Adenauers Auge - Edgar Franzmann - E-Book
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Adenauers Auge E-Book

Edgar Franzmann

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Beschreibung

Das Leben der Kanzlerin steht auf dem Spiel: Der packende Regiokrimi »Adenauers Auge« von Edgar Franzmann jetzt als eBook bei dotbooks. Sechzig Jahre nach Konrad Adenauer ist wieder eine Kölnerin im Kanzleramt! Journalist Georg Rubin verfolgt ihren ersten Heimatbesuch am Flughafen mit – da fällt plötzlich ein Schuss in die Stille. Ingo Dahms, Wirtschaftsexperte und Studienfreund der Kanzlerin, bricht tot zusammen. Panik rollt über die Menge, Sicherheitsleute durchkämmen jeden Winkel des Gebiets – der Schütze jedoch ist wie vom Erdboden verschluckt. Umso entschlossener ist Georg Rubin jetzt, den Mörder zu finden. Dabei führen ihn die Spuren in allerhöchste Kreise und schon bald sieht er sich finsteren Drohungen von einem mysteriösen Absender ausgesetzt: Aber wer oder was genau steckt hinter der rätselhaften Vereinigung »Adenauers Auge« – und ist auch Rubins Leben in Gefahr? »Ein spannender und höchst unterhaltsamer Krimi.« Westdeutsche Zeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Politkrimi »Adenauers Auge« von Edgar Franzmann ist der zweite Band seiner Reihe um den Journalisten Georg Rubin. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 378

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Über dieses Buch:

Sechzig Jahre nach Konrad Adenauer ist wieder eine Kölnerin im Kanzleramt! Journalist Georg Rubin verfolgt ihren ersten Heimatbesuch am Flughafen mit – da fällt plötzlich ein Schuss in die Stille. Ingo Dahms, Wirtschaftsexperte und Studienfreund der Kanzlerin, bricht tot zusammen. Panik rollt über die Menge, Sicherheitsleute durchkämmen jeden Winkel des Gebiets – der Schütze jedoch ist wie vom Erdboden verschluckt. Umso entschlossener ist Georg Rubin jetzt, den Mörder zu finden. Dabei führen ihn die Spuren in allerhöchste Kreise und schon bald sieht er sich finsteren Drohungen von einem mysteriösen Absender ausgesetzt: Aber wer oder was genau steckt hinter der rätselhaften Vereinigung »Adenauers Auge« – und ist auch Rubins Leben in Gefahr?

»Ein spannender und höchst unterhaltsamer Krimi.« Westdeutsche Zeitung

Über den Autor:

Edgar Franzmann, 1948 in Krefeld geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln. Er war Redakteur der Zeitung EXPRESS, Leiter der Online-Angebote von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau sowie Chefredakteur des Web-Portals koeln.de. Franzmann ist Mitglied des Syndikats, des Vereins deutschsprachiger Krimiautoren, von April 2012 bis Mai 2014 war er dessen geschäftsführender Sprecher.

Edgar Franzmann veröffentlichte bei dotbooks bereits die Kriminalromane um den Journalisten und Ermittler Georg Rubin mit den Bänden »Der Richter-Code«, »Adenauers Auge«, »Die französische Agentin« und »Das Molotow-Komplott« sowie das Prequel zur Rubin-Reihe »Millionenallee«.

Die Website des Autors: https://www.franzmann.de

Der Autor bei Facebook: https://www.facebook.com/efranzmann

Der Autor auf Instagram: https://www.instagram.com/edgarf/

Der Autor bei Twitter: https://twitter.com/edgarf

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe März 2024

Copyright © der Originalausgabe2012 Emons Verlag GmbH

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Woody Alec

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-072-1

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Edgar Franzmann

Adenauers Auge

Kriminalroman – Georg Rubin ermittelt 2

dotbooks.

Widmung

Für Oliver

Dienstag

Kapitel 1

Der Mann in flecktarn-oliv nahm die Position ins Visier, an der die Kanzlerin stehen sollte. Der Laser signalisierte eine Entfernung von neunhundertdreizehn Metern. Der Weltrekord im Präzisionstöten stand bei zweitausendvierhundertfünfundsiebzig Metern. Irgendwann wollte er diesen Weltrekord brechen. Heute kam es darauf an, nur einen einzigen Schuss abzufeuern und zu treffen.

Sein Scharfschützengewehr G 22 benötigte Patronen vom Kaliber .300 Winchester Magnum, umgerechnet 7,62 × 66,5 Millimeter. Die Iris eines menschlichen Auges maß im Durchmesser etwa elf Millimeter. Er würde ins Auge zielen.

In Gedanken spielte er den Schuss durch. Er legte an, er drückte ab, er verfolgte den Flug des Projektils, er sah den Einschlag im linken Auge der Zielperson, er sah, wie sich der Kopf verformte und zersplitterte. Er betrachtete das Geschehen kühl wie ein Forscher sein Rattenexperiment.

Als Junge hatte Marcel Ponk sich seine Ziele selbst gesucht. Die Katze des Nachbarn. Die Euter der Kühe auf der Weide. Die Fliege auf dem Apfelkuchen beim Gartenfest seiner Tante, ein Treffer, der ihm drei Tage Hausarrest eingebracht hatte.

Heute bekam er Befehle, wann und wo und auf wen er schießen sollte. Er führte aus. Töten war sein Beruf. Das hatte man ihm vor seinem Einsatz in Afghanistan beigebracht.

Einmal hatte er es tun müssen. In Kunduz, nicht weit vom deutschen Lager entfernt. Sie waren angegriffen worden. Die Angreifer waren Kinder gewesen. Bewaffnete Kinder. Schwer bewaffnet.

Ein Junge, vielleicht zwölf, dreizehn Jahre alt, schoss auf ihn. Er schoss nicht zurück, nicht sofort, erst nachdem er selbst in die Schulter getroffen worden war.

Der Junge war nur noch zwanzig Meter weit weg. Es war Notwehr. Der Körper des Jungen fiel auf den sandigen Boden und ließ eine kleine Staubwolke aufsteigen. Er hatte gewartet, ob er einen Schmerzensschrei hören würde. Er hörte nichts. Es war ein lautloser Tod gewesen. Ein lautloser Tod, der sich seitdem jede Nacht und jeden Tag wiederholte. Er hatte sich nichts vorzuwerfen.

Die Sonne schien über dem militärischen Teil des Flughafens Köln/Bonn. Ein schöner Tag. Klare Sicht. Lauer Wind. Gute Arbeitsbedingungen. Er durfte sich keinen Fehler erlauben.

Die Kanzlerin würde drei in Afghanistan getöteten Kameraden die letzte Ehre erweisen. Sie waren mit ihrer Patrouille im Distrikt Char Darah unterwegs gewesen, südwestlich von Kunduz, auf der Suche nach Sprengstoff-Hinterhalten. Plötzlich waren Schüsse gefallen. Es waren keine Taliban, die angegriffen hatten, es war ein Mann in der Uniform der afghanischen Armee gewesen. Friendly Fire. Drei Tote, sieben Verletzte. Höchste Zeit, dass wir unsere Soldaten aus diesem elenden Krieg zurückholen, lebendig, nicht tot.

Er visierte das Ziel noch einmal an. Neunhundertdreizehn Meter. Riskant, aber machbar. Es gab kein besseres Versteck als auf dem Kasernengelände neben dem Flughafen. Niemand würde ihn hier finden.

Noch eine Stunde und siebenundvierzig Minuten, genug Zeit, das Terrain zu erkunden. Dann würde Nummer eins sich melden.

Kapitel 2

»Wir sind Kanzlerin« stand in riesigen Lettern auf Seite eins des BLITZ. Chefreporter Georg Rubin hatte sich die Schlagzeile ausgedacht, Chefredakteur Wolfgang Stein hatte sich darüber empört und sie lautstark abgelehnt. Dabei war das Ganze nur ein Witz gewesen, schließlich wusste jeder, dass seit »Wir sind Papst« nichts mehr ging.

Georg hatte das Blatt trotzdem ausgedruckt und an die Wand hinter seinem Schreibtisch gepinnt. Er genoss es jedes Mal, wenn Stein sich darüber ärgerte. So wie jetzt, als er mit rotem Kopf forderte: »Häng das endlich ab!«

Georg reagierte nicht.

»In drei Minuten in meinem Büro«, sagte Stein, zog die Schultern hoch und versteckte seinen Kopf darin, was ihn trotz seiner zwei Meter klein und unsicher erscheinen ließ.

Irgendwie tat er Georg leid, obwohl er wusste, dass sie in diesem Leben keine Freunde mehr werden würden. Das war entschieden, seitdem Stein ihn während der Story um den Richter-Code fristlos entlassen wollte und damit nicht durchgekommen war.

Georg nahm die Seite mit der Kanzlerin von der Wand, faltete sie und steckte sie in seinen Laptop-Rucksack. »Wir sind Kanzlerin«, so schlecht war die Zeile gar nicht. Ausgerechnet eine Kölnerin, Barbara Jung, war Deutschlands wichtigste Politikerin geworden. Und der BLITZ war ihre Heimatzeitung. Damit musste sich doch punkten lassen.

Fünfzig Jahre nach dem Rücktritt Konrad Adenauers wurde im Kanzleramt wieder Kölsch gesprochen. Die Kabarettisten machten sich über Barbara Jungs Dialekt lustig, doch der hatte Adenauer nicht geschadet, und er würde auch ihr nicht schaden. Es war ja nicht so, als ob sie kein Hochdeutsch könnte, aber sie sprach mit diesem Singsang, der sie als Rheinländerin des ripuarischen Sprachraums auszeichnete. Wenn die Leute keine anderen Probleme hatten.

Ihre Vorgängerin, von den Parteifreunden »Mutti« genannt, war zurückgetreten, ohne einen Nachfolger aufgebaut zu haben. Ein hoffnungsvoller oberfränkischer Freiherr hatte sich mit seiner Doktorarbeit abgeschrieben. Die lächelnde Ministerin mit den sieben Kindern war von Parteifreunden ausgebremst worden: Nicht wieder jemand aus Hannover! Einstige Ministerpräsidenten und Hoffnungsträger, die den Kanzlerstab im Tornister wähnten, hatte die Alt-Kanzlerin in hohe Staats- und Justizämter wegbefördert, in die Wirtschaft ziehen lassen oder kühl aufs Altenteil entsorgt.

Blieben Otto Starck, der Innenminister, und Lothar Wassermann, der Verteidigungsminister, denen man das Kanzleramt zugetraut hätte. Stattdessen übernahm die erst neunundvierzigjährige Barbara Jung aus Köln.

Die Frau war nicht nur klug, sondern sah auch noch gut aus und kleidete sich elegant, was vielleicht ein Grund dafür gewesen war, dass sie nur ein kurzes Gastspiel im Kölner Stadtrat gegeben hatte und ins schickere Düsseldorf in den Landtag gewechselt war. Von dort schaffte sie den Sprung in den Bundestag nach Berlin, wurde Staatssekretärin und schließlich Gesundheitsministerin, als die FDP mal wieder ihre Spitzenkräfte auswechselte und darauf bestand, sich künftig um Umweltschutz statt um Krankenkassen zu kümmern. Barbara Jung, gelernte Ärztin, stieg ins Kabinett auf und machte auch dort eine gute Figur.

In der Partei kletterte sie auf jedem Parteitag ein Stückchen nach oben, seit drei Jahren war sie stellvertretende Parteivorsitzende. Eine Frau mit Aussichten auf weitere Karriere. Aber Kanzlerkandidatin und Kanzlerin? Georg kannte niemanden, der mit dieser Beförderung gerechnet hätte.

Als die Alt-Kanzlerin ihren überraschenden Rücktritt inszenierte, weil sie wegen der Euro-Krise keine eigene Mehrheit im Bundestag mehr hinter sich hatte, ein Misstrauensvotum bewusst verlor, gleichzeitig aber die Mehrheit für ihre Nachfolgerin Barbara Jung organisierte, rätselten die Talkshow-Experten über die wahren Hintergründe.

Georg war sicher, das Manöver durchschaut zu haben. Sofortige Neuwahlen, wie sie die Opposition gefordert hatte, hätte die Regierungskoalition wahrscheinlich verloren. Die Alt-Kanzlerin wollte nicht den gleichen taktischen Fehler wie einst Gerhard Schröder begehen, der über seine Agenda 2010 gestürzt war, ehe deren positive Folgen sichtbar werden konnten. Sie hielt sich stattdessen an Willy Brandt, der wegen eines Spionageskandals vorzeitig zurücktreten musste, es aber trotzdem geschafft hatte, Helmut Schmidt als Nachfolger im Bundestag zu installieren, sodass der mit dem Kanzler-Bonus in die nächste Wahl ziehen konnte und gewann.

Nur gab es diesmal keinen geborenen Nachfolger, und weil sich niemand der angeblich starken Männer an die Front traute, wurde die sympathische Kölnerin nach vorne geschickt.

Nicht die schlechteste Entscheidung, fand Georg, jedenfalls waren es spannende Zeiten. Und im Mittelpunkt stand eine Kölnerin. Etwas Besseres konnte es für den BLITZ nicht geben.

»Mehr Politik ins Blatt«, hatte Georg in der Konferenz gefordert, aber nur Hendrik Münch, der alte Politik-Chef, hatte ihn unterstützt. Ansonsten war er auf taube Ohren gestoßen. Politik interessiere nicht, schon gar nicht den BLITZ-Leser, hatte Chefredakteur Stein ihn abfahren lassen, »das geht mir und unseren Lesern am Gesäß vorbei«, waren seine Worte gewesen. Der große Rest der Kollegenschar hatte das für witzig gehalten und gelacht, was Georgs Wut nur noch vergrößert hatte.

Bekamen die Damen und Herren Kollegen überhaupt nicht mit, was in der Welt geschah? Stuttgart 21, die Revolutionen in den arabischen Staaten, Unruhen in Russland, Occupy Wall Street in New York und in der halben Welt, Bürgerbegehren in Köln und Duisburg.

Stein ließ das alles kalt, dabei war er früher selbst Politik-Redakteur des BLITZ gewesen. Noch heute schmückte er sein Büro mit Fotos wichtiger Politiker, die er getroffen und interviewt hatte: Stein mit Walter Scheel, Stein mit Helmut Kohl, er selbst natürlich immer der Größte.

In seiner Zeit als BLITZ-Chefredakteur war nur noch ein Foto hinzugekommen: Stein mit Christian Wulff, dem ehemaligen Schnäppchen-Präsidenten, aufgenommen in der Villa von Party-König Manfred Schmidt, ehemals Köln, heute Berlin.

»Setz dich«, sagte Stein, als Georg in das Büro des Chefredakteurs trat. Stein saß nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern in einem der Ledersessel, die zu der Sitzgruppe am Fenster gehörten. Hier wurde mit Geschäftspartnern verhandelt oder mit Kollegen etwas besprochen. Hier wurde jedenfalls nicht einfach angeordnet. Das Bild mit Christian Wulff hing nicht mehr an seinem Platz, stattdessen lächelten dort Stein und Heidi Klum.

»Kaffee?«, fragte Stein.

»Cappuccino«, sagte Georg.

Uschi, Steins Assistentin, hatte mitgehört und verzog keine Miene, als sie das Gewünschte servierte. »Danke«, sagte Georg, was Uschi bewusst überhörte. Stein bekam einen Espresso.

»Ich möchte nicht gestört werden, von niemandem«, sagte Stein.

Uschi schloss die Glastür zum Vorzimmer und ließ sie allein.

Stein nippte an seinem Espresso und beugte sich in Richtung Georg. »Wie geht es deiner kleinen Tochter?«

Was sollte diese Frage? Schönwetter machen? Ein bisschen Small Talk vor den Grausamkeiten? Georgs Gehirn rotierte, aber es gelang ihm, äußerlich ruhig zu erscheinen. »Rosa. So klein ist sie gar nicht mehr. Ist gerade zehn geworden. Kommt aufs Gymnasium. Warum fragst du?«

»Du siehst sie alle zwei Wochen?«

»Ja. An den Wochenenden. Von Freitag bis Sonntag. Sonst lebt sie bei ihrer Mutter.«

»Ist Rita wieder verheiratet?«

»Nein. Aber du bestellst mich bestimmt nicht vertraulich in dein Büro, nur um mit mir über meine Ex und meine Tochter zu reden. Also, was willst du?«

»Reg dich ab. Mich interessiert das. Ich will mir ein Bild machen, wie viel Zeit du in den nächsten Monaten hast. Wie steht es mit deinem Liebesleben?«

»Ich kann nicht klagen.«

»Und das heißt?«

»Dass ich nicht vorhabe, dir Auskunft zu geben.«

»Was ist mit Sandra?«

»Wir sind nicht mehr zusammen. Sie erlitt ein schweres Trauma nach dem Einsturz des Stadtarchivs. Vielleicht können wir etwas für sie tun, wenn sie wieder genesen ist.«

Stein leerte sein Espressotässchen und trank einen Schluck Wasser hinterher. »Du warst zuletzt ziemlich unzufrieden«, sagte er und sah Georg in die Augen.

Georg hielt dem Blick stand.

»Ich will dir ein Angebot machen«, sagte Stein.

»Du, ein Angebot, mir?«

»Ja. Ich will…«, Stein legte eine kleine Pause ein, »ich will, dass du mein Politik-Chef wirst.«

»Politik-Chef«, wiederholte Georg. »Ich dachte, Politik interessiert die Leser nicht.«

»Vielleicht liege ich falsch. Kennst du unsere Auflagenzahlen?«

»So ungefähr«, sagte Georg.

»Wir haben im letzten Quartal keine hundertachtzigtausend pro Tag verkauft.«

»Nur Köln?«

»Gesamtauflage. Köln, Düsseldorf, Bonn, sogar die Sonntagausgabe eingerechnet«, sagte Stein.

»Der BLITZ war mal bei vierhundertfünfzigtausend, oder?«, fragte Georg.

»Vergiss es, das war im letzten Jahrtausend. Ich wäre schon zufrieden, wenn wir den Trend nach unten stoppen könnten. Ich habe alles versucht. Alles. Mehr Service. Weniger Service. Mehr gute Nachrichten. Weniger gute Nachrichten. Mehr Klatsch. Weniger Klatsch. Mehr Meinung. Mehr Miezen, mehr Sport, mehr Fernsehen. Nichts hat geholfen. Auch nicht deine ach so tollen Chefreporter-Artikel. Wenn wir den Absturz nicht aufhalten, haben wir ausgeblitzt. Ein Donner noch, und Ende.«

Wenn dieses Ramschsammelsurium ein Konzept sein sollte, war es kein Wunder, dass es der Zeitung so schlecht ging, dachte Georg. Stein wusste einfach nicht, wie es ging. Man musste sich um die Menschen kümmern. Das lief nicht vom Schreibtisch aus, dazu musste man raus, mit den Leuten reden. Nicht immer nur die Pressemeldungen der Mächtigen drucken, sondern den Mächtigen auf den Pelz rücken. Nicht inszenierte Fernsehgeschichten nachplappern oder, der neueste Trend, verrückte Storys aus dem Internet abschreiben. Das würde auch noch die letzten Leser vergraulen und vor die Bildschirme treiben.

»Wie findest du mein Angebot?«, drängte Stein.

»Ich denke darüber nach«, sagte Georg.

»Denk schneller.«

»Warum die Eile? Lass mich raten. Es geht um deinen Kopf. Wie lange hast du noch? Drei Monate?«

»Sechs.«

»Und ich soll dich aus der Jauche holen.«

»Es geht auch um deinen Job«, sagte Stein. »Wenn wir keinen Erfolg haben, wird der BLITZ dichtgemacht.«

»Wer sagt das? Junior?«

»Junior hat nichts mehr zu sagen. Abserviert. Wird morgen offiziell.«

»Glaube ich nicht. Würde Senior nie zulassen.«

»Da täuschst du dich. Der Herr Professor und Ehrenbürger schreibt jetzt lieber Romane.«

»Und wer übernimmt den Verlegerjob?«

»Cousin Bernhard. Und für Junior tritt seine Schwester Britta ins Unternehmen ein.«

»Hat sie Ahnung von Zeitungen?«

»Spielt doch keine Rolle. Es ist unser Job, eine erfolgreiche Zeitung zu machen. Dafür werden wir bezahlt.«

»Wie viel mehr ist denn drin für den Politik-Chef?«

»Tausend pro Monat.«

»Ist mir zu wenig.«

»Was hast du denn für Vorstellungen?«

Gute Frage. Was wollte er eigentlich? Dass die Zeitung wieder wichtig genommen wurde. Dass man in Köln über sie sprach. Dass die Tagesschau und andere Zeitungen sie zitierten: ›Wie der BLITZ in seiner jüngsten Ausgabe berichtet …‹ Dass sich etwas änderte.

»Ich will Chefredakteur werden«, sagte Georg.

»Wie bitte?« Stein sah ihn fassungslos an. »Du willst … meinen Job?«

»Ja. Wenn wir das Blatt nach vorne bringen wollen, dann brauchen wir einen neuen Chefredakteur. Einen, der nicht nur irgendetwas machen will, sondern der es besser macht.«

Stein verschränkte die Hände im Nacken und schaute durch die Fenster des Glaspalastes in unbekannte Fernen. Draußen schien die Sonne, es war ein schöner Tag.

»Ich habe immer gewusst, dass du mich absägen willst«, sagte er schließlich. »Ich bin einverstanden.«

»Du bist was?«

»Einverstanden. Du kannst den Job haben. In sechs Monaten. Wenn wir den Trend gedreht haben, trete ich ab. Einen besseren Abgang kann ich mir gar nicht wünschen. Und wenn wir es nicht schaffen, ist es sowieso aus.«

Georg hatte erwartet, dass Stein auf seine Forderung hin einen Wutanfall bekäme, stattdessen blieb er fast locker und hielt ihm die rechte Hand entgegen, um ihn aus dem Sofa zu ziehen. »Handschlag drauf, lass es uns besiegeln.«

»Nicht so schnell«, sagte Georg. »Wo ist der Haken? Du kannst mir nicht erzählen, dass das so einfach ist. Was ist mit Münch, der ist seit dreißig Jahren Politik-Chef.«

»Münch geht in Vorruhestand, zu sehr fairen Konditionen.«

»Und der Verleger?«

»Erwartet, dass ich den Laden rette. Über dich haben wir auch gesprochen.«

Georg stand auf und sah zu Stein hoch, der sich zu voller Größe reckte, was Georg mit seinen eins achtundachtzig das Gefühl gab, von oben herab betrachtet zu werden. Ein unangenehmes Gefühl, aber so leicht ließ er sich nicht einschüchtern, nicht von Stein.

Tatsächlich drehte der Chefredakteur ab, ging zu seinem Schreibtisch, nahm eine rote Mappe in die Hand, blätterte in den Papieren, legte die Mappe wieder weg und fragte endlich: »Also, was ist mit meinem Jobangebot?«

»Ich brauche Bedenkzeit.«

»Wie lange?«

»Zwei Wochen. Bis Monatsende.«

»Maximal zehn Tage. Der Verlag muss die Personalie ja auch noch absegnen.«

Wo war die Falle? Politik-Chef war ihm zu wenig. Das ganze Blatt musste umgekrempelt werden. Mehr Politik ins Blatt hieß ja nicht, dass es nur noch Politik geben sollte.

Stein griff nach dem Telefon: »Uschi, steht der Champagner kalt?«

»Champagner, wozu das denn?«, fragte Georg.

»Du hast nicht Nein gesagt.«

»Für mich nicht. Ich habe zu arbeiten.«

»Was hast du vor?«

»Ich fahre zum Flughafen. Erster Heimatbesuch der Kanzlerin.«

»Ich dachte, alle öffentlichen Termine sind abgesagt.«

»Sind sie auch. Aber nach der Trauerfeier gibt es ein Treffen im kleinen Kreis. Das will ich mir nicht entgehen lassen.«

»Du kannst da einfach so hin?«

»Nein, so einfach nicht. Ich bin akkreditiert. Ich kenne den stellvertretenden Regierungssprecher.«

Als Uschi mit dem Champagnertablett kam, drückte er ihr das für ihn bestimmte Glas in die Hand. »Prost. Diesen Kelch lasse ich an mir vorübergehen.«

Kapitel 3

Ponk verließ sein Versteck und näherte sich dem kleinen Abfertigungsgebäude der Flugbereitschaft BMVg. Flecktarn-oliv war der Feldanzug der Soldaten, die wie er in Deutschland blieben; die Kameraden, die auf ihren Abflug nach Afghanistan warteten, bevorzugten die hellere Variante flecktarn-sand.

Zweimal wöchentlich, dienstags und freitags, flogen Maschinen Richtung Hindukusch. Tatsächlich führte die Reise nicht direkt nach Afghanistan, sondern nach Termez in Usbekistan, einem strategischen Luftwaffenstützpunkt. Bis Termez flogen die Soldaten in einem umgebauten Airbus A310, nach einer Übernachtung ging es weiter in einer Transall nach Masar-e Scharif oder Kabul.

Köln/Bonn war der Drehpunkt für die Truppentransporte. Die meisten Versorgungsflüge liefen dagegen über den Fliegerhorst Trollenhagen in Mecklenburg-Vorpommern. Da die Bundeswehr selbst keine geeigneten Großflugzeuge besaß, musste Russland, ausgerechnet Russland, mit Iljuschins und Antonows aushelfen, die vom deutschen Militär angemietet werden konnten.

Als Ponk im Afghanistan-Einsatz gewesen war, hatte ein Hubschrauber seinen Geist aufgegeben, nein, nicht abgeschossen, sondern einfach altersschwach am Boden verreckt. Ersatz aus Deutschland war angefordert worden und sollte kurzfristig geliefert werden. In eine Iljuschin konnte man mit dem Helikopter praktisch hinein- und hinausfliegen. Aber diesmal gab es keine russische Maschine, sondern nur die viel zu kleine Bundeswehr-Transall. Der Hubschrauber musste in Köln/Bonn auseinandergenommen und in Afghanistan wieder zusammengebaut werden. Was für ein Irrsinn.

Ponk und seine Kameraden hatten sich wie die Sparschweine der Nation gefühlt. Die Stimmung in der Truppe war mies, und sie wurde noch mieser, vor allem wegen der überhasteten Abschaffung der Wehrpflicht und des damit verbundenen Umbaus der Bundeswehr. Auch in Köln sollten zweitausendzweihundert Dienstposten aufgelöst werden.

Ponk betrat das moderne Gebäude aus Glas, Beton und Stahl. Versorgungsrohre waren zu einer gigantischen Raumskulptur verknotet, große exotische Grünpflanzen vermittelten so etwas wie Urlaubsstimmung.

Er erinnerte sich an den Tag, an dem er zu seinem Einsatz nach Afghanistan abfliegen sollte. In der Cafeteria hatte er sich eine letzte Mahlzeit auf deutschem Boden gegönnt, Leberkäse mit Spiegelei für einen Euro vierzig, dazu eine Portion Pommes frites für siebzig Cent. Das Schweineschnitzel hätte zwei Euro fünf gekostet, eine Bockwurst mit Brötchen einen Euro fünf.

Die Kontrolle lief wie auf jedem zivilen Flughafen; die in den Krieg ausrückenden Soldaten wurden in Köln/Bonn behandelt wie ganz normale Flugpassagiere. Nur Handgepäck, keine Waffen erlaubt, auch keine Messer, es sei denn, sie waren angemeldet und genehmigt. In zwei Reihen wurden die Soldaten abgefertigt, daneben gab es einen schmalen Durchgang, der für Unbefugte gesperrt war und von bewaffneten Soldaten bewacht wurde.

Wegen der Trauerfeier waren die Sicherheitsmaßnahmen heute verschärft worden. Ponk marschierte durch einen Bereich vor der Cafeteria, der für die Medien abgetrennt war. Überall wuselten Kameramänner, Kabelträger und Fotografen umher.

Daneben war eine Art VIP-Lounge für Ehrengäste eingerichtet worden. Ponk erkannte den Kölner Oberbürgermeister und einige weitere Lokalgrößen. In einer Ecke standen der Verteidigungsminister und der Innenminister und schienen sich Witze zu erzählen.

Ponks Handy vibrierte. »Sind Sie wahnsinnig? Was machen Sie in der Abflughalle?«, brüllte Nummer eins mit seiner hohen Stimme.

»Woher wissen Sie, wo ich bin?«

»Ich weiß alles. Ich sehe alles. Und ich sehe vor allem, dass Sie durch die Menschenmassen stolzieren, damit auch jeder Sie zu Gesicht bekommt. Ponk, das ist ein Geheimauftrag!«

»Aber …«

»Kein Aber. Oder wissen Sie es?«

»Was?«

»Dass die Kanzlerin zu spät kommt. Mal wieder. Die kommt noch zu ihrer eigenen Beerdigung zu spät.«

»Nein.«

»Was, nein?«

»Habe ich nicht gewusst. Ich warte auf Anweisungen.«

»Angeblich eine Panne der Kanzler-Maschine. Neuer Termin: vierzehn Uhr. Ich erwarte, dass Sie eine halbe Stunde vorher auf Posten sind. Unsichtbar.«

»Zu Befehl«, sagte Ponk, was Nummer eins nicht mehr hörte. Nummer eins hatte das Sagen, aber Ahnung hatte er nicht. Es konnte nur gut sein, wenn sich viele daran erinnerten, Ponk im Abfertigungsgebäude gesehen zu haben. Ein perfektes Alibi.

Ponk beobachtete die Arbeiten auf dem Flugfeld, wo die Ankunft der Flugzeuge aus Afghanistan und aus Berlin vorbereitet wurde. Links vom Abfertigungsgebäude waren Mikrofone aufgebaut. Dort würde die Kanzlerin ihre Ansprache halten.

In der Ferne sah Ponk das weiße Gebäude mit dem grauen Dach und das Fenster, aus dem heraus er schießen würde. Neunhundertdreizehn Meter. Riskant, aber machbar.

Kapitel 4

Georg lenkte sein Mini Cabrio in Richtung Porz-Wahn. Links von der Alten Flughafenstraße erstreckte sich eine Kaserne, rechts führte eine Zufahrt zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Grüner Draht umzäunte das Gelände des militärischen Teils des Flughafens. Ein Kontrollposten stoppte Georg und prüfte die Papiere.

»In Ordnung. Parken Sie Ihren Wagen auf einem der Plätze rechts vor dem Abfertigungsgebäude. Melden Sie sich bei der Wache links vom Haupteingang und fragen Sie nach dem Presseoffizier.«

Militärischer Teil des Flughafens Köln/Bonn — das klang interessant, geheimnisvoll. In Gedanken hatte Georg Kampfjets und Panzer auffahren lassen, in Wirklichkeit sah er eine friedliche Heide wie auf einem Landflugplatz für Billigflieger.

Das Kasernengelände reichte bis an das Flughafenareal heran. Vor dem Hauptgebäude standen Raucher in Uniform.

Am silbergrauen Wachcontainer wurde er erwartet. »Sie sind spät dran, Herr Rubin«, begrüßte ihn der Presseoffizier, »die meisten Journalisten sind schon in Stellung. Die Plätze bei der Trauerfeier sind besetzt. Sie können sich die Übertragung im Pressebereich ansehen.« Er reichte Georg einen auf seinen Namen ausgestellten Ausweis, der an einem Bändchen befestigt war. »Bitte sichtbar tragen und hier abgeben, wenn Sie das Gelände wieder verlassen.«

Georg hängte sich das Teil um, das ihn an einen Backstage-Pass bei einem Rockkonzert erinnerte. »Danke, werde ich beachten. Ich brauche keinen Platz bei der Trauerfeier. Ich bin hier für den anschließenden Empfang der Kanzlerin.«

»Dann reicht dieser Ausweis aber nicht.«

Georg nickte. »Ich weiß. Hier ist meine Akkreditierung.«

Er zeigte dem Offizier das Papier, das ihm Siegfried Gärtner, der stellvertretende Regierungssprecher, ausgestellt hatte.

Vor vielen Jahren, als die Regierung ihren Sitz noch in Bonn gehabt hatte, war Gärtner Leiter des Parlamentsbüros des BLITZ gewesen. Am Tag seines ersten Regierungssprecherauftritts in der Bundespressekonferenz hatte sich Georgs Vater per Telefon gemeldet. »Den Gärtner, den kenne ich. Siggi. Ist zwar in der FDP, trotzdem guter Typ. Nicht so eingebildet. Als der noch beim BLITZ war, hat er auch uns Metteuren die Tageszeit gesagt. Ich habe ihm per Facebook gratuliert. Und stell dir vor, er hat sich bedankt. Ich habe ihm gemailt, dass du beim BLITZ bist. Ich gebe dir seine Kontaktdaten. Mach was draus.«

Der Presseoffizier brachte Georg bis zum VIP-Bereich mit den Ehrengästen. Der Oberbürgermeister, ein Sozialdemokrat, grüßte freundlich. Der Kölner SPD-Vorsitzende führte eine Privatdebatte mit dem ehemaligen CDU-Vorsitzenden, mit dem er früher um denselben Landtagswahlkreis in Köln-Porz gekämpft hatte.

In einer Ecke entdeckte Georg den Ehemann der Kanzlerin, Roger Jung, Wirtschaftsprofessor an der Kölner Universität. Der Mann neben ihm, gebräunt wie frisch aus dem Sonnenstudio, kam Georg bekannt vor. Vielleicht einer dieser Euro-Experten, die seit einiger Zeit immer häufiger ihre Fernsehauftritte hatten und die hinterher immer wussten, was richtig gewesen wäre. Der Mann trug eine bunte Krawatte, eine der zerfließenden Uhren von Salvador Dali. Die Krawatte fiel umso mehr auf, als alle anderen schwarze Binder trugen.

Auch der Außenminister, ehemals FDP-Chef, war da. Seitdem er seinen Kölner Freund geheiratet hatte, verbrachte er seine knappe Zeit gern am Rhein.

Georg entdeckte den Präsidenten der Industrie- und Handelskammer, einen Adenauer-Enkel, der zu den einflussreichsten Persönlichkeiten Kölns zählte. Seit einiger Zeit recherchierte Georg die Immobiliengeschäfte der Adenauers. In der Südstadt hatten sie für dreiundzwanzig Millionen Euro das ehemalige Gelände der Dombrauerei gekauft, acht Wochen später verkauften sie es für vierunddreißig Komma vier Millionen Euro an den landeseigenen Liegenschaftsbetrieb BLB weiter. Angeblich wollte das Land auf dem Gelände den Neubau der Fachhochschule hochziehen, doch diesen Beschluss hatte es nie gegeben. Den Vorwurf, er hätte sich auf Kosten des Landes bereichert, hatte der Adenauer-Enkel immer zurückgewiesen. Er sei nur als Vermittler aufgetreten, ohne ihn wären die Grundstücke für das Land viel teurer geworden.

Bei seinen Nachforschungen hatte Georg realisiert, wie groß die Bedeutung des Namens Adenauer immer noch war. Der Flughafen Köln/Bonn war nach Konrad Adenauer benannt. Das Heeresamt der Bundeswehr residierte in der Kölner Konrad-Adenauer-Kaserne. Das Flugzeug, in dem die Kanzlerin von Berlin nach Köln flog, war auf den Namen »Konrad Adenauer« getauft worden.

Die Regierungsmaschine rollte soeben ein, weiß lackiert, ein schwarz-rot-goldenes Band zierte den gesamten Rumpf, darüber in großen schwarzen Buchstaben der Aufdruck »Bundesrepublik Deutschland«.

Der Airbus A 340 hatte zehn Jahre zivilen Dienst hinter sich, ehe er für die Regierung umgebaut worden war. Georg wusste alles über das Flugzeug. Es gab einen Privatbereich für die Kanzlerin mit fünfzehn Sitzen und einen Konferenzbereich mit zwölf Plätzen. Für mitreisende Delegationen standen hundertsechzehn Plätze zur Verfügung. Das Flugzeug war behindertengerecht ausgebaut und besaß eine Intensivkrankenstation für bis zu vier verletzte oder kranke Passagiere. Für die Sicherheit sorgte ein Raketenabwehrsystem. Die Maschine hatte eine Reichweite von dreizehntausendfünfhundert Kilometern, was Direktflüge nach Washington oder Peking erlaubte.

Eine Lautsprecherstimme bat die Ehrengäste aufs Rollfeld. Verteidigungsminister Lothar Wassermann führte die kleine Prozession an, was dem Innenminister, der die gleiche Höhe halten wollte, zu missfallen schien.

Die Politiker und ihr Gefolge postierten sich etwa fünf Meter hinter den aufgebauten Mikrofonen. Die Kanzlerin verließ das Flugzeug und nahm ihre Position vor den Mikrofonen ein, neben ihr standen der Verteidigungsminister, ihr Mann und dessen Begleiter mit der bunten Dali-Krawatte.

»Wer ist das?«, fragte Georg einen Kollegen vom SPIEGEL, der wie er im Abfertigungsgebäude geblieben war und das Geschehen auf dem Fernseher verfolgte.

»Ingo Dahms. Institut der Deutschen Wirtschaft. Einer der Wirtschaftsweisen.«

»Und wieso ist er bei der Trauerfeier dabei?«

»Wieso nicht? Der Mann ist Schatzmeister der Landespartei. Ich denke, er hat eine politische Karriere vor sich. Wirtschaftsexperten sind gesucht.«

Georg sah, wie Dahms sich aus der ersten Reihe zurückziehen wollte, um dem Verteidigungsminister Platz zu machen. Roger Jung jedoch drängte den Minister ab und machte für Dahms sogar die Position zwischen sich und der Kanzlerin frei.

Zur Luftseite hin war ein Wachbataillon angetreten. Ein Trommelwirbel setzte ein, ein grau gestrichener Bundeswehr-Airbus parkte nahe der Kanzlerin-Maschine.

Soldaten trugen drei Särge, die mit der Bundesflagge und den Helmen der Toten geschmückt waren, aus der Militärmaschine hinaus und stellten sie vor den Ehrengästen ab. Auf einem Kissen wurden die Orden der Toten vorangetragen, in diesem Fall die Einsatzmedaille der Bundeswehr.

Die Kanzlerin trat ans Mikrofon. Georg sah in seine Presseunterlagen. Der Redetext war beigelegt. Darüber stand »Sperrfrist vierzehn Uhr dreißig. Es gilt das gesprochene Wort«. Ob Gärtner die Rede geschrieben hatte?

Barbara Jung sprach langsam. »Sie haben den höchsten Preis bezahlt, den ein Soldat bezahlen kann«, sagte sie bewegt. »Ich verneige mich vor ihnen. Deutschland verneigt sich vor ihnen.«

Kapitel 5

Der Lauf des G22 ruhte auf dem Zweibein, Ponk hatte freien Blick auf das Zielgebiet. Das Handy vibrierte. Nummer eins sprach leiser als gewohnt.

»Sind Sie bereit?«

»Bereit.«

»Ihr Ziel ist der Mann links neben der Kanzlerin.«

Ponk bekam keine Gelegenheit zu einer Nachfrage.

Der Mann links neben der Kanzlerin.

Links neben der Kanzlerin war Bewegung, da stand der Verteidigungsminister, nein, da stand jetzt ein Unbekannter mit einer bunten Krawatte.

Der Mann links neben der Kanzlerin.

Der Mann mit der Krawatte.

Ponk nahm eine letzte Kontrolle vor. Neunhundertdreizehn Meter. Kein Wind. Gute Sicht. Beste Bedingungen.

Er visierte das Ziel an.

Er zielte zwischen die Augen.

Er schoss.

Er traf.

Nicht ins Auge, sondern zwanzig Zentimeter tiefer.

Der Mann fiel zu Boden.

Tot.

Es stieg keine Staubwolke auf.

Diesmal nicht.

Auftrag erledigt.

Nummer eins würde zufrieden sein.

Kapitel 6

Georg hörte einen Knall und direkt danach einen zweiten. Dann brach das Chaos aus.

Er sah auf den Bildschirm. Der Mann mit der bunten Krawatte sackte zusammen, riss den Mann der Kanzlerin mit sich zu Boden. Weiße Hemden färbten sich dunkelrot.

Alarmsirenen heulten auf. Die Politiker und Journalisten auf dem Flugfeld liefen in Panik auseinander, die meisten drängten zum Abfertigungsgebäude.

Sicherheitsleute hatten die Kanzlerin in ihre Mitte genommen und wollten sie aus dem Schussfeld bringen. Sie riss sich los und rannte zu dem Verwundeten.

Der leblose Körper lag auf den Beinen ihres Mannes.

Roger Jung lebte, Ingo Dahms war nicht mehr zu helfen. Das Geschoss hatte seine Brust zerfetzt.

Die Kanzlerin packte die Schulter des Toten, der Verteidigungsminister half ihr, den Körper so anzuheben, dass Roger Jung sich befreien konnte. Er schien unverletzt. Er weinte.

Sanitäter übernahmen die weitere Versorgung. Die Liveübertragung brach ab, ein Moderator erschien auf dem Bildschirm und sprach von einem Terroranschlag.

Im Abfertigungsgebäude drängte sich die Schar der Flüchtlinge verängstigt zusammen. Georg wurde an den Rand geschoben. Der Verteidigungsminister führte das Kommando und versuchte, die Menschen zu beruhigen. Der Tatort auf dem Flugfeld wurde abgesperrt, Polizei und Feuerwehr rückten an.

Eine Lautsprecherstimme verkündete, dass die Trauerfeier beendet sei. Alle Gäste wurden aufgefordert, ihre Personalien anzugeben und das Gelände dann ohne Panik zu verlassen. Sollte jemand etwas wahrgenommen haben, was direkt zur Aufklärung des Anschlags beitragen könne, möge er sich bei der Polizei melden; alle anderen würden später befragt werden.

Der stellvertretende Regierungssprecher erschien im Pressebereich. Ein Krisenstab unter Leitung des Bundesinnenministers sei eingerichtet worden. Erklärungen zum Stand der Ermittlungen würden jeweils zur vollen Stunde abgegeben.

Georg fing den Mann ab. »Herr Gärtner, ich bin Georg Rubin vom BLITZ.«

»Ja, Rubin. Ich erinnere mich. Ich kenne Ihren Vater. Lange her. Was kann ich für Sie tun?«

»Das Treffen mit der Kanzlerin …«

»Ist für heute abgesagt. Dafür haben Sie sicher Verständnis.«

»Der BLITZ würde gerne ein Interview …«

»Ja, sicher. Ein andermal. Sie entschuldigen mich.«

»Nur eine Frage noch. Wo ist die Kanzlerin?«

»In Sicherheit, Herr Rubin. In Sicherheit. Sie kümmert sich um ihren Mann und wird dann die Witwe besuchen.«

In einem Meer von Kameras und Mikrofonen entdeckte Georg den Oberbürgermeister. Die Stadt Köln sei tief getroffen von diesem menschenverachtenden Anschlag während des Besuchs der Kanzlerin in ihrer Heimatstadt. Tiefe Trauer empfinde er für den Toten, sein Mitgefühl gelte den Angehörigen.

»Herr Oberbürgermeister«, rief Georg. »Sie haben direkt hinter Herrn Dahms gestanden. Kannten Sie ihn?«

Der OB drehte sich zu Georg um. »Ja, Herr Rubin, ich kannte Herrn Dr. Dahms. Einer der führenden Wirtschaftsexperten des Landes, auch ein Oberbürgermeister weiß den Rat eines solchen Mannes zu schätzen. Ich hatte noch kurz zuvor mit ihm gesprochen, gemeinsam mit Herrn Professor Jung haben wir über den Euro-Rettungsschirm geredet.«

»Wie haben Sie den Anschlag erlebt?«

»Ich habe mich auf die Rede der Kanzlerin konzentriert. Plötzlich ein Knall, Herr Dahms stürzte nicht direkt nach hinten, sonst wäre er auf mich gefallen, sondern etwas nach rechts und riss Herrn Jung mit sich zu Boden. Alle gingen in Deckung, aber es gab keine weiteren Schüsse mehr.«

»Nur ein Schuss? Ich dachte, ich hätte zwei Schüsse gehört.«

»Ein Schuss. Da bin ich sicher.«

»Haben Sie eine Idee, woher der Schuss kam?«

»Nein, ich habe kein Mündungsfeuer gesehen, wenn Sie das meinen. Wir sind hier auf überwachtem Militärgelände. Ich bin sicher, dass der oder die Täter schnell gefasst werden.«

Im gesamten Abfertigungsgebäude herrschten Hektik und Unruhe. Georg sah, dass die Türen zum Rollfeld unbewacht waren, und ging entschlossen nach draußen.

Dahms’ Leiche wurde gerade in einem metallenen Sarg abtransportiert.

Der Platz vor dem Mikrofon war überraschenderweise nicht abgesperrt. Georg stieg auf das kleine Podest, auf dem die Kanzlerin gestanden hatte, und nahm ihre Position ein. Im Blickfeld lagen die Militärmaschine und die Kanzlermaschine, zehn Meter weiter waren die Särge der drei toten Soldaten aufgebahrt gewesen.

Von wo war der Schuss abgefeuert worden? In Gedanken zog Georg eine Linie von der Stelle, an der Dahms getroffen worden war, zum Mikrofon und weiter darüber hinaus. Die Linie zeigte mehr oder weniger in Richtung des Abfertigungsgebäudes. Konnte der Täter auf dem Dach gelegen haben? Unmöglich, bei den starken Sicherheitsvorkehrungen.

Von ihm aus gesehen rechts neben dem Abfertigungsgebäude lag hinter einem Zaun der Sportplatz des benachbarten Kasernengeländes.

Direkt angrenzend gab es keine weiteren Gebäude, in denen sich der Schütze verstecken konnte, es sei denn, er hätte von einem Baum aus gezielt. Auch sehr unwahrscheinlich.

Einige hundert Meter hinter dem Sportplatz erkannte Georg die Dächer einiger Kasernenbauten. Weiter nach rechts war wieder Flughafengelände. Große Reparaturhangars, aber die lagen schon außerhalb des möglichen Schusswinkels. Noch weiter nach rechts war das freie Flugfeld.

Der Täter musste irgendwo zwischen Abfertigungsgebäude und Kasernengelände gelauert haben.

»Halt, stehenbleiben«, kommandierte eine kräftige Männerstimme. »Was machen Sie hier? Das ist Sperrgebiet.«

Es war der Innenminister höchstpersönlich, zwei Bodyguards im Schlepptau, die ihre Pistolen gezückt hatten und auf Georg zielten.

Georg mochte Starck nicht. In natura wirkte er noch unsympathischer als im Fernsehen: klein, übergewichtig, knallrotes Gesicht, die wenigen Haare quer über den Kopf gekämmt, um die Glatze zu verbergen. Ein unscheinbarer Typ, vielleicht musste er deshalb so schreien. Georg antwortete betont leise. »Guten Tag, Herr Starck, Georg Rubin vom BLITZ. Ich stehe doch schon, wie Sie sehen.«

»Keine Frechheiten, sonst sitzen Sie bald.« Der Minister machte eine knappe Kopfbewegung, was für die Bodyguards das Zeichen war, sich um Georg zu kümmern.

Die Beamten waren vergleichsweise freundlich, ließen sich Personalausweis und Akkreditierungen zeigen und eskortierten Georg zurück zum Abfertigungsgebäude. Das Rollfeld sei ab sofort für alle Medienvertreter gesperrt.

Georg stellte verärgert fest, dass das nicht die ganze Wahrheit war. Inzwischen hatte sich der Innenminister genau an der Stelle aufgebaut, von der er ihn weggejagt hatte, und gab ein TV-Interview.

»Was ist mit den Fernsehleuten?«, fragte Georg. »Wieso gilt für die das Verbot nicht?«

»Die haben eine Sondergenehmigung vom Minister.«

Georg rief Stein in der Redaktion an. »Wie viel soll ich schreiben?«

»Du bekommst die Seiten eins bis fünf. Wenn du mehr brauchst, auch kein Problem.«

»Ich brauche mindestens sechs Seiten. Besser sieben. Münch und seine Leute sollen den normalen Stoff machen. Offizieller Tathergang, Ermittlungsergebnisse und so weiter. Ich liefere eine Reportage, viel Atmosphäre und jede Menge Stimmen. Den OB habe ich schon. Und noch was: Die Kanzlerin ist auf dem Weg zur Witwe. Wenn ihr da jemanden hinschickt, könnten wir ein paar exklusive Fotos schießen.«

»In Ordnung«, sagte Stein. »Ich frage mich trotzdem, wieso das ausgerechnet dann passiert, wenn du vor Ort bist.«

Kapitel 7

Ponk reinigte das G22 und verstaute es in seinem Aluminiumkoffer. Sorgfältig inspizierte er das Fensterbrett und den Boden vor dem Fenster. Er würde keine Spuren hinterlassen. Sogar die Spinne im Fensterkreuz war an ihrem Platz geblieben.

Ponk verließ sein Versteck. Auf dem Terrain der Luftwaffenkaserne in Wahn herrschte gespenstische Ruhe, nur ein paar Vögel zwitscherten.

Am Offizierskasino hing eine Mitteilung der »Neigungsgruppe Tanzen«: Die OHG Wahn bietet ihren Mitgliedern in der »NG Tanzen in der OHG Wahn« die Möglichkeit, tänzerische Fähigkeiten für Bälle und andere Tanzveranstaltungen zu erwerben und zu pflegen. Dazu veranstaltet die Neigungsgruppe wöchentliche Übungsabende unter Anleitung eines Trainerpaares. Darüber hinaus wird die Möglichkeit zur Erlangung des Deutschen Tanzsportabzeichens geboten.

Die Offiziere vergnügten sich außerdem in einer Karnevalsgesellschaft namens »Narrenzunft« und auf einer »Standortkegelbahn«, deren Belegung nach »Kasernenbefehl, Kapitel 4« geregelt wurde. Im kleineren Unteroffiziersheim ein paar Meter weiter standen Bingo, Skat und Dämmerschoppen auf dem Programm. Ja, lustig war das Soldatenleben. In der Heimat. Ob es auch eine »Neigungsgruppe Schießen« gab?

Ponk verstaute den Alukoffer im Kofferraum seines Focus und fuhr vorschriftsmäßig langsam Richtung Hauptwache. Er zeigte einen Sonderausweis auf den Namen Schmitz vor, angeblich Mitarbeiter des Bundesverteidigungsministeriums. Der Wachhabende salutierte und öffnete die Schranke.

»Schlimm, was passiert ist«, sagte Ponk.

»Ja«, sagte der Wachhabende. »Aber wir kriegen sie.«

»Wir kriegen sie, sicher«, sagte Ponk und fuhr los. Er schlug den Weg Richtung Stadt ein, von der Alten Flughafenstraße rechts in den Linder Mauspfad, links in die Heidestraße und dann in Wahnheide auf die A 59.

Dutzende Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht kamen ihm entgegen, aber noch gab es keine Kontrollen. Er würde zehn Minuten Zeit zur Flucht haben, hatte Nummer eins gesagt, keine Minute länger.

In den nächsten drei Tagen war jede Kontaktaufnahme verboten. Ponk war auf sich allein gestellt, bis er neue Anweisungen erhielt.

Ponk wiederholte in Gedanken seinen Schuss. Wer war der Mann mit der bunten Krawatte? Warum musste er sterben? Fragen, die er sich nie stellen wollte, bohrten sich in sein Gehirn. Wenn du in diesem Beruf anfängst zu grübeln, bist du arbeitsunfähig, hatte man ihm eingebläut. Vielleicht stimmte das nicht. Er dachte nur nach, er hatte kein schlechtes Gewissen. Er würde wieder töten können. Er sah eine kleine Staubwolke aufsteigen. Nein, nicht schon wieder dieser Junge aus Afghanistan. Es war doch ein Mann.

Er hatte nicht zwischen die Augen getroffen, sondern in die Brust knapp unterhalb des Halses. Eine Abweichung von zwanzig Zentimetern, aber genauso tödlich. Und das zählte. Außer ihm wusste niemand von der Abweichung.

Er musste mehr trainieren. Zwanzig Zentimeter Abweichung auf neunhundertdreizehn Meter Entfernung waren zu viel. Sonst würde er niemals den Weltrekord brechen können, den ein britischer Soldat in Afghanistan aufgestellt hatte, der berühmte Corporal of Horse Craig Harrison.

Hatte der Mann mit der Krawatte einen Anschlag auf die Kanzlerin geplant? Hatte er, Ponk, der Kanzlerin das Leben gerettet? Das würde nicht nur eine Beförderung, sondern auch einen hohen Orden bringen. Er sah sich bei der Ehrung im Kanzleramt. Die Kanzlerin gab ihm die Hand und sprach lobende Worte, er entgegnete: »Ich habe nur meine Pflicht getan.«

Fast hätte Ponk bei seiner Träumerei das Ende des Staus übersehen. Er stieg voll in die Bremse und kam zum Stehen, nur Zentimeter hinter einem Schulbus, dessen Warnlichter blinkten.

Ponk holte Luft. Ruhig bleiben, keine Panik.

Aber was war das denn für eine Scheiße? Im Rückspiegel donnerte ein Lkw heran, viel zu schnell.

Ein Höllenkrach. Ponks Kopf flog nach hinten und wieder vor, dann knallte ihm der Airbag ins Gesicht.

Mittwoch

Kapitel 8

Es war Mitternacht, als Georg erschöpft, aber zufrieden im Stadtgarten saß. Vor sich hatte er ein Kölsch und die Zeitungen von morgen; neben ihm saß Hendrik Münch, Politik-Chef des BLITZ, mit dem er noch nie ein Bier nach Dienstschluss getrunken hatte. Auch Münch saß stumm in die Zeitungen vertieft.

Acht Stunden lang hatten sie unter Hochspannung und ohne Pause gearbeitet. Georg hatte am Flughafen recherchiert, Interviews geführt, Texte geschrieben und war am Nachmittag in die Redaktion gefahren. Münch hatte die Koordination im Pressehaus übernommen, kilometerlange Agenturberichte gelesen, die TV-Berichterstattung verfolgt, Fotos gesichtet, Schlagzeilen formuliert, neue Anregungen für neue Geschichten gegeben, das Layout gescribbelt, alle Texte redigiert.

Jetzt wirkten die beiden wie Marathonläufer, die gerade durchs Ziel gelaufen waren. Ein solcher Tag, ein solches Ereignis, ein solcher Kraftakt, das völlige Eintauchen in eine Aufgabe, der absolute Flow, das waren Momente, für die ein Journalist lebte.

»Prost«, sagte Georg.

Münch nahm sein Kölschglas und stieß mit dem Boden seines Glases an den Boden von Georgs Glas.

»Du warst gut«, sagte Georg.

Münch sah ihn an. »Du warst auch nicht schlecht.«

Sie tauchten wieder in die Zeitungen ein. Der »Anschlag auf die Kanzlerin« war das beherrschende Thema.

Wer waren die Täter? Die meisten Kommentatoren vermuteten sie bei Al-Qaida und den afghanischen Taliban. Die islamistischen Terroristen würden nicht einmal davor zurückschrecken, eine Totenfeier für ihre Verbrechen zu nutzen.

Der Innenminister wurde mit den Worten zitiert, dass »gerade dieser schändliche Mordanschlag bewiesen hat, wie wichtig und richtig der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan« sei. Es gab keinerlei Hinweise auf den Täter. Man müsse davon ausgehen, dass der Heckenschütze fliehen konnte.

Ingo Dahms, das Opfer, war noch im Laufe des Tages obduziert worden. Er sei von einem großkalibrigen Geschoss getroffen worden, das aus einem Gewehr stamme, das auch im Afghanistan-Krieg eingesetzt werde.

Dahms war Abteilungsleiter beim Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln gewesen und galt als Vertrauter der Kanzlerin. Der Mann hinterließ seine Ehefrau Helena Meyer-Dahms, eine Kunsthändlerin, und seine erste Frau Margot Dahms, Hausfrau und Mutter von zwei Kindern, die nach der Scheidung ins Bergische gezogen waren.

Der BLITZ war die einzige Zeitung, die Fotos von Dahms’Witwe und der Kanzlerin hatte. Helena Meyer-Dahms war eine aparte Frau, elegant, lange blonde Haare.

Dass Dahms das Ziel des Anschlags gewesen sein könnte und nicht die Kanzlerin, hielten alle Kommentatoren für ausgeschlossen. Ein Kollege von der Konkurrenz verstieg sich zu der unbedachten Formulierung, ein »Unschuldiger« sei ermordet worden, als ob die Kanzlerin, wäre sie das Opfer des Anschlags geworden, als »schuldig« hätte bezeichnet werden können. Georg ärgerte sich maßlos über solche Gedankenlosigkeiten. Münch hätte diese Wortwahl nicht durchgehen lassen.

Barbara Jung hatte ein sehr kurzes Statement abgegeben und Trauer und Mitgefühl ausgedrückt. Über den Besuch bei der Witwe gab es keine offiziellen Informationen.

Die Kommentatoren hatten das Verhalten der Kanzlerin gewürdigt, die sich selbstlos um das Opfer gekümmert habe. Das sei zwar leichtsinnig gewesen, aber sie hätte menschliche Größe gezeigt, während viele andere nur an ihre eigene Sicherheit gedacht hätten.

Georg blickte von der Zeitung auf und betrachtete Münch. Alt geworden war er. Graue Haare. Um die Mundwinkel ein Hauch von Traurigkeit. Die Kellnerin brachte zwei neue Kölsch.

»Prost«, sagte Georg, Münch antwortete mit dem bekannten Anstoßritual.

»Stein hat mir deinen Job angeboten«, sagte Georg.

»Und?«, sagte Münch.

»Wie, und?«

»Hast du angenommen?«

»Stein sagt, du gehst in Vorruhestand.«

»Ja. Nächsten Monat.«

»War das deine Idee?«

»Ich finde das ganz in Ordnung. Finanziell kann ich mit der Regelung leben. Und ganz ehrlich, zwei Jahre zusätzliche Lebenszeit ohne diese Tretmühle sind nicht zu verachten. Außerdem sind die Zukunftsaussichten für die Politik beim BLITZ ja alles andere als prickelnd.«

»Wie meinst du das?«

»Weißt du doch, Stein hält nichts von Politik im Blatt.«

»Gestern Morgen hat er etwas anderes gesagt.«

»Und du glaubst das?«

Georg leerte sein Glas. »Er hat mir das mit deinem Vorruhestand gesagt. Das kann ich ihm schon mal glauben.«

»Und, was hat er sonst noch gesagt?«

»Dass der Verleger ungeduldig wird. Dass er seinen Job los ist, wenn es ihm in den nächsten sechs Monaten nicht gelingt, die Auflage des BLITZ deutlich zu steigern.«

»Da kannst du doch abwarten, um dann selbst Chefredakteur zu werden.«

»Du meinst, ich könnte das, Chefredakteur?«

»Ich sag mal so: Ich weiß, dass du es willst.«

»Nettes Kompliment. Was würdest du an meiner Stelle tun?«

Münch dachte nach. »Ich kann dir da nichts raten. Ich kann dir nur einen Hinweis geben. Es spricht viel dafür, dass die Boulevardredaktionen des Konzerns enger zusammenarbeiten werden. Das hat bei den Abonnementzeitungen angeblich zu nennenswerten Einsparungen geführt, die Wirtschaft kommt zentral aus Frankfurt, die Politik aus Berlin, das Modell könnte also auch auf uns übertragen werden. Ich habe gehört, dass schon Gespräche zwischen Köln, Hamburg und Berlin stattgefunden haben.«

»Du meinst, die Politik in Köln wird dichtgemacht?«

»Zähl mal zwei und zwei zusammen.«

»Das würde bedeuten: Der Politik-Chef des BLITZ sitzt künftig in Berlin und versorgt von da aus auch Hamburg und Köln. Davon hat Stein nichts erzählt.«

»Und was schließt du daraus?«

»Dass er mich nach Berlin abschieben will.«

»Oder dass er dich ganz loswerden will. Nehmen wir mal an, du bist Politik-Chef in Köln, und die Politik in Köln wird aufgelöst?« »Scheiße«, sagte Georg.

»Prost«, sagte Münch.

Donnerstag

Kapitel 9

Nach dem Flow kamen die Zweifel. Immer wieder sah Georg das Attentat und den Toten vor sich, aber er sah auch sich selbst, wie er sein rastloses Geschäft betrieb, wie er fotografierte und Interviews führte. War er wirklich so kalt? Oder musste man in diesem Job so abgestumpft sein? »Schlagzeilen-Roboter« hatte ihn seine Ex mal genannt.

Zwei Tage lang hatte er versucht, über den Generalbundesanwalt und den Krisenstab des Innenministers Informationen über den Stand der Ermittlungen zu bekommen. Immer war er vertröstet worden. Nein, es gebe keine heiße Spur. Ja, man müsse davon ausgehen, dass der Täter ins Ausland geflohen sei. Nein, aus Sicherheitsgründen würden alle Maßnahmen der deutschen Behörden geheim gehalten.