Preisheiten - Hermann Simon - E-Book

Preisheiten E-Book

Simon Hermann

0,0

Beschreibung

Der Preis ist das Herz der Wirtschaft. In ihm spiegeln sich Verlangen, Wert, Macht, strategische Intelligenz und unternehmerische Stärke. Er beeinflusst den Gewinn von Unternehmen wie kein anderer Faktor. Hermann Simon ist mit seinem Unternehmen Weltmarktführer in der Preisberatung. Simon erklärt, wie er den Preis als sein Lebensthema entdeckt hat und lässt den Leser Einblick nehmen in die Schatztruhe seines Preiswissens. "Die Lektüre des handlichen Buches ist lehrreich und erzeugt hoffentlich bei Managern heilsame Aha-Effekte". Robert Fieten in der FAZ.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 390

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hermann Simon
Preisheiten
Alles, was Sie über Preise wissen müssen
Campus Verlag Frankfurt/New York
Über das Buch
Der Preis ist das Herz der Wirtschaft. In ihm spiegeln sich Verlangen, Wert, Macht, strategische Intelligenz und unternehmerische Stärke. Er beeinflusst den Gewinn von Unternehmen wie kein anderer Faktor. Hermann Simon ist mit seinem Unternehmen Weltmarktführer in der Preisberatung. Simon erklärt, wie er den Preis als sein Lebensthema entdeckt hat und lässt den Leser Einblick nehmen in die Schatztruhe seines Preiswissens. Diese neue Auflage ist um ein aktuelles Vorwort ergänzt.
»Die Lektüre des handlichen Buches ist lehrreich und erzeugt hoffentlich bei Managern heilsame Aha-Effekte.« – Robert Fieten in der FAZ
Über den Autor
Das Thema Preis begleitet Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon seit seiner Kindheit. Simon ist Autor des Standardwerks Preismanagement. Heute ist er Chairman der weltweit führenden Preisberatung Simon-Kucher & Partners. Zuletzt veröffentlichte er im Campus Verlag den Titel Hidden Champions – Aufbruch nach Globalia.

Inhalt

Vorwort zur zweiten Auflage
Kapitel 1: Wie ich zum Preis kam
Kapitel 2: Im Zentrum der Preis
Kapitel 3: Preis als Gewinntreiber Nr. 1
Kapitel 4: Preis und Entscheidung
Kapitel 5: Behavioral Pricing: Die seltsame Psychologie des Preises
Kapitel 6: Von Höhen und Tiefen
Kapitel 7: Preis als Chefsache
Kapitel 8: Preisdifferenzierung: Die hohe Kunst
Kapitel 9: Von Krisen und Kriegen
Kapitel 10: Pricing-Innovationen
Dankadresse
Anmerkungen
Register

Vorwort zur zweiten Auflage

Fragt jemand nach der Bedeutung des Begriffes »Preisheiten«, so antworte ich in Reimform:
Des Preises tief’re Weisheiten nenn schmunzelnd ich hier »Preisheiten«. »Der Preis ist heiß«, so tönt es immer, die Wirklichkeit ist noch viel schlimmer. Der Preise Spiel muss man durchschauen, sonst wird man übers Ohr gehauen.
Ja, das Spiel der Preise wird zunehmend komplexer. Manager wie Verbraucher müssen ständig hinzu lernen und auf der Hut sein. So kommt es nicht überraschend, dass die erste Auflage von »Preisheiten« bereits nach gut einem Jahr vergriffen ist und eine zweite Auflage notwendig wird. Das Interesse an Fragen des Preismanagements nimmt zu. Verschärfter Wettbewerb, das Internet und die Globalisierung verändern die Welt der Preise gewaltig:
Der Prozentsatz der Unternehmen, die sich in einem Preiskrieg befinden, ist innerhalb von zwei Jahren von 46 auf 59 Prozent gestiegen.
Mit aggressiven Preisen angreifende Wettbewerber gewinnen weiter an Marktanteilen. Beispiele sind Ryanair im Luftverkehr, Whats App in der digitalen Kommunikation oder Fernbusse, die der Deutschen Bahn das Leben schwer machen.
Neue Preismodelle wie Freemium oder Flatrate verdrängen Konzepte, die noch vor wenigen Jahren als bahnbrechende Innovationen galten. Spotify weist mit einer festen monatlichen Gebühr iTunes von Apple in die Schranken. Microsoft bietet |7|Windows 10 gratis an, um die Entwicklung von Apps zu befördern.
Völlig neue Geschäftsmodelle dringen vor. Airbnb und Uber können attraktive Preise offerieren, indem sie freie Kapazitäten im privaten Bereich nutzen, und setzen so professionelle Hotel- und Taxifirmen unter Druck.
Nachdem der berühmte Investor Warren Buffett äußerte, dass Pricing Power (Preismacht) für ihn der wichtigste Treiber des Unternehmenswertes sei, beobachte ich auf den Top-Managementebenen und in Finanzkreisen ein stark zunehmendes Interesse am Thema Preis.
Offensichtlich lohnt es sich. Wie die jüngste Global Pricing Study von Simon-Kucher zeigt, schneiden Firmen, bei denen sich der CEO persönlich um das Pricing kümmert, im Hinblick auf Pricing Power, Durchsetzung von Preiserhöhungen und Gewinn signifikant besser ab als andere Firmen. Mein Vortrag »Pricing and the CEO« lockte auf der Konferenz der Professional Pricing Society in Dallas mehr als 700 Zuhörer an. Ein derart starker Zulauf wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.
Das vorliegende Buch gibt Ihnen Antworten auf alles, was Sie zum Thema Preis wissen sollten. Diese Antworten sind für Manager, Vertriebler, Marketingexperten und selbst für Verbraucher gleichermaßen relevant. Die neue, revolutionär zu nennende Verhaltensforschung eröffnet dem Anbieter viele neue Taktiken, erklärt aber auch die Funktionsweise altbekannter Preistricks wie Cash Back. Ist Ihnen zum Beispiel bewusst, dass Preise das Schmerzzentrum des Gehirns aktivieren? Eigentlich überrascht das nicht, aber bekannt ist diese Tatsache erst seit kurzem. Solche neuen Einsichten muss man als Manager kennen. Umgekehrt sollte der Verbraucher sich den Spiegel vorhalten und seine eigenen Reaktionen auf bestimmte Preistricks durchschauen, um nicht über den Tisch gezogen zu werden. Viele Preiswirkungen wie die Rolle von Preisankern oder die Magie der Mitte erscheinen irrational, aber vielleicht sind sie das nicht, sondern bewähren sich im Alltag zur Bewältigung der modernen Reizüberflutung. »Preisheiten« gibt Aufklärung zu solchen Phänomenen. |8|
Der Erfolg dieses Buchs rührt auch daher, dass viele Firmen das Buch an ihre Mitarbeiter gegeben haben. Es reicht nicht, wenn sich der Chef oder der Vertriebsvorstand im Pricing auskennen. Die ganze Mannschaft muss das Spiel der Preise durchschauen. Besonders wichtig ist, dass der gesamte Vertrieb hinter der Preisstrategie des Unternehmens steht. Nur dann werden die avisierten Preise mit Erfolg am Markt durchgesetzt. Nur dann schafft ein Unternehmen Pricing Power.
Bei Simon-Kucher & Partners, dem Weltmarktführer in der Preisberatung, haben wir in 30 Jahren mehr als 3000 Beratungsprojekte zum Pricing durchgeführt. »Nobody knows more about pricing than Simon-Kucher,« sagt der berühmte Marketingguru Philip Kotler. Durch unsere Empfehlungen wurden Preise in Geschäften mit einem Gesamtumsatz von rund 2500 Milliarden Euro beeinflusst. Diese schwer vorstellbare Summe entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt Deutschlands. Aus dieser Arbeit ist ein einmaliger Erfahrungsschatz von »Preisheiten« erwachsen, zu dem das vorliegende Buch Ihnen, lieber Leser, Zugang verschafft. Ich wünsche Ihnen viel Spaß und vor allem zahlreiche Aha-Erlebnisse bei der Lektüre.
Bonn, im Frühsommer 2015
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hermann Simon
Chairman
Simon-Kucher & Partners
Twitter: @HermannSimon|9|
Kapitel 1
Wie ich zum Preis kam

Der Schweinepreis

Der Preis begegnete mir schon als Kind und Jugendlichem hautnah. Ich wuchs auf einem kleinen Bauernhof in der Vulkaneifel auf. Mein Vater schickte die gemästeten Schweine zum Großmarkt, wo diese im Rahmen einer Auktion verkauft wurden. Da viele Bauern ihre Schweine auf den Markt brachten sowie zahlreiche Metzger und Händler als Nachfrager auftraten, handelte es sich um einen klassisch polypolistischen Markt. Kein einzelner Anbieter und Nachfrager hatte Einfluss auf den Preis der Schweine. Mein Vater bekam den Preis pro Kilo von der Raiffeisengenossenschaft, die die Transaktionen abwickelte, mitgeteilt. Bei der Milch, die wir an die örtliche Molkerei lieferten, war es ähnlich. Wir hatten keinerlei Einfluss auf den Preis, sondern erfuhren diesen von der Molkerei, die ebenfalls eine Genossenschaft war. Der Milchpreis schwankte dabei je nach Angebot und Nachfrage. Nicht sehr verschieden ging es auf dem Ferkelmarkt zu, der zweiwöchentlich in der nahen Kreisstadt stattfand und zu dem wir mit unserem Pferdefuhrwerk fuhren. Gab es ein Überangebot, so stürzten die Preise. In allen Märkten mussten wir den Preis akzeptieren, der uns angeboten wurde, eine ausgesprochen unangenehme Position. Denn Geld war knapp, und diese Verkäufe bildeten unsere einzigen Einnahmequellen. Ich bekam das alles als kleiner Junge mit und muss sagen, dass es mir missfiel. Jahrzehnte später sagte ich in Interviews, diese Erfahrung habe mich gelehrt, nie ein Geschäft zu betreiben, in dem man keinen Einfluss auf die Preise hat.1 Ich will nicht behaupten, dies so explizit als Kind erkannt zu haben, aber in meinem Bauch rumort es bis heute, wenn ich an Schweine- und |10|Milchpreise denke. Und vielleicht stammt aus jener Zeit auch das Gefühl, dass ich wenig von Geschäften halte, die keinen Gewinn abwerfen. Das Thema Preis sollte mich jedenfalls nie mehr loslassen.

Der Preis als mein Wegbegleiter

Für mich wurde der Preis zum lebenslangen Begleiter. Im Studium an der Universität Bonn faszinierten mich die Preistheorie-Vorlesungen von Professor Wilhelm Krelle. In der Tat waren das schöne Theorien, mathematisch elegant, oft auch sehr komplex. Von Anwendung war selten die Rede. Dennoch vermittelte uns diese harte Schule solide Denk- und Methodenfundamente. Doch nie wäre ich zu jener Zeit auf die Idee gekommen, dass man diese Konzepte tatsächlich für die Praxis nutzen könne. Eine Art reales Preiserlebnis bescherte uns Professor Reinhard Selten, der Experimente mit richtigem Geld durchführte – eine echte Innovation. Im Jahr 1971 lobte er bei einem Vortrag im Seminar von Professor Krelle 100 D-Mark aus. Ein A-Spieler und vier B-Spieler sollten diesen Betrag unter sich aufteilen, indem sie eine Koaliton bildeten, die mindestens zehn Minuten halten musste. Der A-Spieler konnte eine Koalition mit zwei B-Spielern bilden, oder die vier B-Spieler konnten sich zusammenschließen. Ich war der A-Spieler, und nach vielem hin und her mit wechselnden Koalitionen gelang es, eine Koalition über zehn Minuten zu halten, bei der zwei B-Spieler 20 und ich 60 D-Mark gewannen. Dieses höchst anschauliche Experiment lehrte uns, dass es beim Preis immer um die Aufteilung eines Wertes geht. Zehn Jahre später durfte ich Kollege von Reinhard Selten an der Universität Bielefeld sein, und 1994 erhielt er den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Sein Experiment gehört zu den Highlights meiner Studienzeit.
Nach dem Examen ging es nahtlos weiter. Eine entscheidende Weichenstellung war meine Dissertation zum Thema »Preisstrategien für neue Produkte«, die ich als Assistent von Professor Horst Albach schrieb. Während meiner Assistentenzeit durfte ich an einigen Gutachten mitarbeiten, die sich mit preispolitischen Frage|11|stellungen befassten. Diese Gutachten gaben mir erste Einblicke in das Pricing großer Unternehmen. Mir schien, dass es dort erhebliche Verbesserungspotenziale gab.
Eine weitere wichtige Begegnung hatte ich im Januar 1979. Ich war damals Postdoctoral Fellow am Massachusetts Institute of Technology und besuchte Professor Philip Kotler an der Northwestern University in Evanston bei Chicago. Ich stellte Kotler, der schon in jungen Jahren zum Marketing-Guru aufgestiegen war, meine Forschungsergebnisse zur Preiselastizität im Produktlebenszyklus vor. Selbstbewusst betonte ich, mein Ziel sei, praxisrelevante Preisforschung zu betreiben. Kotler erwiderte, dass die meisten Marketingwissenschaftler Praxisrelevanz anstrebten, diese aber selten erreichten. Gerade beim Preis dominiere in der Wissenschaft die Mikroökonomie, deren Praxisrelevanz sich in Grenzen halte – womit er Recht hatte. Aber er kenne jemanden, der sich »Price Consultant« nenne, tatsächlich anwendungsorientiert arbeite und damit offenbar gut über die Runden komme. Ein »Price Consultant«, das war für mich neu, und seine Tätigkeit war für mich geradezu unvorstellbar. Kurze Zeit später kontaktierte ich Dan Nimer, so hieß der Preisberater. Er schickte mir einige seiner Artikel, die von den theoretischen Papieren, mit denen ich mich bisher beschäftigt hatte, sehr verschieden waren. Ich sah Nimer in den Jahren seither bei Preiskonferenzen immer wieder. Im Jahr 2012 ehrten wir ihn mit einer Festschrift zu seinem 90. Geburtstag.2 Er ist immer noch aktiv, hält Vorträge und berät trotz seines biblischen Alters nach wie vor in Preisfragen.
Bei der gleichen Reise lernte ich an der University of Chicago die Assistant Professors Robert J. Dolan und Thomas T. Nagle kennen. Dolan wechselte später an die Harvard Business School. Im akademischen Jahr 1988/89 war ich dort Gastprofessor. Wir begannen eine intensive Zusammenarbeit und publizierten gemeinsam. Thomas Nagle verließ einige Jahre danach die Universität und gründete die Strategic Pricing Group, die sich vor allem dem Preistraining widmete. So hatte ich innerhalb von wenigen Tagen drei Persönlichkeiten kennen gelernt, die die weitere Entwicklung des Pricing maßgeblich beeinflussten.
Auch mit dem berühmten Managementdenker Peter Drucker |12|hatte ich viele interessante Diskussionen zum Pricing. Er ermunterte mich, am Ball zu bleiben: »I am impressed by your emphasis on pricing. It is the most neglected area. Pricing policy today is basically guess. What you are doing is pioneering work. And I think that it will be quite some time before any of the competitors catches on.«3 Der Preis interessierte Drucker aus ökonomischer und ethischer Sicht. Er verstand Gewinne als »Kosten des Überlebens« eines Unternehmens und auskömmliche Preise folglich als Mittel zum Überleben. Er hatte ethisch hohe Vorstellungen zu Themen wie Ausnutzung von Marktmacht, Preistransparenz und fairem Verhalten. Noch kurz vor seinem Tode gab er für unser Buch Manage for Profit, not for Market Share das folgende Testimonial ab: »Market share and profitability have to be balanced and profitability has often been neglected. This book is therefore a greatly needed correction.«4

Pricing-Professor

Ab Herbst 1979 lehrte ich an der Universität Bielefeld Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Marketing. In meiner Forschung konzentrierte ich mich auf das Thema Preis. Als Titel für mein erstes Lehrbuch, das 1982 im Gabler Verlag erschien, erfand ich den neuen Begriff »Preismanagement«. Lange hatte ich über den Titel nachgedacht. Er war zu jener Zeit völlig ungewöhnlich, niemand hatte diesen Begriff vorher gebraucht, und er traf keineswegs auf spontane Akzeptanz. Bis dato waren nur die Termini »Preistheorie« und »Preispolitik« gebräuchlich. Preistheorie war das Gebiet, das ich an der theoretisch-quantitativ ausgerichteten Universität Bonn kennen gelernt hatte. Mit Preispolitik bezeichnete man praxisorientierte Inhalte, die fast ausschließlich verbal vorgetragen wurden. Mit solchen qualitativen Aussagen konnte man nicht viel anfangen. Der Preis muss letztlich immer quantitativ, das heißt als Zahl, ausgedrückt werden. Mit dem Begriff »Preismanagement« verband ich den Anspruch, beide Gebiete, die Preistheorie und die Preispolitik, zu integrieren. Ich wollte quantitativ-theoretische Konzepte praktisch anwendbar machen und so |13|zur Verbesserung von Preisentscheidungen in der Praxis beitragen. Mein erstes Preismanagement-Buch hatte mit 483 Seiten bereits einen beachtlichen Umfang. Die zweite, völlig neu bearbeitete Auflage unter demselben Haupttitel, ergänzt um den Untertitel »Analyse – Strategie – Umsetzung«, erschien 1992 und wuchs auf 740 Seiten an. Im Jahr 2008 wurde die dritte Auflage mit Professor Martin Fassnacht als Koautor publiziert. Ich wollte sicherstellen, dass wir den aktuellen Stand der Wissenschaft, dem ich nicht mehr so nahestand, reflektierten. Ein Autorenteam aus Praktiker, der ich damals seit 13 Jahren war, und Wissenschaftler ist bei einem Lehrbuch eine Seltenheit. In 2011 wurde Preismanagement mit dem Georg-Bergler-Preis für das beste Marketinglehrbuch ausgezeichnet. 2010 erschien in einem bekannten deutschen Verlag ein Buch mit dem identischen Titel Preismanagement. Autor war ein deutscher Professor. Wegen sehr umfänglicher »Überlappungen« mit unserem Originalwerk musste dieses Buch im November 2010 vom Markt genommen werden. Der Verlag erkannte zudem unsere Rechte an dem Titel Preismanagement an und verpflichtete sich, in Zukunft kein Fachbuch unter diesem Titel herauszugeben. Der New Yorker Verlag Elsevier veröffentlichte 1989 eine gekürzte englischsprachige Version des Buches unter dem Titel Price Management.5 Auch im Englischen war dieser Begriff bis dato nicht gebräuchlich. 1996 publizierte ich gemeinsam mit Robert Dolan das Buch Power Pricing.6 Versionen der verschiedenen Pricing-Bücher sind in mehr als 20 Sprachen erschienen.
Während meiner Zeit als Professor an den Universitäten Bielefeld (1979–1989) und Mainz (1989–1995) hielt ich regelmäßig Vorlesungen und Seminare zum Preismanagement. Ich vergab zahlreiche Diplomarbeiten und Dissertationen zu diesem Gebiet. Mit jedem Thema, das wir angingen, taten sich neue Fragestellungen auf. Diese und viele weitere Arbeiten trugen zur Erweiterung unseres Wissensstandes im Preismanagement bei. Neben der Lehrtätigkeit in Bielefeld und Mainz hielt ich über die Jahre zahlreiche Kurse und Vorträge zum Preismanagement an Universitäten und Business Schools in der ganzen Welt, insbesondere im Rahmen von Gastprofessuren (INSEAD in Fontainebleau, London Business School, Keio-Universität Tokyo, Stanford und Harvard in den USA). |14|

Pricing-Berater

Nachdem wir einige kleinere Beratungsprojekte aus der Universität heraus abgewickelt hatten, wurde mir klar, dass eine professionelle Beratung nur möglich ist, wenn man diese in Form einer Beratungsgesellschaft organisiert. 1985 gründete ich zusammen mit meinen beiden ersten Doktoranden Dr. Eckhard Kucher und Dr. Karl-Heinz Sebastian ein Beratungsunternehmen, für das wir Bonn als Standort wählten. Unser Ziel war es, Methoden aus der universitären Forschung auf Pricingprobleme anzuwenden. Im ersten Jahr erzielten wir mit drei Mitarbeitern einen Umsatz von umgerechnet 350 000 Euro. Nur langsam ging es aufwärts. 1989 betrug der Umsatz mit 13 Mitarbeitern 2,2 Mio. Euro, 1994 waren es mit 35 Mitarbeitern 5,9 Mio. Euro. Damals entschloss ich mich, meine Universitätskarriere zu beenden, und widmete mich ab 1995 voll der Beratung mit dem Schwerpunkt Preismanagement. Von 1995 bis 2009 führte ich Simon-Kucher & Partners als CEO. Seit 2009 bin ich Chairman des Unternehmens. Im Geschäftsjahr 2012 lag der Umsatz bei 145 Millionen Euro. Per Mitte 2013 hat Simon-Kucher & Partners mehr als 700 Mitarbeiter, die in 27 Büros weltweit arbeiten. Die Firma ist Weltmarktführer auf dem Spezialgebiet der Preisberatung.
Der Preis ist mir in 1 000 Varianten begegnet, hat mir Spaß bereitet, mich herausgefordert, geärgert, er hat mir Kopfzerbrechen bereitet und mich manchmal hilflos gemacht. Es gab Eureka-Momente, in denen ich den Geheimnissen des Preises auf die Schliche kam. Ich erlebte Preistriumphe, wie beispielsweise 1992 die Einführung der Bahncard 50 oder deren Wiederbelebung in 2003 nach hartem Ringen mit dem damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn. Auch die erfolgreiche Durchsetzung eines vergleichsweise hohen Preises für die bei ihrer Einführung im Jahr 1998 revolutionäre Mercedes A-Klasse machte mich stolz. Höhepunkte waren die Preisstrategien, die wir für neue Modelle von Porsche oder für führende Internetfirmen entwickeln durften. Natürlich gab es auch Flops, in denen die Durchsetzung einer Preiserhöhung nicht gelang, ein Preis für ein neues Produkt nicht akzeptiert wurde oder Preissenkungen nicht die erhofften Absatzzuwächse brachten, |15|sondern nur die Margen reduzierten. Gott sei Dank waren diese Fehlschläge selten. Und natürlich erlebte ich Auseinandersetzungen mit Beratungsklienten, denen unsere Empfehlungen nicht gefielen. Selbst im Nachhinein weiß man manchmal nicht, wer Recht hatte. Denn in der Realität kann nur eine Alternative umgesetzt werden. Ob eine andere Option besser gewesen wäre, lässt sich selten mit Sicherheit beurteilen.
Oder die Welt ändert sich schlagartig. So hatten wir für die TUI ein neues Preissystem entwickelt, das zum 1. Oktober 2001 eingeführt wurde. Mit dem Attentat auf das World Trade Center am 11. September 2001 war die Welt jedoch nicht mehr die alte. Die Annahmen und Daten, auf denen unsere Analysen und Empfehlungen basierten, konnte man in der Pfeife rauchen. Tröstlich war ein Jahr später die Rückmeldung eines TUI-Managers, dass es mit dem alten Preissystem nach 9/11 noch schlechter gelaufen wäre.
Auch in der Beratung waren wir Imitatoren und Plagiatoren ausgesetzt. Um 2005 trat in China ein Berater unter unserem Namen und Logo auf. Er kopierte unsere Homepage und gab sich als unser Vertreter in China aus. Erst im November 2010 konnten wir diesen Fall vor einem Gericht in Peking aus der Welt schaffen und unseren Firmennamen auch in China verwenden.
Begleiten Sie mich in diesem Buch durch die facettenreiche Landschaft des Preises. Ich habe diese Landschaft über Jahrzehnte durchwandert und will Ihnen von meinen Erfahrungen und Erlebnissen berichten. Ich hoffe, die »Preisheiten – Weisheiten zum Preis« werden Sie faszinieren.|16|
Kapitel 2
Im Zentrum der Preis

Alles dreht sich um den Preis

Der Preis ist das zentrale Scharnier der Ökonomie. Um ihn dreht sich alles. Preise sorgen für den Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Kein anderes Marketinginstrument eignet sich besser, um den Absatz schnell und effektiv zu steuern. Der Preis ist bei typischen industriellen Kostenkonstellationen der stärkste Gewinntreiber. Im Wettbewerb ist der Preis die am häufigsten eingesetzte und wirksamste Angriffswaffe. Preiskriege bilden in vielen Märkten die Regel und nicht die Ausnahme, meistens mit verheerenden Gewinnwirkungen. Sonderangebote und Preispromotions sind im Handel allgegenwärtig. 2012 entfielen in Deutschland 70 Prozent des Bierumsatzes im Einzelhandel auf Sonderangebote, mit Rabatten von bis zu 50 Prozent.7 Zwei Jahre vorher machten Sonderangebotsverkäufe weniger als die Hälfte aus.8 Manager haben Angst vor dem Preis, speziell wenn es um Preiserhöhungen geht. Denn es lässt sich nie mit absoluter Sicherheit prognostizieren, wie die Kunden reagieren. Werden sie tatsächlich mehr kaufen, wenn man die Preise senkt? Bleiben sie nach einer Preiserhöhung bei der Stange oder laufen sie in Scharen zur Konkurrenz über? Solche Fragen verursachen Managern höchstes Unwohlsein. Im Zweifel lassen sie lieber die Finger vom Preis und wenden sich einer weiteren Kostensenkungsrunde zu. Denn bei Kosten hat man es im Wesentlichen mit betriebsinternen Gegebenheiten und Lieferanten zu tun. Mit denen kann man anders umspringen als mit den Kunden.
Und trotz Tausender Bücher und Millionen von Artikeln wissen wir nach wie vor erstaunlich wenig über den Preis und seine Wirkungen. Dennoch haben wir in den letzten 30 Jahren im Verständ|17|nis und in der Anwendung von Preisaktionen, -strategien, -taktiken und -tricks enorme Fortschritte gemacht. Gerade in den letzten Jahren hat die ökonomische Verhaltensforschung (Behavioral Economics) zahlreiche neue Phänomene entdeckt, die die klassische, auf Rationalitätsannahmen basierende Ökonomie nicht erklären kann. Und wie in allen Wissensgebieten gilt: Je mehr wir den Preis erforschen und verstehen, desto mehr neue Fragen und Aspekte tun sich auf. Dieses Buch wird Sie überzeugen, dass dem so ist. Es enthält (fast) alles, was Sie über Preise wissen müssen – egal, ob Sie Produzent, Händler oder Konsument sind. Sie werden über die Vielfalt von Preisphänomenen staunen.

Preis? Was ist das überhaupt?

Eigentlich ist die Sache ganz einfach: Der Preis ist die Zahl der Geldeinheiten, die Sie für eine Einheit eines Gutes bezahlen müssen. Für einen Liter Benzin zahlen Sie 1,30 Euro, ein Pfund Kaffee kostet 4,99 Euro. Für eine Kinokarte müssen Sie 9 Euro hinlegen. Ja, so eindeutig und klar ist das bei vielen Produkten und Dienstleistungen. Doch oft lässt sich der Preis nicht einfach als eindimensionale und eindeutige Größe darstellen. Was zahlen Sie für eine Minute mobiltelefonieren? Oder für eine Kilowattstunde unter Einrechnung aller Gebühren? Was kostet Sie der gefahrene Bahnkilometer mit einer Bahncard? Und wie hoch sind die Gebühren (ein anderes Wort für Preis), wenn Sie über Ihre Bank Aktien kaufen? Was kostet Sie ein Kilometer mit Ihrem Auto? Wie viel zahlen Sie bei einem Ratenkauf tatsächlich? Ich wette, dass Sie mir diese Preise spontan nicht nennen können.
In der Realität erweisen sich Preise häufig als äußerst komplex. Denn Preise können aus mehreren oder sogar zahlreichen Komponenten bestehen, die zudem zu verschiedenen Zeitpunkten anfallen. Abbildung 2.1 listet eine Auswahl von häufig vorkommenden Preisparametern und -strukturen auf.
Preise sind Kinder der Komplexität. Kaum jemand überschaut die Preisstrukturen von Anbietern in der Telekommunikation, bei Banken, Fluggesellschaften oder Energieversorgern. Das Internet |18|hat die Preistransparenz zwar massiv erhöht, indem es Preisvergleiche erleichtert. Gleichzeitig trägt es aufgrund der Informationsfülle sowie der Angebots- und Preisvielfalt zur weiteren Preisverwirrung bei. Der Versuch, im Internet Preisklarheit zu gewinnen, endet oft in der resignativen Feststellung: »I am still confused, but on a higher level.«
[Bild vergrößern]
Abbildung 2.1: Preise als komplexe Gebilde
Die Preisliste einer Bank umfasst Hunderte von Positionen, man schaue sich nur die Seite bankrate.com an. Im Handel trifft man Sortimente von mehreren Zehntausend Artikeln mit entsprechender Preisvielfalt. Ersatzteilsortimente von Autoherstellern oder Maschinenbauern gehen in die Hunderttausende von Artikeln und Preispositionen. Fluggesellschaften führen im Lauf eines Jahres Millionen von Preisänderungen durch.
Wie gehen Kunden mit der großen Zahl und der Unübersichtlichkeit von Preisen, Preisparametern und Preisänderungen um? In einem Workshop bat ich einmal einen Manager von Emirates, einer der größten Airlines der Welt, mir die Preise zwischen Deutschland und Dubai zu erklären. »Das ist eine schwierige Aufgabe«, war seine Antwort. Ich entgegnete, genau diese Aufgabe müssten aber Millionen von Reisenden jeden Tag lösen. Manuell ist das in |19|der Tat schwierig, aber mithilfe von spezialisierten Angebots- und Preisvergleichsseiten wie kayak.com lässt sich das Problem bewältigen. Wie steht es um die Preistransparenz? Wie sehen die Wirkungen des Preises auf Absatz, Umsatz und Gewinn aus? Die Komplexität und die Vieldimensionalität von Preisen deuten auf große Chancen hin – aber auch auf viele Gelegenheiten, das Falsche zu tun, sei es als Kunde oder als Anbieter. Es gibt nur einen richtigen Preis, aber viele falsche Preise. Treffend haben das die Russen in einem Sprichwort ausgedrückt: »In jedem Markt gibt es zwei Narren. Der eine hat zu hohe, der andere zu niedrige Preise.« Wenn Sie den Preis verstehen, können Sie vielleicht vermeiden, einer der beiden Narren zu sein. Für Anbieter wie Nachfrager ist es gleichermaßen lohnend, sich mit Preisheiten – den Weisheiten zum Preis – zu beschäftigen.

Die vielen Namen des Preises

Der Preis hat viele Namen. Nur bei »normalen« Gütern und Dienstleistungen verwendet man den schnöden Begriff »Preis«. Hersteller und Händler geraten regelmäßig aneinander, wenn es um die sogenannten Konditionen geht. In Wirklichkeit feilschen sie wie die Kesselflicker um Preise. Versicherungen sprechen nicht von Preisen, sondern von Prämien, was dezenter und harmloser klingt. Gehobene Dienstleister verwenden noch feinere Ausdrücke wie Honorare (Rechtsanwälte, Architekten) oder Gebühren (Notare). Auch im öffentlichen Bereich heißen Preise »Gebühren«, etwa für Straßenreinigung, Müllabfuhr oder Wasserver- und -entsorgung. Die GEZ spricht seit kurzem nicht mehr von »Rundfundgebühren«, sondern von »Beiträgen«, was wieder nur ein anderes Wort für Preis ist. Bei Autobahnen heißt der Preis für die Benutzung »Maut«. Viele Ärzte wären beleidigt, wenn man sie nach dem »Preis« für ihre Leistungen fragte. Wenn sie eine Rechnung schicken, nennen sie diese Liquidation. Ein Steuerberater stellt mir seine Leistungen per »Nota« in Rechnung (so heißt Rechnung auf Italienisch), und selbstverständlich hat er keine Preise pro Stunde, sondern Stundensätze. Auch im Beratungsgeschäft spricht man |20|von Tagessätzen und nicht Tagespreisen. Eine englische Privatbank nennt ihre Preisliste »Schedule of Charges«, was weit vornehmer klingt als »Price List«. Vergütung ist ein weiterer Begriff, der die Nähe zu Ökonomie und Preis vernebelt. Auch Tarife, Zuschläge, Raten (etwa Leasingraten) sind Termini, die den unfeinen Ausdruck Preis vermeiden. Die Preise von Aktien heißen Kurse. Und im Bereich des Arbeitsmarkts spricht man von Lohn, Gehalt, Tantiemen oder Sold. Zins ist der Preis eines Kredits. Auch Miete ist nur ein anderes Wort für den Preis von Wohn- oder Gewerberaum. Pacht nennt man den Preis für die Überlassung von Land oder Gewerbebetrieben. Selbst die Einkommensteuer kann man als einen Preis für das Recht, Einkommen zu erwirtschaften, interpretieren.
Wie immer das Kind genannt wird, in all diesen Fällen handelt es sich um Preise und nichts anderes. Denn immer geht es um die monetäre Gegenleistung, die der Käufer für den Erhalt eines Produkts, einer Dienstleistung oder eines Rechts bezahlen muss. Lassen Sie sich also nicht von der Begriffsvielfalt vernebeln. Alles hat seinen Preis

Das neue Verb »preisen«

Im Englischen sind das Verb »to price« und das aus ihm abgeleitete Substantiv Pricing populär und weitverbreitet. Für »to price« erscheinen in Google 2,3 Millionen Einträge, für »Pricing« sind es sogar 435 Millionen. Auch in der deutschen Sprache gibt es das Verb preisen. Es hat jedoch eine andere Bedeutung, die in Wendungen wie »die Engel preisen den Herrn« oder »sich glücklich preisen« zum Ausdruck kommt. »Preisen« bedeutet also loben oder rühmen. Auch »Preis« im Sinne von Auszeichnung (etwa Nobelpreis) hat hier seinen Ursprung und trotz eines »Preisgeldes« nichts mit unserem ökonomischen Preis zu tun.
Es gibt allerdings im Deutschen mehrere Worte, die in unsere Richtung weisen. Das Wort »einpreisen« wurde 2009 erstmalig in den Duden aufgenommen.9 Dort lautet die Definition: »Aussicht auf Gewinne oder Verluste beim Bestimmen der Preis- bzw. Kurs|21|höhe mit berücksichtigen.« Typische Sätze sind: »Die Börse hat die erwartete Konjunkturbelebung bereits in die Kurse eingepreist« oder »der Gewinnrückgang des Unternehmens ist im Aktienkurs noch nicht eingepreist«. Das zugehörige Substantiv heißt »Einpreisung«. Ein weiteres Wort ist »bepreisen«. Der Duden definiert dieses Verb als »einen Preis für etwas festsetzen«, das Substantiv lautet gemäß Duden »Bepreisung« und wird mit »Festlegung eines Preises« umschrieben. »Einen Kredit nach dem Risiko bepreisen« ist eine typische Wendung. Im Duden wird auf den seltenen Gebrauch dieser Begriffe hingewiesen. Außerdem findet man das Verb »auspreisen« im Sinn von »Waren mit Preisschildern versehen«.
In unserer Beratungspraxis bei Simon-Kucher & Partners, als Weltmarktführer für Preisberatung, hat sich das einfachere Verb »preisen« durchgesetzt und wird im Sinne von »den Preis für ein Produkt bestimmen« gebraucht. Viele Verben haben in der deutschen Sprache mehrfache Bedeutungen. Ich schlage vor, das Verb »preisen« nicht nur für »loben« oder »rühmen«, sondern auch in der Form »ein Produkt preisen« zu verwenden. Damit bietet sich – analog und als Ersatz zu dem umständlichen »Bepreisung« – auch das Gerundium »Preisung« als neues Substantiv an. Es ist gleichbedeutend mit zusammengesetzten Begriffen wie Preissetzung, Preisbildung, Preisbestimmung oder ähnlichen. »Preisheiten« beschäftigen sich mit preisen und Preisung.
Wohl tausendmal wurde ich gefragt, was der wichtigste Aspekt im Preismanagement sei. Meine Antwort lautete stets: »der Wert« oder auch: »der Kundennutzen«. Die Preisbereitschaft des Kunden und der damit vom Anbieter erzielbare Preis sind immer nur die Widerspiegelung des vom Kunden wahrgenommenen Werts oder Nutzens eines Produkts. Sieht der Kunde einen höheren Wert, ist er bereit, mehr zu zahlen. Ist der wahrgenommene Wert niedriger als bei einem Konkurrenzprodukt, so kauft er nur, wenn sein Preis ebenfalls niedriger ist. |22|
Im Hinblick auf den erzielbaren Preis ist also nur der subjektiv wahrgenommene Wert des Kunden relevant. Alle anderen Werttheorien (etwa die Arbeitswerttheorie von Karl Marx, nach der sich der Wert eines Produkts an der hineingesteckten Arbeit bemisst) kann man vergessen.
Bereits die alten Römer haben diesen fundamentalen Zusammenhang verstanden. Denn die lateinische Sprache hat dasselbe Wort für Wert und Preis: PRETIUM. Interpretiert man diese Identität wörtlich, so sind Wert und Preis dasselbe. Und diese Auffassung ist keine schlechte Leitlinie für das Herangehen an Preisprobleme. Denn sie legt nahe, sich zunächst mit dem Wert in den Augen des Kunden zu befassen. Daraus ergeben sich drei wichtige Aufgaben:
Wert schaffen: Eine Herausforderung für Innovation, Beschaffenheit des Materials, Produktqualität, Design etc.
Wert kommunizieren: Diese Aufgabe umfasst Aussagen zu Produkt, Positionierung und nicht zuletzt die Marke. Auch Verpackung, Darbietung, Platzierung im Laden etc. lassen sich dieser Aufgabe zurechnen.
Wert erhalten: Hier geht es um die Nachkaufphase. Bei Luxusartikeln oder dauerhaften Konsumgütern wie Automobilen liefert die Werterhaltung einen entscheidenden Beitrag zur Preisbereitschaft beim Erstkauf.
Erst wenn ein Anbieter über den Wert Klarheit gewonnen hat, sollte er an die Preissetzung herangehen. Und für den Nachfrager ist die Beschäftigung mit dem Wert gleichermaßen wichtig. Nur wenn man den Wert kennt, wird man als Käufer nicht über den Tisch gezogen und zahlt nicht zu viel. Die Kenntnis des Werts schützt einen vor dem Kauf eines Produkts, das auf den ersten Blick nach einem Schnäppchen aussieht, sich aber später als »Zitrone« herausstellt.10 Der spanische Aphoristiker Baltasar Gracián (1601–1658) hat dies in höchst einsichtsreicher Weise ausgedrückt: »Es ist besser im Preis als in der Ware betrogen zu werden.«11 Wenn ein Händler uns beim Preis über den Tisch zieht, uns das Produkt also zu teuer verkauft, dann ist das ärgerlich. Aber dieser Ärger ist temporär. Dreht der Händler uns hingegen eine schlechte Ware an, dann bleibt der Ärger ein ständiger Begleiter, |23|bis wir uns des Produkts endlich entledigen, weil wir seiner überdrüssig sind. Die Moral aus dieser Einsicht: Achten Sie bei Kauf und Verhandlung mehr auf die Ware als auf den Preis! Allerdings ist das nicht einfach. Der Preis ist eine eindimensionale oder allenfalls eine geringdimensionale Größe, die Ware hingegen ist vieldimensional und insofern schwerer zu beurteilen.
In eine ähnliche Richtung zielt die französische Weisheit: »Le prix s’oublie, la qualité reste.« Den Preis vergisst man, die Qualität bleibt. Wer hat diese einfache, tiefe Wahrheit nicht selbst erfahren? Preis als ephemere, oft schnell vergessene Größe, hingegen Wert und Qualität als etwas Dauerhaftes. Wer hat sich nicht schon vorschnell gefreut über einen niedrigen Preis, darüber, ein Schnäppchen ergattert zu haben, um erst später zu bemerken, von welch mieser Qualität das scheinbar so günstige Produkt war. Und umgekehrt: Wer hat nicht schon beim Kauf mit einem hohen Preis gehadert und durfte später zu seiner Freude feststellen, dass er hervorragende Qualität erworben hat? Der englische Sozialreformer John Ruskin (1819–1900) hat den gleichen Sachverhalt ebenfalls präzise beschrieben: »Es ist unklug, zu viel zu bezahlen, aber es ist noch schlechter, zu wenig zu bezahlen. Wenn Sie zu viel bezahlen, verlieren Sie etwas Geld, das ist alles. Wenn Sie dagegen zu wenig bezahlen, verlieren Sie manchmal alles, da der gekaufte Gegenstand die ihm zugedachte Aufgabe nicht erfüllen kann. Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.«
Da die Betriebe in unserem Dorf sehr klein waren, teilten sich jeweils zwei oder drei Bauern einen Mähbinder. Das bedeutete, dass man dem anderen Bauern beim Ernten des Getreides helfen musste. Dazu hatte ich mit 16 keine Lust mehr. Deshalb kaufte ich, ohne meinen Vater zu fragen, bei einem Bauern, der seinen Betrieb aufgab, für 800 D-Mark einen gebrauchten Mähbinder. Der Preis von 800 D-Mark erschien sehr günstig. Ich war stolz, ein echtes Schnäppchen ergattert zu haben. Leider stellte sich bei der Ernte heraus, dass die Maschine, die mit einem neuen System arbeitete, sehr störanfällig war. Der günstige Preis war schnell vergessen, der |24|Ärger mit der Maschine blieb, bis wir sie nach zwei Jahren stilllegten. Ich hatte meine Lektion gelernt: Le prix s’oublie, la qualité reste. Ob öffentliche Auftraggeber, die in der Regel den billigsten Bieter nehmen, diese Weisheit und das Zitat von Ruskin kennen?

Werte schaffen und kommunizieren

Echte Werte sind eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für Erfolg. Zu oft höre ich von Managern, insbesondere von solchen mit technischem oder naturwissenschaftlichem Hintergrund, die Aussage, dass man nur ein gutes Produkt machen müsse, dann verkaufe es sich schon von selbst. Ein Opel-Vorstandsvorsitzender sagte mir einmal: »Wenn wir gute Autos bauen, dann brauchen wir uns um den Absatz keine Sorgen zu machen.« Das ist allerdings schon lange her. Welch ein Irrtum! Von modernen Managern hört man Gott sei Dank andere Töne. So sagte Martin Winterkorn in einem Workshop: »Wir müssen exzellente Autos bauen, aber die Marke ist genauso wichtig wie das Produkt.« Das ist eine bemerkenswerte Aussage für einen Ingenieur, die man in dieser Form vor 20 Jahren nicht gehört hätte.
Wert allein reicht also nicht, man muss ihn auch kommunizieren. Nur der vom Kunden wahrgenommene Wert erzeugt Preisbereitschaft und wird damit umsatz- und gewinnrelevant. Und hier klafft nach wie vor eine große Lücke. In einem Projekt für einen Hersteller von LKW-Klimaanlagen fragte ich, wie hoch der geldwerte Nutzen einer Klimaanlage für die Spedition sei. Niemand konnte mir eine Antwort geben. Deshalb wurde eine arbeitsmedizinische Studie in Auftrag gegeben, die nachwies, dass durch die Reduktion von Unfällen und Krankenstand der Nutzen in Geldeinheiten weit über dem Preis lag. Dieser Nachweis wurden zum entscheidenden Argument in den Preisverhandlungen mit den Speditionen.
Mithilfe moderner Methoden wie Conjoint Measurement lassen sich heute selbst die Werte von intangiblen Faktoren wie Marke, Design oder Service in Geldeinheiten messen und somit Kosten und Preisbereitschaft vergleichen. Den Wert muss man je|25|doch wirksam kommunizieren, und zwar möglichst in Geldeinheiten. Ein hervorragendes Beispiel liefert hier General Electric, wie so oft Pionier, wenn es um Pricing geht. Im Geschäftsbericht 2012 finden wir in Abbildung 2.2 in Dollar ausgedrückten Kundennutzen von Energieeinsparungen. Da es sich um langlebige Investitionsgüter handelt, wurden die Einsparungen begründeterweise für einen Zeitraum von 15 Jahren berechnet. So kommen sehr hohe Werte im zweistelligen Milliardenbereich zustande.
[Bild vergrößern]
Abbildung 2.2: Wertkommunikation bei General Electric
Wenn möglich sollte man versuchen, den Wert in Form harter Daten zu kommunizieren. Das gilt insbesondere für Industriegüter. Bei Konsumgütern und Werten wie Prestige, Qualität, Design ist das schwieriger. Aber selbst da lässt sich einiges machen. So kommuniziert Miele regelmäßig, dass seine Waschmaschinen 20 Jahre halten. Das stimmt, und die Miele-Kunden wissen es. Deshalb liegt die Wiederkaufrate nahe an 100 Prozent. Nur wahrgenommener Wert erzeugt Preisbereitschaft.

Preis als Markträumer

Die volkswirtschaftlich wichtigste Funktion des Preises besteht darin, den Ausgleich von Angebot und Nachfrage herzustellen. Bei höheren Preisen steigt das Angebot. Die Angebotskurve hat also eine positive Steigung. Hingegen sinkt die Nachfrage mit höheren |26|Preisen. Die Nachfragefunktion weist eine negative Steigung auf. Der Schnittpunkt von Angebots- und Nachfragekurve bestimmt den Preis. Hierbei handelt es sich um den »markträumenden Preis« (market clearing price), denn bei diesem Preis (und nur bei diesem) sind Angebot und Nachfrage gleich. Jedem Anbieter, der bereit ist, zu diesem Preis zu verkaufen, wird die von ihm angebotene Menge abgenommen. Und jeder Nachfrager, der zu diesem Preis zu kaufen bereit ist, erhält die von ihm gewünschte Menge. In einem Markt mit freiem Angebot und freier Nachfrage kommt stets ein markträumender Preis zustande. Greift hingegen der Staat in die Preisbildung ein, so entstehen fast immer Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage.

Preis als Knappheitsindikator

Eine sehr wichtige Funktion des Preises besteht darin, die Knappheit eines Gutes anzuzeigen. Der Preis ist der aussagekräftigste Knappheitsindikator. Ein steigender Preis sorgt dafür, dass das Angebot für ein knappes Gut ausgedehnt wird. Höhere Preise führen in der Regel zu höheren Gewinnen bei den Produzenten der knappen Güter, sodass diese ihre Produktion ausweiten. Zudem werden Ressourcen von der Produktion weniger knapper Güter zur Produktion knapper Produkte umgeleitet. Auch auf diese Weise können mehr Einheiten von dem knappen Gut erzeugt werden. Das Umgekehrte gilt bei sinkenden Preisen. Sie deuten darauf hin, dass ein Gut im Überfluss vorhanden ist. Die Anbieter fahren ihre Produktionsmengen zurück. Die Nachfrager kaufen bei niedrigen Preisen mehr, bis ein neues Gleichgewicht erreicht ist.
In einer der ersten Vorlesungen meines Volkswirtschaftsstudiums fragte ich den Dozenten, wie es eigentlich komme, dass auf dem Markt immer ungefähr die richtigen Mengen vorhanden seien. Er schaute mich entgeistert an, wie jemand eine derart törichte Frage stellen könne. Er war mit seinen Formeln und Theorien beschäftigt. Mit einer solch einfachen Frage konnte er sich offensichtlich nicht identifizieren. Dabei ist das die zentrale Frage der Ökonomie.|27|

Schweinezyklen

Wirkungen von Preisänderungen treten oft erst mit zeitlichen Verzögerungen ein. Diese Gegebenheiten führen zu sogenannten Schweinezyklen. Ist das Angebot an Schweinen knapp, so steigen die Preise. Dies induziert bei den Landwirten eine Erhöhung der Produktion von Schweinen. Diese Produktionsausweitung kommt jedoch erst nach etwa einem Jahr zur Geltung. Mit einiger Wahrscheinlichkeit werden zu diesem Zeitpunkt zu viele Schweine angeboten, sodass die Preise wieder sinken. Das wiederum leitet die Bauern an, weniger Schweine zu mästen. Und ein Jahr später, wenn das verminderte Angebot wirksam wird, gehen die Preise erneut nach oben. Und so läuft es endlos weiter.
In manchen Märkten, etwa bei der Erdölexploration und -produktion, erstrecken sich die zeitlichen Verzögerungen über weit längere Zeiträume von zehn oder mehr Jahren, sodass sehr langfristige Preiszyklen auftreten. Im Jahr 1997 bearbeiteten wir ein Projekt für das damals größte deutsche Öl- und Gasexplorationsunternehmen, die Deminex GmbH. Seinerzeit lag der Preis für ein Barrel Öl bei etwas über 20 US-Dollar. Wir führten eine Umfrage zu den langfristigen Preiserwartungen bei Experten in aller Welt durch. Die meisten Aussagen tendierten in Richtung 15 Dollar pro Barrel. Tatsächlich sank der Preis bis zur Jahreswende 1998/99 auf etwa 12 Dollar. Die negativen Preiserwartungen hatten eine starke Absenkung der Investitionen in neue Explorationsprojekte zur Folge. Nur noch die vielversprechendsten Projekte wurden angegangen. Die negativen Preiserwartungen von damals sind eine der Ursachen für die hohen Ölpreise der letzten Jahre. Natürlich spielt auch die gestiegene Nachfrage in China und anderen Schwellenländern eine wichtige Rolle für den Anstieg des Ölpreises. In der 28. Kalenderwoche 2008 erreichte der Ölpreis mit 147,90 US-Dollar sein bisheriges Maximum. Das ist rund das Zehnfache der Erwartungen von 1998. Dazwischen liegen zehn Jahre, etwa die Zeit, die vom Beginn der Exploration bis zur vollen Produktion einer neuen Ölquelle vergeht. Es würde mich nicht überraschen, wenn der Ölpreis in einigen Jahren wieder sinkt, wenn die durch die hohen Preise induzierten, massiven Investitionen zu einer fühl|28|baren Erhöhung des Angebots führen. Es ist allerdings kaum abschätzbar, wie sich das Nachfragewachstum in den Schwellenländern, das zunehmende Umweltbewusstsein oder die höhere Energieeffizienz per saldo auswirken. Eine sichere Prognose der Ölpreisentwicklung ist unmöglich. Aber wie die Geschichte lehrt, sind Zyklen wahrscheinlicher als kontinuierliche Preisentwicklungen.

Preis und Staat

Wo immer Preismechanismen gestört werden, entstehen Ungleichgewichte. Der Staat ist in dieser Hinsicht der Hauptübeltäter. Er greift vielfach in die freie Preisbildung ein. Als Folge entstehen Überangebote wie Butterberge oder Milchseen bzw. Knappheiten, wie sie von Mietpreisbeschränkungen oder aus kommunistischen Systemen bekannt sind.
Die Lehre, die ich daraus ziehe: Man sollte möglichst viel der freien Preisbildung überlassen, und die Dinge werden sich regeln. Ich neige dazu, dieses Prinzip selbst im Problemfeld Energie für das richtige zu halten. Jedenfalls darf man die Eingriffe des deutschen Staates in die Energiepreise (speziell die auf 20 Jahre garantierten Preise für Solarstrom) infrage stellen.
Der Staat tritt auch selbst als Anbieter auf und setzt Preise für seine Angebote, die jedoch nicht Preise, sondern Gebühren heißen. Dazu zählen Autobahnmaut, Gebühren für Wasserver- und -entsorgung, Müllabfuhr oder die Ausstellung eines Passes. Das Zustandekommen staatlicher Preise unterliegt in der Regel nicht dem Marktmechanismus, sondern wird von politischen Aspekten bestimmt.
Zahlreiche staatliche Stellen sind mit Preisen befasst. Den ältesten mir bekannten Fall berichtete mir Dr. Marek Dietl, ein polnischer Freund. Einer seiner Vorfahren in der 13. Generation war unter König Sigmund um 1580 für die Festsetzung von Preisen verantwortlich. Erstmalig wurde seine Funktion im Jahr 1390 erwähnt. Etwa 100 Jahre später wurde ein zweiter Posten geschaffen, der die Einhaltung der Preise überwachte. In sozialistischen |29|Systemen gab es Preiskommissare, die die Preise kontrollierten. In der modernen Welt bedürfen die Preise von monopolistischen oder marktbeherrschenden Unternehmen der staatlichen Genehmigung, etwa bei Bahn, Post oder Energienetzen. Dafür sind spezielle Behörden wie die Netzagentur verantwortlich.
Der Staat achtet auf einen funktionierenden Wettbewerb. Das Kartellamt und die Europäische Kommission verfolgen Kartelle, bei denen Preise, Konditionen oder Mengen zwischen Konkurrenten abgesprochen werden. Diese Überwachung ist zunehmend strenger geworden, und die verhängten Strafen gehen in die Hunderte von Millionen oder in die Milliarden. Das bis dato höchste Bußgeld in der Europäischen Union betrug 1,47 Milliarden Euro. Es wurde am 5. Dezember 2012 gegen sieben Hersteller von Fernsehröhren verhängt. Das höchste Bußgeld gegen ein einzelnes Unternehmen in Europa waren die 896 Millionen Euro gegen Saint-Gobain im Autoglaskartell im Jahr 2008. In den USA können Kartellvergehen durch Gefängnisstrafen geahndet werden. In der bis dato »largest price fixing investigation ever« gegen führende, vor allem japanische Autozulieferer wurden zwölf Beschuldigte ins Gefängnis geschickt und Geldstrafen von einer Milliarde Dollar verhängt.12 Die härtere Kartellpraxis trägt definitiv zu einem besseren Funktionieren des Preiswettbewerbs bei.
Ein bisschen widersprüchlich – um nicht zu sagen absurd – ist das schon. Der Staat verschafft der freien Preisbildung durch Kartellgesetz und -prozesse mehr Geltung und behindert gleichzeitig auf vielen Gebieten den freien Preismechanismus. Die Dinge sind, wie sie sind – selbst beim Preis.

Preis und Macht

Preismacht – oder Pricing Power, wie man im Englischen sagt – ist ein wichtiger Aspekt. Es geht hierbei um die Frage, inwieweit ein Anbieter in der Lage ist, seine Preisvorstellungen gegenüber seinen Kunden und dem Markt durchzusetzen. Auch in umgekehrter Richtung lässt sich Preismacht diagnostizieren. Kann ein Nachfrager seine Preisvorstellungen gegenüber seinen Lieferanten realisie|30|ren? So wird beispielsweise gesagt, dass Autohersteller gegenüber ihren Zulieferern eine hohe Preis- oder Nachfragemacht besitzen. Eine beträchtliche Nachfrage-/Preismacht wird auch großen Händlern gegenüber den Herstellern zugemessen. In Deutschland entfallen 85 Prozent der Umsätze im Lebensmitteleinzelhandel auf die vier großen Handelsketten Edeka, Rewe, Aldi sowie die Schwarz-Gruppe mit Kaufland und Lidl. Der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt sagt: »Wir wollen wissen, wie es um die Nachfragemacht des Handels steht und wie die Einkaufspreise und Bezugskonditionen zustande kommen.«13
Der berühmte Investor Warren Buffett hält Pricing Power für die entscheidende Determinante des Unternehmenswertes. Er sagt: »The single most important business decision in evaluating a business is pricing power. And if you need a prayer session before raising price, then you’ve got a terrible business.«14 Der Wert einer Marke zeigt sich letztlich darin, ob sie in der Lage ist, einen Premiumpreis zu erzielen.
Eine ungewöhnliche Interpretation des Preises, die den Machtaspekt in den Mittelpunkt stellt, stammt von dem französischen Soziologen Gabriel Tarde (1843–1904). Tarde sieht jeden Preis, jeden Lohn und jeden Zins als einen momentan still gestellten Streit an.15 Bei Tarifvereinbarungen ist das unmittelbar evident. Der Friede hält nur bis zur nächsten Tarifrunde. Dann bricht der Streit bis zur nächsten Einigung wieder aus. Bei der Festlegung des Preises geht es um einen Machtkampf zwischen Anbieter und Nachfrager. Es handelt sich zwar nicht um ein Nullsummenspiel, aber dennoch wird die Aufteilung des Kuchens zwischen Verkäufer und Käufer in wesentlichen Teilen durch den Preis bestimmt.
In der Realität ist es um die Preismacht der meisten Unternehmen bescheiden bestellt. In der »Global Pricing Study 2012« von Simon-Kucher & Partners wurden 2 713 Manager aus 50 Ländern befragt. Nur 33 Prozent von diesen attestierten ihrem Unternehmen hohe Preismacht. 67 Prozent waren hingegen der Meinung, dass ihre Firma am Markt nicht die Preise realisieren kann, die sie zur Erzielung einer angemessenen Rendite braucht. In Firmen, in denen sich das Top-Management selbst um die Preise kümmert, ist die Preismacht der Studie zufolge 35 Prozent höher als in Unter|31|nehmen, in denen nachgeordnete Manager über die Preise entscheiden. Und wenn es eine spezielle Pricingfunktion gibt, erhöht das die Preismacht um 24 Prozent. Es lohnt sich offenbar, hochkarätige Managementkompetenz auf die Preise anzusetzen. Das erzeugt höhere Preismacht, und Firmen mit stärkerer Preismacht sind erfolgreicher in der Realisierung von Preiserhöhungen. Sie halten höhere Preise zudem besser durch und fahren letztlich signifikant höhere Gewinne ein.

Preise im Vormarsch

In der Vergangenheit hatten viele Güter keine Preise. Sie wurden vom Staat, von Kirchen und gemeinnützigen Organisationen gratis zur Verfügung gestellt, oder es galt als moralisch inakzeptabel, bestimmte Leistungen gegen Preise anzubieten. Die Benutzung von Autobahnen war frei, es gab keine Studiengebühren, oder Einzelleistungen waren in einem Gesamtpreis verborgen. Auf vielen Gebieten galten Preise als tabu. Doch das ändert sich rapide. Wie der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel in seinem 2012 erschienenen Buch Was man für Geld nicht kaufen kann – Die moralischen Grenzen des Marktes nachweist, dringen Preise immer stärker in alle Lebensgebiete vor.16 Die Fluggesellschaft Easyjet bietet ihren Passagieren für 12 Euro das Recht an, zuerst ins Flugzeug zu steigen. Selbst für die Einreise in die USA muss man heute 14 Dollar bezahlen. So viel kostet der Eintrag in das ESTA (Electronic System for Travel Authorization). Gegen Zahlung einer Gebühr kann man in Amerika während der Rushhour auf Sonderspuren fahren. Die Preise variieren dabei je nach Verkehrslage. Für 1 500 Dollar pro Jahr offerieren amerikanische Ärzte ihre Handynummer und jederzeitige Erreichbarkeit. In Afghanistan zahlen private Unternehmen Söldnern 250 bis 1 000 Dollar pro Tag für Kampfeinsätze. Der Preis hängt von Qualifikation, Erfahrung und Staatsangehörigkeit des Kämpfers ab. Im Irak und in Afghanistan waren mehr Angestellte privater Sicherheits- und Militärunternehmen im Einsatz als Soldaten der US-Armee.17 6 250 Dollar kostet das Austragen eines Embryos durch eine indische Leihmutter. Das |32|Recht, in die USA einzuwandern, kann man für 500 000 Dollar kaufen. Es wird auch diskutiert, knappe Studienplätze an begehrten Universitäten meistbietend zu versteigern.
Zunehmend wird alles mit einem Preisschild versehen. Immer stärker dringen Markt- und Preismechanismen in unser Leben vor. Dieses Übergreifen von Preisen auf Bereiche, die bisher von Normen außerhalb des Marktes gesteuert wurden, ist eine der bedeutsamsten Veränderungen unserer Zeit. Philosoph Sandel kommentiert diese Entwicklung wie folgt: »Wenn wir beschließen, dass bestimmte Güter ge- und verkauft werden dürfen, entscheiden wir – zumindest implizit –, dass es in Ordnung ist, sie als Waren zu behandeln, als Werkzeuge für den Profit und den Gebrauch. Doch nicht alle Güter werden angemessen bewertet, wenn man sie als Waren betrachtet. Menschen zum Beispiel.«18
In meiner Kindheit auf dem Bauernhof habe ich eine völlig andere Welt erlebt. Trotz meiner Anmerkungen zu den Schweinepreisen spielten Geld und Preise eine nachgeordnete Rolle. Die damalige Wirtschaftsweise war geld- und preisarm. Die Selbstversorgung dominierte, und die gegenseitige Nachbarschaftshilfe – ohne formellen Preismechanismus – war weitverbreitet. Heute regiert der Preis in nahezu allen Lebensbereichen. Die Frage, wie weit die Reichweite von Märkten und Preisen gehen soll, wird uns mit Sicherheit in der Zukunft noch intensiv beschäftigen. Umso wichtiger wird es, Preise und Preismechanismen zu verstehen.|33|
Kapitel 3
Preis als Gewinntreiber Nr. 1