Abhandlungen über die Psalmen, Band 1 - Hilarius von Poitiers - E-Book

Abhandlungen über die Psalmen, Band 1 E-Book

Hilarius von Poitiers

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Beschreibung

Hilarius' "Abhandlung über die Psalmen" ist ein mindestens ebenso großes Werk wie die "Bücher über die Dreieinigkeit", aus dem wir sogar noch mehr über den Autor erfahren können. Die "Bücher über die Dreieinigkeit" sind ein Appell an alle Christen der Zeit, geschrieben für künftige Generationen ebenso wie für sie selbst; so charakteristisch es in vielerlei Hinsicht für den Autor ist, so sehr verbergen der Umfang des Werkes und seine ausgeprägte Rhetorik seine Persönlichkeit. Aber die "Abhandlung über die Psalmen", die uns fast in der Form von Notizen eines Stenographen erreicht zu haben scheinen, so kunstlos und redselig ist ihr Stil, zeigen uns Hilarius von einer anderen Seite. Er belehrt seine vertraute Gemeinde, und er kennt seine Schäfchen so gut, dass er alles ausschüttet, was ihm durch den Kopf geht. In der Tat scheint er oft laut über Themen nachzudenken, die ihn interessieren, anstatt sich an die Bedürfnisse seiner Zuhörer zu wenden. Die praktische Ermahnung findet tatsächlich einen viel kleineren Raum als die mystische Exegese und die spekulative Christologie. Doch werden abstruse Fragen niemals durch eine stilistische Entfaltung noch undurchsichtiger gemacht. Die Sprache ist frei und fließend, immer die eines gebildeten Mannes, der durch Übung Leichtigkeit erlangt hat. Und hier verrät er, so seltsam es einem Leser der anderen Werke auch erscheinen mag, eine Vorliebe für poetische Worte, was zeigt, dass er an anderer Stelle bewusst auf solche Verzierungen verzichtet hat. Doch auch hier schwelgt er nicht in eindeutigen Reminiszenzen an die Dichter. Dies ist Band eins von zwei.

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Abhandlungen über die Psalmen

 

Band 1

 

HILARIUS VON POITIERS

 

DIE SCHRIFTEN DER KIRCHENVÄTER

 

 

 

 

 

 

Abhandlungen über die Psalmen 1, Hilarius von Poitiers

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849660550

 

Cover Design: Basierend auf einem Werk von Andreas F. Borchert, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35892522

 

Der Text dieses Werkes wurde der "Bibliothek der Kirchenväter" entnommen, einem Projekt der Universität Fribourg/CH, die diese gemeinfreien Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Die Bibliothek ist zu finden unter http://www.unifr.ch/bkv/index.htm.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Vorrede zu dem Buche der Psalmen. 2

Der erste Psalm.15

Der zweite Psalm.31

Der neunte Psalm.62

Der vierzehnte Psalm... 70

Der einundfünfzigste Psalm... 81

Der zweiundfünfzigste Psalm.98

Der dreiundfünfzigste Psalm.112

Der vierundfünfzigste Psalm.122

Der fünfundfünfzigste Psalm.134

Der sechsundfünfzigste Psalm.141

Der siebenundfünfzigste Psalm.148

Der achtundfünfzigste Psalm.154

Der neunundfünfzigste Psalm.163

Der sechzigste Psalm.172

Der einundsechzigste Psalm.176

Der zweiundsechzigste Psalm.183

Der dreiundsechzigste Psalm.190

Der vierundsechzigste Psalm.198

Der fünfundsechzigste Psalm.211

Der sechsundsechzigste Psalm.228

Der siebenundsechzigste Psalm.234

Der achtundsechzigste Psalm.261

Der neunundsechzigste Psalm.284

Der einundneunzigste Psalm.288

Fußnoten. 296

 

Abhandlungen über die Psalmen 1

 

Bibliographische Angaben:

 

Titel Version: Abhandlungen über die Psalmen. (BKV) Sprache: deutsch Bibliographie: Abhandlungen über die Psalmen. In: Sämmtliche Schriften des heiligen Hilarius. (Sämmtliche Werke der Kirchen-Väter 10 bis 13), Kempten 1833. Unter der Mitarbeit von: Uwe Holtmann.

 

 

 

Vorrede zu dem Buche der Psalmen

 

1.

 Daß1 die Ansichten der Meisten über das Buch der Psalmen verschieden sind, wissen wir aus den Schriften selbst,  welche sie verfaßt und hinterlassen haben. Denn einige von den Hebräern wollen, daß dieselben in fünf Bücher abgetheilt werden, so daß bis zu dem vierzigsten Psalme das erste Buch reiche, von dem vierzigsten bis zu dem einundsiebenzigsten das zweite Buch, von diesem bis zu dem achtundachtzigsten das dritte Buch, und bis zu dem hundertundfünften das vierte Buch, (weil alle diese Psalmen an ihrem Ende hätten: Amen, Amen!) und daß dann mit dem hundertundfünfzigsten Psalme das fünfte Buch schließe. Andere hingegen waren der Meinung, daß man den Psalmen die Ueberschrift geben sollte: „Die Psalmen Davids;“ und bei diesem Titel sollte man ihrer Ansicht nach glauben, daß dieselben alle von David verfaßt worden seyen. Wir hingegen nennen und betiteln sie nach dem Zeugnisse des Apostels: „Das Buch der Psalmen.“ Denn wir wissen, daß es in der Apostel-Geschichte so heiße:2 „Es steht nämlich in dem Buche der Psalmen geschrieben:3 „Verödet stehe seine Behausung, und sein Aufseher-Amt erhalte ein Anderer!“ Demnach darf weder nach einigen Hebräern die Eintheilung in fünf Bücher, noch nach der Einfalt der Meisten die Aufschrift: „Die Psalmen Davids“ angenommen werden; sondern man muß nach dem Zeugnisse des Apostels anerkennen, daß es „das Buch der Psalmen sey.“

 

2.

Allein Verfasser eben dieser Psalmen gibt es mehrere. Denn zur Bezeichnung des Verfassers wird bei einigen im Anfange David geschrieben, bei andern Salomon, in  andern Asaph, in andern Idithum, in andern der Söhne Chöre, in einem andern des Moses. Daher ist es unpassend, sie die Psalmen Davids zu nennen, weil so viele Verfasser derselben in den Aufschriften, und Titeln selbst angeführt werden. Und man wird das Ganze richtiger das Buch der Psalmen nennen, indem man die verschiedenen Weissagungen von verschiedenen Verfassern und Zeiten in Ein Werk zusammenfaßt. Einige aber glaubten, in den Ueberschriften einiger Psalmen die Namen des Jeremias, Aggäus und Zacharias angeben zu müssen, da man doch in den authentischen Büchern der siebenzig Uebersetzer nichts hievon so angeführt findet; so daß auch in den meisten lateinischen und griechischen Handschriften ohne die Namen dieser Männer bloß die einfachen Ueberschriften der Psalmen vorangesetzt sind.

 

3.

Was aber diejenigen betrifft, welche man ohne die Namen der verschiedenen Verfasser unter verschiedenen Ueberschriften hat, davon ist die Ueberlieferung alter Männer diese: Von dem Psalme an, dessen Verfasser in der Ueberschrift angegeben ist, müssen diejenigen, welche darauf ohne Ueberschrift der Verfasser folgen, dem zugeschrieben werden, welcher als Verfasser des vorhergehenden Psalmes in der Ueberschrift angemerkt ist, bis zu demjenigen Psalme, bei welchem der Name eines andern Verfassers in der Aufschrift angeführt ist; so daß, wenn die Ueberschrift eines Psalmes etwa diese ist: „Ein Psalm Davids,“ auch die übrigen, welche ohne Titel nachfolgen, für Psalmen Davids angesehen werden, bis der Name eines andern Propheten in der Ueberschrift gesetzt wird, und daß von da an wieder bis zu einem andern Propheten diejenigen, welche ohne Ueberschrift den Zwischenraum ausfüllen, demjenigen angehören, welcher in der Ueberschrift des vorigen Psalmes als Verfasser angemerkt war.

 

4.

Sollte aber vielleicht Jemand darum dieser Ansicht den Glauben versagen, weil in denjenigen Psalmen, welche auf den Psalm, in welchem Moses als Verfasser vorangesetzt ist, folgen, geschrieben stehe, nämlich im achtundneunzigsten:4 „Moses und Aaron waren unter seinen Priestern, und Samuel war unter denen, welche seinen Namen anriefen,“ als könnte man nicht annehmen, daß dieser von Moses geweissagt worden wäre; weil Samuels Name, der doch um so viel später, als Moses geboren ward, im Psalme stehe; so möge er bedenken, daß es Niemanden auffallend oder kaum möglich scheinen dürfe, daß ein so großer Prophet den Namen eines so großen Propheten, obgleich er erst nachher kommen sollte, ausgesprochen habe; da in den Büchern der Könige der Name des Königes Josia, ehe dieser geboren ward, geweissagt wurde, indem der Prophet spricht:5 „Altar! Altar! so spricht der Herr: Siehe! ein Sohn wird geboren dem David, Josias ist sein Name;“ und darum darf es nicht unglaublich zu seyn scheinen, daß Samuel von Moses vorhergesagt wurde, zumal da er nach dem Ausspruche des Jeremias:6 Nicht einmal wenn Moses und Samuel da wäre, mit dem Moses genannt und diesem nach dem Verdienste der Heiligkeit gleichgestellt wird. Sollte man nun diese Ueberlieferung, welche, wie man glaubt, von Esdras, der nach der Gefangenschaft die Psalmen in Ein Buch sammelte, ausgegangen ist, für unrichtig und verwerflich halten, so müssen von denjenigen, welche widersprechen, die Verfasser dieser Psalmen nachgewiesen werden. Denn es ist eine entschiedene Sache, daß die in demselben enthaltenen Weissagungen nur von weissagenden Propheten verkündet werden konnten.

 

5.

Man darf aber nicht bezweifeln, daß das, was in den Psalmen gesagt ist, auf eine der Lehre des Evangeliums gemässe Weise verstanden werden müsse, so daß, aus was immer für einer Person der prophetische Geist geredet haben mag, dennoch dieses ganz auf die Erkenntniß der Ankunft unsers Herrn Jesu Christi, seiner Menschwerdung, seines Leidens, und seines Reiches, und auf die Herrlichkeit und Kraft unserer Auferstehung sich bezieht. Es sind aber alle Weissagungen für den Verstand und die Klugheit der Welt verschlossen und versiegelt nach jenem Ausspruche des Isaias:7 Und es werden für euch alle diese Worte seyn, wie die „Aussprüche dieses versiegelten Buches. Denn mag man auch zu einem Manne, welcher die Schrift kennt, sagen: Lies dieses ! so wird er antworten: Ich kann es nicht lesen, denn es ist versiegelt.“ Und wird man dieses Buch einem Menschen in die Hände geben, welcher die Buchstaben nicht kennt, und zu ihm sagen: Lies dieses! so wird er erwiedern: Ich kenne die Buchstaben nicht. Die Unfähigkeit, das Buch der Weissagung zu lesen und zu verstehen, ist in der Person beider Menschen dargestellt, indem die Kenntniß dessen, welcher lesen gelernt hat, aber nicht durch das Siegel des verschlossenen Geheimnisses eindringt, neben die Unwissenheit jenes Ungelehrten wegen des gemeinschaftlichen Mangels Beider an Einsicht gestellt wird. Denn es ist alles mit allegorischen und vorbildlichen Bedeutungen verwebt; und durch dieses werden alle Geheimnisse des eingebornen Sohnes Gottes in dem Leibe, seiner Geburt, seines Leidens, seines Sterbens, seiner Auferstehung, seiner Herrschaft in Ewigkeit mit denen, welche mit ihm verherrlichet werden, und seines Gerichtes über die Uebrigen geoffenbaret. Und weil die Schriftgelehrten und Pharisäer dadurch, daß sie die körperliche Geburt des Sohnes Gottes nicht annahmen, Jedermann den Zutritt zu dem prophetischen Sinn verweigerten, wurden sie unter Androhung der Strafe so von dem Herrn getadelt:8 „Wehe euch, ihr Lehrer des Gesetzes! die ihr den Schlüssel der Erkenntniß an euch gerissen habt: ihr gehet selbst nicht hinein, und lasset diejenigen, welche hineingehen wollen, nicht hinein gehen.“ Dadurch nämlich, daß sie Christum läugneten, dessen Ankunft der Gegenstand der Propheten ist, haben sie den Schlüssel der Erkenntniß an sich gerissen; denn die Verweigerung des Glaubens an die körperliche Ankunft verschließt die Erkenntniß des Gesetzes, welches die körperliche Ankunft des Herrn verkündiget hat.

 

6.

Und zwar muß man annehmen, daß dieses in Bezug auf jede Art der prophetischen Schriften gesagt sey; so daß, wenn man dieselben nicht auf die Ankunft des Herrn, welcher als Mensch aus der Jungfrau geboren werden sollte, bezieht und von dieser versteht, man ihr Verständniß und ihren Sinn versiegelt und verschlossen findet. Daß jedoch das Buch der Psalmen nicht anders, als durch den Glauben an seine Ankunft verstanden werden könne, dieses lehrt uns die Offenbarung des heiligen Johannes mit folgenden Worten:9 „Und dem Engel der Gemeinde zu Philadelphia schreibe: Dieses spricht der Heilige und Wahrhaftige, welcher den Schlüssel Davids hat; wenn er öffnet, schließt Niemand, wenn er schließt, öffnet Niemand.“ Er hat also den Schlüssel Davids; weil er durch diese sieben Weissagungen, welche gleichsam sieben Siegel sind, nämlich durch das, was David von seiner Verkörperung, seinem Leiden, seinem Tode, seiner Auferstehung, seiner Herrlichkeit, seinem Reiche und seinem Gerichte über ihn in den Psalmen  weissagt, auflöset, indem er öffnet, was Niemand verschließen, und verschließt, was Niemand öffnen wird; denn gerade durch diese Weissagung, welche an ihm in Erfüllung gegangen ist, wird er öffnen, was Niemand verschließen wird; und im Gegentheile wird er, wenn man der an ihm erfüllten Weissagung den Glauben versagt, verschließen, was Niemand öffnen kann. Denn Niemand, als derjenige, auf welchen dieses geweissaget und an welchem es erfüllt worden ist, wird den Schlüssel dieser Erkenntniß ertheilen. Ferner lehrte er eben dasselbe folgerichtig mit den Worten:10 Und „ich sah in der Rechten desjenigen, welcher auf dem Throne saß, ein Buch, geschrieben von innen und von außen, versiegelt mit sieben Siegeln; und ich sah einen andern mächtigen Engel, welcher mit starker Stimme rief: Wer ist würdig zu öffnen das Buch, und zu brechen seine Siegel? Und Niemand, weder im Himmel noch auf Erden, noch unter der Erde, konnte öffnen das Buch, noch hineinblicken in dasselbe. Da weinte ich, daß Niemand würdig gefunden wurde, zu öffnen das Buch, noch hineinzublicken in dasselbe. Aber Einer von den Aeltesten sprach zu mir: Weine nicht; sieh: der Löwe vom Stamme Juda, die Wurzel Davids, hat überwunden, zu öffnen das Buch und zu brechen seine sieben Siegel.“ Dieses Buch nun, welches die Vergangenheit und die Zukunft in dem, was von innen und außen geschrieben war, enthält, soll von Niemanden geöffnet werden; und der Apostel bricht aus Sehnsucht nach der Erkenntniß und aus Schmerz wegen der Schwierigkeit in Thränen aus. Allein es siegte der Löwe vom Stamme Juda, und die Wurzel Davids, das Buch und dessen Siegel zu öffnen; denn er allein hat jene sieben Siegel, welche wir oben angeführt haben, und mit welchen das Buch verschlossen ist, durch das Geheimniß seiner Annehmung eines Körpers und seiner Gottheit gelöset.  Aber eben dasselbe bezeugte auch der Herr nach der Auferstehung, indem er sprach:11 „Daß Alles erfüllt werden müsse, was im Gesetze Moses, und in den Propheten und Psalmen von mir geschrieben steht.“ Hiedurch also ist das Buch der ganzen Weissagung versiegelt und verschlossen: denn wenn man das glaubt, was durch ihn erfüllt worden ist, so wird alles das, was versiegelt und verschlossen ist, geöffnet und gelöset werden.

 

7.

Und obschon wir durch den Ausspruch des Herrn selbst wissen, daß Alles von dem heiligen Geiste durch den Mund Davids gesagt wurde; so gibt dennoch auch die Gestalt dieser Weissagung eben dasselbe zu erkennen, daß in ihm die Lehre der göttlichen und himmlischen Weisheit gewesen sey. Denn es wurde mit jenem Instrumente geweissagt, welches in der griechischen Sprache Psalterium, in der hebräischen Nabla genannt wird, und welches unter allen Musik-Instrumenten das geradeste, indem es nichts Verkehrtes oder Schiefes in sich faßt, und nichts, was von unten herauf zu einem Tone musikalischer Harmonie in Bewegung gesetzt wird; sondern ein nach dem Bilde des Leibes des Herrn eingerichtetes, und ohne irgend eine Einbiegung oder Abbiegung gerades Instrument ist, ein Instrument, welches man von Oben aus in Bewegung setzt und spielt, und welches zum Gesange göttlicher und himmlischer Unterweisung belebt ist, und nicht durch einen niedrigen und irdischen Athem, wie die übrigen weltlichen Instrumente, ertönt. Denn er hat nichts Niedriges und Irdisches mit dem Instrumente seines Körpers verkündiget, wie er selbst bezeugte:12 „Wer von der Erde ist, der ist von der Erde, und redet von der Erde; wer aber vom Himmel kommt, bezeugt, was er gesehen und gehört hat.“ Durch diesen himmlischen Geist also wird Gott in den Psalmen besungen, nach dem Bilde des Leibes des Herrn, in welchem der himmlische Geist gesprochen hat; indem auch die Form dieses irdischen und musikalischen, und durch Einwirkung von oben, harmonisch klingenden Instrumentes in Vergleich gezogen wurde.

 

8.

Man muß aber wissen, daß bei den Hebräern die Zahl der Psalmen nicht besonders angegeben, sondern daß diese bei ihnen ohne Angabe der Reihenfolge zusammengeschrieben seyen. Denn dort wird nicht die Aufschrift: der erste, oder zweite, der dritte, oder der fünfzigste, der hundertste vorangeschrieben; sondern sie sind ohne irgend eine Unterscheidung der Reihenfolge und eine Angabe der Zahl vermischt. Denn Esdras hat, wie alte Ueberlieferungen sagen, dieselben ohne Ordnung und ohne eine durch die Verschiedenheit der Verfasser und der Zeiten bestimmte Aufeinanderfolge in Ein Buch gesammelt und zusammengeschrieben. Die siebenzig Aeltesten aber, welche nach der überlieferten Einrichtung des Moses zur Bewachung der Lehre des Gesetzes in der Synagoge waren, haben, nachdem ihnen vom Könige Ptolomäus die Sorge anvertraut worden war, das ganze Gesetz aus dem Hebräischen in die griechische Sprache überzutragen, mit geistiger und himmlischer Weisheit den Sinn der Psalmen erkannt, und dieselben mit Zahlen versehen und in Ordnung gebracht, indem sie die eine größere Vollkommenheit und Bedeutsamkeit anzeigenden Zahlen den durch Vollkommenheit und Bedeutsamkeit andern vorangehenden Psalmen zutheilten.

 

9.

Und obschon man dieses aus den Bedeutungen der einzelnen Psalmen selbst ersehen kann; so werden wir doch durch die Geschichte der Vorfälle und Zeiten auf das deutlichste belehrt, daß nämlich die Plätze der Psalmen nach der Bedeutsamkeit der eine größere Vollkommenheit anzeigenden Zahlen geordnet seyen. So ist der dritte Psalm der Geschichte nach später, als der fünfzigste Psalm; denn der Inhalt des Einen ist durch einen großen Zwischenraum von Zeit und Alter von dem des Andern geschieden. Der Eine enthält nämlich die Vorfälle unter Urias und David; der Andere aber zeigt die Flucht des David an, als ihn sein Sohn Absalom verfolgte; und doch bewirkte die Bedeutung und das Geheimniß der Zahl, daß dieser und jener nach dem einem Jeden entsprechenden und zukommenden Range seine Stelle erhielt.

 

10.

Die Aufschrift des fünfzigsten Psalms aber ist der Geschichte nach später, als die Ueberschrift des ein und fünfzigsten Psalmes. Allein die Bedeutsamkeit und Vollkommenheit der Zahl Fünfzig erheischte, und des Idumäers Doek unversöhnlicher Haß gegen David erforderte, daß man den frühern nachsetzte und den spätern vorzog; damit die Vergebung der Sünden in die Zahl fünfzig gesetzt würde, und die Strafe des Unglaubens, welche über die Zahl der bestimmten Verzeihung hinausging, ohne Vergebung wäre, da sie sowohl die Zeit, als auch die Zahl der Reue verloren hatte. Denn da in dem fünfzigsten Jahre, in welchem der Sabbat der Sabbate ist, nach dem Vorbilde des Jubeljahres, die Verzeihung der Sünden bestimmt ist, so ist ganz füglich dieser Psalm, in dem nach vorhergegangener Busse um Verzeihung der Sünden gebeten wird, an die Stelle dieser Zahl gesetzt worden.

 

11.

Das Buch der Psalmen aber besteht aus drei Fünfzigern; und dieses geschieht nach dem Grunde und der Zahl jener unserer seligen Erwartung. Denn wer den Psalm der  ersten Zahl Fünfzig, dann den der zweiten Zahl Fünfzig, und wiederum den der dritten Zahl Fünfzig, mit welcher das Ende des Buches eintritt, genau in das Auge faßt, der wird einsehen, daß die Vorsehung in dieser Anordnung der Psalmen mit der Anstalt unsers Heiles übereinstimme. Denn da es der erste Schritt zum Heile ist, nach der Vergebung der Sünden zu einem neuen Menschen wieder geboren zu werden; da ferner nach dem reumüthigen Bekenntnisse jenes Reich des Herrn auf die Zeiten jener heiligen und himmlischen Stadt Jerusalem aufbewahrt ist, und da wir nachher, wenn die himmlische Herrlichkeit in uns vollendet ist, durch das Reich des Sohnes in das Reich Gottes des Vaters gelangen, wo alle Geister das Gott gebührende Lob verkünden werden; so sehen wir leicht ein, daß in den einzelnen Bedeutungen der Psalmen, wenn sie nach der Zahl Fünfzig gestellt werden, das Geheimniß dieser Anordnung nach der Zahl Fünfzig enthalten sey.

 

12.

Das aber dieses der Sabbat der Sabbate sey, zeigt die Zahl Sieben durch Sieben zum Siebenfachen vermehrt an; welche jedoch durch die Zahl Acht, weil derselbe Tag der erste ist, welcher der achte ist, nach der Fülle des Evangeliums im letzten Sabbate beigefügt, vervollständiget wird. Und zwar wurde dieser Sabbat der Sabbate von den Aposteln mit einer so großen Gewissenhaftigkeit gefeiert, daß während dieser Tage der Ouinquagesima keiner weder auf die Erde sich Hinwarf und anbetete,13 noch durch Fasten die Feierlichkeit dieser geistigen Seligkeit störte; und eben dasselbe ist auch äußerlich an den Sonntagen eingeführt,  welche über die Zahl des Sabbates hinaus nach der Fülle der Lehre des Evangeliums hinzukommen. Denn obwohl dem siebenten Tage der Name und die Beobachtung des Sabbates zugetheilt ist; so erfreuen doch wir uns erst am achten Tage, welcher eben auch der erste ist, der Feierlichkeit des vollkommenen Sabbates.

 

13.

Und es ist angemessen, daß man diese durch die himmlischen Geheimnisse bewirkte Vollkommenheit der Bedeutung der Achtheit in dem Psalme, welcher auf den achten Platz versetzt ist, betrachte, welchem die Aufschrift: „Für die Kelter“ gegeben ist, indem Geschirre zu neuen Früchten bereitet, und zur Erhaltung der Wärme des gährenden Mostes erneuert wurden. Und diese Zahl ist, nach der Umgestaltung dieser hinfälligen Gefässe unserer Leiber, zur Aufnahme der Früchte des Evangeliums nach der Achtheit des Evangeliums bestimmt. Dieses bezeuget der Text und Inhalt jenes Psalmes. Auch ist der Sinn jener Achtheit gleichfalls in der Bedeutung des sechsten Psalmes und der sechsten Zahl enthalten, wo ein mit acht Saiten zu begleitendes Gebet vorkommt; und dieses bewirkt der Sinn der Zahl, daß theils im sechsten nach acht Saiten gebeten, theils im achten der Titel: „Für die Kelter“ beigefügt wurde. Allein bei drei Nummern findet man diese Ueberschrift der Kelter. Denn sowohl der achte, als auch der achtzigste und dreiundachtzigste Psalm führen diesen Titel; auf daß in den vollkommenen Zahlen die Ordnung dieser vollkommenen Seligkeit bestünde; jedoch so, daß14 das Geheimniß der Trias, welche von den Unsrigen Dreiheit (Dreieinigkeit) genannt  wird, die einfache Achtheit und die Zehnheit der Achtheit in sich enthielte.

 

14.

Und zwar können wir diese Vollkommenheit der Achtheit auch im hundert und achtzehnten15 Psalm sehen. Denn nach der Zahl Acht beginnen jedes Mal acht unmittelbar auf einander folgende Verse den Hebräern zufolge mit eben demselben Anfangs-Buchstaben; allein auch schon der Sinn des Psalms gibt das Geheimniß der Achtheit zu erkennen. Es sind aber in demselben zwei und zwanzig Achtheiten. Denn acht Verse werden jedes Mal Einem Anfangs-Buchstaben zugetheilt; und16 dieses geschieht darum, damit wir, weil dieser Psalm einen vollkommenen Mann nach der Lehre des Evangeliums darstellt, durch alle zwei und zwanzig Buchstaben der hebräischen Sprache, unter dem Geheimnisse der Achtheit möchten unterrichtet werden.

 

15.

Und dieses ist der Grund davon, daß man17 das Gesetz des alten Bundes in zwei und zwanzig Bücher eintheilt,  damit diese mit der Anzahl der Buchstaben übereinstimmen möchten. Diese nun werden nach den Ueberlieferungen der Alten so angenommen, daß von Moses fünf Bücher sind, von Josua, dem Sohne Nuns, das sechste, von den Richtern und von Ruth das siebente, daß das erste und das zweite Buch der Könige das achte, das dritte und das vierte das neunte, die zwei Bücher Paralipomenon das zehnte sind, daß18 ferner die Tagbücher Esdras das eilfte, das Buch der Psalmen das zwölfte, die Sprüchwörter Salomons, der Ekklesiastes und das Hohelied das dreizehnte, vierzehnte und fünfzehnte, die zwölf Propheten aber das sechzehnte, dann Isaias und Jeremias mit dem Klagliede und Briefe, so wie auch Daniel, Ezechiel, Job und Esther die Zahl der zweiundzwanzig Bücher ausmachen. Einigen aber beliebte es, mit Beifügung des Tobias und der Judith, vierundzwanzig Bücher nach der Anzahl der griechischen Buchstaben zu zählen, indem auch die römische Sprache mitten zwischen Hebräern und Griechen mitaufgenommen ist. Denn in diesen drei Sprachen wird hauptsächlich das Geheimniß des Willens Gottes und die Erwartung des Reiches der Seligkeit verkündiget; und daher kam auch jene Verfügung des Pilatus, daß er in diesen drei Sprachen die Aufschrift machen ließ, welche sagte, daß der Herr Jesus Christus der König der Juden sey. Denn ungeachtet viele barbarische Völker die Erkenntniß Gottes nach der Lehre der Apostel, und den Glauben der heut zu Tage bei ihnen sich befindlichen Kirchen erlangt haben; so hat doch die Lehre des Evangeliums besonders in dem römischen Reiche, unter welchem auch die Hebräer und die Griechen begriffen sind, ihren Sitz aufgeschlagen.

 

16.

Nun ist es aber dem Zusammenhange gemäß, nach dieser jedesmaligen Zahl Acht der zweiundzwanzig Achtheiten die beigefügte Zahl der Psalmen in den fünfzehn Stufengesängen zu betrachten. Denn nach jener vollkommenen Lehre der vorhergehenden Achtheiten mußte dieser Stufengesang aus zwei vollkommenen Zahlen fünfzehn Psalme bilden, nämlich aus der Siebenheit und Achtheit, das heißt, aus der Zahl Sieben und Acht. Denn durch die Beobachtung des Gesetzes, welche auf der Siebenheit beruht, und durch die evangelische Vervollkommnung, welche theils durch die gegenwärtige Gottesverehrung, theils durch die gehoffte Erwartung der Achtheit bewirkt wird, steigt man durch diesen Stufengesang zu dem Himmlischen und Ewigen hinauf. Denn auch in dem Tempel gelangten durch diese Anzahl der Stufen die Hohenpriester in das Allerheiligste, so daß, weil weder die Siebenheit des Gesetzes ohne die Achtheit der Evangelien, noch die Achtheit der Evangelien ohne die Siebenheit des Gesetzes einen Mann vollkommen machen könnte, ein jeder, welcher dieses vollkommen geglaubt hätte, als ein Vollkommener unter diese Vollkommenen und seligen Allerheiligsten durch diese beiden Zahlen, welche in dem Gesange der fünfzehn Stufen liegen, nämlich durch die Siebenheit und die Achtheit versetzt werden sollte.

 

17.

Obwohl aber dieses von uns den Zahlen gemäß, welche durch die Beobachtung des Gesetzes vollkommen und nach dem Geheimnisse des Evangeliums eingetheilt sind, dieses gesagt worden ist, so werden wir doch vollständiger die Bedeutung einer jeden Zahl aus den Ueberschriften der Psalmen und dem Sinne der Worte selbst erhalten. Die Aufschriften lauten aber alle verschieden. Denn ausser denen, bei welchen in der Aufschrift die Namen ihrer Verfasser angemerkt, oder die Veranlassungen oder Zeiten bezeichnet sind, gibt es einige, welche die Aufschrift „in finem“ haben, andere mit der Ueberschrift „Psalmus Cantici“ oder „Canticum Psalmi“; und die Ursachen der Verschiedenheit der Aufschriften müssen verschieden gewesen seyn. Denn nicht ohne Grund wird bei der so großen Verschiedenheit der Dinge diese Ordnung der Ueberschriften verändert, so daß bald „in finem,“ bald „Psalmus,“ bald „Canticum“ bald „Canticum Psalmi,“ bald „Psalmus Cantici“ zur Unterscheidung des darunter stehenden Psalmes vorangeschrieben wird. Und obschon wir uns bestreben, bei einem jeden Psalme die Gründe einer jeden besondern Ueberschrift anzugeben; so wollen wir doch zur Unterstützung der eifrigen Erkenntniß durch eine Uebersicht die Bedeutung sämmtlicher Ueberschriften in einer kurzen Abhandlung zusammenfassen.

 

18.

Das Ende ist das, weßwegen alle übrigen Dinge sind; es selbst aber gibt keinem weitern Dinge seinen Grund. Denn wegen des Endes ist Alles, nichts weiteres aber nach dem Ende. Denn nach dem Ende strebt man hin, aber bei dem Ende hört man auf. Das Ende ist also die Vollendung des Vorhergehenden, und, indem es sich auf nichts anderes erstreckt, selbst in sich sein eigener Besitz. Demnach sind die Psalmen mit der Ueberschrift „in finem“ so zu verstehen, daß sie aus den vollendeten und vollkommenen Lehren und Formen der ewigen Güter bestehen; weil auf dasjenige, was in ihnen gesagt wird, der Lauf unseres Glaubens gerichtet ist, und in diesem, ohne in einem noch weiteren Laufe vorwärts zu streben, an eben diesem seinem Ziele in der erwünschten und erlangten Seligkeit nämlich, ausruht.

 

19.

In Hinsicht auf die Anwendung der Tonkunst aber gibt es folgende verschiedene Arten. Ein Psalmus (Psalm) ist es, wenn, indem der Gesang schweigt, nur der Schlag des erklingenden Instrumentes gehört wird. Ein Canticum (Gesang) ist es, wenn der Chor der Singenden seine Freiheit gebraucht, sich nicht an die Uebereinstimmung mit den Tönen des Instrumentes bindet, und nur im Gesange mit wohltönender Stimme frohlockt. Ein Canticum Psalmi (Psalm.-Gesang), aber ist es, wenn das Instrument vorspielt, und die Stimme des singenden Chores sich an das Instrument hält und mit ihm wetteifert, indem sie die Tonweise des Psalters mit ihren Tönen nachahmt. Ein Psalmus Cantici (Gesang-Psalm) aber ist es, wenn der Chor vorsingt, die Kunst des dazu erklingenden Instrumentes sich nach den Tönen des menschlichen Gesanges richtet, und die Modulationen der vorsingenden Stimme mit gleicher Lieblichkeit auf dem Psalterium spielt. Nach diesen vier Arten des Gebrauches der Tonkunst also sind den einzelnen Psalmen die entsprechenden Ueberschriften angepaßt worden. Aus den Bedeutungen der Psalmen aber, und aus den Verschiedenheiten der Lehre der Tonkunst erklärt sich die Ursache einer jeden Ueberschrift.

 

20.

In einem solchen Psalme nämlich, welcher bloß die Aufschrift Psalmus hat, sind Wirkungen des Glaubens und fromme Handlungen entweder gelehrt oder ausgesprochen, indem uns der Prophet durch Anführung dessen, was er gethan hat, Belehrung zur Vollbringung ähnlicher Handlungen ertheilt, und die Bewegung unseres leiblichen Instrumentes zu frommen Pflichtübungen leitet. Ist aber in der Aufschrift nur Canticum gesagt, so ist dann die geistige Weisheit und die Erkenntniß des himmlischen Geheimnisses,  welche man durch die Erkenntniß der Weisheit erlangt, enthalten; indem der Gesang ohne Erwähnung der Wirkungen des Glaubens nur die Lehre der vollkommenen Erkenntniß von Gott darstellt. Denn nicht sogleich besteht alle Weisheit in einem guten Werke; und nicht ein jedes gute Werk erlangt hinwiederum die wahre Weisheit. Daher kommt auch jenes, was sich in der dritten Gattung der Ueberschriften findet, nämlich die Aufschrift Canticum Psalmi, wenn mit dem Wirken guter Werke die Lehre der Weisheit verbunden wird. Denn zuvor muß man in guten Werken leben, damit die Erkenntniß des göttlichen Geheimnisses, welche dann nachfolgt, vollkommen seyn kann, nach dem Ausspruche:19 „Verlangest du Weisheit, so halte die Gebote, und der Herr wird sie dir geben.“ Also verleiht der Herr die Weisheit denen, welche durch das Verdienst guter Werke die Gnade der Erkenntniß erlangen. Aus diesem Streben nach Werken und Lehre nun wird der Stoff eines solchen Psalmes, welcher die Aufschrift „Psalm-Gesang“ hat, erkannt werden können. Wo es aber heißt Psalmus Cantici, dort wird von der durch die Weisheit der Erkenntniß hervorgerufenen Ausübung eines guten Werkes gehandelt; weil die früher von Gott erlangte Erkenntniß das Wirken der Werke des Glaubens zum Gegenstande unserer Sehnsucht macht.

 

21.

Diese vierfache Verschiedenheit des Gebrauches der Tonkunst ist also der Verschiedenheit der Psalmen angepaßt, so daß nämlich der Psalm vermittelst der Bewegung des körperlichen Instrumentes mit der Erwähnung von Werken sich befaßt. Der Gesang aber enthält vermittelst der Erkenntniß der Weisheit die Kenntniß der Lehre in sich. Ein Psalm-Gesang hingegen ist es, wenn durch das vorausgehende Verdienst der Werke die Erkenntniß der Weisheit verliehen wird. Ein Gesang-Psalm ist es ferner, wenn vermittelst der Erkenntniß der erhaltenen Weisheit das Wirken der Werke des Glaubens begonnen und vollbracht wird. Vermittelst dieser Eigenthümlichkeiten der Ueberschriften also wird man den Sinn der Psalmen suchen müssen; weil einer jeden Art der Prophezcihung in der Eigenthümlichkeit der Aufschriften jede Art von Anwendung der Musik angepaßt ist. Was aber diejenigen betrifft, welche keine Aufschrift mit irgend einer Bezeichnung haben, wie der erste oder der zweite, und noch mehrere andere, so muß man annehmen, daß sie nach der Lehre des heiligen Geistes zur geistigen Erkenntniß der allgemeinen Weisheit seyen gesungen worden, damit aus ihnen ein Jeder nach der Reinheit seines Glaubens die Weise der geistigen Erkenntniß schöpfen könnte.

 

22.

Andere Ueberschriften hingegen, welche entweder geschichtliche Vorfälle anzeigen, oder Zeiten, oder Tage, oder etwas anders enthalten, geben es entweder durch die Erklärung der Worte, oder durch die Vergleichung der Vorfälle, oder durch die Beschaffenheit des Aehnlichen zu erkennen, woraus der Psalm bestehe, so daß, wo es heißt: Pro die sabbati, oder: Pro occultis filii, oder: Pro die octava, durch die körperliche Bedeutung der Ueberschriften der geistige Sinn des Psalmes erkannt wird; oder daß wir, wo wo es illius David, oder illi David, oder Abessalon oder Saul, oder Doec in der Ueberschrift unter der Geschichte der Vorfälle heißt, hiedurch entweder vermittelst der Beschaffenheit der Fürwörter, wie illi, oder illius David, oder vermittelst der Bedeutung der Hauptwörter, wie es der Fall ist bei Abessalon, Saul und Doec, den Sinn der Weissagung, welche in dem Psalme enthalten ist, erreichen.

 

23.

Das Diapsalma aber, welches in sehr vielen Psalmen eingeschaltet ist, gibt uns zu erkennen, daß eine Veränderung entweder der Person oder des Inhaltes mit der Veränderung der Tonweise begonnen werde, so daß man annehmen darf, es werde, wenn ein Diapsalma eintritt, entweder etwas Anderes gesprochen, oder auch von einem Andern vorgetragen, oder in einer andern Tonweise abgesungen. Was die Person und den Inhalt betrifft, darüber wollen wir da, wo wir das Eintreten eines Diapsalma finden werden, den Grund anzugeben suchen. Uebrigens konnte die griechische und lateinische Uebersetzung die Form der Tonweise nicht beibehalten. Dieses nun hat die zur Erklärung der Psalmen selbst eilende Rede in bündiger Kürze zusammengefaßt.

 

24.

Man muß aber eine genaue und gründliche Beurtheilung der Erklärung eines jeden Psalmes widmen, damit man erkenne, mit welchem Schlüssel der Erkenntniß ein Jeder derselben aufgeschlossen werden müsse. Denn das ganze Buch gleicht einer schönen und großen Stadt, welche viele und verschiedene Häuser hat, deren Thüren mit eigenen und verschiedenen Schlüsseln geschlossen werden; würde man diese an einem Orte zusammenhäufen und unter einander werfen, so würde es für den, welcher ein jedes Haus aufschließen wollte, und sie nicht kennen würde, sehr schwer seyn, den Schlüssel zu jedem Hause zu finden; und es würde entweder eine genaue Kenntniß dazu erforderlich seyn, um den Schlüssel sogleich zu kennen, und ihn aus jener Menge der an Einer Stelle zusammengehäuften mannigfaltigen Schlüssel herauszuwählen, oder eine ungemein große Mühe angewendet werden müssen, um den passenden und gehörigen Schlüssel zur Oeffnung eines jeden Einganges zu finden, weil das Verhältniß und die Beschaffenheit es nicht gestattet, daß man fremde Schlüssel zu verschiedenartigen Schlössern gebrauche. Wir wollen nun in der Hoffnung, daß wir vermittelst der Barmherzigkeit Gottes den Schlüssel zur Aufschließung eines jeden Psalmes finden werden, den Eingang zu dem hier folgenden ersten Psalme mit dem ihm eigenen und zu ihm passenden Schlüssel aufschließen.

 

 

 

 

Der erste Psalm.

„Selig ist der Mann, welcher nicht nach dem Rathe der Bösen wandelt, nicht auf dem Wege der Sünder steht, und nicht auf dem Stuhle der Seuche sitzt, sondern an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, und das Gesetz desselben Tag und Nacht vor Augen haben wird. Und er wird seyn wie ein Baum, welcher an dem Laufe der Gewässer gepflanzt ist, und seine Frucht zu seiner Zeit bringen wird; sein Laub wird nicht abfallen, und alles, was er thut, wird gelingen. Nicht so die Gottlosen, nicht so; sondern wie Staub, welchen der Wind von dem Antlitze der Erde aufweht. Darum werden die Gottlosen nicht in dem Gerichte, und die Sünder nicht in der Versammlung der Gerechten aufstehen; denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, und der Weg der Gottlosen wird untergehen.“

 

Schlüssel oder Eingang zu dem ersten Psalme.

 

1.

Die vorzüglichste Kenntniß bei den Psalmen ist diese, unterscheiden zu können, von wessen Person dasjenige, was gesagt ist, verstanden, oder auf wen es bezogen werden müsse. Denn nicht einförmig und gleich ist ihre Beschaffenheit, so daß sie nicht sowohl verschiedene Urheber hätten,  als auch verschiedene Arten bildeten. Denn wir finden, daß in denselben häufig die Person Gottes des Vaters vorgestellt zu werden pflegt, wie in dem achtundachtzigsten Psalme, wo es heißt:20 „Ich habe einen Auserwählten aus meinem Volke erhöht. Ich habe David gefunden, meinen Knecht; mit meinem heiligen Oele habe ich ihn gesalbt. Er wird mir rufen: Du bist mein Vater, und die Zuflucht meines Heils. Und zum Erstgebornen will ich ihn machen, erhaben über die Könige der Erde.“ Ferner finden wir, daß die Person des Sohnes fast in den meisten eingeführt werde, wie in dem siebenzehnten Psalme:21 „Ein Volk, das ich nicht kannte, dient mir;“ und im einundzwanzigsten Psalme:22 „Sie haben meine Kleider unter sich vertheilt, und das Loos geworfen über mein Gewand.“ Daß aber nun dieser erste Psalm weder als von der Person des Vaters, noch als von der Person des Sohnes herrührend betrachtet werden dürfe, gibt die Sache selbst deutlich zu erkennen, indem es in demselben heißt:23 „Sondern (welcher ) an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, und das Gesetz desselben Tag und Nacht vor Augen haben wird.“ Denn in dem Psalme, in welchem, wie wir erinnert haben, die Person des Vaters sich zu erkennen gibt, werden ihm eigene und ihm zukommende Dinge angeführt! indem es heißt: „Er wird zu mir rufen, du bist mein Vater, mein Gott, und die Zuflucht meines Heiles,“ Und in demjenigen, in welchem nach unserer Behauptung der Sohn redet, gibt er sich selbst durch das, was er sagt, als die sprechende Person zu erkennen, mit den Worten: „Ein Volk, das ich nicht kannte, dienet mir.“ Denn da der Vater spricht: „Er wird zu mir rufen,“ und der Sohn sagt: „Ein Volk dienet mir;“ geben sie zu erkennen, daß sie selbst es seyen, welche von sich reden. Aber hier, wo es heißt: „Sondern (welcher) an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat;“ zeigt es sich, daß nicht die Person des Herrn von sich spreche, sondern vielmehr die Person eines Andern, welcher nämlich die Glückseligkeit des Mannes, der an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, preiset. Demnach muß man annehmen, daß es hier die Person des Propheten sey, durch dessen Mund der heilige Geist redet, welcher uns durch den Mund desselben zur Erkenntniß des geistigen Geheimnisses unterweiset.

 

2.

Da er dieses sagt, muß man fragen, von welchem Manne wir annehmen müssen, daß er es sage. Denn er spricht: Selig ist der Mann, welcher nicht nach dem Rathe „der Bösen wandelt, nicht auf dem Wege der Sünder steht, und nicht auf dem Stuhle der Seuche sitzt, sondern an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, und das Gesetz desselben Tag und Nacht vor Augen haben wird. Und er wird seyn wie ein Baum, welcher an dem Laufe der Gewässer gepflanzt ist, und seine Frucht zu seiner Zeit bringen wird; und sein Laub wird nicht abfallen, und alles, was er thut, wird gelingen.“ Ich weiß theils aus mündlichen Aesserungen, theils aus Briefen und Schriften, daß Viele hinsichtlich dieses Psalmes die Ansicht gefaßt haben, daß in demselben unser Herr Jesus Christus bezeichnet sey, und als derjenige angenommen werden müsse, dessen Seligkeit in dem Nachfolgenden gepriesen werde. Allein diese Behauptung haben sie weder nach einer Regel, noch mit Grund aufgestellt, obgleich einer guten Meinung zu Folge, weil jede Weissagung der Psalmen auf ihn bezogen werden muß; aber wo und wann die Weissagung auf ihn sich beziehe, dieses muß durch die Wahrheit einer vernünftigen Kenntniß entschieden werden.

 

3.

Das aber, was im Anfange des Psalmes steht, paßt durchaus nicht auf seine Person und zu seiner Würde; und  diese unvorsichtige Leichtfertigkeit, mit welcher jenes behauptet wird, widerlegen eben jene Worte, welche in dem Psalme enthalten sind. Denn da es heißt: „Und welcher an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat,“ wie kann, da das Gesetz durch den Sohn Gottes gegeben ist, auf ihn darum die Seligkeit bezogen werden, weil er an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, da er selbst der Herr des Gesetzes ist? Daß aber das Gesetz von ihm sey, hat er im sieben und siebenzigsten Psalm selbst bezeugt, mit den Worten:24 „Habet Acht, mein Volk, aus mein Gesetz; neiget euere Ohren zu den Worten meines Mundes. Ich will aufthun in Gleichnissen meinen Mund.“ Und daß dieses von ihm selbst gesagt wurde, bestätiget der Evangelist Matthäus, indem er sagt:25 „Darum redete er in Gleichnissen, auf daß erfüllt wurde, was gesagt ist: Ich will aufthun in Gleichnissen meinen Mund.“ Somit hat der Herr seine Weissagung wirklich erfüllt. Denn er hat in den Gleichnissen, in welchen er zu reden versprochen hatte, geredet. Hinsichtlich dessen aber, daß er sagt: „Und er wird seyn wie ein Baum, welcher an dem Laufe der Gewässer gepflanzt ist;“ (hierin wird nämlich vergleichungsweise die fortschreitende Erhöhung der Seligkeit angezeigt), entsteht die Frage: Wie wird man dieses seiner Person anpassen können, daß ein gepflanzter Baum seliger wäre, als der Sohn Gottes, so daß er deßwegen selig wäre, weil er einmal durch die Zunahme der Seligkeit die Gleichheit mit demselben erreichen würde? Da er ferners nach dem Ausspruche der Weisheit und des Apostels vor den Jahrhunderten und vor ewigen Zeiten ist, und der Erstgeborne der ganzen Schöpfung, und da in ihm und durch ihn alles geschaffen ist; wie ist er denn, wenn er den Dingen, die von ihm gemacht worden sind, gleich werden wird, glückselig? da weder die Natur des Schöpfers zur Vollkommenheit ihrer Seligkeit der Vergleichung mit einem  Geschöpfe bedarf, noch das Alter des Erstgebornen darin, daß er wie ein Baum seyn wird, die Zeit der verkehrten Vergleichung zuläßt. Denn von dem, was erst in einer zu erwartenden Zeit seyn wird, kann man nicht annehmen, daß es entweder gewesen, oder schon in der Natur vorhanden sey. Was aber bereits ist, das bedarf keines Aufschubes der Zeit, um zu dem, was es seyn wird, den Anfang zu machen, weil es durch das hohe Alter seines Beginnes schon fortwährend besteht.

 

4.

Weil man nun einsieht, daß dieses zur Gottheit des eingebornen Sohnes Gottes, unsers Herrn Jesu Christi, keineswegs paßt, so muß man annehmen, daß von dem Propheten hier jener Mann selig gepriesen werde, der sich dem Leibe, welchen der Herr angenommen hat, das heißt, in welchem er als Mensch geboren worden ist, durch Liebe zur Billigkeit und durch Ausübung der ganzen Gerechtigkeit ähnlich macht. Und daß dieses wirklich so verstanden werden müsse, wird die ausführlichere Erklärung des Psalmes zeigen.

 

5.

Sehr schön und sehr angemessen aber hat der heilige Geist dieses zum Eingange bei dem Beginne der Psalmen gewählt, daß er die menschliche Schwäche durch die Hoffnung der Seligkeit zur reinen Liebe der Religion ermunterte, das Geheimniß der Menschwerdung Gottes lehrte, die Theilnahme an der himmlischen Herrlichkeit versprach, die Strafe des Gerichtes androhte, den bei der Auferstehung eintretenden Unterschied andeutete, und die Vorsehung Gottes in der Vergeltung nachwies. Denn auf eine vollkommene und vollständige Weise hat er die Reihe der so großen Weissagungen begonnen, daß die Hoffnung eines seligen Mannes die Schwachheit der Menschen zum Eifer für den Glauben entflammen, die Vergleichung mit dem  Baume die gehoffte Seligkeit verbürgen, die den Gottlosen angedrohte Strenge die übermüthige Verruchtheit in den Schranken der Furcht halten, der folgende Zustand in den Versammlungen der Heiligen den Unterschied des Verdienstes angeben, und die aufgestellte Gerechtigkeit in der Erkennung der Wege der Gerechten die Herrlichkeit darstellen mochte. Nun wollen wir sowohl die Sachen selbst, als auch die Bezeichnungen derselben durch die Worte behandeln.

  

Abhandlung über den ersten Psalm.

 

1.

„Selig ist der Mann, welcher nicht in dem Rathe der Bösen wandelt, nicht auf dem Wege der Sünder steht, und nicht auf dem Stuhle der Seuche sitzt, sondern an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, und das Gesetz desselben Tag und Nacht vor Augen hat.“ Eine fünffache Beobachtung, erwähnt der Prophet, liege einem seligen Manne ob, die erste, daß er nicht in dem Rathe der Gottlosen wandle; die zweite, daß er nicht auf dem Wege der Sünder stehe; die dritte, daß er nicht auf dem Stuhle der Seuche sitze; dann, daß er an dem Gesetze des Herrn seine Lust habe; und endlich, daß er dasselbe Tag und Nacht vor Augen habe. Demnach muß der Gottlose von dem Sünder, und der Sünder von dem mit der Seuche Behafteten verschieden seyn; zumal da die Gottlosen einen Rath, der Sünder einen Weg, der mit der Seuche Behaftete einen Stuhl hat; dann, weil man in dem Rathe der Gottlosen mehr geht, als steht, auf dem Wege des Sünders aber mehr steht, als geht. Um nun die Gründe hievon einsehen zu können, muß man untersuchen, wie viel sich ein Sünder von einem Gottlosen unterscheide, damit man dadurch  erkennen kann, warum dem Sünder der Weg, dem Gottlosen hingegen der Rath zugetheilt werde; ferner: warum man auf dem Wege stehen, in dem Rathe aber gehen müsse, da doch die menschliche Gewohnheit bestimmt, daß man in dem Rathe stehen, und auf dem Wege gehen solle,26 Nicht ein Jeder, welcher ein Sünder ist, ist auch gottlos; der Gottlose ader muß ein Sünder seyn. Wir wollen nun von dem allgemein bekannten Gebrauche ein Beispiel hernehmen. Kinder können ihre Väter lieben, obgleich sie Trunkenbolde, Schwärmer und Verschwender sind; und bei diesen Fehlern sind die ohne Gottlosigkeit, welche nicht ohne Sünde sind. Die Gottlosen hingegen überschreiten, obgleich sie die erhabenen Tugenden der Enthaltsamkeit und Nüchternheit besitzen, dennoch durch die Verachtung des Vaters ein jedes andere Vergehen, welches ausser der Gottlosigkeit noch vorhanden seyn wird.

 

2.

Nach diesem vorgelegten Beispiele also unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß der Gottlose von dem Sünder verschieden sey. Und zwar schon die Natur des allgemeinen Urtheils selbst gibt zu verstehen, daß die Gottlosen jene seyen, welche es verschmähen, nach der Erkenntniß Gottes zu trachten, welche nach einer gottlosen Ansicht die Behauptung aufstellen, es gebe keinen Schöpfer der Welt, welche anführen, die Welt sey durch zufällige Bewegungen zu dieser Gestalt und Schönheit gelangt, welche, um ihrem Schöpfer kein Urtheil über das gut oder lasterhaft geführte Leben zu überlassen, annehmen, daß sie durch die Nothwendigkeit der Natur geboren, und durch dieselbe Nothwendigkeit wieder aufgelöset werden. Der ganze Rath dieser Menschen ist also schwankend, unsicher und irrend, und treibt sich ohne irgend einen Anhaltspunkt in demselben und durch dasselbe herum; denn er hält sich nicht fest an den Maßstab irgend einer Bestimmung. Einen Weltschöpfer getraute sich die Grübelei nicht zu lehren. Denn frägst du, warum, und wie lange, und in wiefern die Welt sey, ob die Welt für den Menschen, oder der Mensch für die Welt da sey, und warum der Tod, oder bis wann, oder wie Statt finde; so treibt sie sich immer um diese ihre gottlosen Rathschläge herum, und befindet sich immer in Bewegung, weil sie in diesen Rathschlägen keinen Ruhepunkt gefunden hat.

 

3.

Es gibt noch andere Räthschläge der Gottlosen, nämlich die derjenigen, welche, in die Ketzerei verfallen, sich weder an die Gesetze des neuen, noch an die des alten Bundes halten. Die Reden solcher Menschen drehen sich immer im Kreise und Cirkel des Irrthumes herum, halten sich an nichts fest, bleiben nirgends stehen, und werden durch das Hin- und Herschwanken der unbestimmten Ansicht hin und her getrieben. Ihre Gottlosigkeit besteht darin, daß sie Gott nicht nach dem Ausspruche Gottes selbst, sondern nach der Neigung ihrer Willkühr bemessen, indem sie nicht wissen, daß es nicht minder gottlos ist, einen Gott sich erdichten, als ihn läugnen. Und frägst du diese, mit welchem Zwecke ihres Hoffens und Glaubens sie so dächten, so werden sie beschämt und verwirrt, sie verstellen sich, irren herum, und suchen das Ziel der Unterredung selbst, um die es sich handelt, zu vermeiden. Selig also ist der Mann, welcher in diesem Rathe der Gottlosen nicht wandelt, das heißt, welcher selbst jenem Willen, in diesem Rathe zu wandeln, nicht Raum gegeben hat; weil auch der Gedanke dessen, was gottlos ist, schon Sünde ist.

 

4.

Nun folgt aber, daß derjenige, welcher nicht in dem Rathe der Gottlosen wandelt, auch auf dem Wege der Sünder nicht weilen soll. Denn es gibt Mehrere, welche, obwohl sie durch das Bekenntniß Gottes von der Gottlosigkeit sich losgerissen haben, doch hiedurch noch nicht von der Sünde frei sind, indem sie zwar in der Kirche verbleiben, aber die Lehre der Kirche nicht beobachten, wie die Geizigen, die Trunkenbolde, die Unruhestifter, die Schwärmer, die Stolzen, die Heuchler, die Lügner und die Räuber. Und zu diesen Fehlern reizt uns zwar unser Naturtrieb, allein, wie es heilsam ist, daß wir von diesem Wege, zu welchem wir hingetrieben werden, abgehen, so ist es auch nützlich, nicht auf demselben zu weilen, sondern unverzüglich von demselben hinwegzueilen. Und darum ist selig der Mann, welcher nicht auf dem Wege der Sünder weilt, indem ihn zwar die Natur auf diesen Weg hinführt, die Gewissenhaftigkeit des Glaubens aber von diesem Wege zurückführt.

 

5.

Die dritte Stufe zur Erlangung der Seligkeit ist ferner diese, daß man nicht auf dem Stuhle der Seuche sitze. Es saßen und lehrten auf dem Stuhle des Moses die Pharisäer; es saß auch Pilatus auf dem Richterstuhle; auf welchem Stuhle zu sitzen wird also verderblich seyn? Gewiß nicht das Sitzen auf dem des Moses, indem der Herr vielmehr die Sitzenden, als das Sitzen auf dem Stuhle mißbilliget, da er spricht:27 „Auf dem Stuhle des Moses sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer; Alles, was sie euch sagen, das thuet, was sie aber thun, das thuet nicht.“ Das Sitzen auf demjenigen Stuhle ist nicht pestartig, welchem zu gehorchen durch den Ausspruch des Herrn geboten wird. Es wird also jener pestartig seyn, dessen Ansteckung  Pilatus durch die Waschung der Hände vermeidet. Denn Viele verdirbt, obwohl sie Furcht vor Gott haben, doch das Streben nach zeitlichen Ehren; und es wollen die, welche den Gesetzen der Kirche untergeben sind, nach den Gesetzen des Forums richten. Aber ungeachtet sie zu den Geschäften, welche sie besorgen, einen frommen Willen mit sich bringen, und sich wohlwollend und enthaltsam beweisen; so müssen sie doch von einer pesthaften Ansteckung der Geschäfte, mit welchen sie sich befassen, ergriffen werden. Denn der Gang der öffentlichen Angelegenheiten läßt sie, wenn sie auch wollen, nicht bei der unveränderlichen Beobachtung des Kirchengesetzes beharren. Und obschon sie an dem frommen Vorsatze fest halten wollen; so werden sie doch durch den Zwang des Stuhles, welchen sie eingenommen haben, bald zur Ehrenkränkung, bald zum Unrechte, bald zur Bestrafung, wenn auch der Wille zaudert, genöthiget. Der Zwang macht sie zu Theilnehmern an dem Zwange, indem sie gleichsam von einer krank machenden Siechheit angesteckt werden. Und darum nennt der Prophet diesen ihren Sitz den Sitz der Pest, weil er mit seiner Seuche auch die Gesinnung des frommen Herzens ansteckt.

 

6.

Allein die Seligkeit des Mannes wird dadurch noch nicht vollkommen, daß er nicht nach dem Rache des Bösen wandelt, oder nicht auf dem Wege der Sünder weilt, oder nicht auf dem Stuhle des Verderbens sitzt. Denn dieses kann man auch bei einem Weltmanne finden, daß er Einen Gott für den Schöpfer der Welt hält, daß er sich von den Sünden aus Liebe zur bescheidenen Unschuld enthält, daß er die Ruhe eines einsamen und stillen Lebens den Würden der Ehrenstellen vorzieht. Sondern indem der Prophet einen vollkommenen Mann, einen solchen nämlich, welchen er zu den großen Beispielen der ewigen Seligkeit zählen könnte, Gott ähnlich gestaltet, lehrt er, daß derselbe hiezu  nicht gewöhnliche Tugenden anwenden werde, sondern daß er durch das zu seiner vollkommenen Seligkeit gelangen müsse, was folgt: „Sondern er hat seine Lust an dem Gesetze des Herrn.“ Die Enthaltung von dem Obigen ist unnütz, wenn nicht auf das Folgende, die Aufmerksamkeit gerichtet wird, nämlich darauf, daß man das Gesetz des Herrn gerne befolge. Der Prophet erwartet nicht, daß Furcht obwalte. Mehrere halt die Furcht in den Schranken des Gesetzes, wenige aber bestimmt der Wille zur Beobachtung des Gesetzes; denn es ist Wirkung der Furcht, das zu Fürchtende nicht zu unterlassen sich getrauen, Wirkung der vollkommenen Frömmigkeit aber, den Vorschriften gehorchen wollen. Und darum ist jener selig, welcher das Gesetz Gottes nicht fürchtet, sondern will.

 

7.

Allein manchmal fehlt auch etwas an dem Willen; und das Wollen allein erlangt nicht die vollkommene Seligkeit, wenn nicht auf den Willen auch das Werk folgt. Es heißt nämlich weiterhin: „Und das Gesetz desselben Tag und Nacht vor Augen haben wird.“ Die anhaltende und unermüdete Betrachtung des Gesetzes macht diesen Mann vollends selig. Aber vielleicht läßt dieses die schwache menschliche Natur nicht zu, gemäß welcher man ausruhen, schlafen und Speise genießen muß; und wir möchten deßhalb auch von den natürlichen Bedürfnissen gezwungen die Hoffnung auf die Erlangung der Seligkeit verlieren, wenn wir einmal durch das Eintreten einer körperlichen Verrichtung von der Betrachtung, welche bei Tag und Nacht fortdauern sollte, ablassen müßten. Diesem Ausspruche ist auch ähnlich der Ausspruch des Apostels:28 „Betet ohne Unterlaß;“ als wenn das Bedürfniß unserer Natur nicht mit seinen Gegenständen sich beschäftigen dürfte, und ohne Unterbrechung der Zeit immer beten könnte. Demnach besteht die Betrachtung  des Gesetzes nicht bloß in dem Lesen der Worte, sondern auch in dem gewissenhasten Wirken; und nicht darin, daß wir nur die Bücher und Schriften durchgehen, sondern darin, daß wir das, was in den Schriften und Büchern enthalten ist, bei dem Wirken und Handeln vor Augen haben, und daß unsere Werke bei Tag und bei Nacht immer nach dem Gesetze sich richten, wie jener Ausspruch des Apostels lautet:29 „Alles, was ihr thut, das thut zur Ehre Gottes, ihr möget nun essen oder trinken, oder sonst etwas thun.“ Denn hiedurch wird bewirkt, daß wir ohne Unterlaß beten; wenn durch Gott wohlgefällige Werke, und solche, welche immer zu dessen Ehre vollbracht werden, das ganze Leben eines jeden heiligen Mannes zum Gebete wird, und so dadurch, daß man Tag und Nacht nach dem Gesetze lebt, das Leben selbst eine nächtliche und tägliche Betrachtung des Gesetzes seyn wird.

 

8.

Allein nach der Vollendung der Seligkeit dieses Mannes, welcher sich von den Berathungen der Gottlosen, von den Wegen der Sünder und von dem Stuhle der Pest entfernt hält, und gerne das Gesetz Gottes Tag und Nacht betrachtet, muß gezeigt werden, welche Frucht ihm von dieser erlangten Seligkeit zu Theil werden wird. Denn selig seyn wollen geht schon aus der Erwartung der Seligkeit selbst hervor. Es folgt nämlich: „Und er wird seyn wie ein Baum, welcher an dem Laufe der Gewässer gepflanzt ist, und seine Frucht zu seiner Zeit bringen wird; und sein Laub wird nicht abfallen.“ Vielleicht wird dieses Beispiel der Vergleichung der Seligkeit für lächerlich und unpassend gehalten werden, indem darin die Pflanzung eines Baumes, der Lauf der Gewässer, das Bringen der Früchte, seine Zeit, und das nicht abfallende Laub angeführt werden. Diese Dinge werden zwar nach der Meinung der  Weltmenschen vielleicht für nichts gehalten werden. Allein wir wollen nach der prophetischen Lehre sehen, welche große Herrlichkeit in eben diesen Dingen und Worten der Vergleichung der Seligkeit liege.

 

9.

In dem Buche der Schöpfung, wo der Gesetzgeber den von Gott gepflanzten Lustgarten anführt, hat er auch angegeben, daß jeder Baum von Gestalt schön und zu einer guten Speise hervorgebracht worden sey; er hat dort erklärt, daß auch mitten in dem Paradiese der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntniß des Guten und des Bösen gewesen, ferner daß der Garten von einem Strome bewässert worden sey; welcher sich nachher in vier Hauptströme getheilt habe. Welcher aber dieser Baum des Lebens wäre, hat der Prophet Salomon angegeben, indem er von der Verehrung der Weisheit sagte:30 „Der Baum des Lebens ist für Alle, welche sie umfassen, und welche sich nach ihr sehnen, wie in dem Herrn.“ Dieser Baum also ist lebendig, und nicht allein lebendig, sondern auch vernünftig, vernünftig aber in so fern, daß er Früchte bringt, sie aber nicht unordentlich und unzeitig, sondern zu seiner Zeit bringt. Und gepflanzt ist dieser Baum an dem Laufe der Gewässer, nämlich in dem Bereiche des Reiches Gottes, das ist, in dem Paradiese, und dort, wo der Strom seinen Ursprung hat, welcher sich in vier Flüsse theilt. Denn er sagt nicht: „Hinter dem Laufe der Gewässer, sondern an dem Laufe der Gewässer,“ wo die Theile der Gewässer den ersten Lauf erhalten. Denn dort ist dieser Baum gepflanzt, wohin der Herr, welcher die Weisheit ist, jenen Mörder, der ihn als den Herrn bekannte, geführt hat, indem er sprach:31 „Wahrlich, ich sage dir, heute wirst du mit mir im Paradiese seyn.“ Und weil wir nach dem Zeugnisse des Propheten behauptet haben, daß die Weisheit welche Christus ist, hinsichtlich des Geheimnisses der künftigen Menschwerdung und des künftigen Leidens, der Baum des Lebens genannt werde, so muß nun auch aus den Evangelien das Passende dieser Ansicht bewiesen werden. Der Herr selbst nämlich hat sich mit einem Baume verglichen, als die Juden sagten, daß er durch Beelzebub die Teufel austreibe, mit diesen Worten:32 „Setzet entweder, der Baum sey gut, so sind auch seine Früchte gut, oder, der Baum sey schlecht, so sind auch seine Früchte schlecht: denn aus der Frucht erkennt man den Baum.“ Denn obwohl die Austreibung der Teufel eine sehr gute Frucht ist, nannten sie ihn den Beelzebub, dessen Früchte doch die schlechtesten sind. Auch fand er es nicht unter seiner Würde die Bedeutung dieses seligen Baumes auf sich selbst zu beziehen, indem er, als er zu dem Kreuze schritt, sprach:33 „Denn wenn man dieses an dem grünen Holze thut, was wird mit dem dürren geschehen?“ Durch das Beispiel des grünen Holzes deutete er nämlich an, daß in ihm nichts der Verdorrung des Todes unterworfen sey.

 

10.

Diesem Baume also wird jener selige Mann ähnlich werden, wenn er, wie der in das Paradies eingeführte Mörder, an dem Laufe der Gewässer gepflanzt, und wenn jene selige neue Pflanzung, welche nicht wird ausgerottet werden, vorgenommen wird, jene Pflanzung, welche der Herr in den Evangelien andeutet, wo er sich über die fremde Pflanzung beklagt, mit den Worten:34 „Jede Pflanze, welche nicht mein himmlischer Vater gepflanzet hat, wird von der Wurzel ausgerottet werden.“ Dieser Baum also wird seine Früchte geben. Ueberall aber, wo das göttliche Wort etwas über die Früchte der Bäume erwähnt, sagt es, daß diese vielmehr Früchte bringen (facere), als  geben (dare) indem es heißt:35 „Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen,“ und wo nach dem Isaias über den Weinstock geklagt wird, spricht er:36 „Ich habe erwartet, daß er Trauben hervor bringen werde, er aber brachte Dörner hervor.“ Dieser Baum also wird seine Früchte geben, und sich im Geben nach Beurtheilung und Vernunft richten. Denn er wird sie zu seiner Zeit geben. Und zu was denn für einer Zeit? Nämlich in der, von welcher der heilige Apostel spricht:37 „Damit er euch das Geheimniß seines Willens kund thun möchte, was er nach seinem Wohlgefallen durch ihn zu thun bei sich beschlossen hat, bei dem Eintritte des bestimmten Vollalters der Zeiten.“ Dieses nun ist die Zeit der Anordnung, wo die gehörige Zeit zum Empfangen und zum Geben richtig gewählt wird, indem es seine Zeit seyn wird, daß die empfangen, denen er geben wird. Die Verzögerung der Zeit aber hängt von dem Vollalter der Zeiten ab. Denn die Austheilung der Frucht, welche gegeben werden soll, wird dem Vollalter der Zeiten vorbehalten. Und was wird dann dieses für eine Frucht seyn, welche ausgetheilt werden soll? Nämlich diejenige, von welcher derselbe Apostel Meldung macht, wenn er spricht:38 „Und er wird unsern niedrigen Leib umgestalten, und seinem verherrlichten Leibe ähnlich machen.“ Diese seine Früchte also wird er uns geben, welche er schon in dem Menschen, den er angenommen hat, und welcher durch den Baum bezeichnet wird, vollendet hat, in dem Menschen, welchen er mit der Natur seiner Unsterblichkeit, nach der Vertilgung der Sterblichkeit, verbunden hat. Wie dieser Baum also wird jener selige Mann seyn, wenn er in der Herrlichkeit Gottes seinem Herrn ähnlich gestaltet erscheinen wird.

 

11.

„Das Laub dieses Baumes aber wird nicht abfallen.“ Kein Wunder, wenn die Blätter desjenigen Baumes nicht abfallen, dessen Früchte vielmehr werden gegeben werden, als abfallen, indem sie nicht durch Reife abgeworfen, nicht durch äußere Gewalt abgeschüttelt, sondern durch Austheilung auf vernünftige Weise abgepflückt werden. Und was er unter den Blättern verstehe, geht aus der Vergleichung der körperlichen Dinge deutlich hervor. Denn wir nehmen wahr, daß die Blätter diese Beschaffenheit haben, daß sie zum Schutze der Früchte rings um die Früchte selbst hervorsprossen; so daß sie gleichsam mit einem Walle die zarten Keime des Obstes beschirmen. Somit wird in den Blättern die Lehre der Worte Gottes, welche die uns verheißenen Früchte bekleidet, angedeutet. Denn von diesen Worten werden unsere Hoffnungen umschattet; durch ihren Schutz werden sie unter diesen Stürmen der Welt bedeckt. Nicht abfallen also werden diese Blätter, das ist, Gottes Worte; weil von dem Herrn gesagt wurde:39 „Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.“ Denn nichts von dem, was Gott gesagt hat, wird vergehen oder abfallen.

 

12.

Daß aber diese Blätter dieses Baumes nicht unnütz, sondern heilsam für die Völker seyen, bezeugt der heilige Johannes in der Offenbarung, indem er spricht:40 „Und er zeigte mir einen Strom lebendigen Wassers, glänzend wie Krystall, welcher von dem Throne Gottes und des Lammes floß; in der Mitte ihrer Straße und von beiden Seiten des Stromes war der Baum des Lebens, welcher zwölfmal Früchte tragt, und zwar jeden Monat seine  Frucht bringt; und die Blätter dieses Baumes dienen zur Gesundheit der Völker.“ Das himmlische Geheimniß wird auf eine solche Weise durch körperliche Bilder erklärt, daß man, obgleich das Körperliche selbst den geistigen Sinn nicht erschöpfend darstellen kann, es doch auf die Körperwelt nur mit Verstümmelung beziehen könnte. Denn er hätte sagen müssen, auf beiden Seiten des bezeichneten Stromes seyen Bäume, nicht, es sey auf beiden Seiten ein Baum. Allein weil der Baum des Lebens überall in dem Geheimnisse der Taufe Einer ist, welcher den von allen Seiten zu ihm Kommenden die Früchte der apostolischen Lehre mittheilt, deßwegen steht auf beiden Seiten des Stromes Ein Lebensbaum. Denn es wurde Ein Lamm auf dem Throne Gottes, Ein Strom, und Ein Lebensbaum erblickt; dieses Alles fasset die Geheimnisse der Einkörperung, der Taufe und des Leidens in sich, dessen Blätter, welche die Worte der Verkündigung sind, durch die Lehre der unvergänglichen Worte den Völkern das Heil ertheilen.

 

13.

„Und Alles,“ heißt es, „was er thut, wird gelingen.“ Nicht mehr werden, wie in Adam, sein Geschenk und seine Gesetze gestört werden; denn dieser hat durch die Sünde der Uebertretung des Gesetzes die Seligkeit der ihm bestimmten Unsterblichkeit verloren; durch die Erlösung vermittelst des Lebensbaumes, das ist, durch das Leiden des Herrn aber ist, wenn wir selbst dem Baume des Lebens ähnlich seyn werden, Alles, was nur immer in uns geschehen wird, ewig, ewig aber mit dem Gefühle der Seligkeit. Glücklich aber wird alles dasjenige geleitet werden, was geschehen wird; nicht mit ungewisser Wandelbarkeit, nicht bei schwacher Natur, weil durch die Unverweslichkeit die Verweslichkeit, durch die Ewigkeit die Schwachheit, und durch die göttliche Gestalt die Gestalt des irdischen  Fleisches vertilgt seyn wird. Diesem gepflanzten Baume also, welcher zu seiner Zeit diese seine Früchte gewährt, wird jener selige Mann ähnlich seyn, welcher auch selbst im Paradiese gepflanzt ist; so daß die Pflanze Gottes, weil sie nicht ausgerottet werden kann, fortbesteht; denn in ihm wird alles, was er thut, von Gott glücklich geleitet werden, und in der Folge durch keine Veränderung, entweder von Seite unserer Schwachheit oder der Zeit, ausgerottet werden können.

 

14.

Nachdem aber die vollkommene Seligkeit dieses Mannes dargethan worden, war es angemessen, anzuführen, welche Strafe den Gottlosen bevorstehe. Es folgt nämlich: „Nicht so die Gottlosen; nicht so, sondern wie Staub, welchen der Wind von dem Antlitze der Erde aufweht.“ Es bleibt den Gottlosen keine Hoffnung auf diese verglichene Seligkeit übrig, sondern ein unstätes, zermalmtes, geworfeltes, zerstreutes und unruhiges Gebein bleibt, so daß sie, jener ganzen körperlichen Festigkeit beraubt, durch das Spiel des Staubes zur Strafe aufbewahrt werden, nicht in Nichts aufgelöset, damit in ihnen noch Stoff zur Pein da ist, sondern in etwas Gehaltloses, Leichtes und Dürres zertreten, auf daß sie von der spielenden Beweglichkeit der Qual hin und her geworfen würden. Diese Strafe erwähnt an einem andern Orte derselbe Prophet, indem er spricht:41 „Ich will sie zermalmen wie den Staub vor dem Winde her; wie Gassenkoth will ich sie zertreten.“ Somit ist nun eine Vergleichung, wie der Seligkeit, so auch der Strafe aufgestellt. Denn wie es für den Wind keine Mühe ist, den Staub zu zerstreuen, und wie die Gehenden es nicht merken, daß sie das Gassenkoth fast zertreten, so ist es für jene Strafe der Hölle ein Leichtes, die Gottlosen zu zertreten und zu zerstreuen, weil sie die Beschaffenheit der Sünden theils in Koth aufgelöset, theils zu Staub zermalmet hat, und nicht einmal eine feste Substanz mehr übrig ist, weil sie Staub und Koth sind, indem sie dadurch, daß sie Staub und Koth sind, nur als ein für die Straft empfänglicher Stoff aufbewahrt werden.

 

15.

Und weil sie in Folge dieser Veränderung der in Staub zertretenen Festigkeit dieses Gutes nicht theilhaftig seyn werden, welches dem seligen Manne von der Frucht des Baumes wird gegeben werden zu seiner Zeit, deßwegen setzte er folgerichtig hinzu: „Darum werden die Gottlosen nicht zu dem Gerichte42 aufstehen.“ Nicht gänzliche Vernichtung wird denen, welche allerdings Staub seyn werden, dadurch, daß sie nicht aufstehen, angedroht; sondern nur die Auferstehung zu dem Gerichte wird ihnen abgesprochen. Denn es ist nicht so zu verstehen, als wenn sie deßwegen, weil sie nicht seyn werden, dem Gefühle der Strafe entgehen würden; weil das der Strafe entgehe, was nicht zur Strafe da ist. Sondern sie werden da seyn, weil sie Staub seyn werden. Durch Trockenheit aber, oder durch Zermalmung zum Staube werden, heißt nicht die Natur, da zu seyn, verloren haben, sondern in eine andere Natur übergegangen seyn. Dadurch aber, daß sie zu dem Gerichte nicht aufstehen werden, ist gesagt, nicht daß ihnen die Natur, aufzustehen, fehle, sondern daß sie die Reihe, zum Gerichte aufzustehen, nicht treffe. Was man aber für eine Ordnung hinsichtlich des Aufstehens und des Gerichtes annehmen müsse, gibt der Herr in den Evangelien zu erkennen, indem er spricht:43 „Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. Eben daher kommt aber das Gericht, daß die Menschen, obwohl das Licht in die Welt kam, die Finsterniß mehr liebten, als das Licht.“

 

16.

Die Unachtsamkeit der Zuhörer, und die sorglose Leichtfertigfeit der Leser geräth durch die Worte des Ausspruches des Herrn in Verwirrung. Denn da er sagte: „Wer an mich glaubt, der wird nicht gerichtet,“ nahm er die Gläubigen von dem Gerichte aus; und indem er hinzusetzte: „Wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet,“ gestattete er den Ungläubigen nicht den Zutritt zu dem Gerichte. Nahm er also die Gläubigen aus, und wies er die Ungläubigen zurück, indem weder gegen diese, noch gegen jene das Loos des Gerichtes gestattet wird, wie kann man dann annehmen, daß er mit sich in dem übereinstimme, was er als das dritte anführt: „Eben daher aber kommt das Gericht, daß die Menschen, obwohl das Licht in die Welt kam, die Finsterniß mehr liebten, als das Licht.“ Denn es kann kein Gericht mehr Statt finden, weil weder die Ungläubigen, noch die Gläubigen gerichtet werden. Und dieses wird zwar unachtsamen Zuhörern und sorglosen Lesern so zu seyn scheinen; allein schon der Inhalt der Worte selbst faßt den eigentlichen Sinn und die Bedeutung des Ausspruches in sich.

 

17.

„Wer glaubt, sagt er, der wird nicht gerichtet werden.“ Denn wozu ist es nothwendig, den Gläubigen zu richten? Das Gericht tritt nämlich bei zweifelhaften Dingen ein; ist aber die Ungewißheit gehoben, so wird die Untersuchung des Gerichtes nicht mehr erfordert. Und dem zu Folge ist es nicht einmal nöthig, die Ungläubigen zu richten, weil kein Zweifel übrig ist, daß sie ungläubig seyen. Allein nach der Entfernung des Gerichtes über die Gläubigen und die Ungläubigen fügte der Herr die Ursache des Gerichtes, und diejenigen hinzu, welche ein Gericht über sich nothwendig machen. Denn es gibt Einige zwischen den Gottlosen und den Frommen, welche in der Mitte sind, aus Beiden gemischt, doch eigentlich keines von Beiden, weil sie eben dieses aus Beidem geworden sind; solche, welche nicht dem Glauben beigesellt werden dürfen, weil ihnen etwas Unglauben eingeflößt worden ist, und auch nicht dem Unglauben zugetheilt werden können, weil sie auch etwas Glauben besitzen. Denn Mehrere hält die Furcht Gottes in der Kirche zurück; aber ebendieselben lassen sich doch durch die Lockungen der Welt zu Vergehen der Welt reizen. Sie beten, weil sie sich fürchten; sie sündigen, weil sie wollen. Sie nennen sich Christen, weil die Hoffnung der Ewigkeit gut ist; sie thun heidnische Werke, weil die Gegenwart schmeichelt. Gottlos bleiben sie nicht, weil sie Gottes Namen in Ehren halten; gottselig sind sie nicht, weil sie nach Dingen streben, welche mit der Gottseligkeit nichts gemein haben. Und sie müssen das mehr lieben, wodurch sie das, was sie sich nennen, nicht seyn können; weil in Bezug auf das Wollen des Namens das Wollen der Werke stärker ist. Und deßwegen hat der Herr, nachdem er gesagt hatte, daß die Gläubigen nicht werden gerichtet werden, und die Nichtgläubigen schon gerichtet seyen, beigefügt: „Eben daher kommt das Gericht, daß die Menschen, obwohl das Licht in die Welt kam, die Finsterniß mehr liebten, als das Licht.“ Diese also trifft das Gericht, welches über die Ungläubigen schon gehalten, und über die Gläubigen nicht nothwendig ist; weil sie die Finsterniß mehr, als das Licht, geliebt haben, als wenn sie nicht auch das Licht geliebt hätten, sondern weil bei ihnen die Liebe der Finsterniß größer war Denn es pflegt eine Liebe der andern durch Vergleichung vorgezogen zu werden; und daher kommt das Gericht, weil sie, obwohl sie Christum liebten, dennoch die Finsterniß mehr liebten. Diese  also werden gerichtet werden, welche weder wie die Frommen nicht gerichtet werden, noch wie die Gottlosen schon gerichtet sind, denn sie trifft das Gericht mehr wegen der vorgezogenen Liebe.

 

18.