A Beautiful Flaw - Ria Radtke - E-Book
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A Beautiful Flaw E-Book

Ria Radtke

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Beschreibung

Gefühle, die nicht sein dürfen … Der bewegende New-Adult-Roman »A Beautiful Flaw« von Ria Radtke jetzt als eBook bei dotbooks. Wann ist ein Mensch schön?   Auf den ersten Blick ist Victoria das Ebenbild ihrer Schwester Sam, Star der gefeierten Regency-Soap Silver Lines.  Auf den zweiten Blick haben die Zwillinge nichts gemeinsam: Denn Vic, die mit Make-up-Tutorials im Internet Tausende begeistert, würde ihr Gesicht nie vor einer Kamera zeigen.  Eine Kooperation mit einem Kosmetikkonzern könnte Vics langersehnten Durchbruch bedeuten, doch dafür muss sie ausgerechnet ans Set von Silver Lines reisen. Dort trifft sie neben Sam auch auf Lex, den männlichen Hauptdarsteller der Serie. Vic spürt, dass Lex genau wie sie seine Narben vor der Welt versteckt. Aber die Liste der Gründe, sich von Lex fernzuhalten, ist endlos. Doch dann holt die Vergangenheit die beiden Schwestern ein, und alte Wunden reißen auf …  Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der gefühlvolle Roman »A Beautiful Flaw« von Ria Radtke ist der erste Band in ihrer »Silver Lines«-Reihe, die Fans von Sarah Sprinz und »Bridgerton« gleichermaßen begeistern wird. Die Printausgabe und das Hörbuch sind bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 492

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Über dieses Buch:

Wann ist ein Mensch schön?

Auf den ersten Blick ist Victoria das Ebenbild ihrer Schwester Sam, Star der gefeierten Regency-Soap Silver Lines. Auf den zweiten Blick haben die Zwillinge nichts gemeinsam: Denn Vic, die mit Make-up-Tutorials im Internet Tausende begeistert, würde ihr Gesicht nie vor einer Kamera zeigen.

Eine Kooperation mit einem Kosmetikkonzern könnte Vics langersehnten Durchbruch bedeuten, doch dafür muss sie ausgerechnet ans Set von Silver Lines reisen. Dort trifft sie neben Sam auch auf Lex, den männlichen Hauptdarsteller der Serie. Vic spürt, dass Lex genau wie sie seine Narben vor der Welt versteckt. Aber die Liste der Gründe, sich von Lex fernzuhalten, ist endlos. Doch dann holt die Vergangenheit die beiden Schwestern ein, und alte Wunden reißen auf …

»A Beautiful Flaw« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Ria Radtke sieht im Schreiben die Magie unserer Zeit. Dieser Zauber geht auch von ihren erfolgreichen Fantasy- und Liebesromanen aus.

Bei dotbooks erscheinen außerdem ihre Romane »Spirit Dolls«, »Matching Souls« und »A Beautiful Scandal« als eBook.

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eBook-Ausgabe August 2024

Titel der Originalausgabe: »Beautiful Scars«

Copyright © der Originalausgabe 2024 Ria Radtke und SAGA Egmont

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Dieses Buch wurde vermittelt von der Literaturagentur erzähl:perspektive, München www.erzaehlperspektive.de/.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Paulina Ochnio unter Verwendung von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-141-4

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Ria Radtke

A Beautiful Flaw

Roman – Silver Lines 1

dotbooks.

Für mich und für dich.

Du bist schön, genau so, wie du bist.

Und du schuldest es niemandem, zu gefallen.

PLAYLIST

Winner – Conan Gray

Higher Love – James Vincent McMorrow

Magazines – Anson Seabra

High Hopes – Panic! At the Disco

Attention – Charlie Puth

Stressed Out – twenty one pilots

Perfectly Broken – BANNERS

Daylight – David Kushner

There’s No Way – Lauv feat. Julia Michaels

Artistry – Jacob Lee

Deniro – Alec Benjamin

Scars – Lukas Graham

Home from Home – Roo Panes

How little that which thou deniest me

VICTORIA

Ich habe diesen Tag so oft in Gedanken durchgespielt, dass mir die Realität im Vergleich merkwürdig blass vorkommt. Und still wie ein Stummfilm in Schwarz-Weiß. Ich sitze im leeren Kinosaal, während mein Leben über die Leinwand flimmert. Die Hauptrolle spielt jemand anderes.

Das halbe Dorf trudelt bei strahlendem Sonnenschein ein, was Granny sicher gefreut hätte. Oder freut, wer weiß das schon. Zwischen Gehstöcken und den obligatorischen schwarzen Regenschirmen blitzen hier und da ein gestärkter Hemdkragen oder eine Perlenkette auf. Ich nicke den Friedhofsbesuchern flüchtig zu, um ihren prüfenden Blicken so schnell wie möglich wieder zu entkommen. Und trotzdem gibt es jemanden, den ich gern sehen würde. Eine Person, die ich hier erwartet hätte, weil sie von meiner Geburt an bei allen wichtigen Ereignissen meines Lebens dabei war, sodass ich mich ohne sie nur als Hälfte eines Ganzen fühle. Meine Schwester Sam.

Enttäuschung legt sich erdrückend über mich, als ich ihren dunkelblonden Haarschopf nirgends entdecken kann. Dabei hätte ich es wohl sofort bemerkt, wäre Sam angekommen: an einem Raunen, das durch die Menge der Trauernden ginge, und an geflüsterten Worten in einem Tonfall irgendwo zwischen Bewunderung und Abfälligkeit. Weil selbst hier im verschlafenen Nest Birkenshaw inzwischen jeder mitbekommen hat, dass meine Schwester es geschafft und das einfache Leben für immer hinter sich gelassen hat.

Doch neben der Ernüchterung mischt sich noch ein anderes Gefühl in den explosiven Cocktail, der durch meine Adern strömt: Erleichterung. Ich gebe es nicht gern zu, aber ich hatte Angst vor dieser Begegnung. Davor, Sam tatsächlich wiederzusehen, nicht nur auf einer Leinwand. Keine Ahnung, ob ich ihr die Hand gegeben oder sie in den Arm genommen hätte, so wie früher.

Ich schließe die Augen, schlucke und presse die Lider für eine Sekunde fest zusammen, bevor ich sie wieder öffne. Plötzlich ist mir in dem dunklen Kostüm unerträglich heiß und der Polyester kratzt auf meiner Haut. Ich spüre, wie mir der Schweiß auf der Stirn ausbricht, und versuche angestrengt, mich zu beruhigen. Wenn meine Schwester tatsächlich kommen sollte, möchte ich ihr als unbeschriebenes Blatt entgegentreten, ohne irgendeinen Anhaltspunkt, der sie wissen lassen könnte, wie es mir geht. Wie erbärmlich, selbst auf einer Beerdigung die Fassade wahren zu wollen.

Jemand legt mir eine Hand auf die Schulter. »Vic?«

Ich drehe den Kopf und sehe in die freundlichen braunen Augen meiner Nachbarin Edith, die für mich schon lange einfach Edie ist. Unter den schlohweißen Ponyfransen wirkt ihr Blick noch eindringlicher. »Es geht jetzt los.«

Mit einem Nicken folge ich ihr in die Kapelle. Der Gottesdienst ist schlicht, aber liebevoll, so wie Granny es sich gewünscht hat. So wie sie. Und ich bilde mir ein, dass die meisten der Anwesenden froh sind, sie endlich von ihrem Leid erlöst zu wissen. Denn streng genommen ist sie schon vor Jahren von uns gegangen. Natürlich spricht das niemand aus, es nimmt überhaupt niemand eines dieser hässlichen klinischen Wörter in den Mund – Gedächtnisstörung, Demenz, Alzheimer. Ich habe keine Rede vorbereitet, aber Edie erzählt etwas aus Grannys Leben. Ich höre nur mit einem Ohr hin, weil meine überlauten Gedanken inzwischen alles übertönen. Wo ist Sam, warum ist sie nicht hier? Sie wüsste, was man sagen und tun muss, wo ich nur verhalten lächle und nicke. Und warum, verdammt, lässt sie mich ausgerechnet heute im Stich? Ich könnte Mum fragen, ob sie etwas von ihr gehört hat, doch ich will nicht. Denn wenn Mum erst einmal anfängt, von ihrer Tochter, dem Wunderkind, zu schwärmen, hört sie so schnell nicht mehr damit auf.

Als ich am offenen Grab stehe und den Sarg betrachte, von Seilen gehalten und geschmückt mit einem schlichten Gesteck, wird mir ein wenig übel. Die weißen Rosen lassen an diesem warmen Septembermorgen bereits die Köpfe hängen. Oder vielleicht liegt das nur an meiner überempfindlichen Fantasie. Aber das Mitleid in den Gesichtern der Trauergäste, die mir der Reihe nach die Hand geben, bilde ich mir bestimmt nicht ein. Statt Anteilnahme lese ich in ihren Mienen ehrliches Bedauern – und ich weiß, es gilt mir selbst. Vielleicht werde ich doch weitermachen wie bisher, in Grannys Haus und in Grannys Leben, und irgendwann ist das dort unten mein Platz.

Auf der Feier warte ich nur darauf, dass jemand fragt: »Wo ist denn deine Schwester?«, und damit das Fass zum Überlaufen bringt. Zum Glück traut sich niemand, den Elefanten im Zimmer anzusprechen. Doch dann wird nach Kuchen und Kaffee Grannys selbst gemachter Holunderblütenlikör ausgeschenkt. Eigentlich ist es schön, dass die Flasche nicht im Schrank verstaubt, denn dort hätte sie auch zu ihren Lebzeiten nicht lange gestanden. Allerdings lässt Mum in diesem Moment ihre Gabel gegen das Likörglas klirren und setzt zu einer Rede an. Wenn ich dachte, im Angesicht des Todes wäre alles, was man im Diesseits erreicht hat, unwichtig, lag ich wohl falsch.

Mit beiden Händen umklammere ich die Stuhlkante. Ich kralle die Nägel so fest in das Polster, dass der Puls in meinen Fingerspitzen pocht. Tief durchatmen, sage ich mir. Gleich ist es überstanden. Und bei Gott, behalte den Likör bei dir! Ich versuche, Mum nicht zuzuhören. Ich kann das schaffen, einen Atemzug nach dem anderen. Denk an irgendwas anderes, irgendwas … Schönes.

Meine Mutter strahlt in die Runde. Ob sie noch weiß, dass wir auf einer Trauerfeier sind? Ihre Lippen bewegen sich, aber ich höre nicht, was sie sagt, denn mein eigenes Blut dröhnt viel zu laut in meinen Ohren. Jetzt hebt sie ihr Glas. Die Worte, die dann folgen, dringen wie durch eine Laune des Schicksals kristallklar an mein Ohr.

»Es ist traurig, dass Martha den großen Erfolg ihrer Enkeltochter nicht mehr miterleben konnte. Sie wäre so stolz auf ihren kleinen Engel gewesen –«

Das ist zu viel. Ich murmele Edie eine Entschuldigung zu und drücke mich von meinem Stuhl hoch. Ihr besorgter Gesichtsausdruck ist das Letzte, das ich sehe, bevor ich aus dem Friedhofscafé stürme. Schwüle Luft schlägt mir entgegen und ich habe Mühe, mich mit den unbequemen Pumps über den Kiesweg zu kämpfen, trotzdem haste ich mit großen Schritten an den Gräberreihen vorbei, bis ich wieder bei Granny stehe.

Ein Haufen frisch umgegrabener Erde, ein Holzkreuz und drei Blumenkränze mit Schleifen. Noch fühle ich mich meiner Oma an diesem Ort längst nicht so nah wie in ihrem beschaulichen Häuschen mit den selbst gehäkelten Spitzendeckchen und den Familienfotos an jedem freien Inch der Wände. Aber ich bin zuversichtlich, dass sich das bald ändern wird.

»Ich glaube, wir feiern zu zweit weiter«, flüstere ich und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel. »Klein und gemütlich, so wie du es sowieso immer wolltest.«

***

Nach dem Likör und der Rede ist Mum bald in ihren Lotus Elise gestiegen, ein Geschenk von Sam, die dasselbe Modell fährt, und zurück nach Bradford gefahren. Daraufhin hat sich das Café allmählich geleert, aber ich bin bis zum Schluss geblieben, um der Kellnerin beim Aufräumen zu helfen.

Als ich endlich wieder allein bin, fällt mir eine gefühlt zentnerschwere Last von den Schultern. Natürlich gibt es immer noch viele wichtige Dinge zu regeln, zum Beispiel, wie lange ich noch in Grannys Haus wohnen kann, und irgendwann werde ich mich dazu überwinden müssen, ihre persönlichen Sachen wegzuräumen. Die Wintermäntel im Kleiderschrank. Die Haarbürste auf dem Regalbord über dem Waschbecken. Aber all das kann mindestens bis morgen warten.

Mit hektisch pochendem Herzen schließe ich die Haustür auf und betrete mein sonderbar leeres Zuhause, in dem sich im Grunde nichts verändert hat. Und doch alles. Ich streife die Pumps von meinen schmerzenden Füßen und versuche, nicht in den Flurspiegel zu sehen. Im Wohnzimmer ziehe ich den Blazer aus und hänge ihn über einen Stuhl am Esstisch. Kurz halte ich inne, dann wandern die Bluse und die Bundfaltenhose hinterher. In Unterwäsche und T-Shirt sehe ich mich um. Hier müssten irgendwo meine Sweatpants liegen.

Grannys Stimme geistert durch meinen Kopf: »Suchst du die hier?«

Ich bin versucht, mich umzudrehen, um zu sehen, wie sie vor dem Fenster steht, neben der Anrichte voller Familienfotos, und meine Jogginghose mit spitzen Fingern in die Höhe hält. Ich habe ihren halb neckenden, halb mahnenden Ausdruck bildlich vor Augen. So hat sie schon damals geguckt, wenn Sam und ich über den Sommer bei ihr waren und jedes Mal fast die gesamten Ferien damit zubrachten, uns zu streiten.

Ich schüttle die bittersüße Erinnerung ab, öffne die Badezimmertür und schalte das Licht ein: Tatsächlich hängt meine Hose über dem Heizkörper. Aber als ich sie anziehen will, fällt mein Blick auf den Spiegelschrank. Oder besser gesagt auf meine eigene Reflexion darin.

Vor diesem verfluchten Tag war ich so nervös, dass ich heute Morgen zu viel Make-up aufgetragen habe. Es fühlt sich fremd an, wie eine Maske, nicht nach mir. Aber manchmal brauche ich diese zusätzliche Schicht. Sie ist mein Schutzschild, eine zweite Haut, die mich von der Welt trennt.

Kurz entschlossen drehe ich das Wasser auf, gebe mir zwei Pumpstöße Reinigungsgel in die Hände und schöpfe mir beides ins Gesicht. Der Schaum brennt in meinen Augen und meine Fingerspitzen verfärben sich schwarz. Ich wasche mich gleich noch mal, um sicherzugehen, dass ich alles erwischt habe, dann trockne ich mein Gesicht ab. Widerstrebend hebe ich den Kopf zum Spiegel und bereue, dass ich mich nicht im Dunkeln abgeschminkt habe.

Ich sollte positiv denken und mir vorstellen, dass es irgendjemanden gibt, irgendwo auf der Welt, der dieses Gesicht liebt. Das Gesicht, das in Werbespots und Komödien Millionen begeistert hat, oder nicht? Nein. Das war Sams Gesicht, nicht meins. Täglich hält es mir voller Hohn den Spiegel vor und zeigt mir, was hätte sein können. Aber diesen Anblick, den ich selbst kaum ertrage, kann niemand lieben.

Mit den Fingerspitzen betaste ich die Haut. Jede Unebenheit, jede Rötung, jede Narbe. Mit einem Mal verselbstständigen sich meine Finger und meine Gedanken. Ich entgleite mir selbst, bis ich weit weg bin.

Ich reise zurück an einen Tag im Sommer vor zwölf oder dreizehn Jahren. Sam und ich spielen im Garten. Wir haben ein kleines Beet angelegt, den Rasen mit unseren ungeschickten Händen und zwei Pflanzschaufeln umgegraben und Zwiebeln in die Erde gesetzt. Jetzt müssen sie nur noch gegossen werden. Ich schnappe mir die große Gießkanne und hechte die Stufen zum Haus hinauf. Die Treppe ist abgetreten und tückisch glatt, deshalb rutsche ich aus. Mein Knie blutet, Tränen laufen heiß über meine Wangen. Sofort ist Sam bei mir. Sie ruft Mum herbei. Nach einer Ewigkeit streckt unsere Mutter den Kopf aus der Küchentür, ein Geschirrhandtuch in der Hand.

Sie stöhnt auf. Ihr sollt doch nicht so wild spielen. Dann dreht sie sich wieder um.

Es ist Sam, die ihr nachruft: Mum, Vic blutet!

Ohne ein Wort reicht Mum ihr das Geschirrhandtuch und geht. Aber Sam geht nicht. Sie kommt zu mir und tupft mein Knie trocken. Bis du heiratest, ist das verheilt, kleine Nervensäge, flüstert sie. Und später, als Mum im Wohnzimmer fernsieht, holt sie heimlich eine Salbe aus dem Medizinschrank. Unsere Blicke kreuzen sich, während sie die weiße Paste auf die Wunde streicht, für einen Moment weiß ich nicht mehr, ob es mein Bein ist oder ihres, das verarztet wird.

Schlagartig zieht es mich zurück in die Gegenwart. Ich erschrecke und senke den Kopf. Beschämt wasche ich das Blut von meinen Händen und suche im Spiegelschrank nach einem Mittel, das wiedergutmachen kann, was ich getan habe. Auch, wenn ich genau weiß, dass es keines gibt.

»Wo warst du, Sam?«, flüstere ich mit wässrigen Augen und hasse mich im selben Moment abgrundtief, weil ich längst realisiert habe, dass Sam keine Schuld trifft. Ich bin die Einzige, die diesen Teufelskreis durchbrechen könnte. Warum quäle ich mich stattdessen immer weiter?

Wenn es eine schlüssige Antwort auf diese Frage gäbe, wäre wohl alles ein bisschen leichter. Aber die gibt es nicht. Abgesehen davon vielleicht, dass ich auf diese Weise Druck abbaue. So wie andere Menschen sich abreagieren, indem sie auf einen Boxsack einschlagen. Nur dass ich mein eigener Boxsack bin. Und ich taumele immer noch unter der Wucht der Eindrücke dieses Tages.

Heute war einfach zu viel.

Ich weiß nicht, wie oft ich mich in dieser Nacht herumgewälzt und mein Smartphone vom Nachttisch genommen habe, um nachzusehen, ob eine Nachricht von Sam eingegangen ist. Kaum etwas kommt mir heute Morgen so deprimierend vor wie der altbekannte, unveränderte Hintergrund meines Displays. Aber die Sonnenstrahlen zwängen sich durch den Spalt zwischen den Vorhängen, kitzeln meine Nase und erinnern mich daran, dass gestern vergangen ist.

Tessa kommt erst in drei Stunden, trotzdem schlage ich die Decke zurück und richte mich auf. Um nicht mal sieben Uhr. Granny wäre stolz gewesen.

Ich mahle meinen Kaffee in ihrer steinalten Handmühle, koche Wasser auf und gieße es in den Filter. Verschlafen sehe ich dabei zu, wie mein Lebenselixier in die Tasse mit dem ewig matten Goldrand tropft. Nach dem Kaffee und einer ausgiebigen Dusche ziehe ich mich an und schminke mich, wobei ich mir mehr Zeit lasse als sonst. Obwohl in dem Video, das ich heute drehen möchte, nur meine Hände zu sehen sein werden, fühle ich mich immer ein bisschen unwohl, wenn eine Kamera in der Nähe ist. Vielleicht, weil ich schon von klein auf dachte, das alles müsste mir leichter von der Hand gehen – lächeln, gut aussehen, gefallen. So wie Sam.

Geistesabwesend schraube ich das Mascarafläschchen zu und werfe einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel. Dann knipse ich das Licht am Spiegelschrank aus und wünsche mir, ich könnte das ständige Streben nach Perfektion ebenso leicht abschalten. Zumindest vor Tessa, die nicht nur meine Kollegin in der Arcade Mall in Bradford ist, wo sie an der Kasse gleich neben meinem Kosmetik-Counter arbeitet, sondern auch meine beste Freundin. Es ist ihr garantiert völlig egal, wie ich aussehe. Vielleicht hänge ich morgen den Spiegel ab. Oder drehe die Glühbirne raus. Die Toilette finde ich auch im Dunkeln.

Mit routinierten Handgriffen verwandle ich Grannys Wohnzimmer in mein Reich: Künstliches Licht ist für mein Vorhaben besser als das launische Wetter West Yorkshires, also lasse ich die Jalousien herunter und stelle neben der LED-Leselampe den großen Baustrahler auf, der das Zimmer prompt um gefühlt zehn Grad aufheizt. Wer schön sein will, muss leiden, schießt mir Mums Stimme durch den Kopf, aber ich verdränge den Gedanken an sie genauso wie die Frage, ob ich Sam nicht zumindest ein Foto von gestern schicken sollte. Mit einer Bahn dünnem weißem Baumwollstoff, den ich zwischen Strahler und Lampe hänge, und der Wandleuchte neben dem Schminktisch erreiche ich eine passable Dreipunktbeleuchtung. Jeder Profi würde wohl die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, aber teure Softboxen oder Lichtpaneele liegen derzeit einfach nicht im Budget. Immerhin ist das hier nicht mein Job, sondern fällt eher in die Kategorie teures Hobby.

Mir bleibt noch Zeit, zu frühstücken, aufzuräumen und in Ruhe alle Pinsel und Make-up-Paletten, die ich verwenden möchte, bereitzulegen, da klingelt es an der Tür.

Ich öffne und schließe Tessa in die Arme. Sie bringt den Geruch nach regennassem Asphalt mit sich und irgendwie auch einen Hauch von Erdbeeren.

»Guten Morgen, Sweet Pea. Wie gehts dir?« Meine Freundin löst sich aus der Umarmung und betrachtet mich einen Moment lang.

»Ganz gut, danke.«

Ohne Vorwarnung streckt Tessa mir eine gepunktete Pappschachtel hin: meine Lieblingsdonuts, mit Erdbeersahnefüllung. »Ich weiß, man schickt normalerweise eine Karte oder so, aber was für die Seele fand ich irgendwie origineller.«

»Du bist ja süß!« Grinsend trage ich die Schachtel in die Küche, während sie ihre nassen Schuhe auszieht. »Um das aufzuessen haben wir noch, ähm … genau fünfzehn Minuten Zeit«, rufe ich über die Schulter, »also anderthalb Minuten pro Donut, wenn du dein zukünftiges Patenkind nicht am Taufbecken versetzen möchtest.«

»Ist das eine Herausforderung?«

»Vielleicht. Hast du das Kleid dabei?«

»Ich hab’s sogar schon an.« Tessa hält ihren Mantel in der Hand und steht in einem knielangen Kleid aus taubenblauer Spitze in der Tür.

»Wow.« Selbst ohne Make-up sieht Tessa darin umwerfend aus. »Wenn ich du wäre, würde ich gleich so gehen.« Bist du aber nicht, spottet eine eindringliche Stimme in meinem Kopf. Denn du traust dich ungeschminkt ja nicht mal aus dem Haus.

Tessa verdreht lachend die Augen. »Kommt nicht infrage. Kriege ich vielleicht einen Kaffee, wenn ich schon das Essen mitgebracht habe?«

»Nur, wenn du bitte sagst.«

»Bitte, danke, gern geschehen!«, flötet sie.

Nach unserem zweiten Frühstück setzt sich Tessa auf den niedrigen Rollhocker vor dem Schminktisch. Ich lege ihr ein schützendes Handtuch um die Schultern, damit ihr Kleid nicht schmutzig wird – Puderflecken sind erfahrungsgemäß schwer zu entfernen. Sie blickt direkt in die Kamera meines Smartphones, das mithilfe eines Stativs auf Höhe ihres Gesichts montiert ist. Ich nehme seitlich neben ihr Platz, sodass nur meine Hände im Bild sind. Zwar sehen die Follower Tessa zeitweise im Profil, wenn ich ihren Kopf drehe, um das Make-up aufzutragen. Aber durch den richtigen Schnitt und die Zeitraffer-Funktion werde ich in der Nachbearbeitung alles auf kompakte, TikTok-taugliche fünf bis zehn Minuten komprimieren, bevor ich das Video auf meinem Channel VicMeUp hochlade.

»Bereit?«

Tessa nickt.

Der Geschmack von Erdbeersahnecreme liegt noch auf meiner Zunge, als ich mein Headset einschalte und wir anfangen.

»Hallo, ihr Hübschen! Heute ist meine Freundin Tessa bei mir zu Besuch und sie braucht einen festlichen und trotzdem natürlichen Look für ein besonderes Event, stimmt’s?«

»Genau. Mein Patenkind wird getauft und ich werde dieses fantastische, taubenblaue Kleid tragen, das ihr gerade leider nur erahnen könnt.« Sie kichert.

»Glaubt mir, es sieht toll aus. Wir legen auch gleich los.« Ich stecke Tessas schulterlange rotbraune Haare zu einem lockeren Dutt zusammen und streiche die kürzeren Strähnen an den Schläfen hinter ihre Ohren. »Das blaue Kleid wird Tessas Augen und ihren Porzellanteint betonen, deshalb setzen wir auf Smokey Eyes und halten das restliche Make-up dezent.«

Ich habe meine Freundin schon ein Dutzend Mal geschminkt. Sie verzieht keine Miene, als ich sie mit Komplimenten überschütte, dabei weiß ich, dass ihr garantiert ein schlagfertiger Spruch auf den Lippen liegt.

»Wie immer beginnen wir mit einem Primer und einer getönten Tagescreme.« Ich halte zwei Tuben vor die Kamera. »Beides ist von Pristeen Cosmetics – die meisten von euch wissen, dass ich ein Fan der Marke bin. Die Produkte sind lang anhaltend, budgetfreundlich und natürlich tierversuchsfrei. Und nein, das ist keine Werbung, denn ich bekomme leider kein Geld dafür, das zu sagen.« Ich schmunzle in mich hinein und fahre mit einem Schwämmchen über Tessas Gesicht. Schon bei den ersten Bewegungen bin ich ganz in meinem Element. Schminken hat für mich etwas Meditatives. Ich vergesse dabei den Alltag mit all seinen Problemen. Und manchmal vergesse ich sogar für einen kostbaren Moment mich selbst. Dann gibt es nur noch die Farben und meine Leinwand, in diesem Fall Tessa.

»Danach brauchen wir ein bisschen Concealer unter dem Unterlid und Rouge«, erkläre ich. »Mit dem sandfarbenen Ton der Contouring-Palette bekommen die Gesichtszüge mehr Tiefe. Das Ganze gut von hell nach dunkel verblenden …« Tessa lässt alles geduldig über sich ergehen, obwohl sie zeitweise aussieht, als wolle sie im Zirkus als Clown auftreten und nicht etwa eine Taufe besuchen. Aber sie vertraut mir blind.

»Dann mit Setting Powder fixieren. Und jetzt bringen wir die Augenbrauen in Form. Wenn ihr mögt, könnt ihr auch ein bisschen Gel mit einem Bürstchen auftragen, immer in Wuchsrichtung diagonal nach oben. Das hier ist übrigens die Farbe Natural.«

Jeden meiner Schritte erläutere ich mit ein paar Worten, außerdem verdeutliche ich die genauen Bewegungen mit Gesten, denn gerade bei Make-up kommt es nicht so sehr auf das Was an, sondern vor allem auf das Wie. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, weshalb ich mich so dafür begeistern kann.

Anschließend sind Tessas Augen dran. Natürlich ist sie ein Profi darin, die Lider fest geschlossen zu halten. Ganz im Gegensatz zu den meisten meiner Kundinnen in der Mall, denen schon die Augen tränen, wenn ich nur die Lidschattengrundierung auftrage. Ich beginne mit einem schwarzen Eyeliner, den ich nach oben auslaufen lasse, in die Lidfalte kommt ein dunkler Ton. »Das ist Twilight, ein Marineblau. Unter den Brauen und im inneren Augenwinkel nehmen wir etwas Helleres, um den Blick zu öffnen. Dieses Pigment hier heißt Pixie Dust und schimmert im Licht.« Ich halte die glitzernde Pinselspitze vor meiner Handfläche in die Kamera, bevor ich mit federleichten Bewegungen über Tessas Lider streiche. Ihre Wimpern erzittern leicht. »Schön vorsichtig, sonst tränt das Auge und eure Arbeit war umsonst.«

Mit der freien Hand drücke ich sanft Tessas Schulter, dann tausche ich den Lidschattenpinsel gegen das Mascarabürstchen. »Zu diesem Look empfehle ich braune statt schwarzer Wimperntusche, das wirkt weicher. Et voilà.«

Tessa lächelt und öffnet die Augen, die Wimpern jetzt in eine tiefe kaffeebraune Farbe gehüllt. Sie sieht atemberaubend aus.

»Fehlt nur noch ein bisschen Highlighter, zum Beispiel auf der Nasenspitze und über dem Lippenherz. Natürlich könnt ihr auch alles andere betonen, das ihr an eurem Gesicht besonders mögt.« Falls es überhaupt etwas gibt, das ihr mögt.

Ich halte für eine Sekunde die Luft an und verscheuche den abschätzigen Gedanken, der mich aus der Fassung zu bringen droht, gerade weil er nicht an das Publikum gerichtet ist.

Fast geschafft. Die irisierende perlweiße Flüssigkeit tupfe ich zuerst auf meinen Handrücken, dann auf die Stelle über Tessas Wangenknochen und verblende sie mit dem Schwamm. »Für die Lippen nehmen wir heute die Farbe Toffee Kiss und einen transparenten Gloss.« Nach den letzten Handgriffen löse ich Tessas Dutt und fahre mit den Fingerspitzen durch ihre Haare, die sie zu Hause schon zu leichten Wellen gedreht hat.

Ein zufriedenes Lächeln legt sich auf meine Lippen.

Auch Tessa strahlt in die Kamera und ich spüre, dass ihre Begeisterung nicht gespielt ist. Mein Herz macht einen erleichterten Hüpfer.

»Tadaa, wir sind fertig für heute. Wenn ihr noch Fragen habt, schreibt sie doch einfach in die Kommentare. Und nächste Woche gibt es wie immer ein neues Video. Macht’s gut!«

Ich warte noch zwei Sekunden, damit ich das Video sauber schneiden kann, dann schalte ich die Kamera aus.

Sofort dreht mir Tessa den Kopf zu. Ihre frisch geschminkten Augen glänzen feucht.

»Wenn du jetzt ein Tränchen verdrückst –«, setze ich mahnend an.

Sie winkt ab und schnieft. »Ich denke ja gar nicht dran, aber … Vic, das ist wunderschön geworden!«

»Danke.« Mein Lächeln wird breiter.

»Ich finde wirklich, du solltest das beruflich machen.«

»Tue ich, falls du das vergessen hast.« Mit einem Schulterzucken mache ich mich daran, die Make-up-Utensilien wieder an ihren angestammten Platz zu räumen und die Pinsel zum Waschbecken zu tragen.

Tessa steht auf, um mir nicht im Weg zu sitzen. »Ich meine doch nicht in der Mall! In einem großen Kosmetikkonzern, vielleicht, oder als selbstständige Visagistin.«

Es wäre gelogen, zu behaupten, dass ich niemals darüber nachgedacht hätte, meinen inzwischen recht beliebten TikTok-Account zu monetarisieren, wie es so schön heißt. Aber ernsthaft in Erwägung gezogen habe ich das nie, denn erstens mache ich das alles nur für mich und zweitens ist es zu riskant. Wer mehr Aufmerksamkeit bekommt, macht sich im selben Zug angreifbar, das habe ich hautnah miterlebt.

»Vielleicht, aber es geht mir nicht ums Geld«, protestiere ich halbherzig. Ich spare mir den Zusatz, dass genau genommen das Gegenteil der Fall ist: Ich möchte den Menschen etwas geben. Ein Stück Selbstbewusstsein vielleicht, oder eine neue Perspektive auf sich selbst. Aber das klingt so unfassbar kitschig, dass ich es niemals laut aussprechen würde.

»Du bist zu gut für diese Welt.« Tessa lacht und wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Also, ich habe noch zwanzig Minuten, bis ich losmuss, das reicht für einen zweiten Kaffee. Oder einen Tee, denn ich glaube, mein Puls ist schon jenseits von Gut und Böse.« Sie lacht auf und legt zwei Finger auf die Innenseite ihres Handgelenks, während sie auf die Armbanduhr schaut. Im Gegensatz zu mir arbeitet Tessa nur nebenbei in der Mall, um ihr Medizinstudium zu finanzieren.

»Tea, it is.« Ich nicke. »Schließlich will ich nicht, dass du mir nachher umkippst.«

»Das wäre eher bei niedrigem Blutdruck der Fall, aber dem haben wir ja mit dem Kaffee vorgesorgt«, korrigiert sie mich zwinkernd.

»Wie beruhigend.« Ich bedeute ihr, mir in Grannys nostalgische Siebzigerjahre-Küche zu folgen. Als wir an dem runden Tisch sitzen und unsere Finger an Pfefferminztee wärmen, seufzt Tessa plötzlich und sieht mich mit dieser Mischung aus Mitleid und Zuneigung an, die ich nur zu gut kenne.

»Wie geht es dir denn … ich meine, wegen Granny. Ist alles geregelt? Kommst du zurecht?«

»Ja«, antworte ich ehrlich. »Solange ich mein eigenes kleines Reich hier habe, gehts mir gut. Und wenn man es genau nimmt, war ich schon lange allein. Es hat sich also kaum etwas verändert.« Letzteres hingegen ist eine so offensichtliche Lüge, dass ich Mühe habe, nicht rot anzulaufen.

Aber Tessa nickt und schluckt. Über die Tischdecke hinweg streckt sie eine Hand nach meiner aus. »Versprichst du mir, dass du Bescheid sagst, wenn du Hilfe brauchst, du sture Nudel?«

Beim Versuch, den Tee hinunterzuschlucken, bevor ich lache, verbrenne ich mir den Rachen. »Ich verspreche es«, krächze ich. »Und jetzt los mit dir, bevor du zu spät zur Kirche kommst!«

SILVER LINES, Staffel 1, Episode 2

1. INT. BLAKEMORE HOUSE – BLAUER SALON – TAG

The Honourable Miss CLARENCE Wilson, Tochter des Barons of Blakemore, sitzt am offenen Fenster und blickt auf den Landsitz hinaus. Der Wind bläht die gestreiften, schon etwas fadenscheinigen Seidenvorhänge auf; unten ist ein kleiner, vernachlässigter Park zu sehen, den sich das Unkraut langsam, aber sicher zurückerobert. Clarence hält einen beschriebenen Briefbogen in den Händen. Sie betrachtet das Papier und seufzt.

Das Dienstmädchen BETH klopft und tritt ein.

BETH

Miss, ist Ihnen nicht wohl? Ich kenne Sie seit dem Tag Ihrer Geburt und Sie lassen selten einen Abendspaziergang ausfallen.

Clarence dreht sich um und erzwingt ein Lächeln.

CLARENCE

Ich hatte noch Korrespondenz zu erledigen.

BETH

(tritt näher)

Einen Brief?

CLARENCE

An William. Zum Abschied.

BETH

Sicher sehen Sie sich bald wieder.

CLARENCE

Nein. Diesmal muss der Abschied endgültig sein.

BETH

Wichtige Entscheidungen soll man nicht übereilen. Sie sind in Rage, verständlicherweise. Doch bedenken Sie, wenn ich das sagen darf, die … Konsequenzen.

CLARENCE

Die Konsequenzen meines Handelns werde ich allein tragen. William ist kein Fehlverhalten vorzuwerfen.

BETH

Aber, mit Verlaub, denken Sie doch an sich und an –

CLARENCE

(energisch)

Sei versichert, dass ich mich um nichts als die Zukunft meiner Familie sorge.

Clarence steht auf, faltet den Briefbogen und steckt ihn in einen Umschlag, den sie vom Sekretär nimmt. Sie erhitzt ein Stück Siegelwachs über einer Kerze, lässt es auf den Brief tropfen und presst ihren Ring hinein.

CLARENCE (CONT’D)

Dieses Schreiben muss noch heute Nacht zugestellt (MORE) werden, aber den Lakaien möchte ich es nicht anvertrauen. Kann ich mich auf dich verlassen?

BETH

(knickst)

Immer, Miss.

2. INT. DIE GEKAPERTE RENOMMÉE – KAJÜTE – NACHT

WILLIAM BEXLEY sitzt auf seiner Pritsche, den Kopf in eine Hand gestützt; in der anderen Hand hält er einen Brief. Seine Uniform ist rußgeschwärzt, über die linke Wange ziehen sich frische, blutverkrustete Schnitte. Im Hintergrund ist stürmischer Seegang zu hören, in den sich Wehklagen und einzelne, auf Französisch gemurmelte Gebete mischen.

Die Kamera schwenkt, sodass der Brief zu lesen ist.

Liebster William,

ich wünschte, wir wären uns nie begegnet. Wüsste ich nicht um das Glück, das ein Mensch empfinden kann, wäre ich ganz sicher zufrieden. Aber du hast mir gezeigt, wie hell die Flamme brennt, deren Schein ich zuvor nur aus der Ferne bestaunen konnte. Zu meiner Betrübnis, denn jetzt führt mich das Schicksal zurück in Kälte und Dunkelheit. Mir bleiben nur die Funken der Erinnerung, um mich ein wenig daran zu wärmen.

Es steht schlecht um den Ruf meiner Familie. Mein lieber Bruder wurde auf heimtückische Weise vor dem White’s überfallen. Ich glaube, er selbst kann nicht mehr beziffern, wie viel Geld er verspielt hat, aber ganz sicher übersteigen die Schulden sein Erbe. Ich brauche mir keine Hoffnung auf eine Mitgift zu machen – schlimmer noch, ich fürchte, dass er sein Laster schließlich mit dem Leben bezahlen wird, sollte es mir nicht gelingen, in dieser Saison eine gute Partie zu machen. Sicher verstehst du, dass das Wohl meiner Familie für mich an erster Stelle kommen muss.

Bitte ersuche mich nicht um ein letztes Treffen, weil ich schwach bin. Es bräche mir das Herz, deinen Wunsch, von dem ich ganz sicher weiß, dass du ihn vorbringen würdest, erneut abzuschlagen. Eingesetzt für das Wohlergehen unseres Landes tut deine Überzeugungskraft einen besseren Dienst. Bestimmt wirst du es in der Armee zu großem Ruhm bringen. Allein der Gedanke, es könnte anders sein, bereitet mir Kummer.

Dies ist mein letzter Brief, Geliebter. Ich werde keine Antwort annehmen. Aber wenn ich dir ebenso teuer bin wie du mir, bewahre diese Zeilen auf. Vielleicht trägst du sie in der Schlacht bei dir, um dich zu vergewissern, dass die Nacht niemals vollkommen ist. Denn selbst wenn wir uns nicht wiedersehen können, soll dir meine Zuneigung in der dunkelsten Stunde leuchten.

Für immer die Deine,Clarence.

William zerknüllt den Briefbogen in einer Hand und hält inne, die Faust fest geballt. Als seine Wut verpufft ist, öffnet er sie wieder. Andächtig streicht er das Papier glatt. Er schluchzt unterdrückt, schmiegt seine unversehrte Wange an das Blatt und schließt die Augen.

I will be thy priest

LEX

An manchen Tagen versinke ich so tief in meiner Rolle, dass ich nach Drehschluss nicht in meinen Ferrari steige, sondern nach einer Droschke Ausschau halte, die mich vom Set wegbringt – zu einem Mietshaus im Londoner West End, denn William Bexley kennt noch keine Hotels. Heute ist keiner dieser Tage.

»Clarence.« Ich zeichne behutsam mit einem Finger die Konturen von Sams Gesichts nach, darauf bedacht, die Arbeit der Maske nicht zu zerstören. Dann atme ich tief ein, so als müsste ich all meinen Mut zusammennehmen. »Komm mit mir nach Gretna Green.«

Sie lacht leise, wobei sich ihr Brustkorb in dem Kurzmieder hebt und senkt. Warum Clarence, zukünftige Viscountess of Cornbury, selbst im Bett ein Mieder trägt, erschließt sich mir nicht, aber ich werde den Teufel tun und die Entscheidungen des Kostümbilds infrage stellen oder mich mit Lauren, unserer Garderobiere, anlegen. Schließlich sollte ich dankbar dafür sein, dass ich selbst bis zur Hüfte in ein Laken gehüllt bin und deshalb auf die hautengen Kniehosen aus Rehleder verzichten durfte, die ich als William sonst in fast jeder Szene tragen muss.

Sam sieht unter langen Wimpern zu mir auf. »Wenn es doch nur so einfach wäre. Du weißt, dass ich nichts lieber tun würde, als mit dir davonzulaufen. Aber ich könnte meine Familie niemals im Stich lassen. Wer soll sie versorgen? Und wovon sollen wir leben?«

»Ich finde eine Möglichkeit.« Langsam küsse ich mich ihren schwanenhaften Hals entlang; selbst er schmeckt nach Puder. »Ich sorge für euch«, nuschele ich an ihrem Ohr.

»Es ist Krieg, William. Das Einzige, um das du dich sorgen wirst, ist das Wohl Englands.« Sie hebt den Kopf, aber statt gut gespielten Spotts liegt in ihrem Blick etwas anderes, Weicheres, das ich nicht zuordnen kann.

Weil es nicht im Skript steht.

Plötzlich weiß ich nicht mehr, ob mich Clarence ansieht oder Sam. Ob ihre Unsicherheit daher rührt, dass sie ihrer Jugendliebe, dem gut aussehenden, aber verarmten William Bexley, gleich den Laufpass geben wird, oder daher, dass ich sie nervös mache. Doch ihr Blick ist definitiv out of character. Und es ist in dieser Szene nicht vorgesehen, dass ich sie sekundenlang schweigend anstarre. Fuck!

»Es ist mir ernst«, stammle ich. »Ich werde bei deinem Vater um deine Hand anhalten, Clarence.«

»Danke, aus!« Dwights Stimme dröhnt über das Set.

Der Regisseur hat die Stirn in Falten gezogen, was selten etwas Gutes bedeutet. »Was ist los mit dir, Lex? Da liegt die Frau deiner Träume und du willst sie um jeden Preis heiraten! Aber du klingst so lustlos wie ein überfahrenes Eichhörnchen!«

Er wird wohl nie verstehen, dass er einfach kein Händchen für Wortwitze hat. Genauso wenig wie für Mode – heute trägt er eine Krawatte mit Quietscheentchen-Muster zu seinem hellgrünen Hemd. Stöhnend reibe ich mir die Schläfen und drücke mich von der gobelinbespannten Récamiere hoch. »Wie wär’s mit einer Pause? Ich glaube, ich glänze.«

»Tust du nicht«, widerspricht Troy von seinem Platz weiter hinten. Na, vielen Dank auch.

»Meinetwegen – das ist die letzte für heute.« Dwight sieht auf seine Armbanduhr. »Um halb sechs machen wir weiter.«

Ich spüre Sams entnervten Blick auf mir und drehe ihr den Kopf zu.

Sie seufzt. »Eine Pause, ernsthaft? Ich kann in dem Kostüm kaum atmen. Wenn ich nicht bald aus diesem Mieder rauskomme, drehe ich durch!«

Geschickt klettere ich von dem Kanapee. »Keine Panik, die Szene ist doch so gut wie im Kasten. Ich brauche nur mal frische Luft.« Ich kann ja schlecht zurückfragen: »Ja, was ist los mit dir, Sam? Wieso gaffst du mich auf einmal an wie ein Bratenstück? Wo ist Clarence Wilson, Tochter des Barons of Blakemore, hin?« Denn die Antwort darauf will ich, wenn ich ehrlich bin, gar nicht so genau wissen.

Draußen vor der Halle zünde ich mir eine Zigarette an, ein Laster, das sich über die letzten Monate eingeschlichen hat und das ich dringend wieder ablegen muss. Genau, wie ich endlich Privates und Berufliches trennen sollte. Falls das überhaupt jemals möglich ist, wenn deine Mutter das skandalumwittertste Partygirl der Neunzigerjahre war. Und eine der größten Schauspielerinnen aller Zeiten.

Ich kicke mit der Spitze meines hochglanzpolierten Reitstiefels ein Steinchen über den Boden und ärgere mich über mich selbst. Natürlich ist das möglich. Ich bin mehr als der Sohn einer Legende. Und mit gerade einmal fünfundzwanzig Jahren bleibt mir auch noch genügend Zeit, das zu beweisen.

Was Sam angeht, habe ich mein Schicksal definitiv selbst in der Hand. Ich will ihr nicht wehtun, aber es ist besser, ich beende das mit uns, bevor es noch komplizierter wird. Die Bedingungen waren von Anfang an klar – Spaß ohne Verpflichtungen – und ich kann nichts dafür, dass ihr das plötzlich nicht mehr reicht.

Such dir deinen Spaß das nächste Mal lieber woanders, Arthur Alexander Mallory, spottet eine Stimme, die wohl mein Gewissen sein muss.

Schnaubend krame ich nach den Minzpastillen, werfe meine Zigarette zu Boden und trete sie mit mehr Wucht als nötig auf dem Asphalt aus.

Thy vows are all broken

SAMANTHA

Der Tag war beschissen. Schon bevor Lex mit den Starallüren angefangen hat. Ausgerechnet in einer Schlüsselszene. Aber jetzt trennen mich nur noch wenige Minuten von meiner Freiheit. Ich stoße einen ungeduldigen Seufzer aus, als Lauren mir endlich aus dem Mieder hilft. Darunter trage ich einen hautfarbenen Klebe-BH, für den die Dame der besseren Gesellschaft um 1811 sicher dankbar gewesen wäre. Genau wie für alle anderen Privilegien meines Lebens.

»Brauchst du Hilfe mit den Haaren?« Lauren lässt den Blick über meine aufwendig drapierten rotblonden Locken schweifen.

»Darum kümmere ich mich im Hotel. Danke, dass du mich aus diesem Käfig befreit hast.« Ich würde mir ein Lächeln abringen, aber mir fehlt die Kraft, länger zu spielen. Wenn ich nicht dafür bezahlt werde, will ich verdammt noch mal einfach nur ich selbst sein. Lauren versteht das und lässt sich nie anmerken, dass ihr meine kühle Art etwas ausmacht. Ich wünschte, das ewig gleichmütige Lächeln würde ihr wenigstens ein einziges Mal aus dem Gesicht rutschen. Scheiße, Sam, reiß dich zusammen.

Ich lasse mir meinen Morgenmantel reichen und verabschiede mich im Gehen mit einem ausladenden Luftkuss, bevor ich das Set in Richtung Garderobe verlasse. An der Tür werfe ich einen Blick zurück in das Schlafgemach von Clarence Wilson, das aus der Entfernung wie eine Puppenstube wirkt. Wir haben bereits vor Wochen mit den Innenraumszenen von Silver Lines angefangen, die an eigens gebauten Motiven im Filmstudio gedreht werden. Dabei haben sich die Szenenbildner mit smaragdgrüner Seide und dunklen geschwungenen Möbeln im Hepplewhite-Stil selbst übertroffen. Erstaunlicherweise habe ich mich schnell an dem opulenten Interior Design der Regency Ära sattgesehen. Überhaupt frage ich mich, wo die Begeisterung geblieben ist, mit der ich damals das Drehbuch verschlungen habe. Als mir die Produktionsabteilung das Skript schickte, war klar, dass dieser Stoff alles hat, was ein Streaming-Erfolg braucht: Intrigen, Tragik und große Gefühle. Dazu jede Menge nackte Haut vor der nur vorgeblich prüden Kulisse des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts. Irgendwie muss ich wieder an den Punkt kommen, an dem mich das vom Hocker gehauen hat. Zumindest bis zum Staffelfinale. Denn ich will Teil dieses Erfolgs sein.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Lex sich eine kleine Flasche Wasser vom Cateringtisch nimmt und sie in einem Zug leert. Als er an mir vorbeigeht, kreuzen sich unsere Blicke. Er sieht zuerst weg. Aber ich starre ihm trotzdem hinterher wie ein verdammtes Groupie.

Irgendetwas hat sich heute Morgen verändert. Als ich mir mein Frühstück zusammenstellen wollte, genau wie die anderen Darsteller. Als Lex im selben Moment wie ich die Hand nach der Platte mit den belegten Eiweißbrötchen ausstreckte. Als sich unsere Finger für nur einen Sekundenbruchteil streiften. Wow, allein der Gedanke ist armselig.

Vor ein paar Tagen hat er mich überall angefasst und es war völlig bedeutungslos. Er hat mich angefasst, aber mich nicht berührt. Warum auch? Lex ist nur eine Abwechslung. Von meinem sterilen Hotelzimmer, von den ungeöffneten E-Mails, von den Stapeln an Dispositionen und Unmengen an zu lernendem Text. Aber jetzt ist da dieses vertraute Kribbeln in meiner Magengegend, wenn ich bloß an ihn denke. Wahrscheinlich brauche ich Urlaub. Den ich mir genauso wenig leisten kann wie unprofessionelles Verhalten, verdammte Scheiße!

Patty legt mir eine Hand auf die Schulter und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch.

»Wir gehen noch etwas essen, kommst du mit?«

Ich erstarre unter ihrem erwartungsvollen Blick. Einen Wimpernschlag lang ziehe ich tatsächlich in Erwägung, mit den anderen auszugehen. Ich mag Patty, weil sie immer sagt, was sie denkt, selbst wenn es wehtut. Sie ist fünfzehn Jahre älter als ich und auch wenn sie in der Serie meine Erzfeindin Margaret spielt, eine eiskalte alte Matrone, sehe ich irgendwie eine Art Mutterfigur in ihr. Was wahrscheinlich ziemlich schräg ist, wenn bedenkt, dass meine leibliche Mutter nicht etwa tot ist.

»Sorry«, antworte ich knapp. »Ich will lieber allein sein, es war ein langer Tag.« Das ist eine glatte Lüge, denn es gibt zumindest einen Menschen, den ich heute noch sehen möchte.

Ich beeile mich und passe Lex vor seiner Garderobe ab. Es lässt sich nicht leugnen, dass der Regency-Typus des düsteren, ewig melancholischen Helden wie für ihn gemacht ist: Seine blaugrauen Augen, die er in der Regel nur dezent schminkt, sind dunkel umrandet und strahlen förmlich. Die Haare musste er für die Rolle wachsen lassen, sodass sie ihm in braunen Wellen knapp bis zur Schulter reichen, und für den Dreh der Liebesszene hat Troy, unser Maskenbildner, sogar Lex’ Sixpack mit Highlighter und Bronzing Powder betont, auch wenn ich nicht finde, dass das nötig gewesen wäre.

»Hast du noch was vor? Wir könnten zu mir und den Text für morgen vorbereiten –« Erst als ich die Worte ausgesprochen habe, fällt mir auf, wie verzweifelt ich klinge.

Lex bleibt vor der Garderobentür stehen und dreht sich zu mir um. Seine Miene ist ausdruckslos und nach dem langen Drehtag wirkt er abgeschlagen, aber ich bin sicher, dass ich seine Lebensgeister wecken kann. Ich mache noch einen Schritt auf ihn zu. »Oder wir genießen einfach den Feierabend.« Mit einem Finger zeichne ich das Kunstwerk auf seinem Oberkörper nach und betrachte dann fasziniert meine glitzernde Fingerkuppe im Licht der Neonlampen.

Spielen kann ich. Wenn es sein muss, spiele ich heute nicht nur für ihn, sondern auch für mich. Denn ich habe keine Ahnung, wie ich die Einsamkeit meines Hotelzimmers noch einen weiteren Abend lang ertragen soll.

Die Sekunden verstreichen, mein Herz hämmert wild gegen meinen Brustkorb. Lex wendet den Kopf ab. Sein Blick geht zu Boden und ich kann sehen, dass er schluckt. »Heute nicht, Sam. Tut mir leid.«

Die Enttäuschung schlägt wie eine kalte Flutwelle über mir zusammen und lässt mich um Luft ringen. In einem Moment der Unachtsamkeit habe ich Lex’ Zurückweisung an mich herankommen lassen. Ob das Heute nicht ein verstecktes nie wieder ist?

Die Frage liegt mir auf der Zunge, aber ich halte sie zurück und zwinge mich, Fassung zu bewahren. Mein Stolz gehört zu den wenigen Dingen, über die ich nicht verhandele. Weil er mir immer geblieben ist. Vielleicht auch, weil ich die Antwort ohnehin schon kenne.

Lex ist im Grunde eine ehrliche Haut, mahnt meine Vernunft und setzt sich damit gegen Enttäuschung und Scham durch. Er wird mit mir reden, irgendwann. Ich könnte die Sache natürlich auch abkürzen und ihm jetzt gleich eine Abfuhr erteilen. Das wäre die einfachste Lösung. Für uns beide. Aber er hat es verdient, zumindest ein bisschen zu leiden.

Also zucke ich nur die Schultern und sehe mit meinem verführerischsten Augenaufschlag zu ihm hoch. Ich wäre eine miserable Schauspielerin, wenn ich ihm nicht weismachen könnte, dass er mir nie etwas bedeutet hat. »Alles klar.«

Entschuldigend zieht Lex einen Mundwinkel hoch. Sofort hebt sich meine Stimmung ein wenig – ein schlechtes Gewissen rieche ich eine Meile gegen den Wind. Lächelnd drehe ich mich um und gehe an ihm vorbei zu meiner eigenen Garderobe.

Obwohl ich als Star der Serie jederzeit unseren Fahrer in Anspruch nehmen könnte, bestelle ich mir ein Taxi zum Hotel, um kein bekanntes Gesicht mehr sehen zu müssen.

Das Zimmer im Hilton ist seit drei Monaten mein Zuhause, aber angekommen bin ich hier längst nicht. Weil all meine Kostüme im Studio hängen, zeugt lediglich der überfüllte Schreibtisch davon, dass ich hier lebe. Gleich an meinem ersten Tag habe ich dem Personal eingebläut, ja nicht aufzuräumen, denn das scheinbare Chaos aus Zetteln und Notizen folgt einer eigenen Ordnung. Das rede ich mir zumindest ein, wenn ich nicht gerade verzweifelt meinen Text für den nächsten Drehtag suche.

Ich lasse mich auf das rote Samtsofa fallen, ohne die High Heels auszuziehen. Inzwischen trage ich zwar keine Regency-Mode mehr, aber mein Gesicht wird immer noch von biederen Korkenzieherlocken umrahmt und das Make-up ist so dezent, dass ich mich damals, bei der ersten Kostümprobe, fast nicht wiedererkannt hätte. Kaum zu fassen, wie viel Mühe es kostet, ungeschminkt auszusehen.

Einen Moment lang bleibe ich liegen, starre den hässlichen Deckenleuchter an und lasse die schmerzenden Füße über die Lehne baumeln. Mir ist kalt. Zitternd drücke ich mich wieder hoch, ziehe endlich die Schuhe aus und krame in der Handtasche, die ich auf einen Stuhl geworfen habe, nach meinem Smartphone.

Vielleicht hat Lex seine Meinung geändert und sich noch mal gemeldet, immerhin hatten wir zwei oder drei schöne Wochen zusammen. Als ich das Display entsperre und mich wieder auf das Sofa setze, beschleunigt sich mein Puls für einen Moment: Ich habe tatsächlich eine neue Benachrichtigung. Allerdings ist es nur ein Anruf in Abwesenheit von einer unbekannten Nummer. Wie ich so etwas hasse – wenn ich nicht weiß, wer mich am anderen Ende der Leitung erwartet, rufe ich nie zurück. Es wäre nicht das erste Mal, dass irgendein durchgedrehter Fan über drei Ecken an meine Nummer gelangt ist, oder mich ein Produzent abwerben möchte, ohne vorher mit meiner Agentin Elen und meiner Managerin Louise, die sich um meine Karriereplanung kümmern, gesprochen zu haben. Am wahrscheinlichsten ist allerdings ein anderes Szenario: Falls Mum mitbekommen hat, dass sie von mir blockiert wurde, hat sie sich vielleicht eine neue Nummer zugelegt.

Das Display zeigt außerdem eine WhatsApp-Nachricht an.

Der Absender: Victoria Haigh.

Mein Herz setzt einen Schlag aus. Vic. Wie lange haben wir uns nicht gesprochen? Wenn man von dem Brief mit der Einladungskarte absieht, der mich vor zwei Wochen erreicht hat, müssen es Monate, wenn nicht gar Jahre sein. Ich öffne die Nachricht und erstarre. Ein Foto. Von einem Grab, auf dem frische Blumen liegen.

Scheiße! Grannys Beerdigung war gestern. Oder vorgestern? Habe ich Vic etwa versprochen, dabei zu sein? Ich glaube, ich habe gar nicht auf die Karte geantwortet. Oder doch? Ich erinnere mich nicht. Es ist egal, was du versprochen hast, mahnt mein Gewissen. Du hättest dich blicken lassen müssen. Aber wie hätte ich das anstellen sollen? Mal eben für ein paar Stunden über die ganze Insel fahren? Eine Hand am Lenkrad, in der anderen das Textheft? Dwight hat mich sowieso schon auf dem Kieker, weil ich in letzter Zeit ein bisschen zu oft meinen Einsatz verpasse. So oder so, ein Wochenende im Nest meiner Kindheit ist nun mal nicht drin. Und was Vic angeht … es ist so kompliziert zwischen uns, und … ach, ich hab jetzt einfach keinen Kopf dafür, ich kümmere mich morgen drum. Oder übermorgen. Auf jeden Fall brauche ich erst mal einen Drink.

Ich hieve mich hoch und durchstöbere den Minibar-Kühlschrank: Wasser, Tonic Water, eine Miniaturflasche Whisky und der Gin, den Lex und ich neulich geöffnet haben …

Kurz entschlossen greife ich nach dem Miniatur-Whisky, leere den Inhalt des Fläschchens in ein Glas und fülle es mit Mineralwasser zu einem Scotch & Soda auf. Dann lege ich mich wieder aufs Sofa, nuckle an meinem Drink wie ein Baby an der Flasche und starre auf das Foto, das Vic mir geschickt hat. Du hast gefehlt, steht darunter. Das ist so typisch für sie! Sie kann niemals sauer auf jemanden sein, selbst wenn er das mehr als verdient hätte. Und ich? Ich habe alle enttäuscht. Wie immer. Schwerfällig stehe ich auf, um mir nachzuschenken, obwohl jetzt nur noch der Gin zur Wahl steht. Ich trinke ihn direkt aus der Flasche, bitter und kalt läuft er über meine Zunge.

Martha Haigh. Mein Brustkorb wird schmerzhaft eng, als ich Grannys Namen in goldenen Lettern auf dem Granit lese. Wann habe ich sie überhaupt das letzte Mal gesehen? Unser Verhältnis war nicht mehr besonders eng, seit Vic vor acht Jahren zu ihr gezogen ist. Granny stand zwischen den Stühlen, und ich konnte das verstehen. Außerdem blieb mir mit all den Castings und Schönheitswettbewerben, zu denen Mum mich geschleppt hat, kaum Zeit für Besuche. Dass sie irgendwann angefangen hat, wirres Zeug zu reden, weiß ich nur von Vic. Es muss schwer sein, mit so jemandem zusammenzuleben. Für diesen Menschen zu sorgen, ihn vielleicht sogar zu waschen und zu füttern, auch gegen seinen Willen … Mir wird bei der Vorstellung ein bisschen übel, außerdem bin ich schon zu benebelt, um länger darüber nachzudenken. Stattdessen nehme ich noch einen großen Schluck aus der Flasche. Mit dem Alkohol legt sich eine angenehme Taubheit über mich. Ich fühle mich wie in Watte gepackt. Beinahe geborgen, obwohl ich immer noch friere. All meine Probleme kommen mir plötzlich klein und unbedeutend vor.

Ich bin wohl weggedämmert, denn als ich wieder aufwache, ist es stockfinster. Und mitten in der Nacht, wie ein Blick auf die Uhr verrät. Mein Schädel dröhnt, ich muss auf Toilette und habe gleichzeitig einen unmenschlichen Durst, aber die Erschöpfung macht es schier unmöglich, aufzustehen.

Der Text, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. Die Dispo für morgen. Verdammt, ich muss mich irgendwie an meinen Schreibtisch schleppen. Aber dann kommt wie von selbst ein leises Kichern über meine Lippen. Auch ohne Text bin ich besser als alle anderen. Sie finden niemanden, der so gut ist wie ich. Ja, sie brauchen mich.

Zufrieden schließe ich die Augen wieder, doch da sehe ich plötzlich Martha vor mir. Ihr Blick ist anklagend und sie wirkt irgendwie verändert. Fremd. Wie sah sie aus? Ich versuche, mir das Gesicht meiner Großmutter in Erinnerung zu rufen. Aber egal, wie sehr ich mich anstrenge, es will mir nicht gelingen.

Ein Dreivierteljahr späterA peopled world […] in size a tiny room

VIC

»Komm schon, Vic. Du hast noch nie Nein zu einem Donut gesagt.« Tessa mustert mich mit sorgenvoll zusammengezogenen Augenbrauen. »Willst du wenigstens was trinken? Eine heiße Schokolade?«

Stumm schüttle ich den Kopf und dränge die Tränen zurück, die mir in die Augen steigen. Ich beschließe, es kurz und schmerzlos zu machen und meiner besten Freundin zu sagen, was los ist. »Ich wurde entlassen.«

»Bitte was?« Tessa starrt mich fassungslos an und rückt an dem schmalen Cafétisch näher zu mir herüber. »Aber warum? Ich meine … ich weiß von den Stellenkürzungen in der Arcade Mall, aber dich können sie doch nicht gehen lassen –«

»Können sie und haben sie.« Ich schlucke die Bitterkeit hinunter, so gut es geht. »Gary hat mich höchstpersönlich in sein Büro bestellt, um mir mitzuteilen, dass ich nicht mehr gebraucht werde. Und dass es nichts mit mir als Person zu tun hat.« Ich schniefe und suche in den Tiefen meiner Handtasche nach einem Taschentuch, als Tessa mir eines reicht. »Danke.« Nachdem ich mir die Nase geputzt habe, lasse ich den Blick erschöpft in die Ferne gleiten. »Vielleicht sage ich das den Stadtwerken bei meiner nächsten Nebenkostenrechnung auch: Das hat nichts mit Ihnen als Unternehmen zu tun. Und wie lange darf man überhaupt mit der Miete im Rückstand sein, bevor man auf die Straße gesetzt wird?«

»Hey.« Tessa greift nach meinen Händen. »Jetzt mal ganz langsam. Ich bin sicher, dass das ein Missverständnis ist. Ich rede mit Gary, okay?«

»Da gibt es nichts mehr zu bereden. Der Kosmetik-Counter wird geschlossen und er hat selbst gesagt, dass er mich im Moment nirgendwo anders einsetzen kann.«

»Aber was, wenn ich –«

Tessa bricht mitten im Satz ab, als ich erneut energisch den Kopf schüttle. »Ich will nicht, dass du dich meinetwegen in Schwierigkeiten bringst. Auf keinen Fall sagst du etwas, hörst du?«

Sie seufzt und wendet den Blick ab, doch sie kennt meinen Dickkopf zu gut, um zu widersprechen.

»Ohne dich wird es nicht mehr dasselbe sein«, flüstert sie schließlich.

Im Gegensatz zu mir ist Tessa schon seit ihrem ersten Semester in der Mall angestellt. Ich hingegen habe erst vorletztes Jahr angefangen, als die Pflegekosten für Granny so hoch wurden, dass ihre Rente dafür allein nicht mehr ausgereicht hat. Allerdings scheint das Schminken der Kundinnen ein Service zu sein, auf den die Mall in Zukunft verzichten will.

»Du findest etwas anderes«, schiebt Tessa hinterher. Ich weiß, dass sie sich Sorgen macht, und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich nicht aus meiner Haut kann. Aber gerade fühle ich mich einfach nur leer. Ich habe keine Ausbildung und keine nennenswerten Referenzen – abgesehen von der Arbeit in einem Einkaufszentrum und der Pflege meiner dementen Großmutter. Wer würde mich denn schon einstellen?

Das Café verschwimmt vor meinen Augen und stattdessen spielen sich in meinem Kopf alle möglichen Zukunftsszenarien ab, von denen eines trostloser ist als das andere.

Das Geräusch eines Stuhls, der quietschend über den Holzboden geschoben wird, holt mich in die Wirklichkeit zurück. Tessa ist aufgestanden. »Ich hole uns jetzt erst mal was zur Stärkung.«

»Okay«, hauche ich, wohl wissend, dass selbst ein Donut in meinem Lieblingscafé bald ein unbezahlbarer Luxus für mich sein könnte.

Während Tessa an der Theke in der Schlange steht, ziehe ich mein Handy hervor und öffne TikTok, um mir die Kommentare zu meinem neusten Video durchzulesen. In letzter Zeit ist es zu einer schlechten Angewohnheit geworden, das Smartphone zur Hand zu nehmen, wenn ich auf etwas warte oder mir langweilig ist. Aber bevor ich dazu komme, durch die Kommentare zu scrollen, entdecke ich eine neue Nachricht in meinem Posteingang. Von einem User namens PrismaCosmeticsUK. So heißt der Kosmetikhersteller, der auch die Marke Pristeen führt. Heute Morgen habe ich die Freundschaftsanfrage angenommen – überzeugt davon, dass es sich dabei um einen Fake-Account handeln muss. Wenn ich das überprüft habe, kann ich den Nutzer melden. Trotzdem pocht mein Herz wie wild, als ich die Nachricht öffne und die Zeilen überfliege. Die wichtigsten Schlagworte brennen sich sofort in mein Gedächtnis: … Ihnen eine bezahlte Kooperation als Make-up-Artist am Set der Historical-Romance-Serie ‚Silver Lines’ anbieten … In Zusammenarbeit mit Firefly Productions verbringen Sie sechs Wochen in Woodstock, Oxfordshire und in den Shinfield Cine Studios bei Reading. Die Honorarvorstellung liegt bei 10.000 Pfund … können wir gern telefonieren, um die Details zu besprechen.

Ich schnappe nach Luft, weil ich anscheinend in paar Atemzüge ausgelassen habe. Verstohlen sehe ich mich in dem voll besetzten Café um. Das muss ein Traum sein! Ja, alles ist wie immer, niemand beachtet mich und Tessa steht nach wie vor in der Schlange.

Trotzdem senke ich den Kopf wieder und lese die Nachricht noch einmal, diesmal in Ruhe. Da steht es schwarz auf weiß: Zehntausend Pfund. Oder die Miete für ein ganzes Jahr! Oh. Mein. Gott. Auf den Adrenalinschwall, der meine Zellen flutet, folgt Panik: Eine Kooperation in Zusammenarbeit mit einer Produktionsfirma? Überall Kameras und fremde Menschen? Es gibt wohl kaum jemanden, der für diesen Job ungeeigneter wäre als ich. Aber wahrscheinlich ist es eh nur ein Hoax. Der Gedanke ist so beruhigend wie ernüchternd.

»Was ist los?« Plötzlich steht Tessa wieder an unserem Tisch. Ich habe keine Ahnung, wo sie auf einmal hergekommen ist. »Du guckst, als hättest du einen Geist gesehen.«

Ich warte, bis sie unsere Getränke und die Teller mit den Donuts abgestellt hat, dann reiche ich ihr wortlos das Handy mit der noch geöffneten Nachricht.

Tessas Augen weiten sich, während ihr Blick über das Display zuckt. »Heilige Scheiße!« Trotz der nicht gerade dezenten Wortwahl hat Tessa die Stimme ehrfürchtig gesenkt.

Ich räuspere mich und strecke die Hand wieder nach dem Handy aus. Meine Wangen glühen und ich spüre jeden einzelnen Herzschlag in meinem Brustkorb.

»Wow, das ist unglaublich«, sagt Tessa. Dann wird sie lauter. »Ich hab’s ja immer gewusst! Und … das kommt genau zur richtigen Zeit, oder?«

Peinlich berührt verstaue ich das Handy wieder in meiner Tasche. »Das ist garantiert ein Fake.«

Ich klammere mich an diese Überzeugung und verdränge alle anderen Möglichkeiten. Mir bleibt keine Wahl, als das Ganze als Scherz abzutun, denn sonst müsste ich mir eingestehen, dass Tessa recht hat: dass meine Welt mit Grannys Tod vor gut neun Monaten stehen geblieben ist. Dass ich nichts mit meiner neu gewonnenen Freiheit angefangen habe. Ich hätte ans College gehen oder einen Ausbildungsplatz finden können. Wenn ich nicht so eine verdammte Angst vor Veränderungen hätte.

»Es wirkt aber sehr echt«, widerspricht meine Freundin. »Du könntest es zumindest auf dieses Telefonat ankommen lassen. Und wer weiß, was sich daraus ergibt. Vielleicht schminkst du schon bald Leute im Fernsehen!«

Ein spöttisches Schnauben kommt über meine Lippen, doch Tessa bleibt ernst. »Nur wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, lernt man schwimmen, oder nicht?«

Ich lache auf, aber es gerät eher zu einem Schluchzen. Tessa hat Granny zwar nur ein paarmal gesehen, doch anscheinend haben ihre unverwechselbaren Lebensweisheiten einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Ihr Blick ruht jetzt entschlossen auf mir. »Ich glaube an dich. Da liegt ein ganz neues Leben vor dir.«

Ich blinzle eine Träne weg und zucke mit den Schultern, um Tessas Worte, die unglaubliche Nachricht und die Hoffnung, die in mir aufkeimen will, abzuschütteln. Aber auch wenn sich eigentlich nichts verändert hat und wir immer noch mit unseren Donuts im Café sitzen, hat das Gedankenkarussell rund um die Frage Was wäre, wenn? in meinem Kopf bereits Fahrt aufgenommen. Und mir scheint, es weigert sich, jemals wieder stillzustehen.

Zwei Wochen späterSo dark a stain

LEX

»Bitte nicht jetzt, Lex.«

Mum öffnet den Kühlschrank, um noch mehr Champagner herauszuholen.

Ich nehme die Flaschen entgegen und stelle sie auf der Granitarbeitsplatte ab. »Doch, genau jetzt.«

»Es ist Danas Geburtstag.« Bei diesen Worten wirft sie mir einen Blick zu, mit dem ihrer Meinung nach wohl alles gesagt ist: Meine Adoptivmutter Frances ist die Deeskalation in Person – wo andere wütend werden, wird sie nur umso ruhiger. Und das bringt mich erst recht auf die Palme, denn Wut wäre ein Zeichen von Schuld. Aber diesen Gefallen tut mir Mum nicht. Noch mehr ärgert mich allerdings, dass sie versucht, mich emotional zu erpressen. Sie weiß genau, dass ich meiner kleinen Schwester Dana niemals die Party versauen würde. Ich beiße die Zähne fest zusammen. »Mum. Du kannst mich doch nicht einfach ins offene Messer laufen lassen, die Filmwelt ist klein, das hast du oft genug selbst gesagt.«

»Nicht so klein, wie du denkst.«

»Ach so? Vielleicht begegne ich meinem eigenen Vater am Set und weiß es nicht einmal!«

»Glaub mir, er wird es auch nicht wissen.« Klingt da eine Spur Verbitterung in ihrem Tonfall durch?