A (Gay) Cinderella Story - James Black - E-Book
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A (Gay) Cinderella Story E-Book

James Black

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Beschreibung

**Lass deine Maske fallen. Ich halte dich fest**  Von seiner Stiefmutter und seinen Stiefbrüdern unterdrückt, fühlt sich Quinn wie eine Marionette in seinem eigenen Leben. Als er unverhofft Finnley näherkommt, beliebter Mitschüler und Torwart der Eishockey-Mannschaft, erkennt er, dass er nicht der Einzige ist, der ein Leben hinter einer Maske führt. Zum ersten Mal in seinem Leben spürt Quinn eine tiefe Verbundenheit und die ungleiche Freundschaft lässt neue und ungewünschte Gefühle entstehen. Quinn sieht sich vor der Entscheidung, die er nie treffen wollte: Steht er gegenüber seiner Familie für sich selbst ein oder lässt er den Jungen ziehen, der sein Herz höherschlagen lässt?  Textauszug:   Wir sind nichts außer zwei Menschen von Milliarden, eine Ansammlung von Gedanken, eine Verdichtung von Staub auf der Erde, zwei leuchtende Seelen im Feuer der Welt. Ich denke; SO muss sich Liebe anfühlen. Er lächelt, ich schmelze.    //»A (Gay) Cinderella Story« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Impress

Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.

Tauch ab und lass die Realität weit hinter dir.

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James Black

A (Gay) Cinderella Story

**Lass deine Maske fallen. Ich halte dich fest**Von seiner Stiefmutter und seinen Stiefbrüdern unterdrückt, fühlt sich Quinn wie eine Marionette in seinem eigenen Leben. Als er unverhofft Finnley näherkommt, beliebter Mitschüler und Torwart der Eishockey-Mannschaft, erkennt er, dass er nicht der Einzige ist, der ein Leben hinter einer Maske führt. Zum ersten Mal in seinem Leben spürt Quinn eine tiefe Verbundenheit und die ungleiche Freundschaft lässt neue und ungewünschte Gefühle entstehen. Quinn sieht sich vor der Entscheidung, die er nie treffen wollte: Steht er gegenüber seiner Familie für sich selbst ein oder lässt er den Jungen ziehen, der sein Herz höherschlagen lässt?

Wohin soll es gehen?

Buch lesen

Vita

Playlist

Danksagung

© privat

James Black wurde 1995 in Schwerin geboren, lebte dort für zwanzig Jahre und zog schließlich in die Nähe Hamburgs. Geschichten und Bücher begleiten ihn bereits sein Leben lang. Als Kind las er seine Lieblingsbuchreihe dutzende Male, bis irgendwann der Drang in ihm aufkam, selbst etwas zu kreieren. Ganz nach dem Vorbild seines großen Idols Taylor Swift verbindet seine Romane die Suche nach Liebe und ein Hang zur Dramatik.

Vorbemerkung für die Leser*innen

Liebe*r Leser*in,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

James und das Impress-Team

Für all die queeren Kids,die immer noch glauben, dass sie sich verstecken müssen.Happy Ends sind für alle da.

Playlist

He won’t be my hero but I want to be his

I Found – Amber Run (Finnley’s Theme)

I Think He Knows – Taylor Swift

Alone Together – Fall Out Boy

Keep Holding On – Avril Lavigne

Enchanted – Taylor Swift

Last Dance – Camera Can’t Lie

Collide – Howie Day

If They Only Knew – Alfie Arcuri

Sparks Fly – Taylor Swift

FOOLS – Troye Sivan

Secret Love Song, Pt. II – Little Mix

Everything Has Changed – Taylor Swift, Ed Sheeran (Quinn’s Theme)

Can I Have This Dance – High School Musical Cast

seven – Taylor Swift

You Are the Reason – Calum Scott

State of Grace (Acoustic Version) – Taylor Swift

Love – Nathan Wagner

I Want To Be With You – Chloe Moriondo

mirrorball – Taylor Swift

Brother – Kodaline

Style – Taylor Swift

Moment In The Sun – Sunflower Bean

A Night To Remember – High School Musical Cast

gold rush – Taylor Swift

If We Hold On Together – Diana Ross

This Love – Taylor Swift

I Wanna Be Free – Sol Williams

Good Old-Fashioned Lover Boy – Queen

Afterglow – Taylor Swift

The Louvre – Lorde

Salute – Little Mix (Avery’s Theme)

King of My Heart – Taylor Swift

King – Florence + The Machine (Robin’s Theme)

You’re My Best Friend – Queen

New Year’s Day – Taylor Swift

Liar – The Arcadian Wild (Wesley and Dalvin’s Theme)

Why Am I Like This? – Orla Gartland

this is me trying – Taylor Swift

Like or Like Like – Miniature Tigers

Daylight – Taylor Swift

Hier kommt ihr zur Playlist auf Spotify: https://open.spotify.com/playlist/5YDgu20UhjZ7vYXcUDGlmT?si=88b4dec6fd2b4f38

One

»Quinn, ich weiß nicht, ob es dir schon jemand gesagt hat, aber das ist eine Halloween-Party«, ruft Brielle über die laute Musik hinweg. Sie steckt in einem schrecklichen orangefarbenen Katzenkostüm mit farblich passenden Plüschohren in ihren dunklen Fransen. Die Ohren sehen lächerlich aus, finde ich, aber würde ihr das nie ins Gesicht sagen. Brielle könnte mich mit zwei Fingern umwerfen. »Du siehst aus wie ein trauriger Clown.«

Ich lege den Kopf schief und versuche mich an einem Grinsen. »Und du wie das Maskottchen für’n Sportladen.«

»Danke«, antwortet sie lächelnd. Sie drückt mir einen roten Plastikbecher in die Hand. »Trink. Amüsier dich mal ein bisschen.« Sie fährt sich durch die Haare und tätschelt ihre Kostümohren, wie um sicher zu gehen, dass sie noch an Ort und Stelle sind. »Avery hat dich nicht zu ihrer Party eingeladen, damit du auf der Treppe hockst.«

»Avery ist vollkommen einverstanden damit, wenn ich auf ihrer Treppe sitze, solange ich nicht in die Blumen kotze«, sage ich achselzuckend, ehe ich den Becher in einem Zug leere. Der Alkohol brennt in meinem Rachen. »Außerdem sitze ich noch nicht lange hier.«

»Wie auch immer«, erwidert sie und wedelt ungeduldig mit der Hand. »Du hast dich nicht mal verkleidet.«

Ich hebe eine Augenbraue und deute auf die Krawatte, die ich mir um die Stirn gebunden habe. »Ich bin verkleidet«, meine ich grinsend. »Ich bin ein betrunkener Collegestudent.«

»Lahme Darstellung, wenn du nicht wirklich betrunken bist.« Brielle seufzt. Bevor sie noch etwas sagen kann, rutschen zwei Hände an ihrer Hüfte entlang, was ihr ein hohes Quieken entlockt.

Ich schnaube in meinen leeren Becher.

»Da seid ihr«, murrt Avery. Meine beste Freundin legt ihr Kinn von hinten auf Brielles Schulter, auch wenn sie dafür auf Zehenspitzen stehen muss, und lächelt mich angetrunken an. »Dachte schon, meine Katze wäre abgehauen.«

Brielle gibt eine schlechte Schnurr-Imitation von sich, während sie ihre Wange an Averys schwarzen Locken reibt. Sie stößt ihr fast die Politessen-Mütze vom Kopf. »Keine Sorge, ich wäre später zu dir ins Bett gekrochen.«

»Hmm, es ist ziemlich kalt«, murmelt Avery kichernd. Sie trägt eine selbst genähte schwarze Polizeiuniform, dunkelbraune Lederstiefel und mehrere goldene Armreifen, die bei jeder Bewegung klimpern und klackern. In den schummrigen Lichtern der Hausparty glänzt ihre Haut rötlich braun, so wie Sepia unter der Sonne. »Da muss mich unbedingt jemand wärmen kommen.«

»Gott, Leute«, murre ich leise. »Hier sind noch andere. Euer Bettgeflüster kann warten.«

»Sei kein trauriger Clown, Quincy«, erwidert Avery. Der Geruch von Alkohol dringt mir in die Nase, als ihr Atem in meine Richtung weht. »Alle haben ihren Spaß und du sitzt hier rum. Meinst du, ein heißer Typ in nuttigem Outfit wird vorbeikommen, um dich aufzureißen? Wohl kaum.«

Brielle fügt hinzu: »Das habe ich auch gesagt, Babe.«

»Eigentlich kam von dir nur der Clown-Part«, meine ich.

Sie verdreht die Augen. »Dann wollte ich es noch sagen. Die Politesse hat recht. Wenn du heute einen hübschen Po auspacken willst, musst du dich dafür ein bisschen anstrengen. Wenigstens von der Treppe aufstehen.«

Mein tiefer Seufzer paart sich mit Averys Kichern. Ich weiß nicht, woher die beiden die Idee haben, dass es mein Ziel für die Nacht ist, die glasige Erinnerung eines One-Night-Stands zu sein, aber von mir kann sie auf keinen Fall kommen. Mit keinem einzigen Wort habe ich ihnen gegenüber erwähnt, dass ich auf der Party mit einem angetrunkenen Typen rummachen will, der am Ende in die Rosenbüsche vor dem Haus kotzt.

»Hey, was ist mit Nate?«, meint Avery. Sie deutet in die Küche, wo ein paar Jungs vom Eishockeyteam in einem Kreis stehen. Sie lachen laut über irgendwas, jeder mit einem Becher in der Hand. »Ich glaube, er ist single.«

»Und straight«, füge ich hinzu. Die Eishockeytypen sind mir zu vertraut. Sie sind alle die gleichen Abrisse eines großen Ganzen: hochgewachsen, breit gebaut, kantige Gesichter, dunkle Augen, hetero. Sportler in ihrer ganz eigenen Welt, die keinen Blick für einen Normalo wie mich haben.

»Er ist bei seinem vierten Drink, sicherlich hat er das schon längst vergessen«, sagt Brielle wissend. »Geh doch mal rüber und sprich mit ihm.«

»Dafür bin ich nicht betrunken genug.« Zur Veranschaulichung wackle ich mit meinem leeren Becher. »Außerdem wissen wir alle, dass er auf Zoe steht.«

»Du bist einfach so langweilig«, seufzt Avery betreten. Sie löst ihr Kinn von Brielles Schulter und geht um ihre Freundin herum, um sich neben mich auf die Treppe zu quetschen. Ihre Haut glitzert vom Make-up und sie riecht nach Alkohol und Schweiß. Die Augen hat sie mit einem hellen Pink umrandet. Es verleiht ihr einen überraschten Ausdruck. »Sogar Robin redet mit jemandem.«

»Robin redet immer mit jemandem«, stelle ich trocken fest und ernte dafür einen Schlag gegen die Schulter. »Au.«

»Nein, ich meine, sie flirtet sogar. Guck doch!« Avery drückt mir ihre Finger in die Wange, um meinen Kopf zur Seite zu drehen. »Da! Ich meine, sie hätte sich jemand besseren als Lucas suchen können, aber gut, wir können nicht alles haben.«

Robin lehnt an der Wand des Flurs. Sie hat ein Zombieoutfit an, ihr Gesicht ist rot und grün angemalt, ihre Kleidung zerrissen und blutig. Vorhin hat sie bei jedem Schritt ihr Bein hinter sich hergezogen und die Arme vor ihren Körper gehalten. Gerade hat sie sie vor der Brust verschränkt. Die weißen Armbänder, die von ihren Handgelenken bis zur Hälfte ihrer Unterarme reichen, sind mit dem Venussymbol bedeckt, damit jeder weiß, welches Pronomen sie an diesem Tag bevorzugt. Ein Lächeln ist auf ihren Lippen drapiert, als sie den großen Jungen mit der blonden Stachelfrisur beobachtet, der ihr mit vielen Handbewegungen eine Geschichte erzählt. Er trägt das Kostüm eines Superhelden, den ich nicht kenne.

Lucas ist mein Ex-Freund. Unsere Beziehung liegt schon lange zurück, deswegen kann es mir gleichgültig sein, mit wem er anbandelt. »Soll ich sie warnen?«, frage ich mit einem Nicken in seine Richtung.

»Mach die junge Liebe nicht kaputt, die gerade erst erblüht, Quincy. Robin ist schon ein großer Zombie und kann gut auf sich aufpassen, nicht?«

»Ich könnte Robin aber wenigstens vor Lucas’ Unfähigkeit warnen.«

»Welche Unfähigkeit meinst du denn jetzt genau?«, fragt Brielle mit schiefem Grinsen. Ihre Katzenohren zittern bei jeder Bewegung, als wären sie echt.

Meine Wangen werden heiß, als ich zu schnell antworte: »Nicht die. In dem Gebiet ist er ganz fähig.« Ein verlegenes Lächeln schleicht sich auf meine glühenden Lippen, bevor ich es unterdrücken kann. Meine Finger zucken, wie sie es tun, wenn sich meine nervöse Energie aufbaut.

Brielle hebt eine Augenbraue, aber Avery kommt ihr zuvor. »Das ist egal.« Sie redet direkt in mein Ohr, ihre Stimme laut, vertraut und beruhigend. »Wichtig ist doch, welchen dieser Typen du eintüten kannst.«

»Avery –«, fange ich an, aber sie drückt meinen Mund mit ihrer Hand zu. Ich könnte sie anlecken, aber unterdrücke es. Stattdessen rolle ich mit den Augen. Manchmal weiß sie nicht, wann sie es übertreibt, und eine angetrunkene Avery ist noch anstrengender, als sie es normalerweise ist.

»Bleib mal ganz geschmeidig, Quincy. Wenn du Nate nicht willst und Lucas aus offensichtlichen Gründen wegfällt, wie wäre es dann mit Austin?« Ihre Augen sind auf die Küche fixiert, in der man Austin sehen kann; ebenfalls groß, mit breiten Schultern und kräftigen Beinen, außerdem Haaren, durch die man mit den Fingern streichen will. Er ist hellblond, hat glänzende Augen, sonnengebräunte Haut – praktisch das perfekte Ebenbild eines kalifornischen Surferboys. »Er ist nicht die hellste Birne, aber solange er den Mund nicht zum Reden benutzt, ist doch alles in Butter. Immerhin sieht er gut aus. Nicht, dass ich das beurteilen könnte.« Sie gluckst.

»Austin?«, wiederhole ich. Nicht einmal mein miesepetriges Selbst kann abstreiten, dass Austin eine ziemliche Augenweide ist, aber dort hören die positiven Eigenschaften auf, die mir über ihn einfallen. Man könnte meinen, ich würde ihn nicht bereits seit Jahren kennen. »Lass mal.«

»Du bist ein starkes Stück«, murrt Brielle. Sie lässt sich ebenfalls auf den Boden sinken, streckt die Beine aus und lehnt den Kopf zurück. Avery vergräbt die Finger in ihren Haaren und der leise Stich des Neids durchzieht mein Herz.

Meine Wangen bleiben heiß, als ich grinsend antworte: »Ich weiß, danke.«

»Was ist mit Noah? Oder Adam? Daniel?« Avery zählt die Namen an ihrer Hand ab. Jedes Mal schüttle ich den Kopf. Sie brummt genervt. »Komm schon, Quincy, kannst du nicht mal ein bisschen mitarbeiten?« Seufzend richtet sie sich auf und zieht an Brielles Katzenohren. »Holst du uns was zu trinken? Ohne genug Alkohol kann ich mit diesem Clown hier nicht arbeiten.«

»Ich hab mich gerade gesetzt«, erwidert Brielle schmollend.

»Wir müssen hier aber einen Casanova trainieren«, sagt Avery. Ihre Stimme ist süß wie Honig. »Der steht von allein nicht auf, wenn er nicht genug intus hat.« Sie drückt ihr Knie gegen meins und lächelt. »Bitte«, fügt sie hinzu.

Brielle seufzt geschlagen. »Nur weil du es bist, Babe.« Sie kämpft sich auf die Beine, beugt sich runter und stiehlt sich einen Kuss von ihrer Freundin, ehe sie sich in die Küche begibt. Der orangene Katzenschwanz schwingt hinter ihr her wie die auf die falsche Fährte führende Laterne eines Irrlichts im Moor.

Avery setzt sich seitlich auf die Treppe, sodass ihr Gesicht vollends mir zugewandt ist. »Also«, fängt sie an und dehnt den Anfangsbuchstaben besonders lang. »Du willst keinen der Kerle, die hier sind, ja?«

»Die kenne ich doch alle«, sage ich schulterzuckend. Ich stelle den Plastikbecher neben meine Füße. »Und die kennen mich. Wir wissen beide ganz genau, dass sie nicht auf mich stehen. Oder überhaupt auf Jungs.« Es wird heiß in meiner Brust und kalt in meinem Nacken.

Avery schnalzt ungeduldig mit der Zunge. »Wenn du doch einfach ein wenig lockerer wärst. Vielleicht würden dir ein paar nette One-Night-Stands helfen.« Sie seufzt, bevor sie mir zwei lackierte Fingernägel ins Bein drückt. »Aber dann wärst du ja nicht mehr du.«

Ich werfe ihr einen stutzigen Blick zu.

»Glaubst du, ich kenne meinen besten Freund nicht?« Sie grinst, sodass all ihre Zähne zu sehen sind. »Also bitte. So unterirdisch ist meine Menschenkenntnis auch wieder nicht.«

»Hm«, schmunzle ich und stoße sie mit dem Knie an. »Wenn du das aber weißt, warum versuchst du es mir dann die ganze Zeit aufzudrängen?«

»Gruppenzwang«, seufzt sie und lehnt den Kopf an die Wand. »Außerdem will ich, dass du auch mal was Gutes hast, okay?«

Das Lächeln auf meinen Lippen tut schon fast weh, als ich sage: »Ich habe doch etwas Gutes im Leben. Du sitzt ja hier.«

Avery kichert. »Du kannst so süß sein, wenn du willst, Quincy. Einfach unglaublich, dass dich noch kein verdammter Prinz auf seinem Pferd in den Sonnenuntergang mitgenommen hat.«

»Sonnenuntergang war ja auch schon«, erwidere ich grinsend. Meine Finger zucken.

Avery stöhnt laut und genervt. »Ich nehm’s zurück. Ich hasse dich. Echt. Abgrundtief.«

»Ja, ich dich auch.« Als sie mir halbherzig gegen die Brust schlägt, muss ich lachen.

Ich nutze den Moment und lasse meinen Blick schweifen. In der Küche steht Brielle, die drei Becher in ihren Händen balanciert und mit Austin redet, der Fake-Blut am Hals und Plastikzähne im Mund hat. Lautstarkes Jubeln zieht meinen Blick zum Wohnzimmer, wo Zoe und Nate dicht aneinandergedrängt auf dem Sofa sitzen und Mario Kart gegeneinander spielen. Sie rempeln sich immer wieder an, um den anderen aus der Bahn zu lenken, lachend und fluchend gleichzeitig. Robin und Lucas reden im Flur. Lauter Bass dröhnt durch das Haus und der hereinwehende Wind aus einem offenen Fenster lässt die Papiergeister und -fledermäuse an der Decke umherwirbeln. Es riecht nach Alkohol und Schweiß. Es ist eine andere Welt, eine bessere Welt. Eine, die nach dieser Nacht enden und von der bitteren Realität eingeholt wird.

Ein leises Klingeln lässt mich wieder zu Avery blicken. »O nein«, murmelt sie. Ihr Smartphone-Bildschirm leuchtet hell und zeigt einen eingehenden Anruf an. »Mom«, erklärt sie. »Sie wollte doch nicht anrufen.« Sie seufzt und steht auf. Ihre Finger bohren sich in meinen Oberarm, als sie kurz strauchelt, dann steht sie gerade und geht zur Haustür. Über die Schulter sagt sie: »Pass mal auf das Haus auf, ja? Lass es nicht in Flammen aufgehen.« Damit verschwindet Avery in die kanadische Oktoberluft.

Mein Körper wird kälter und ich glaube, ich kann nicht mal mehr die Musik hören. Meine Ohren pochen. Ich habe zitternde Finger. Am liebsten würde ich eine rauchen. Vielleicht auch drei.

Ich bin allein auf der Treppe und drehe mich zur Seite. Meinen Kopf lehne ich an die Wand, die Beine winkle ich an. Als ich die Augen schließe, hämmert wieder die Musik auf mich ein. Gelächter und Stimmen mischen sich irgendwo zusammen, und ich kann nicht mehr ausmachen, wer was sagt. Es ist alles ein großer Wirrwarr und ich bin mittendrin. Einsam.

Mein Atem geht langsam und ich versuche bis zehn zu zählen. Ich komme bis sieben, dann dreht sich mein Kopf. Farben mischen sich unter das Schwarz meiner Lider. Es ist fast wie ein Feuerwerk. Hell ringt mit Dunkel, und irgendwo sehe ich Blitze und Gesichter, Gesichter aufblitzen.

»Hey, geht’s dir gut?« Die Stimme ist warm und flutet meinen Kopf. »Du bist etwas blass.«

Ich öffne die Augen und blicke auf. Am Fuß der Treppe steht ein Junge, der einen schwarzen Frack und darunter ein weißes Hemd mit Rüschenkragen trägt. Dunkelblonde Locken fallen ihm in die Stirn. Seine Augen sind tiefgrün und die Augenbrauen dicht zusammengezogen. Es dauert einen Moment, bis ich mich erinnere, wer das ist. Finnley ist auch im Eishockeyteam und mit seinen fast zwei Metern bringt er jeden dazu, zu ihm aufzublicken.

»Ja, alles gut«, sage ich und setze mich gerader hin. »Mach dir keinen Kopf.«

Finnley ist nicht überzeugt. Sein Ausdruck und die schmale Falte auf seiner Stirn verraten ihn.

»Wirklich«, bringe ich hervor. Ein schmales Lächeln kämpft sich auf meine Lippen, aber es ist von der Bitterkeit der Lüge getränkt.

Statt weiter darauf einzugehen oder mich zu drängen, sinken seine Schultern ein wenig herab und er nickt. Die Stirnfalten lösen sich auf, er verzieht kurz den Mund. Dann setzt er sich zu meiner Überraschung auf die unterste Treppenstufe, den Kopf ans Geländer gelehnt, sodass er zu mir guckt, und streckt die langen Beine aus.

Er sagt: »Deine Freundin hat ein nettes Haus.«

Wieso gerade Finnley mit mir Small Talk führen will, weiß ich nicht, aber ich erwidere: »Stimmt.« Dann schweige ich, weil ich nichts sagen kann. Ich wüsste auch nicht was. Mein Mund ist wie zugenäht.

Das kümmert ihn aber nicht, denn Finnley redet einfach weiter, als wären wir Freunde. Als würden wir immer zusammen auf Treppen sitzen und miteinander sprechen.

»Die beiden scheinen sich gut zu verstehen«, meint er mit einem Kopfnicken in Richtung Robin und Lucas, die sich keinen Zentimeter vom Fleck bewegt haben. »Ein paar aus dem Team sagen, Lucas hätte ’ne Wette verloren und wäre genötigt, mit Robin zu reden, aber das glaub ich nicht. Glaube kaum, dass du jemandem so lange etwas erzählen kannst, wenn du gezwungen wirst. Oder?«

Ich gebe einen undefinierbaren Laut von mir, den er als Zustimmung interpretiert. Meine Finger zucken und mein Gesicht ist warm. Ich gucke zur Haustür, aber Avery ist nicht da. Ich könnte jetzt diesen Drink gebrauchen, den Brielle holen wollte.

»Ich bin nicht sicher, ob die beiden ein gutes Paar abgeben würden, weißt du?«, spricht Finnley weiter. »Du bist doch eng mit Robin befreundet, oder? Weißt du, ob«, er wirft einen raschen Blick auf ihre Armbänder, »sie und Lucas zusammenpassen?«

»Keine Ahnung«, erwidere ich lahm. »Normalerweise rede ich nicht mit Robin über Beziehungskram.«

»Hm, okay.« Er lehnt den Kopf wieder nach hinten und schließt die Augen. Sein Kiefer mahlt und ich kann einen Muskel in seinem Hals sehen, der immer wieder zuckt. Seine rechte Hand hat sich in seinen Frack gekrallt. Die Zuckungen in seinen Fingern gleichen meinen.

»Dein Kostüm ist … speziell«, sagt er und öffnet ein Auge. Das Grün darin wird von Lichtflecken umspielt.

»Hatte keine Zeit, mir eins zu machen«, sage ich.

»Das meinte ich nicht«, erwidert er lächelnd. »Mir gefällt’s.«

»Weißt du denn, was ich darstellen soll?«, frage ich. Alles in mir rast. Der Schmerz hinter meinen Augen wird drückend und dröhnend, als würde jemand mein Gehirn wie eine Trommel behandeln.

»Ein College-Student«, sagt er. »Ein Betrunkener noch dazu.« Finnley deutet auf meine um den Kopf gebundene Krawatte. »Ein Klassiker. Fehlt nur noch das Flitzen über den Sportplatz.«

Der Anflug eines Schnaubens bahnt sich in mir an und ich muss grinsen. »So motiviert bin ich dann doch nicht.«

Finnley schmunzelt und schließt die Augen wieder. Er zuckt erneut mit den Fingern, aber bevor ich ihn fragen könnte, ob er auch das Verlangen nach einer glühenden Zigarette in der eisigen Herbstluft hat, öffnet sich die Haustür und Avery kommt wieder herein. Kaum sieht sie mich mit Finnley auf der Treppe sitzen, wandern ihre Augenbrauen in die Höhe und ein unmissverständliches Grinsen legt sich auf ihre Lippen. Langsam kommt sie auf uns zu.

»Hey«, sagt sie. »Hi, Finnley.«

Finnleys Augen sind wieder offen, als er sich ihr zuwendet. »Oh, Avery. Hi.«

»Ist meine Party denn so langweilig, dass gleich zwei lieber auf der Treppe herumlungern?«, fragt sie. »Ich wusste, ich hätte die Brettspiele auspacken sollen.«

Er lacht schnaubend. »Ich würde euch alle bei Monopoly fertig machen.«

»Glaubst du«, meint Avery und hebt drohend einen Finger. »Ich bin die ungeschlagene Monopoly-Meisterin in diesem Haus.«

»Dann hättest du keinen weiteren Profi reinlassen sollen.«

»Ist das eine Herausforderung?«

Finnley grinst und ein Grübchen erscheint in seinem Mundwinkel. Es verspottet mich. »Ein andermal vielleicht. Ich kann doch die Party nicht mit deiner Niederlage beenden.«

»O mein Gott.« Avery stemmt eine Hand in die Hüfte. »Hast du das gehört, Quincy? Der Kerl denkt, er könnte mich beim Monopoly besiegen. Sei froh, dass ich keinen Dienst habe, sonst würde ich dich jetzt verhaften lassen.« Sie zieht an ihrer Uniform herum.

»Bitte nicht«, lacht er. »Ich muss doch ein gutes Vorbild bleiben.« Finnley erhebt sich und überragt uns wieder. »Ich flüchte lieber schnell.«

»Warte«, sage ich und weiß nicht warum. Mein Herz rast.

Er hebt eine Augenbraue und sieht mich fragend an. Genau wie Avery. Die grinst jedoch. Wie ich dieses Grinsen an ihr hasse. Es lässt meine Wangen Feuer fangen.

»Du hast nicht gesagt, als wer du verkleidet bist.«

Finnley sieht an sich herunter, dann wieder zu mir. »Wirklich? Ich dachte, ich hätte das Aussehen ganz gut getroffen.« Seine Lippen sind zu einem Lächeln verzogen. »Ich bin Mr Darcy.«

»Ooooh, aus Stolz und Vorurteil?«, fragt Avery und er nickt.

»Jap. Ich hab’s selbst zusammengestellt.« Mit einem stolzen Glänzen in den Augen zieht er an seinem Rüschenkragen. Jeder andere würde damit wahrscheinlich lächerlich aussehen. Ihm steht es.

Als er geht, schwirrt mir der Kopf und eisige Tropfen kleben in meinem Nacken.

Avery quetscht sich wieder neben mich, schlägt mir auf den Arm und grinst mich breit an. »Mr Darcy!«, sagt sie leise und aufgeregt.

»Ich hab ihn gehört«, erwidere ich.

»Nein, du verstehst das nicht.« Sie senkt ihre Stimme und flüstert, was im Geklimper ihrer Armreifen beinahe untergeht. Ihre Polizeimütze fällt ihr fast vom Kopf, als sie sich so nah wie möglich zu mir herüberbeugt. Ich kann die goldenen Ringe um ihre Pupillen sehen, während sie mir den Finger in den Bauch drückt. »Mr Darcy ist doch der literarische Traummann schlechthin! Und der saß hier mit dir!«

»Es war nur Finnley Anderson«, sage ich, aber mein Gewissen betrügt mich, als mein Blick zur Küche gleitet, in die er verschwunden ist. Sein neuer Gesprächspartner Austin hat ihm direkt einen Arm um die Schulter geworfen. Die beiden grinsen um die Wette, komplett zurück in ihrer eigenen Welt, in der ich keinen Platz habe.

»Nur Finnley Anderson«, wiederholt sie und nickt. »Deswegen hast du nur Finnley Anderson gefragt, als was er verkleidet ist. Klar, Quincy. klar.«

»Avery«, sage ich und lehne mich zurück. Ich reibe mir die Stelle zwischen den Augenbrauen. »Ich kann einem hübschen Typen hinterhergucken, ohne ihm direkt an die Wäsche zu wollen.«

Sie seufzt und tätschelt mir den Arm. »Ich weiß, ich weiß.« Ihr Blick huscht ebenfalls zur Küche und sie schüttelt den Kopf. »Mr Darcy«, murmelt sie. Sie lacht noch einmal, leise und verräterisch wie ein unterdrücktes Schnauben, dann steht sie schwungvoll auf. Ihre Polizeimütze fällt zu Boden, als sie mich am Arm zieht. »Los. Du schuldest mir jetzt einen peinlichen Beste-Freunde-Tanz. Das habe ich beschlossen.«

»Ich glaube, dafür bin ich immer noch nicht betrunken genug«, erwidere ich glucksend, lasse mich von Avery aber auf die Beine ziehen. Die Einsamkeit darf auf der Treppe liegen bleiben, während ich ihr zu den anderen ins Wohnzimmer folge. Inmitten der Menge kann ich entspannen. Für den Rest des Abends immerhin. Es ist ein Anfang und ich nehme es.

Die kalte Hand, die mir den nächsten Tag ins Genick malt, versuche ich zu vergessen.

Two

Der Himmel hängt grau über mir, als ich mit der Kapuze tief ins Gesicht gezogen der Straße folge. Regengeruch hat die Luft geschwängert und die Ergebnisse eines nächtlichen Schauers haben sich als kleine Pfützen auf dem Stein abgelagert. Ich gehe so gemächlich, wie ich kann. Averys Worte kleben mir noch im Ohr. Lass dich nicht rumschubsen, hat sie gesagt. Die Ruhe des Sonntags lässt meinen Kopf lauter werden. Ihre Stimme hallt hervor, als würde sie um mich geistern. Sie weiß, was mich erwartet, sobald ich zu Hause ankomme, und sagt es trotzdem. Als hätte ich eine Wahl.

Häuser ziehen gemächlich an mir vorbei, als würden sie auf einer alten Filmrolle entlanglaufen. Nummern kommen und gehen. Ich sehe die ersten geöffneten Fenster. Kinder lachen und ich kann das Flimmern eines Fernsehers in der Spiegelung der Scheiben erkennen. Jemand sitzt im Vorgarten und raucht, während er die Zeitung liest. Meine Finger zucken und wollen ebenfalls zu meinen Zigaretten greifen, aber der Weg ist nicht weit genug, um den Geruch zu überdecken. Ich habe keine Kaugummis mehr. Also bleibe ich stehen und sauge die Luft ein, um wenigstens den Hauch von Rauch in meine Lungen zu bekommen.

Der Raucher blickt mich komisch an und ich gehe weiter. Ich vergrabe die Finger in meinen Hosentaschen und halte den Blick geradeaus gerichtet. Der Weg wird kürzer und meine Füße mit jedem Schritt schwerer. Die Häuser an den Seiten sind zu vertraut. Als ob jemand einen nassen Lappen in meinen Nacken legt, läuft es mir kühl den Rücken hinab und eine Gänsehaut überkommt mich. Eine letzte Warnung.

Mein Haus ist das letzte in der Straße. Die Außenwände sind eierschalenfarben und mit Efeupflanzen bewachsen. Drei Stockwerke ist es hoch und der Schornstein auf dem Schieferdach kratzt den Himmel am Wolkenbart. Mehrere Fenster sind aufgerissen und lassen die Vorhänge flattern. Ich sehe die Überreste der Halloweenparty im Eingang; Konfetti klebt im feuchten Gras, geplatzte Luftballons bedecken den Gehweg, eine Girlande ist von einer Seite der Tür abgefallen und hängt auf dem Briefkasten, und leere Flaschen stehen wie schmutzige, mahnende Finger auf dem Boden. Sie begrüßen mich still, aber ehrlich.

Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee ist das Erste, was ich rieche, als ich eintrete, aber selbst das kann nicht den Gestank einer Party überdecken; schaler Alkohol, feuchte Chips, Zigarettenrauch, Schweiß und Erbrochenes. All das mischt sich in der Luft zu einem widerwärtigen Parfüm zusammen, gegen das auch der eiskalte Luftzug nicht hilft, der von einem offenen Fenster durchs nächste jagt.

Der Holzboden im Eingangsbereich ist mit Konfetti und Luftschlangen bedeckt. Ein paar Flaschen stehen zusammengepfercht auf dem Schuhregal. Weiße Glasscherben liegen dort, wo normalerweise eine Vase steht. Die Dielen kleben. Mein Atem klebt mir ebenso im Rachen.

Im Wohnzimmer kann ich den Fernseher hören. Die Tür ist nur angelehnt. Der ohrwurmbereitende Jingle eines Werbespots ertönt und dann sagt eine mir vertraute Stimme: »War das die Haustür?«

Ich fühle die Kälte in meinem Nacken, als ich mir die Schuhe von den Füßen streife. Finnley Anderson kommt mir ins Gedächtnis, seine dunkelgrünen Augen und der schwache Zug eines Lächelns um seine Lippen, als er gesagt hat, dass er als Mr Darcy verkleidet sei. Ich schüttle ihn ab, stelle mich der Realität und gehe ins Wohnzimmer.

Dalvin sitzt auf der Couch, die Beine auf dem Tisch abgelegt. Sein gelangweilter Blick streift mich. »Warum bist du so spät?«, fragt er träge. Er trägt lediglich kurze schwarze Shorts und ein weißes Tanktop, seine ebenfalls kurzen schwarzen Haare sind zerzaust. Eine leere Müslischüssel steht neben seinen Füßen auf dem Tisch.

»Lange geschlafen«, erwidere ich.

»Stell dir ’nen Wecker«, sagt mein Stiefbruder. Sein Zwilling Wesley, der auf dem Sessel sitzt, grunzt und stellt den Fernseher etwas lauter. Dalvin übergeht ihn und fügt hinzu: »Mom ist in der Küche und wartet.«

»Haltet die Schnauze«, brummt Wesley, ehe er die Lautstärke noch höher stellt. Die Stimmen aus dem Fernseher dröhnen in meinen Ohren. Schon wieder eine neue Serie. »Ich will das verstehen.« Im Gegensatz zu seinem Bruder sieht er so aus, als wäre er bereit für einen Ausflug in die Kirche, mit schwarzem Hemd und einer dunkelblauen Jeans, die ausnahmsweise keine Löcher vorweist.

»Mach auf Pause«, sagt Dalvin.

»Geh du doch raus«, erwidert sein Bruder.

»Ich wohne hier.«

»Ja, ich auch, deswegen sollst du verschissene Rücksicht nehmen«, sagt Wesley. Sein Blick ist dunkel, als er mich ansieht. »Und du verschwinde endlich zu Mom oder sie wird wieder unnötig pissig.«

Ich verlasse das Wohnzimmer. Wesley und Dalvin sind eineiige Zwillinge und zwei der anstrengendsten Personen, die ich kenne. Ich habe ihren Vater nie kennengelernt, aber sie müssen nach ihm kommen, denn die dunklen, gewellten Haare, grauen Augen und markanten Nasen haben sie definitiv nicht von ihrer Mutter. Wesley ist schlimmer als Dalvin, aber das hält sie nicht davon ab, mir gemeinsam das Leben schwer zu machen. Die Zeit, in der ich stolz darauf gewesen bin, zwei coole, ein paar Wochen ältere Stiefbrüder zu haben, ist lange vorbei.

Auf Dalvins linker Hand prangt ein schwarzer Totenkopf, aus dessen Mund Rauch strömt, und Wesleys rechter Bizeps ist mit einem prunkvollen Dolch verziert; Tattoos, die die beiden sich kurz nach ihrem Achtzehnten stechen ließen, damit andere sie besser auseinanderhalten können. Ich brauche die Tattoos nicht. Seit ich sie kenne, habe ich die beiden immer unterscheiden können.

Im Flur versuche ich meine Atmung ruhig zu halten. Ich gehe langsam auf die Küchentür zu, wo der Geruch von Kaffee stärker wird. Das hauchdünne Geräusch vom Radio dringt an meine Ohren. Es laufen die Nachrichten. Vielleicht das Wetter. Ein letzter Mut machender Atemzug, dann gehe ich rein.

Sienna sieht aus, als wäre sie geradewegs dem Titelbild einer Modezeitschrift entsprungen. Sie trägt ihre weiße Perlenkette um den schlanken Hals, dazu ein schwarzes, knielanges Kleid und schwarze Stilettos. Ihre hellblonden Haare liegen ihr glatt auf dem Rücken mit einigen perfekt gewählten Strähnen auf der Stirn. Dunkles Puder bedeckt ihre Augenlider und ein pinker Glanz klebt auf ihren Lippen. Als sie mich sieht, schürzt sie die Lippen und hebt das Kinn. Lippenstift klebt an ihrer Kaffeetasse, als sie diese langsam abstellt, ehe sie die Zeitung faltet und auf den Tisch legt. Das Rascheln des Papiers klingt wie ein Waldbrand in meinen Ohren.

»Na endlich«, sagt sie und übergeht eine Begrüßung. Sie nickt in Richtung Flur. »Du hast gesehen, in was für einem Zustand das Haus ist. Bitte, bring es doch wieder auf Vordermann, ja? Der Garten muss gesäubert werden und ein nettes Abendessen wäre auch nicht schlecht.« Sie lächelt auf eine süßlich-vertraute Art, die mir eine Gänsehaut verpasst. »Die Jungs und ich gehen aus, weißt du, ich habe ein wichtiges Business-Meeting mit einigen Kollegen und es wäre eine Schande, wenn ich es verpassen würde.«

Ich verkneife mir ein Schnauben. Siennas Business-Meetings finden in teuren Bars statt, wo sie und ein paar reiche Bänker Scotch trinken, während Dalvin und Wesley irgendwo Geld verprassen, als würde ihnen die Welt gehören. Meine Stiefmutter ist nicht arbeiten gegangen, seit mein Vater gestorben ist. Sie ruht sich lieber auf dem Erbe aus, das er ihr vermacht hat. Nur ihr.

Als ich nicht antworte, rückt sie den Stuhl mit einem aggressiven Schaben zurück und erhebt sich. »Hast du verstanden, Quinn?«

»Natürlich«, sage ich mit dünner Stimme.

Sie lächelt wieder und die Fältchen um ihre Augen werden tiefer. »Sehr gut. Und denk an unsere Unverträglichkeiten, Quinn. Nicht, dass du es wie beim letzten Mal vergisst.« Sie legt eine starke Betonung auf das letzte Wort. Als könnte ich meinen Akt der Rebellion vergessen, für den ich mir eine saftige Ohrfeige eingefangen habe.

»Ich werde daran denken.« Dann, nach einer Pause, als sie nichts mehr hinzufügt: »Ich fange oben an.« Mein falsches Lächeln brennt sich in meine Wangen.

Sienna nickt, ehe sie sich hinsetzt. Mein Zeichen, dass ich verschwinden kann. Ich drehe mich auf dem Absatz um und rausche aus der Küche, nicht so schnell, dass sie mich zurückrufen würde, aber auch nicht so langsam, dass ich zu lang in ihrer Gegenwart sein muss.

Die Treppe in den ersten Stock ist mit Bildern und Fotografien aus längst vergangenen Tagen geschmückt. Ein fröhliches Familienportrait nimmt den meisten Platz ein; es hängt direkt auf Augenhöhe, wenn man die erste Stufe erklimmt. Das Bild könnte keine größere Lüge sein, denke ich. Wir sind alle darauf zu sehen, Sienna, mein Dad, Wesley, Dalvin und ich, mein Grinsen echt und glücklich, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Sienna sieht genauso aus wie jetzt, wunderschön und elegant, aber mit einem warmen Lächeln, weil der Arm meines Vaters um ihre Hüfte geschlungen ist. Die Zwillinge haben die Arme verschränkt und die Kinne angehoben, ein vorjugendlicher Versuch, cool zu wirken. Mich haben sie damals damit geblendet. Jedes Mal, wenn ich das Bild sehe, will ich es herunterreißen und schreien.

Neben dem Portrait hängt ein Foto von den Zwillingen am Flughafen, beide mit dunklen Sonnenbrillen und keinem Lächeln auf den Lippen. Sienna hat das Bild gemacht, als die beiden das erste und einzige Mal ihre Großeltern besucht haben. Jetzt sind diese tot. Ein weiteres Bild zeigt Sienna und meinen Dad an ihrem Hochzeitstag. Ein wunderschönes schneeweißes Kleid mit breiten Ärmeln und engem Stoff lässt Sienna wie eine Königin aussehen. Ich kann mich an diesen Tag gut erinnern; ich habe meinen Dad nie glücklicher gesehen und mich hat es genauso glücklich gemacht, ihn so zu erleben. Heute brennen meine Adern, wenn ich das Bild zu lange angucke. Ich gehe weiter.

Ich kann mich noch daran erinnern, wie es war, als mein Vater Sienna kennengelernt hat. Damals war ich sieben, vollkommen zufrieden damit, mein ganzes Leben lang nur einen Elternteil zu haben, und nicht erfreut, als er mir die Neuigkeiten verkündet hat, er habe endlich jemanden kennengelernt. Die Frau, die er nach Hause gebracht hat, war anders als die, die heute in der Küche sitzt. Sie hat mir eine Tüte mit meinen Lieblingsbonbons mitgebracht, war interessiert an mir und hat mich nicht wie den nervigen Sohn ihrer neuen Flamme behandelt. Damals habe ich Sienna gemocht, damals habe ich auch Wesley und Dalvin gemocht, und ich bin mir sicher, dass die Gefühle erwidert worden sind.

Und dann kam es, wie es kommen musste. Sienna und mein Vater haben geheiratet, wir sind alle gemeinsam in dieses Haus gezogen und wenige Jahre später ist Dad gestorben. Bittere Galle kommt mir hoch, wenn ich daran denke, dass ich damals froh gewesen bin, wenigstens Sienna und die Zwillinge zu haben. Froh, dass ich nicht in ein Kinderheim verfrachtet wurde, und froh, dass ich eine Mutter in meinem Leben hatte, die sich um mich kümmern würde. Heute weiß ich nur zu genau, was für eine gute Schauspielerin Sienna ist. Sie hat nicht nur mich, sondern auch Dad hinters Licht geführt. Wie es wohl gewesen wäre, wenn mein Dad nicht gestorben wäre? Hätte sie trotzdem ihr wahres Gesicht gezeigt und sein Geld an sich gerissen?

Meine düsteren Gedanken enden abrupt, als ich mein Zimmer erreiche. Es ist ganz oben und war mal der Dachboden. Ich komme nur durch die Leiter hoch, die aus einer Luke in der Decke fährt. So hoch kommt Sienna aber nie. Ihr Zimmer liegt im ersten Stock, daneben das von Dalvin. Wesley ist im zweiten Stock, direkt unter mir, aber die meiste Zeit verbringt er sowieso vor dem Fernseher im Wohnzimmer oder hört höllisch laute Musik.

Als ich gerade die Luke öffne und die Leiter herunterfährt, klingelt mein Handy. Ich fische es mit klammen Fingern heraus, aber als ich den Namen auf dem Display sehe, wird mir wärmer.

»Hi«, sage ich, klemme mir das Handy ans Ohr und klettere die Leiter hoch.

»Hab ich dich geweckt?«, erklingt Robins Stimme am anderen Ende.

»Es ist fast Mittag«, erinnere ich … »Armbänder?«

»Venus«, sagt sie. »Ich weiß, trotzdem.« Eine Pause. »Wie geht’s dir?«

Ich lache und lasse mich auf mein Bett sinken. Mein Fenster ist verschlossen, trotzdem kriecht die Novemberkälte durch die Dielen. »Wie soll’s mir schon gehen? Ich bin zu Hause und habe einhundert Dinge zu tun.«

Robin antwortet zerknirscht: »Tut mir leid.«

»Is’ ja nicht deine Schuld.« Auf dem Nachttisch steht ein Foto von Dad; seine Augen sind trüb. Wenn er wüsste, was hier passiert, würde er es ändern? »Was gibt’s?«

»Ich wollte dich etwas fragen.«

»Frag.«

»Es geht um Lucas.« Ich bin nicht überrascht und das weiß sie. »Er mich gestern gefragt, ob ich mal mit ihm was unternehme.«

»Das ist doch gut.« Es tut auch nicht weh, das zu hören.

»Ist es das?«, fragt sie und seufzt leise. Ich kann etwas im Hintergrund rascheln hören, dann ein leises Schnurren. Die Katze, denke ich und lächle. »Ich weiß nicht, ob ich mit ihm ausgehen sollte.«

»Das kann ich dir nicht beantworten.«

»Aber du warst schon mit ihm aus.«

»Das war vor über zwei Jahren.« Ich zucke mit den Schultern. »Und da war er noch nicht out. Es war so ein dummes Geheimnisdrama mit ihm. Ich konnte mich in der Öffentlichkeit nicht mit ihm sehen lassen, aber darüber ist er ja immerhin hinweg.« Robin seufzt schon wieder und ich füge hinzu: »Magst du ihn oder nicht?«

»Keine Ahnung«, meint sie. »Ich kenne ihn nicht so richtig. Eigentlich hab ich gestern das erste Mal richtig mit ihm gesprochen. Ich bin nicht mal sicher, ob er überhaupt mit mir ausgehen will. Wir haben beide getrunken.«

»Lucas ist ein ehrlicher Betrunkener«, erwidere ich, bevor ich kurz lachen muss, als in mir die alte Erinnerung wieder hochkommt. »Wenn er genug getrunken hat, dann erzählt er dir all seine Geheimnisse. Was meinst du denn, wie er mir überhaupt gesagt hat, dass er mich mag? Von allein kommt er nicht zu dir.«

»Will ich denn so einen?«

»Ich kann nicht für dich entscheiden.«

»Nein, wahrscheinlich nicht«, sagt sie. »Wäre das denn okay? Also, wärst du cool damit, wenn ich ihm ’ne Chance gäbe?«

Ich schnaube leise. »Natürlich. Das mit uns ist lange vorbei. Lucas ist erwachsen geworden und wenn er dich einlädt und nicht wieder den Schwanz einzieht, wenn es zu viel wird, dann ist er ganz gut für dich. Aber wenn er dich schlecht behandelt, sagst du das. Dann machen wir ihn fertig.«

Robin lacht am anderen Ende und ihre Stimme ist sanft, als sie antwortet. »Du weißt, ich könnte ihn allein fertigmachen, aber das ist süß von dir, danke.«

Mein Herz wird ein bisschen leichter und der Druck von meinem Brustkorb verschwindet auch. »Schreib ihm einfach«, sage ich. »Du musst ja nicht sofort mit ihm zusammen sein. Lern ihn besser kennen, dann wird das schon. Und wenn nicht, weißt du ja, wo ich bin.«

»Klar, ich hetz dich dann auf ihn. Das wird bestimmt mega«, erwidert sie lachend.

»Wird es ganz sicher.« Ich erlaube mir eine angenehme Pause, in der ich einfach nur atme, bevor ich frage: »Hast du noch was?«

»Erst mal nicht.« Robin grinst und ich höre es in ihren nächsten Worten: »Wenn ich die Kondomgröße brauche, frag ich dich noch mal.«

»Bist du nicht zu jung für solche Dinge?«

Sie schnaubt. »Ich bin älter als du.«

»Wie auch immer.«

»Idiot«, kontert sie mit einem Lachen. Ein kurzes Seufzen folgt, begleitet vom leisen Schnurren ihrer Katze. »Danke, Quinn.«

»Ich hab nicht viel gemacht.«

»Egal«, meint Robin. »Das reicht. Nimm es doch einfach an.«

»Gern geschehen. Du weißt, dass du immer zu mir kommen kannst.«

»Und genau deswegen mag ich dich so.«

»Nicht wegen meiner anderen liebenswürdigen Eigenschaften? Das tut weh, echt.« Ich grinse ins Handy.

»Wir sehen uns morgen.« Ihre leise Stimme ist Balsam für meine Seele, aber kann nicht darüber hinweghelfen, dass mein Körper jetzt schon wehtut, wenn ich nur an die ganze Arbeit denke, die auf mich wartet.

Ich seufze und antworte: »Bis morgen. Schreib, wenn du was Neues hast.«

»Dir als Erstes«, verspricht sie. »Bis dann.« Als sie auflegt, hoffe ich für sie, dass Lucas sie nicht fallen lässt, wie er mich hat fallen lassen. Und dass er ihr nicht wehtut, wie ich ihm wehgetan habe.

Die Stille, die dann in mein Zimmer einkehrt, ist fast nicht zu ertragen. Mir fehlt ihre Stimme. Oder irgendeine Stimme. Nicht Sienna, aber jemand. Ich gucke wieder zu Dads Bild auf dem Tisch. Sein Blick ist zwar trüb, aber das Braun in seinen Augen ist warm, wie bei mir. Der harte Zug um seinen Mund ist verkraftbar, aber ich wünsche mir trotzdem, ihn lächeln zu sehen. Sein Lächeln, wenn er mit Sienna und uns Jungs über seine Pläne gesprochen hat, war immer das Beste. Alles könnte noch so wie immer sein, wenn der Krebs nicht gewesen wäre.

Ich stehe wieder auf und ziehe mich um. Jeans und Hoodie tausche ich gegen ein altes T-Shirt und eine kurze Jogginghose. Meine Beine frieren zwar, aber ich weiß, es wird warm werden, wenn ich arbeite. Ich stecke meine Kopfhörer ein, drehe die Musik in meinem Handy auf volle Lautstärke und lasse mich dann von meiner Playlist aus der Welt dröhnen.

Lustlos seufzend verlasse ich mein Zimmer.

Three

Mein Mund fühlt sich an, als wäre er mit Staub gefüllt, und ich habe das dringende Bedürfnis, erneut duschen zu gehen, damit ich sicher sein kann, dass ich nicht nach Putzwasser rieche. In der Auffahrt steht Siennas Wagen, glänzend und frisch gewachst. Sie sagt, sie habe einen wichtigen Termin, aber ich bezweifle, dass er so wichtig ist, denn sie liegt noch immer im Bett. Dalvin und Wesley haben sich das von mir gemachte Rührei reingepfiffen, aber sind auch noch nicht los. Ihr Auto steht an der Straße; ein schwarzer Honda, den Sienna ihnen zum Siebzehnten geschenkt hat.

St. Dorothea ist wahnsinnig kalt zu dieser Jahreszeit. In der Nacht hat es gestürmt und der Geruch nach Regen liegt schwer in der Luft. Ich ziehe die Jacke enger um mich, während ich der Straße zur Schule folge. Nasses Laub quietscht unter meinen Schuhen.

Mein Handy vibriert mit einer eingehenden Nachricht. Avery.

du wirst nie glauben was lucas robin geschrieben hat!

Bevor ich antworten kann, schreibt sie hinterher:

geh schneller damit ich mit dir lästern kann

Ich lächle und antworte ihr, dass ich mich beeilen werde, damit sie nicht vor Aufregung eingeht. Sie antwortet:

Morgens höre ich keine Musik. Ich genieße die Stille, die in der Stadt herrscht, bevor alle aufwachen. Stille ist ein Luxus, der mir daheim nicht gegönnt ist und den ich immer annehme, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet. Im Haus ist es nie still; der Fernseher im Wohnzimmer dröhnt, Wesleys Musik dröhnt, selbst das Radio in der Küche dröhnt. Alles im Haus dröhnt und ich kann es nicht ausstellen.

Als ich an der Kreuzung ankomme, hole ich die Packung Zigaretten heraus. Ich stecke mir eine zwischen die Lippen und zünde sie mit dem billigen Tankstellen-Feuerzeug an. Als ich den ersten tiefen Atemzug nehme und der Rauch meinen Mund durchflutet, schließe ich die Augen. Es ist dieser eine Moment, bevor ich ausatme, als ich stillhalte und mich vom Geschmack der bitteren Zigarette ausfüllen lasse, in dem ich mich am lebendigsten fühlen kann. Es brennt in meinem Rachen, auf meiner Zunge und das Feuer entzündet mein Herz.

Ich öffne die Augen und gehe über die Straße. In wenigen Minuten habe ich meine Zigarette aufgeraucht und greife nach einer zweiten. Die Queensville High School kann ich schon von Weitem hören. Autos, Busse, Fahrräder, Menschen, Handys; das, was als leise Kulisse im Hintergrund beginnt, vertreibt die Ruhe von ihrem Platz und macht sich als neue Hauptattraktion breit. Es ist der einzige Teil der Schule, den ich nicht leiden kann. Es ist laut und voll, vertreibt jeden ruhigen Gedanken, den ich haben könnte. Die Schule ist trotzdem der einzige Ort, an dem ich vor den Zwillingen sicher bin. Wir teilen uns zwar Kurse, aber da hören unsere Gemeinsamkeiten auf. Sie lassen mich in Ruhe, ich lasse sie in Ruhe. Es ist eine nicht ausgesprochene Regel, dass wir uns in der Schule nicht kennen.

Avery wartet am Schuleingang auf mich. Sie hibbelt ganz aufgeregt, als sie mich sieht, und kommt in ihren schwarzen Stiefeln auf mich zugelaufen. Sie trägt mehrere ihrer selbst genähten Klamotten, darunter eine weiße Lederhose und eine helle Bluse, die aussieht, als hätte sie sie vom Set von Fluch der Karibik geklaut. Avery will irgendwann ihre eigene Kollektion auf den Markt bringen, weswegen sie jede freie Minute an der Nähmaschine verbringt.

»Na endlich!«, sagt sie, kramt ihr Handy aus einer ihrer vielen Taschen heraus, die sie in den langen schwarzen Mantel genäht hat, und zeigt mir den Chat von Robin und ihr. Ein Screenshot eines anderen Nachrichtenverlaufs springt mir ins Gesicht.

»Da!«, sagt sie. Dann: »Ist das nicht wahnsinnig?!«

Ich lege den Kopf schief, während ich Lucas’ Nachricht lese. »Ich meine, ich sehe jetzt nichts Besonderes darin.«

»Was?« Avery reißt das Handy herum und liest sich das Ganze selbst durch. »Da steht ganz klar, dass er mit Robin ausgehen will! Hier, genau da: Da hat ein neues Café in der Stadt aufgemacht, hast du Lust, dir das mal anzusehen? Er hat sogar ein Emoji dahintergesetzt, Quincy! Ein Emoji!«

»Ach so«, meine ich. »Ich dachte, da wäre jetzt was Ausgefalleneres dabei, bei dem mir die Augen rausfallen werden.« Ich grinse, als ich ihren Gesichtsausdruck sehe, der wirkt, als würde sie in eine Zitrone beißen.

»Weißt du«, sagt Avery und schaltet ihr Handy wieder aus, »du kannst echt scheiße sein. Ich dachte, du würdest dich hier für unsere Gemeinschaft interessieren, aber es lässt dich sehr kalt, was Robin mit wem macht.« Sie schüttelt übertrieben den Kopf und stößt die Tür auf. »Ich bin ziemlich enttäuscht.«

»Du wirst es überleben.«

Im Inneren der Queensville riecht es nach Schule; Linoleum, Bücher, Papier und der Schweiß von Hunderten. Es ist nicht der schönste Geruch, aber er hat etwas Vertrautes an sich, etwas, das ich nicht ganz beschreiben kann. Die Schule ist mein Zufluchtsort. Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn ich meinen Abschluss habe. Ohne einen Weg aus der Stadt bin ich Sienna tagtäglich ausgeliefert, kein Rückzugsort in Sicht. Allein beim Gedanken daran schüttelt es mich.

Wir weichen dem Strom der anderen Leute aus und halten bei Averys Spind.

»Ich wette zwanzig Mäuse mit dir, dass die beiden am Ende der Woche miteinander ausgehen«, sagt sie und holt ihr dickes Algebrabuch hervor.

»Welche beiden?«, frage ich aus den Gedanken gerissen.

Avery verdreht die Augen. »Robin und Lucas! Also echt mal, hörst du mir denn nie zu?«

»Tut mir leid«, sage ich und lächle sie entschuldigend an. »Mein Kopf war kurzzeitig woanders.«

Sie schnaubt. »Na, hoffentlich bei Algebra. Ich habe seit zwei Wochen für diesen Test gelernt und weiß immer noch nichts!«

»Keine Sorge, ich liebe dich auch ohne Algebrakenntnisse«, sagt Brielle, die hinter Avery auftaucht. Sie trägt ihr Eishockeytrikot über einem T-Shirt und drückt ihrer Freundin einen Begrüßungskuss auf die Wange.

»Sicher?«, fragt Avery seufzend. »Das ist alles ein einziger Haufen aus Buchstaben und Zahlen für mich. Als hätte jemand die komplizierteste Buchstabensuppe überhaupt in mein Buch gekippt.« Sie dreht ihren Kopf herum, sodass sie Brielle in die Augen guckt. Ihre schwarzen Locken wippen gegen ihre Schulter. »Wie kannst du dich mit so einer Versagerin eigentlich blicken lassen?«

»Mach dir darüber keine Gedanken, Babe«, lacht Brielle. »Ich bin beliebt genug für uns beide.«

»So munterst du sie wirklich auf«, sage ich und grinse, als Avery eine Grimasse zieht, bevor sie ihre Spindtür zuwirft. »Hast du Robin schon gesehen?«

»Noch nicht«, meint die große Eishockeyspielerin kopfschüttelnd. »Sag bloß, du willst auch über Lucas reden.« Sie zieht eine Augenbraue in die Höhe.

»Ich nicht«, erwidere ich, »die hier schon.« Ich deute auf Avery, bevor ich mich in Bewegung setze. Mein Spind liegt am anderen Ende des Ganges. »Sie ist ganz aus dem Häuschen, weil Robin und Lucas wohl das neue Brangelina sind.«

»Ich freue mich lediglich, wenn eine Person, die ich mag, jemanden trifft! Ich würde mich bei dir genauso freuen und das weißt du auch, du alter Miesepeter«, antwortet Avery mir, während sie mir mit Brielle folgt. »Ich kann ja nichts dafür, dass du nie jemanden ansprichst.«

»Ich spreche mit Leuten«, sage ich. »Mir dir und Robin und – hey, auf deiner Party habe ich ganze zehn Minuten mit Austin gesprochen.« Die Stimmen der anderen Schüler mischen sich mit dem Fußgetrappel und dem metallischen Schlagen von Spinden zu einer ohrenbetäubenden Kakophonie zusammen. Die meisten Leute auf den Gängen stehen in kleinen Grüppchen zusammengepfercht oder laufen durch die Flure, um zu ihren Klassenräumen zu kommen. Ich kann Zoe und Austin ganz hinten dabei beobachten, wie sie etwas an der Wand befestigen, kann aber nicht erkennen, was es ist.

»Ach ja, hast du, stimmt«, sagt Avery und tut so, als wäre sie komplett überrascht. »Manchmal ist es erstaunlich, dass du zu sozialen Kontakten fähig bist und nicht in deiner eigenen kleinen Blase Photosynthese treibst.«

»Oh, ha ha«, erwidere ich. An meinem Spind halten wir an und ich hole ebenfalls mein Algebrabuch hervor. Mein Blick fällt auf das Bild in der Tür; ein Foto von mir und Dad auf dem Jahrmarkt. Ich war zehn und habe beim Dosenwerfen den Hauptpreis gewonnen. Dad hat den Budenbetreiber gebeten, das Bild von uns zu machen. Direkt darüber hängt ein altes Kinoticket, welches ich mit Klebeband befestigt habe, und daneben hat Avery ein Zopfband um einen Magneten gewickelt. Sie lässt es immer für den Notfall da, auch wenn sie es noch nie gebraucht hat. Es gibt keinen Tag, an dem nicht mindestens zwei Haarbänder an Averys Handgelenken hängen.

Ich schließe die Tür und wende mich meinen Freundinnen zu. »Außerdem habe ich mit Finnley gesprochen. Nicht lange und nicht ausführlich, aber das zählt trotzdem.«

»Tut es das?«, fragt Avery mit mitleidigem Blick. »Hast du ihm denn mal geschrieben?«

Ich ziehe die Augenbrauen kraus. »Warum?«

Avery seufzt angestrengt und guckt zu Brielle. »Siehst du das? Siehst du, was er mit mir macht? Das ist emotionale Folter. Ich werde hier misshandelt.«

Brielle lacht. »Ich glaube nicht, dass das richtig ist.«

»Wirst du ihn anschreiben? Redest du mit ihm?«, fragt Avery, ihre Freundin übergehend.

Ich seufze. »Warum sollte ich denn? Finnley spielt nicht in meiner Liga und ich will gar nichts von ihm.«

Als wir uns langsam in Bewegung setzen, kann ich die Stimmen von Zoe und Austin vernehmen, die immer noch damit beschäftigt sind, etwas an die Wand zu kleben. »Als ob du irgendeine Ahnung von Farben hättest, du Holzkopf«, sagt Zoe dumpf klingend, als würde sie durch ein Stück Stoff sprechen. Ich kann nur ihren blonden Pferdeschwanz sehen, der beim Reden hin und her schwingt, weiß aber, dass sie Austin sicherlich mit einem stechenden dunkelbraunen Blick anstarrt.

»In Kunst hatte ich immer ein A«, erwidert Austin, der sich einen ganzen Stapel an Papier unter den Arm geklemmt hat. »Daher kenne ich mich ja wohl sehr gut aus.«

»Du hast mir selbst gesagt, du hättest immer von Nate abgeschrieben, also komm mir nicht damit.« Zoe drückt ihm eine Schere in die Hand und zieht dann eine Klebebandrolle zwischen ihren Zähnen hervor, die sie auch Austin gibt. »Du könntest ruhig auch mal ein paar Poster anbringen.«

»Ich dachte, du bist eine starke, unabhängige Frau, die keinen Mann in ihrem Leben braucht?«, erwidert Austin grinsend, bevor Zoe ihm gegen die Schulter boxt. »Au, okay, ist ja gut, ich mach die nächsten.«

Sie gehen weiter und geben den Blick auf ihr Werk frei. Ein großes Plakat bedeckt die weiße Flurwand und zieht alle Blicke auf sich. Darauf abgebildet ist ein weiß glänzender Weihnachtsbaum auf dunkelblauem Hintergrund mit einer goldenen Krone an der Spitze und eisblauen Girlanden überall verteilt. Am unteren Abschnitt des Plakats steht in Serifenschrift: SENIOR-WINTERMASKENBALL AM 19. DEZEMBER! MASKEN UND SCHICKE ABENDGARDEROBE SIND PFLICHT!

»Oh«, sage ich überrascht, »das ist neu.«

Avery und Brielle, die vor mir gelaufen sind, drehen sich um und gucken ebenfalls auf das angebrachte Plakat. Während die Augen meiner besten Freundin anfangen zu leuchten, machen sich in mir Unmut und Aufregung zugleich breit. Aufregung, weil ich schon immer auf einen Maskenball gehen wollte, schon seit ich ein kleiner Junge war, und Unmut, weil ich nichts habe, was ich auf so einer Veranstaltung tragen könnte. Selbst mit freiem Eintritt könnte ich mir keinen Anzug leisten oder auch nur eine gute Hemdjacke. Und das ist kein Abend, an dem eine Jeans ausreichen würde. Ein kleiner Traum, der gerade in Erfüllung gehen wollte, platzt wie eine Seifenblase, bevor ich ihn zu fassen bekomme. Avery kann es mir ansehen.

»Was ist?«, fragt sie, während Brielle noch einen Schritt näher an das Poster geht. Sie hat den Kopf schief gelegt.

Ich zucke mit den Schultern und ziehe meine Tasche etwas enger an mich. »Ich kann nicht hingehen.«

»Der Eintritt ist nicht so teuer«, sagt sie überrascht. »Und es würde bestimmt Spaß machen, wenn wir –«

Mit einem Handwink unterbreche ich sie und sage: »Abendgarderobe ist nicht umsonst. Tut mir leid, aber ich glaube kaum, dass es angebracht wäre, wenn ich in einem T-Shirt dort auftauche.« Ich setze ein schmales Lächeln auf, was entschuldigend wirken soll, aber wahrscheinlich nicht den gewünschten Effekt hat. Avery zieht eine Grimasse und ich schiebe rasch hinterher: »Wir haben noch den Prom. Bis dahin habe ich was zum Anziehen, versprochen.«

Avery sieht mich weiterhin komisch an, aber Brielle redet, bevor ihre Freundin etwas sagen kann. »Es ist Quinns Entscheidung. Wenn er meint, er kann nicht, dann kann er nicht. Auch wenn es schön wäre, wenn du kommen könntest.« Ihr sonst hartes Gesicht ziert ein sanfter Ausdruck, und ich bin dankbar dafür, dass sie da ist, um Avery zu bremsen.

Ich werde ganz sicher nicht meine beste Freundin fragen, ob sie einen Anzug für mich bereitstellt. Wahrscheinlich könnte sie einen im Schlaf nähen, aber das kann ich nicht von ihr verlangen. Allein die Kosten für die ganzen Stoffe – ich könnte es ihr nie zurückzahlen. Lieber gehe ich gar nicht, als so in der Schuld meiner besten Freundin zu stehen.

Ich lächle wieder. »Wenn ich in einem Monat einen Anzug auftreiben und mir eine Maske basteln kann, dann komme ich natürlich mit. Aber so sieht es schlecht aus. Außerdem bezweifle ich, dass Sienna mir das erlauben würde.«

»Sienna kann nicht über dich bestimmen, Quinn«, sagt Avery durchdringend. Sie funkelt mich an. »Du bist achtzehn. Du hast jedes Recht dazu.«

Ein leises Schnauben entkommt mir, als ich lachen möchte. »Ich sag Bescheid, wenn die Nachricht auch bei Sienna angekommen ist.«

Avery sieht aus, als würde sie gerne noch etwas erwidern, aber Brielle legt ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter und schüttelt den Kopf. »Du kannst ihn nicht überzeugen, das weißt du. Er ist noch sturer als du. Auch wenn ich dir recht gebe.«

»Ich weiß.«

Ein Stich durchzieht mich, als ich daran denke, wie es auf dem Ball aussehen könnte. Die gesamte Mensa wäre mit Plastikeiszapfen gefüllt und vielleicht würde falscher Schnee von der Decke rieseln. Leise Musik würde aus den Ecken schwirren, während jemand den Ball eröffnet, damit die Paare sich in ihren Kleidern, Anzügen und Masken zusammenfinden. Das Licht von eintausend Girlanden würde der ganzen Szenerie den Eindruck verpassen, als wären wir mitten in einer eisigen Höhle. Jetzt, wo ich es vor Augen sehen kann, tut es noch mehr weh, nicht hingehen zu können.

Ich schiebe die Gedanken beiseite und sage: »Na los. Algebra wartet.«