autohersteller beschritten diesen Weg im Sommer 2005, als Ford und DaimlerChrysler sich genötigt sahen, das »Mitarbeiter-Discount«-Programm von General Motors mit noch attraktiveren, ähnlich benannten Programmen zu kontern. GM manövrierte sich damit an den Rand des Bankrotts.

Eine Kultur der Aggression löst in reifen Märkten Preiskriege aus und führt zur Gewinnvernichtung im großen Stil. Glücklicherweise gibt es immer mehr Managementbücher, die diese Art der Aggression verurteilen. Erwähnenswert ist hier das Buch Blue Ocean Strategy.18 Es befasst sich zwar – im Gegensatz zu diesem Buch – hauptsächlich mit neuen Produkten und Geschäftsmodellen; die Kernaussage aber ist ähnlich: Man vermeide den destruktiven Wettbewerb im existierenden Markt (»roter Ozean«).

Offen aggressive Unternehmen attackieren ihre Wettbewerber, um Marktanteile zu gewinnen – nachgiebige ergreifen Maßnahmen, um ihre Marktanteile zu halten. Sie schulen ihre Vertriebs- und Marketingleute, enorme Zugeständnisse gegenüber ihren Kunden zu machen (mehr Kundennutzen, niedrigere Preise), sobald diese mit einem Anbieterwechsel drohen. Aus dem Drang heraus, ein Marktanteils- oder Mengenziel zu erreichen, geben sie den Kunden, die Druck machen, nach – als Ergebnis bestimmen diese häufig den Verlauf der Verhandlungen, letztendlich |26|sogar die Konditionen. Daraus erwächst eine Kultur der Nachgiebigkeit, in der das betreffende Unternehmen alles Mögliche tut, um das Geschäft zu behalten. In dieser Kultur gilt es als größte Sünde, einen Kunden und damit Marktanteil zu verlieren. Im Endeffekt geben die Unternehmen damit die strategische Kontrolle über ihr Geschäft an ihre Kunden ab und lassen diese die Preise und die Konditionen diktieren. Selbst wenn sich die Unternehmensleitung dessen bewusst ist, dass sie von den Kunden übervorteilt wird, zögert sie – oder sieht sich außer Stande –, daran etwas zu ändern.

Die Kultur der Nachgiebigkeit ist in Branchen mit großen, stark konsolidierten Kunden am verbreitesten; denken wir nur an Automobilzulieferer oder die Lieferanten großer Handelsketten wie Wal-Mart oder Aldi. Doch finden wir diese Art von Unternehmenskultur auch in Branchen wie Telekommunikationsleistungen für Geschäftskunden, Finanzdienstleistungen oder Software, wo die Transaktionspreise größtenteils Verhandlungssache sind, und die Vertriebsteams weit reichende Entscheidungsspielräume genießen. Die Kunden können hier im Grunde ihre eigenen Bedingungen durchsetzen, da die Anbieter fürchten, sie zu verprellen und damit letztendlich ihr Geschäft zu verlieren.

Was diese Unternehmen nicht bedenken, ist, dass ihre Duldsamkeit dieselbe verheerende Auswirkung auf ihr Ergebnis haben kann wie ein offener Krieg gegen den Wettbewerb – allerdings ohne die kraftvollen militärischen Metaphern und ohne das Echo in der Wirtschaftspresse. Jedes Mal, wenn Vertrieb oder Management eines Unternehmens dem Druck von Kundenseite nachgeben, dann werden damit drei unbeabsichtige Effekte ausgelöst, die das Unternehmen bei späteren Geschäften zu spüren bekommt. Erstens hat es zugelassen, dass der Kunde mehr Leistung zu geringeren Preisen fordert und erhält. Damit hat das Unternehmen die gültigen Standards für Wert und Preis neu definiert. Diese werden nun Grundlage der nächsten Verhandlung, bei denen ein schlauer Kunde stets versuchen wird, die Kluft zwischen Wert und Preis noch stärker auszuweiten. Zweitens hat sich das Unternehmen den Ruf des Weichlings eingehandelt. Auch das weiß ein geschickter Einkäufer für sich zu nutzen. Drittens hat es das Preis-Leistungs-Verhältnis in seinem Markt so geschädigt, dass die Kunden nun ihren Drohungen gegenüber |27|anderen Anbietern mehr Nachdruck verleihen können. Der Teufelskreis ist in Gang gesetzt.

Nicht zu unterschätzen ist die Rolle, welche die Haltung des Managements bei der Etablierung solcher Kulturen spielt. Man erinnere sich an das eingangs genannte Beispiel, die Reversnadel mit der »29«. Die Autoren Daniel Goleman, Richard Boyatzis und Annie McKee beschreiben in ihrem Artikel »Primal Leadership: The Hidden Driver of Great Performance« (zu Deutsch: Führung in ihrer Urform: die versteckte Triebfeder für herausragende Leistung), wie das Verhalten der Unternehmensleitung die gesamte Organisation beeinflusst.19 Die Mitarbeiter lesen und deuten die nonverbalen Signale der Führungskräfte – unabhängig davon, was diese explizit über ihre Zielsetzung sagen. Problematisch wird es, wenn verbale und nonverbale Inhalte nicht zusammenpassen, wie im Falle des zitierten Automobilvorstandes.

Der nächste Abschnitt dieses Einleitungskapitels beschreibt das Veränderungsprogramm, wie wir es bei Klientenunternehmen auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten und umgesetzt haben. Die hier eingeflossenen Daten und Fakten stammen zum Großteil aus unseren Beratungsprojekten bei über 500 Unternehmen weltweit, denen wir dabei halfen, unter den scheinbar beengenden und häufig frustrierenden Bedingungen reifer Märkte ihre Ergebnissituation zu verbessern.

Aus diesen Erfahrungen wissen wir, wie viel zusätzlicher Gewinn sich erzielen lässt, wenn Unternehmen ihr aggressives oder nachgiebiges Verhalten zugunsten einer gewinnorientierten Kultur aufgeben. Weiterhin hat uns die Erfahrung mit diesen Unternehmen gezeigt, welche Ressourcen man zur Durchführung unseres Programms benötigt, und warum man bei konsequenter Umsetzung von einer kurzen Amortisationszeit ausgehen kann.

Die meisten unserer Projektergebnisse sind strikt vertraulich. Wenn ein Unternehmen Anstrengungen unternimmt, um als Zulieferer für Wal-Mart oder BMW mehr Geld zu verdienen, dann will es das nicht an die große Glocke gehängt haben. Um diese Vertraulichkeit zu wahren, haben wir sämtliche Fallbeispiele anonymisiert und häufig auch die Branche verfremdet, denn unsere Erkenntnisse stammen ja meist nicht aus öffentlich verfügbaren Informationen, sondern aus der rein internen Betrachtung.

|28|Lernen Sie, Ihr Marketing auf Gewinn auszurichten

Die Methoden und Techniken, die in diesem Buch beschrieben werden, befassen sich mit der Umsatzseite Ihres Geschäftes. Wir sind keine Kostendrücker. Eingedenk des Sprichworts »Schuster, bleib bei deinem Leisten« wussten wir, dass wir besser kein Buch über Kostensenkung, Rationalisierung oder Effizienzsteigerungen schreiben sollten. Die Kernfrage, die in diesem Buch beantwortet wird, ist: Wie soll ein gewinnorientierter Manager in einem reifen Markt seinen Marketing-Mix verändern, um eine bessere Erlösqualität und damit eine nachhaltige Ertragssteigerung zu erzielen?

Kostensenkungs- und Produktivitätsverbesserungsprogramme haben in den letzten 20 Jahren wahrlich reüssiert – und dennoch hält die Gewinnmalaise an, wie schon Abbildung 1–1 gezeigt hat. Die Unternehmen müssen sich nun mit ebenso viel Energie, Intelligenz und Engagement der Kundenseite ihres Geschäfts zuwenden. Wie gesagt: Bislang ist dieses Potenzial zu wenig erkannt und genutzt, insbesondere in reifen Märkten.

Abbildung 1–4 zeigt, wie stark Unternehmen ihre Margen und absoluten Gewinne steigern konnten, indem sie mithilfe unseres Programms aktiv ihre Ergebnischancen identifizierten und nutzten.

Um Gewinnpotenziale zu erkennen und zu nutzen, braucht man ein übergreifendes Programm, das auf ernsthafter, harter Analysearbeit aufbaut – nicht auf Effekthascherei. Die Arbeit, welche die Unternehmen aus unseren Fallbeispielen auf sich nahmen, war nicht gerade hoch wissenschaftlich, aber mitunter mühsam. Ergebnissteigerungen lassen sich nun mal – leider! – nicht per Knopfdruck realisieren. Dieses Buch liefert Ihnen die Anleitungen und Instrumente, aber wenn Sie sich diese Gewinnsteigerungen sichern wollen, müssen Sie Zeit, Mühe und Engagement investieren. Glücklicherweise werden die notwendigen Veränderungen weit weniger dramatisch oder schmerzhaft sein, als Sie vielleicht denken.

Unser bewährtes Programm hat vier Phasen, wie in Abbildung 1–5 dargestellt. Die erste – sie wird in Kapitel 2 und 3 behandelt – konzentriert sich auf die Veränderung der Grundeinstellung: Sie bietet Ihnen Alternativen zur destruktiven Kultur der Aggression und Nachgiebigkeit. |29|Diese beiden Kapitel werden Ihnen helfen, Ihre Zielkonflikte zu erkennen und zu lösen, sich stärker am Gewinn zu orientieren und Ihre Marketing- und Vertriebsaktionen konsequenter darauf auszurichten.

Industrie

Jahresumsatz des Unternehmens (US$)

Gewinnsteigerung (in Prozent des Umsatzes)

Industrieausrüster

5–10 Mrd.

1.2,2

Bau

< 1 Mrd.

1,1

Maschinenbau

5–10 Mrd.

1.0,0

Großhandel

1–5 Mrd.

2,0

Banking

1–5 Mrd.

1,6

Tourismus

5–10 Mrd.

1,6

Expressversand

5–10 Mrd.

1,5

Software

100–500 Mio.

3,0

Abbildung1–4: Gewinnsteigerungen – nicht theoretisch hergeleitet,

sondern real

Kapitel 2 soll Ihnen zeigen, wie Sie die Lebensdauer und Profitabilität Ihrer reifen Produkte verlängern können. Dazu müssen Sie vier Dinge tun:

Differenzierung anstreben.

Ihre Kriegsschauplätze intelligent aussuchen.

Marktanteile, die Sie nicht profitabel halten können, aufgeben.

Der Versuchung widerstehen, reflexhaft bei drohenden Wettbewerbsangriffen Ihre Preise zu senken.

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Fazit

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Kapitel 2

|38|Friedlich konkurrieren lernen

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Bremsen Sie die Angreifer in Ihrem Markt

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|43|Nutzen Sie die Wettbewerbslandkarte als Entscheidungshilfe

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Geben Sie Marktanteile auf, wenn Sie damit Ihre Gewinne absichern können

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Fazit

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|56|Kapitel 3

Mit den richtigen Annahmen arbeiten

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Orientieren Sie Ihre Meinung über Kunden an Fakten – nicht an überkommenen Vorstellungen

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Lassen Sie nicht zu, dass Kunden Ihre Leistung als selbstverständlich erachten

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Nutzen Sie den Zusammenhang zwischen Preis und Gewinn

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Lassen Sie bei Wettbewerbs-Benchmarks Vorsicht walten

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Fazit

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|76|Kapitel 4

Anhand interner Daten Gewinnpotenziale finden

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Verstehen Sie Nutzen und Grenzen von internen Daten

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Bestimmen Sie Ihre Gewinnmöglichkeiten mit Statusdaten

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Erheben Sie Reaktionsdaten, um Ihre Gewinnpotenziale zu quantifizieren

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|93|Kapitel 5

Präferenzen und Zahlungsbereitschaft der Kunden bestimmen

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Achten Sie auf eine hypothesengetriebene und fokussierte Marktforschung

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|106|Nutzen Sie Ihre Vertriebs- und Serviceteams als Informationsquellen

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Richten Sie den Aufwand für Marktforschung am Gewinnpotenzial aus

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|115|Kapitel 6

Marketing-Mix optimieren – Gewinnpotenzial maximieren

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|116|Segmentieren Sie Ihre Kunden nach Präferenzen und Zahlungsbereitschaften

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Richten Sie Ihr Produktangebot an den Zahlungsbereitschaften der Kunden aus

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Werben Sie kräftig für Ihre Produkte, sofern Sie sich der Wirkung sicher sind

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|134|Kapitel 7

Preise erhöhen und wohlverdienten Gewinn realisieren

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Erhöhen Sie die Preise, wenn Sie mehr Nutzen bieten können

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Erhöhen Sie die Preise, um in einem schrumpfenden Markt Ihre Gewinne abzusichern

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Erhöhen Sie die Preise für ausgewählte Kundensegmente

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|148|Nutzen Sie den Preis bei Low-Involvement-Produkten als Wertindikator

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Gehen Sie bei Preisanpassungen aufgrund geänderter Kosten umsichtig vor

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Denken Sie bei Preisverhandlungen an den Preis-Leistungs-Konsistenzkorridor

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Fazit

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|157|Kapitel 8

Unnötige Zugeständnisse an Kunden vermeiden

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Lernen Sie, wann Sie dem Gewinn ein Stück Kundenzufriedenheit opfern müssen

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Starten Sie Kundenbindungsprogramme nur, wenn der Wettbewerb sie nicht kopieren kann

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Trainieren Sie Ihren Kunden keine Anspruchshaltung an

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Widerstehen Sie dem Drang, Preise proaktiv zu senken

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|174|Fazit

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|176|Kapitel 9

Anreizsysteme am Gewinn ausrichten

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Helfen Sie Ihrem Vertrieb, beim Kunden höhere Preise durchzusetzen – anstatt niedrigere beim Vorgesetzten

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|179|Setzen Sie die monetären Anreize richtig: Bares ist nach wie vor gefragt

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|184|Belohnen Sie Vertriebspartner für Leistung, nicht für Volumen

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Gehen Sie mit gutem Beispiel voran, wenn Sie eine Gewinnkultur wollen

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Fazit

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|191|Kapitel 10

Marktkommunikation gezielt steuern

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Sagen Sie in der Öffentlichkeit das, was Sie meinen

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Senden Sie Signale, um eine Eskalation des »kalten« Marketing-Krieges zu verhindern

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Senden Sie Signale, um den Markt auf geplante Maßnahmen hinzuweisen

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Senden Sie Signale als Warnschuss, um einen Rückzug zu erzwingen

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Lernen Sie, Signale zu empfangen und zu deuten

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Fazit

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|208|Kapitel 11

Epilog: Höchste Zeit zur Realisierung Ihres Gewinnpotenzials

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Stabilisieren Sie Ihre Marktposition – und definieren Sie sie dann neu

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Stellen Sie das Programm unter die Führung erfahrener Champions

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Vermeiden Sie Rückfälle und Fehlkommunikation

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|216|Bereiten Sie sich vor: Wo steht Ihr Unternehmen heute?

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|218|Danksagung

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|220|Register

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