64 Fehlschlüsse in Argumenten - Albert Mößmer - E-Book

64 Fehlschlüsse in Argumenten E-Book

Albert Mößmer

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Beschreibung

Das Buch soll helfen, logische und rhetorische Fehler beim Argumentieren zu erkennen und zu vermeiden. Zu diesem Zweck erklärt es 64 der häufigsten Fehlschlüsse, mit denen man in Argumenten konfrontiert wird. Dazu gehören Fehlschlüsse der formalen und der informellen Logik, wie die Ad-Hominem-Attacke, die Äquivokation, das Argument der Stärke, der falsche Schotte, der naturalistische Fehlschluss, der Rote Hering, die Scheinkausalität, der Spieler-Fehlschluss, das Strohmann-Argument, das Versetzen der Torpfosten und der Zirkelschluss. Zahlreiche Beispiele veranschaulichen diese häufigen Denkfehler. Die Einführung bietet zudem einen kurzen Überblick über die formale und informelle Logik.

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64 Fehlschlüsse in Argumenten

Logische und rhetorische Irrwege erkennen und vermeiden

Albert Mößmer

© 2013 Albert Mößmer

Im Titelbild wurde die Radierung „Inflammatory arguments for and against the test laws“ von G. M. Woodward (ca. 1760 - 1809) verwendet.

Impressum

Albert Mößmer Inninger Str. 49c 86179 Augsburg

„Ich habe niemand auf der Straße gesehen“, sagte Alice. „Ich wünschte, ich hätte solche Augen“, bemerkte der König in einem verdrießlichen Tonfall. „Niemand sehen zu können! Und noch dazu aus dieser Entfernung!“ … „Wem bist du auf der Straße begegnet?“, fuhr der König fort und streckte seine Hand dem Boten entgegen, um ihm mehr Heu zu geben. „Niemand“, sagte der Bote. „Genau“, sagte der König, „diese junge Dame hat ihn auch gesehen. Niemand geht natürlich langsamer als du.“

Lewis Carroll1

Einführung

Die Psychologin und Bildungswissenschaftlerin Sylvia Scribner stellte während ihres Forschungsaufenthaltes in Liberia einem Bauern des Kpelle-Volkes die Frage: „Alle Kpelle-Männer sind Reisbauern. Mr. Smith ist kein Reisbauer. Ist er ein Kpelle-Mann?“

Als Antwort gab der Kpelle-Bauer, der des Lesens und Schreibens unkundig war, zurück: „Ich kenne den Mann nicht. Ich habe den Mann nicht selbst gesehen.“2

Die meisten Menschen in den industrialisierten Ländern könnten diese Frage richtig beantworten, ohne Mr. Smith kennengelernt zu haben. Auch unter den Angehörigen des Kpelle-Volkes war es so, dass diejenigen, die eine Schulausbildung genossen hatten, eine logische Schlussfolgerung dieser einfachen Art in der Regel vollziehen konnten.

Logisches Schließen scheint nicht angeboren, sondern erlernt zu sein. Doch trotz der im Vergleich zu früheren Zeiten vielen Jahre an Schulen, Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen, die von Menschen in der industrialisierten Welt verbracht werden, und trotz der beispiellosen Bildungsmöglichkeiten, die heute existieren, wimmelt es von irrationalen Schlussfolgerungen, wie man sich an Stammtischen, in den Massenmedien, in der Politik, in Kommentaren im Internet und in vielen anderen Bereichen überzeugen kann. Einige der häufigsten dieser Fehlschlüsse sollen im Folgenden behandelt werden.

Argumentformen

Griechische Philosophen begannen schon früh, sich mit dem folgerichtigen Denken zu beschäftigen. Aber Aristoteles (384 – 322) gilt als Begründer der Logik, also der Lehre des widerspruchs- und irrtumsfreien Denkens. Die auf ihn zurückgehende Argumentform, der Syllogismus, besteht aus zwei Prämissen (Voraussetzungen) und einer Schlussfolgerung (Konklusion). Das Argumentieren im Syllogismus erfolgt mit Quantoren, wie „alle“, „keine“ und „einige“.

Die erste Prämisse könnte beispielsweise lauten: „Alle Griechen sind Menschen“. Die zweite Prämisse: „Aristoteles ist ein Grieche.“ Daraus lässt sich schlussfolgern: „Aristoteles ist ein Mensch.“

Der oben erwähnte, von Sylvia Scribner berichtete Fall besitzt die gleiche Argumentform: Prämisse 1: „Alle Kpelle-Männer sind Reisbauern.“ Prämisse 2: „Mr. Smith ist kein Reisbauer.“ Die richtige Schlussfolgerung wäre also: „Mr. Smith ist kein Kpelle-Mann.“

Auf Philon von Megara (4./3. Jahrhundert v. d. Z.) geht die Darstellung der Schlussfolgerung mit „wenn … dann“ zurück. Dieses konditionale oder bedingte Schließen funktioniert ebenfalls mit Prämissen, von denen die erste die Bedingung enthält. Die erste Prämisse könnte beispielsweise lauten: „Wenn die Temperatur unter null Grad fällt, dann gefriert das Wasser.“ Mit dieser Aussage alleine kann man noch nicht viel anfangen, weswegen für eine Schlussfolgerung eine zweite Prämisse nötig ist, wie: „Die Temperatur ist minus zehn Grad.“ Die logisch korrekte Schlussfolgerung daraus ist: „Das Wasser gefriert.“

Eine weitere Möglichkeit, zu rationalen Schlussfolgerungen zu kommen, ist das relationale Schließen, bei dem es um Beziehungen zwischen Objekten geht. Ausdrücke, mit denen diese Beziehungen hergestellt werden, sind beispielsweise „größer als“, „früher als“ oder „gleichzeitig mit“.

Beispiel: Hans ist älter als Frieda. Otto ist älter als Hans. Otto ist folglich älter als Frieda.

Von den Prämissen zur Konklusion

Um zu einer Schlussfolgerung zu gelangen, müssen erst Behauptungen aufgestellt werden, aus denen eine Folgerung abgeleitet werden kann. Diese Behauptungen werden „Prämissen“ oder auch „Vordersätze“ genannt. In der formalen Logik beinhaltet ein Argument normalerweise eine Prämisse oder zwei Prämissen. Allerdings kann es auch Argumente mit mehr Vordersätzen geben. In der indischen Logik, die sich etwa gleichzeitig mit der griechischen Logik entwickelte, waren mehr Prämissen üblich.

In der ersten Prämisse, der Hauptprämisse, wird normalerweise eine allgemeine Aussage getroffen, wie „Hunde sind Säugetiere“ oder „Wenn die Schuhe abgetragen sind, kaufe ich neue Schuhe“. Der Hauptprämisse folgt die Nebenprämisse, bei der es um einen speziellen Fall geht, wie „Bello ist ein Hund“ oder „Meine Schuhe sind abgetragen“. Aus den beiden Prämissen kann man nun schließen: „Bello ist ein Säugetier“ und „Ich kaufe mir neue Schuhe“.

Eine Schlussfolgerung kann logisch korrekt, aber trotzdem falsch sein. Dies ist der Fall, wenn eine der Prämissen unwahr ist.

Beispiel: Alle Rheinländer haben spitze Ohren. Oskar ist ein Rheinländer. Oskar hat folglich spitze Ohren.

Von den beiden Prämissen ausgehend ist die Schlussfolgerung, dass Oskar spitze Ohren hat, logisch gültig. Der Wahrheitswert der Konklusion ist trotzdem negativ, das heißt, dass sie falsch ist. Der Grund dafür ist die unwahre Hauptprämisse. Wahre Prämissen führen jedoch bei einer logisch richtigen Schlussfolgerung immer zu einer richtigen Konklusion. Man spricht dann davon, dass das Argument schlüssig oder dass es beweiskräftig ist.

Deduktion und Induktion

Man unterscheidet zwei Arten des Argumentierens oder Schlussfolgerns, nämlich die Deduktion und die Induktion. Deduktive Argumente existieren dann, wenn die Prämissen die Schlussfolgerung völlig stützen oder völlig zu stützen scheinen.

Beispiel für ein deduktives Argument: Wenn sich eine Zahl nur durch sich selbst oder durch die 1 ganzzahlig teilen lässt, dann handelt es sich um eine Primzahl. Die 7 lässt sich nur durch sich selbst oder durch die 1 ganzzahlig teilen. Bei der 7 handelt es sich folglich um eine Primzahl.

Die Schlussfolgerung in dem vorangehenden Beispiel ist nicht nur sehr wahrscheinlich, sondern eindeutig. Sie lässt keine Zweifel offen. Anders verhält es sich bei der induktiven Logik, die auch als die Logik der Beobachtung und Empirie bezeichnet wird. Bei induktiven Argumenten muss die Schlussfolgerung wahrscheinlich genug sein, um als stichhaltig anerkannt zu werden.

Beispiel für ein induktives Argument: Die mediterrane Küche ist gesund. Ich ernähre mich mediterran. Daraus folgt, dass ich mich gesund ernähre.

Das Argument klingt überzeugend. Die Schlussfolgerung mag stichhaltig sein, ist aber nicht notwendigerweise richtig. Vielleicht neige ich zu sehr dem mediterranen Wein zu oder esse ich zu viel mit Quecksilber belasteten Fisch, sodass ich mich trotz der südländischen Küche nicht gesund ernähre. Anders als bei dem deduktiven Beispiel ist hier die Schlussfolgerung also nicht eindeutig.

Beispiel: Bedingungen, wie sie auf der Erde herrschen, sind die Voraussetzung für Leben. In unserer Galaxie gibt es vermutlich Millionen erdähnlicher Planeten. Und es gibt Milliarden von Galaxien im Universum. Daraus folgt mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit, dass es Leben auf anderen Planeten gibt.

Nicht nur Science-Fiction-Fans, sondern auch die meisten Wissenschaftler würden zustimmen, dass es sich um ein stichhaltiges Argument handelt. Aber ist die Schlussfolgerung notwendigerweise wahr? Führen bestimmte Voraussetzungen mit einer so hohen Wahrscheinlichkeit zum Entstehen von Leben, dass diese Schlussfolgerung gerechtfertigt wäre? Deduktiv ist das Argument nicht schlüssig, aber sicherlich finden die meisten die Schlussfolgerung in induktiver Hinsicht überzeugend.

Fehlschlüsse

Fehlschlüsse oder Trugschlüsse sind fehlerhafte Schlussfolgerungen, die durch falsche Prämissen oder logische Fehler in Argumenten entstehen. Man unterscheidet zwischen formalen und informellen Fehlschlüssen. Formale Fehlschlüsse zeichnen sich dadurch aus, dass sich der Fehler in der Struktur des Arguments befindet. Dies bedeutet, dass sich die Schlussfolgerung nicht aus den Prämissen ableiten lässt, selbst wenn die Prämissen wahr sind.

Beispiel: Einige Männer sind Ärzte. Einige Ärzte sind groß. Einige Männer sind folglich groß.3

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass es sich um ein logisch schlüssiges Argument handelt. Die Konklusion, dass einige Männer groß sind, ist zwar wahr, aber dieser Umstand ergibt sich nicht aus den Prämissen. Dass sich ein Fehler in dem Argument befindet, zeigt sich, wenn man das Attribut „groß“ durch „weiblich“ ersetzt:

Einige Männer sind Ärzte. Einige Ärzte sind weiblich. Einige Männer sind folglich weiblich.

Die Ursache für den Trugschluss wird offensichtlich, wenn man sich vorstellt, dass die Männer, die Ärzte und die Frauen jeweils eine Menge bilden. Die Menge der Ärzte überschneidet sich mit den Mengen der Männer und der Frauen, da manche Ärzte männlich und manche weiblich sind. Wir wissen jedoch nicht, in welcher Schnittmenge sich die großen Ärzte befinden. Auch wenn es der Erfahrung widerspricht, könnte es sein, dass nur die weiblichen Ärzte groß sind.

Bei informellen Trugschlüssen liegt der Fehler dagegen gewöhnlich nicht in der Form, sondern im Inhalt, der unklar, mehrdeutig oder falsch sein kann. Informelle Trugschlüsse stützen sich oft auf rhetorische Mittel oder eine fehlerhafte Logik.

Beispiel: Fliegende Objekte, die man nicht identifizieren kann, müssen außerirdische Raumschiffe sein. Gestern sah ich ein unbekanntes fliegendes Objekt am Himmel. Folglich habe ich gestern ein außerirdisches Raumschiff gesehen.

Dass es sich bei diesem Beispiel um einen Trugschluss handelt, ist offensichtlich. In der ersten Prämisse liegt ein Widerspruch. Entweder weiß man, um was es sich bei einem fliegenden Objekt handelt, oder man weiß es nicht. Falls man es nicht weiß, kann man nicht aufgrund des Nichtwissens darauf schließen, dass es ein außerirdisches Raumschiff sein muss. Trotzdem wird dieses Argument, das als Berufung auf das Nichtwissen bezeichnet wird, in Argumenten oft verwendet. Die abstrakte Version lautet in Kurzform: „Ich weiß nicht, was A ist, folglich muss es Y sein.“

Fehlschlussklassifizierungen

Aristoteles war der Erste, der sich systematisch mit logischen Fehlschlüssen beschäftigte. In seinem Werk „Über die sophistischen Widerlegungen“, das Teil des Organon4 bildet, behandelt er „sophistische Widerlegungen“, bei denen es sich vor allem um rhetorische Mittel handelt, „welche nur scheinbar Widerlegungen, aber in Wahrheit Fehlschlüsse und keine Widerlegungen sind.“5

Sechs dieser Fehlschlüsse zählt Aristoteles zu den Mitteln der Ausdrucksweise:

die

Gleichnamigkeit

(

Äquivokation

),

die

Zweideutigkeit

(

Amphibolie

),

die

Verbindung

(

Kombination

),

die

Trennung

(

Division

),

die

Betonung

(

Akzent

)

und die Form des Ausdrucks.

6

Außerdem listet Aristoteles sieben Arten von Widerlegungen auf, die sich nicht auf die Ausdrucksweise stützen:

Sich auf das Nebensächliche stützen (

Akzidenz

),

die mangelnde Unterscheidung zwischen schlechthin wahren und nur in einer bestimmten Hinsicht wahren Sätzen (

Secundum quid

),

die mangelnde Bestimmung der Widerlegung (

Ignoratio elenchi

),

das dem Gegenstande Zukommende (

Zirkelschluss

),

den im Anfang aufgestellten Satz als zugestanden benutzen (

non causa pro causa

)

sowie mehrere Fragen zu einer machen (

komplexe Frage

)

7

.

Nach Aristoteles unternahmen es auch andere Philosophen und Denker, Listen von Fehlschlüssen aufzustellen und sie in Kategorien einzuteilen. Heute spricht man oft von Trugschlüssen der Doppeldeutigkeit, der Irrelevanz, der Wahrscheinlichkeit, der Ursache, der Emotionen, der Ethik, der Sprache und so weiter. Die verschiedenen Kategorien sind jedoch nicht feststehend und die Zuordnung ist auch nicht immer eindeutig.

Von Aristoteles zum Internet

Die Trugschlüsse, die im Folgenden aufgeführt sind, zählen zum überwiegenden Teil zur informellen Logik. Auch einige der bekannteren Fehlschlüsse der formalen Logik werden behandelt. Von den „aristotelischen“ Fehlschlüssen werden diejenigen beschrieben, die heute noch Relevanz besitzen. Spezielle Trugschlüsse sind weggelassen. Wer schon einmal mit den Wirtschaftswissenschaften zu tun hatte, wird wahrscheinlich von dem Sunk-Costs-Trugschluss oder dem Trugschluss der fixen Menge Arbeit (auf Englisch „Lump of Labour Fallacy“) gehört haben. Man könnte die Liste bedeutend erweitern. Andere spezielle Trugschlüsse gibt es beispielsweise in der Statistik, in der Psychologie, der Geschichtswissenschaft und vielen anderen Bereichen. Die Liste der Fehlschlüsse in diesem Buch erhebt also in keiner Weise einen Anspruch auf Vollständigkeit.

Dem Leser wird auffallen, dass viele der folgenden Beispiele aus dem englischsprachigen Raum kommen. Dies hängt damit zusammen, dass das Internet alle anderen Medien als Informationsquelle – und damit auch als Quelle für Trugschlüsse – übertrumpft hat. Eine unerschöpfliche Fundgrube für fehlerhaftes Denken ist aber nach wie auch der Bereich außerhalb des weltweiten Netzes: die „alten“ Medien, die persönlichen Gespräche und Diskussionen, die Äußerungen der „Stammtischtheoretiker“ und natürlich Funk und Fernsehen.

Die Ad-Hominem-Attacke

Prämisse 1: Schlechte Menschen haben schlechte Argumente. Prämisse 2: Person A ist schlecht. Schlussfolgerung: Folglich sind die Argumente der Person A schlecht.

Man kann sich auch ein umgekehrtes Argumentum ad hominem vorstellen, das besagt, dass gute Menschen auch gute Argumente haben. Falls es sich bei Person A um einen guten Menschen handelt, müsste sein Argument auch gut sein. Allerdings bekommt man die positive Form des Trugschlusses bedeutend seltener zu hören als die negative.

Ein sehr häufiges Vorgehen beim Argumentieren – vor allem wenn die Diskussion hitzig wird – ist der verbale Angriff gegen die Person des Gegners. Mit Behauptungen, der andere sei ein Lügner, unmoralisch, inkonsequent, ein Fundamentalist, Apologet, Ideologe oder Fanatiker, stellt man dessen Integrität in Frage. Auf die Fähigkeit des Diskussionspartners, zur richtigen Schlussfolgerung zu gelangen, zielen Bezeichnungen wie „naiv“, „engstirnig“, „ignorant“ oder „verblendet“ ab. Die Unterstellung, jemand sei einer Gehirnwäsche unterzogen oder indoktriniert worden, entlastet den anderen zwar von einer etwaigen Schuld für seine falschen Ansichten, gleichzeitig soll damit aber gezeigt werden, warum er oder sie die richtigen Argumente nicht verstehen kann, sondern sich wie ein willenloses Werkzeug der Gegenseite verhält.

Die subtile Attacke

Attacken gegen die Person desjenigen, der die andere Meinung vertritt, müssen nicht immer direkt oder aggressiv sein. Sie können auf ganz subtile Weise geschehen. Oft wird in Büchern oder Artikeln, in denen eine andere Position widerlegt werden soll, zunächst der Meinungsgegner vorgestellt. Diese Kurzbiographien sind nicht immer schmeichelhaft, sondern sollen oft einen vermeintlichen Defekt im Charakter oder im Werdegang des Gegners aufweisen.

Beispiele: Der als Professor für Neues Testament tätige B, der Bücher aus historisch-kritischer Sicht über die Bibel verfasst, war in seiner Jugend ein evangelikaler fundamentalistischer Christ, wandelte sich dann zum liberalen Christen und bezeichnet sich heute als Agnostiker. B hat sich nicht wenige Feinde unter seinen früheren Glaubensgenossen gemacht. Für sie ist er ein Apostat, der die Gnade, der er einst teilhaft war, verschmähte. Die Folge ist, dass man aus ihrer Sicht seine Argumente mit Argwohn betrachten muss. Der Journalist C war früher Trotzkist und wandelte sich zum demokratischen Sozialisten. Der stets für Meinungsfreiheit eintretende C war von der Feigheit der Linken während der Rushdie-Affäre und schließlich von dem Verhalten seiner ehemaligen Weggefährten nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 angewidert. Dies führte dazu, dass er Positionen einnahm, die ihn seinen früheren politischen Gegnern nahe brachten. Für die Linken ist er seitdem ein Verräter, ein Sprachrohr des Klassenfeindes, ein Neokonservativer und Opportunist, dessen Texte man nicht lesen sollte. Das entscheidende Ereignis in der Biographie des C ist für sie dessen politischer Wandel, der seine Argumente ungültig mache.

Eine weitere subtile Attacke kann darin bestehen, auf die Herkunft oder die persönlichen Umstände des Gegners hinzuweisen, um dadurch dessen Glaubwürdigkeit zu untergraben.

Beispiel: In einer Debatte über die Frage, ob Margaret Thatcher Großbritannien gerettet habe, nannte die Labour-Abgeordnete Diane Abbot einige andere Diskussionsteilnehmer wiederholt „tituliert“ (engl.: titled). Sie wies damit ihre Gegner einer tatsächlich oder vermeintlich privilegierten Gruppe zu. Dass diese „Privilegierten“ – anders als sie, die einfacher Herkunft ist – aufgrund ihrer Privilegien für Thatcher argumentieren würden, unterstellte sie stillschweigend.8

Zu Ad-Hominem-Attacken können auch Versuche zählen, den Gegner lächerlich zu machen und ihn dadurch in der Wertschätzung des Publikums herabzusetzen. Wer in einer Diskussion die Lacher auf seiner Seite hat, wirkt glaubwürdiger, auch wenn seine Argumente nicht wirklich die besseren sind.

Das Brunnenvergiften

Das Brunnenvergiften wird oft als eine spezielle oder präemptive Form der Ad-Hominem-Attacke angesehen. Mit diesem rhetorischen Mittel soll der Diskussionsgegner oder dessen Argument bereits im Vorfeld diskreditiert werden.

Beispiel: Abtreibungsgegner bezeichnen den Schwangerschaftsabbruch oft als Holocaust und die Befürworter des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch als Nazis. Im Gegenzug werden die Abtreibungsgegner manchmal beschuldigt, einen Krieg gegen die Frauen führen zu wollen.

„Rassisten“, „Faschisten“, „Nazis“ sind einige der Bezeichnungen mit denen die Gegenseite bei Auseinandersetzungen manchmal bedacht wird. Beim eigentlichen Beginn der Diskussion soll dadurch das Publikum bereits voreingenommen sein und die eigentlichen Argumente im Licht der vorhergehenden Anschuldigungen sehen.

Den Spieß umdrehen

Eine Strategie, von der eigenen rational unhaltbaren Position abzulenken, besteht darin, die Gegner als eine Karikatur dessen darzustellen, wogegen sie eigentlich argumentieren. Vertreter der Kirchen und einige Journalisten bezeichneten beispielsweise diejenigen, die für die Trennung von Religion und Staat eintreten, als „säkulare Taliban“, „fundamentalistische Atheisten“ und „Sekte“. Damit sollen Säkularisten mit Taliban und Fundamentalisten in Verbindung gebracht und dadurch ihren extremistischen Gegnern gleichgestellt werden. „Die anderen sind nicht nur uns ähnlich“, so möchten die Vertreter dieser Strategie suggerieren, „sie sind sogar noch schlimmer, noch radikaler und irrationaler als wir.“