Das Molotow-Komplott - Edgar Franzmann - E-Book
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Das Molotow-Komplott E-Book

Edgar Franzmann

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Beschreibung

Die Sünden der Vergangenheit kommen immer ans Licht: Der fesselnde Krimi »Das Molotow-Komplott« von Edgar Franzmann jetzt als eBook bei dotbooks. Es ist ein fröhlicher Anlass, der den Journalisten Georg Rubin ins Studententheater führt: Sein Vater feiert Geburtstag mit seinen alten Freunden der 68er-Studentenbewegung – doch plötzlich brechen unkontrollierbare Brände im Saal aus und Georg kann seinen Vater gerade so vor dem Feuertod bewahren. Wer könnte es ausgerechnet auf ihn abgesehen haben? Fest entschlossen, den Attentäter zu finden, stürzt der Journalist sich in die Ermittlungen. Kurz darauf erschüttern weitere Anschläge die Stadt und Georg Rubin findet eine neue Spur – doch die scheint geradewegs zurück zu den Studienkollegen seines Vaters zu führen ... »Ein spannender Politikthriller, der den Leser in ein Köln entführt, in dem die jungen 68er mit ihren Protestaktionen auf den erbitterten Widerstand des Bürgertums und seiner Altnazis stießen.« Westdeutsche Zeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Regiokrimi »Das Molotow-Komplott« von Edgar Franzmann, auch bekannt unter dem Titel »68«, ist der vierte Band seiner Reihe um den Journalisten Georg Rubin, der Fans von Andreas Franz begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Es ist ein fröhlicher Anlass, der den Journalisten Georg Rubin ins Studententheater führt: Sein Vater feiert Geburtstag mit seinen alten Freunden der 68er-Studentenbewegung – doch plötzlich brechen unkontrollierbare Brände im Saal aus und Georg kann seinen Vater gerade so vor dem Feuertod bewahren. Wer könnte es ausgerechnet auf ihn abgesehen haben? Fest entschlossen, den Attentäter zu finden, stürzt der Journalist sich in die Ermittlungen. Kurz darauf erschüttern weitere Anschläge die Stadt und Georg Rubin findet eine neue Spur – doch die scheint geradewegs zurück zu den Studienkollegen seines Vaters zu führen ...

»Ein spannender Politikthriller, der den Leser in ein Köln entführt, in dem die jungen 68er mit ihren Protestaktionen auf den erbitterten Widerstand des Bürgertums und seiner Altnazis stießen.« Westdeutsche Zeitung

Über den Autor:

Edgar Franzmann, 1948 in Krefeld geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln. Er war Redakteur der Zeitung EXPRESS, Leiter der Online-Angebote von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau sowie Chefredakteur des Web-Portals koeln.de. Franzmann ist Mitglied des Syndikats, des Vereins deutschsprachiger Krimiautoren, von April 2012 bis Mai 2014 war er dessen geschäftsführender Sprecher.

Bei dotbooks veröffentlichte der Autor die Kriminalromane um den Journalisten und Ermittler Georg Rubin mit den Bänden »Der Richter-Code«, »Adenauers Auge«, »Die französische Agentin« und »Das Molotow-Komplott« sowie das Prequel zur Rubin-Reihe »Millionenallee«.

Die Website des Autors: https://www.franzmann.de

Der Autor bei Facebook: https://www.facebook.com/efranzmann

Der Autor auf Instagram: https://www.instagram.com/edgarf/

Der Autor bei Twitter: https://twitter.com/edgarf

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe April 2024

Dieses Buch erschien bereits 2016 unter dem Titel »68« bei Emons.

Copyright © der Originalausgabe 2016 Emons Verlag GmbH

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/saiko3p

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-079-0

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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blog.dotbooks.de/

Edgar Franzmann

Das Molotow-Komplott

Kriminalroman

dotbooks.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Für Karlheinz,

meinen Vater,

den ich

gerne länger

und besser

gekannt hätte

Kapitel 1

Die Beatles gratulierten herzlich und sehr laut: »They say it’s your birthday«, dann explodierte die Geburtstagstorte. Ein ohrenbetäubender Knall kurz nach Mitternacht. Alle lachten, außer Paul Rubin, der vornübergebeugt die beiden Kerzen, eine blutrote »6« und eine anarchoschwarze »8«, ausblasen wollte.

Die glühende Masse, die ihm ins Gesicht klatschte, schmeckte nach Wachs, Sahne-Nuss, Kleister und Benzin. Seine Haut schmolz unter der Hitze. Die Augen verklebten. Die Haare fingen Feuer, der Kopf glühte, er schrie, als würde ihm das Gehirn weggeflämmt.

An allen Ecken des Saales ploppten Feuer auf, schossen auf Paul zu. Georg Rubin riss sich das Jackett vom Körper und stülpte es über Pauls Kopf, um die Flammen zu ersticken. Paul keuchte, schnappte nach Luft.

Die Flammen aus dem Saal kamen näher. Georg schleppte seinen Vater nach draußen, legte ihn behutsam auf den Bürgersteig vor der Studiobühne.

»Ich kann nichts mehr sehen«, röchelte Paul. Er rieb sich die Augen, was ihm höllische Schmerzen bereitete.

Das Feuer im Studententheater schlug höher und höher, ein Fenster zerbarst, eine Flamme leckte hindurch, als wollte sie ihr Opfer auch noch auf die Straße hinaus verfolgen.

»Was war mit der Torte?«, flüsterte Paul.

»Ich weiß es nicht«, sagte Georg, während er mit seinem Taschentuch seine verrußte Brille zu putzen versuchte. »Ich werde es herausfinden.«

»Sahne-Nuss, meine Lieblingstorte. Mit Napalm.«

»Mit was?«

»Napalm«, wiederholte Paul.

»Raus hier, alle raus«, kommandierte Kurt Schmoll, der die Rolle des Anführers übernahm. Er alarmierte die 112, löste einen Feuerlöscher von der Wand, versuchte, das Höllenfeuer einzudämmen. Ein hoffnungsloser Kampf.

Die automatische Sprinkleranlage sprang an, doch das Wasser schien den Brand eher anzufachen, anstatt zu löschen.

Eine Feuerschlange kroch über den Boden, drohte den Ausgang zu versperren. Der einäugige Rainer Küpper erkannte die Gefahr, riss einen Vorhang ab und begrub die Schlange unter sich.

Dada dada da daaa da daaa, bumm bumm bumm – der Plattenspieler wiederholte pausenlos den Beatles-Birthday-Song mit dem markanten Gitarrenriff.

Hartmut Meyers, der vergessen hatte, dass er vom Unterleib an gelähmt war, tanzte Rock ’n’ Rollstuhl mit den Flammen, ehe er sie mit alkoholfreiem Bier aus der Flasche ertränken wollte.

Willy Leipold, Regierungssprecher a.D., stoppte das wirbelnde Gefährt und bugsierte Meyers aus der Gefahrenzone ins Freie.

Geschockt und fröstelnd versammelte sich dort einer nach dem anderen die restliche Geburtstagsgesellschaft auf der Kölner Universitätsstraße.

Außer Paul schien niemand ernsthaft verletzt zu sein.

»Da, da ist jemand«, rief Johannes Bäck, früher der Spezialist für Molotow-Cocktails, »seht ihr das nicht?«

Georg sprang auf. »Wo?«

»Da. Im Nebenraum. Ich habe einen Schatten gesehen«, sagte der grauhaarige Mann. »Komm, wir müssen da rein.«

»Lass mich das machen«, rief Georg, »kümmere du dich um Paul.«

»Ich wollte das nicht. Ich war das nicht«, rief Johannes dem losstürmenden Georg hinterher, Worte, die im prasselnden Lärm verhallten.

Die Hitze im Innern war nicht zu ertragen. Die Flammen fraßen sich an den Wänden entlang, Georg nahm den Weg durch die Mitte, hielt sich ein Taschentuch vor den Mund.

Er wollte die Tür zum Nebenraum aufreißen, der glühende Griff verbrannte seine Hand. Abgeschlossen.

Er kannte das Zimmer. Es war das Büro, in dem er vor zwei Wochen mit Norbert Winzer die Studiobühne als Räumlichkeit für Pauls achtundsechzigsten Geburtstag klargemacht hatte: 1968 – fünfzig Jahre danach, mit den alten Rebellen von damals in der alten Mensa von damals.

Durch die vier Fenster im Türblatt sah er, dass auf der anderen Seite ein Mann eingesperrt war. Gefesselt, wie eine brennende Fackel auf einem Bürostuhl, der Kopf steckte unter einem dunklen Guantánamo-Sack.

Georg hämmerte an die Tür. Er schrie. Der Mann reagierte nicht. Zwei Feuerwehrleute in Schutzanzügen stürmten an seine Seite. »Machen Sie, dass Sie rauskommen. Das hier ist unser Job.«

Georg taumelte zurück durch den dichten Rauch. Er hörte, wie die Männer hinter ihm die Tür in Stücke hackten. Vielleicht kam die Hilfe doch nicht zu spät. Vielleicht war es doch nicht Norbert.

Vor der Studiobühne war ein Großaufgebot an Einsatzwagen aufgefahren. Dreimal Feuerwehr. Dreimal Polizei. Ein Notarzt. Zwei Rettungswagen. In einen wurde Paul hineingehievt.

»Georg Rubin. Ich bin sein Sohn. Was machen Sie mit ihm?«

»Uniklinik. Notaufnahme. Wollen Sie mitfahren?«

Georg zögerte. »Wie geht es ihm?«

»Die Brandverletzungen im Gesicht sind schwer. Der Kreislauf scheint stabil zu sein.«

Pauls Gesicht war mit einem feuchten Tuch bedeckt, unter dem Atemschläuche hervorragten.

»Wird er durchkommen?«

»Akute Lebensgefahr besteht nicht.«

»Dann komme ich nach«, sagte Georg. »Heute ist sein Geburtstag. Ich habe die Feier für ihn organisiert. Ich glaube, dass ich hier noch gebraucht werde.«

Georg nahm Pauls Hand, spürte einen schwachen Gegendruck.

Die Hecktür wurde verriegelt. Mit Blaulicht, aber ohne Sirene, setzte sich der Wagen mit seinem Vater langsam in Bewegung und rollte in die Dunkelheit.

Was wusste er eigentlich von diesem Mann?

Und was wusste dieser Mann von Napalm?

Napalm. Brandbomben. Von den Amerikanern im Vietnamkrieg eingesetzt. Georg sah das Foto des Mädchens vor sich, das nackt und vor Schmerzen schreiend nach einem Napalm-Angriff vor Männern mit US-Stahlhelmen davonrannte.

Und heute? Napalm mit Sahne-Nuss. Was für eine beschissene Welt!

Kapitel 2

Ein uniformierter Polizist holte Georg aus seinen Gedanken. »Bitte räumen Sie den Platz. Es gibt hier nichts zu sehen. Alle hinter die Absperrung.«

»Aber ich bin doch …«

»Ja, ich weiß, Herr Rubin. Der Chefreporter vom BLITZ. Aber der ist auch nichts Besseres. Das Platzverbot gilt für alle. Das ist hier ein Tatort.«

»Aber mein Vater …«

»Rubin, was soll das denn? Mein Vater. Ihr Vater kann, sage ich mal, der Kaiser von China sein. Der kann mich mal, wenn er kann. Also bitte. Hinter das rot-weiße Band.«

Georg dämmerte, dass er es mit Polizeihauptkommissar Müller zu tun hatte. Ausgerechnet. Der Mann hatte ihn schon einmal, im Marriott hinter dem Bahnhof, festgenommen, weil er den ermordeten Nachtportier und eine verschwundene Frau gekannt hatte. Für eine Sekunde blitzte die erste Begegnung mit der schönen Amal Amirouche in seinem Gedächtnis auf.

»Wenn Sie mich nur einmal ausreden …«

Müller, unterstützt von zwei Kollegen, spielte Rollkommando. Außer Georg trieben die Beamten ein Dutzend Schaulustige vor sich her in Richtung Zülpicher Straße.

»Nein. Sie haben hier nichts zu sagen. Beschwerden können Sie morgen bei der Pressestelle vorbringen.«

Irgendwie musste Georg an diesem Fleischklops vorbeikommen. Er sondierte das Gelände. Die Feuerwehr hatte ihre Löscharbeiten beendet. Pauls Genossen waren etwa zwanzig Meter rechts vom Haupteingang der Studiobühne aufgereiht, aus der Entfernung sah es aus, als würden ihre Personalien aufgenommen.

Der zweite Rettungswagen stand noch am alten Platz. Neben dem Gefährt sah Georg einen Mann in Zivil, der ähnlich groß gewachsen war wie er mit seinen knapp eins neunzig und ihm bekannt vorkam.

»Wenn ich jetzt laufe, was machen Sie dann?«, rief Georg, zerriss das rot-weiße Band, rannte los, rempelte den verblüfften Müller so heftig an, dass der das Gleichgewicht verlor und auf den Boden plumpste.

Der Polizeiklops raffte sich schneller als gedacht wieder auf, brüllte »Stehen bleiben, oder ich schieße«, und dann peitschte tatsächlich ein Schuss durch die Nacht.

Georg legte noch einen Zahn Geschwindigkeit zu und erreichte keuchend sein Ziel.

»Hab ihn«, rief eine kräftige Männerstimme in Richtung Polizeihauptkommissar Müller. Es war Gerald Menden, Mordkommission, Georg Rubins bester Kumpel bei der Kölner Polizei. Aber warum drehte Menden ihm einen Arm auf den Rücken und fesselte ihn mit Handschellen an einen verrosteten Fahrradständer?

»Gerald, was soll das?«

»Wir müssen Müller was bieten.«

»Dein wild gewordener Müller hat auf mich geschossen.«

»Er hat neben dich geschossen. Außerdem will ich nicht, dass du Fotos machst.«

»Binde mich sofort los. Ich bin nicht als Reporter hier. Ich bin Zeuge.«

Georg zeigte auf den leblosen Körper, der sich unter einer Plane neben dem Rettungswagen abzeichnete.

»Ist er tot?«

Menden nickte.

»Es kann sein, dass ich ihn kenne. Es kann sein, dass ich schuld daran bin, dass er heute Abend überhaupt hier war.« Erst jetzt, während er diese Worte sprach, wurde ihm bewusst, wie wahr sie waren. War er mitschuldig an Norbert Winzers Tod?

Menden machte ein paar Schritte auf den Leichnam zu, hob die Plane über dem Kopf an, ohne Georg einen Blick zu erlauben. »Ich glaube nicht, dass du sehen willst, wie der Mann aussieht. Kein schöner Anblick.«

Georg rüttelte an den Handschellen: Es gelang ihm, den rostigen Fahrradständer aus der Verankerung zu reißen. Mit Gepolter arbeitete er sich bis zu dem Leichnam vor. »Bitte, Gerald. Nur ganz kurz. Ich kann ihn vermutlich identifizieren.«

Menden hob das Leichentuch noch einmal an. Georg riskierte einen Blick, und augenblicklich stockte ihm der Atem. »Oh nein …«, hörte er sich sagen. Das Gesicht des Toten war nicht viel mehr als ein roher Klumpen Fleisch mit einem hellblauen Auge.

Menden deckte den Toten wieder zu, ohne hinzusehen.

Georg flüsterte: »Ich weiß nicht. Ich dachte, es wäre Norbert Winzer. Schauspieler, der hier schon mal jobbt. Der Mann hat hellblaue Augen. Aber sonst erkenne ich nichts wieder.«

Menden nahm Georgs freien Arm und schloss ihn mit einer zweiten Handschelle an einen Laternenmast an.

»Au«, schrie er auf, »du tust mir weh. Ich habe mir vorhin die Hand verbrannt, als ich den Mann dort retten wollte.«

»Du hast den Mann brennen sehen?«

»Ich habe einen Mann gesehen. Gefesselt auf einem Bürostuhl, auf dem Kopf eine Kapuze. Ich dachte, der sieht aus wie die Gefangenen in Guantánamo. Deshalb konnte ich das Gesicht nicht erkennen. Ja, dieser Mann brannte. Die Kleider, der Sack über dem Kopf. Alles in Flammen.«

Menden schaute auf die Uhr.

»Was ist los? Warum sagst du nichts? Warum lässt du mich nicht endlich frei?«, fragte Georg.

»Der Tote ist mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich Norbert Winzer. Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich kenne seine Schwester«, sagte Menden.

»Was ist mit seiner Schwester?«

»Eva Winzer. Solltest du eigentlich auch kennen.«

»Du meinst die blutige Eva?«

»Ich meine Frau Oberstaatsanwältin Dr. Eva Winzer, die hier jeden Moment erscheinen müsste. ›Blutige Eva‹ heißt sie nur in den reißerischen Artikeln im BLITZ.«

»Deine Oberstaatsanwältin Frau Winzer ist für politische Strafsachen zuständig.«

»Ja, was meinst du denn, was das hier ist? Hast du nicht selbst von Guantánamo gesprochen? Und du kennst bestimmt auch die Männer, die hier Party gemacht haben, während nebenan Norbert Winzer im Sterben lag.«

»Ja, sicher. Ich war dabei. Wir haben nichts bemerkt. Es war die Geburtstagsfeier meines Vaters. Alles alte Kumpel.«

»Alles alte Revoluzzer«, sagte Menden.

»Das ist fünfzig Jahre her.«

»Wo ist dein Vater überhaupt?«

»In der Uniklinik«, antwortete Georg. »Notaufnahme. Ihm geht es nicht gut. Ich muss gleich zu ihm.«

»Nicht, bevor Frau Winzer hier war. Aber ich kann dich beruhigen, sie wird den Fall nicht übernehmen, weil sie als Schwester des Opfers als befangen gelten würde.«

»Trotzdem wird sie dir die Hölle heiß machen, wenn du dir den kleinsten Fehler erlaubst.«

»Du sagst es«, sagte Menden, »und deswegen bleibst du schön hier.«

»Das ist Freiheitsberaubung.«

Menden ließ sich nicht beeindrucken. Gelassen öffnete er die Handschelle, die Georg an den Fahrradständer gekettet hatte. »Damit du meinen guten Willen siehst.«

»Ich hänge immer noch an der Laterne.«

»Als ob ich das nicht wüsste«, sagte Menden und pfiff vor sich hin.

»Ich kenne das Lied«, schimpfte Georg.

Menden pfiff weiter.

»Steht ’ne Laterne und steht sie noch davor«, sang eine Frau in Georgs Kopf, Marlene Dietrich in Schwarz-Weiß.

Georgs Linke war so unglücklich an die Laterne gefesselt, dass er auf der Apple Watch nicht einmal die Uhrzeit lesen konnte, dazu hätte er das Handgelenk drehen müssen, um das Zifferblatt zu aktivieren. Er versuchte es einmal, zweimal, ohne Erfolg. Verfluchte Technik.

Sein Handy steckte in der linken Jeanstasche, trotz aller Verrenkungen kam er auch da nicht ran.

»Was treibst du?«, fragte Menden, der zurückkam, nachdem er die Alten für diese Nacht entlassen hatte.

»Ich will wissen, wie spät es ist. Außerdem muss ich dringend telefonieren. Ich habe Pauls Frau und meiner Tochter noch gar nichts erzählt.«

»Die waren bei der Feier nicht dabei?«, fragte Menden erstaunt.

»Nein. Das hier war der 68er-Stammtisch. Paul hat in seinen Geburtstag reingefeiert. Die Familienfeier sollte morgen, ich meine heute, zu Hause in Ehrenfeld stattfinden.«

»Es ist jetzt ein Uhr dreiundfünfzig«, sagte Menden. »Wo hast du dein Handy?«

»In der linken Hosentasche.«

»Telefonieren ist okay.«

Menden fischte Georgs Handy aus der Tasche. »Während du anrufst, werde ich Müller sagen, dass er die äußere Absperrung aufheben kann. Danach binde ich dich los. Soll ich für dich wählen?«

Gertrud Odenthal hob sofort ab. »Ja?«

»Georg hier.«

»Was ist los?«

»Paul ist im Krankenhaus. Die Geburtstagstorte …«

»… ist explodiert«, unterbrach Rud, »weiß ich längst. Du bist live im Fernsehen. Die Reporterin sagt, du wärst der Hauptverdächtige, deshalb hätte dich der Kommissar auch an eine Laterne gefesselt.«

»So ein Unsinn.«

»Aber ich sehe dich doch. Du bist an eine Laterne angekettet. Jetzt, jetzt bewegt sich die Kamera, kommt noch näher ran.«

Georg sah, dass Müller an der Spitze einer Meute von Fotografen und Fernsehteams heranrollte.

»Gertrud«, sagte Georg, »Paul liegt in der Uniklinik. Notaufnahme. Du musst da hin. Sag Rosa Bescheid. Aber mache ihr keine Angst.«

»Ich soll ihr keine Angst machen? Die sitzt neben mir und kriegt alles mit.«

»Bitte, fahrt in die Uniklinik. Kümmert euch um Paul. Ich komme nach, so schnell ich kann.«

»Nicht näher als zehn Meter«, befahl Menden den Presseleuten.

Georg entdeckte einen BLITZ-Kollegen, Jo, den »freiberuflichen Polizeireporter«, wie er sich nannte, fleißig, frech, schlecht bezahlt. Den Nachnamen hatte Georg vergessen. Aber vielleicht war Jo inzwischen eine eigene Marke wie Fotograf Zack, von dem auch kaum jemand den wirklichen Namen kannte.

»Rubin, was machen Sie da?«, wollte der Kollege wissen. »Herr Müller von der Polizei sagte, Sie wären vorläufig festgenommen.«

»Quatsch. Ich halte die Laterne fest, damit die hier Licht haben. Sie wissen doch, alles morsch in der Stadt.«

Jo grinste. »Und die Handschellen?«

»Nein, die sind nicht morsch.«

Menden rief Polizeihauptkommissar Müller zu sich. »Ich binde Herrn Rubin jetzt los. Sie passen auf, dass er uns nicht ohne meine Erlaubnis verlässt.«

»Geht klar, Kollege.«

»Aber«, protestierte Georg, »ich habe doch schon längst erklärt, dass ich als Zeuge zur Verfügung stehe.«

»Ob als Zeuge oder Angeklagter, das ist nicht Ihre Entscheidung«, hallte eine Frauenstimme durch die Nacht.

Frau Oberstaatsanwältin Dr. Eva Winzer. Ein Gesetzbuch auf zwei Beinen in High Heels.

Sie war nicht allein gekommen, in einem Rollstuhl schob sie einen gebrechlichen Mann vor sich her, dessen scharfe Augen hektisch das Gelände absuchten und dessen Hände rhythmisch zitterten. Parkinson, dachte Georg.

»Das ist mein Vater, Professor Dr. jur. Otto Winzer«, sagte die Staatsanwältin.

Sowohl Eva Winzer als auch ihr Vater waren in Beerdigungs-Schwarz gekleidet. Am Revers des Professors blitzte ein Anstecker auf, Bundesverdienstkreuz. Eva fuhr den Rollstuhl bis zu der Plane, unter der sie den Leichnam ihres Bruders vermutete.

Georg sah Entschlossenheit, aber keine Trauer. Andererseits: Was hatte er erwartet? Wie musste denn Trauer in einer solchen Situation aussehen?

»Menden, mein Vater und ich sind gekommen, um von Norbert Abschied zu nehmen. Also bitte.«

Menden hob die graue Plastikplane an, gerade so hoch, dass Eva und der Vater etwas sehen konnten.

»Napalm«, sagte der Alte.

»Was haben Sie gesagt?«, fragte Menden.

»Das war Napalm«, wiederholte der emeritierte Professor.

Georg hatte sofort verstanden. Schon wieder Napalm. Was hatten die alten Männer nur mit diesem Teufelszeug?

»Jetzt bitte noch die Füße«, sagte Eva Winzer.

»Wie bitte?«, fragte Menden.

»Die Füße. Ich will nur sicher sein«, sagte Eva.

Diesmal konnte auch Georg einen Blick auf den Leichnam werfen. Man hatte dem Toten die Schuhe ausgezogen. Aus der Entfernung sah es so aus, als hätte er ein Loch im großen Zeh des linken Fußes, groß wie ein Durchschuss.

Oder die Spur einer Kreuzigung, dachte Georg.

»Ja, er ist es«, sagte Eva.

»Komm, Vater«, sagte sie und schob den Rollstuhl an ihren schwarzen Mercedes-Transporter. Eine Rampe fuhr aus dem Heck aus, sodass der alte Mann auf dem Rollstuhl sitzend hineingefahren werden konnte.

Eva Winzer kam zurück zu Menden. »Norbert hat uns erzählt, was hier heute Abend stattfinden sollte. Angeblich nur eine Geburtstagsfeier von ehemaligen Studenten. Vater wusste es besser. Alles linke Revoluzzer. Mein Vater hat Norbert gewarnt, mein Bruder hat nicht auf ihn gehört. Er hat leider nie auf ihn gehört. Sonst wäre er Rechtsanwalt geworden und nicht Schauspieler.«

Sie machte eine Pause. Dann wiederholte sie das letzte Wort, als wollte sie es ausspucken: »Schauspieler. Aber das ist ja auch so ein Erbe von 68, dass die Jugend keine Ehrfurcht mehr vor dem Alter hat. Menden, Sie sehen, wohin das alles geführt hat. Sorgen Sie dafür, dass mein Bruder von der Straße kommt.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Eva ab und hielt auf Georg zu. »Herr Rubin, dass es Sie erwischt hat, freut mich besonders. Sonst haben Sie ja immer nur die anderen mit Dreck beworfen.«

Eva schaute Georg direkt in die Augen.

»Mein Beileid«, sagte Georg, »ich kannte Ihren Bruder.«

»Sparen Sie sich Ihr Beileid. Gehen Sie lieber auf Mördersuche, falls Sie es nicht selbst gewesen sind. Oder Ihr Vater. Oder seine linksradikalen Freunde.«

Sie ließ Georg stehen. Er war froh, dass er ihr nicht antworten musste. Was hätte er auch sagen können?

Menden checkte die polizeilichen Maßnahmen. Die Personalien aller Zeugen waren aufgenommen. Die Kriminaltechnik versuchte, im Innern der Studiobühne Spuren zu sichern, was nach dem Brand und der Löschaktion nicht einfach sein würde.

Der Notarzt hatte Winzers Tod zweifelsfrei festgestellt und nach der ersten äußeren Leichenschau die wahrscheinliche Todeszeit auf zwei bis drei Stunden vor dem Feuer eingegrenzt. Winzer war also nicht verbrannt, sondern bereits vorher getötet worden.

Georg fragte sich, was Norbert Schlimmes verbrochen hatte, dass ihn der Mörder gleich zweimal töten musste.

Der Bereitschaftsstaatsanwalt, der zeitgleich mit Frau Winzer alarmiert worden war, ordnete die Überführung des Toten in die Gerichtsmedizin an, wo er noch in der Nacht obduziert werden sollte.

Menden gab das Zeichen, dass Norbert Winzers Leichnam abtransportiert werden könnte, dann sagte er zu Georg: »Ich möchte, dass du morgen um elf Uhr bei mir im Präsidium bist. Die Freunde deines Vaters habe ich ab zwölf Uhr bestellt.«

Georg machte sich auf den Weg Richtung Uniklinik, hinter ihm setzte sich eine Prozession in Marsch. Als er sich umdrehte, sah er, dass es Pauls Freunde waren. Der einäugige Rainer lächelte ihn an. »Meinst du, wir lassen ihn im Stich?«

Sie gingen die Zülpicher Straße stadtauswärts. Die Revoluzzer folgten Georg in kleinem Abstand. Er hörte ihre Schritte, und dann hörte er, dass sie ein Lied anstimmten. Erst sang nur einer ganz leise: »Dem Morgenrot entgegen ihr Kampfgenossen all…«, am Schluss stimmten alle mit ein: »Wir sind die junge Garde des Proletariats, wir sind die junge Garde des Proletariats.«

Sie sangen laut, sie sangen nicht alle in derselben Tonart.

An der Ecke Robert-Koch-Straße lief im zweiten Stock eine Studentenparty bei offenem Fenster. Ein knutschendes Pärchen, es waren zwei Frauen, wurde aufmerksam. »Hey, Jungs, könnt ihr auch ›Satisfaction‹?«

Kapitel 3

»Ich kann euch nicht in die Klinik mitnehmen«, sagte Georg zu Kurt und hoffte darauf, dass der Stammtischälteste und alternative Ehrenbürger Einfluss auf die anderen hatte.

Kurt dachte nach, was sich dadurch äußerlich bemerkbar machte, dass sein gewaltiger Schnurrbart von links nach rechts und wieder zurück wackelte. »Wir waren schon immer Anarchisten und Individualisten«, erwiderte er schließlich, »da macht jeder, was er will.«

»Und so wolltet ihr eine Revolution durchziehen?«

»Klar, jeder für sich und manchmal gemeinsam.«

»Ich bin kein Anarchist«, protestierte Friedhelm Houben, »ich war Sozialdemokrat und bin es heute noch.«

Friedhelm, den unvermeidlichen roten Schal dekorativ um den Hals drapiert, war Vorsitzender der SPD-Fraktion im Kölner Stadtbezirk Lindenthal und sogar Bundesvorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft der Übersechzigjährigen in der SPD. Die AG 60 plus war das Gegenstück zu den Jungsozialisten, den JuSos, manche nannten die SPD-Veteranen deshalb despektierlich ASos.

»Wer hat uns verraten?«, skandierte Hartmut Meyers, »Sozialdemokraten!«, stimmten die anderen ein.

»Euch fällt auch nichts Neues ein«, moserte Friedhelm. »Ich marschiere nicht weiter mit. Ich setze mich in meine Kneipe und gebe mir einen aus. Wer Durst hat, ist eingeladen.«

Friedhelms Kneipe namens »Anschlag« lag in der Zülpicher Straße an der Straßenbahnhaltestelle Lindenburg/Universitätskliniken, eine Straßenecke von der Notaufnahme entfernt.

»Wer ist dafür, dass wir Friedhelms Antrag annehmen?«, fragte Kurt, während sie die Kneipe betraten. Ohne eine Reaktion abzuwarten, fuhr er fort: »Gegenstimmen? Keine. Dann also: Freibier für alle.«

»Für mich ein Wasser«, sagte Hartmut Meyers und steuerte seinen Rollstuhl an die Theke, »du weißt ja, warum.«

»Klar, einmal Wasser«, sagte Friedhelm.

Georg war froh, die laute Gesellschaft los zu sein.

»Ich komme mit«, sagte Johannes Bäck.

»Nicht nötig«, sagte Georg.

Doch Johannes blieb entschlossen. »Ich komme mit. Dann kannst du bei deinem Vater bleiben, und ich kann die anderen informieren, wenn wir wissen, wie es Paul geht.«

Schweigend gingen die beiden Männer in Richtung Uniklinik. Kurz vor dem Haupteingang fragte Johannes: »Hast du gehört, was ich dir vorhin nachgerufen habe?«

»Wann denn?«

»Als du in die brennende Studiobühne gerannt bist, um den Mann zu retten.«

»Ja, du hast mir gesagt, dass da noch jemand ist.«

»Und sonst? Sonst hast du nichts gehört?«

»Nein. Warum fragst du?«

»Ich mache mir Sorgen um Paul«, sagte Johannes.

»Ich mir auch«, sagte Georg.

In der Universitätsklinik herrschte Hochbetrieb. Irgendwie hatte Georg erwartet, dass sein Vater der einzige Patient sein würde, aber dem war nicht so. Eine Hausfrau war in der Küche von der Leiter gefallen und mit dem Kopf auf einer Granitarbeitsplatte aufgeschlagen, als sie eine Glühbirne wechseln wollte. Drei Männer hatten sich um eine Frau geprügelt und lagen jetzt einträchtig nebeneinander. Ein Motorradfahrer hatte das Wettrennen gegen einen Porschefahrer verloren, nachdem er in der letzten Kurve vor einen geparkten Lkw geknallt war.

So genau wollte Georg das alles gar nicht wissen, aber die blonde Nachtschwester am Empfang, sie hieß Sylwia »mit y und w«, ließ sich kaum stoppen.

»Bitte, können Sie mir endlich sagen, wo ich meinen Vater finden kann«, sagte Georg. »Paul Rubin. Ist mit dem Rettungswagen eingeliefert worden. Hatte Brandverletzungen.«

»Sie hören mir nicht zu«, sagte Sylwia. Sie sprach mit osteuropäischem Akzent. »Wissen Sie, was hier los ist? Meine Schicht läuft jetzt genau«, sie schaute auf die Krankenhausuhr, »genau seit elf Stunden und siebenundzwanzig Minuten.«

»Nehmen Sie das, Sylwia«, sagte Johannes und reichte der gestressten Frau eine Tüte mit Fruchtgummi. Rote Lippen mit Himbeergeschmack.

Sylwia zögerte.

»Hier. Sie müssen sie rumdrehen, dann lächeln sie.«

Johannes steckte ihr die Fruchtgummilippen in den Mund. Sylwia strahlte. »Danke. Schmecken gut.«

»Und jetzt sagen Sie uns bitte, wo wir Herrn Rubin finden.«

Johannes hielt ihr noch einmal die Tüte hin.

»Notaufnahme. Ich werde Sie anmelden. Fragen Sie nach Schwester Silvia, mit i und v.«

»Ich warte hier«, sagte Johannes. »Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Mit meinen roten Himbeerlippen.«

Schwester Silvia in der Notaufnahme, kurzes schwarzes Haar, war deutlich weniger genervt als die Kollegin am Empfang. »Herr Rubin, gut, dass Sie kommen. Sie müssen noch die Formalien für Ihren Vater erledigen.«

»Welche Formalien? Ist denn seine Frau, Gertrud Odenthal, nicht hier?«

»Doch, sicher. Aber Frau Odenthal ist nicht verheiratet mit Ihrem Vater. Und eine Vollmacht hat sie auch nicht.«

»Vollmacht? Habe ich auch nicht.«

»Aber Sie sind sein Sohn?«

»Ja.«

»Sieht man gleich. Bitte hier unterschreiben. Und hier. Und hier noch einmal.«

Schwester Silvia präsentierte Georg einen Stapel eng bedruckter Papiere, die er nicht durchlas.

»Ihre Unterschrift ist ziemlich unleserlich«, mäkelte Schwester Silvia.

»Aber schnell«, sagte Georg. »Darf ich jetzt endlich zu meinem Vater?«

»Dem geht es gut. Er schläft. Wenn alles richtig berechnet ist, wird er gegen fünf Uhr aus der Narkose aufwachen.«

»Und wo ist meine Tochter? Rosa?«

»Oh, die junge Dame ist ganz reizend. Sagt, sie will Ärztin werden. Aber das wissen Sie ja bestimmt.«

»Ärztin? Nie gehört. Rennfahrerin schon eher.«

»Sie ist bei Ihrem Vater. Hält sozusagen Nachtwache. Gemeinsam mit Frau Odenthal.«

Georg öffnete die Tür zu Pauls Krankenzimmer, leise, um ihn nicht aufzuwecken, dabei lag er ohnehin im Koma. Paul atmete ruhig. Neben dem Bett flimmerten seine Herzschläge über einen Monitor.

»Alles in Ordnung«, sagte Schwester Silvia.

Gertrud Odenthal schlief angezogen auf einem freien Krankenbett.

Rosa, die zwischen Bett und Fenster saß, hielt ein schweres blaues Buch in der Hand. Auch sie schien eingenickt. Ein Geräusch weckte sie auf, sie zuckte, öffnete das Buch an der Stelle, wo sie ihre Hand hineingelegt hatte, und las mit leiser Stimme: »Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; zwanzig Prozent, es wird lebhaft; fünfzig Prozent, positiv waghalsig; für hundert Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; dreihundert Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«

»Was liest du da?«, rief Georg und nahm Rosa, die erschrak, weil sie ihn nicht hatte kommen hören, in den Arm.

»Georg, gut, dass du endlich hier bist. Das Buch habe ich von Opas Nachttisch. Ich habe genau da weitergelesen, wo er einen Zettel eingelegt hatte. Ich dachte, das tut ihm gut.«

Georg inspizierte das Buch. »Das Kapital«, erster Band, von Karl Marx. Paul hatte ihm erzählt, dass er 1968 mit der schwierigen Lektüre begonnen hatte. Jetzt war er, mit Rosas Hilfe, immerhin schon auf Seite 788 angelangt. Oder er arbeitete das fundamentale Werk noch einmal von vorne durch.

Aus Pauls Körper krochen Schläuche in die ihn umringenden Apparaturen. Die linke Hälfte seines Gesichtes war durch einen Verband verdeckt, die rechte Hälfte sowie Mund und Nase waren frei. Mehr als eine Rötung wie bei einem Sonnenbrand war dort nicht zu sehen.

»Bin ich froh, dass es ihm besser geht«, sagte Georg. »Ich hatte solche Angst.«

»Ich will Ihnen nicht die Hoffnung nehmen«, sagte Schwester Silvia, »aber wir müssen befürchten, dass sein linkes Auge nicht zu retten ist. Vielleicht kann man später Haut von anderen Körperteilen transplantieren. Bis dahin wird er noch viele Schmerztabletten benötigen. Aber er wird leben.«

»Er wird leben«, wiederholte Georg. Warum merkte man immer erst, dass man jemanden liebt, wenn es ihm schlecht geht?

Er berührte Pauls rechte Hand, die unter der Decke hervorlugte. Bekam man im Koma doch mehr mit als gemeinhin angenommen? Würde Paul sich später an Rosas Karl-Marx-Vorlesung erinnern?

Georg schaute auf den bewusstlosen Körper. »Da. Er hat sich bewegt. Haben Sie das nicht gesehen?«

»Er wird trotzdem erst in einer Stunde aufwachen«, sagte Schwester Silvia.

»Hat Ihr Anästhesist noch nie einen Fehler begangen?«

»Nein. Nie.«

Schwester Silvia kontrollierte den Herzschlagmonitor, der stärkere Aktivitäten zeigte. »Ich rufe den Oberarzt.«

Der Körper des Alten wurde unruhiger, als wollte er sich aufbäumen, ohne die Kraft dafür zu haben.

Die Tür zum Krankenzimmer öffnete sich, und Oberarzt Dr. Fischer erschien.

Frau Odenthal richtete sich auf. »Was ist los?«

»Alles in Ordnung«, sagte Schwester Silvia.

Gertrud kletterte aus dem Bett.

Oberarzt Dr. Fischer fühlte Pauls Puls und wiegte den Kopf.

»Da«, rief Rosa. »Er hat sich bewegt. Schon wieder. Opa. Opa. Ich bin hier.«

Das Mädchen stellte sich so vor das Fenster, dass Paul sie mit seinem nicht verbundenen Auge sehen müsste.

Alle starrten wie gebannt auf das Gesicht des Mannes im Krankenbett.

Die Zuckungen auf dem Monitor beschleunigten sich.

»Es ist so weit«, sagte Dr. Fischer. »Alles klarmachen zum Touchdown.«

Der Arzt hörte Paul ab, fühlte den Puls, regulierte etwas an den Apparaturen.

»Und dann will ich den Gasmann sehen«, flüsterte er zur sichtlich aufgeregten Schwester. »Er muss mir erklären, wieso er sich um eine Stunde verrechnet hat.«

Die Bewegungen auf den Monitoren wurden hektischer.

»Tolle Klinik«, sagte Georg. »Die wecken ihre Komapatienten neuerdings mit Elektroschocks auf, todsichere Methode.«

»Opa. Opa. Ich bin hier«, wiederholte Rosa ihr Wiederbelebungsprogramm.

Mit kaum hörbarer Stimme sagte Paul: »Es tut zu weh, die Augen zu öffnen. Aber ich höre dich, meine Kleine.«

»Opa«, rief Rosa, wischte sich eine Träne aus dem Gesicht und begann zu singen: »Wie schön, dass du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermisst. Wie schön, dass wir beisammen sind. Wir gratulieren dir, Geburtstagskind.«

Georg und Frau Odenthal sangen mit.

»Das geht so nicht«, protestierte Oberarzt Dr. Fischer. »Herr Rubin braucht Ruhe.«

»Liebe hat noch nie geschadet«, sagte Gertrud Odenthal.

»Gnädige Frau, das will ich nicht ausdiskutieren, aber mindestens ein Drittel der Notfallpatienten, mit denen ich es zu tun bekomme, haben sich ihre Verletzungen aus Liebesgründen zugezogen«, sagte Oberarzt Dr. Fischer.

»Gebrochene Herzen nicht eingerechnet«, assistierte Schwester Silvia.

Der Oberarzt komplimentierte alle Besucher nach draußen. »Es ist das Beste, wenn Sie nach Hause gehen. Wir tun hier alles, was für ihn getan werden kann.«

Dr. Fischer wandte sich an Georg: »Wenn Sie eine Minute Zeit für mich hätten.«

Georg folgte dem Arzt in ein kleines Büro.

»Herr Rubin«, begann Fischer, »Ihr Vater wird nach diesem Unfall nicht mehr derselbe sein.«

»Ich verstehe nicht.«

»Seine linke Gesichtshälfte wird entstellt bleiben. Das Auge ist wohl nicht zu retten. Der Rest wird rotes Fleisch mit Narben sein. Kein schöner Anblick.«

»Er wird es verkraften. Ihm hat ›Das Phantom der Oper‹ schon immer gefallen.«

»Eine weiße Maske? Das Phantom war sehr einsam. Es geht mir mehr darum, wie andere auf ihn reagieren werden. Frau Odenthal. Sie ist doch seine Partnerin?«

Georg nickte.

»Ihre Tochter. Für sie und andere wird das schwer zu verkraften sein.«

»Warum sagen Sie mir das?«

»Damit Sie sich auf das Schlimmste einstellen können.«

Kapitel 4

Es war sechs Uhr morgens, als Georg mit Gertrud und Rosa zu Hause in der Vogelsanger Straße Ecke Piusstraße ankam. Gertrud wohnte mit Paul in einer Erdgeschosswohnung zur Hofseite, Georg und Rosa hatten das Apartment gleich gegenüber zur Piusstraße hin, wobei Rosa außerdem noch ein Kinderzimmer bei Rud und Paul nutzen konnte und dort auch meistens schlief.

Während Gertrud und Rosa müde ins Bett fielen, nahm Georg eine Dusche, zog sich frische Klamotten an und setzte sich an den Rechner, um nachzuforschen, was über den Brandanschlag auf die Studiobühne im Netz zu lesen war.

Der BLITZ hatte eine kurze Polizeimeldung online gestellt, keine Namen, keine großen Schilderungen. Jo, der Polizeireporter, war mit seinem Material zu spät für die Printausgabe gekommen. Am Ende des Artikels gab es einen Link zu Colonia-TV.

Der Fernsehsender, der auch zum BLITZ-Konzern gehörte, war in der Nacht live auf Sendung gewesen und hatte das Video auf seiner Website veröffentlicht.

Georg entdeckte sich selbst, wie er an den Laternenmast angekettet war, ein nahezu surreales Bild. Warum hatte Menden ihm das angetan?

Die Moderatorin hatte Polizeihauptkommissar Müller interviewt, der hatte grinsend in die Kamera gesagt, dass Georg Rubin, Chefreporter des BLITZ, der Hauptverdächtige sei. Sein Kollege von der Mordkommission habe ihn überwältigt, als er fliehen wollte. Für die Bevölkerung bestehe keine Gefahr.

Dieser Wahnsinnige in Uniform hatte Georgs vollen Namen und seinen Beruf genannt, und die TV-Kollegen hatten das ausgestrahlt. Protest? Zwecklos! »War eben live«, würden sie sich rausreden.

Drei Motorradrocker ließen ihre schweren Maschinen, es waren BMW, ausgerechnet vor Georgs Fenster zur Piusstraße aufheulen. Rücksichtsloses Gesindel!

Georg schickte eine Mail an BLITZ-Chefredakteurin Carola Maar, um ihr mitzuteilen, dass er heute nicht in die Redaktion kommen konnte.

Sie duzten sich, aber ihr Verhältnis war nicht gut. Carola war nur deswegen befördert worden, weil Georg auf den Posten verzichtet hatte. Früher hatten sie nach Dienstschluss Tango Argentino getanzt. Lange her. Sie hätte keine Zeit mehr für so etwas. Bis zu zwölf Stunden täglich investierte sie in die Redaktionsarbeit, den Sinkflug der Auflage hatte sie trotzdem nicht aufhalten können.

Von der Straße kam ein schmieriges Lachen. Georg beobachtete, wie die Motorradrocker eine junge Frau mit Kopftuch anpöbelten, die vermutlich auf dem Weg zur Arbeit war.

Er riss die Tür zum Garten auf, um den Rüpeln die Meinung zu sagen. Einer der drei ließ sein Bike wie einen Hengst hochsteigen und drohte, durch die Hecke hindurch in Georgs Vorgarten zu fahren. Georg bewaffnete sich mit einer Harke, die er auf dem Rasen fand, aber da gab der Anführer der drei das Signal zur Weiterfahrt, und der Angreifer drehte ab.

Zurück am Schreibtisch bekam Georg eine Fehlermeldung, die Nachricht an die Chefredakteurin war vom Mailserver des Pressehauses nicht angenommen worden. Erst bei der dritten Kontrolle entdeckte Georg, dass er in der Mail-Adresse »Xarola« statt »Carola« geschrieben hatte. Er korrigierte den Tippfehler und schickte die Nachricht noch einmal raus.

Früher hatte Georg geglaubt, er als Chefredakteur hätte den BLITZ wieder nach oben bringen können. Inzwischen hatte er diesen Optimismus nicht mehr. Vielleicht würde die Marke BLITZ überleben, aber der gedruckten Tageszeitung mit eigener Redaktion gab er maximal noch zehn Jahre.

Seit dem Tod des Altverlegers herrschte im Verlag eine besondere Unruhe. Welchen Kurs würden die Erben einschlagen? Noch mehr Einsparungen? Noch weniger journalistische Mitarbeiter? Noch mehr Zusammenlegungen?

In den USA gab es Zeitungen, die Artikel von Computern anfertigen ließen. Die passten so perfekt in die neue Zeit, dass sie von den Internet-Suchmaschinen besser bewertet wurden als von Menschen geschriebene Texte. Und die Leser? Die schienen den Unterschied nicht mal zu bemerken.

Georg schaute sich noch einmal das Video auf Colonia-TV an. Er sah nicht wirklich gut aus vor der Kamera. Leichter Bauchansatz statt Sixpack. Kein Wunder, dass es außer Carola Maar, Gertrud Odenthal und seiner Tochter Rosa kaum noch Frauen in seinem Leben gab.

Seine letzte Freundin, Mercedes Schumann, schraubte lieber an ihren Porsches rum, als sich mit Georg über Politik, Kunst und Computer zu unterhalten. Und er stand auch mehr auf Frauen in Rock und High Heels als in Arbeitsschuhen und Blaumann. Wenn Amal Amirouche endlich ein Lebenszeichen schicken würde, das wäre es.

Der Taxifahrer, der ihn von Ehrenfeld zum Polizeipräsidium in Kalk bringen sollte, war pünktlich. Dann geschah gleich ein zweites Wunder: Es gab keinen Stau. Entweder kannte der Taxifahrer die geheimsten Schleichwege, die nur vom Vater an den Sohn weitergegeben wurden, oder die Verkehrslage in der Stauhauptstadt Köln hatte sich gebessert. Jedenfalls stand Georg eine Viertelstunde zu früh vor Georg Mendens Büro, was ihn ärgerte, weil ihm der Eintritt verwehrt wurde.

»Erster Kriminalhauptkommissar Menden ist in einer Besprechung, er möchte nicht gestört werden«, beschied ihm eine Frau Mitte dreißig mit grünen Augen, langen dunklen Haaren, kurzem Rock und eng geschnittenem Blazer, die dann in ebenjenem Büro verschwand, dessen Bewohner nicht gestört werden durfte.

Georg tigerte den Behördenflur auf und ab, was ihm zwar ein Lob seiner Fitness-App einbrachte, aber seine Laune nicht verbesserte.

Um drei Minuten nach zehn kam Gerald Menden aus dem Büro, hielt der Frau mit den grünen Augen die Tür auf und begrüßte Georg: »Schön, dass du pünktlich bist. Darf ich dir Kriminaloberkommissarin Bettina Kowalski vorstellen? Sie wird deine Vernehmung durchführen.«

Ihre Hand fühlte sich fest und kühl an. »Angenehm. Aber ich dachte, du …«

»Ich leite die Ermittlungen, ja«, sagte Menden, »aber Kollegin Kowalski wird das Gespräch mit dir führen. Du wirst sehen, sie macht das erstklassig. Mit eurer Erlaubnis bin ich als stummer Gast anwesend.«

Das Vernehmungszimmer war spartanisch eingerichtet, ein Schreibtisch, vier Stühle, auf dem Tisch eine Flasche Mineralwasser und zwei Gläser.

Menden setzte sich neben die Eingangstür, für Georg blieb der Stuhl vor dem Schreibtisch, hinter dem die Polizistin Platz nahm. Neben ihr saß ein Polizist, der Protokoll führte.

Georg stellte fest, dass sie Schuhe ausgesucht hatte, die farblich genau zum Grün ihrer Augen passten, keine High Heels, sondern halboffene Schuhe mit Blockabsatz von fünf Zentimetern. Eher bequem als elegant.

Die Kommissarin knöpfte ihren Blazer auf, darunter trug sie ein hellgrünes Männerhemd, keine Krawatte, den obersten Knopf hatte sie geöffnet.

»Herr Menden hat mir das Wichtigste zu Ihrer Person mitgeteilt. Auch was Sie ihm über den gestrigen Abend erzählt haben. Entschuldigen Sie, falls ich etwas wiederhole.«

Sie sprach ruhig, ohne erkennbare Gemütsregungen.

»Sie kannten Herrn Winzer?«

Georg wunderte sich über diese erste Frage. Er antwortete nicht sofort, schaute in ihre Augen, wich ihrem Blick aus, schaute auf seine Hände, ehe er schließlich sagte: »Ja, ich kannte ihn.«

»Wie gut kannten Sie ihn?«

Bettina Kowalski öffnete die Wasserflasche, goss sich ein Glas ein und schob es in Georgs Richtung. Dann füllte sie das zweite Glas für sich und trank.

»Danke«, sagte Georg. »Was heißt: wie gut? Ich wusste, dass er sich in einer Flüchtlingsinitiative engagierte. Ich habe darüber mal einen Artikel geschrieben. Ich wusste, dass er Schauspieler war. Er hatte an der Studiobühne gelernt, jobbte dort manchmal.«

Die Polizistin blätterte in der Akte, die sie mitgebracht hatte. »Ist das der Artikel?«

»Ja«, sagte Georg und fragte sich, warum sich die Polizei dafür interessierte.

»Sie wussten also, dass Herr Winzer politisch links eingestellt war?«

»Er hat sich für Flüchtlinge eingesetzt. Ja, vermutlich war er politisch eher links. Aber was tut das zur Sache? In der Flüchtlingsinitiative sind auch Pfarrer dabei. Menschen aus allen Parteien. Menschen ohne Parteihintergrund. Menschen. Mehr nicht.«

»Ich verstehe«, sagte Frau Kowalski und trank wieder einen Schluck Wasser.

»Wann haben Sie Herrn Winzer zuletzt gesehen?«

»Gestern Abend.«

»Das meinte ich nicht. Wann haben Sie ihn das letzte Mal vor gestern Abend gesehen?«

Georg nahm sich wieder etwas Zeit. Etwas beunruhigte ihn an dieser Vernehmung. Warum fragte sie nur nach Winzer? Warum nicht nach ihm oder seinem Vater? Warum fragte sie ihn nicht, was gestern geschehen war?

»Es war genau gestern vor zwei Wochen«, sagte er endlich.

»Ja? Und?«

»Wir haben uns in der Studiobühne getroffen. Mein Vater hatte mir erzählt, dass in dem Gebäude 1968 die Mensa der Uni untergebracht war. Wussten Sie das?«

»Ja«, sagte die Kommissarin. »Und weiter?«

»Ich habe Norbert gefragt …«

Die Polizistin unterbrach ihn: »Sie duzten sich?«

»Ja. Finden Sie das ungewöhnlich?«

»Ich wollte es nur festhalten.«

»Ich habe Norbert also gefragt, ob ich an diesem Freitag, also heute, die Studiobühne mieten könnte. Für eine Geburtstagsfeier. Mein Vater wird heute achtundsechzig Jahre alt.«

»Wieso waren Sie dann schon gestern dort?«

»Für den heutigen Freitag war ein Theaterstück angesetzt. Der Donnerstag war spielfrei. Aber da ging es auch nicht. Eigentlich.«

»Herr Rubin, Sie sind Journalist. Da sollten Sie gelernt haben, sich kurz und präzise auszudrücken. Also bitte.«

Die Kommissarin tippte mit einem Kugelschreiber rhythmisch auf die Tischplatte, bis Georg antwortete.

»Norbert sagte mir, dass die Studiobühne grundsätzlich nicht an Dritte vermietet würde. Er könnte das schon gar nicht entscheiden, er sei ja nur Aushilfe. Er hatte nicht wirklich viele Aufträge als Schauspieler.«

»Sie meinen, er hatte Geldsorgen?«

»Nein, den Eindruck hatte ich nicht. Ich glaube, er hatte von Hause aus Geld. Aber …«

Georg stand auf, stellte sich hinter seinen Stuhl und stützte sich auf die Lehne: »Aber er hat das Geld seiner Familie nicht so gerne genommen. Er wollte sein eigenes Leben führen. Ich habe ihm hundert Euro angeboten. Wir haben uns dann bei hundertfünfzig Euro geeinigt. Für dieses Geld durften wir das Café vor der Theaterkasse nutzen. Er würde es so einrichten, dass der Raum aufgeschlossen wäre, für alles andere müssten wir selbst sorgen. Mir war das recht, dann würden wir eben in den Geburtstag meines Vaters hineinfeiern. Wir waren ja nur zwölf Personen, da war das Café groß genug.«

»Sie haben ihn also bestochen?«

»Ich habe das damals nicht so gesehen. Aber jetzt, wo Sie es sagen.«

»Haben Sie mit Herrn Winzer noch Details der Feier besprochen?«

»Nein, nicht wirklich. Dass wir für die Musik sorgen würden und für die Getränke, das ja. Auch dass es um Mitternacht eine Geburtstagstorte geben würde. Mehr nicht.«

»Haben Sie mit Herrn Winzer auch über die anderen Geburtstagsgäste gesprochen?«

»Ach, das meinen Sie. Klar. Das war ja der Stammtisch meines Vaters. Mit ihm zusammen elf mehr oder weniger alte Männer mit gemeinsamer Vergangenheit. Alles alte 68er, also Menschen, die um 1968 rum an der Universität waren. Die treffen sich regelmäßig und streiten über den richtigen Weg zum Sozialismus.«

Frau Kowalski blätterte in ihren Unterlagen. »Wenn ich das hier richtig lese, war Ihr Vater Druckereifacharbeiter und hat nie studiert.«

»Er war Metteur. Ja, er hat nie studiert. Aber er war 1968 achtzehn Jahre alt und fasziniert vom SDS, der APO und allem, was da an Revoluzzertum entstand. Er hat nicht studiert, aber er war sehr wohl an der Uni. In der Freizeit. Das Motto seines Geburtstages war ›1968 – fünfzig Jahre danach‹. Deshalb wollte ich ja unbedingt in die alte Mensa. Möglichst stilecht wie damals.«

»Das heißt also, dass Herr Winzer sehr wohl wusste, wer da in der Studiobühne feiern würde. Elf ehemalige linksradikale Studenten.«

»Ja. Ehemalige, wie Sie sagen. Die sind alle in Rente oder pensioniert. Einer war Regierungssprecher in Nordrhein-Westfalen. Ein Zweiter war ein hohes Tier beim WDR. Professoren haben wir auch. Einen alternativen Ehrenbürger. Alles honorige Männer.«

»Und Frauen?«

»Nein, Frauen gehörten nicht zu Pauls Stammtisch.«

»Und gestern Abend?«

»Auch nicht.«

»Also nur Alkohol?«

»Nein, auch Sahne-Nuss-Torte.«

»Um Mitternacht?«

»Um Mitternacht.«

»Mit achtundsechzig Kerzen?«

»Mit zwei Kerzen. Eine Kerze in der Form einer Sechs, die andere in der Form einer Acht.«

»Und mit diesen beiden Kerzen haben Sie die Studiobühne in Brand gesetzt?«

Georg hörte ein Stühlerücken. Gerald Menden war aufgestanden und kam an den Vernehmungstisch. »Es tut mir leid, ich muss mich an dieser Stelle verabschieden. Ich habe mich um die anderen Zeugen zu kümmern.«

»Hast du gehört, was sie gefragt hat?«, empörte sich Georg. »Ich soll die Studiobühne in Brand gesetzt haben. Was soll das? Bin ich Zeuge oder Beschuldigter? Oder sucht ihr einen Kerzenzauberer für den Polizeikarneval?«

»Sie sind als Zeuge hier«, sagte die Kommissarin.

»Dann möchte ich auch so behandelt werden.«

»Es wäre vielleicht sinnvoll«, sagte Menden, »wenn ihr euch gegenseitig ausreden lasst. Ihr seid ja fast wie ein altes Ehepaar, das …«

»Altes Ehepaar? Ich und sie? Im Leben nicht«, schimpfte Georg.

»Wenn Sie mit meiner Vernehmungsführung nicht einverstanden sind …«, sagte Frau Kowalski.

»Nehmen Sie das weniger als Kritik denn als Ratschlag. Sie machen das schon«, sagte Menden und verschwand durch die Tür.

»Wo waren wir?«, fragte die Kommissarin, nachdem sie einen Moment geschwiegen hatte, um sich zu fassen.

»Altes Ehepaar«, sagte Georg.

Die Polizistin lachte, endlich einmal, Georg ließ sich von ihrem Lachen anstecken.

»Vielleicht sollten wir eine Pause einlegen. Wie wäre es mit einem Kaffee?«

»Gerne«, sagte Georg.