Millionenallee - Edgar Franzmann - E-Book
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Edgar Franzmann

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Beschreibung

Eine Hand wäscht die andere – auch unter Verbrechern ... Der fesselnde Regiokrimi »Millionenallee« von Edgar Franzmann jetzt als eBook bei dotbooks. Die Abgründe von Köln ... Als Sohn eines reichen Geschäftsmanns könnte Franck ein bequemes Leben führen. Doch dann kommt er einem schweren Betrugsfall im Unternehmen seines Vaters auf die Spur – und wird kurz darauf in der Kölner City brutal niedergeschlagen. Während die gutsituierten Passanten wegschauen, versorgt ausgerechnet eine Gruppe Obdachloser seine Verletzungen. Als Franck wieder zu sich kommt, weiß er, dass er keine andere Wahl hat, als bei seinen Rettern unterzutauchen, die fern von den Augen der Öffentlichkeit auf dem Melatenfriedhof in der berühmten »Millionenallee« leben. Zusammen mit den Obdachlosen, die von niemandem beachtet werden, aber jede Ecke der Stadt wie ihre Westentasche kennen, verfolgt er die Spur seiner Angreifer aus den Schatten heraus – bis in die höchsten Kreise der Kölner Prominenz, wo Verbrechen bisweilen nur als kleine Gefälligkeiten gelten ... »So flüssig und spannend geschrieben, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand lässt.« koeln-nachrichten.de Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Kriminalroman »Millionenallee« von Edgar Franzmann wird Fans von Andreas Franz und Frank Schätzings Köln-Krimis begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Die Abgründe von Köln ... Als Sohn eines reichen Geschäftsmanns könnte Franck ein bequemes Leben führen. Doch dann kommt er einem schweren Betrugsfall im Unternehmen seines Vaters auf die Spur – und wird kurz darauf in der Kölner City brutal niedergeschlagen. Während die gutsituierten Passanten wegschauen, versorgt ausgerechnet eine Gruppe Obdachloser seine Verletzungen. Als Franck wieder zu sich kommt, weiß er, dass er keine andere Wahl hat, als bei seinen Rettern unterzutauchen, die fern von den Augen der Öffentlichkeit auf dem Melatenfriedhof in der berühmten »Millionenallee« leben. Zusammen mit den Obdachlosen, die von niemandem beachtet werden, aber jede Ecke der Stadt wie ihre Westentasche kennen, verfolgt er die Spur seiner Angreifer aus den Schatten heraus – bis in die höchsten Kreise der Kölner Prominenz, wo Verbrechen bisweilen nur als kleine Gefälligkeiten gelten ...

»So flüssig und spannend geschrieben, dass man das Buch nicht mehr aus der Hand lässt.« koeln-nachrichten.de

Über den Autor:

Edgar Franzmann, 1948 in Krefeld geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln. Er war Redakteur der Zeitung EXPRESS, Leiter der Online-Angebote von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau sowie Chefredakteur des Web-Portals koeln.de. Franzmann ist Mitglied des Syndikats, des Vereins deutschsprachiger Krimiautoren, von April 2012 bis Mai 2014 war er dessen geschäftsführender Sprecher.

Edgar Franzmann veröffentlichte bei dotbooks bereits die Kriminalromane um den Journalisten und Ermittler Georg Rubin mit den Bänden »Der Richter-Code«, »Adenauers Auge«, »Die französische Agentin« und »Das Molotow-Komplott« sowie das Prequel zur Rubin-Reihe »Millionenallee«.

Die Website des Autors: https://www.franzmann.de

Der Autor bei Facebook: https://www.facebook.com/efranzmann

Der Autor auf Instagram: https://www.instagram.com/edgarf/

Der Autor bei Twitter: https://twitter.com/edgarf

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Überarbeitete eBook-Neuausgabe November 2023

Copyright © der Originalausgabe 2009 Hermann-Josef Emons Verlag

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2023 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/gehapromo

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98690-705-1

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Edgar Franzmann

Millionenallee

Kriminalroman

dotbooks.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

Für Micky

SAMSTAG

Franck schaute auf seine Uhr, eine platinschimmernde Lange-Tourbillon: zehn Uhr und dreizehn Minuten. Nur noch knapp neunundzwanzig Stunden, dann würde er Herr über hundert Millionen Euro sein.

Die Hohe Straße, die Einkaufsmeile vom Kaufhof Richtung Dom, war an diesem sonnigen Maisamstag schwarz vor Menschen, die sich in Zwanzigerreihen an den Schaufenstern vorbeidrängten. Mit seinen ein Meter achtundachtzig war Franck kein Riese, aber irgendwie schwebte er doch über der Menge. Wie viel würde ihm der heutige Tag einbringen? Wie viele würden ein Parfüm der Marke »vF« kaufen: von Franckenhorst?

»Weißt du«, sagte Franck zu Stefanie, die einen halben Kopf tiefer neben ihm herstöckelte, dass die blonden Haare hin- und herwippten, »wir haben da so einen verrückten Familienbrauch. Wenn der älteste Sohn dreißig Jahre alt wird, erhält er Zugriff auf zehn Prozent des Familienvermögens.«

»Ja, schön, wenn Familien zusammenhalten. Wir treffen uns auch immer an Weihnachten.«

»Du verstehst das nicht. Ich bin der älteste Sohn. Ich werde morgen dreißig Jahre alt. Ich bekomme die zehn Prozent.«

»Herzlichen Glückwunsch. Aber was willst du mit zehn Prozent? Du hast mir doch gesagt, du wärst reich.«

»Ich bin reich. Schon immer.«

»Ist ja gut. Musst dich nicht aufregen.«

»Ich rege mich nicht auf. Ich möchte nur, dass du es begreifst.«

»Was soll ich begreifen?«

»Dass mir ab morgen hundert Millionen gehören.«

»Hundert Millionen von was?«

»Euro.«

»He, das ist eine Menge Geld.«

»Ja, das ist eine Menge Geld. Und eine Menge Macht.«

Stefanie lachte. »Macht doch nix. Ich meine, ich mache mir nichts aus Macht. Mit ein bisschen Geld bin ich schon zufrieden. Hast du deine Freunde zum Geburtstag eingeladen? Gibst du eine Party? Du hast mir gar nichts erzählt.«

»Wer reich ist, braucht keine Freunde«, sagte Franck.

»Wer reich ist, hat keine Freunde«, gab Stefanie zurück.

Sie blieb vor einer Boutique stehen, prüfte ihre schlanke Figur in einem Spiegel, war zufrieden mit dem, was sie sah, und zupfte Franck schließlich am Arm. »Schau, das Kleid. Kauf mir das Kleid! Das kleine Schwarze. Zur Feier des Tages.«

Franck ging wortlos in den Laden, legte fünf Hunderteuroscheine auf die Theke, zeigte auf Stefanie und das Kleid im Schaufenster. »Geben Sie ihr das.«

»Ich geh schon mal vor ins Campi«, sagte er zu Stefanie und verschwand.

»Ist gut. Ich komm nach. Aber das kann dauern, wenn ich shoppe. Bekommst du von dem Geld was zurück?«

Franck hörte Stefanies Worte schon gar nicht mehr und verschwand durch die Glastür nach draußen in den Menschenstrom der Kölner Fußgängerzone. Eigentlich hatte er sich nie wirklich für das Geschäft interessiert. Aber ab morgen würden ihm zehn Prozent des Unternehmens gehören. Da konnte es nicht schaden, sich ein wenig zu kümmern.

Franck wusste, dass eine ihrer Verkaufsstellen am Roncalliplatz direkt am Kölner Dom lag. Da kauften vor allem Touristen ein, Eau de Cologne aus Köln. »4711«, die bekannte Marke, war nach manchen Irrungen durch die halbe Welt inzwischen von einem Stolberger Unternehmen übernommen worden. »Farina gegenüber«, der dreihundert Jahre alte Klassiker, war geschäftlich keine ernsthafte Konkurrenz. Nur den Franckenhorsts war es gelungen, ihre Marke als »Premium« zu etablieren. Alter Adel, alte Klasse eben. Das ließen sich die Kundinnen gerne etwas mehr kosten. Ihm sollte es recht sein.

Er ließ das Campi im Funkhaus am Wallrafplatz links liegen und ging die wenigen Schritte weiter bis zum Roncalliplatz. Ein heftiger Windstoß wehte ihm ins Gesicht.

Der Franckenhorst-Shop neben dem Dom-Hotel war menschenleer. Franck wunderte sich. Eine Bedienung, in das Franckenhorst’sche Blau und Orange gekleidet, schaute in seine Richtung, sprach ihn aber nicht an. Er musterte die Auslagen. Kleine Fläschchen mit glänzenden Flüssigkeiten, edel verpackt, edel gestaltet. Das sah alles sehr gut aus. Und es roch gut. Warum kaufte das keiner? Und warum wollte ihm keiner etwas verkaufen?

»Sie haben heute wohl nicht vor, noch zu arbeiten«, giftete er die Bedienung an und erschrak selbst über seinen Tonfall.

»Mein Herr, es ist nicht üblich im Hause Franckenhorst, die Kunden als Erste anzusprechen. Unser Auftrag ist es abzuwarten, ob unsere Dienste gewünscht werden. Kann ich Ihnen behilflich sein?«

Franck glaubte, im Unterton eine Spur von Missbilligung zu hören, aber eigentlich konnte er der jungen Frau nichts vorwerfen. Und das ärgerte ihn fast noch mehr.

»Ich habe nicht endlos Zeit. Ich suche etwas für meine Verlobte.«

»Darf ich Ihnen einen Rat geben?«

»Danach habe ich Sie doch gerade gefragt.«

»Sie sollten sich immer Zeit nehmen, wenn es um Ihre Verlobte geht.«

Franck war baff. Das hatte er nicht erwartet. Und er ging wieder in Angriffsstellung. »Was fällt Ihnen ein!«

»Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahetreten. Es war nur gut gemeint. Nehmen Sie ›vF femme‹, das ist in diesem Jahr ganz groß in Mode und wird Ihrer Verlobten ganz bestimmt gefallen.«

Die junge Frau holte ein kleines Paket aus dem Regal, das sehr aufwendig verpackt war.

»Haben Sie nichts Größeres?«, fragte Franck.

»Doch, natürlich. Aber diese Größe hier ist sehr gefragt. Neunundachtzig Euro.«

»Geben Sie schon her. Wie heißen Sie eigentlich?«

»Christina. Christina Brandt.« Dabei zeigte sie auf das Namensschild an ihrer Jacke.

»Ja, jetzt sehe ich es. Christina Brandt. Noch eine Frage: Wieso ist es hier heute so leer? In der Hohe Straße drängen sich die Massen.«

Christina lächelte ihn an. »Wissen Sie, was wir hier anbieten, ist auch keine Massenware. Wer hier einkauft, sucht das Besondere und keinen Ramsch. Ihre Verlobte wird das zu schätzen wissen.«

Franck fühlte sich plötzlich und wie so oft klein und unsicher. Diese Frau machte ihn nervös. Warum war er nicht so schlagfertig wie andere? Warum zog er immer den Kürzeren? Wieso kam er sich so unbedeutend dieser Angestellten gegenüber vor, der er sogar etwas von einer Verlobten vorgelogen hatte? Wenn er doch nur einen guten Abgang hinbekäme. Er gab ihr seine Kreditkarte.

»Oh, Sie heißen Franckenhorst. Franck von Franckenhorst.«

»Ja«, sagte Franck. Und plötzlich spürte er, wie dieses kleine Stück Plastik die Lage zu seinen Gunsten veränderte. Christinas Hand zitterte, als sie die Karte in das Lesegerät steckte. »Der Name ist nicht so häufig. Sind Sie …«

»Ja. Ich bin einer von den Franckenhorsts.«

»Sie nehmen mir doch nicht übel, was ich vorhin gesagt habe?«

»Was haben Sie denn gesagt?«

»Das mit Ihrer Verlobten, und dass Sie sich Zeit nehmen sollten.«

»Zeit ist Geld, sagt mein Vater immer.«

»Nein, Zeit ist Liebe«, sagte Christina.

Franck schaute ihr in die Augen. Sie hielt seinem Blick stand. Sie war genauso schlank und nicht viel größer als Stefanie, aber mit ihrem kurzen, schwarzen Haar doch ein ganz anderer Typ. Er nahm das Parfümpaket, drückte es ihr in die Hand und sagte: »Ist für Sie.«

Und noch ehe sie etwas antworten konnte, verschwand er Richtung Ausgang. Durch einen Spiegel an der Ladentür sah er, wie sie ihm nachschaute. Am Ende hatte er sie doch beeindruckt. Oder sein Name. Oder sein Geld. Sie strich sich ihre Haare aus dem Gesicht und wirkte nachdenklich.

Auf der Domplatte empfing Franck das übliche Gewirr von Touristen, Gauklern, Pflastermalern, Geschäftsleuten, Pilgern, Einkäufern, Demonstranten. An der »Klagemauer« blieb er stehen. Der Betreiber war ein liebenswerter Querulant, der sich einfach nicht von diesem schönsten Fleck der Stadt vertreiben ließ. An Kordeln hatte er Postkarten aufgehängt, auf denen jeder seine Kritik am Unrecht der Welt verkünden konnte. Franck nahm sich eine Karte und schrieb in Großbuchstaben: »AUCH EIN MILLIARDÄR HAT’S SCHWÄR.« »Schwär« mit ä und nicht mit e. Das war seine kleine Provokation. Mit einer Wäscheklammer hängte er sein Miniaturgedicht zwischen eine Karte, die das Ende der Folter in Guantánamo forderte, und eine andere, auf der »Hartz IV für alle« propagiert wurde. Er warf zwei Euro in die Spendenbüchse und ging weiter auf den Roncalliplatz, um den Skatern zuzusehen.

Er war ziemlich sportlich, ein guter Tennisspieler, Schwimmer, Läufer. Aber Skateboard fahren konnte er einfach nicht. Da gab es hier im Schatten der Kathedrale sogar Zwölfjährige, die die tollsten Kunststücke draufhatten. Man durfte nicht schreckhaft sein, wenn sie auf einen zurasten, aber Franck hatte noch nie erlebt, dass einer der Skater wirklich jemanden angefahren hätte.

Er ging am Dom-Hotel vorbei Richtung Brauhaus Früh und Heinzelmännchenbrunnen. Wenn er den Weg zur Hohe Straße durch die Passage nehmen würde, dann müsste er nicht mehr am Campi vorbei. Er hatte keine Lust auf weitere Gespräche mit Stefanie. Sie war lieb und nett, immer gut gelaunt, immer da, aber nicht sein Typ.

Wohin sollte er gehen? Fast mechanisch führten ihn seine Schritte rechts in die Minoritenstraße, über die Nord-Süd-Fahrt in die Breite Straße, wieder eine Fußgängerzone, aber nicht ganz so überfüllt.

Die Gastwirte hatten begonnen, ihre Tische und Stühle nach draußen zu stellen. Sobald sich in Köln die Sonne sehen ließ, versammelten sich die Menschen auf den Straßen und Plätzen. Ob das etwas mit der römischen Vergangenheit der Stadt zu tun hatte? Der Winter war vergleichsweise kalt und nass gewesen. Die vielbeschworene Klimaveränderung war überraschenderweise für eine Saison ausgefallen. Franck hatte den Winter in Südafrika verbracht, der dort ein Sommer war. Aber auch er freute sich jetzt über den rheinischen Frühling. Und außerdem: Der Frühling war ja seine Jahreszeit. Er hatte Geburtstag. Und morgen würde er reich sein. Reicher als jemals zuvor.

Sein Vater hatte ihm einmal erzählt, wie er seinen dreißigsten Geburtstag erlebt hatte. Die zehn Prozent waren damals noch keine hundert Millionen Euro, sondern sechzig Millionen Mark. Die Franckenhorsts gehörten auch noch nicht zu den Milliardären im Lande, aber schon zu den sehr Reichen. Vor allem war es »altes« Geld. Das war etwas anderes als die schnell verdiente Mark der Krämer und Computerunternehmer.

Opa Fritz hatte zu Ehren von Ferdinand eine komplette Vorstellung der Kölner Oper am Offenbachplatz gekauft. Warum ausgerechnet »Carmen« auf dem Spielplan stand, hatte Ferdinand nie erfahren. Aber die Musik gefiel ihm, und als der letzte Vorhang gefallen war und die Künstler ihren Beifall genossen, trat Fritz auf die Bühne, einen blau-orangefarbenen Umschlag in der Hand, und rief Ferdinand hoch ins Rampenlicht. Er sei stolz und aufgeregt gewesen. Und als er endlich oben war und den Umschlag nehmen wollte, da warf Fritz das Papier der Carmen-Darstellerin zu und forderte Ferdinand auf, es sich zu holen. Der ganze Saal lachte, als Ferdi sich eher schüchtern und ungeschickt an Carmen ranmachte, die den Umschlag in ihrem Dekolleté versteckt hatte, eine Grenze, die Ferdi auf keinen Fall überschreiten wollte. Das Lachen im Saal wurde immer lauter. Carmen hatte endlich ein Einsehen, fingerte das Papier aus ihrem Busen hervor und überreichte es Ferdinand. »Weißt du, Franck, es war ein schrecklicher Abend. Ich fühlte mich so gedemütigt. Mein Vater hat sich nie dafür entschuldigt. Aber ich hatte das Papier. Und ich wusste: Jetzt, jetzt würde mich niemand mehr demütigen, ohne es zu bereuen.«

Was würde sich Ferdinand für ihn ausdenken? Musste er sich auch auf irgendeinen Spaß oder eine Demütigung gefasst machen? Franck wusste, dass Ferdinand nicht viel von ihm hielt. Er hatte weder Chemie noch Betriebswirtschaft studiert, sondern Philosophie und Germanistik. »Brotlose Kunst«, hatte Ferdinand dazu immer gesagt. Die Franckenhorsts hätten eine besondere Verantwortung, und ganz besonders die ältesten Söhne, die müssten schließlich das Familienunternehmen führen.

Franck hatte nie wirklich Lust verspürt, in die Firma einzusteigen. Günther, sein jüngerer Bruder – die Zweitgeborenen bekamen immer einen Namen mit G, die Drittgeborenen mit H und so weiter – Günther wäre wahrscheinlich viel besser geeignet. Er arbeitete als selbstständiger Steuerberater mit eigener Kanzlei. Aber Franck als der älteste Sohn war nun einmal der geborene Thronfolger, so lautete die Regel bei den Franckenhorsts seit sieben Generationen. Und hatte sich die Tradition nicht bewährt? Sogar den Ansturm der Emanzipation hatte sie überstanden. Immerhin wurden die weiblichen Familienmitglieder seit den achtziger Jahren des letzen Jahrhunderts finanziell genauso gestellt wie die übrigen männlichen Familienmitglieder. Aber etwas zu sagen hatten weiterhin nur die erstgeborenen Männer jeder Familiengeneration. Wenn ein ältester Sohn dreißig wurde, bekam er zehn Prozent der Unternehmensanteile. Wenn er fünfzig wurde, erhielt er fünfzig Prozent und übernahm die Unternehmensführung. Der bisherige Chef wurde dann auf zwanzig Prozent abgestuft und wechselte in den Aufsichtsrat. Die restlichen zwanzig Prozent wurden unter allen anderen Familienmitgliedern gleichmäßig aufgeteilt. Ferdinand, Francks Vater, war jetzt neunundfünfzig, also seit neun Jahren an der Macht, die er nach den Familienregeln weitere zwanzig Jahre ausüben könnte, bis Franck fünfzig Jahre alt würde und an die Reihe käme. Tatsächlich waren die Franckenhorsts ein sehr gesundes Geschlecht, auch die Männer erreichten nicht selten die achtzig Jahre. Erst zweimal war es vorgekommen, dass ein Franckenhorst vor seinem fünfzigsten Geburtstag die Firmenleitung übernehmen musste, weil sein Vater vorzeitig gestorben war.

Franck überquerte die Neven-DuMont-Straße, die die Fußgängerzone der Breite Straße unterbrach. Auf der Ecke stand das Einkaufs-Carré des Verlegers. Franck kannte den Junior gut. Der hatte ihn mal für seine »Goldenen Jungs« werben wollen. Franck hatte eine großzügige Spende gegeben, aber dem Club der Jungreichen war er nicht beigetreten. Wahrscheinlich hielten ihn Junior und seine Anhänger für eingebildet, sei’s drum.

Am Blumenstand hinter dem Café Schmitz kaufte er eine rote Rose und steckte sich die Blüte an das Revers seines hellen Anzugs. Schließlich hatte er etwas zu feiern. Und er wollte, dass die Welt es sah. Und warum keine rote Rose? Durfte man die nur geschenkt bekommen?

Franck ging weiter, sein Schritt war etwas federnder als zuvor. Zwischen den Augenwinkeln nahm er undeutlich wahr, dass die Menschenmenge einen Bogen um eine Stelle vor den Karstadt-Schaufenstern machte. Da schien jemand auf dem Boden zu sitzen, zwei Männer, wahrscheinlich Bettler, die Flasche kreiste. Franck marschierte gedankenverloren auf das Pärchen zu, hielt unbewusst einen Sicherheitsabstand von vielleicht fünfzig Zentimetern zu dem Hut, in den die Passanten ihre Geldstücke werfen sollten. Der Hut schien leer zu sein. Franck hatte nicht die Absicht, an diesem Zustand etwas zu ändern.

Plötzlich peitschte ein Schmerz durch seine linke Wade, irgendetwas hatte ihn mit voller Wucht getroffen, Franck knickte ein, fiel auf den Boden, knallte mit dem Gesicht in eine Pfütze aus Schmutz und Alkohol. Noch ehe er begriff, was geschah, schrie einer der Bettler wie am Spieß: »Hilfe, Polizei. Der hat mich getreten. Was fällt Ihnen ein, mich zu treten! Mich, einen Krüppel! So sind sie, die feinen Leute.«

Franck spürte, wie ihn kräftige Arme schüttelten und schließlich umdrehten. Und dann sah er in ein unrasiertes Gesicht, und aus diesem Gesicht schrie es wieder: »Ja, genau. Sie meine ich. Sie denken wohl, Sie könnten sich alles erlauben. Nur weil Sie einen Anzug tragen. Ich zeige Sie an. Hilfe! Polizei! Ruf doch mal einer die Polizei!«

Die letzten Worte richtete der Bettler an die umstehenden Gaffer, die sich im Kreis um Franck und die beiden Penner drängten. Franck spürte, wie ihm Blut in die Mundwinkel lief. Instinktiv wischte er sich mit dem Ärmel seines Jacketts durchs Gesicht, was dessen helles Beige mit roten und anderen undefinierbaren Farbtönen mischte.

»Hilfe, Polizei!«, brüllte der Bettler schon wieder. Franck sah, dass er nur ein Bein hatte.

»Schreien Sie doch nicht so«, sagte er.

»Ich schreie hier, so laut ich kann. Das könnte Ihnen so passen. Erst einen armen Krüppel treten, einen einbeinigen Krüppel, und dann auch noch mundtot machen wollen. Holt denn jetzt endlich einer die Polizei?«

Natürlich holte keiner die Polizei. Einige Gaffer drehten ab, nachdem sie sich überzeugt hatten, dass Franck überlebt hatte und auch kein weiteres Blut fließen würde. Andere warteten gespannt, wie sich die Geschichte weiterentwickelte, wenn sie nur nicht selbst hineingezogen würden.

Franck fand langsam seine Fassung wieder. »Lassen Sie mich doch endlich los! Lass mich los!«

Der Bettler lockerte seinen Griff. »Das ist aber wirklich nicht in Ordnung, dass Sie mich hier einfach umlaufen.«

»Das habe ich nicht. Das habe ich nicht… gewollt«, stammelte Franck. »Ich hatte eher den Eindruck, dass Sie mir ein Bein gestellt haben.«

»Ich soll dir ein Bein gestellt haben?«, sagte der Bettler empört und wurde wieder laut. »Das muss man sich mal vorstellen. So eine Unverschämtheit.« Und jetzt schrie er wieder: »Ich soll dich getreten haben? Ich, ein Krüppel mit einem Bein. Erzähl das mal der Polizei.«

Plötzlich mischte sich auch der Kumpel des Bettlers ein. Der war deutlich alkoholisiert und nuschelte: »Dä Schäng, dä tritt nich. Nie. Jeht doch jar nit. Armes Schwein.«

»Tja, dann«, sagte Franck, »entschuldige ich mich bei Ihnen. Ich war in Gedanken. Da habe ich Sie vielleicht nicht gesehen.«

Der Einbeinige lockerte seinen Griff. »Entschuldigung ist schon mal gut. Geht vielleicht auch ohne Polizei.«

»Was geht vielleicht auch ohne Polizei?«

»Na, das hier. Oder wollen Sie Unfallflucht begehen?«

»Unfallflucht?«

»Sie können hier nicht einfach weg. Ich brauche Name, Adresse.«

»Name, Adresse?«

»Ja, sicher. Für den Schadenersatz.«

»Welchen Schadenersatz?«

»Na, meine Verletzungen. Hier!« Der Bettler zeigte auf seinen Knöchel, der Fuß steckte ohne Strümpfe in zerschlissenen Schuhen. »Die blauen Flecken bringen mindestens, mindestens«, er schaute sich Franck noch einmal genauer an, »mindestens dreißig, nein, fünfzig Euro. Und dann noch die Verletzung der Menschenwürde.«

»Verletzung der Menschenwürde«, wiederholte Franck verblüfft.

»Ja. Verletzung der Menschenwürde. Macht noch mal fünfzig Euro.«

»Sie verkaufen Ihre Menschenwürde zu billig«, sagte Franck. »Aber Sie sollen die hundert Euro bekommen. Geben Sie mir Name und Kontonummer, dann überweise ich Ihnen das Geld.«

Der einbeinige Bettler schaute in die Menge. »Name und Kontonummer, meine Damen und Herren. Haben Sie das gehört: Name und Kontonummer. Wo soll ich denn so was hernehmen? Name und Kontonummer! Nix da, Bargeld lacht.«

Die Menge feixte und applaudierte. Franck gelang es endlich aufzustehen. Sein Spiegelbild, das ihn aus dem Karstadt-Schaufenster anblickte, wirkte nicht sehr vertrauenswürdig. Er holte sein Portemonnaie heraus. »Ich habe nur zwanzig Euro in bar und ein paar Münzen.«

»Scheckkarte dabei?«

»Sie meinen, Sie nehmen auch Scheckkarten?«

»Nein. Das wäre ja noch schöner. Da vorne ist ein Geldautomat. Karte rein. Hundert Euro raus und an mich weiterleiten. Ich stelle Ihnen auch gerne eine Quittung aus. Damit alles seine Ordnung hat.«

Die Menge teilte sich wie das Wasser des Roten Meeres vor Moses, damit Franck ungehindert an den Geldautomaten gelangen konnte. Der Einbeinige stützte sich auf seine Krücken und eskortierte ihn. Franck ließ sich dreihundert Euro auszahlen, die der Automat in Fünfzig-Euro-Noten ausspuckte.

»Hier, für Sie«, sagte Franck und gab dem Einbeinigen einen Schein.

»Das sind fünfzig Euro.«

»Ja.«

»Ich bekomme hundert Euro.«

»Wegen der Menschenwürde.«

»Ja. Wegen der Menschenwürde.«

»Wie heißen Sie?«

»Schäng. Haben Sie doch gehört.«

»Schäng?«

»Alle nennen mich Schäng. Krüppels Schäng.«

»Und wie heißen Sie richtig?«

»Jean. Jean Leclerc.«

»Schön, Jean. Hier haben Sie den Rest vom Kleingeld.«

Franck hielt ihm die anderen fünf Scheine entgegen. Jeans Hand zuckte zurück, dann packte er doch zu, steckte die fünf Scheine in seine Hemdtasche und schaute sich vorsichtig um, ob auch niemand gesehen hatte, was und wie viel er bekommen hatte.

»Quittung?«, fragte Jean. Franck schüttelte den Kopf.

»Ist klar, Chef. Nichts für ungut«, sagte er schließlich und hinkte zurück zu seinem Kumpel. »Karl, sag dem Mann danke. Der hat uns gerade ein sehr gutes Essen spendiert«, hörte Franck Jean noch sagen. Dann zogen die beiden ab. Den Hut, der vor ihnen gelegen hatte, angelte Jean mit Hilfe einer seiner Krücken, wirbelte ihn so geschickt durch die Luft, dass er auf seinem Kopf landete, ein Kunststück, das Franck zu spontanem Applaus veranlasste. Jean fing dabei sogar noch eine Münze auf, die er an Karl weitergab, dann zockelten die beiden ab. Hoffentlich trinken die sich jetzt nicht zu Tode, dachte Franck.

Aus der Menge, die sich langsam auflöste, stieg noch eine Männerstimme auf. »Nichtsnutziges Pack. Sollen mal richtig arbeiten lernen.«

Franck ging auf den Rufer zu, einen alten Mann mit kleinem Hut: »Ich glaube, Sie sehen da was falsch. Die beiden haben gerade sehr hart gearbeitet und sehr ordentlich verdient.«

Sein Gegenüber musterte Franck von Kopf bis Fuß, schien nicht erfreut über das, was er sah, und verstanden hatte er auch nichts. Aber er legte noch einmal los. »Und Sie, schauen Sie sich an, sehen ja selbst aus wie ein Penner. Stecken wahrscheinlich mit denen unter einer Decke.«

Dass er sich umziehen musste, so verdreckt, wie er inzwischen aussah, war nicht von der Hand weisen. Aber das ließ er sich doch nicht von so jemandem sagen. Und als ihm nicht sofort eine schlagfertige Antwort einfiel, nahm er dem Mann den Hut vom Kopf, warf ihn vor dessen Füße, schnippte ein Geldstück achtlos hinterher und traf genau in die Kopfbedeckung. Dann ging er ab, ohne sich umzudrehen, und fühlte sich richtig gut.

Was für ein seltsamer Frühlingsmorgen, dachte Franck, als er die Mittelstraße erreichte, wo er sich neu einkleiden wollte. Der Einkaufsbummel mit Stefanie, das Wortgefecht über Zeit und Liebe mit der Verkäuferin Christina Brandt, der Zusammenstoß mit dem einbeinigen Bettler Krüppels Schäng, und jetzt dieser Giftzwerg mit Hut. Dem, wenigstens dem hatte er es gegeben.

Giftzwerg mit Hut. Das gefiel ihm. Schade, dass ihm dieser Begriff so spät eingefallen war, das wäre ein guter verbaler Konter gewesen. Aber die Aktion mit dem fliegenden Hut und der Spende war auch nicht schlecht. Müssen Hüte eigentlich so hässlich sein? Er kannte überhaupt nur einen Menschen, der regelmäßig Hut trug, Benno, den Maler. Dessen Hüte waren sehr schick. Im Sommer schmückte er sich mit einem Strohhut. Und was trug er im Winter? Franck nahm sich vor, Benno bei Gelegenheit auszufragen.

Beim Herrenausstatter wunderte man sich nicht schlecht über Francks Aufzug. »Sind Sie überfallen worden? Sollen wir die Polizei rufen? Es wird ja leider immer schlimmer mit der Kriminalität«, ereiferte sich der Geschäftsführer.

»Nein, nein. Nichts passiert. Ich bin ausgerutscht. Ich brauche nur etwas zum Anziehen. Sie haben doch meine Maße. Wäsche, Hemd, Hose, Jackett. Das ist alles.«

»Herr von Franckenhorst, Sie tragen maßgeschneidert, da können wir doch nicht von der Stange.«

»Sie meinen, dass ich nackt…« Franck hatte begonnen, sich mitten im Laden auszukleiden.

»Natürlich nicht. Aber wenn Sie dann bitte mit nach hinten kommen wollen.«

Es dauerte keine zwanzig Minuten, dann war Franck von Kopf bis Fuß neu eingekleidet und der Geschäftsführer einem Nervenzusammenbruch nahe. Jeden Stil-Ratschlag hatte Franck brüsk abgelehnt und genau das Gegenteil genommen. Zur schwarzen Hose braune Schuhe und weiße Socken. Obenrum ein Pepita-Jackett und ein hellblaues Hemd. Statt einer Krawatte ein rosa Seidentuch. Und als er zum Schluss noch nach einem Hut fragte, war der Geschäftsführer sichtlich froh, sagen zu können: »Hüte führen wir nicht.«

Franck drehte sich vor dem Spiegel und gefiel sich. So würde er morgen zu seiner Inthronisierung erscheinen. Er stellte sich das entsetzte Gesicht seines Vaters vor und spürte Genugtuung. Sein Vater würde mit Sicherheit noch entsetzter reagieren als der Herrenausstatter, der noch einmal nachfragte: »Und Ihnen fehlt ganz bestimmt nichts? Soll ich nicht vielleicht doch die Polizei? Oder den Krankenwagen?«

»Nein, nein. Alles in bester Ordnung. Es wäre nur schön, wenn Sie meine alten Sachen reinigen und mir nach Hause schicken würden.«

Franck schaute auf die Uhr. Es war viertel nach sieben Uhr abends. Noch knapp zwanzig Stunden, dann würde er Herr über hundert Millionen Euro sein.

Er saß mit Stefanie am kleinen Tisch im Esszimmer seines Penthouses am Brüsseler Platz. Stefanie trug das kleine Schwarze, das sie sich am Morgen ausgesucht hatte. Franck trug seine Lange-Tourbillon und sonst nichts.

Stefanie hatte ihn ausgelacht, als er mit seiner bunten Herrenausstatter-Sammlung zu Hause erschienen war. Dann zerrte sie ihn vor den Spiegel, und da packte auch ihn der Lachkrampf. Aus dem Radio erklang »Sex Bomb« von Tom Jones, Franck nahm den Rhythmus auf und begann den ersten Striptease seines Lebens. Erst entledigte er sich des rosa Seidentuchs, sah das offene Fenster und ließ es in die Frühlingsluft hinausflattern. Die verirrten Papageien in den Bäumen rund um St. Michael kommentierten das Spektakel mit lautem Gejohle. Das Pepita-Jackett landete auf einer Bank, das blaue Hemd verfing sich in einem Ast, die schwarze Hose und die braunen Schuhe landeten in einem Papierkorb, die weißen Socken fing ein kleiner Junge auf, der seine Kameraden zusammentrommelte. Die kleine Schar war enttäuscht, als zunächst nur noch eine Unterhose vom Dach herabflatterte. Jedenfalls sammelten sie alle Kleidungsstücke ein, nur das blaue Hemd flatterte weiter im Abendwind.

»Und jetzt du«, sagte Franck zu Stefanie.

»Was meinst du?«, fragte sie.

»Jetzt wirfst du deine Kleider raus. Die Menge wartet.«

Stefanie lachte, als sie die Jungs unten stehen sah. »Ja, ich mach’s. Aber das kleine Schwarze behalte ich.«

Stefanie zog das kleine Schwarze aus und legte es vorsichtig auf einen Stuhl. Dann trat sie an die Brüstung, winkte, streifte ihren BH ab und warf ihn auf den Platz, wo die Jungs ganz still geworden waren und die Köpfe nach oben reckten. Stefanie ließ den Slip hinabflattern und die Seidenstrümpfe. Und sogar die Stöckelschuhe warf sie runter. Als sie völlig nackt war, drehte sie sich dreimal langsam um sich selbst und verschwand lachend im Zimmer.

Franck sah ihr erregt zu. Stefanie war eine schöne Frau. Leider liebte er sie nicht. Wusste er überhaupt, was Liebe war? Zeit ist Liebe, hatte diese Verkäuferin zu ihm gesagt. Christina Brandt. Warum dachte er jetzt an sie, wo Stefanie sich gerade für ihn ausgezogen hatte? Stefanie zog sich das kleine Schwarze über und setzte sich zu Franck an den Tisch.

»Und jetzt?«, fragte sie und sah ihn mit großen Augen an. Ihr Kleid war tief ausgeschnitten, und dieser Anblick erotisierte Franck mehr als ihre Show auf der Terrasse.

»Lass uns die Armut feiern, solange es sie noch gibt.«

Franck nahm sein Champagnerglas und prostete Stefanie zu.

Sie hatte wohl etwas anderes erwartet, aber auch sie nahm ihr Glas und trank einen Schluck. »Was hast du dir nur mit deinem bunten Outfit gedacht? Männer sollten nie ohne Frauen einkaufen gehen.«

»Ich wollte meinen Vater ärgern.«

»Und dafür machst du dich zum Clown? So wird das nichts.«

Stefanie stand auf und beäugte Franck. »Du bist größer als dein Vater. Du siehst besser aus. Wo ist das Problem?«

»Mein Vater ist reicher als ich, skrupelloser, geschäftstüchtiger. Er hält nichts von mir.«

»Warum sollte er auch. Du bist kein Gegner für ihn. Du bist sein Sohn.«

»Was soll das jetzt heißen?«

»Väter wollen immer, dass ihre Söhne alles das leisten, was sie selbst nicht geschafft haben. Sei groß, sei schön, sei elegant. Und dann, dann greifst du an.«

»Warum sollte ich angreifen? Wo soll ich angreifen?«

»Warum? Was weiß ich. Ich sehe nur, dass er dich nervt und verrückt macht. Wenn du das Spiel mitspielen willst, dann spiel es. Sonst nimm deine Millionen, die die du jetzt schon hast, und entführ mich auf eine einsame Insel.«

»Du meinst, ich wäre reif für die Insel?«

»Du benimmst dich wenigstens so.«

Sie lachte und zupfte ihn vorsichtig an den Haaren. Franck wehrte sie ab.

»Stefanie?«

»Ja.«

»Ich liebe dich nicht.«

»Ich weiß.«

»Und es macht dir nichts aus?«

»Doch. Aber nicht wirklich.«

»Wie meinst du das?«

»Du kannst nichts dafür. Du weißt gar nicht, was das ist, Liebe. Du weißt ja nicht mal, was Freundschaft ist.«

»Ich brauche keine Freunde.«

»Jeder braucht Freunde. Du hast keine Freunde. Bekannte, ja. Viele. Manche, die auf dein Geld aus sind. Manche, die es großartig finden, die Telefonnummer von Franck von Franckenhorst zu kennen. Schmeichler. Schmarotzer. Alles, was man kaufen kann oder am besten nicht kaufen sollte. Du hast keine Freunde, aber du hast mich.«

»Zu welcher Kategorie zählst du dich denn?«

»Zu den Menschen. Einfach zu den Menschen.«

»Und du willst gar nichts von mir?«

»Doch, natürlich will ich was. Ich will, dass du mich begehrst. Ich will dein Geld. Das ist praktisch für mich, und dir tut es nicht weh. In Gelddingen bist du sogar großzügig. Das Leben mit dir ist immer für Überraschungen gut. Ich liebe Überraschungen. Und ich sehe immerhin, dass du auf der Suche bist. Nach Menschen. Vielleicht sogar nach dem Menschen in dir.«

»Ich begehre dich.«

»Das will ich schwer hoffen.«

»Ich will mit dir schlafen.«

Stefanie lachte und zog ihn ins Schlafzimmer.

SONNTAG

Franck schaute auf seine Uhr. Es war eine Micky-Maus-Uhr mit großen schwarzen Ohren. Es war kurz vor halb drei Uhr am Sonntagmittag. Die Minuten waren nicht gut abzulesen. Noch gut eine Stunde, dann würde er Herr über hundert Millionen sein.

Die Uhr war ein Geschenk von Stefanie. Ach, nein, Stefanie durfte er ja nicht mehr sagen und sollte es auch nicht denken. Ab sofort durfte er sie Fanny nennen. Nicht jeder durfte sie Fanny nennen, sondern nur Menschen, die von ihr die ausdrückliche Erlaubnis hatten. Franck hatte nicht herausbekommen, wie viele Menschen die Fanny-Erlaubnis hatten.

»Gibt es etwas, was dein Vater wirklich liebt?«, hatte sie gefragt. Franck musste überlegen. Ferdinand liebte die Macht, das Geld, seinen Erfolg. Die Anerkennung durch andere. Nein, das sei es nicht, was sie suchte. Ob es etwas gebe, was er liebte, aber dessen er sich nicht wirklich sicher war.

»Er liebt Uhren. Handgemachte Luxus-Uhren. So etwas wie meine Lange-Tourbillon. Wenn er wüsste, dass ich sie habe, und er hat sie nicht, das würde ihn rasend machen.«

»Das klingt schon interessanter«, sagte Fanny. »Wieso hast du eine Uhr, und er hat sie nicht? Er ist doch viel reicher als du, er kann sich doch alles kaufen.«

»Die Lange-Tourbillon aber nicht. Die ist ausverkauft. Die Variante in Platin war auf fünfzig Exemplare limitiert. Ich hatte mich sehr früh interessiert und bin persönlich nach Glashütte gereist.«

»Glashütte?«

»Ein Ort in Sachsen. Dorther kommen die besten deutschen Uhren. Auf jeden Fall die teuersten.«

»Und du hast eine Lange-Tourbillon und dein Vater nicht?«

»Ja.«

»Dann schenk sie ihm.«

»Ich soll meine Uhr verschenken?«