Abgezockt und totgepflegt - Markus Breitscheidel - E-Book

Abgezockt und totgepflegt E-Book

Markus Breitscheidel

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Beschreibung

Dahinsiechende Bewohner, ausgebeutete Arbeitskräfte, fragwürdig verwendete öffentliche und private Gelder – das, was Markus Breitscheidel während seiner Tätigkeit in verschiedenen Alters- und Pflegeheimen erlebte, sprengte nicht selten die Grenze der Menschenwürde und Rechtschaffenheit. Sein Buch ist ein erschütterndes Protokoll der katastrophalen Zustände in unserem Pflegesystem.

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Das Buch

Markus Breitscheidel, erfolgreicher Manager, kündigt seinen sicheren Job und arbeitet undercover als Pflegehilfskraft in verschiedenen Pflege- und Altenheimen. Hautnah erlebt er die bittere Wahrheit über das gnadenlose Geschäft mit der Pflege und den grauenvollen Alltag der Bewohner: Wie am Fließband werden wehr- und hilflose Menschen von überforderten und schlecht ausgebildeten Pflegekräften abgearbeitet – für Zuwendung und menschenwürdige Betreuung ist meist keine Zeit. Der Heimbewohner mutiert zum bloßen Kostenfaktor. Ruhigstellung durch Medikamente, Vernachlässigung, Unterernährung, Austrocknung, medizinische Unterversorgung sind keine Einzelfälle. Meistens geht es weniger um die Menschen als um die Profitmaximierung der Betreiber. Pflege- und Krankenkassensätze sowie Unterbringungspauschalen werden anscheinend zweckentfremdet eingesetzt, während die Ausbeutung und Überforderung der Pflegekräfte dramatische Ausmaße angenommen hat. Ein erschütternder Report über Missstände in deutschen Pflege- und Altenheimen, der jeden wachrütteln und einen grundsätzlichen Diskurs einleiten sollte.

Der Autor

Markus Breitscheidel studierte Wirtschaftswissenschaften und war Marketingleiter einer Werkzeugfirma. Über ein Jahr arbeitete er undercover in fünf verschiedenen Pflege- und Altenheimen in Deutschland. Sein Ausstieg aus einer gesicherten Existenz in die gnadenlose Ausbeutung einer Pflegehilfskraft wurde zu einem Horrortrip.

Die Idee zu diesem Buch entstand gemeinsam mit Günter Wallraff.

Von Markus Breitscheidel ist in unserem Hause bereits erschienen:

Gesund gepflegt statt abgezockt

Markus Breitscheidel

Abgezockt und totgepflegt

Alltag in deutschen Pflegeheimen

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:

www.ullstein-taschenbuch.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen,

wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung,

Speicherung oder Übertragung

können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Ungekürzte Ausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Februar 2007

4. Auflage 2011

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2005/Econ Verlag

Umschlaggestaltung: HildenDesign, München

(nach einer Vorlage von Etwas Neues entsteht, Berlin)

Titelabbildung: Getty Images

Satz und Repro: LVD GmbH, Berlin

eBook-Konvertierung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm

Printed in Germany

eBook ISBN 978-3-8437-0167-9

Inhaltsverzeichnis

Vorwort von Günter Wallraff

Kehrtwende

Vorbemerkung

Altenheim Haus am Wiesenweg in Pullach/München

Willkommen in der Profi-Liga

Ein Heim der Wohlfahrt

Tägliche Pflegeaufgaben

Die Einarbeitungswoche

Beim ersten Zeit-Rennen versagt

Zeit-Kämpfer unter sich

Gewalt gegen BewohnerInnen

Pudding – Suppe – Pudding

Zwangsberuhigung

Fesseln

Abschied

Pflege-Stress

Senioren- und Pflegestation Grimm in Norderstedt bei Hamburg

Das Familienunternehmen

Der Pfleger der Nummern

Das Geheimnis der Nachtschicht

Wie das Leben im Altenheim krank macht

Frau Hamann spielt mit – und verliert

Ein Beckenbruch und seine Folgen

Wer arbeitet, braucht keinen Lohn

Stinkbombe

In der Tretmühle

Fortbildung: Windeln für Reiche

Frau Bohnhorst lässt nicht locker

Das unsittliche Ansinnen von Pflegekräften

Seniorenresidenz Christian Runkel in Köln-Nippes

Eine ganz normale Schicht

Frau Anders verwest

Frau Lampert wird gewindelt

Frau Fischer schneidet sich die Adern auf

Das Hochglanzheim

Die Krabbelstube

Frau Bennfeld möchte reden

Selbst verschuldete Unwissenheit

Leere Versprechungen

Suizidnächte

Frau Keller droht zu springen

Ausgebrannt

Herr Schewe signalisiert SOS

Der Aufstand

Erster Akt: Vorbereitungen

Zweiter Akt: Ein glanzvoller Auftritt

Der Reibach mit den Pflegekräften

Kein Platz für Alte

Frau Jordan auf Abwegen

Frau Robel wehrt sich

Frau Bennfeld schreibt Tagebuch

Wer kontrolliert die Altenheime?

Besuch der Heimaufsicht

»Verbesserungen« und Sparmaßnahmen

Essen aus Aluschalen und eine schnelle Kündigung

Rentaco Residenz Große Bleiche/Mainz

Das Altenheim der Aktionäre

Heimliches Können

Ein Meister der Hinhaltetaktik

Die Pflegedienstleiterin streicht die Segel

Ein Lebensabend in Obhut?

Wenigstens etwas Süßes

Abgezockt und liegen gelassen

Marias Wettlauf

Angst, vergessen zu werden

Die Ernährungsberaterin

Das schnelle Aus – für alle

Pro-Seniore-Residenz Berlin-Wilmersdorf

Das Grüne oder das Blaue

Das Heim am Ku’damm

Einarbeitung par excellence

Spaß bei der Arbeit? Ja!

Pflege mit Respekt – doch kein Heim ist vollkommen

Ihr Lieblingsessen?

Keine Zeit für Sterbende

Der Akku ist leer

Vorschläge und Anregungen für ein würdevolles Leben im Alter

Das ganze Land ohne Heime – eine Utopie?

Interview mit Klaus Dörner zur Geschichte der Heime

»Mich interessiert: Wo bleibt das Geld?«

Interview mit Christel Bienstein zur Situation Pflege in Deutschland

Anhang

Adressen

Literaturempfehlungen

Info-Kästen

Kleines ABC der Pflegeversicherung

Zeitkorridore

Dekubitus

Altersdemenz

Hierarchie des Pflegepersonals in (Alten-)Heimen

Heimkosten und Leistungen der Pflegeversicherung

Pflegebedürftige in Deutschland

Gehälter und Überstunden von Altenpflegerinnen und Altenpflegern

Gefährliche Pflege

Depression

Aufgaben der Heimaufsicht

PEG-Versorgung

Aufgaben der Pflegedienstleitung

Burn-out – eine Krankheit

Aufgaben der Ernährungsberaterin

Aktivierende Pflege

Vorwort

Günter Wallraff

Als mich Markus Breitscheidel vor sechs Jahren aufsuchte und nach längeren Gesprächen damit herausrückte, dass ihn seine bisherige erfolgreiche, sichere Angestelltenexistenz nicht nur nicht ausfüllte, sondern immer mehr verzweifeln ließ, spürte ich, dass hier jemand eine radikale Wende in seinem Leben beabsichtigte. Andere in so einer Situation fahren mit dem Fahrrad einmal um die Welt oder suchen ihr Heil in einem japanischen Zen-Kloster, meist vergeblich. Der bewusste Abstieg des Autors in die Tabuzonen deutscher Pflege- und Altenheime wurde zum Trip durch eine soziale Hölle und geht weit über übliche journalistisch-investigative Recherchen hinaus.

Aus seiner Expedition entstand ein zutiefst aufrüttelnder Insider- und Tatsachenbericht. Empfehlenswert für alle, die nicht verdrängen wollen, dass sie auch einmal alt werden und pflegebedürftig sein könnten. Und Pflichtlektüre für die Ausnahmepolitiker, die sich noch ein Gewissen leisten und soziale Verantwortung spüren. Sein Umgang mit den ihm anvertrauten Pflegebedürftigen war trotz permanenter Überforderung immer hilfsbereit und liebevoll. Folgerichtig hat seine fast zweijährige Heim-Suchung so gar nichts von einem sensationsheischenden und voyeuristischen Skandalbericht.

Viele der Schilderungen versetzen mich in die Anfänge meiner Arbeit zurück, als ich seelenloser und entfremdeter Akkordhetze und Fließbandarbeit ausgesetzt war. Doch hier gelten die zu verrichtenden Handgriffe Menschen und nicht einer Warenproduktion. Da werden wehr- und hilflose Alte abgearbeitet, Akkord-Checklisten abgehakt und wer sich zu beschweren wagt, wird abgeschossen, d.h. mit Beruhigungsmitteln vollgepumpt. »Keine Zeit!« ist der Standardsatz der meist schlecht ausgebildeten, permanent überforderten und unterbezahlten Pflegenden. Der Heimbewohner wird zum bloßen Kostenfaktor im Teufelskreis von Rationalisierung und Gewinnmaximierung. Das betrifft selbst einfachste Hilfe: Einen Gebrechlichen zur Toilette zu begleiten, ist zu zeit- und personalaufwendig. Da werden – oft gewaltsam – Windeln angelegt oder Dauerkatheter gesetzt, obwohl der Pflegefall gar nicht inkontinent ist. Jeder Handgriff ist bis ins Detail festgelegt und durchkalkuliert; Ansprache und Zuwendung im Kostenplan nicht vorgesehen. Der Autor erlebte nie, wie ein Heimbewohner aus einer höheren Pflegestufe in eine niedrigere zurückgestuft wurde. Eine Verbesserung der Gesundheit ist ökonomisch betrachtet ein Verlustgeschäft.

»Die Würde des Menschen ist unantastbar«, verheißt der Grundgesetzartikel 1. Die Alltagserfahrungen des Autors spotten dem Hohn.

Es wäre allen Ernstes zu überlegen, ob hier nicht der Verfassungsschutz gefordert ist, Beamte als Pfleger oder Pflegebeanspruchende umzuschulen, um sie so als verdeckte Ermittler in diesen verfassungsfeindlichen Untergrund der Gesellschaft einzuschleusen.

Auf jeden Fall sollte dieses Buch dazu beitragen, einen grundsätzlichen Diskurs über die entsetzlichen Missstände in unseren Heimen einzuleiten, um grundlegende Verbesserungen unter öffentlicher Kontrolle zu ermöglichen.

Ansonsten hätte diese altenfeindliche Gesellschaft endgültig ihren Anspruch verwirkt, sich sozial und demokratisch nennen zu dürfen.

Kehrtwende

Ich war ein erfolgreicher Manager, bevor ich Altenpfleger wurde. Freiwillig, ernsthaft und neugierig auf eine neue Welt, ein neues Leben. Und es war ein Traumjob. Ständig durfte ich reisen – heute zur Natursteinmesse nach Verona, morgen zum Kundengespräch nach Berlin –, ich begegnete vielen Menschen und war neugierig auf jeden neuen Kontakt. Die Zusammenarbeit mit den zehn Kollegen meiner Abteilung machte Spaß, wir zogen am selben Strang und waren effizient und erfolgreich. Als Verkaufsleiter einer Firma für Diamantwerkzeuge musste ich planen, entscheiden, handeln, Umsätze und Gewinne immer fest im Blick. Ich wusste selbst nicht so recht, wie ich zu diesem verantwortungsvollen Posten gekommen war, er war mir geradezu in den Schoß gelegt worden.

Wie das passieren konnte? Ich studierte Wirtschaftswissenschaften und verdiente bei dieser Firma in den Semesterferien schon recht gut, indem ich die Lagerverwaltung auf EDV umstellte. Nach dem Studium begann ich zunächst als Geschäftsleitungsassistent einer Diskothek, der damals größten Europas. Doch schon bald wurden die Diamantbohrer wieder attraktiv. Der Firmeninhaber bot mir seine Verkaufsleitung für Deutschland an – und ich sagte zu. Von nun an war ich jeden Tag ab sieben Uhr im Einsatz, 24 Stunden über Handy zu sprechen und immer in mehreren Geschäften gleichzeitig engagiert. Dazu kamen Aufgaben wie Messen organisieren und betreuen, Verkaufsgespräche mit Großkunden führen, Prospektproduktionen leiten. Das Motto, das mein ganzes Handeln beherrschte, lautete: Erreiche die Umsatzziele und reduziere die Kosten! Kosten senken wurde umso notwendiger, desto kleiner die Gewinne waren, die von Jahr zu Jahr sanken, seit asiatische Firmen den Werkzeugmarkt eroberten und zu unerwarteten Konkurrenten wurden. Am Ende aller Rationalisierungsmaßnahmen und Einsparungsversuche lag der schwarze Peter bei mir: Ich musste Mitarbeitern kündigen.

Das war mir verhasst. Und lag mir von Monat zu Monat schwerer im Magen. Ich durfte mit unseren freien Vertretern nur so lange verhandeln, wie die Einnahmen stimmten. Erreichten sie die vereinbarten Umsatzziele nicht – und wie sollten sie angesichts der Welt-Marktlage –, musste ich die Zusammenarbeit mit ihnen einstellen. Klar, in diesem Metier herrschen nun mal Zahlen, Ziele, Umsätze, aber ich merkte, dass es nicht das war, worauf ich zählte. Meine Gedanken kreisten immer mehr um Berufe, in denen man sich nicht für positive Bilanzen, sondern für Menschen einsetzt. Aber ich wusste nicht, wie ich es anstellen sollte, hatte ich so etwas weder studiert noch jemals zuvor mich in einer sozialen Tätigkeit versucht. Meine Unzufriedenheit wuchs von Woche zu Woche, zumal ich mich mitschuldig machen musste, indem ich wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten so genannte »unproduktive« Mitarbeiter – vor allem ältere – zu entlassen hatte. Hierbei geriet ich immer mehr in Gewissenskonflikte, sodass ich nachts oft wach lag und der Arbeit nur noch mit Widerwillen und Selbstverleugnung nachkam.

Vielleicht war es auch eine Art Wiedergutmachung, dass ich mir dieses Thema als soziale Aufgabe aussuchte: das Arbeiten in Altenheimen.

Als ich sechzehn Jahre alt war, wurde die Oma eines Freundes in ein Pflegeheim gebracht, was mich zutiefst empörte und mir wie eine Abschiebung vorkam. Ich lebte in einem Stadtteil von Cochem an der Mosel, einer kleinen Kreisstadt in der Nähe von Koblenz, und hatte bis dahin nur Familien kennen gelernt, die zusammenhielten, selten auseinander brachen und die Alten pflegen konnten, bis sie starben. Aber diese Oma sah ihr Zuhause nicht wieder. Sie blieb bis zu ihrem Tod im Heim, und mein Freund fand das ganz normal. Seitdem habe ich mich viel mit dem Altern, den Aufgaben eines Sozialstaates und der Betreuung von Alten, Behinderten und Kranken beschäftigt. Ist das Heim eine würdige Alternative, wenn Familie und Bekannte zu Hause nicht mehr helfen können? Gibt es nicht ambulante Dienste, die diese Betreuung übernehmen und den zu Pflegenden in seiner vertrauten Umgebung leben lassen? Hinzu kamen die Fernseh- und Zeitungsberichte über Pflegemissstände und gewalttätige Übergriffe auf ältere Menschen, die ebenfalls dazu führten, dass mich dieses Thema nicht wieder losließ.

An einem Samstagvormittag im Sommer 1998 war eine meiner 65-Stunden-Wochen fast zu Ende, als mein Chef mich bat, noch ein paar bestellte Werkzeuge auszuhändigen. Ich sah auf die Lieferadresse und freute mich: Günter Wallraff benötigte Diamantbohrer. Mit vierzehn hatte mir ein Lehrer »Ganz unten« geschenkt, danach verschlang ich alle Undercover-Reportagen Wallraffs und war beeindruckt von seiner konsequenten Art, sich unter Einsatz all seiner Fähigkeiten in gesellschaftliche Brennpunkte zu katapultieren und aus ihrem Alltag zu berichten. Ein (Journalisten-) Leben mit Berufung und Geradlinigkeit – das fehlte mir noch in meinem Leben.

Wallraff begrüßte mich herzlich, nahm mir die Werkzeuge ab und lud mich ein zu einem Rundgang durch sein Haus voller Steine und Steinskulpturen. Stets an seinem Gegenüber interessiert, fragte er: »Wie geht es Ihnen beruflich?« Er war absolut nicht erstaunt, als ich Zweifel und Unzufriedenheit formulierte, anstatt Manager-Optimismus auszustrahlen. Tatsächlich hatte ich zum ersten Mal jemanden gefunden, der meine Suche nach einem neuen Weg verstand. Und da ich nun schon mal an der bisher unerreichbaren Quelle saß, erkundigte ich mich nach Planungen und Ausführungen seiner Recherchen. Ich gab zu, dass ich mir seine Art Engagement auch für mich vorstellen konnte, es bisher aber nur zu träumen wagte. »Welches Thema liegt Ihnen denn am Herzen?«, wollte Wallraff wissen. »Die Situation der alten Menschen, wenn sie in Altenheime abgeschoben werden!« Wallraff wurde nachdenklich – »Da hört man ab und zu einiges sehr Beunruhigendes – aber wie es da wirklich aussieht, da müsste man selbst die Rolle eines Hinfälligen und Pflegebedürftigen spielen – oder lassen Sie sich doch als Pfleger in Altenheimen einstellen.« Sofort vertieften wir uns in meine möglichen Zukunftsalternativen. Wir markierten den Weg zu einem neuen, einem sozialen Engagement, das mir wichtiger werden sollte als das tägliche Rangeln um Effizienz und Gewinne. Am Sonntag verließ ich das Steinhaus voller Inspirationen und wusste: Ich hab’s gefunden.

Am nächsten Morgen fuhr ich in die Firma und kündigte, gab den Schlüssel fürs Firmenauto ab und stand – vor dem Nichts. Verblüfft über Kündigung und radikale Entscheidung, wünschte mein Chef mir viel Glück, meine Familie reagierte verständnislos, und ich war sicher, das Richtige zu wollen. Das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich frei und hatte ein Ziel: Ich werde undercover als Altenpfleger arbeiten und darüber berichten.

Ich wollte erfahren, ob wirklich immer zu wenige Pfleger in einem Heim arbeiten, ob sie deshalb die Alten wie am Fließband abfertigen müssen und sie wegen Überforderung und Zeitmangel vernachlässigen, ja sogar gewalttätig behandeln. Gibt es wirklich nicht genug Gespräche, Zuhören, Mitgefühl für die Hilfebedürftigen? Handelt es sich bei den Horrormeldungen um die berühmten Ausnahmen, wie Heimleiter und Verbandsfunktionäre immer wieder betonen? Hat sich durch die Einführung der Pflegeversicherung seit 1995 eine größere soziale Gerechtigkeit herstellen lassen? Neugierig war ich auch darauf, wie schnell ich selbst an meine persönliche und moralische Leistungsgrenze kommen würde, wenn ich arbeiten müsste wie fast alle Altenpfleger: im Schichtdienst, in großen, anonymen Heimen, schlecht bezahlt, nie extra honoriert, in der Gesellschaft nicht anerkannt. Wie schnell werde auch ich so handeln, dass ich mich dafür schämen muss?

Bis zum Zeitpunkt meiner Entscheidung hatte ich jedoch noch kein einziges Altenheim von innen gesehen. Beim Arbeitsamt erfuhr ich, dass ich ohne weitere Fortbildung als Pflegehilfskraft anfangen und mich auch gleich bewerben konnte: In Westdeutschland wurden Altenpfleger gesucht. Es gab genug offene Stellen, wenn auch schlecht bezahlte. Ich verkaufte den Wagen, kündigte alle Versicherungen und sparte, wo es ging. Mit mir selber hatte ich vereinbart, die Gelder aus diesen Verkäufen während meiner neuen Arbeit nicht anzurühren. Denn welcher Altenpfleger hat schon Ersparnisse auf dem Konto?

Mittlerweile hatte ich mich entschieden, in mehreren Orten der Bundesrepublik zu arbeiten – es wurden dann nur Städte in Westdeutschland –, um meine Erfahrungen vertiefen zu können. Da ich nun kein Auto mehr hatte, erschien es mir komfortabler, in den größeren Städten eine Anstellung zu suchen und dort auch zu wohnen. Meine erste Wahl fiel auf München, aus einem einzigen Grund. Dort hat der Verein der Vereinigten Integrationsförderung seinen Sitz, der sich seit 20 Jahren für eine menschenwürdige Behandlung von Pflegebedürftigen einsetzt und viele mir bekannte Berichte von Betroffenen und ihren Heimerfahrungen veröffentlichte.

Naiv und ahnungslos verabschiede ich mich zu Hause, packe den Rucksack und sitze im Zug nach München.

Vorbemerkung

In diesem Buch wurden die Namen aller betroffenen Personen geändert. Auch die Charakterisierungen und Persönlichkeitsmerkmale Einzelner sind verändert und nur dann erwähnt worden, wenn es zum Verständnis von Situationen und Reaktionen nötig ist. Mit der Schilderung der Heimumstände und der Wiedergabe von Gesprächen möchte ich keine(n) der Kollegen(innen) und keine der betreuten Personen anklagen oder in der Öffentlichkeit bloßstellen.

Gleichzeitig kann ich als Altenpflegehelfer nur über meine eigenen Erlebnisse, Wahrnehmungen und Gefühle berichten und diese mit so vielen Informationen und Fakten unterlegen, wie es mir möglich ist. Es ist ein subjektiver, Einschätzungen wiedergebender Bericht. Das Dargestellte kann also nicht in Gänze den objektiven Tatsachen entsprechen, kommt ihnen aber sehr nahe.

Im Interesse der Authentizität habe ich mich entschlossen, ausgewählte Gespräche und Ereignisse detailliert zu schildern, um so die Strukturen und Bedingungen vom Leben und Arbeiten in Altenheimen dokumentieren zu können. Eine Dokumentation, die zur öffentlichen Diskussion über das Heimwesen und den Umgang mit alten Menschen in Deutschland einen Beitrag leisten möchte – mit dem Ziel, die Missstände zu beseitigen und die Arbeitsbedingungen für Altenpflegerinnen und -pfleger zu verbessern.

Die geschilderten Zustände und Ereignisse liegen zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Buches (September 2005) drei bis vier Jahre zurück. Ich brauchte einige Zeit, um die Erlebnisse und Eindrücke zu verarbeiten. Auch benötigte ich allein über ein Jahr, mir ausreichendes Wissen über die Gesetzmäßigkeiten in der Pflege anzueignen. Danach verstrich wieder kostbare Zeit, bis sich ein geeigneter Verlag gefunden hatte.

Die getroffenen Aussagen und Situationsbeschreibungen spiegeln somit nicht unbedingt die aktuellen Zustände und Strukturen in den genannten Altenheimen wider.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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