A Place to Stay - Jen Frederick - E-Book

A Place to Stay E-Book

Jen Frederick

0,0
7,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Wohin das Schicksal uns führt

Haras Reise nach Seoul war erfolgreich: Nach 25 Jahren hat sie ihre leibliche Mutter gefunden und freut sich darauf, sie näher kennenzulernen. Doch eine neue Familie, ein Job in einem fremden Land und eine andere Sprache – das alles überfordert sie immer mehr. Ihre Beziehung zu Yujun hat Hara schweren Herzens beendet, denn ihre Liebe darf nicht sein. Nur mühsam kann Hara ihre Sehnsucht nach dem Mann mit den breiten Schultern, dem umwerfenden Lächeln und der aufrichtigen Art unterdrücken. Er hat ihr das Gefühl gegeben, endlich einen Platz in der Welt, ein Zuhause, gefunden zu haben. Doch wie kann das richtig sein, wenn ihre Liebe verboten ist?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 406

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Buch

Haras Reise nach Seoul war erfolgreich: Nach 25 Jahren hat sie ihre leibliche Mutter gefunden und freut sich darauf, sie näher kennenzulernen. Doch eine neue Familie, ein Job in einem fremden Land und eine andere Sprache – das alles überfordert sie immer mehr. Ihre Beziehung zu Yujun hat Hara schweren Herzens beendet, denn ihre Liebe darf nicht sein. Nur mühsam kann Hara ihre Sehnsucht nach dem Mann mit den breiten Schultern, dem umwerfenden Lächeln und der aufrichtigen Art unterdrücken. Er hat ihr das Gefühl gegeben, endlich einen Platz in der Welt, ein Zuhause, gefunden zu haben. Doch wie kann das richtig sein, wenn ihre Liebe verboten ist?

Verliebt in Seoul: ein atemberaubendes Setting in einer Metropole zwischen Moderne und Tradition.

Die Autorin

Jen Frederick hat koreanische Wurzeln, wurde als Kind adoptiert und lebt heute mit ihrem Mann, ihrer Tochter und ihrem oft ungestümen Hund im Mittleren Westen der USA. Als Co-Autorin unter dem Pseudonym Erin Watt hat Frederick die New-York-Times- sowie die Spiegel-Bestsellerliste gestürmt.

Jen Frederick

APLACESTAY

Aus dem Englischen von Melike Karamustafa

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe SEOULMATES erschien erstmals 2022 bei Berkley, an Imprint of Penguin Random House LLC, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 04/2023

Copyright © 2021 by Pear Tree LLC

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Lisa Scheiber

Umschlaggestaltung: bürosüd, www.buerosued.de

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-26045-3V001

www.heyne.de

Für Lily, Herz meines Herzens,mögest du immer den Blumenpfad gehen

KAPITEL EINS

»Mittag!«, verkündet Bujang-nim – mein Chef – und klatscht dabei in die Hände. »Wenn Sie zu viel arbeiten, sind Sie heute Nachmittag nicht produktiv. Na los, na los.« Mit einer Geste fordert er uns auf, uns zu bewegen.

Bujang-nim ist nicht sein Name. Der lautet Park Hyunwoo, aber jeder nennt ihn nur Bujang-nim. Die Bezeichnung weist auf seine Führungsrolle hin. Bei Koreanern stehen Schicht, Rang und Alter über allem.

Wir drei – die einzigen Frauen in Bujang-nims internationalem Marketing-Team – starren ihn einen langen Moment schweigend an. Als ich in seiner Abteilung anfing, war ich erleichtert, dass bereits zwei Frauen dort arbeiteten; augenblicklich malte ich mir aus, was für großartige Freundinnen Chaeyoung, Soyou und ich werden würden. Eierstock-Solidarität oder so was Ähnliches. Ich sollte unrecht behalten. Chaeyoung ist abweisend und Soyou offen feindselig.

In diesem Moment wirft mir Soyou einen Blick zu, als hätte ich persönlich das Konzept einer Mittagspause entworfen, nur um sie zu ärgern, während Chaeyoung an einer der drei dünnen Ketten herumspielt, die sie um den Hals trägt; die diamantbesetzten, ineinandergreifenden Cs fangen das Licht der hellen Leuchtstoffröhren über unseren Köpfen ein.

Die Männer aus unserem Team sind schon vor einer Stunde zum Mittagessen gegangen, und es wird noch mindestens eine Stunde dauern, bis sie wiederkommen. Chaeyoung und Soyou gehen normalerweise nicht essen. Ich bin mir nicht sicher, ob es daran liegt, dass sie eine Diät machen, oder ob sie einfach zu viel zu tun haben. Jeder hier scheint ständig irgendeine Diät zu machen, wahrscheinlich weil sich so ziemlich jede soziale Aktivität ums Essen dreht.

Als ich vor sechs Wochen in dieser Abteilung anfing, entschied ich mich, auch ohne Mittagspause durchzuarbeiten. Ich wollte allen beweisen, dass ich kein nutzloses Beiwerk bin, keine, der man nur einen Job gibt, weil ihre Mutter CEO des Unternehmens ist. Ich meine … ja, meine Mutter ist die CEO, aber ich weiß, wie man arbeitet. Zu Hause in Iowa hat sich nie jemand über mein Arbeitspensum oder meine Einstellung beschwert. Hier in Korea, bei der IF Group, im siebten Stock – ist es anders. Und niemand ist sich meiner Position als Tochter der CEO bewusster als die ehrgeizige Soyou.

Als das Schweigen langsam von seltsam zu unangenehm übergeht, setzt Soyou ein höfliches Lächeln auf und erhebt sich. Nach einer angedeuteten Verbeugung in Bujang-nims Richtung holt sie ihre Handtasche aus der untersten Schublade ihres Schreibtischs, verpasst Chaeyoungs Stuhl einen verstohlenen Tritt und wendet sich ab, um zu den Aufzügen zu gehen. Mit mir mittagessen zu gehen, steht auf der Liste mit Dingen, die sie gerne tut, sicherlich ganz unten, aber sie ist schlau und ausgebufft genug, was bedeutet, dass sie eine Lunch-Pause einlegt, wenn ihr Boss ihr sagt, dass sie eine Lunch-Pause einlegen soll. Selbst wenn das bedeutet, sie muss mit dem Teufel essen.

»Na los, Chaeyoung-ie«, ruft sie und fügt nach einer kurzen Pause hinzu, »und Choi Hara-nim.«

Ich glaube nicht, dass ich bei Soyou auf einer Ebene mit dem Teufel rangiere, aber wer weiß?

Ruhig nehme ich meine Handtasche und folge den beiden zu den Fahrstühlen. Ich hätte ablehnen können. Ich kann hier alles tun, was ich will. Bujang-nim würde mir die Schuhe polieren, wenn ich ihn darum bitten würde, was exakt der Grund dafür ist, warum mich Soyou hasst, und darum kann ich nicht wütend sein. Ich darf verletzt sein und frustriert und verärgert, aber nicht wütend. Ich verdiene weder diesen Job noch den Respekt, den Bujang-nim mir entgegenbringt, oder die Energydrinks, die der örtliche Arschkriecher – Yoo Minkyu – alle paar Tage neben meinem Bildschirm platziert.

Ich sollte ablehnen, weil ein Mittagessen zu dritt gar nicht anders als mindestens so schrecklich werden kann wie das von drei Frauen, die sich treffen, nachdem sie rausgefunden haben, dass sie alle denselben Mann daten. Wahrscheinlich unterscheiden sich die beiden Situationen tatsächlich nicht wesentlich voneinander. Wir lechzen alle nach der Anerkennung von Choi Wansu, und die anderen beiden nehmen es mir übel, dass ich dadurch, dass sie nun mal meine Mutter ist, im Vorteil bin.

Wenn ich die Dämonin bin, dann ist Choi Wansu mein Gegenstück. Für die meisten Frauen in diesem Unternehmen ist sie eine Erlöserin. Die IF Group ist eine Anomalie unter koreanischen Firmen. Hier werden nicht nur Absolventinnen und Absolventen der drei größten Universitäten, die als SKY bekannt sind – Seoul, Korea University, Yonsei –, eingestellt. Manche Leute haben sogar überhaupt keinen College-Abschluss. Alles, wofür sich die IF Group interessiert, sind Ergebnisse. Bist du in der Lage, den Job zu machen, für den du eingestellt wurdest? Wenn ja, hier ist dein Firmenausweis und dein Schreibtisch. Fang an zu arbeiten.

In diesem auf Anstrengung und Leistung basierenden Unternehmensumfeld falle ich auf hässliche Weise auf, weil ich meinen Job nur wegen meiner Verbindungen bekommen habe, ganz ohne angemessene Qualifikationen, Ausbildung oder Erfahrung.

Im Aufzug beginnt Soyou eine Unterhaltung über ein Thema, das ich nur zur Hälfte verstehe, weil sie Koreanisch spricht und das sehr schnell. Chaeyoung schiebt die doppelten Cs bis zu ihrem Mund hinauf und hört aufmerksam zu.

Ich schnappe ein paar Worte über Trinken, einen Mann und einen Bastard auf. Die kleinere Frau nickt beipflichtend. Die beiden sind gute Freundinnen, deren Stärken und Schwächen sich überschneiden. Chaeyoung tut sich in ihrem Job manchmal schwer. Sie ist klug und geistreich, aber häufig vergesslich. Soyou hält sie auf Spur, indem sie ihr Haftnotizen auf dem Schreibtisch hinterlässt oder ihr Handy mitnimmt, wenn Chaeyoung es in den Waschräumen oder auf dem Konferenztisch liegen lassen hat.

Chaeyoung revanchiert sich, indem sie Lunch und Snacks besorgt, die Taxirechnung bezahlt und ihr kleine Geschenke wie Designer-Schmuckstücke mitbringt, und das auf eine so unbekümmerte Weise, als wollte sie vermeiden, dass sich ihre Freundin dadurch klein fühlt. Soyou könnte sich nicht einmal eine von Chaeyoungs Ketten leisten.

Ihre vertraute Nähe ist das, was mich anzieht, aber sie sind abweisend, halten so viel Distanz wie möglich zu mir. Soyou nutzt häufig ihre Größe, um die kleinere Chaeyoung abzuschirmen, als wäre es etwas Unanständiges, wenn ich sie nur ansehe. Selbst in diesem Moment steht Soyou zwischen uns, während die beiden ihre Wochenendpläne diskutieren. Dann senkt sie die Stimme und ich höre, wie sie mich erwähnt – oder zumindest Choi Wansus Tochter. Ich bin ihre einzige.

Wann hören die endlich damit auf, Choi Wansus Tochter zu hofieren?

Keine Ahnung.

Sie war auf keiner besonders guten Uni. Nicht in Harvard, Stanford oder Yale.

Sie ist eine nakhasan.

Chaeyoung zuckt mit den Schultern, als ob dieses eine Wort – das für jemanden steht, der das Produkt von Vetternwirtschaft ist – alles erklärt.

Ich verkneife mir ein Seufzen und lehne mich mit dem Rücken gegen die Aufzugwand. Sie hat recht. Es erklärt tatsächlich alles. Ich starre auf die Rückseite von Soyous abgetragenen schwarzen Pumps, an denen die abgeschabten Stellen mit schwarzem Marker übermalt wurden, und trete in meinen Acht-Zentimeter-Designer-Heels, die mir Choi Wansu gekauft hat, unruhig auf der Stelle. Würde ich ihre billigen Abklatsch-Schuhe tragen, wäre ich auch sauer.

Die Türen öffnen sich, und Soyou marschiert mit langen Schritten Richtung Ausgang, wodurch Chaeyoung quasi in Laufschritt verfallen muss, um mitzuhalten. Statt stehen zu bleiben und ein Taxi ranzuwinken, steuert Soyou den kleinen Supermarkt auf der anderen Straßenseite an. Die beiden werden sich einen abgepackten Salat und irgendwas zu trinken kaufen. Soyou mag am liebsten Iced Americano, Chaeyoung Chilsung Cider mit Limetten-Zitronen-Geschmack. Während sie den trockenen Salat auf einer Bank im nahe gelegenen Yongsan Park essen, zusammen mit all den Hausfrauen mit Kindern, Erzieherinnen und Nannys, werden sie sich so schnell auf Koreanisch unterhalten, dass ich kaum etwas verstehe.

Mein Magen knurrt. Ich habe weder Lust auf Kopfsalat noch darauf, wie eine Geächtete neben zwei Kolleginnen zu sitzen, welche mich die nächste halbe Stunde mit Nichtachtung strafen werden, so wie sie es schon die vergangenen sechs Wochen getan haben.

Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und schicke eine Nachricht in den Gruppen-Chat.

ICH: Ich hole mir zum Lunch was beim Food Truck mit den frittierten Schweinefleischbällchen. Falls ihr Hunger habt, sehen wir uns dort.

»Ich hole mir was beim Food Truck«, rufe ich den anderen beiden nach. Chaeyoung bleibt stehen, und für den Bruchteil einer Sekunde denke ich, dass sie mir antworten wird. »Dort gibt es gleich nebenan auch einen CU. Die verkaufen den Salat, den ihr so gerne mögt«, füge ich hinzu, weil ich dumm bin und gemocht werden will.

Chaeyoung dreht sich halb zu mir um, aber Soyou packt sie am Arm. Die Ampel springt auf Grün, und sie überqueren die Straße, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen.

Mir wird vor Verlegenheit heiß. Auf einmal bin ich wieder in der zweiten Klasse, wo ich mir die Schulhofsticheleien irgendeines bescheuerten Jungen anhören muss, der mich fragt, warum mein Gesicht flach ist und ob ich mit meinen zusammengekniffenen Augen überhaupt was sehen kann. Ich drücke die rote Seidenkordel der Kette, die ich so gut wie nie ablege, und sage mir, dass ich nicht mehr das Kind von damals bin und mich das nicht verletzt.

Das Handy vibriert in meiner Hand. Eine Nachricht von Bomi.

BOMI: Wir treffen uns dort. Jules bringe ich auch mit.

Na also, ich habe doch Freundinnen.

Ich lese die Nachricht noch einmal und runzele die Stirn. Was macht meine frühere Mitbewohnerin Jules in Yongsan-gu, hier im Zentrum von Seoul? Sie wohnt oder arbeitet nicht in der Nähe. Jules ist als Flugbegleiterin bei einem Privatflugservice angestellt und führt ein ziemlich exotisches Leben; alle paar Tage fliegt sie nach Hongkong, Singapur oder Tokio. Sie behauptet, das sei superlangweilig und die meisten Stunden verbringe sie an der Luft, während sie sich Mordfantasien über ihre Kunden zusammenspinne, von denen die meisten reiche alte Männer sind – chaebols, wie man sie in Südkorea nennt.

Warum kann ich nicht solche wie du haben, hat sie einmal gejammert. Die chaebols, die ich bedienen muss, sind immer total alt und faltig. Und du läufst im Flughafen dem einzigen jungen anständigen chaebol im ganzen Land in die Arme. Anschließend hat sie mir mit mürrischem Gesichtsausdruck ein Bier in die Hand gedrückt. Inzwischen sind wir sehr gute Freundinnen und werden jetzt zusammen mittagessen.

Ich lasse das Handy in meine Tasche fallen und mache mich auf den Weg zum Food Truck. Zehn Minuten später entdecke ich Jules und Bomi, die eng an einer Ecke zusammenstehen. Als ich näher komme, blicken sie auf.

»Du siehst aus, als würden sie dich bei der IF Group zusammenschlagen«, bemerkt Jules.

Sie trägt eine ausgestellte Jeans mit hoher Taille und ein Langarmshirt, das knapp über dem Bund der Hose endet. Die blonden Haare hat sie zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr über die Schultern hängen. Große Gold-Kreolen komplettieren den Look. Ein bisschen mehr Make-up und vielleicht ein paar bunte Haarsträhnen und man könnte sie mit einem K-Pop-Star verwechseln. Bomi, in einem dunkelblauen Hosenanzug mit einem weißen T-Shirt darunter, mustert mich besorgt, wobei sie die Brauen unter dem geraden Pony zusammenzieht.

Ich kräusle die Nase. »Vielleicht.«

Jules tritt näher und legt mir eine Hand an die Stirn. »Bist du krank? Was soll das für eine Antwort sein, ›vielleicht‹? Du solltest irgendwas Gemeines sagen. So funktioniert unsere Freundschaft.«

»Ich bin zu müde, um mich mit dir zu streiten.«

»O nein, es ist tatsächlich ernst. Besorg Soju, Bomi!«

Bomi schüttelt den Kopf, weil sie klug ist und deswegen nicht ihren Job aufs Spiel setzen wird. Und ich werde auf keinen Fall mit einer Fahne ins Büro zurückkehren.

»Ich kann jetzt keinen Soju trinken. Es ist erst Mittag.« Als der Geruch nach Frittiertem zu uns rüberweht, knurrt mein Magen wieder.

»Wo wir gerade drüber sprechen, keinen Spaß zu haben: Dieser Food Truck wird dich umbringen«, warnt Jules, folgt mir aber trotzdem.

Ich hebe die Hand, um Yang Ilhwa, die Besitzerin, zu begrüßen – eine ältere Frau unbestimmten Alters. Unbestimmt, weil koreanische Frauen anders altern als Frauen in westlichen Ländern. In der Stadt haben die wenigsten Fünfzigjährigen und selbst die Sechzigjährigen kaum Falten, aber diese Frau schon. Ihre Wangen hängen, und um ihren Mund und die Augen haben sich feine Linien in die Haut gegraben, andererseits habe ich sie schon riesige Kanister mit Frittierfett durch die Gegend schleppen sehen und ihr einmal sogar geholfen, einen Eimer mit Schweineschnitzeln hochzuheben, der mindestens fünfundzwanzig Kilo gewogen haben muss.

»Ah, jungyohan on-nim!«, ruft sie, als sie mich sieht.

»Genau, Ihre sehr wichtige Kundin.« Mit einem Grinsen senke ich das Kinn.

Jungyohan on-nim nennt sie mich, seit ich vor ein paar Wochen yachae twigim – die koreanische Version von Gemüse-Tempura – bestellt habe. Abends hat sie meist einen großen Berg davon übrig, und aus einer spontanen Laune heraus habe ich eine Portion bestellt. Das Gemüse ist nicht wirklich gut. Das Beste, was man bei ihr bekommt, sind frittierte Schweinefleischbällchen mit Mozzarellafüllung. Gleich danach kommt der Käse-Mais-Becher mit Parmesan und gochujang, einer süß-scharfen Soße. Aber sie ist stolz auf ihr frittiertes Gemüse, also bestelle ich es jedes Mal, wenn ich hier esse. Wie es aussieht, habe ich eine Vorliebe für Getrocknetes und Frittiertes entwickelt.

»Das Übliche – kommt sofort«, verkündet sie. »Hier.« Sie schiebt drei Becher mit Bananenmilch über die Theke und wendet sich ab, um unser Essen zuzubereiten.

»Ich bin jedes Mal überrascht, wie gut sie Englisch spricht«, murmelt Bomi, während sie die Becher unter uns verteilt.

»Sie hat damals GIs bedient«, erläutere ich.

Yongsan-gu ist ein Viertel im Herzen Seouls am Ufer des Han-Flusses. Früher war hier eine US-Militärgarnison stationiert, bevor Südkorea das Gebiet für sich zurückforderte, und vor ein paar Jahren sind die amerikanischen Soldaten in einen Stützpunkt vierzig Meilen südlich von Seoul umgezogen. Das Viertel hat eine erstklassige Lage, es ist also nicht schwer nachzuvollziehen, warum die Koreaner es zurückhaben wollten.

»Das erklärt einiges.« Jules wirft ihren leeren Becher in den Mülleimer, der neben dem Vorderrad des Trucks steht. Einer der wenigen – öffentliche Abfallbehälter sind in Seoul rar.

In diesem Moment taucht Yang Ilhwa mit drei kleinen Papierschiffchen auf. In einem Nest aus Salatblättern liegen drei perfekt runde, gold-gebackene Schweinefleischbällchen neben frittierten Süßkartoffelsticks und Paprikastreifen. Mein Behälter enthält Perillablätter und frittierte Paprikaschoten zusammen mit einer kleinen Zahnstocherflagge.

»Danke!«, rufen wir wie Schulmädchen im Chor, bevor wir uns mit unserem Essen einen Platz auf dem Bürgersteig gegenüber dem Truck suchen.

»Warum hast du eine Flagge bekommen?«, beschwert sich Jules. »Ich will auch eine Flagge in meinem Essen.«

»Weil ich dreimal die Woche herkomme. Wahrscheinlich bin ich diejenige, die ihr Geschäft am Laufen hält.« Ich beiße in ein Schweinefleischbällchen und lasse mir die knusprige Hülle mit dem weichen Käse und dem würzigen Fleisch auf der Zunge zergehen. Der Geschmack ist perfekt. Wie Volksfestessen in Iowa an einem heißen Tag im August.

»Das Zeug hier ist wirklich nicht besonders gut«, sagt Jules, während sie ihre Portion runterschlingt, als hätte sie seit Tagen nichts gegessen.

»Ich kenne den Truck durch Ahn Sangki. Er isst gerne hier«, erinnere ich sie.

»Nur weil Ahn Sangki berühmt ist, heißt das nicht, dass er einen guten Geschmack hat«, feuert Jules zurück.

»Mir schmeckt’s. Es erinnert mich an Iowa«, sagt Bomi.

»Du bist voreingenommen«, bemerkt Jules. »Wenn Hara uns irgendwo hinschleppen würde, wo es Dreck zu essen gibt, würdest du behaupten, dass es der beste ist, den du je probiert hast.«

»Ich hab noch nie Dreck gegessen, es wäre also nicht gelogen.« Bomis Wangen verfärben sich trotzdem vor Verlegenheit, weil Jules den Nagel auf den Kopf getroffen hat.

Bomi hat sechs Monate lang vorgegeben, meine Freundin zu sein, während sie in Wahrheit von meiner leiblichen Mutter Choi Wansu engagiert worden war, um mich auszuspionieren. Seit die Wahrheit rausgekommen ist, hat sich Bomi mir mit Haut und Haar verschrieben. Ich könnte einen Hund überfahren, und Bomi würde entweder behaupten, dass sie am Steuer saß oder sämtliche Beweise vernichten. In ihren Augen kann ich nichts falsch machen. Ich kann nicht gerade behaupten, dass mir das besser gefällt als die Sache mit dem Ausspionieren, aber zumindest ist sie mir gegenüber nun ehrlich. Jemand anders hätte ihr vielleicht nicht verziehen, aber ich bin einsam. Mein Freund wurde aus angeblich beruflichen Gründen nach Hongkong und anschließend nach Singapur versetzt, aber in Wahrheit deswegen, weil er mein Stiefbruder ist und meine Mutter die Vorstellung von uns beiden als Paar so abstoßend findet, als wären wir blutsverwandte Geschwister. Außerdem wäre es schlecht fürs Geschäft, und auf dieser Welt scheint für Choi Wansu nichts wichtiger zu sein als die IF Group. Das ist der Grund, aus dem ich zurzeit im International Marketing Department arbeite, obwohl ich kaum Koreanisch spreche und nicht mal Erfahrung im Marketingbereich habe. Aber es hieß, entweder ich nehme den Job an oder ich gefährde das gesamte Unternehmen.

Ich habe mich für den Job entschieden.

»Liegt es an der Sprache?«, fragt Bomi. »Ich dachte, in deiner Abteilung wird nur Englisch gesprochen.«

Bomi arbeitet auch bei IF und dort eng mit meiner Mutter zusammen. Wenn ich mich bei Bomi über die Arbeitsbedingungen beschwere, erzählt sie es Choi Wansu, worauf dann jemand – oder mehrere Jemands – abgemahnt oder gefeuert werden. Das möchte ich nicht. Ich habe den Job bei der IF Group angenommen, um Arbeitsplätze zu retten, nicht umgekehrt.

Bomi versteht mein Schweigen als Zustimmung und klopft mir auf die Schulter. »Die Erde ist rund. Wenn du fleißig weitermachst, erreichst du irgendwann dein Ziel. Lauf weiter, Hara.«

Ich spitze die Lippen. »Und was, wenn ich mich lieber hinlegen will?«

»Das hier ist kein Land, in dem sich die Leute hinlegen, sondern eins, in dem die Leute rennen«, sagt Jules.

Ein Bild von Chaeyoung, wie sie Soyou hinterherjoggt, schießt mir durch den Kopf. Ich schiebe mir ein weiteres Schweinefleischbällchen in den Mund. Vielleicht liebe ich diesen Food Truck tatsächlich so, weil er mich an Iowa erinnert – wo sich die Leute ständig hinlegen.

KAPITEL ZWEI

Die Tatsache, dass ich meinem Ärger bei frittiertem Schweinefleisch und geschmolzenem Käse etwas Luft machen konnte, hebt meine Laune ein wenig. Doch als ich mich zur Arbeit zurückschleppe, spüre ich, wie sich meine Muskeln sofort wieder verkrampfen. Die vierzehn Stockwerke der Zentrale der IF Group werfen einen dunklen Schatten auf den asphaltierten Bürgersteig. Bei den hohen Temperaturen, die jetzt, Ende August, herrschen, sollte mir eigentlich warm sein, dennoch ertappe ich mich dabei, wie ich mir fröstelnd die Arme reibe, während ich auf Soyou und Chaeyoung warte. Wir müssen zusammen reingehen, um die Illusion aufrechtzuerhalten, dass wir zu dritt mittagessen waren.

Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe bis zur obersten Etage hinauf. Steht Wansu gerade dort oben in ihrem Büro aus weißem Marmor und starrt auf mich herunter? Fragt sich, ob ich auch nur ein winziges bisschen ihres Talents geerbt habe? Die Ironie an der ganzen Sache ist, dass weder Yujun noch ich biologisch mit den Müttern verbunden sind, die uns großgezogen haben und ihnen dennoch so ähnlich sind. Yujun ist genauso bewundernswert wie Wansu. Er spricht Koreanisch, Englisch, Japanisch und ein paar Brocken Mandarin. Er hat einen Ivy-League-Abschluss. Er macht Geschäfte mit Unternehmen in Singapur, Hongkong, Tokio und L.A. Ich war vor meinem Job bei IF Lektorin bei einem Heim- und Gartenmagazin. Meine Talente bestehen im Backen eines recht ordentlichen Apfelkuchens, mir ist bewusst, dass es einen Unterschied zwischen ein- und mehrjährigen Pflanzen gibt, und ich kenne den Stil- und Gebrauchsleitfaden für amerikanisches Englisch – das Associated Press Stylebook – in- und auswendig. Talente, die sich hier in Seoul bisher als recht wenig nützlich erwiesen haben.

Bevor Wansu Yujun ins Exil geschickt hat, hat er mich ein paarmal in der Stadt ausgeführt. Er zieht Menschen magisch an, und das nicht nur, weil er absolut umwerfend aussieht, sondern weil es sich anfühlt, als würde man in Sonnenschein getaucht, wenn man neben ihm steht. Es wird einem ganz warm, und man fühlt sich willkommen. Egal, wo wir hingegangen sind – ob in einen Club oder ein Einkaufszentrum oder ein kleines Café im Hinterhof –, immer sind wir jemandem begegnet, der ihn nicht nur einfach kennt, sondern sich mit ihm unterhalten, mit ihm Zeit verbringen, in seinem Lächeln baden möchte.

»Seoul ist vielleicht groß«, hat er einmal zu mir gesagt, »aber eigentlich ist es sehr klein.«

Ich bin der lebende Beweis. Aus einer Laune heraus bin ich nach Seoul gereist, um nach meinem leiblichen Vater zu suchen. Und kam zu spät. Er war zwei Tage, bevor ich in der Stadt ankam, gestorben, sodass meine erste Unternehmung in Seoul aus dem Besuch seiner Beerdigung bestand. Ich habe ihn nicht gekannt. Nachdem er meine Kontaktinformationen von einer Agentur für DNA-Abgleiche adoptierter Kinder erhalten hatte, haben wir uns ein paar E-Mails geschrieben. Ich habe seinen Tod nicht betrauert, aber es gibt Zeiten – vor allem wenn Yujun und ich nach unserem abendlichen Telefonat auflegen –, in denen ich nicht schlafen kann, weil mir zu viele Gedanken im Kopf herumschwirren. Was, wenn mich Wansu nicht zur Adoption freigegeben hätte? Was, wenn Lee Jonghyung Wansu geheiratet hätte? Was, wenn ich nie in die USA umgezogen wäre? Was, wenn ich in Korea aufgewachsen wäre?

Wenn ich nicht vorsichtig bin, verliere ich mich leicht in Was-wäre-Wenns. Ich bin keine Schwarzmalerin im eigentlichen Sinne. Ich würde es eher so ausdrücken, dass ich das Ende deutlicher vor mir sehe als die Menschen um mich herum. Jules und ich sind uns in der Hinsicht sehr ähnlich. Wir spüren das nahende Desaster, den schlimmsten Ausgang, bevor er tatsächlich eintritt. Ansonsten ähnele ich charakterlich viel mehr Bomi. Ich bin still, introvertiert, bedächtig. Mit einem Mal wird mir bewusst, dass Yujun und ich eine ähnliche Dynamik wie Bomi und Jules haben. Könnten die beiden … Ich runzele die Stirn. Diese beiden Teile passen nicht zusammen. Jules hat Liebeskummer, und Bomi hat sich nie über ihre Vorlieben geäußert. Andererseits habe ich sie auch nie danach gefragt. Ich bin mir nicht sicher. Was, wenn … Ich rufe mich innerlich zurück. Es geht mich nichts an, und außerdem wird es langsam Zeit, an den Schreibtisch zurückzukehren.

Meine Kolleginnen schlendern an mir vorbei, und ich folge ihnen.

Als wir vor den Aufzügen in der Lobby warten, fragt Chaeyoung: »Hast du … dwaeji gogi gegessen?«

Ich brauche eine Sekunde, um zu kapieren, dass sie mit mir spricht, und weitere fünf, um das Wort ins Englische zu übersetzen. »Schwein? Ja.«

»Vor ein paar Wochen hab ich DJ Song bei einem Food Truck in Yongsan gesehen. Er hat auch Schwein gegessen …« Diesmal benutzt sie das englische Wort, und mir wird klar, dass ihr Zögern eben nicht daran lag, dass sie eigentlich gar nicht mit mir reden will, sondern daran, dass ihr der englische Begriff nicht eingefallen ist. »Ihr seid befreundet, oder?«

In ihrem Tonfall schwingt Neugier mit, gepaart mit einer Freundlichkeit, die sie mir gegenüber noch nie an den Tag gelegt hat. Ob das an Ahn Sangki, alias DJ Song, alias Yujuns bester Freund, alias mein Food-Truck-Verbündeter liegt? Würde Chaeyoung diesen prominenten Freund von mir gerne kennenlernen? Falls dem so ist, schäme ich mich nicht, diesen Umstand für mich auszunutzen. Er ist die einzige Person, die von meinen Schwierigkeiten im Job weiß und in jeder Hinsicht einverstanden wäre, wenn ich seinen Ruhm nutze, um mich mit meinen Kolleginnen gut zu stellen.

»Ja, wir sind befreundet.« Ich versuche, nicht zu enthusiastisch zu klingen. »Er liebt Food Trucks. Es macht viel mehr Spaß, bei einem von ihnen zu essen, und die Auswahl ist riesig. Du solltest mal mitkommen.« Ich wedele mit meinem Handy. »Wenn du möchtest, schreibe ich ihm gleich. Wir könnten uns heute Abend verabreden, falls er noch nichts vorhat.«

»Heute Abend?« Sie reißt erstaunt die Augen auf.

Meine Finger zittern vor Aufregung, während ich tippe: Food Truck. Um 7!!

Seine Antwort folgt innerhalb von Sekunden.

SANGKI: 8?

ICH: Perfekt.

Ich drehe das Display so, dass Chaeyoung den Chat lesen kann. »Heute Abend um acht.«

»Im Ernst?«

»Wir haben heute Abend schon was vor, Chaeyoung-ah«, mischt sich Soyou ein. Keine Klimaanlage könnte kälter rüberkommen als sie.

Eine dünne Linie erscheint auf Chaeyoungs ansonsten porzellanglatter Stirn. »Was denn?«

Soyou wechselt ins Koreanische, und ich schnappe ein paar Worte wie »Restaurant« und »Sushi« auf. Immerhin versucht sie, den Schein auch in einer anderen Sprache zu wahren.

»Aber DJ Song …«, protestiert Chaeyoung halbherzig, während sie unter Soyous missbilligendem Blick bereits den Mut verliert und schließlich aufgibt. »Ich kann nicht. Wir haben schon was vor.«

Obwohl sie mir eine Abfuhr gegeben hat, kehre ich mit einem Hauch Hoffnung an meinen Schreibtisch zurück. Vielleicht kann ich sie ein andermal mit Ahn Sangki ködern. Heute Abend überlege ich mir mit ihm zusammen einen Plan dafür.

»War das Mittagessen gut?«, erkundigt sich Bujang-nim, als wir reinkommen.

»Natürlich«, erwidere ich fröhlich.

Chaeyoung antwortet mit einem leisen »Ja«, während sich Soyou schweigend setzt. Sie ärgert sich über Chaeyoungs und meine winzige Annäherung, aber das ist mir egal. Ich hatte leckeres frittiertes Fleisch zum Mittag, und meine Laune hat sich mit dem kleinen Riss, der sich in Chaeyoungs Abwehr gezeigt hat, deutlich gebessert. Irgendwann werde ich die beiden schon mürbe kriegen. Ich sprühe zwar nicht vor Charisma wie Yujun, aber ich bin bekannt dafür, mindestens alle sechs Monate einen guten Witz zu erzählen. Ich übernehme gerne die Rechnung beim Essen. Ich bin eine hervorragende Zuhörerin. Lauter Eigenschaften einer guten Freundin, wenn die beiden mir nur eine Chance geben würden. Verdammt, wir müssen nicht mal Freundinnen werden; es reicht mir schon, wenn wir als Kolleginnen miteinander glücklich werden.

Ich bestätige Sangki noch einmal, dass wir uns heute Abend sehen, und widme mich anschließend den Übersetzungen in meinem Posteingang. Es sind nicht viele.

In den ersten Wochen sollte ich alle englischen Texte auf der Website gegenlesen. Ich habe hier und da Fehler korrigiert, bevor sie mich auf eine Tour durch das gesamte Gebäude geschickt haben, um zu prüfen, ob die Beschilderungen auf Englisch Sinn ergeben. Die meisten waren in Ordnung, bis auf ein Brandschutzschild, auf dem man darauf hingewiesen wurde, sich vor dem Verlassen des Gebäudes anzuzünden. Ich schickte ein Foto von dem Schild an Yujun, der mir erklärte, dass dort auf Koreanisch stand, man solle nach Feuerherden Ausschau halten, bevor man das Gebäude verlasse. Wir mussten beide laut lachen. Es war eine Woche, in der ich das Gefühl hatte, meinen Gehaltsscheck verdient zu haben.

Seitdem leidet mein Posteingang an chronischer Unterforderung. Ich schreibe Bujang-nim jeden Tag eine E-Mail, in der ich ihn um mehr Aufgaben bitte, auf die er allerdings nur sehr selten antwortet. Und wenn er es doch tut, dann in der Regel mit einer Bitte um eine Besorgung, oder er schickt mich mit irgendwelchen Unterlagen durch die Gegend. Manchmal fordert er mich sogar auf, in meiner freien Zeit Koreanisch zu lernen. Letzteres fühlt sich fast schon wie ein Angriff an, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass er es nicht so meint. Meine Sprachkenntnisse – beziehungsweise besser gesagt das Fehlen derselben – sind mein wunder Punkt.

Bomi hat gesagt, ich soll nicht aufgeben, weitermachen, dann würde ich irgendwann schon den Dreh mit dem Koreanisch rausbekommen. Was sie mir allerdings nicht verraten hat, ist, wie lange die Reise dauern wird. An manchen Tagen habe ich das Gefühl, echte Fortschritte zu machen; aber an den meisten würde ich sogar an einer Unterhaltung mit einem Kleinkind verzweifeln. Ich verstehe einiges, wenn ich zuhöre, die Sprache zu lesen, fällt mir jedoch schwer, und ich bekomme beim besten Willen keinen vernünftigen Satz heraus. Eine Sprache zu lernen ist furchtbar.

Ohne Arbeit zieht sich der Nachmittag wie Kaugummi. Um mich herum klackern Tastaturen, klingeln Telefone, werden Gespräche über kreatives Potenzial und Kampagnen-Floskeln geführt, während ich auf meine leere Inbox starre. Der Minutenzeiger kriecht langsamer über das Ziffernblatt als eine Schnecke. In diesem Tempo habe ich mich bis zum Ende des Tages vermutlich in ein Fossil verwandelt.

Ich schicke Bujang-nim eine weitere E-Mail, diesmal auf Koreanisch, und erkundige mich nach einem neuen Projekt für mich. Als ich wieder keine Antwort erhalte, öffne ich den Spamordner, um zu schauen, ob ich die hangul-Buchstaben entziffern kann. Kann ich nicht, was meine Laune weiter in den Keller rutschen lässt. Das Hoch aus frittiertem Essen, auf dem ich nach dem Mittagessen gesurft bin, liegt mir auf einmal schwer im Magen. Meine Lider sind schwer, und ich bekomme Kopfschmerzen. Ich kneife mich in die Daumenspitze, um mich wach zu halten.

Ein Telefon klingelt. Und klingelt. Und klingelt wieder. Es verstummt, bevor es kurz darauf von Neuem beginnt. Ich höre jemanden von nebenan irgendwas mit dem Wort Telefon rufen.

Als mich etwas am Hinterkopf trifft, fahre ich herum. »Was soll …«

Soyou, die ein Headset mit Mikro aufgesetzt hat, schnippt mit den Fingern und zeigt auf Bujang-nims Schreibtisch. Es ist sein Telefon, das klingelt. Chaeyoung befindet sich ebenfalls im Gespräch. Will Soyou mir etwa sagen, dass ich rangehen soll?

Zögerlich stehe ich auf, doch noch bevor ich den Hintern ganz von der Sitzfläche gelöst habe, reißt sich Soyou das Headset vom Kopf und stürmt zu Bujang-nims Schreibtisch rüber. Wütend nimmt sie den Hörer hoch und bellt eine koreanische Grußformel. Während die Person am anderen Ende der Leitung redet, klemmt sich Soyou den Hörer zwischen Wange und Schulter, um etwas zu notieren.

Als Bujang-nim plötzlich wie aus dem Nichts auftaucht, springe ich auf, um Soyou in Schutz zu nehmen. »Ihr Telefon hat nicht aufgehört zu klingeln; der Anrufbeantworter ist nicht angesprungen. Ich glaube, das Geräusch hat die Leute aus dem Bereich nebenan gestört. »Soyou wollte nicht Ihre Privatsphäre verletzen, sondern nur sichergehen, dass Sie keinen wichtigen Anruf verpassen.«

»Das musst du nicht erklären. Ich hab’ lediglich meinen Job gemacht«, zischt Soyou. Sie reicht Bujang-nim die Haftnotiz und lässt sich wieder auf ihren Platz fallen.

Alle starren mich an – die Mienen spiegeln unterschiedliche Variationen von Missbilligung. Selbst Yoo Minkyu, der mit den Energydrinks, die oft von nicht besonders subtilen Notizen begleitet werden, dass er gerne einmal meine Mutter kennenlernen würde, macht keine Ausnahme.

Bujang-nim runzelt die Stirn. »Wenn mein Telefon klingelt und ich nicht da bin, sollte immer jemand drangehen, der gerade Zeit hat. Auch Sie, Choi Hara-nim.«

So einen scharfen Ton habe ich noch nie von ihm zu hören bekommen, ich weiß also, dass ich ernsthaft Mist gebaut habe.

Meine Wangen werden heiß. Ich stehe auf und verbeuge mich. »Es tut mir leid«, sage ich auf Koreanisch. Das ist einer der wenigen Sätze, die ich perfekt aussprechen kann, weil ich bereits viel Übung darin hatte; er sollte als Warnung auf meinem Firmenausweis stehen.

Die Reaktion auf meine Entschuldigung ist genau das Gegenteil von dem, was ich damit erreichen wollte. Bujang-nims Augen weiten sich, als ob er einen großen Fehler begangen hätte. »Nein, alles in Ordnung, Choi Hara-nim.« Er drückt mich zurück auf meinen Platz. »Sie leisten sehr gute Arbeit. Ich habe eine Aufgabe für Sie. Warten Sie, ich schicke gleich eine E-Mail.« Er eilt zu seinem Schreibtisch und tippt hektisch eine Nachricht, während ich die Blicke der anderen ignoriere. Ich muss sie nicht ansehen, um zu wissen, dass ihre Mienen verschiedene Abstufungen von Abneigung spiegeln. An ihrer Stelle würde ich genauso empfinden. Ich würde mich hassen.

Eine neue E-Mail erscheint in meinem Posteingang. Erleichterung und Frustration kämpfen in meinem Inneren um die Vorherrschaft, während ich den Anhang öffne. Der Frust gewinnt den Kampf, als ich die ersten Sätze eines Dokuments lese, das ich bereits vor zwei Wochen redigiert habe.

Ich sehe zu Bujang-nim, um rauszufinden, ob er es absichtlich noch mal geschickt hat, aber er setzt ein Grinsen auf und hebt beide Daumen.

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, bevor ich mich wieder meinem Bildschirm zuwende.

Lange Zeit sehe ich nichts. Meine Augen brennen. Ich presse die Knöchel in meine Augenwinkel, bevor ich etwas davon murmele, kurz auf die Toilette zu müssen.

Niemand reagiert, weil alle viel zu beschäftigt mit ihrer richtigen Arbeit sind und es niemanden interessiert, was die nakhasan macht.

Ich betrete eine der Toilettenkabinen, schließe die Tür hinter mir ab und lehne die Stirn gegen die gekachelte Wand. Ich muss einen Weg finden, meine Arbeitssituation zu verbessern, andernfalls überlebe ich das hier nicht. Ich erlaube mir, für einen Moment die Augen zu schließen, als die kühlen Fliesen den Schmerz in meinem Kopf langsam zurückgehen lassen.

Das Rauschen einer Klospülung lässt mich aufschrecken. Ich muss kurz eingenickt sein.

Ein Wasserhahn wird aufgedreht, dann höre ich Soyous Stimme. Und dieser kleine, dumme masochistische Teil von mir öffnet die Audio-Übersetzungs-App auf meinem Handy.

Ich hasse das. Wirklich, ich hasse es. Das hier sollte ein feministisches Arbeitsumfeld sein, und trotzdem haben wir einen hannam – Manager – und mehr Kollegen als Kolleginnen, beschwert sich Soyou.

Immerhin haben wir hier keine molkas, antwortet Chaeyoung gedämpft.

Und dafür soll ich dankbar sein?

Ich war auf der Website von dem College, auf dem sie in den USA war. Das ist nicht besonders angesehen.

Sie ist Sajang-nims Tochter. Eine nakhasan. Sajang-nim ist nicht anders als jeder chaebol. Sie sitzt auf dem Chefinnensessel, weil sie mit dem CEO geschlafen hat. Und jetzt hat sie ihre verstoßene Tochter hier eingeschleust, damit die irgendwann übernehmen kann.

Du meinst, sie zieht sie Choi Yujun vor?

Ist Reis weiß? Er ist schließlich nicht Sajang-nims richtiger Sohn. Warum sind unsere Leben so beschissen?

Warum wohl? Ist das Wasser im Hahn heute kalt?

Der Wasserhahn wird abgedreht. Die Tür schlägt zu. Meine Kopfschmerzen sind zurück.

Ich möchte nach Hause, und zwar nicht in das Marmor-Mausoleum, das Wansus Haus auf dem Hügel darstellt, sondern nach Hause, nach Des Moines. In das kleine, einstöckige Backsteinhaus mit den Zierapfelbäumen im Garten, die im späten Frühling weiße Blüten regnen lassen. Wo die weißen Wände meines Zimmers den ziemlich kläglichen Versuchen meiner Mutter Ellen und mir zum Opfer gefallen sind, Dekorationsideen zu kopieren, die wir in irgendwelchen Heim-Deko-Sendungen im Fernsehen gesehen haben. In die Küche mit den Arbeitsplatten aus Granitimitat und dem silbernen Kühlschrank, an dem noch immer das Tulpen-Fingerfarbenbild hängt, das ich als Fünfjährige bei einem Kunstworkshop gemacht habe. Da ist dein Handabdruck drauf. Wie könnte ich es jemals wegwerfen? Wo sie und ich einen Sommer lang Dutzende Apfelkuchen gebacken haben, um das perfekte Rezept zu finden. Schmalz in der Pie-Kruste und Braeburn-Äpfel sind das Geheimnis, haben wir schließlich rausgefunden. Wo ich Freundinnen und Freunde habe, für die ich keine nakhasan bin.

Aber dann fällt mir ein, wie selbst die Leute auf der Beerdigung meines Vaters seine Kinder in sein richtiges – das Kind, das er mit seiner zweiten Frau bekommen hat – und sein nicht richtiges – mich, seine adoptierte Tochter, die er verlassen hat, weil ihm das Vatersein zu lästig war – unterschieden haben.

Bescheuerte Menschen gibt es auf beiden Seiten des Ozeans, und nur weil Wansu keine Kinderbilder von mir am Kühlschrank hängen hat, bedeutet das nicht, dass sie sich nicht für mich interessiert. Ich weiß, dass sie das tut. Im Moment befinden wir uns in einer schrecklich seltsamen Phase, in der wir beide Angst haben, die andere vor den Kopf zu stoßen, also schleichen wir umeinander herum, ohne wirklich etwas zu sagen. Eigentlich so wie mit meinen anderen Kolleginnen und Kollegen bei IF. Niemand sagt mir ins Gesicht, was er oder sie wirklich denkt, um nicht gefeuert zu werden, aber mir ist bewusst, dass sie einen durchaus berechtigten Groll gegen mich hegen.

Ich habe keine Ahnung, wie die Lösung aussehen könnte. Alles, was ich weiß, ist, dass ich mich trotz zweier Mütter, eines Bruders und einiger neuer Freundinnen einsamer denn je fühle.

Ich berühre erneut die rote Kordel um meinen Hals. Ich vermisse Yujun unglaublich.

KAPITEL DREI

»Meine hinreißende Hara.« Sangki steht mit weit ausgebreiteten Armen vor mir, und ich breche beinahe in Tränen aus, als ich mich gegen seine schmale Gestalt sinken lasse. »Hey, was ist los? Weinst du?« Er tätschelt mir etwas unbeholfen den Rücken.

»Nein«, murmele ich an seiner Brust, bevor ich mich von ihm löse und über den feuchten Fleck reibe, den ich auf seinem teuren cremefarbenen Baumwollhemd hinterlassen habe. Ich bin mir sicher, der kommt vom Regen und nicht von meinen Tränen – auch wenn der Abendhimmel wolkenlos ist. Seoul ist eine große Stadt, irgendwo regnet es bestimmt. »Bevor ich nach Seoul gekommen bin, habe ich nie geweint.« Und jetzt braucht es nur einen traurigen Song, und ich greife nach Yujuns Hermès-Krawatte, die er mir mal gegeben hat, um meine Tränen zu trocknen.

»Allergie. Diese ganzen Kirschblüten überall in der Stadt sind das Problem.« Er nimmt das Taschentuch, das sein Manager Lee Taehyun ihm entgegenstreckt, und reicht es mir. Mr. Lee ist Sangkis ständiger Begleiter. Sangki geht nirgendwo ohne den Mann hin, der in seinem schwarzen Anzug und mit den verspiegelten Sonnenbrillengläsern eher an einen Bodyguard erinnert. Als ich Sangki noch nicht so lange kannte, fand ich es seltsam, ständig eine dritte Person dabeizuhaben, die sich weigert, etwas zu essen oder zu trinken, und sich so gut wie nie setzt, doch mit der Zeit beginne ich zu begreifen, wie unentbehrlich Lee für Sangki ist.

Zum einen hat Sangki mehrere äußerst engagierte Stalkerinnen – oder sasaengs –, die ihm überallhin folgen. Vom Studio zu Fernseh- und Radiosendern und nach Hause. Und sie folgen ihm nicht nur, sie machen Fotos. Manchmal verstecken sie sich hinter Gebäuden oder Bäumen, und einmal haben wir sogar beobachtet, wie sich jemand an einem klaren Abend hinter einem Regenschirm zu verbergen versucht hat. An anderen Tagen halten sie ihm ihre Tausend-Dollar-Linsen schamlos ins Gesicht.

Er besteht trotzdem darauf auszugehen, weil er sich von ein paar schwarzen Schafen nicht zu Hause einsperren lassen will. »Ohne Fans wäre ich heute nicht da, wo ich bin«, hat er mir einmal erklärt.

Wansu ermutigt mich darin, etwas mit Sangki zu unternehmen, indem sie mir Umschläge mit Won hinlegt, auf denen in ordentlicher Handschrift »Für Essen« steht. Nach den Summen zu urteilen, geht sie davon aus, dass wir in edle Restaurants in Cheongdam oder Apgujeong gehen, die zu den teuersten Gegenden in Gangnam gehören. Aber Sangki und ich stopfen uns lieber an so vielen billigen Imbissständen wie möglich voll.

Ein anderer Grund für Lees konstante Anwesenheit ist Sangkis unglaublich schlechtes Gedächtnis. Die meiste Zeit hat er weder eine Ahnung, welcher Tag gerade ist, noch wo er in einer Stunde sein muss. Oft vergisst er sogar sein Portemonnaie. Hätte er keinen Manager, würde er mit Sicherheit irgendwo in Busan wilde Erdbeeren pflücken und bei irgendwelchen Dorfbewohnern leben, die ihn mit Kuchen in ihr Haus gelockt haben.

»Es ist August. Die Kirschblüte ist im April.« Ich putze mir die Nase und schiebe das benutzte Taschentuch in die Tasche. Im Gegensatz zu Yang Ilhwas Food Truck besitzt dieser hier keinen Mülleimer.

»Details«, schnaubt er, während er bereits die Speisekarte studiert, die neben dem Stand auf eine Tafel gekritzelt steht. »Was möchtest du? Reiskuchen? Scharfe Reiskuchen-Suppe? Mais-Käse-Bällchen?«

»Mais-Käse-Bällchen. Bei Yang Ilhwa-nim gibt es Käse-Mais-Becher. Ich will wissen, ob es hier besser schmeckt.« Ich konzentriere mich darauf, mir die koreanischen Worte im Kopf zurechtzulegen, um meine Bestellung aufzugeben, ohne allzu bescheuert zu klingen.

Tteokbokki. Gukmul tteokbokki …

»Yang Ilhwa?«

»Die Besitzerin von dem Food Truck mit den frittierten Schweinefleischbällchen in Yongsan. Gleich gegenüber von IF. Wir waren vor einem Monat da, kurz nachdem ich bei IF angefangen habe. Weißt du noch?«

Sangki tippt sich nachdenklich ans Kinn. »Sind das die mit dem richtig schlechten yachae twigim?«

»So schlecht ist es wirklich nicht. Ich esse oft dort. Fast jeden Tag.«

»Bitte, Hara«, stöhnt er missbilligend. »Ich zeige dir jede Woche einen neuen tollen Imbiss, und du gehst trotzdem noch zu diesem Food Truck? Da bekommst du einen schlechten Eindruck von Seoul, der dich so unglücklich machen wird, dass ich nur Beschwerden von Yujun zu hören bekomme, wenn er wieder da ist.«

»Das Essen da erinnert mich an zu Hau… an Iowa«, korrigiere ich mich schnell, aber es ist bereits zu spät. Ein mitleidiger Ausdruck huscht über seine Miene.

»Wollen wir bestellen?«, fragt er, ohne auf meinen Beinahe-Versprecher einzugehen.

Eine Sache, die Sangki und Yujun gemeinsam haben: Sie sind beide gute Zuhörer. Sie bohren nie nach, wenn sie merken, dass man noch nicht bereit ist, bestimmte Dinge mit jemandem zu teilen, und das ist etwas, das ich sehr zu schätzen weiß. Vorerst ist Seoul mein Zuhause, nicht Iowa. Und solange ich über Iowa fantasiere, werde ich nie über das Stadium hinwegkommen, Seoul als etwas Vorübergehendes zu betrachten.

Es dauert nicht lange, bis wir unser Essen bekommen. Sangki nimmt die zwei Bier und den Mais, und ich folge ihm mit den zwei Portionen Reiskuchensuppe an den Tisch, den Lee für uns frei gehalten hat.

Als Sangki sein Handy auf den Tisch legt, um die Stäbchen in die Hand zu nehmen, fällt mir ein neuer Anhänger auf, der an der Hülle baumelt. Ich berühre die vertraute blaue Schildkröte mit einem Finger. Er hat einen Schlüsselanhänger mit derselben Figur. Einmal hat er sogar Crocs getragen, an denen Buttons der blauen Schildkröte gesteckt haben.

»Du stehst auf Schiggy?«

»Nicht wirklich«, erwidert er zwischen zwei Bissen.

»Aber du hast so viel Zeug von diesem Pokémon. Ich hab’ dich schon mit T-Shirts und Hüten gesehen, auf denen es drauf war. Und Schuhe mit Schildkröten hast du auch.«

»Ich habe mal in irgendeiner Sendung nebenbei bemerkt, dass ich Schiggy ganz süß finde, und das ist das Ergebnis. Ich kriege das Zeug von meinen Fans geschenkt. Wahrscheinlich besitze ich mehr Schiggy-Merchandise, als es im Nintendo-Headquarter in Kioto gibt.« Er wischt sich den Mund mit einer Serviette ab. »Man muss echt wahnsinnig vorsichtig sein. Ich habe mal gesagt, dass ich keine Minzschokolade mag. Seitdem bin ich als der berühmte Typ verschrien, der total anti ist. In jedem Artikel auf Naver über Minz-Schokolade steht, dass ich Teil der banmichodan wäre. Weißt du, wer noch in dem Team ist? Meine Nemesis Dave Kim. Ich will bei nichts auf einer Seite mit Dave Kim stehen.«

Dave Kim ist beinahe so bekannt für seine Homophobie wie für seine Singerei.

»Die einzige Lösung ist, Dave Kim aus unserer Anti-Minzschokoladen-Armee zu werfen.« Ich greife nach der Wasserflasche, um den letzten Löffel Reiskuchensuppe runterzuspülen. Keine Frage, die Suppe ist scharf. Sehr scharf.

»Ach, dann hasst du Minzschokolade auch so?«

»Ich würde jetzt nicht sagen, dass ich sie hasse. Aber ich würde mich jederzeit als Anti auf deine Seite stellen, damit du dort nicht alleine mit Dave Kim bist.«

»Das nenne ich die richtige Einstellung!« Sangki reckt eine Faust in die Luft. »Und was hasst du? Ich würde mich gerne für den Gefallen revanchieren.«

»Soy… Meinen Job.« Ich verziehe das Gesicht. Beinahe hätte ich ihren Namen gesagt. Dabei hasse ich sie doch nicht wirklich, oder? Die ganze Zeit habe ich mich für unfassbar reflektiert gehalten, und das Erste, was mir beim Wort Hass durch den Kopf schießt, ist Soyou? Ich stehe im Moment wirklich ein bisschen neben mir.

»Der Job also. Dachte ich mir schon. Na los, erzähl oppa, was los ist.«

Ich schüttele den Kopf. Auf keinen Fall möchte ich meine kleinlichen negativen Gefühle laut aussprechen. Außerdem würde ihnen das nur noch mehr Macht verleihen. Stattdessen wechsele ich das Thema. »Yujun sagt immer, dass ich nur ihn oppa nennen darf.«

Sangki verdreht die Augen. »Was so ziemlich gegen alle Regeln des Koreanischen verstößt. Oppa verwendest du für jede männliche Person, die dir nahesteht. Wir sind Freunde, also solltest du mich oppa nennen wie meine jüngere Cousine.«

Er sieht mich abwartend an.

Ich starre zurück.

Schließlich stößt er ein enttäuschtes Seufzen aus und widmet sich wieder seiner Suppe. »Wie du willst.«

Sangki ist es wichtig, dass ich ihn so nenne, weil ich damit bestätigen würde, dass wir enge Freunde sind. Dass ich mich auf ihn verlassen kann wie auf einen großen Bruder. Aber für Yujun ist es ein Wort, das man in romantischen Beziehungen verwendet.

»Falls du dich dann besser fühlst: Ich habe dich heute als Köder bei meinen Kolleginnen eingesetzt.«

»In welcher Hinsicht?«

Ich erzähle ihm, dass Chaeyoung in Versuchung war, sich zum Abendessen mit mir zu verabreden, nachdem sie erfahren hat, dass Sangki und ich befreundet sind. »Ich hab’ mir gedacht, dass du nichts dagegen hast.«

»Natürlich nicht. Was kann ich noch tun? Tickets für eine Show? Es steht demnächst eine an.«

»Stimmt, du trittst beim Banpo Music Fest auf. Ich habe schon Karten gekauft.« Zwei, um genau zu sein. Falls Yujun bis dahin zurück ist.

»Ich könnte euch Backstage-Pässe für die End of Summer Splash Party im Banyan Tree dieses Wochenende geben. Da trete ich auch auf. Das Event ist ausverkauft, weil die Social-Media-Influencer so drauf abfahren, aber ich hab’ noch ein paar Pässe übrig.«

»Klingt nach einer Party, bei der ich einen Badeanzug tragen müsste. Keine Ahnung, ob ich auf die Art mit meinen Kolleginnen bonden möchte.«

»Ach komm, das wird lustig.« Er stößt mich mit der Schulter an. »Von Yujuns Freunden sind auch einige da, und falls dir das unangenehm ist, kannst du dich immer noch an Taehyun-ie halten.«

»Yujun hat außer dir und mir noch andere Freunde? Das ist völlig inakzeptabel«, scherze ich. »Falls ich ganz verzweifelt sein sollte, rufe ich dich an.«

»Deal.«

Nachdem wir unsere Abmachung mit einem Schütteln der verschränkten kleinen Finger besiegelt haben, essen wir auf. Die frittierten Maisbällchen schmecken wie mit Käse gefüllte Kroketten und sind sehr viel besser als der Käse-Mais-Becher beim Food Truck gegenüber von IF, aber ich rede mir ein, dass es nur daran liegt, dass sie frittiert sind. Alles schmeckt besser, wenn es frittiert wurde.

Nachdem Sangki und ich unsere Schälchen geleert haben wie zwei Raubtiere, die seit einer Woche nichts mehr zu fressen hatten, mache ich ein Foto vom Food Truck und schicke es an Yujun.

ICH: Der war richtig gut. Wenn du zurück bist, sollten wir hier mal zusammen hingehen.

Da Yujun nicht sofort antwortet, stecke ich das Handy ein und schüttele den Kopf, worauf Sangki eine Schnute zieht und ebenfalls eine Nachricht an Yujun schickt.

Manchmal frage ich mich, ob Sangki und ich unsere Sehnsucht nach Yujun dadurch, dass wir ständig zusammenhängen, nur noch verschlimmern. Sangki meinte, dass es seine Aufgabe sei, als Yujuns bester Freund Zeit mit mir zu verbringen, aber nachdem wir sechs Wochen miteinander verbracht haben, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass der Mann an sich unser verbindendes Glied ist. Wenn wir zusammen sind, fühlt es sich fast so an, als könnten wir Yujun heraufbeschwören. Fast.

Sobald ich anfange, über ihn nachzudenken, spüre ich diesen Schmerz in der Brust. Der rote Faden des Schicksals, von dem er sagt, dass er uns schon vor unserer Geburt verbunden hat, hat sich so eng um mein Herz gewunden, dass der Schmerz zu einem körperlichen wird. Es ist besser, ich konzentriere mich auf andere Dinge.

Ich kaufe noch zwei Bier und kehre damit an unseren Tisch zurück.

»Ich weiß, dass nakhasan Vetternwirtschaft bedeutet, aber was heißt hannam? Es gibt doch das Viertel Hannam. Steht das Wort für reiche Leute?«

Sangki zieht die Augenbrauen zusammen, als er sein Bier entgegennimmt. »Hat dich jemand so genannt? Hannam, meine ich.«

»Nein. Chaeyoung hat die anderen Mitarbeiter im Büro als hannams bezeichnet.«

»Sie meint damit die Männer. Hannam ist die verkürzte Form von hannam choong – männlicher Parasit. Es ist eine Beleidigung, die im Grunde ›Frauenfeind‹ bedeutet.«

»Das merke ich mir für die Zukunft. Und was heißt molka?«