Hidden Champions - Aufbruch nach Globalia - Hermann Simon - E-Book

Hidden Champions - Aufbruch nach Globalia E-Book

Simon Hermann

0,0

Beschreibung

In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mehr als 1.500 Weltmarktführer. Vielfach sind sie der Öffentlichkeit kaum bekannt. Diese Hidden Champions sind bestens gerüstet für Globalia, die veränderte Welt der Zukunft, die auch durch den Aufstieg Chinas und weiterer Schwellenländer geprägt wird. Die unbekannten Weltmarktführer trotzen der Konkurrenz und viele sind aus der Wirtschaftskrise gestärkt hervorgegangen. Ausdauer, Orientierung und Weitblick zeichnen sie aus. Anhand vieler faszinierender und aktueller Fallbeispiele zeigt Hermann Simon, wie die Hidden Champions zu Weltmarktführern wurden, wie sie auch die Herausforderungen der neuen, globalisierten Welt meistern - und wie Sie diese Erkenntnisse für Ihr Unternehmen nutzen können. »Die hohe Glaubwürdigkeit und Akzeptanz von Hermann Simon rührt weltweit daher, dass er hieb- und stichfeste Belege in Form einer soliden Datenbasis inklusive fundierter Praxis­erfahrung mitbringt.« absatzwirtschaft »Hermann Simon - ganz vorn in der Liga der Vordenker!« Financial Times Deutschland »Wichtigster lebender Branchen-Guru« Managementdenker.de

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 701

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hermann Simon
Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia
Die Erfolgsstrategien unbekannter Weltmarktführer
Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch
In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es mehr als 1500 Weltmarktführer. Vielfach sind sie der Öffentlichkeit kaum bekannt. Diese Hidden Champions sind bestens gerüstet für Globalia, die veränderte Welt der Zukunft, die auch durch den Aufstieg Chinas und weiterer Schwellenländer geprägt wird. Die unbekannten Weltmarktführer trotzen der Konkurrenz, und viele sind aus der Wirtschaftskrise gestärkt hervorgegangen. Ausdauer, Orientierung und Weitblick zeichnen sie aus.
Anhand vieler faszinierender und aktueller Fallbeispiele zeigt Hermann Simon, wie die Hidden Champions zu Weltmarktführern wurden, wie sie auch die Herausforderungen der neuen, globalisierten Welt meistern – und wie Sie diese Erkenntnisse für Ihr Unternehmen nutzen können.
Über den Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon ist Chairman von Simon, Kucher & Partners Strategy & Marketing Consultants (www.hermannsimon.com, www.simon-kucher.com). Seit mehreren Jahrzehnten ist er den Geheimnissen von Unternehmen auf der Spur, die im Schatten der Öffentlichkeit zu Weltmarktführern aufgestiegen sind. 1996 veröffentlichte er bei Campus das Buch »Die heimlichen Gewinner«, 2007 beschrieb er die »Hidden Champions des 21. Jahrhunderts«. Beide Titel wurden zu internationalen Bestsellern.

Inhalt

Management Summary
Kapitel 1: Globalia – die Welt der Zukunft
Wachstumsmotor Globalisierung
Wo spielt die Musik in Globalia?
Bevölkerungsdynamik in Globalia
Zukünftige Märkte
Risiken einer Deglobalisierung
Nationale Champions
Die Welt ist nicht flach
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 2: Deutschlands Rolle in Globalia
Deutschland ragt heraus
Deutschland muss exportieren
Warum ist Deutschland im Export so erfolgreich?
Warum gibt es so viele Hidden Champions in Deutschland?
Deutschlands Zukunft in Globalia
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 3: Hidden Champions: Wer sind sie?
Strukturdaten
Beispiele für Hidden Champions
Der Schleier der Verborgenheit
Erfolge
Krisen
Lernen von den Hidden Champions
Ziele dieses Buches
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 4: Kontinuierlich wachsen
Am Anfang steht das Ziel
Wie entstehen Big Champions?
Die explodierende Mitte
Wachsende Zwerge
Das Wachstum geht weiter
Wachstum ist kein Allheilmittel
Mitarbeiter-versus Umsatzwachstum
Treiber des Wachstums
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 5: Den Markt führen
Was ist Marktführerschaft?
Ziele und Kommunikation
Marktdefinition und Marktanteil
Management-Irrglaube
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 6: Eng fokussieren
Enge Märkte
Verschiedene Möglichkeiten für Marktdefinitionen
Wir sind Spezialist
Fokussierung auf eine Wertschöpfungsstufe
Refokussierung
Besetzung frei werdender Nischen
Super-Nischenanbieter und Marktbesitzer
Risiken der Fokussierung
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 7: Durch Tiefe Einzigartigkeit schaffen
Tiefe der Leistung
Tiefe Wertschöpfung
Fertigungstiefe und Outsourcing
Eigener Maschinenbau
Tiefe bei Rohstoffen
Tiefe in Forschung und Entwicklung
Tiefe und Kompetenz
Strategische Bewertung
Strategische Allianzen
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 8: Global vermarkten
Globalisierung: Die zweite Säule
Globale Präsenz: Status und Prozess
Globalisierung als Wachstumstreiber
Regionale Verschiebung der Umsatzanteile
Strategische Bedeutung einzelner Ländermärkte
Globalisierung und Risiko
Internet und globale Vermarktung
Globalisierung der Wertschöpfung
Umsetzung der Globalisierung
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 9: Kundennähe leben
Enge Kundenbeziehungen
Anforderungen der Kunden
Abhängigkeit von Kunden und Risiko
Realisierung von Kundennähe
Kundennähe durch dezentrale Verantwortung
Kundennähe durch Verhaltensregeln
Vielfältige Interaktion mit Kunden
Ausrichtung auf Topkunden
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 10: Spitzenleistung bieten
Produkt
Service
Systemintegration
Marke
Preis
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 11: Beharrlich innovieren
Was bedeutet Innovation?
Die Innovationsmaschine läuft
F & E-Intensität
Patente
Neue Produkte
Antriebskräfte der Innovation
Entstehung von Innovationen
Ständige Verbesserung versus Durchbruchsinnovationen
Führungs- und Organisationsaspekte der Innovation
Köpfe wichtiger als Budgets
Von allen akzeptierte Strategie
Zusammenarbeit mit anderen Funktionen
Entwicklung mit Kunden
Schnelligkeit von F & E
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 12: Wettbewerbsvorteile durchsetzen
Marktstrukturen und Wettbewerbsverhalten
Die Hidden Champions im Lichte von Porters »Five Forces«
Wettbewerbsvorteile
Häufigkeit von Wettbewerbsvorteilen
Matrix der Wettbewerbsvorteile
Zur Dauerhaftigkeit der Wettbewerbsvorteile
Demonstration von Wettbewerbsüberlegenheit
Namen als Gattungsbegriffe
Preise und Auszeichnungen
Wettbewerbsfähigkeit und Kosten
Trainingspartner für Fitness im Wettbewerb
Übertriebene Wettbewerbsorientierung
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 13: Weich diversifizieren
Weiche Diversifikation
Konzernzugehörige Hidden Champions
Motive für die weiche Diversifikation
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 14: Solide finanzieren
Profitabilität
Eigenkapital
Strategische Finanzkraft
Finanzierungsquellen der Zukunft
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 15: Schlank organisieren
Funktionale Organisation
Multifunktionalität
Divisionale Organisation
Organisationsdynamik
Frühe Dezentralisierung
Prozessorganisation
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 16: Mitarbeiter inspirieren
Beschäftigung und neue Arbeitsplätze
Krise und Beschäftigung
Unternehmenskultur
Krankenstand
Fluktuation
Mehr Arbeit als Köpfe
Kultur der Hochleistung
Ländliche Standorte
Qualifikation und Ausbildung
Gewinnung von Mitarbeitern
Zusammenfassung
Anmerkungen
Kapitel 17: Effektiv führen
Die Führer der Hidden Champions
Die neuen Führer der Hidden Champions
Führungsstile
Führungsstrukturen
Führungskontinuität
Jung an die Macht
Die Führerinnen der Hidden Champions
Internationalisierung der Führung
Führungsnachfolge
Zusammenfassung
Anmerkungen
Sachregister
Personenregister
Firmenregister

Management Summary

Dieses Management Summary fasst die wichtigsten Lehren der Hidden Champions zusammen:
Globalia wird für Unternehmen, die sich nicht auf nationale Märkte beschränken, sondern den Weltmarkt bedienen, zu einem enormen Wachstumstreiber.
Die USA und Europa werden auch in 2025 die größten Märkte sein. Asien, insbesondere China, kommt als dritter Pol der Weltwirtschaft hinzu. Bis 2050 verdoppelt sich die Bevölkerung Afrikas, das damit eine immer bedeutendere Rolle in der Weltwirtschaft gewinnt, mit welchen Vorzeichen ist derzeit unklar.
Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum sind für den globalen Wettbewerb der Zukunft bestens gerüstet. Die Hidden Champions, von denen es hier mehr gibt als im Rest der Welt zusammen, bilden die Speerspitze beim Aufbruch nach Globalia. Selbst die große Krise haben sie mit Bravour gemeistert.
Die Hidden Champions sind zwar kaum bekannt, besitzen aber welt- und europaweit herausragende Marktpositionen, die sie sich durch Spitzenleistungen verdient haben. Das gilt nicht nur für etablierte, sondern auch für junge Hidden Champions, von denen in der jüngeren Vergangenheit erstaunlich viele neu entstanden sind.
Die äußerst ambitiösen Ziele dieser Firmen sind auf Wachstum und Marktführerschaft ausgerichtet.
Das Wachstum vollzieht sich eher kontinuierlich als in spektakulären Schüben und erweist sich als ziemlich stabil.
Marktführerschaft heißt für die Hidden Champions mehr als nur größter Marktanteil. Sie beanspruchen, Kunden, Wettbewerber und ihre Märkte durch das Setzen von Standards und Benchmarks zu »führen«.|11|
Nur durch Fokussierung und Tiefe wird man Weltklasse. Die Hidden Champions fokussieren sich auf enge Märkte und schaffen durch Tiefe einzigartige Produkte. Sie beherzigen die Einsicht, dass Einzigartigkeit nur intern entstehen und nicht am Markt per Outsourcing hinzugekauft werden kann.
Fokussierung macht einen Markt klein. Globalisierung macht den Markt groß und ermöglicht die Realisierung ausreichender Economies of Scale. Fokussierung und Globalisierung sind deshalb die beiden unverzichtbaren Pfeiler der Hidden-Champions-Strategie.
Bei der Globalisierung bleiben die Hidden Champions ihrer Präferenz fürs Selbermachen treu. Sie vertreiben nicht über Dritte, sondern über eigene Tochtergesellschaften und sorgen so auch in Auslandsmärkten für direkten Kundenkontakt.
Die Hidden Champions pflegen intime Beziehungen zu ihren Kunden. Ihre Kundennähe ist fünfmal höher als in Großunternehmen. Selbst ihre Topmanager sind nahe an Geschäft und Kunden.
Hidden Champions investieren doppelt so viel wie deutsche Industrieunternehmen in Forschung & Entwicklung. Pro 1 000 Mitarbeiter halten sie fünfmal so viele Patente wie Großunternehmen. Die Kosten pro Patent sind dabei um den Faktor fünf niedriger. Technologie und Kundenbedürfnissen fungieren als gleichgewichtige Antriebskräfte von Innovationen.
Die Hidden Champions setzen ihre Wettbewerbsvorteile mit Konsequenz am Markt durch. Ihre Überlegenheit beruht auf einer Vielzahl von Wettbewerbsvorteilen. Produktqualität steht dabei unverändert an erster Stelle. In den letzten Jahren haben sie neue, schwer imitierbare Wettbewerbsvorteile in Beratung und Systemintegration geschaffen und so die Eintrittsbarrieren für neue Konkurrenten erhöht.
Stoßen Hidden Champions aufgrund von Marktsättigung oder hohen Marktanteilen an Wachstumsgrenzen, dann diversifizieren sie »weich« in Geschäfte, die nahe an ihren angestammten Kompetenzen liegen. Damit die neuen Geschäfte wiederum wie Hidden Champions fokussieren und globalisieren können, werden sie als eigenständige, dezentrale Einheiten organisiert.
Die Hidden Champions sind hoch profitabel. Ihre langjährige Umsatzrendite liegt bei mehr als dem Doppelten des Durchschnitts deutscher Unternehmen. Sie haben hohe Eigenkapitalquoten. Sie verhalten sich in finanziellen Angelegenheiten konservativ und setzen auf Selbstfinanzierung.
Klassische Hidden Champions sind Einprodukt-Einmarkt-Unternehmen und kommen mit schlanken funktionalen Organisationen aus. Werden |12|die Geschäfte oder die bedienten Märkte komplexer, so wechseln sie frühzeitig zu divisionalen Organisationsformen. So sichern sie trotz zunehmender Komplexität ihre hohe Kundennähe.
Hidden Champions sind Hochleistungsorganisationen. Sie achten darauf, stets mehr Arbeit als Köpfe zu haben. Sie haben in der Mitarbeiterqualifikation massiv aufgerüstet. Fluktuation und Krankenstand sind sehr niedrig. Bei der Rekrutierung stehen sie allerdings vor großen Herausforderungen, insbesondere im globalen Rahmen.
Die Führer der Hidden Champions zeichnen sich durch ein hohe Identität von Person und Mission, fokussierte Zielstrebigkeit, Mut, Ausdauer sowie die Fähigkeit, andere zu inspirieren, aus. Die Amtsdauer der Chefs ist mit 20 Jahren dreimal so hoch wie in Großunternehmen. Die Chefs kommen in jungen Jahren an die Spitze. Frauen spielen in der Führung von Hidden Champions bedeutende Rollen. Die Internationalisierung des Managements steht erst am Anfang und bleibt in Globalia eine der schwierigen Aufgaben.
Unbeirrt von den Managementmoden des jeweiligen Tages ziehen die Hidden Champions ihre Bahnen. Ihre Überlegenheit haben sie in der Welt von gestern vielfach unter Beweis gestellt. Wenn sie ihren Prinzipien treu bleiben, werden sie auch in Globalia, der globalisierten Welt der Zukunft, florieren. Es gibt kein Geheimrezept für ihren anhaltenden Erfolg. Es sei denn, dass sie den gesunden Menschenverstand konsequenter anwenden als andere. Dies ist so einfach und doch so schwer!|13|
Kapitel 1
Globalia – die Welt der Zukunft
Globalia nenne ich die globalisierte Welt der Zukunft. Wer meint, die Globalisierung sei bereits weit fortgeschritten, der irrt. Die Globalisierung hat gerade erst begonnen und nimmt weiter Fahrt auf. Die zukünftige Bedeutung der Globalisierung lässt sich schwerlich überschätzen. Fragt man sich, welcher Megatrend unser Leben in den letzten 50 Jahren am stärksten verändert hat, dann dürfte die häufigste Antwort »die Informationstechnologie« lauten. Stellt man die gleiche Frage in einigen Jahrzehnten, dann bestehen gute Chancen, dass »die Globalisierung« diese Rolle einnimmt. Dies gilt in besonderem Maße für Unternehmen im deutschsprachigen Raum und noch stärker für die Hidden Champions, unsere wenig bekannten Weltmarktführer. Davon gibt es in Deutschland und im deutschsprachigen Raum mehr als im Rest der Welt zusammen. Die Hidden Champions haben bereits ein gutes Stück auf dem Weg zur Globalisierung zurückgelegt. Die meisten von ihnen stehen nicht am Anfang, sondern befinden sich entschlossen auf dem Vormarsch nach Globalia. Dort locken ungeheure Chancen, aber die Gangart wird schwieriger, denn die Konkurrenten, nicht zuletzt neue Wettbewerber aus Schwellenländern, greifen an und holen schnell auf.

Wachstumsmotor Globalisierung

Man kann sagen, dass die Globalisierung vor wenigen Jahren begonnen und sich zunehmend beschleunigt hat. Ein besonders aussagekräftiger Indikator der Globalisierung sind die Weltexporte pro Kopf der Weltbevölkerung. Betrachtet man diese Kennzahl seit 1900, so zeigt sich eine deutliche Beschleunigung in den letzten Jahrzehnten. Abbildung 1.1 veranschaulicht die Hypothese der sich beschleunigenden Globalisierung. Die Dynamik haben die Hidden Champions frühzeitig als Chance verstanden und genutzt.|14|
[Bild vergrößern]
Abb. 1.1: Weltexporte pro Kopf der Weltbevölkerung 1900 bis 2010
Ausgehend von dem niedrigen Niveau von 6 Dollar im Jahre 1900 wurden 50 Jahre für eine Vervierfachung benötigt. Die beiden Weltkriege zerstörten die internationalen Handelsstrukturen und warfen die Entwicklung der Exporte um Jahrzehnte zurück. In den nächsten 30 Jahren bis 1980 gab es ein sehr starkes Wachstum. Die nächste Verdoppelung auf knapp 1 000 Dollar brauchte dann nur noch 20 Jahre, und im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts haben sich die Weltexporte pro Kopf trotz des bereits hohen Niveaus erneut mehr als verdoppelt.
In absoluten Zahlen bedeutet diese Entwicklung einen Anstieg des internationalen Güteraustausches von 9,9 Milliarden Dollar im Jahre 1900 (damals lag die Weltbevölkerung bei 1,65 Milliarden Menschen) auf 15 238 Milliarden Dollar in 2010 (Weltbevölkerung 2010: 6,7 Milliarden Menschen). Der internationale Güteraustausch ist heute also mehr als 1 500-mal so hoch wie vor 100 Jahren. Dabei sind Direktinvestitionen und Dienstleistungsexporte (z.B. Finanzdienstleitungen, Softwareentwicklung oder Callcenter in Indien) nicht eingerechnet. Vermutlich würde sich das Wachstum durch deren Einbeziehung nochmals verdoppeln. Andere Indikatoren der Globalisierung sind in den letzten 30 Jahren sogar stärker gewachsen als die Exporte. Dazu zählen beispielsweise die grenzüberschreitenden Finanztransaktionen, die sich allein seit 1980 mehr als verneunfacht haben, oder die Zahl internationaler Touristen, die heute sechsmal höher ist als 1980.1|15|
Selbst die seit 2007 einsetzende Krise mit einem dramatischen Einbruch der Weltexporte von 22 % im Jahr 2009 hat den positiven Trend nicht gebrochen. Das heißt, wir können mit einem weiterhin starken und stetigen Anstieg des Welthandels rechnen. In einer Studie von Ernst & Young aus dem Jahr 2012 heißt es: »Die Krise hält die Globalisierung nicht auf.«2 Unternehmen wie die Hidden Champions, die in diesem sich beschleunigenden Zug nach Globalia aktiv mitreisen, beziehen daraus einen starken Schub für ihr eigenes Wachstum. Die Globalisierung ist für sie der Wachstumstreiber par excellence und wird es auf Jahre bleiben.

Wo spielt die Musik in Globalia?

Seit dem spektakulären Aufstieg Chinas und weiterer Schwellenländer neigen Presse und Öffentlichkeit zu der Auffassung, dass die globale Musik der Zukunft vor allem in Asien spiele. Das ist jedoch nur teilweise richtig, wie eine differenziertere Analyse zeigt. In Abbildung 1.2 stellen wir mögliche Entwicklungen der Bruttoinlandsprodukte für ausgewählte Länder bis zum Jahr 2025 dar. Für China und Indien nehmen wir jährliche Wachstumsraten von 6 %, für Brasilien von 5 % an. Das sind über einen so langen Zeitraum ausgesprochen hohe Raten. Für die USA gehen wir von 2,5 %, für die EU (ohne Deutschland) von 1,5 % aus. Für Deutschland, das wir getrennt ausweisen, nehmen wir 1,5 % und für Japan 1 % Wachstum pro Jahr an. Diese Wachstumsannahmen stützen sich sowohl auf den »Global Economic Outlook 2012« des Conference Boards als auch den Report »World Order in 2050«. Es sei darauf hingewiesen, dass langfristige Prognosen des Bruttoinlandsprodukts gewagt sind. Hier geht es primär darum, eine wahrscheinliche Entwicklung im Kontext der globalen Ökonomie zu zeigen, nicht um eine möglichst treffsichere Prognose.
Die Abbildung 1.2 enthält einige deutliche Botschaften:
Auch im Jahr 2025 werden die USA noch die globale Nummer 1 sein.
Als einzelnes Land wird China zur klaren Nummer 2 in der Welt.
Selbst ohne Deutschland ist die EU in 2025 immer noch größer als China, inklusive Deutschland erreicht sie etwa das BIP der USA.
Japan bleibt Nummer 4.
Deutschland, Indien und Brasilien liegen in 2025 nahe beieinander.
Der Abstand zwischen China und Indien bleibt nicht nur groß, sondern nimmt in absoluten Zahlen sogar zu. Selbst wenn man für Indien eine Wachstumsrate von 8 % annimmt, wird es in diesem Zeitraum nicht zu China aufschließen.|16|
[Bild vergrößern]
Abb. 1.2: Bruttoinlandsprodukte für ausgewählte Länder und Regionen in 2010 und 2025
Die globale Musik im Jahr 2025 wird also nach wie vor sehr stark in den USA und in Europa spielen. Im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit der USA kommen Michael Porter und Jan Rivkin in einer Analyse zu folgendem Urteil: »The United States remains the world’s most productive large economy and its largest market for sophisticated goods and services, which stimulates innovation and acts as a magnet for investment.«3
Aber China kommt als sehr wichtiger dritter Spieler hinzu. Aus der bipolaren Bühne USA-Europa wird eine tripolare mit China als drittem Pol. Man beachte, dass diese Tripolarität nicht mit der von Ken-Ichi Ohmae in den 1980er Jahren propagierten »Triade« identisch ist. Ohmae sah in seinem seinerzeit viel beachteten Buch Macht der Triade Japan als dritten Pol neben Amerika und Europa.4 Walter Russell Mead sprach im gleichen Sinn von der »Trilateral Era«.5 Doch Japan hat aufgrund seiner Stagnation in den letzten 20 Jahren an Gewicht verloren. Dieser Trend dürfte sich fortsetzen. Auch Europa verliert an internationaler Bedeutung. Man kann auch von einer multipolaren Welt des Jahres 2025 sprechen, wobei neue Pole wie Brasilien und Indien aber ein deutlich geringeres Gewicht haben als die USA, die EU und China.6 Die Abbildung macht zudem deutlich, dass Deutschland |17|auch im Jahr 2025 noch in der Weltliga spielen wird, ob auf dem 5. oder 6. Platz ist dabei unwesentlich. Während sich die absoluten Bruttoinlandsprodukte stark verändern, bleiben die Verschiebungen in den Rangplätzen in den nächsten Jahren also eher gering.
Es ist hilfreich, diese absoluten und rangmäßigen Positionen der einzelnen Länder zu verstehen. Bei der Auswahl und Bearbeitung von Märkten geht es jedoch nicht nur um die Marktgröße, die wir durch das Bruttoinlandsprodukt messen, sondern genauso wichtig ist das Wachstum eines Marktes. Marktanteile lassen sich bekanntlich leichter in wachsenden als in stagnierenden Märkten gewinnen. Deshalb sollte man sowohl die Marktgröße als auch das Marktwachstum betrachten. Dies tun wir in Abbildung 1.3:
[Bild vergrößern]
Abb. 1.3: Bruttoinlandsprodukte 2025 und deren Zuwächse 2010 bis 2025
Auch diese Betrachtung führt zu wichtigen Erkenntnissen:
China hat den mit Abstand größten Zuwachs. Das ist nicht überraschend.
Aber die USA liegen im Zuwachs des BIP an zweiter Stelle und deutlich vor Indien und Brasilien. Das Startniveau spielt eben eine große Rolle, die ausschließliche Betrachtung von Wachstumsraten kann leicht in die Irre führen.|18|
Auch die EU weist einen beachtlichen Zuwachs auf, der ebenfalls über demjenigen von Indien und Brasilien liegt.
Zusammenfassend kommen wir zu dem Schluss, dass die Hidden Champions – und deutsche Unternehmen generell – zwei Prioritäten verfolgen müssen. Die erste Priorität ist dabei die Sicherung der Marktpositionen in den hochentwickelten Märkten Europas und Amerikas. Das alleine ist bereits eine große Herausforderung, denn viele deutsche Hidden Champions haben heute in den USA nicht so hohe Marktanteile wie in der übrigen Welt. Amerika bleibt in Zukunft ein enorm wichtiger Markt, nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch wegen des absolut hohen Zuwachses. Als zweite Priorität ist der Aufbau von starken Marktpositionen vor allem in China und nachfolgend in Indien und Brasilien zu nennen. Das ist ziemlich viel auf einmal beziehungswiese in wenigen Jahren. Und dabei haben wir bei dieser quantitativen Analyse weitere Wachstumsregionen wie ASEAN, Afrika und Osteuropa/Russland zunächst noch nicht einbezogen. Weiter unten werden wir uns diesen im Rahmen einer stärker qualitativ orientierten Betrachtung zuwenden.
Unsere Befunde, dass die globale Musik selbst in 2025 noch primär in Europa und Amerika spielen wird, setzen wir bewusst gegen die weitverbreitete Mode, die Zukunft ausschließlich in Asien und anderen Schwellenländern zu sehen.7 Populäre Aussagen wie diejenige, dass die »Schwellenländer die nächste Welle der Globalisierung vorantreiben«8, geben nur einen Teil der Wahrheit wieder. Auch Europa und die USA werden weiterhin entscheidend zum Wachstum Globalias beitragen. Abschließend sei daran erinnert, dass unsere Schlussfolgerungen von den Annahmen zu den Wachstumsraten abhängen. Fallen diese radikal anders aus, dann wird sich die Welt in 2025 entsprechend anders darstellen. Die Abweichungen von unseren Annahmen dürften sich jedoch in Grenzen halten, sodass die Aussagen in der Tendenz gültig bleiben dürften. Es sei ebenfalls betont, dass es sich hier um eine gesamtwirtschaftliche und keine branchenbezogene Analyse handelt. Für einzelne Branchen können die Entwicklungen total anders ausfallen. Schon heute ist China und nicht die USA für manche Produkte der größte Markt. Beispiele dazu folgen später.

Bevölkerungsdynamik in Globalia

Das Bruttoinlandsprodukt und dessen Zuwachs sind kurz- und mittelfristig die wichtigsten Indikatoren der Marktattraktivität. Je längerfristiger der Be|19|trachtungszeitraum jedoch wird, desto größeres Gewicht gewinnt die Bevölkerungsentwicklung. Hocheinkommensländer mit schrumpfender Bevölkerung offerieren langfristig keine günstigen Aussichten. Wächst hingegen die Bevölkerung und steigen die Pro-Kopf-Einkommen, dann gibt es gleich zwei Wachstumstreiber.
Abbildung 1.4 zeigt die Bevölkerungsentwicklung für wichtige Regionen und Länder zwischen 2010 und 2050. Hier legen wir einen wesentlich längeren Zeithorizont als beim Bruttoinlandsprodukt zugrunde. Es handelt sich um die Zahlen der offiziellen Prognose der UNO. Zum Zwecke einer einfachen Vergleichbarkeit der Veränderungen wurde der Index für 2010 auf 100 gesetzt.
[Bild vergrößern]
Abb. 1.4: Bevölkerungsentwicklung von 2010 bis 2050 für ausgewählte Regionen
Auch hier treffen wir auf Überraschungen. So findet der stärkste Bevölkerungszuwachs der nächsten Jahrzehnte nicht in Asien, sondern in Afrika statt. Die Bevölkerung Afrikas wird laut UNO-Prognose von 1,03 Milliarden in 2010 auf 1,99 Milliarden in 2050 wachsen. Der Zuwachs von 960 Millionen ist fast so groß wie der Zuwachs im absolut viel größeren Asien |20|von 1,07 Milliarden. Der Anteil Asiens an der Weltbevölkerung wird in den nächsten 40 Jahren von 60 auf 57 % zurückgehen, der Anteil Afrikas hingegen von 15 auf 22 % steigen. Manche Firmen, die heute schon auf Afrika setzen, werden gelegentlich nicht ganz ernst genommen. Es könnte sein, dass sie längerfristig genau richtig liegen – vorausgesetzt, Afrika entwickelt sich auch in wirtschaftlicher Hinsicht positiv.
Ähnlich wie Afrika, allerdings etwas weniger stark, werden die großen islamischen Länder Pakistan, Indonesien, Bangladesch, Ägypten, Iran, Irak und Afghanistan wachsen. Diese Länder haben in 2010 eine Bevölkerung von 799 Millionen. Sie wird bis 2050 um 51 % auf 1,21 Milliarden steigen.
Mancher Leser mag überrascht sein, dass die Bevölkerung Indiens weit weniger stark zunimmt als die Afrikas und der islamischen Länder. Dahinter steht dennoch ein absoluter Zuwachs von rund 400 Millionen Menschen. Erstaunlich ist zudem, dass die USA prozentual ähnlich stark wachsen wie Indien und dass die Bevölkerung Brasiliens in den nächsten 40 Jahren nur noch um 11 % wächst. Am geringsten verändert sich die Bevölkerungszahl bis 2050 in China.
Schrumpfen werden die Bevölkerungszahlen in Europa und noch stärker in Russland und in Japan. Bei Betrachtung der reinen Bevölkerungszahl wird eine dramatische Veränderung nicht sichtbar: die Verschiebung der Alterskohorten, also das Älterwerden der Bevölkerung. Dieses Phänomen ist allseits bekannt, die Auswirkungen dramatisch. Es würde hier zu weit führen, statistische Details darzustellen.
Der frühere australische Premierminister Paul Keating liefert eine Interpretation des Globalisierungsprozesses, die im Kontext der Bevölkerungsdynamik aufschlussreich ist. Über zwei Jahrhunderte habe die Produktivität des Westens die traditionelle Verbindung von Bevölkerung und Bruttoinlandsprodukt außer Kraft gesetzt. Die Globalisierung verteile die Produktivität wieder gleichmäßiger, woraus den bevölkerungsstarken Ländern ein Vorteil erwachse. Insofern kehre die Welt zu einer größeren Gerechtigkeit und Fairness zurück.9
Neben dem absoluten Wachstum der Bevölkerung werden Wanderungen in den nächsten Jahrzehnten bestimmend. Die Zahl der internationalen Flüchtlinge ist seit 1980 um das Fünffache gestiegen.10 Nach einer Gallup-Studie aus dem Jahr 2012 wünschen 1,1 Milliarden Menschen, das sind ein Viertel aller Erwachsenen, zumindest temporär in ein anderes Land zu ziehen, um dort Arbeit und bessere Lebensbedingungen zu finden. 630 Millionen würden gerne permanent in ein anderes Land auswandern.11 Zusammenzufassend zur globalen Bevölkerungsdynamik halten wir fest, dass die Weltbevölkerung nicht nur von heute 7 Milliarden bis zum Jahr 2050 um |21|2,24 Milliarden auf mehr als 9 Milliarden Menschen wächst, sondern dass dieses Bevölkerungswachstum regional extrem ungleich verteilt ist und massive Wanderungsbewegungen zu erwarten sind.
Mittelständischen Unternehmen, insbesondere solchen vom Hidden-Champions-Typ, fallen für diese Veränderungsprozesse wichtige Aufgaben zu. Hidden Champions aus den hochentwickelnden Regionen spielen bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze in den Schwellenländern eine Schlüsselrolle. Sie bilden junge Menschen aus, transferieren Know-how und verlagern ganze Wertschöpfungsketten, inklusive Forschung und Entwicklung, in weniger entwickelte Länder. Natürlich tun sie dies nicht aus Altruismus, sondern um die sich dort bietenden Geschäftschancen zu nutzen. Gleichzeitig entstehen in den Entwicklungsländern selbst neue Mittelständler, von denen hoffentlich viele Hidden Champions werden. Jedenfalls gilt das schon für China und Osteuropa.12 Mehr und mehr Schwellenländer erkennen, dass sie nicht allein auf Großunternehmen setzen dürfen, sondern die Entwicklung eines Mittelstands ein für sie besserer und sogar unverzichtbarer Weg ist.

Zukünftige Märkte

Nachdem wir Globalia, die globalisierte Welt der Zukunft, anhand der groben Aggregate Bruttoinlandsprodukt und Bevölkerung skizziert haben, lohnt es sich, einzelne Märkte der Zukunft näher zu betrachten. Wo stehen sie und wie werden sie sich weiterentwickeln? Welche Chancen bieten sie den Hidden Champions?

China und Indien

Bei Asien denkt man heute vor allem an China und Indien. Mit rund 2,6 Milliarden Menschen stellen diese beiden Länder 62 % der Bevölkerung Asiens, die bei 4,2 Milliarden liegt. China und Indien werden wegen ihrer ähnlichen Bevölkerungszahlen gerne in einem Zug genannt und als ähnlich angesehen. Doch wie schon in den Abbildungen 1.2 und 1.3 deutlich wurde, ist das eine grobe Fehlwahrnehmung. Im Hinblick auf ihre Rolle in der Weltwirtschaft, ihren Entwicklungsstand und ihre Gesellschaften sind diese beiden Länder äußerst verschieden. Das Über-einen-Kamm-Scheren rührt offenbar aus der Ähnlichkeit von Bevölkerungszahl und Wachstumsraten. Doch das sind auch schon die wichtigsten Parallelen. Man könnte sogar be|22|haupten, dass China und Indien vor 35 Jahren wirtschaftlich ähnlicher waren als heute. In den siebziger Jahren lag das Pro-Kopf-Einkommen in beiden Ländern auf vergleichbarem Niveau. Seitdem hat es sich in China etwa verneunfacht, in Indien hingegen nur versechsfacht. Per 2010 übertrifft das chinesische Bruttoinlandsprodukt pro Kopf mit 4 382 Dollar das indische, das nur 1 632 Dollar erreicht, um mehr als das Zweieinhalbfache. Aber holt Indien nicht auf? Nicht wirklich! Oder: Zumindest bisher nicht! Von 2000 bis 2010 hat sich der Abstand sogar vergrößert, und zwar sowohl prozentual als auch absolut. In jedem einzelnen dieser Jahre war die reale Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts in China höher als in Indien. In den letzten Jahren hat sich sogar der prozentuale Abstand im Bruttoinlandsprodukt pro Kopf erhöht. Und wie Abbildung 1.2 zeigte, wird sich diese Tendenz im nächsten Jahrzehnt fortsetzen, es sei denn, China fällt im Wachstum stark zurück und Indien erreicht deutlich höhere Wachstumsraten.
In Indien ist die Armut nach wie vor ein großes Problem. Nach einem von der »Oxford Poverty and Development Initiative« in Zusammenarbeit mit der UNO im Jahr 2010 neu entwickelten Indikator für Armut gibt es in acht indischen Staaten (von insgesamt 28 Bundesstaaten) mehr Arme als in allen 26 afrikanischen Ländern zusammen.13 Die Zahl der unterernährten Menschen in Indien ist weiterhin im Ansteigen begriffen.14 Widersprüchlich ist zudem der Zugang zu moderner Infrastruktur. So heißt es »more Indians have access to cell phones than to toilets«.15
Aber ist Indien nicht das Software- und IT-Kompetenzzentrum der Zukunft? Auch diesen Aspekt muss man, zumindest heute noch, realistisch beurteilen. Von den 524 Millionen Indern, die überhaupt Arbeit haben, sind lediglich 2,2 Millionen, also 0,4 %, in der Informationstechnologie beschäftigt. Insgesamt arbeiten 93 % der Inder außerhalb der formalen Wirtschaft.16
Eklatant sind auch die Unterschiede im Außenhandel. China exportierte 2010 Waren im Wert von 1 578 Milliarden Dollar und belegte damit Rang 1 der Exportnationen. Indiens Exporte erreichten in 2010 mit 220 Milliarden Dollar weniger als ein Siebtel des chinesischen Wertes. Während China einen positiven Handelsbilanzsaldo von 182 Milliarden Dollar aufweist, liegt Indien mit 48 Milliarden Dollar im Minus. Diese Zahlen zeigen, dass beide Länder völlig unterschiedlich in die Weltwirtschaft integriert sind. Selbst die Berücksichtigung der indischen Dienstleistungsexporte ändert dieses Bild nicht wesentlich.
Ganz anders sieht es bei der Altersstruktur der Bevölkerung aus. China hat knapp 1,35 und Indien hat 1,2 Milliarden Menschen. Doch in Indien sind circa 31 %, also 370 Millionen Menschen, unter 15 Jahren alt, in China »nur« 260 Millionen, also rund 19 % der Gesamtbevölkerung. China altert |23|rapide. Indien ist jung. In wenigen Jahrzehnten wird Indien mehr Menschen haben als China. Im Hinblick auf die Bevölkerung ist Indien der Markt der Zukunft, nicht China.
Doch die Unterschiede in den sozialen Gegebenheiten und den Humanressourcen gehen tiefer. Die Einkommensdifferenzen sind in China deutlich ausgeprägter als in Indien. China hat einen Gini-Index von 46,9, Indien einen solchen von 36,8, zum Vergleich: Deutschland liegt bei 28,3.17 Extreme Einkommensdiskrepanzen beinhalten mehr sozialen Sprengstoff als absolut niedrige Einkommen, die nicht mit einer sehr starken Ungleichverteilung einhergehen. Ein Problem liegt auch darin, dass China bisher kein ausreichendes System zur Alterssicherung hat. Das gilt natürlich erst recht für Indien.
Sehr groß sind die Unterschiede zwischen den beiden Ländern beim Bildungsstand. Nur 17 % der Chinesen sind Analphabeten, hingegen 40 % aller Inder. Umgekehrt dürfte Indien in der Top-Universitätsausbildung die Nase vorne haben. Die sieben Indian Institutes of Technology entlassen pro Jahr etwa 4 000 »Bachelors of Technology«, die aus 200 000 Bewerbern ausgesucht wurden. Viele dieser Absolventen gehen nach Amerika und füllen dort die Pipeline für den akademischen Nachwuchs. In Feldern wie Operations Research, Statistik, Finanz oder Marketing dürften heute etwa ein Drittel aller amerikanischen Professoren indischer Abstammung sein. Indien ist ein Großlieferant von intellektuellem Kapital mit Weltklasseniveau. Das hat zwangsläufig eine Kehrseite, auf die das folgende Zitat eindrücklich hinweist: »India trumpets its remarkable achievements, yet seems in danger of losing the very bright, multilingual global souls who may, in fact, be its single best hope.«18 Für die internationale Talentgewinnung sowie die zukünftige Ansiedlung von Forschungs- und Entwicklungszentren hat das intellektuelle Kapital Indiens schon heute große Bedeutung. Das zeichnet sich bereits in vielen aktuellen Fällen ab, wie Beispiele aus der IT- und der Automobilindustrie, dem Maschinenbau oder der Windenergie zeigen. Doch auch in China siedeln zahlreiche deutsche Unternehmen, darunter viele Hidden Champions, neue Forschungs- und Entwicklungszentren an.
Umgekehrt hat China beim Ausbau einer modernen Infrastruktur einen riesigen Vorsprung. Die in der Architektur futuristischsten Städte der Welt findet man heute in China – Peking nach den Olympischen Spielen 2008, Shanghai nach der Expo 2010. Diese Städte sind zu Leuchttürmen moderner Infrastruktur geworden. Das ist weithin bekannt. Ins Staunen kommt man aber auch immer wieder, wenn man in China eine der über 50 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern besucht. Diese Städte sind – zumindest in den Zentren – oft gleichermaßen modern wie die Megacities. Außerdem |24|verfügt China über ein weit ausgebautes Netz an Highways/Autobahnen und Hochgeschwindigkeitsstrecken. Der weltweit bisher einzige Transrapid im Regelbetrieb – der Shanghai Maglev Train (SMT) – verkehrt zwischen Shanghai und dem Flughafen Pudong mit einer Maximalgeschwindigkeit von 432 km/h. Da Hidden Champions stark im Hightechbereich engagiert sind, haben solche Entwicklungen für sie hohe Bedeutung.
Führende indische Ballungszentren wie Mumbai (Bombay), Chennai (Madras) oder Bengaluru (Bangalore) stehen hingegen kurz vor dem Verkehrskollaps. Der Mangel an modernen Autobahnen/Highways und Zugverbindungen erschwert das Leben in diesen Städten auf eine fast unerträgliche Weise. Nicht nur große Infrastrukturprojekte, sondern auch private Großinvestitionen sind von dieser Lähmung betroffen. So verhinderten im Herbst 2008 lokale Proteste die Inbetriebnahme der Produktionsstätte für das Billigauto Tata Nano. Tata, einer der führenden indischen Konzerne, musste die vor der Fertigstellung stehende Fabrik wieder abreißen und in einem anderen Staat neu bauen. Diese Vorfälle führten zu einer erheblichen Verzögerung bei der Markteinführung des Nano.
Schaut man sich die Unternehmensszene an, so fällt auf, dass mehr indische Großunternehmen international bekannt sind als chinesische. Zum einen gibt es in Indien sehr große Konglomerate wie Tata oder Reliance. Tata beispielsweise erzielte 2010 einen Umsatz von über 83 Milliarden Dollar und hat 424 000 Beschäftigte. In einer weltweiten Studie zur Reputation von Unternehmen landete Tata auf einem hervorragenden elften Platz, der Chairman Ratan Tata ist einer der international bekanntesten Topmanager. Noch bekannter dürfte der indischstämmige Lakshmi Mittal sein, der Arcelor-Mittal, den größten Stahlhersteller der Welt, führt. Weltunternehmen sind auch die indischen IT-Dienstleister Infosys, Wipro oder Tata Consultancy Services, die jeweils über 100 000 Mitarbeiter beschäftigen. Im Verhältnis dazu gibt es relativ wenige chinesische Firmen, die sich im Bekanntheitsgrad und in der Reputation einen hohen Rang im Weltmaßstab erkämpft haben. Dazu zählen Haier bei elektrischen Haushaltsgeräten, Lenovo bei Computern sowie Huawei und ZTE bei Telekommunikationsausrüstungen. Wenn man von den riesigen Staatsunternehmen und vor allem landesintern aktiven Firmen wie China Mobile, Post, Banken etc. absieht, dann ist die internationale Aktivität Chinas stark durch Mittelständler geprägt. So stammen 68 % aller chinesischen Exporte von Firmen mit weniger als 2 000 Mitarbeitern.19 China hat insofern eine gewisse Strukturähnlichkeit mit Deutschland.
Große Differenzen sind auch bei der Präsenz ausländischer Investoren in China und Indien erkennbar. Die Big Players sind heutzutage überall anzu|25|treffen. Bei international aktiven Mittelständlern und insbesondere den Hidden Champions gibt es derzeit noch eine deutlich stärkere Präsenz in China. Manche Unternehmen sind sogar entschlossen, China zu ihrem zweiten Heimatmarkt zu machen, und handeln entsprechend. Ein besonders prominentes Beispiel ist Danfoss, der dänische Weltmarktführer für Kälteregelungstechnik mit einem Umsatz von circa 4,24 Milliarden Euro in 2010. CEO Jørgen M. Clausen erklärt und wiederholt beständig: »China will be our second home market.« Clausen tut alles, um diese Vision Realität werden zu lassen. Dabei treibt ihn sein Ehrgeiz weiter voran: »We’re growing by around 35 % in China and we’re making good money, but are we doing enough?« So hat er sogar das dänische Königspaar in China zum Einsatz gebracht und die Chinesen damit mächtig beeindruckt. Für Phoenix Contact, den ostwestfälischen Interface-Hidden-Champion, ist China nach den Worten von Geschäftsführer Frank Stührenberg »der zweitgrößte Markt nach Deutschland und vor den Vereinigten Staaten«.
Ebenso spricht Volvo-CEO Stefan Jacoby nach der Übernahme durch den chinesischen Autohersteller Geely von »China als zweitem Heimatmarkt«. Auch der Premium-Autohersteller Audi erklärte China schon früh zu seinem zweiten Heimatmarkt. Die Volkswagen-Gruppe verkaufte im Jahre 2011 in China 2,26 Millionen Fahrzeuge, das waren fast 28 % der in aller Welt von VW verkauften 8,16 Millionen Autos. Sowohl für die Volkswagen-Gruppe als auch für Audi war China in 2011 erstmals der größte Absatzmarkt der Welt.20 Selbst für einen Nischenanbieter wie Porsche wurde China nach den USA in 2012 zum zweitgrößten Markt der Welt.21 Getrag, ein führender Getriebehersteller, will den Umsatz in China von 276 Millionen Euro im Jahr 2011 auf eine Milliarde in 2016 steigern.22 Und die Relationen werden sich weiter zugunsten Chinas verschieben. Bis 2015 soll die Kapazität der chinesischen Autofabriken auf 37 Millionen Fahrzeuge pro Jahr steigen. Zum Vergleich: In Europa werden derzeit 13 Millionen Autos verkauft.23 Deutlich konservativer fällt die Schätzung des Autoexperten Ferdinand Dudenhöffer aus. Er erwartet für 2015 in China einen Absatz von 15 Millionen (USA 15,9) und für 2025 von 28 Millionen (USA 17) Fahrzeugen.24 Diese Diskrepanzen deuten an, dass sich solche Entwicklungen nur mit großer Unsicherheit prognostizieren lassen.
Gerade auch bei Luxusprodukten nimmt die Bedeutung des chinesischen Marktes rapide zu. Im Jahr 2011 stieg der Export von Schweizer Luxusuhren nach China um 49 %, China wurde damit zum drittwichtigsten Markt der Welt. Der größte Markt für diese Produkte ist Hongkong, seinerseits ein Teil Chinas, noch vor den USA.25 Doch der Luxusgüter-Markt wird in China weiterhin rasant wachsen, laut einer Prognose von McKinsey sogar um 18 % |26|pro Jahr bis 2015.26 Ferdinando Beccalli-Falco, Chef von General Electric International, sagte: »Wir müssen chinesischer werden als die Chinesen.«27 – vielleicht ein bisschen übertrieben, aber in der Tendenz richtig. Manche Hidden Champions nehmen das wörtlich. Die Kölner Firma Igus, Weltmarktführer bei Kunststoff-Gleitlagern und Energieketten, hat sich sogar den Satz »Der beste Chinese kommt aus Köln« markenrechtlich schützen lassen.
In vielen Sektoren hat China die USA als größten Markt überholt oder wird dies in naher Zukunft tun:28
2007: Stahlverbrauch, Mobiltelefone, Exporte
2010: Energieverbrauch, Autos, Patente
2014: Einzelhandelsumsatz, Importe
Oliver Wack vom Branchenverband VDMA sagt: »China ist für deutsche Maschinen- und Anlagenbauer seit 2009 der wichtigste Markt.«29 Diese Chancen darf sich kein Unternehmen mit globalen Ambitionen entgehen lassen. Das gilt für große wie für mittelständische Firmen.
China bietet Hunderte von Industrieparks mit exzellenter Infrastruktur. Eine dieser Anlagen, welche ich aus eigener Erfahrung gut kenne, ist die Wujin High-Tech Industriezone in der Jiangsu-Provinz. Wujin hat zahlreiche Hidden Champions wie z.B. Bosch Rexroth (Weltmarktführer für Hydraulik), Karl Mayer (Weltmarktführer für Trikotmaschinen), Stabilus (Weltmarktführer für Gasfedern und hydraulische Schwingungsdämpfer), Mettler Toledo (Weltmarktführer für Präzisionswaagen), MAN Turbo (führendes Unternehmen für Turbomaschinen) oder Leoni (Weltmarktführer für Bordnetz-Systeme/Automobilkabel) als Investoren gewonnen. Auch die in der Nähe liegenden älteren Industriezonen Wuxi und Suzhou sind bei Hidden Champions aus dem deutschsprachigen Raum beliebt. Die Präsenz deutscher Firmen und insbesondere der Hidden Champions in China ist beeindruckend. Wir hören oft, dass China die »Fabrik der Welt« werden soll – eine Behauptung, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als richtig erweisen dürfte. China ist der Markt der Zukunft für Zulieferindustrie, Maschinenbau und Anlagenbauer und damit für viele Hidden Champions.
Auch Indien hat viele exzellente Unternehmen anziehen können. In der Regel haben diese jedoch in Indien kleinere Niederlassungen als in China. Groz-Beckert, Weltmarktführer für Industrienadeln, eröffnete seine Fabrik in Indien bereits in den 60er-Jahren. Volkmann, ein Unternehmen der Oerlikon Saurer Gruppe und mit einem Weltmarktanteil von 35 % Marktführer für Zwirnmaschinen, ging schon 1981 ein Joint Venture in Indien ein. Marquardt, Weltmarktführer für Werkzeug- und Automobilschalter, betrat 1996 beide Märkte gleichzeitig. Hella, als führender Hersteller von Scheinwer|27|fern, Hupen und Elektronik, ist seit 1959 in Indien. Nach dem Bruch mit dem Partner im Gemeinschaftsunternehmen ist Hella seit 2001 durch das Joint Venture Interdis mit der Firma Leoni mit vier Niederlassungen in Indien vertreten. Auch der Getriebespezialist Getrag hat für 2014 die Eröffnung einer Fabrik in Indien angekündigt.30 Die Gewichtung verschiebt sich allmählich von China nach Indien.
Ein Hidden Champion, der Indien besondere Aufmerksamkeit widmet, ist Claas. Die Firma aus Harsewinkel in Westfalen fertigt dort bereits seit vielen Jahren Reismähdrescher für den gesamten asiatischen Raum. 2007 wurde im Norden des Landes eine zweite Mähdrescher-Fabrik eröffnet. Zudem befindet sich eine der beiden globalen Beschaffungsplattformen in Indien (die andere ist in Ungarn angesiedelt). Claas India soll den gesamten Einkauf aus Asien koordinieren. Semikron, Marktführer bei Dioden- und Thyristorhalbleitermodulen, schätzt an Indien die hervorragenden rechtlichen und wirtschaftlichen Bedingungen. Betrachtet man Indiens umfangreiches Gleisnetz, so stellt man einen engen Bezug zum österreichischen Hidden Champion Plasser & Theurer fest. Die indische Bahnverwaltung vertraut seit Gründung der dortigen (Produktions-)Niederlassung im Jahr 1966 auf Maschinen von Plasser & Theurer.
Seit geraumer Zeit erkannten neben dem produzierenden Gewerbe auch Service-Unternehmen die Chancen, welche ihnen China bietet. Die Dussmann Gruppe, eines der weltweit größten Dienstleistungsunternehmen, beschäftigt in China circa 2 700 Mitarbeiter. Bereits 1999 gründete die Deutsche Messe AG die Hannover Fairs Shanghai Ltd., um Aussteller zu akquirieren sowie Handelsmessen vor Ort zu organisieren. Würth, der weltweit führende Großhändler für Montageprodukte, verfügt über 31 Gesellschaften in China, Demag Cranes über 24 Servicezentren. Der Ventilator-Hidden-Champion EBM Papst hat nach den Worten von Hans-Jochen Beilke, des Vorsitzenden der Geschäftsführung, in China 17 Vertriebsstandorte und beschäftigt dort 1 400 Mitarbeiter. Im Dienstleistungssektor ist Indien China jedoch voraus und es ist unwahrscheinlich, dass sich daran in naher Zukunft viel ändern wird. In vielen Bereichen hat es Indien geschafft, sich als globales Kompetenzzentrum für Dienstleistungen zu positionieren. So gliederten viele international agierende Unternehmen administrative Funktionen nach Indien aus (insbesondere nach Bengaluru, Mumbai, Chennai). Alleine in Bengaluru haben die Deutsche Bank, SAP, Siemens und Bosch jeweils Tausende von Mitarbeitern. Die Tatsache, dass die meisten Inder die englische Sprache beherrschen, sowie die weitverbreitete Technologie-Affinität haben zu dieser bemerkenswerten Entwicklung beigetragen.|28|

China heißt nicht mehr billig

Chinesische Unternehmen dürften zu den schärfsten und gefährlichsten Konkurrenten der Hidden Champions werden. Diese Tendenz wird sich in den nächsten Jahren verstärken. Eine Fallstudie der chinesischen Firma Sany illustriert dies. Als ich 2010 die Betonpumpenfabrik von Sany in Changsha, der Hauptstadt der Provinz Hunan, zum ersten Mal besuchte, wurde ich überrascht. In der neuen Fabrik standen LKW-Chassis von Mercedes und Volvo aufgereiht. Auf meine Erstaunensäußerung erhielt ich die Antwort: »Wir montieren unsere Betonpumpen nur auf den besten LKWs der Welt.« Beim weiteren Rundgang durch die Fabrik sah ich dann Dieselaggregate von Deutz, Hydraulik von Bosch Rexroth und Steuerungen von Siemens. Und überall die gleichen Kommentare: »Wir verwenden nur die besten Komponenten, die es auf der Welt gibt.« Diese Einstellung scheint in China kein Einzelfall zu sein. So sagt Franz Michael Oppermann, Geschäftsführer der Gildemeister-Tochter DMG (Shanghai) Machine Tool Corporation: »Viele Kunden wollen deutsche Komponenten in den Maschinen haben.«31
Im Sommer 2011 hat Sany in Bedburg bei Köln die erste Greenfield-Fabrik eines chinesischen Unternehmens in Europa eröffnet. Auch hier fragte ich, warum man gerade den sehr teuren Standort Deutschland ausgesucht habe. Die Antwort: »Wir wollen ein Weltklasseunternehmen werden, und als solches müssen wir am besten Produktionsstandort in der Welt vertreten sein.« Im Jahr 2009 ließ Sany bei Betonpumpen den langjährigen deutschen Weltmarktführer Putzmeister, einen klassischen Hidden Champion, hinter sich. Und im Januar 2012 schlug die Nachricht wie eine Bombe ein, dass Sany Putzmeister übernimmt. Ein chinesisches Unternehmen wird mit Produkten, deren Qualität man von Chinesen bisher nicht erwartet hat, Weltmarktführer und kauft die frühere Nummer 1 aus Deutschland. Diese Strategie zielt nicht nur auf technologisches Know-how ab, sondern dient auch dem Erwerb eines bekannten Markennamens. Auf der Hannover Messe 2012 bemerkte der chinesische Regierungschef Wen Jiabao: »Wir wollen unsere Unternehmen darin unterstützen, starke Marken und Vertriebsnetze aufzubauen.«32 Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass mittlerweile ein chinesisches Unternehmen, der Telekommunikationsausrüster Huawei, die meisten Patente in der Welt anmeldet. Und seit 2012 ist China das Land, das insgesamt die meisten Patente in der Welt anmeldet.33 Unsere Hidden Champions müssen sich wappnen.
Die Putzmeister-Übernahme steht keineswegs alleine da. Chinesen kaufen vermehrt Firmen in Deutschland und Europa auf. So sind die Maschinenbauer Schiess (seit 2004), Waldrich Coburg (seit 2005) und Dürrkopp Adler |29|(seit 2005) bereits länger in chinesischen Händen. Im Jahr 2011 hat es mit Medion, KSM Castings, Sellner und Saargummi mehrere Übernahmen deutscher Firmen durch chinesische Käufer gegeben. In 2010 wurde die schwedische Volvo Cars vom chinesischen Autohersteller Geely übernommen.34 Und bereits kurz nach Sany-Putzmeister folgte 2012 die nächste Übernahme eines weiteren deutschen Hidden Champions durch ein chinesisches Unternehmen. Der Weltmarktführer bei Autoschließsystemen, die Kiekert AG, wurde von der chinesischen Firma Lingyun gekauft. Kiekert war nach einem Lieferstopp bei Ford im Jahr 2000 in die Hände von Private-Equity-Investoren geraten und hat seither eine recht wechselvolle Entwicklung hinter sich, konnte aber seine Rolle als Weltmarktführer im Jahr 2011 mit mehr als 41 Millionen produzierten Schließsystemen verteidigen. Kurze Zeit später wurde verkündet, dass auch die frühere globale Nr. 2 bei Betonpumpen, die Firma Schwing aus Herne, in chinesische Hände gerät.35 Peter Marsh, Produktionsexperte der Financial Times, warf die Frage auf, ob es sich bei den von Chinesen übernommenen Hidden Champions um Firmen handelt, die nicht an der Hightechfront brillieren. Wenn diese These stimmt, dann wäre keine regelrechte Übernahmewelle zu erwarten. Ich denke, die These von Marsh hat einiges für sich.
Der Experte Wang Wie von KPMG schätzt die Zahl der Übernahmen deutscher durch chinesische Unternehmen seit 1997 auf etwa 50.36 Das ist noch keine hohe Zahl, aber die Tendenz ist stark steigend. Insgesamt sind per 2012 rund 700 chinesische Firmen in Deutschland mit 6 660 Beschäftigten aktiv.37 Und einer Studie von Germany Trade and Investment zufolge ist China in 2011 zum wichtigsten ausländischen Investor in Deutschland aufgestiegen.38 158 Projekte stammen aus China, an zweiter Stelle liegen die USA mit 110 Projekten. Die Chinesen sind selbst zu Getriebenen geworden und haben keine andere Wahl, als sich qualitativ und preislich höher zu positionieren. Streiks nehmen zu, und die Firmen müssen massive Lohnerhöhungen akzeptieren. Die Zeit der billigen Löhne ist zumindest in den höher entwickelten Gebieten Chinas vorbei. Die Chinesen sind sich sehr bewusst, dass es in Asien und anderswo Milliarden von Menschen gibt, die bereit sind, zu deutlich niedrigeren Löhnen als Chinesen zu arbeiten. Die Pro-Kopf-Einkommen sprechen eine deutliche Sprache. Sie liegen in Indien fast zwei Drittel unter dem chinesischen Niveau und in Bangladesch bei weniger als einem Sechstel. Die Kosten chinesischer Produkte werden weiter steigen. Das zwingt die Hersteller, sich preislich höher zu positionieren.39 Dies wiederum gelingt nur, wenn die Produkte qualitativ besser und innovativer werden.
Genau dies versucht die Luxus-Marke Shang Xia unter dem Dach von Hermes mit ihrer Rückbesinnung auf Handwerkskunst und langjährige chi|30|nesische Tradition zu erreichen. Nach der Eröffnung des ersten Ladens in Shanghai 2010 wird man in Kürze auch in Paris und Peking Kleidung, Schmuck und Möbel des eindeutig chinesisch positionierten Luxus-Labels erwerben können – Nachfrage besteht gleichermaßen bei chinesischen und ausländischen Kunden.40 Durch bessere Qualität, steigende Innovation und Abkehr von dem negativen »Made in China«-Image werden chinesische Hersteller zu gefährlichen Rivalen der Hidden Champions.
Selbst in Entwicklungsländern greifen die Chinesen mit zunehmend werthaltigeren Produkten an und konkurrieren nicht mehr nur mit niedrigsten Preisen. So schreibt die Financial Times zum sehr erfolgreichen Vorgehen chinesischer Firmen in Afrika: »The success of Chinese companies is about more than being cheap. Improvements in quality and better cooperation have been crucial.«41 Mittelfristig ist klar, wohin die Reise für Unternehmen wie die Hidden Champions, die im globalen Wettbewerb der Zukunft mithalten wollen, geht. Sie müssen sowohl in China als auch in Indien starke Marktpositionen aufbauen. China ist derzeit Indien ungefähr zehn Jahre voraus. Aber Indien wird aufholen. Obwohl die zwei Länder sich in vielerlei Hinsicht unterscheiden, wird ihr zukünftiges Wachstum ähnlich ausfallen. Viele Wege führen nach Rom. Da beide Märkte weiterhin hohe Investitionen und Anstrengungen erfordern, ist eine richtige Prioritätensetzung wichtig.

ASEAN-Staaten

Eine Region, die erhöhte Aufmerksamkeit seitens deutscher Unternehmen verdient, sind die sogenannten ASEAN-Staaten. ASEAN steht für Association of Southeast Asian Nations. Diese Staatengemeinschaft umfasst heute zehn südostasiatische Länder mit einer Bevölkerung von rund 600 Millionen, ist also bevölkerungsmäßig größer als die Europäische Union mit 500 Millionen Einwohnern.42 Allerdings liegt das kombinierte ASEAN-Bruttoinlandsprodukt mit circa 1 800 Milliarden Dollar weit unter demjenigen der Europäischen Union, das 2010 rund 15 000 Milliarden Dollar ausmachte. Die ASEAN-Region verspricht für die kommenden Jahre ein anhaltendes Wachstum und gilt auch als attraktiver Standort für Produktionsbetriebe, die wegen der steigenden Kosten aus China abwandern. Insgesamt kann man sagen, dass die Attraktivität von ASEAN für die Hidden Champions schnell zunimmt. Kärcher ist zum Beispiel als größter Reinigungsgerätehersteller weltweit bereits in jedem einzelnen der ASEAN-Mitgliedstaaten vertreten.|31|

Japan

Japan spielt, als hoch entwickelter und damit reifer Markt, innerhalb Asiens eine Sonderrolle. Das Bruttoinlandsprodukt Japans ist das dritthöchste in der Welt und liegt mit rund 5,5 Billionen Dollar um 2 Billionen Dollar über demjenigen Deutschlands. Die Kaufkraft der Japaner ist also hoch. Schlechter bestellt ist es um das Wachstum in Japan. Im Kontext der Prognose in Abbildung 1.2 haben wir es mit 1 % angesetzt. Von der einst stolzen Exportnation, die große Handelsüberschüsse erwirtschaftete, ist nicht viel übrig geblieben. Im Jahr 2011 rutschte Japan zum ersten Mal seit 1980 in ein Handelsbilanzdefizit.43 Die Licht- und Schattenseiten des japanischen Marktes treten zunehmend schärfer hervor, einerseits ein großer Markt mit hoher Kaufkraft, andererseits ein Markt mit geringem Wachstum und schrumpfender Bevölkerung. Dennoch wird Japan auch im Jahr 2025 noch die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt sein.
Trotz seines fortgeschrittenen Entwicklungsstandes muss man Japan aus deutscher Sicht nach wie vor als Zukunftsmarkt bezeichnen. Die Beziehung der Hidden Champions und deutscher Unternehmen generell zu Japan bleibt widersprüchlich. Die Attraktivität des japanischen Marktes wird von vielen mit Skepsis betrachtet. Japanische Kunden beurteilt man als besonders anspruchsvoll. Die Eintrittsbarrieren sowohl institutioneller Art, zum Beispiel in den Distributionskanälen, als auch kultureller Art werden als hoch angesehen. Andererseits sind japanische Großunternehmen auf großen Märkten wie Automobilindustrie, Elektronik oder Kameras weltweit führend und müssten insofern für Hidden Champions als Schlüsselkunden gelten.
Die japanische Nachfrage nach qualitativ hochwertigen und teuren Konsumgütern, wie sie Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum bevorzugt anbieten, boomt. Es kommt hinzu, dass die deutschen Firmen, die in Japan seit langem präsent und erfolgreich sind, sehr gut verdienen – anders als in China. Als Beispiele seien Merck mit Flüssigkristallen, Weinig bei Holzbearbeitungsmaschinen oder A. Lange & Söhne bei Luxusuhren genannt. Auch Bosch ist in Japan sehr erfolgreich und mit 8 000 Mitarbeitern das größte deutsche Unternehmen im Lande. Man liegt sicher nicht falsch, die starke Präsenz in Japan als einen wesentlichen Pfeiler zur dauerhaften Sicherung der Weltmarktführerschaft von Bosch in der Automobilelektronik zu interpretieren. Das gleiche Argument könnte für viele Hidden Champions Gültigkeit gewinnen. Rüdiger Kapitza, Chef des Maschinenbauers Gildemeister, bezeichnet Japan sogar als zweiten Heimatmarkt für sein Unternehmen.44 Gildemeister ist eine Partnerschaft mit gegenseitiger Beteiligung mit |32|dem japanischen Hidden Champion Seiki Mori eingegangen. Auch die Firma Lenze, Nr. 2 in der Welt bei automatisierten Antriebssystemen, hat sich schon 1972 durch ein Joint Venture mit dem japanischen Halbleiterproduzenten Miki Zugang zum japanischen und südostasiatischen Raum verschafft.
Seit 1983 besuche ich Japan regelmäßig. Einer der erstaunlichsten Eindrücke ist, dass sich seither bezüglich Marktpräsenz und Erfolg deutscher Unternehmen wenig geändert hat.45 Die Firmen, denen man heute begegnet und die dort mit Erfolg arbeiten, sind die gleichen wie vor 30 Jahren. Nur wenige neue sind hinzugekommen. Ein jüngeres Erfolgsbeispiel ist der Hidden Champion Brainlab, Weltmarktführer in der chirurgischen Positionierungstechnologie, der 10 % seines Umsatzes in Japan erzielt. Auch Kern- Liebers, Weltmarktführer bei Federn für Sicherheitsgurte, und Scherdel, Weltmarktführer bei Ventil-/Kolbenringfedern, ist der Eintritt in die japanische Autoindustrie gelungen. Woran liegt es, dass viele deutsche Unternehmen und selbst Hidden Champions trotz dieser positiven Aspekte nach wie vor einen Bogen um Japan machen? Jeder weiß, dass der Markteintritt in Japan extrem schwierig ist. Das gilt am stärksten für die Gewinnung japanischer Großkonzerne als Kunden. Es ist aber ebenfalls bekannt, dass sich nach erfolgter Akzeptanz in aller Regel sehr lukrative, dauerhafte Lieferbeziehungen entwickeln. Das Verhältnis zwischen hoher Anfangsinvestition und langfristigem Ergebnis ist also keineswegs unausgewogen. Man könnte sogar sagen, dass es zu der betont langfristigen Orientierung der Hidden Champions passt. Man braucht in der Tat in Japan Geduld und einen langen Atem. Normalerweise sind das genau die Eigenschaften, durch die sich Hidden Champions auszeichnen. Die meisten deutschen Produkte, insbesondere der Hidden Champions, passen zu einem Hocheinkommensland wie Japan.46 Diese Produkte richten sich an wohlhabende Leute, die sich eine Bulthaup-Küche oder eine Miele-Waschmaschine leisten können. Und diese Segmente sind in Japan sehr groß, während sie in den meisten Schwellenländern trotz der zunehmenden Zahlen von Superreichen noch klein sind.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass diejenigen Hidden Champions, die in Japan ernsthaft und seit längerem engagiert sind, dort mit Erfolg arbeiten und hohe Renditen erzielen. Diejenigen, die sich immer noch nicht an den japanischen Markt herantrauen oder allenfalls »einen Zeh im Wasser« haben, sollten Japan endlich entschieden angehen und dabei den Markteintritt sehr professionell vorbereiten. Weltmarktführerschaft ohne eine angemessene Präsenz im japanischen Markt ruft ein Störgefühl hervor.|33|

Asien nach der Krise

Die Krise nach 2007 hat eine massive Verschiebung der Umsatzanteile zulasten von Europa und Amerika und zugunsten von Asien bewirkt. Diese Verlagerung wird andauern.47 Heraeus erzielte im Jahr 2007 42 % seiner Umsätze in Europa und 39 % in Asien.48 In 2011 kamen hingegen 55 % der Erlöse aus Asien und nur noch 29 % aus Europa. In 2007 machten die europäischen Umsätze also 108 % der asiatischen aus. Vier Jahre später sind es noch 53 % – spektakulärer kann ein Wandel kaum sein. Der Vorstandsvorsitzende eines großen Maschinenbauzulieferers sagte mir, dass sein Unternehmen vor der Krise eine Angleichung der Umsatzanteile von Europa und Asien für 2020 erwarte habe. Mit dem starken Einbruch der Nachfrage in Europa und dem gleichzeitig nachhaltigen Wachstum in Asien werde diese Angleichung bereits im Jahr 2012 erreicht. Durch diese Entwicklung sei eine große Diskrepanz zwischen der Wertschöpfung, die noch zu etwa zwei Dritteln in Deutschland angesiedelt sei, und den asiatischen Absatzmärkten entstanden. Im Vergleich zu den früheren Planungen sei eine massive und wesentlich schnellere Verlagerung der Kapazitäten von Europa nach Asien unausweichlich. Angesichts der durch die Krise geschwächten Finanzkraft stehe das Unternehmen vor großen Herausforderungen.
Albert Hieronimus kommentierte als Vorstandsvorsitzender des Maschinenbaukonzerns Bosch Rexroth zum Wachstum in Asien: »Wir werden daran nur partizipieren können, wenn wir dort Kompetenz aufbauen und Entwickler vor Ort haben, die die Marktanforderungen kennen.«49 Und er fügt hinzu, dass 90 % des für diese Aufgaben benötigten Personals aus der jeweiligen Region stammen müsse, da nur diese Personen die lokalen Gegebenheiten und Kundenanforderungen kennen. Bei der Verlagerung von Entwicklungsaufgaben in Schwellenländer spricht man auch von der dritten Welle. Nach Verkauf als erster Welle folgt mit der Verlagerung der Produktion die zweite Welle und nun die Entwicklung als dritte Wertschöpfungsaktivität.50 Asien spielt für den Aufbau von Entwicklungszentren, die auf die Bedürfnisse der Schwellenländer zugeschnitten sind, die zentrale Rolle.

Osteuropa und Russland

Russland ist eines der BRIC-Länder und daher prominent auf dem Radarschirm vieler deutscher Unternehmen. In Russland gibt es 6 300 deutsche Unternehmen. Hidden Champions sehen den russischen Markt als ähnlich attraktiv an wie den indischen, aber als weniger attraktiv als den chinesischen Markt. |34|Auch Osteuropa wird bezüglich Zukunftsattraktivität und Wachstum überwiegend gut beurteilt. Deshalb erfahren diese Märkte besondere Aufmerksamkeit seitens der Hidden Champions. Für Unternehmen aus dem deutschsprachigen Raum gehören Zentral-/Osteuropa und der europäische Teil Russlands zum erweiterten Heimatmarkt. Dies gilt am stärksten für österreichische Firmen, die im Osten traditionell ein bevorzugtes Betätigungsfeld sehen.
Noch stärker als in China sollte man in Osteuropa zwischen der Rolle als Produktionsstandort und als Absatzmarkt unterscheiden. Sehr viele Hidden Champions sind in den neuen EU-Ländern mit Produktionsbetrieben präsent. Typisch ist hierbei eine Arbeitsteilung zwischen Stammhaus und Tochtergesellschaft. Kernkompetenzen und die Produktion kritischer Teile verbleiben im Stammhaus. Kostenempfindliche und einfachere Teile werden in den zentral- und osteuropäischen Betrieben gefertigt. Kurze Distanzen und niedrige Logistikkosten machen diese Form der Arbeitsteilung lukrativ und tragen in vielen Fällen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit bei. Das gilt vor allem im Vergleich zu europäischen Konkurrenten aus Frankreich, Italien oder England, die räumlich und auch kulturell weiter von Zentral- und Osteuropa entfernt sind und deshalb die dortigen Standortvorteile nicht im gleichen Maße nutzen. Bezüglich der Absatzmärkte ist die Präsenz der Hidden Champions in Osteuropa heute fast eine Selbstverständlichkeit.
Russland zeichnet sich durch ausgeprägte Besonderheiten aus. Es ist mit einer Fläche von 17,1 Millionen Quadratkilometern und neun Zeitzonen das größte Land der Erde. Sein wichtigster Attraktivitätsfaktor liegt in den unermesslichen Rohstoffvorkommen, deren Erschließung wegen schwieriger klimatischer Verhältnisse allerdings große Herausforderungen beinhaltet. Auch das Bildungssystem, insbesondere im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich, bildet eine Stärke Russlands. Hingegen gelten die politischen Verhältnisse als problematisch und instabil. Zudem hat die russische Bevölkerung eine niedrige Lebenserwartung und schrumpft stark. Ost- und Westeuropa, insbesondere der deutschsprachige Raum, wachsen rapide zu einer Wirtschaftszone zusammen. Die EU liefert hierfür den politischen Rahmen. Damit wird diese Wirtschaftszone zum erweiterten Heimatmarkt der Hidden Champions des deutschsprachigen Raumes.

Lateinamerika

Im Kontext der Globalisierung denkt man bei Lateinamerika vor allem an Brasilien. Diese Wahrnehmung hat eine gewisse Rechtfertigung, insbesondere wenn man Mexiko, das ja der NAFTA (North American Free Trade |35|Area) angehört, außen vor lässt. Die Bevölkerung des südamerikanischen Teilkontinents liegt bei etwa 400 Millionen, von denen knapp die Hälfte, nämlich 195 Millionen, in Brasilien leben. Als eines der vier BRIC-Länder erfährt Brasilien erhöhte Beachtung. Im Jahr 2011 löste Brasilien Großbritannien als sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt ab. Es übertrifft zudem die Wirtschaftsleistung Russlands sowie diejenige der ASEAN-Staaten. Die Bevölkerung wächst mit einer »bewältigbaren Rate« von etwa 1 %.
Deutsche Unternehmen haben traditionell eine hohe Affinität zu Lateinamerika und insbesondere zu Brasilien. An keinem Auslandsstandort gibt es so viele deutsche Niederlassungen wie in Säo Paulo. Die dortige deutsche Außenhandelskammer ist die größte ihrer Art in der Welt. Früher trafen wir bei manchen Hidden Champions auf eine gewisse Skepsis. Im Vergleich zu asiatischen Märkten wurde Brasilien als weniger attraktiv eingestuft. Zwei Aspekte waren für diese Einschätzung verantwortlich. Zum einen sahen viele Hidden-Champions-Chefs die gravierenden Einkommensunterschiede mit der daraus resultierenden hohen Kriminalität als Nachteil. Zum anderen wurde bemängelt, das Streben nach Bildung sei in Südamerika weniger ausgeprägt als in Asien. Hidden Champions sind auf qualifizierte Mitarbeiter angewiesen. Bildung ist deshalb für sie ein Thema von großem Gewicht. Zwischenzeitlich haben sich beide Aspekte verbessert. Die Attraktivität Brasiliens und Lateinamerikas wird von den Hidden Champions heute positiver bewertet als früher. Die kulturelle und sprachliche Nähe zu Europa sehen viele Unternehmer – im Vergleich mit Asien – als einen Vorteil.

Afrika

Afrika ist im Hinblick auf die zukünftigen Potenziale die am stärksten unterschätzte Region und gleichzeitig der rätselhafteste Kontinent. Der Wandel in der Sicht Afrikas kommt in zwei Titeln des Economist plastisch zum Ausdruck. Im Mai 2000 lautete der Titel »Africa, the hopeless continent«, im Dezember 2011 hingegen »Africa rising«. Wie Abbildung 1.4 zeigte, wird die Bevölkerung Afrikas von 1 Milliarde im Jahr 2010 auf 2 Milliarden in 2050 wachsen. Wer diese Zahlen für Phantasie hält, der sollte sich die reale Entwicklung der Bevölkerung Nigerias ansehen: 1950: 36,7 Millionen, 1970: 56,5, 2010: 158,3 – und für 2050 werden 289,1 Millionen erwartet. Und 2050 ist nicht weiter weg als 1970! Niemand kann heute abschätzen, was das bedeutet und wie die Welt mit dieser Bevölkerungsexplosion zurechtkommen wird. Das Bruttoinlandsprodukt Afrikas liegt geschätzt heute unter 2 000 Milliarden Dollar, also etwa in einer Größenordnung, die Brasi|36|lien alleine erreicht. Aber kaum beachtet weisen einige afrikanische Länder die höchsten Wachstumsraten in der Welt auf. In 2010 wuchsen die Bruttoinlandsprodukte im Kongo mit 9,1 %, in Simbabwe mit 9,0 % und in Botswana mit 8,6 %.51 Auch die zentralafrikanischen Länder Nigeria (2010: 8,4 % BIP-Wachstum) und Äthiopien (2010: 8 % BIP-Wachstum) erreichen »chinesische« Wachstumsraten. In der letzten Dekade fanden sich sechs der am stärksten wachsenden Länder nicht in Asien, sondern in Afrika.52 Ein weiterhin starkes Wachstum wird auch für die Zukunft erwartet.53 Manche reden schon vom »African Century«.
Interessant ist ein Flächenvergleich, denn Fläche ist unter anderem eine Proxyvariable für Rohstoffreichtum. Die Fläche Afrikas umfasst 30,3 Millionen Quadratkilometer, sodass man in ihr locker China, Brasilien, Indien und Westeuropa unterbringen kann. Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche Afrikas sei dreimal so groß wie diejenige Brasiliens, sagt Mike Mack, CEO des Schweizer Pflanzenschutzherstellers Syngenta.54 Vielleicht wird Afrika in Zukunft sogar eine Testregion für Innovationen. Das mag futuristisch klingen, aber ein beeindruckendes Beispiel gibt es schon heute, den mobilen Zahlungsverkehr. In keiner anderen Region der Welt werden so viele Zahlungen per Mobiltelefon abgewickelt wie in Afrika. In Kenia liegen Zahlungsmittel in Höhe von 14 % des Bruttoinlandsprodukts auf Mobiltelefonkonten – als Ersatz für traditionelle Bankkonten, die viele Kenianer nicht haben, aber nahezu jeder hat ein Handy.55
Was bedeutet die Entwicklung in Afrika für Deutschland und Europa? Eindeutige Antworten auf diese Frage gibt es nicht. Der Bevölkerungsanstieg in Afrika, der einhergeht mit einem Rückgang der Bevölkerung in Europa (von 732 in 2010 auf 691 Millionen in 2050), kann zu zwei extremen Folgen führen. Wenn es nicht gelingt, die zusätzliche Milliarde Menschen in Afrika in Brot und Arbeit zu bringen, wird diese Region zum Armenhaus der Welt. Es ist allerdings eine Illusion, dass sich Europa von einer solchen Entwicklung abkoppeln könnte. Die Flüchtlingsströme aus Afrika, insbesondere nach der »Arabellion« im Jahr 2011, sind ein Menetekel. Italien und Spanien sind bereits heute mit 427 700 beziehungsweise 391 900 Migranten nach den USA die größten Einwanderländer der Welt.56 Der Strom der Afrikaemigranten wird sich vom Mittelmeer aus unaufhaltsam nach Norden wälzen, und zwar umso stärker, je weiter Afrika wirtschaftlich zurückbleibt.
Europa – und wohl auch der Rest der Welt – hat also überhaupt keine andere Wahl, als Afrika auf die Beine zu helfen. Das heißt vor allem, die jungen Afrikaner besser auszubilden und damit produktiver zu machen. Das erfordert deutlich höhere Investitionen deutscher Unternehmen in Afrika. Deutsche Unternehmen, selbst die Hidden Champions, sind bisher in Afrika |37|erst schwach vertreten. Tochtergesellschaften findet man am ehesten in Süd- und in Nordafrika. Die Herstellung politischer Stabilität in den afrikanischen Ländern ist allerdings eine unverzichtbare Voraussetzung für weitere und größere Investitionen.
Insgesamt scheinen die Chinesen die zukünftige Rolle Afrikas am besten zu verstehen und entsprechend zu handeln. Seit 2002 haben die Chinesen ihren Anteil an den Importen Afrikas mehr als verdreifacht. Das ging vor allem zulasten von Importen aus Europa und Japan, diese waren in 2011 niedriger als in 2008.57 Innerhalb Europas haben England, Frankreich und Italien eine höhere Affinität zu Afrika als Deutschland. Das könnte auf Dauer zum Nachteil für deutsche Unternehmen werden. Und Afrika hat Europa und Deutschland viel zu bieten. Als Erstes bilden die geringe Distanz und die Gleichheit der Zeitzonen einen großen Vorteil. Afrika ist nicht nur reich an Rohstoffen, sondern kann auch zur Lösung der Energieprobleme beitragen. Zwar hört man viele skeptische Kommentare zum Sonnenstrom- Projekt Desertec, aber bei derart bahnbrechenden Innovationen überwiegt in den ersten zehn Jahren immer die Skepsis. Entscheidend wird sein, ob die Menschen Afrikas auf einen angemessenen Stand von Bildung und Produktivität gebracht werden können. Die Hidden Champions können hierbei eine Schlüsselrolle übernehmen.

Risiken einer Deglobalisierung

Bisher haben wir ein optimistisches Bild der Globalisierung und ihrer Perspektiven gezeichnet. Voraussetzung für das weitere Wachstum des internationalen Handels und der Globalisierung ist, dass die Handelsströme möglichst frei fließen können. Die größten Fortschritte bilden in dieser Hinsicht die großen Freihandelszonen wie EU, NAFTA, ASEAN oder Mercosur, die sich allerdings in sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien befinden. Global betrachtet kommt der Freihandel, das Hauptanliegen der World Trade Organization (WTO), gleichwohl nur langsam voran. Die DOHA-Runde tagt seit 2001 und sollte ursprünglich bis 2005 zu einem Abschluss kommen. Bis heute ist kein Ende in Sicht. Größere Fortschritte gibt es bei bilateralen Freihandelsabkommen, deren Zahl sich von weniger als 50 Ende der neunziger Jahre auf heute über 300 erhöht hat. Diese Abkommen laufen allerdings dem Grundgedanken der WTO zuwider. Denn die Vertragspartner gewähren sich wechselseitig Vorteile, diskriminieren aber damit automatisch andere Länder. Die Länder, die viele Freihandelsabkommen haben (z.B. Süd|38|afrika), erhöhen damit ihre Attraktivität als Produktionsstandort. Denn von dort kann man ohne Zoll in die Partnerländer exportieren.58
Trotz der insgesamt optimistisch stimmenden Entwicklung ist die Globalisierung insbesondere im Nachlauf der Krise Gefahren ausgesetzt. Eine Widerstandslinie geht von sogenannten Non Government Organisations (NGOs) wie beispielsweise Attac aus, die regelmäßig bei Gipfeltreffen ihre Antipositionen zur Globalisierung, manchmal auch gewalttätig, zum Ausdruck bringen. »Deglobalisierung«, also ein Zurückdrehen des Prozesses der Globalisierung, ist eine reale Gefahr in Folge der Krise. Professor Niall Ferguson, Wirtschaftshistoriker an der Harvard-Universität, spricht von einem »Albtraumszenario«. Das wäre »eine komplette Wiederholung der Geschichte und ein Zusammenbruch der Globalisierung«.59 Die Weltwirtschaft hat das alles schon früher erlebt. In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts war Protektionismus, damals ausgelöst von den USA, die Hauptursache für die tiefe und lang anhaltende Depression. Am 17. Juni 1930 wurde in den USA der sogenannte Smoot-Hawley Tariff beschlossen. Mehr als 20 000 Produkte wurden mit Zöllen von bis zu 60 % belastet. Obwohl 1 028 Wirtschaftswissenschaftler eine Petition gegen dieses Gesetz unterzeichnet hatten, wurde es im Parlament durchgepeitscht. Aufgebrachte Regierungen in aller Welt antworteten mit ähnlich hohen Zollsätzen für amerikanische Waren. Der Welthandel brach innerhalb weniger Monate um mehr als die Hälfte ein. Die enormen Vorteile der internationalen Arbeitsteilung wurden auf einen Schlag zunichte gemacht.
Explizit wird von einer »Deglobalisierung« auch an den Kapitalmärkten gesprochen. Im Zuge der Krise hat die grenzüberschreitende Kreditgewährung, vor allem in Europa, »einen regelrechten Abriss erfahren«.60