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Das alt überlieferte Sprichwort Adel verpflichtet bedeutet in seinem ureigensten Sinn, dass eine herausragende soziale Position immer auch besondere Verpflichtungen mit sich führt, die sich vor allem auf soziale Verhaltensweisen und die positiv besetzte Erfüllung einer Führungsrolle beziehen. In diesem Sprichwort wird von jeher die Aussage transportiert, dass jemand, der durch Herkunft, Geld, Position oder Talent privilegiert ist, auch die Pflicht hat, etwas Gutes damit zu tun und sich demnach zu verhalten. Dieses hier vorgelegte Buch mit dem gleichnamigen Titel Adel verpflichtet ist das Ergebnis einer Studie, die sich intensiv mit dem Juristen adeliger Herkunft, Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg beschäftigt, der in den Jahren von 1933 bis 1945 nacheinander als Bürgermeister in die Städte Pinneberg, Schleswig und Cottbus berufen worden war. Als oberster Chef der Verwaltung in diesen drei Städten und als Gauamtsleiter für Kommunalpolitik trug er in einem sehr hohen Maße dazu bei, dass die vielfach menschenunwürdigen nationalsozialistischen Verwaltungsgrundsätze genauestens umgesetzt wurden. Von Baselli ist damit durch sein Wirken in die Gruppe der von der politischen Philosophin Hannah Arendt mit dem Begriff Schreibtischtäter treffend bezeichneten NS-Verbrecher einzugruppieren. Die Studie zeichnet nach intensivem Studium relevanter Quellen das Bild eines kulturell gebildeten Juristen und Familienvaters nach, der als Bürgermeister und als Nationalsozialist vielfach zum Täter wurde.
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Abb. 1: Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg – Bild vom Onlinebildarchiv von Gerd Tams
Vorwort
Adel verpflichtet – Die Familie Baselli von Süßenberg, das Ende des Kaiserreichs und die Suche nach neuen Bündnispartnern
Der genealogische Hintergrund der adeligen Familie Baselli von Süßenberg - und die frühe politische Prägung durch den Vater Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg
Exkurs: Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg und die Familie Jessen aus Pinneberg
„Im wilhelminischen Geiste erzogen“
- Schulbildung, Soldatenzeit, Studium und die ersten Berufsjahre Franz von Basellis
„Vom Freischärler zum Ortsgruppenleiter“
- Die politische Karriere des Freiherren Franz von Baselli
„…die Vernichtung alles dessen, was faul und morsch aus der Vergangenheit zu uns herüberragte“
- Franz von Baselli als Bürgermeister von Pinneberg
Der Strippenzieher im Hintergrund –
„Der Pinneberger Prangermarsch“
– Ein Beispiel des nationalsozialistischen Terrors in der Stadt unter Bürgermeister von Baselli
„Auf die gute Zusammenarbeit zwischen der hiesigen Führung der SA und der politischen Organisation“
- Die Landdrostei in Pinneberg - Die Stadt Pinneberg wird Standort der SA-Standarte 265
„Schön war das Jahr des Kampfes, wo der Mann noch etwas wert war…“
– Von Basellis Resümee des Jahres 1933
„Zum Zeichen des ewigen Angedenkens an die für das Dritte Reich gefallenen Helden…“
- Das „Kriegerehrenmal“ am Bahnhofsvorplatz in Pinneberg als noch existierendes Mahnmal des Faschismus
„Ein alter Vorkämpfer der Idee Adolf Hitlers“
- Franz von Baselli als Bürgermeister in Schleswig
Der Schleswiger Stadtbaurat Julius Peter Jakob Petersen (1883–1969)
„Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter!“
– Von Maifeierlichkeiten und
„Heldengedenktagen“
– Die Stadt Schleswig im Rausch nationalsozialistischer Macht unter Bürgermeister von Baselli
Die Einführung der Wehrpflicht, die Wiederaufrüstung des Deutschen Reiches und ihre Auswirkungen in der Stadt Schleswig in der Amtszeit Bürgermeisters von Baselli
„Deutsches Volk, gib uns vier Jahre und ich schwöre dir…“
- 21. März 1934 – Hitler eröffnet die „Frühjahrsarbeitsschlacht“ – Der Beginn der „
zweiten Arbeitsschlacht“
auch in Schleswig
Das Schleswiger
„Landjahrheim“
für Mädchen in der ehemaligen Waldmühle – Nationalsozialistische Erziehung durch Erlebnis
„Von der Reformpädagogik zur Hitlerjugend…“
- Die „Nordmark – Jugendherberge“ auf der Spielkoppel in Schleswig und die Gleichschaltung mit der HJ
Das „Nordmark Landestheater“ in Schleswig als Instrument der propagandistischen Beeinflussung
„Die Schmach von Versailles…
“ - Die große „Saar-Rückgliederungsfeier“ als propagandistisches Ereignis mit Festmarsch im März 1935 in Schleswig
„Unwertes Leben“
– Das „Erbgesundheitsamt“ und die „Heil- und Pflegeanstalt“ in Schleswig
„Über das erste Auftreten der Juden ist hier nichts mehr zu ermitteln“
– Schleswig und die antisemitische Haltung der Nationalsozialisten unter Bürgermeister von Baselli
„Wacht auf, Verdammte dieser Erde…“
– Die KPD in Schleswig
Exkurs II.: Das grausame Schicksal des Arbeiters und KPD-Mannes Karl Wohlfahrt aus Schleswig, welcher später in das Konzentrationslager Neuengamme überstellt wurde
„Da v. Baselli mit zu meinen Hauptübeltätern gehört…“ – Weitere Fälle von nationalsozialistischer Hetze, Ausgrenzung und Verfolgung in der Stadt Schleswig
„Erfolg und Sorgen der Gemeinde…“
- Weiteres Verwaltungshandeln des Bürgermeisters Franz von Baselli in Schleswig
„Damit ihr seht, was die Juden verdienen…” -
Die Verfolgung jüdischer Mitbürger und die Reichspogromnacht in Cottbus in der Amtszeit des Oberbürgermeisters Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg
„… aus politischen Gründen seine Rassenzugehörigkeit verleugnet …“
– Der Cottbusser Textilfabrikant Otto Ephraim (1889–1951)
Hans Thiede und Bruno Schoenfeldt und das Cottbusser Theater – Zwei Beispiele individuell unterschiedlich gehandhabter Auslegungen der nationalsozialistischen Weltanschauung des Oberbürgermeisters Franz von Baselli
„…wo es in Deutschland von Ausländern geradezu wimmelt“
– Oberbürgermeister Franz von Baselli und die Zwangsarbeit in Cottbus
„Der Germanen und Arierkult…“ -
Die Autobahn und der Plan eines Freilichtmuseums der Niederlausitz in Cottbus
Carl Blechen (1798-1840) – ein Cottbusser Künstler als Inbegriff deutscher Malerei im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung
„... mit einem dreifachen Siegheil auf unsere Truppe“
- Franz von Baselli und der Krieg
Abgelehnt, die Stadt zu verlassen – Festnahme und Tod Franz von Basellis
Epilog
Benutzte Literatur/Quellenangaben:
Unveröffentlichte oder nur zum Teil veröffentlichte Quellen:
Zeitungen und Zeitschriften:
Webseiten:
PDF-Dateien Online:
Online-Bildquellen:
Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg war ein deutscher Jurist mit adeliger Herkunft, der in der Zeit von 1933 bis 1945 nacheinander als Bürgermeister in die Städte Pinneberg, Schleswig und Cottbus berufen wurde. Sein Name und sein Wirken sind heute weitestgehend in Vergessenheit geraten, zumal er schon 1945 starb. Obwohl sich noch immer zahlreiche Akten über seine Amtstätigkeiten in den verschiedenen Archiven verstreut befinden, ist doch über von Baselli als Person kaum etwas bekannt geworden. Einige Dokumente, welche wohl näheren Aufschluss über den Menschen Franz von Baselli und den Hintergrund seines Aufstiegs als NSDAP-Kommunalpolitiker hätten geben können, dürften in den Wirren des Weltkrieges verloren gegangen oder vernichtet worden sein, andere werden wohl noch immer privat unter Verschluss gehalten.
Da von Baselli schon kurz nach dem Krieg zu Tode kam, sucht man auch nach Unterlagen zu seiner „Entnazifizierung“ vergeblich. Wohl aber gibt eine Behördenkorrespondenz, die durch die Versuche seiner Witwe entstandenen ist, eine Pension für sich zu erwirken, später einen kleinen Überblick über von Basellis unterschiedliche Posten und auch einen kleinen Einblick in sein Leben und in sein Denken. Eine Gesamtdarstellung seiner Tätigkeiten in der Zeit des Nationalsozialismus, die auch den Menschen von Baselli mit darstellt, fehlte bisher und soll mit diesem Buch vorgelegt werden.
Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg war als Bürgermeister der drei genannten Städte, als Ortsgruppenleiter der NSDAP in Pinneberg und Schleswig und als Gauamtsleiter für Kommunalpolitik an der von Terror, Ausgrenzung und Verfolgung geprägten Politik der Nationalsozialisten in einem sehr hohen Maße beteiligt. Das erwähnte, noch vielfach in den Archiven vorhandene Material zeichnet, im Vergleich mit den sofort ins Auge springenden Gräueltaten anderer Nationalsozialisten, zunächst ein eher unauffälliges Bild eines stets korrekt agierenden gewissenhaften Verwaltungschefs - eines Mannes, der wohl eher aus dem Hintergrund seine Fäden zog.
Bei intensiver Beschäftigung mit dem zur Verfügung stehenden Material aus den drei genannten Städten ist unter Hinzunahme ergänzender Zeitungsartikel, Dokumente, Berichtsfragmente und anderer Puzzleteile, ein umfassenderes Bild eines Verwaltungschefs mit adeliger Herkunft entstanden, der sich auf vielfache Weise als Beamter und Karrieremensch auf die Verbrechen des Nationalsozialismus eingelassen hat. Doch hat von Baselli diese nicht nur aus dem Hintergrund maßgeblich mit gefördert, sondern er hat sprichwörtlich als „Schreibtischtäter“ in Wort und Tat dazu beigetragen, dass die Verwaltungsgrundsätze des Nationalsozialismus in dieser Zeit auf das Genaueste umgesetzt wurden - vielfach zum Nachteil von verfolgten, diskriminierten und aus der „Volksgemeinschaft“ ausgestoßenen Menschen. Wer aber war nun dieser Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg? Woher kam er und was war der Antrieb seines Wirkens als Chef der Verwaltung der jeweiligen Städte im sogenannten „Dritten Reich“? Wodurch unterscheidet sich sein Tun von den mittlerweile hinlänglich erforschten Fällen anderer Nationalsozialisten?
Dieses Buch zeigt anhand des Beispiels der Karriere des als äußerst ehrgeizig geltenden Juristen von Baselli, wie sich ein Angehöriger des deutschen Adels den Nationalsozialisten andiente, mit ihrer Hilfe seinen Aufstieg begann und ihnen bis zum Schluss die Treue hielt – mit tödlichem Ausgang.
Jens Nielsen im Herbst 2022
Nachdem der Friedensvertrag von Versailles am 28. Juni 1919 zwischen dem Deutschen Reich auf der einen und Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten nebst ihren Verbündeten auf der anderen Seite unterzeichnet worden war, konnte der Erste Weltkrieg auf völkerrechtlicher Ebene endlich beendet werden. Mit Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung (WRV) am 14. August 1919 war zudem aus dem vormaligen Deutschen Kaiserreich im Handstreich nunmehr eine föderative Republik geworden. Für den deutschen Adel und der damit einhergehenden Ständegesellschaft und damit auch für die Familie Baselli von Süßenberg brachten diese beiden einschneidenden Anlässe kurz hintereinander gravierende Veränderungen mit sich:
Der Friedensvertrag von Versailles beinhaltete für Deutschland das Verbot, zukünftig ein stehendes Heer unterhalten zu dürfen. In vielen adeligen Familien gingen damit die traditionellen hochdotierten Offizierslaufbahnen verloren. Auch in der Familie der Freiherren Baselli von Süßenberg waren zahlreiche Angehörige im Laufe der Jahrhunderte Offiziere gewesen. Noch Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenbergs Großvater hatte als Hauptmann im 44. Infanterieregiment gedient, während sein Onkel Wilhelm Franz Freiherr Baselli von Süßenberg (1854–1913) sogar den Rang eines Oberst bekleidete.
Abb. 2: Reichspräsident von Hindenburg im Begriff Adolf Hitler zu begrüßen, aus: „Illustrierter Beobachter“, 8. Jahrgang, Folge: 12, 25. März 1933, S. 2
Noch der Vater Carlo Maria Freiherr Baselli von Süßenberg (1859–1939) war in jungen Jahren als K. K. Leutnant der Reserve unter Franz Freiherr Kuhn von Kuhnenfeld (1817–1896) dem österreichisch-ungarischen Infanterieregiment Nr. 17 zugeteilt worden. Der Österreicher Kuhn von Kuhnenfeld war Befürworter einer eher distanzierten Haltung Österreich-Ungarns zum Deutschen Reich gewesen und trat 1870 für einen Kriegseintritt der Doppelmonarchie an der Seite Frankreichs ein. 1893 wird Carlo Maria Freiherr Baselli von Süßenberg wohl demzufolge nicht mehr als österreichischer, sondern als Königlich Preußischer Leutnant der Reserve des 1. Thüringischen Infanterieregiments Nr. 31 erwähnt.
Neben den fehlten Offizierspositionen brachen in der neu ausgerufenen Republik zusätzlich die vormals verlässlich funktionierenden adeligen Seilschaften zusammen, die in der Vergangenheit kalkulierbar dafür gesorgt hatten, dass Aristokraten, die nicht hinreichend mit finanziellen Mitteln ausgestattet waren, in für sie bereitgehaltene Positionen trotzdem ein Auskommen fanden. Die in Kraft getretene Weimarer Reichsverfassung sorgte schließlich endgültig dafür, dass die Vorrechte und Titel des Adels abgeschafft wurden. Juristisch gesehen war damit der deutsche Adelsstand aufgelöst.
Streng genommen war mit der Weimarer Verfassung der Adel als solches aber nicht abgeschafft, sondern es waren nur seine jahrhundertelang eingeräumten öffentlich-rechtlichen Privilegien getilgt worden. So waren die vormals Adligen und ihre Nachkommen plötzlich zu gewöhnlichen bürgerliche Menschen geworden - wie alle anderen auch. Allerdings durften die Mitglieder der Adelsfamilien das Vorrecht behalten, den alten Titel nunmehr als Bestandteil ihres Namens und auch das „von“ weiter führen zu dürfen.
Neben den Offizierslaufbahnen waren Adelige in den vorangegangenen Jahrhunderten oftmals in der Verwaltung und im Justizdienst zu finden gewesen, so wie auch der Vater Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg und sein Sohn Franz Viktor Freiherr Baselli von Süßenberg, dessen Leben Thema dieser Studie werden soll. Eine Mehrzahl des Adels hatte prinzipiell ein Jurastudium absolviert, dies aber oft nicht zum Beruf gemacht, sondern sich lediglich in einigen Semestern nützliche rechtliche Kenntnisse angeeignet. In dem Pinneberger Zweig der Freiherren Baselli von Süßenberg hingegen war das anders: Vater und Sohn von Baselli wurden beide Juristen als Profession, bevor sie sich zunehmend mehr auf ihre politischen Karrieren konzentrierten.
Nachdem nun die alte Ständeordnung der Aristokratie weggebrochen war, brauchte man in den unbedeutenderen Adelshäusern, zu denen auch die Freiherren gehörten, dringend neue Fürsprecher, die man suchte und schließlich auch zu finden hoffte: Auf Grund der vielfach in den adeligen Familien ohnehin vorhandenen konservativen Grundeinstellungen, fühlte sich so mancher Aristokrat von den Nationalsozialisten und ihrer propagierten Weltanschauung angezogen. Wurde doch bei den „Nazis“ nicht nur von der agrarpolitischen Ideologie „Blut und Boden“ und von der „Anbindung an die Scholle“ gesprochen, sondern man war hier auch der Meinung, dass Frauen am ehesten an den Herd und in die Kinderbetreuung gehörten. Diese Einstellung kam den traditionellen Vorstellungen des Adels sehr entgegen. Die Begriffe „Nation“ und „Vaterland“, „Treue“ und „Ehre“ wurden von den Nationalsozialisten ähnlich hochgehalten, wie in der überlieferten Auffassung des Adels - weshalb man glaubte, sich in vielerlei Hinsicht annähern zu können. Viele um ihre finanzielle Lage besorgten Adelige traten von daher sogar noch vor 1933 der NSDAP bei.
In den großen Adelshäusern hingegen hielt man mehr auf Manieren, was diese zu den Nationalsozialisten zunächst eher auf Abstand brachten. Hitler, seine SA und die SS hatten weniger gutes Benehmen, sondern traten eher durch Gewalt und rüpelhaftem Verhalten in den Vordergrund. Doch da auch der Adel in der Mehrheit nichts von Kommunisten, Sozialisten, Juden und dem einfachen Bürgertum hielt, fand schließlich doch eine Annäherung zwischen beiden Seiten statt. Die Vorstellung der Nationalsozialisten vom „Untermenschen“, die diese in Juden, Polen und Russen sahen, nahmen der Adel womöglich billigend in Kauf - solange dem Deutsche Reich der Sieg sicher war! Es gab zunehmend mehr Angehörige der preußischen Hocharistokratie, die sich dem Hitler-Regime andienten - auch wenn die betreffenden Nachfahren verständlicherweise heute davon nichts mehr hören wollen.
Bei der Aristokratie in Verbindung mit dem Nationalsozialismus denken heute einige immer noch an das misslungene Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944, an dem auch einige adelige Offiziere beteiligt waren, die in der Folge des Attentats grausam hingerichtet wurden. Dabei ist zunehmend aus dem Blickfeld geraten, dass die meisten der am Attentat beteiligten adeligen Offiziere von Haus aus weder eine republikanische und erst recht keine demokratische Einstellung hatten. Man muss vielmehr annehmen, dass sie weiterhin davon überzeugt waren, durch ihr Geburtsrecht zu einer Elite zu gehören und zum Führen und Herrschen weiterhin bestimmt zu sein. Es ist deshalb mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie sich nach einem erfolgreich verlaufenen Attentat der Vorstellung hingegeben hätten, in der nach Hitlers Tod neu zu errichtenden Ständegesellschaft als Aristokraten wieder die Oberhand zu gewinnen.
Franz Viktor Carl Freiherr Baselli von Süßenberg (* 12. Juni 1896, † 19. November 19452) wurde als zweitältester Sohn des Justizrats, Amtsrichters, Rechtsanwalts und Notars Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg und dessen aus St. Petersburg stammenden Ehefrau Caroline (Lina) Maria geborene Steiner (1855–1925) in wohlgeordnete Verhältnisse in Pinneberg in der Metropolregion von Hamburg geboren, wo sein Vater eine Kanzlei betrieb. Franz Viktor von Baselli, so die häufig gebräuchliche Kurzform des Namens mit Adelstitel, wurde knapp zwei Monate darauf, am 9. August 1896, traditionell in der St. Laurentius- Kirche in Süsel/Ostholstein getauft, da der Stammhof der Familie Baselli von Süßenberg als Geburtsort des Vaters nur unweit auf dem nahegelegenen Hof Stawedder bei Haffkrug am alten Reiseweg von Lübeck nach Neustadt lag. Das große Wohnhaus derer von Baselli auf Stawedder war hier erst Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut worden.3 Der Hof der Familie war ehemals aus einigen Erbpachtstellen entstanden, welche von dem ehemaligen Hof Altona im Gute Oevelgönne abgetrennt worden waren. Früher war auf diesem Hof eine Seidenraupenzucht betrieben worden.
Franz Viktors älterer Bruder, Rolf Freiherr Baselli von Süßenberg, war bereits zwei Jahre vorher,1894, ebenfalls in der Stadt Pinneberg geboren worden. Er wanderte allerdings früh nach Amerika aus, wo sich seine Spur schnell verliert. Rolf Freiherr von Baselli heiratete seine erste Frau Anna Elise (Anneliese) geb. Hemmel, die wie er aus Pinneberg stammte, 1925 in Santa Marta/Kolumbien, so viel ist bekannt. 1940 verehelichte er sich in New York ein zweits Mal, und zwar mit Berta Veronika (Atta) geb. Spielter (1896–1972). Rolf Freiherr von Baselli starb am 29. April 1981 in Speyer in der Pfalz.4
Auch Franz von Baselli selbst heiratete wie sein Bruder im Jahr 1925, und zwar Olga geborene Braasch, eine Tochter des Hofpächters Christian Braasch vom Meierhof Ottenhof und seiner früh verstorbenen Frau Adele Charlotte Elisabet geb. Mosle (1869–1903) vom nahegelegenen Gut Salzau. Aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor: Enzio Freiherr Baselli v. Süßenberg, der von 1974 bis zu seinem Tod 2002 deutsche Honorarkonsul von Faro in der Algarve in Portugal war und Malte Freiherr Baselli v. Süßenberg, welcher schon 18-jährig als Grenadier der Wehrmacht in Polen starb.
Die Großeltern der Brüder Rolf und Franz Viktor Baselli von Süßenberg väterlicherseits waren der Hauptmann a. D. Johann Nepomuk Freiherr Baselli von Süßenberg (1817–1892), der Herr auf Stawedder, aus der jüngeren Linie des Adelsgeschlechts und seine Frau Wilhelmine Gertrude von Stresow (1833–1919), Tochter des Kaufmanns und Konsuls in Riga/Lettland Conrad Friedrich Stresow.5 Johann Nepomuk von Baselli stammte laut einiger Quellenangaben ursprünglich aus Gradiška, Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina.6
Abb. 3: Wappen Baselli, Freiherren von Süßenberg (hier Sassenberg), aus: Graf von Meraviglia-Crivelli, Rudolf Johann, „Der Böhmische Adel“, 1885
Die Vorfahren derer von Baselli (früher auch Basilii, Basegio oder Basci genannt) gehörten schon seit dem 27. August 1647 dem katholischen Palatinatsadel7 an. Seit dem 22. Februar 1702 trug die Familie als künftiges Rittergeschlecht zusätzlich das Prädikat „von Süßenberg“. Die Erhebung in der Erbländisch-österreichischen Freiherrenstand war am 11. Februar 1765 in Wien erfolgt.8 Das Wappen der Familie ist geviertelt. In der Mitte befindet sich ein kleineres Herzschild mit zwei untereinanderliegenden Kronen. Die obere Krone wird von einem, die unterer Krone von zwei fliegenden Vögeln gehalten. Im Rückschild weist das erste Geviert einen gekreuzigten Adler mit Krone, das zweite drei übereinander angeordnete Knochen, das dritte einen bekleideten Arm mit einem Schwert und einer Schreibfeder in der Hand haltend und das vierte einen bekrönten Löwen auf. Die drei Helme darüber wiederholen den Adler links, den Arm in der Mitte und den Löwen rechts, steigend.
Carl(o) von Baselli war seit 1913 Ehrenritter des Johanniterordens. Der Johanniterorden als Institution war durch seine enge Bindung an die evangelische Kirche sowie durch die weit verbreitete Mitgliedschaft des Adels später den Nationalsozialisten zuwider. Da aber zahlreiche Offiziere der Wehrmacht und auch andere einflussreiche Persönlichkeiten Mitglieder des Ordens waren, gingen die Nationalsozialisten erst nach der Machtergreifung 1933 offen gegen die Johanniter vor. Über einen Austritt Carl(o) von Basellis aus dem Johanniterorden nach 1933 ist nichts bekannt.
Die Familie von Baselli galt schon früh als deutsch-völkisch orientiert. So wie der Sohn Franz Viktor später war auch bereits der Vater vor dem Ersten Weltkrieg in Pinneberg kommunalpolitisch engagiert gewesen. Bis zum Oktober 1919 war in Pinneberg ein mit Bürgerlichen besetzter Magistrat noch aus vorrepublikanischer Zeit im Amt. Ihm gehörte auch der Beigeordnete Carl(o) von Baselli aus der Bahnhofstraße 35 in Pinneberg an.9 Er saß hier als Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) im Stadtrat und amtierte zudem in seiner aktiven Zeit vorrübergehend auch als stellvertretender Bürgermeister, Stellvertretender in der Polizeiverwaltung und als stellvertretender Standesbeamter. Außerdem war er im damaligen 6. schleswig-holsteinischen Reichstagswahlkreis Pinneberg/Segeberg von 1895 Mitglied des antisemitischen „Deutsch-Sozialen Vereins.“ Sein Name steht in der Mitgliederliste dieses Vereins an erster Stelle. 10 Auch der Vorsitz in dem „Verein zur Rettung von Schiffbrüchigen“ wird 1893 unter seinem Namen erwähnt.
Am 23. Januar 1929 war die alljährliche Reichsgründungsfeier in Pinneberg von der DNVP unter Baron Carl(o) von Baselli im Gasthof „Zur Eiche“ organisiert worden. Zu den Feierlichkeiten waren alle Freunde des Bürgerblocks eingeladen: die „Deutsche Volkspartei“, der „Kriegerverein“, der „Stahlhelm“, der „Königin- Luise-Bund“, der „Vaterländische Frauenverein“, der „Handwerkerbund“ und andere. Auch Sohn Franz von Baselli war an der Durchführung dieser Veranstaltung mit beteiligt. Die Reichsgründungsfeier wurde naturgemäß zunächst mit zackigen Märschen eröffnet und auch zwischendurch gab es immer wieder Musik von der „Ramckeschen Kapelle“ aus Pinneberg. Dazu wurden Klaviervorträge, Rezitationen und auch unterschiedliche Gesangseinlagen dargeboten. Vater und Sohn von Baselli gaben anlässlich der Reichsgründungsfeier Vorträge auf dem Klavier und auf der Geige zum Besten.
Als Hauptredner an diesem Abend fungierte der Vorsitzende des Schleswig-Holsteinischen Land- und Bauernbundes Alexander Graf Kielmansegg (1889–1956) vom Gut Seestermühe bei Elmshorn, der ab 1933 stellvertretendes Mitglied im preußischen Staatsrats wurde. Kielmannsegg erinnerte in seiner Ansprache mit dem Titel „Die Reichsgründung von 1871 im Lichte der heutigen Zeit“ an die glorreiche Kaiserkrönung in Versailles und an den ungeheuren Aufschwung Deutschlands nach 1870. Er betonte dabei „…, dass dieser Aufschwung mit Schuld an Deutschlands Niederbruch gewesen ist, indem das deutsche Heldenvolk zum Krämervolk wurde...“ Die Revolution vom 9. November 1918 und die zehn Nachkriegsjahre wurden von ihm bei diesem Vortrag einer deutlichen Kritik unterzogen. Graf Kielmansegg führte weiterhin aus, dass es so nicht weitergehen könne, „…, dass ein drittes Deutsches Reich kommen müsse und werde, oder es werde kein Deutschland mehr geben.”11
1 Zum Werdegang Franz von Baselli siehe grundsätzlich: Bundesarchiv Berlin Document Center, R 3001/50859 und Personalakte II. (Signatur: 9-423, Alte Signatur: IV.1. 15), Bürgermeister Franz v. Baselli 1934 – 1937 im Gemeinschaftsarchiv des Kreises Schleswig-Flensburg und der Stadt Schleswig
2 Nach anderen Angaben starb er bereits am 11. November 1945
3 Gothaisches genealogisches Taschenbuch der freiherrlichen Häuser, 91. Jahrgang, Gotha, 1941, S. 18
4 Schiffspassagen von Deutschland nach Amerika sind für Rolf von Baselli in amerikanischen Passagierlisten für die Jahre 1933, 1937, 1939 und 1955 nachgewiesen. Von Basellis Totenschein wurde in New York ausgestellt.
5 Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg hatte noch fünf Geschwister, die wie er alle auf dem Hof Stawedder geboren wurden: (*1854) Wilhelm Franz Freiherr Baselli von Süßenberg, (*1855) Franziska Freiin Baselli von Süßenberg, (*1857) Emma Elisabeth Theodora Emilie Freiin Baselli von Süßenberg, (*1862) Gertrud Johanna Freiin Baselli von Süßenberg und (*1878) Nepomukcena (Zeni) Freiin Baselli von Süßenberg
6 Nach anderen Angaben kam er aus Gradišće in Ungarn.
7 Die Verleihung eines Adelstitels, der nicht vom Kaiser persönlich, sondern stellvertretend von fürstlichen Familien oder Einzelpersonen vorgenommen wurden, die mit diesem Recht ausgestattet waren.
8 Österreichisches Staatsarchiv, Adelsarchiv, Erbländischer Freiherrenstand, „Wohlgeboren“, Signatur: AT-OeStA/AVA Adel RAA 19.4, Sammelakte: Unter anderen Baselli von Süßenberg. Zur Familiengeschichte der Familie Baselli von Süßenberg siehe auch: Ahnentafel Schleswiger Bürger, herausgegeben von der AG Schleswiger Sippenforscher 1959, Band 4, darin Angaben zur Familie von Baselli (Signatur: P1-42)
9 Carl(o) von Basellis Büro lag in Pinneberg in der Straße Dingstätte 30. 1893 wohnten die Familie in der Rübekampstraße in Pinneberg.
10 Seifert, Johannes: Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus, Norderstedt 2000, S. 66. Siehe auch: IZRG, Kreisleiterdatei: Material Letje. (LAS), Sowie: Mitgliederliste und Satzung des „Deutsch-Sozialen Vereins.“ im StA. Pinneberg Zum deutsch-völkischen Milieu in Pinneberg um 1900: Pinneberger Tageblatt vom 9. August 1938, Stahmers Hotel als Ort der Verbreitung des Antisemitismus um 1900, Todesartikel zu Carl(o) v. Baselli mit Hinweisen auf das deutschvölkische Milieu: Pinneberger Tageblatt vom 17. Januar 1939
11 Seifert, Johannes: Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus, Norderstedt 2000, S. 14. Siehe auch: Pinneberger Tageblatt vom 24. Januar 1929
Glaubt man unbestätigten privaten Informationen, so war Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1925 im Alter als „Freund und Partner“ später mit der Lehrerin Anne Jessen verbunden und lebte über mehrere Jahre zeitweise mit ihr in ihrem bereits 1731 erbauten Elternhaus im Fahltskamp 2 in Pinneberg. Dieses bewohnte die unverheiratet gebliebene Lehrerin an der gehobenen Mädchenschule in der Lindenstraße in Pinneberg mit ihrer Schwester Ottilie („Tile“) Franck geborene Jessen (1882–1965) und auch kurzzeitig mit ihrem Bruder, dem Geheimen Sanitätsrat und praktischen Arzt Dr. Willers Jessen (1876–1957). Dr. Willers Jessen war aber schon 1917 als Arzt nach Celle gegangen. Hier schrieb er im September 1933 in der Celleschen Zeitung einen Artikel über Erblehre, in dem er zur Ausrottung „rassisch Minderwertiger“ und zur Unterstützung des Nationalsozialismus aufrief. Einige Fotos und Briefe Carl(o) Maria von Basellis an Anne Jessen befinden sich im Besitz der Familie Franck.
Anne Jessens Schwester Ottilie Franck war in Pinneberg so etwas wie eine Berühmtheit und spielte eine denkwürdige Rolle in der kleinen Stadt, war sie als Mitglied der Bürgerlichen Partei von 1919 bis 1924 doch die erste gewählte Frau im Pinneberger Stadtparlament. Als alleinerziehende Witwe des schon 1914 verstorbenen Korvettenkapitäns Georg-Wilhelm Franck und als Mutter dreier Kinder hatte sie den Vaterländischen Frauenverein von 1934 bis 1936 geleitet. Aufgabe dieses Vereins war es, Hilfe in Notlagen wie Krieg und Katastrophen zu leisten. Außerdem übernahmen Mitglieder des Vereins in der Stadt die Gemeindekranken-, Säuglings- und Wöchnerinnenpflege. In der NS-Zeit hatte der Vaterländische Frauenverein dem Ottilie Franck vorstand, jedoch schon früh seine Funktion gegenüber der Nationalsozialistischen Volksfürsorge (NSV) verloren. Wichtig war nur noch der Bereitschaftsdienst des Vereins, dessen militärische Verpflichtungen die NSDAP nach der Umorganisation immer mehr betonte. 1938 ging das Deutsche Rote Kreuz in Pinneberg aus diesem Verein hervor. Auch hier übernahm Ottilie Franck wieder die Leitung des DRK-Ortsvereins bis 1949. Über die politische Ausrichtung der Schwester Anne Jessen liegen keine Informationen vor. Auch nähere Angaben zu ihrer Verbindung zu Carl(o) Maria Freiherr Baselli von Süßenberg und seinem Sohn Franz Viktor können nicht gemacht werden.