Die französische Agentin - Edgar Franzmann - E-Book
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Die französische Agentin E-Book

Edgar Franzmann

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Beschreibung

Ein ungeklärter Mordfall zieht weite Kreise: Der packende Regiokrimi »Die französische Agentin« von Edgar Franzmann jetzt als eBook bei dotbooks. »Ich suche den Mörder meines Großvaters.« Journalist Georg Rubin wittert sofort eine große Story, als die junge Französin Amal Amirouche mit diesen Worten auf ihn zutritt. 1959 wurde der algerische Freiheitskämpfer hinter dem Kölner Hauptbahnhof erschossen – und sein Tod von den Behörden so schnell es ging ad acta gelegt. Rubin stürzt sich in die Recherche, die ihn nicht nur in die 50er Jahre führt, sondern sehr schnell auch in die Gegenwart der Geheimdienste und internationalen Whistleblower. Doch hier bewegt er sich auf gefährlichem Terrain – und schon bald gerät er ins Visier von mächtigen Vertretern der amerikanischen NSA, die den Journalisten um jeden Preis zum Schweigen bringen wollen ... »Ein hochspannender Politthriller. Georg Rubin, der Protagonist, ist authentisch und sympathisch.« Westdeutsche Zeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der fesselnde Kriminalroman »Die französische Agentin« von Edgar Franzmann, auch bekannt unter dem Titel »Mord mit Rheinblick«, ist der dritte Band seiner Reihe um den Journalisten Georg Rubin, der Fans der Köln-Krimis von Frank Schätzing begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

»Ich suche den Mörder meines Großvaters.« Journalist Georg Rubin wittert sofort eine große Story, als die junge Französin Amal Amirouche mit diesen Worten auf ihn zutritt. 1959 wurde der algerische Freiheitskämpfer hinter dem Kölner Hauptbahnhof erschossen – und sein Tod von den Behörden so schnell es ging ad acta gelegt. Rubin stürzt sich in die Recherche, die ihn nicht nur in die 50er Jahre führt, sondern sehr schnell auch in die Gegenwart der Geheimdienste und internationalen Whistleblower. Doch hier bewegt er sich auf gefährlichem Terrain – und schon bald gerät er ins Visier von mächtigen Vertretern der amerikanischen NSA, die den Journalisten um jeden Preis zum Schweigen bringen wollen ...

»Ein hochspannender Politthriller. Georg Rubin, der Protagonist, ist authentisch und sympathisch.« Westdeutsche Zeitung

Über den Autor:

Edgar Franzmann, 1948 in Krefeld geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln. Er war Redakteur der Zeitung EXPRESS, Leiter der Online-Angebote von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau sowie Chefredakteur des Web-Portals koeln.de. Franzmann ist Mitglied des Syndikats, des Vereins deutschsprachiger Krimiautoren, von April 2012 bis Mai 2014 war er dessen geschäftsführender Sprecher.

Edgar Franzmann veröffentlichte bei dotbooks bereits die Kriminalromane um den Journalisten und Ermittler Georg Rubin mit den Bänden »Der Richter-Code«, »Adenauers Auge«, »Die französische Agentin« und »Das Molotow-Komplott« sowie das Prequel zur Rubin-Reihe »Millionenallee«.

Die Website des Autors: https://www.franzmann.de

Der Autor bei Facebook: https://www.facebook.com/efranzmann

Der Autor auf Instagram: https://www.instagram.com/edgarf/

Der Autor bei Twitter: https://twitter.com/edgarf

***

Überarbeitete eBook-Neuausgabe März 2024

Dieses Buch erschien bereits 2014 unter dem Titel »Mord mit Rheinblick« bei Emons.

Copyright © der Originalausgabe 2014 Emons Verlag GmbH

Copyright © der überarbeiteten Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Travel-Fr

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-073-8

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***

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Edgar Franzmann

Die französische Agentin

Kriminalroman – Georg Rubin ermittelt 3

dotbooks.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Für Simon

Sonntag

Kapitel 1

Er hatte nicht gewusst, was er suchte, bis er es fand. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schock. So musste sich Adam gefühlt haben nach dem Biss in den Apfel. Wie im Paradies und doch im Vorgefühl eines unbekannten Todes.

Aber er hatte gewusst, wo er suchen musste. Irgendwo auf den geheimen Datenleitungen zwischen der NSA-Zentrale in Maryland und dem Weißen Haus in Washington.

Georg Rubin saß in seinem Sessel, hatte den Laptop auf dem Schoß und lauschte fasziniert dem Stimmengewirr aus seinem Computer.

Da war eine deutsche Frauenstimme. Dann eine Männerstimme. Russisch. Eine andere Männerstimme, wahrscheinlich ein Übersetzer. Die zweite Männerstimme sagte etwas von NATO und Krim, Ukraine und Truppen, Gas, Demokratie und USA.

Dann sprach die erste Männerstimme etwas auf Deutsch, erinnerte an die »Wiedervereinigung«. Die Frauenstimme antwortete auf Russisch. Der Mann lachte. Dann lachte auch die Frau.

Dann sagte irgendjemand etwas auf Englisch mit starkem amerikanischem Akzent.

»Was hörst du denn da?«, fragte Gertrud Odenthal, Georgs Nachbarin, die einen Schlüssel zu seiner Wohnung besaß und unbemerkt das Zimmer betreten hatte.

Georg zuckte zusammen. »Was glaubst du, was ich höre?«

»Das klingt nach der Kanzlerin. Wer ist der Mann?«

»Klingt nach Putin.«

»Putin? Ach ja. Kabarett. Klar. Die machen das nach. So was wie ›Die von der Leyens‹ im WDR. Hör ich auch gerne.«

Georg stöpselte die Kopfhörer in den Computer, damit die Nachbarin nicht weiter mitlauschen konnte.

»Nein, das ist kein Kabarett. Das ist echt«, sagte er.

»Du kannst doch nicht die Kanzlerin abhören.«

»Tu ich auch nicht. Ich höre die Amerikaner ab, die die Kanzlerin abhören.«

»Du bist ja irre. Du veräppelst mich.«

Georg lächelte. »Das ist erst der Anfang.«

Als Gertrud gegangen war (was hatte sie eigentlich gewollt?), tippte Georg eine Nachricht in seinen Computer: »Ein Loch ist im Eimer. Hier ist eine Probe.« Er packte eine verschlüsselte Version des abgehörten Gesprächs an seine Mail.

Eine erste Antwort kam nach wenigen Sekunden: »Empfang bestätigt. Du hörst von uns. YWC.«

Georg stand seit Monaten in Kontakt mit seinen anonymen Unterstützern, aber er wusste nicht, was die Abkürzung konkret bedeutete. YWC ‒ Young Worldwide Computerfreaks?

Eine Viertelstunde später meldete sich YWC erneut: »Fantastisch. Du hast die entscheidende Tür aufgestoßen. Wir schicken jemanden vorbei. YWC.«

Montag

Kapitel 2

»Rubin«, sagte Verleger Bernhard Berger, »schön, dass Sie sich Zeit für mich nehmen konnten.«

»Für Sie doch immer, Herr Berger«, sagte Georg Rubin, Chefreporter des Kölner BLITZ, und schaute seinem Arbeitgeber in die sehr blauen Augen, die ihn an Lawrence von Arabien alias Peter O’Toole erinnerten.

Berger, im italienischen Maßanzug, residierte ganz oben im Pressehaus. Er lenkte Rubin auf den Stuhl vor dem großen Schreibtisch. Otto von Bismarck in Öl schaute auf sie herab, eine Erinnerung an glorreiche Tage der Zeitungsdynastie.

Georg war nervös. Was wollte Berger von ihm? Hatte sich irgendjemand beschwert?

»Sie können sich wahrscheinlich denken, warum ich Sie sprechen wollte«, sagte Berger.

»Ich denke schon«, sagte Georg, und es gelang ihm, seine Ahnungslosigkeit zu überspielen.

»Schön. Das habe ich erwartet. Ich habe mir Ihre Personalakte angesehen.«

Das Wort »Personalakte« klang unangenehm. Georg fühlte sich wie damals, als er zum Direktor des Gymnasiums zitiert worden war. Nein, er hatte nicht abgeschrieben, er hatte abschreiben lassen, aber natürlich hatte er sich schuldig bekannt. Und natürlich hatte er seinen Klassenkameraden nicht verraten. Den wilden Bodo. Der hatte dank Georgs Hilfe und eigener Schlitzohrigkeit später ein Einser-Abitur geschafft und ein Medizinstudium begonnen. Dann hatte er sich totgespritzt. Überdosis Heroin.

Georg trug einen schwarzen Rollkragenpullover und Jeans. Auf dem rechten Oberschenkel entdeckte er einen Fleck. Sah nach Nussschokolade aus, der er selten widerstehen konnte. Er rubbelte an dem Fleck, was ihn grau und auffälliger werden ließ. Er schlug das linke Bein über das rechte.

»Interessant«, sagte Berger. »Sehr interessant.« Er blätterte in Georgs Personalakte, einem schmalen Hefter. »Sie haben einen ziemlich eigenen Kopf, stimmt’s?«

Rubin nickte.

»Hier. Extrablatt auf eigene Faust. Und dann die Geschichte mit der Bundeskanzlerin. Haben Sie die Unterlagen noch?«

»Welche Unterlagen?«

»Rubin, halten Sie mich nicht für naiv. Sie haben damals nachgewiesen, dass die Kanzlerin abgehört und ausspioniert wurde. Zu einem Zeitpunkt, als noch niemand von Edward Snowden gehört hatte. Wo sind die Unterlagen?«

Georg überlegte, welchen Teil der Wahrheit er Berger sagen sollte. Offiziell hatte er alles Geheimmaterial dem Bundeskanzleramt ausgehändigt. Inoffiziell hatte er Kopien angefertigt, eine für sich, eine weitere versiegelt hinterlegt bei seiner Anwältin Christina Brandt, eine dritte gespeichert auf einem verschlüsselten Server im Internet.

Und natürlich hatte er weiterrecherchiert. War vernetzt mit den weltweiten Whistleblowern, ob in Freiheit oder eingesperrt in einer Londoner Botschaft oder russischem Asyl. Hatte Kontakt mit YWC bekommen. Hatte gestern Nacht eine geheime Abhörleitung der Amerikaner angezapft. Aber das musste Berger nicht wissen.

»Das Material habe ich der Kanzlerin übergeben«, sagte Georg mit ruhiger Stimme. »Ich hielt das für die korrekteste Lösung. Sonst hätte ich mir doch wieder nur neuen Ärger mit dem Geheimdienst eingehandelt. So schön war es in der Untersuchungshaft auch nicht.«

Berger lachte. »Ich glaube Ihnen nicht. Kein Journalist würde das Material rausrücken. Sie schon gar nicht, Rubin, ehrgeizig, wie Sie sind.«

»Sie unterschätzen die Überzeugungskraft der Sicherheitsbehörden, Herr Berger. Die Kollegen vom britischen Guardian wurden gezwungen, unter Aufsicht sogar Festplatten zu zertrümmern, auf denen Material von Edward Snowden vermutet wurde.«

»Ja, Rubin. Trauriger Fall. Ich hätte so etwas in meinem Hause nie zugelassen. Und, wenn ich das richtig sehe, hat der Guardian trotzdem weiter über Snowdens Enthüllungen berichtet. Insgeheim hatte ich erwartet, dass von Ihnen auch noch was kommt.«

Rubin schaute den Verleger ruhig an und schwieg.

»Aber lassen wir das«, sagte Berger. »Wissen Sie, dass Stein Sie mehrmals feuern wollte?«

Michael Stein, Chefredakteur des BLITZ. »Ja sicher weiß ich das«, sagte Georg. »Als Chefredakteur hätte ich einen Chefreporter wie mich auch gefeuert.«

»Sie sagen es.«

»Was?«

»Chefredakteur.«

»Ja und?«

»Chefredakteur«, wiederholte Berger. »Rubin, wollen Sie Chefredakteur des BLITZ werden?«

Was sollte das denn? Er und Chefredakteur?

»Kommen Sie schon, Rubin. Ich weiß, dass Sie es wollen. Alle wissen es.«

»Was ist mit Stein?«, fragte Georg.

»Der hat schon immer gesagt, dass Sie seinen Job haben wollen. Wir haben letzte Woche einen Aufhebungsvertrag geschlossen. Er bekommt ein gutes Übergangsgeld und wird mir als persönlicher Berater zur Verfügung stehen.«

»Und warum sollte ich das machen? Chefredakteur?«

»Rubin, was wollen Sie denn hören? Dass Sie ein guter Mann sind? Sind Sie. Ich möchte, dass der neue Chefredakteur des BLITZ ein harter Hund ist, der bei Gegenwind nicht gleich aus den Schuhen kippt. Sie wissen, dass die wirtschaftliche Lage der Zeitungen nicht rosig ist. Wir wollen eine gute Zeitung machen, aber wir müssen auch sparen. Da brauche ich jemanden, der das Blatt von innen kennt. Stärken, Schwächen. Die Mitarbeiter. Wissen Sie, wie teuer die Redaktion ist? Nehmen Sie Ihr eigenes Gehalt. Was sage ich, Gehalt, Ihre Gage. Fürstliche Gage. Aber selbst damit sind Sie nur auf Rang fünf der BLITZ-Gehaltsliste. Sogar die Kulturchefin verdient mehr als Sie.«

Georg spürte, wie ihm diese Information einen Stich versetzte. Klar war Carola eine tolle Frau, nach Dienstschluss seine Tango-Tanzpartnerin. Sie hatten zwei Wochen Tango-Urlaub in Buenos Aires verbracht. Aber dass sie mehr als er verdiente, hatte er nicht für möglich gehalten.

Sport, Vermischtes, das waren die Storys, die zählten. Zum Thema Kultur galt immer noch das Wort des Gründungschefredakteurs von vor fünfzig Jahren: »Kultur ist, wenn Karajan der Kronleuchter auf den Kopf fällt.«

»Rubin, sagen Sie endlich was«, forderte Berger. »Es hat Ihnen doch nicht die Sprache verschlagen? Ich brauche einen Chefredakteur, der den Mund aufmacht, der keine Angst hat, sich für den Erfolg das Gesäß aufzureißen.«

Berger schaute Rubin erwartungsvoll an.

Chefredakteur. Ja, das war immer sein Ziel gewesen. Vorne zu stehen. Die Nummer eins zu sein. Entscheiden zu können. Und jetzt, wo er nur zugreifen musste, zögerte er.

»Mensch, Rubin. Muss ich noch deutlicher werden? Gehaltserhöhung? Firmenwagen? Fünf-Jahres-Vertrag.«

Georg stand auf und ging an die Fensterfront des Verlegerbüros. In der Ferne sah er die Spitzen des Fernsehturms Colonius und des Kölner Doms. Chefredakteur. In seiner Stadt.

Georg kehrte an den Schreibtisch zurück. »Über die materiellen Konditionen müssen wir reden. Aber das ist nicht das Wichtigste, Herr Berger. Der BLITZ muss sich verändern. Muss sich verändern dürfen. Ich bezweifle, dass Sie und der Senior mir freie Hand geben würden.«

»Quatsch, Rubin. Und das wissen Sie auch. Letztlich geht es immer nur um Erfolg. Wenn am Ende die Zahlen stimmen, dann können Sie alles machen.«

»Geben Sie mir das schriftlich?«

»Na ja, fast alles. Da wird man sich einigen können.«

Und wenn nicht, dachte Georg, wäre es auch nicht schlimm. Mit einem Fünf-Jahres-Vertrag im Rücken. Wie hatte sein Vater Paul oft gesagt? Wer etwas wagt, kann verlieren. Wer nichts wagt, hat schon verloren.

Aber wie sollte er es Rosa erklären? Schon jetzt hatte er viel zu wenig Zeit für seine Tochter. Alleinerziehender Vater und Chefredakteur, das würde er nur schwer hinbekommen.

»Ich möchte darüber schlafen«, sagte Georg.

»Kein Problem, Rubin«, sagte Berger. »Ich gebe Ihnen Bedenkzeit. Bis Freitag nächster Woche. So lange ist Stein noch im Dienst. Da brennt nichts an.«

»Danke«, sagte Georg.

»Nichts zu danken. Nur eine Bedingung: Unser Gespräch muss absolut vertraulich bleiben.«

Berger reichte Georg die Hand. Ein kräftiger Händedruck. »Absolut. Vertraulich«, sagte Georg.

War vielleicht wirklich besser so. Aber was war heute schon vertraulich?

Kapitel 3

Wilhelm Parfitt saß im Wintergarten seiner Villa in Raderthal. Offiziell war er Kaufmann, Import, Export. China. USA. Elektronik für Maschinenbau und Kraftfahrzeuge. Angesehenes Mitglied der Kölner Gesellschaft. Golf, Karneval und IHK. Ein perfektes Netzwerk.

Inoffiziell war er der Mann, der alles wusste oder jedenfalls wissen sollte. Alles über jeden. Und jetzt das. Empörter Anruf aus der Zentrale. Der geheimste aller geheimen Computer sei angezapft worden. Der Angreifer sitze in Deutschland. In Köln. In Ehrenfeld. Angeblich Journalist. Georg Rubin.

»Den kenne ich«, hatte Parfitt gesagt.

»Umso schlimmer. Unternehmen Sie endlich etwas. Der Mann muss weg. Der Angriff muss aufhören. Unsere Sicherheit ist in Gefahr. Und Ihre auch.«

Rubin. Schon wieder. Vor zwei Jahren war dieser Reporter schuld daran gewesen, dass ihre Spionagekamera im Büro der Kanzlerin entdeckt worden war. Dabei machte der Mann einen harmlosen Eindruck. Boulevard-Journalist. Kümmerte sich um Klatsch und Tratsch statt um Politik. Wechselnde Frauenbekanntschaften. Alleinerziehender Vater. Finanziell unabhängig.

Parfitt hatte Norbert Fink auf Rubin angesetzt. Aber der hatte seit Wochen nichts Verdächtiges gemeldet. Vielleicht überfordert, der Mann.

»Ich brauche alles über einen gewissen Georg Rubin aus Köln«, schrie Parfitt in sein Telefon. »Und ich will Viktor sehen. Sofort.«

Viktor war einer der Mitarbeiter in Parfitts Villa, in der ohnehin nur gut gebaute junge Männer Dienst taten. Außer Parfitt, der auf die sechzig zuging.

Viktor erschien, den Kopf gesenkt. Der Mann hatte eine Macke, seitdem er aus Afghanistan zurückgekehrt war. Er schaute immer zuerst auf die Füße seines Gegenübers. Besonders verdächtig waren ihm Männer mit blank geputzten Schuhen. Alles potenzielle Selbstmordattentäter. In Kabul hatte er gelernt: »Man tritt nicht mit schmutzigen Schuhen vor die Augen Allahs.«

Glänzende Schuhe waren das Letzte gewesen, das Viktor von dem Mann gesehen hatte, der sich vor der deutschen Botschaft in Kabul in die Luft gesprengt und drei Menschen mit in den Tod gerissen hatte.

Viktor stellte fest, dass die Schuhe seines Chefs geputzt waren. »Sie wollten mich sprechen?«

»Ja«, sagte Parfitt. »Es ist so weit. Denken Sie, dass Sie übernehmen können?«

»Sicher. Sofort.«

»Und der Tatort?«

»Ist vorbereitet. Das Fenster ist vorbehandelt. Es wird keine Probleme geben. Und keinen unnötigen Lärm.«

»Bestens, Viktor. Ich liebe Fernsehtürme.«

Kapitel 4

Der Thalys aus Paris-Nord war pünktlich. Nach drei Stunden und vierzehn Minuten Fahrzeit rollte der Zug in Köln ein. Amal Amirouche, Französin algerischer Abstammung, Ende zwanzig, stand erwartungsvoll am Fenster, sah halbierte Häuser fast in Greifweite vorbeiziehen, ehe sich das Blickfeld weitete und der imposante graue Dom erschien, der gleich wieder hinter dem gewölbten Dach des Hauptbahnhofs verschwand.

Eine weibliche Lautsprecherstimme war zu hören. Amal wartete, bis die Reisenden, die es eiliger hatten, ausgestiegen waren. Dann schulterte sie ihren Rucksack und betrat den Bahnsteig.

Sie trug enge Jeans, ein weißes T-Shirt und lange schwarze Handschuhe, die ihre Ellenbogen bedeckten. Das glänzende, dunkle Haar fiel ihr bis auf die Schultern. Sie war eine schöne Frau, und ihre aufrechte Haltung zeigte, dass sie sich dessen bewusst war. Mit der Linken hielt sie den Riemen ihres Rucksacks fest, den rechten Arm legte sie an den Körper, als sei er verletzt.

In den Augenwinkeln nahm sie einen kräftigen Mann wahr, der ein Foto in der Hand hielt und sie musterte, ob sie die Person auf dem Bild sein könnte. Sie hasste es, angestarrt zu werden. Der Mann flüsterte in sein Handy. Sie verstand nicht, was er sagte.

Amal fuhr die Rolltreppe abwärts vom Bahnsteig in die Bahnhofshalle und ging ohne zu zögern zum Ausgang Breslauer Platz. Der Dom konnte warten.

Die Bauten auf der Rückseite des Hauptbahnhofs zeigten ein merkwürdiges Stilgemisch. Sie sah Säulen, deren Funktion sie nicht begriff, ein paar gesichtslose Hotel- und Bürobauten, einen leeren Platz, ein blaues Zelt, in dem aushilfsweise die Oper untergebracht war.

Etwas fehlte, aber was?

Es gab viel Verkehr, aber kein echtes Leben außerhalb des Bahnhofsgebäudes, kein Kleingewerbe, keine Händler. In Paris oder Algier würde es wimmeln von Marktständen, Garküchen, Zeitungsläden, Blumenhändlern, Gauklern und Pennern.

Amal überquerte die kahle Freifläche in Richtung eines kleinen Kreisverkehrs und ging weiter in die Johannisstraße. Nach wenigen Schritten entdeckte sie rechter Hand ihr Ziel, das Marriott, einen modernen roten Backsteinbau mit vielen Fenstern.

Das Business-Hotel war nicht ihre normale Preisklasse. Schon das kleinste Zimmer schmückte sich mit dem Prädikat »Deluxe« und kostete einhundertneunundvierzig Euro die Nacht. Aber der Name des Restaurants gefiel ihr, »Brasserie Fou«, was so viel wie »verrücktes Brauhaus« hieß.

Amal hatte online für fünf Nächte reserviert und wurde vom Concierge freundlich begrüßt. Ob sie beruflich in Köln sei?

»Nein«, sagte Amal. »Nicht beruflich, privat.« Sie sprach Deutsch mit französischem Akzent. So, wie sie es sagte, klang es lustig. Abenteuerlustig.

»Ich heiße Mark. Mark Weinert«, sagte der Hotelangestellte. »Wenn Sie Tipps oder Auskünfte benötigen, ich kenne mich aus und helfe gerne.«

»Ich fürchte, in meinem Fall wären Sie machtlos. Ich reise auf den Spuren meines Großvaters. Er ist in Köln gewesen. Im Herbst 1959. Er ist hier gestorben.«

»Oh, das tut mir leid«, sagte Weinert.

»Ich will sehen, was er gesehen hat«, sagte Amal.

Was sie nicht sagte, war, dass ihr Großvater erschossen worden war und sie seine Mörder finden wollte. Aber vor allem wollte sie diesen Journalisten treffen, diesen Georg Rubin.

Kapitel 5

Georg fuhr vom Pressehaus in die Stadt und parkte auf dem Gelände gegenüber dem Stadtgarten zwischen REWE und ALDI. Wenn man in einem der Supermärkte einkaufte, konnte man das Ticket an der Kasse entwerten und eine Stunde frei parken.

Georg schnappte sich eine BLITZ-Ausgabe für achtzig Cent, das half der Zeitungsauflage und brachte ihm den Bonus von einem Euro fünfzig. Einfache Aktion, siebzig Cent gespart.

Der Stadtgarten war eines seiner Stammcafés. Immer was los. Interessante Besucher. Freies WLAN. Freie Zeitungslektüre. Heute aber ging er ein Stückchen stadtauswärts durch die Bahnunterführung zum Hans-Böckler-Platz.

Im Gewerkschaftshaus war er mit Friedhelm Sturm verabredet, ver.di-Sekretär. Georg und Sturm kannten sich aus der Aktion »Arsch huh ‒ Zäng ussenander« gegen Ausländerfeindlichkeit.

Sturms Büro lag im Seitenflügel und war kleiner, als Georg erwartet hatte. Kein Vergleich mit Bergers Verlegerresidenz.

»Kaffee, Wasser, etwas anderes?«, fragte Sturm.

»Wasser, bitte«, sagte Georg.

Sturm schenkte ein. »Prost. Was verschafft mir die Ehre? Du willst doch nicht etwa in die Gewerkschaft eintreten?«

»Ich bin FC-Mitglied«, sagte Georg.

»Der gehört nicht zum DGB. Dein Vater war noch richtig bei uns«, sagte Sturm.

»Fast. Er war in der IG Druck und Papier. Der hat nie verkraftet, dass er und seine Genossen mit der ÖTV und wem noch allen zwangsvereinigt wurden. Und den letzten Namen ›ver.di‹ fand er ganz schrecklich. Auch als Opernliebhaber.«

Sturm lachte. »Ja, die alten Genossen. Träumen immer von der guten alten Zeit, die aber so gut auch nicht war, wenn man genauer nachfragt. Also, was liegt an?«

»Ich mache mir Sorgen um die Zeitung«, sagte Georg. »Wie siehst du das? Wie ist die Lage wirklich?«

»Das fragst du mich?«, sagte Sturm.

»Deshalb bin ich hier.«

»Lieber Georg, du stellst dir das sehr einfach vor. Ich bin Gewerkschafter. Du gehörst zur anderen Seite. Chefreporter. Bist du doch, oder? Da steckt der Chef im Namen drin. Du bist AT, außertariflich. Unsere Tarifverträge gelten nicht für dich und scheren dich einen Dreck.«

»Du liegst völlig daneben. Du kennst mich doch.«

»Eben. Kapitalistenbrut. Du auch. Kann ja sein, dass dir das selbst nicht bewusst ist. Aber objektiv …«

»Was soll daran objektiv sein? Du kannst mich mal«, rief Georg und sprang auf. »Hier, für das Wasser«, rief er und schnippte ein Zwei-Euro-Stück auf Sturms Schreibtisch. Die Münze rollte und torkelte, drehte sich und umkurvte die beiden Wassergläser, landete endlich auf dem Boden, wo sie noch ein paar Meter zurücklegte.

Sturm ging auf die Knie, um das Geldstück zu stoppen. Georg knallte die Tür zu und verschwand.

»He, was soll das?«, rief der Gewerkschafter ihm hinterher. »Du bist doch sonst nicht so zimperlich.«

Kapitel 6

Wütend verließ Georg das Gewerkschaftshaus. Er und Kapitalistenbrut, das hatte ihm noch niemand gesagt. Hatte er überreagiert? Hatte ihn Sturm nur auf die Schippe nehmen wollen?

Statt zum Stadtgarten ging Georg zum Maria Eetcafe, dem belgisch-niederländischen Restaurant im Erdgeschoss des Gewerkschaftshauses. Hier gab es echt flämische Frietjes und Bier in allen denkbaren Geschmacksrichtungen.

Die Sonne stand hoch an diesem Sommernachmittag. Alle Tische auf der Terrasse zum Westbahnhof hin waren besetzt. Georg schlenderte ins Innere des Cafés und suchte sich einen Platz an der Theke im kleinen Saal rechts vom Eingang. Er mochte den Laden und seine Besitzer.

Die Inneneinrichtung hatte etwas Spezielles: die heilige Maria in allen Variationen, mal als Gipsskulptur mit einer Bierflasche in der Hand, mal als bunte Wandmalerei, die Augen melancholisch gesenkt.

Georg setzte sich auf einen Barhocker, bestellte ein kühles Leffe Blond und dazu Patat oorlog, wie hier die selbst gemachten Fritten mit Mayo und Erdnusssoße hießen.

Das niederländische Wort »Oorlog« bedeutete korrekt übersetzt »Krieg«. »Die Fritten heißen so, weil der Teller nach dem Hinzufügen aller Zutaten wie ein Schlachtfeld aussieht«, hatte ihm der Chef des Hauses mal erklärt.

Georg äugte aus dem Fenster. Sollte Sturm vorbeikommen, würde er ihn zu sich winken und sich für seinen Abgang entschuldigen.

Sturm kam nicht. Georgs Blick fiel stattdessen auf eine junge Frau in einem luftig-weißen Kleid. Lange dunkle Haare. Dunkler Teint. Vielleicht Italienerin oder Spanierin. Trotz der Sommerhitze trug sie ellenbogenlange schwarze Handschuhe.

Die junge Frau sagte etwas zur Bedienung, die zeigte in Georgs Richtung.

Die Unbekannte schaute Georg an und lächelte. Er fühlte sich ertappt, wandte sich ab und beschäftigte sich mit seinen Frietjes und dem Bier.

Plötzlich stand die junge Frau neben ihm. »Sie sind Georg Rubin?« Sie sprach Deutsch mit französischem Akzent.

Es gab Frauen, bei denen jedes Wort wie ein Lächeln klang. Diese Frau gehörte dazu.

»Ja, ich bin Georg Rubin.«

»Ich heiße Amal Amirouche«, sagte sie und gab ihm die linke Hand.

Georg hielt ihr die Rechte hin und merkte erst dann, dass etwas nicht stimmte, zog seine rechte Hand zurück und schlug endlich mit der Linken in ihre Hand ein.

»Die rechte Hand haben sie mir abgeschlagen«, sagte Amal. »Darf ich?«

Georg nickte.

Sie setzte sich auf den Barhocker rechts neben ihm.

»Die Kellnerin hat mir gesagt, dass Sie Journalist sind. Vielleicht können Sie mir helfen.«

Amal schaute Georg aus tiefdunklen Augen an. Auch die Augen lächelten. Irgendwie war die ganze Frau ein Lächeln. Wie konnte jemand so ausgeglichen sein, dem man die Hand abgeschlagen hatte?

»Amal. Ein ungewöhnlicher Name. Ich dachte, nur Jungen würden so genannt.«

»Sehe ich wie ein Junge aus?«, lachte sie und lenkte seinen Blick auf ihre Figur. »Nein. Amal ist ein arabischer Mädchenname und bedeutet Hoffnung. In Indien allerdings ist Amal ein Jungenname, bedeutet dort so viel wie strahlend hell.«

»Würde auch passen«, sagte Georg.

»Ich bin mit der Hoffnung zufrieden«, sagte Amal.

»Was ist mit Ihrer Hand?«

»Wollen Sie das wirklich wissen? Eine lange Geschichte. Keine schöne Geschichte.«

»Ja, bitte.«

Die Kellnerin brachte ein Fläschchen Mineralwasser.

»Wasser. Hier ist alles so einfach. Aber leben Sie einmal ohne Wasser. Ich stamme aus der Wüste. Algerien. Besitze die französische Staatsbürgerschaft. Habe in Paris studiert. Arabistik und Islamwissenschaft. Bin dann für ein Forschungssemester nach Timbuktu in Mali gegangen. Ich habe in der Ahmed-Baba-Bibliothek mit den wertvollen alten Manuskripten gearbeitet. Weltkulturerbe. Sie haben vielleicht davon gehört, dass die Bibliothek in Flammen aufgegangen ist. Beim Überfall der Islamisten. Bevor die französischen Truppen kamen. Tatsächlich hatten wir, die Mitarbeiter der Bibliothek, die meisten Schätze rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Als die Brandstifter das bemerkten, haben sie die Männer hingerichtet. Ich als Frau war nicht würdig genug, getötet zu werden. Ich wurde als Diebin zum Verlust der rechten Hand verurteilt. Die Strafe wurde sofort vollstreckt.«

»Wie schrecklich«, sagte Georg.

»Ich komme klar«, sagte Amal.

Georg betrachtete ihren rechten Arm. Der schwarze Handschuh bestand aus ganz leichtem Stoff, vielleicht Seide. Da, wo die Finger sein sollten, war er zu einem Stumpf gebunden.

»Ich habe jüngst über sehr gute neue Prothesen gelesen«, sagte Georg, um seine Verlegenheit zu überspielen. »Ich kann mich erkundigen, ob es in Köln Spezialisten gibt.«

Amal lächelte ihn an. »Danke, aber das ist nicht der Grund, warum ich Sie angesprochen habe.«

»Sondern?«

»Wollen Sie raten?«, sagte sie und lächelte immer noch und strahlte, wie er es lange nicht erlebt hatte.

»Nein«, sagte Georg. »Ich rate nicht. Ich denke, wenn eine Frau mich anspricht, dann will sie etwas von mir. Also?«

Amal ließ sich Zeit mit ihrer Antwort. »Ich suche die Mörder meines Großvaters.«

Georg glaubte, einen Unterton zu hören, der noch etwas anderes bedeuten konnte.

»Ich habe einen Freund bei der Polizei.«

»So einfach ist das nicht. Der Mord ist 1959 geschehen. Mein Großvater gehörte zur algerischen Befreiungsfront FNL, die damals für die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich kämpfte. Haben Sie schon mal was vom Algerienkrieg gehört?«

»Ja, aber ich weiß nicht viel darüber.«

»Die Deutschen sind so ein schlaues Volk. Aber über Afrika wissen sie fast nichts. Dabei liegt der Schwarze Kontinent auf der anderen Seite des Mittelmeers. Gleich hinter der Cote d’Azur. Haben Sie eine Ahnung, wie nah sich Afrika und Europa in der Straße von Gibraltar kommen?«

»Vielleicht fünfzig Kilometer?«

»Nicht schlecht geschätzt. Es sind vierzehn. Die Straße von Gibraltar passt locker zweimal in Ihre Stadt hinein. Vierzehn Kilometer, das ist die Entfernung vom Kölner Dom bis zu den Hochhäusern in Chorweiler.«

»Sie kennen sich gut aus«, sagte Georg.

»Ich habe mich informiert.«

»Über Chorweiler?«

»Auch über Chorweiler. Wer in der Wüste lebt, muss wachsam sein.«

»Wir sind hier nicht in der Wüste.«

»Das stimmt. Ali, mein Großvater hat sich in Köln wohlgefühlt. Ein Deutscher, Hans, habe ihm sehr geholfen. Er wohnte am Hans-Böckler-Platz 3. Aber dort wohnt niemand mehr, der so heißt. Für meinen Großvater war Köln das Paradies. Bis zu dem Tag, an dem er ermordet wurde. Es war der 22. Oktober 1959.«

Amal stockte. Georg entdeckte eine Träne in ihren Augen.

»Wo ist Ihr Großvater getötet worden?«

»Hinter dem Hauptbahnhof.«

Kapitel 7

Amal zeigte Georg ein kleines Schwarz-Weiß-Foto mit weißem, gewelltem Rand. »Das ist das letzte Bild, das ich von Ali, meinem Großvater, habe. Ich weiß nicht, wo genau in Köln es aufgenommen wurde.«

»Darf ich?«, fragte Georg und nahm die vergilbte Aufnahme in die Hand. Der junge Mann im Vordergrund trug einen Schnurrbart. »Wie alt war Ihr Großvater damals?«

»Vierundzwanzig.«

»So jung«, sagte Georg. »Und Ihr Vater?«

»Vier Jahre. Abdel Salam, so hieß mein Vater, hatte fast keine Erinnerung an Ali. Wenn er etwas erzählte, dann von seinem vierten Geburtstag. Er hatte einen Lederfußball bekommen. Opa wollte, dass mein Vater Fußballer wird. Irgendwann werde Algerien frei sein und eine eigene Nationalmannschaft haben. Und dann wäre mein Vater vorbereitet. Verrückt, was? Den Lederball hütete mein Vater wie einen Schatz, aber er war nie ein guter Fußballer. Und bei der Weltmeisterschaft 1998 hat er mit dem Erzfeind Frankreich mitgefiebert. Vielleicht wegen Zinedine Zidane, dessen Eltern waren algerische Berber. Wie wir.«

Georg nahm die Brille ab und hielt sich das Foto dicht vors Auge. Der leicht verwackelte Hintergrund zeigte eine städtische, aber lockere Bebauung. Vielleicht der Eigelstein. Der war wie die gesamte Kölner Innenstadt im Zweiten Weltkrieg völlig zerbombt worden. Noch heute waren nicht alle Kriegsschäden beseitigt, noch immer gab es diese merkwürdigen Häuser, die nur ein Erdgeschoss hatten.

»Wie sind Sie an das Foto gekommen?«

»Das Foto steckte in einem Brief an meine Großmutter Aysha. Sie hat es später meinem Vater gegeben. Ich habe es von ihm.

Hier ist der Brief«, sagte Amal und fischte einen dünnen Luftpostumschlag aus der Handtasche. Georg staunte, wie geschickt sie mit der einen, der linken Hand umging.

»Das ist Arabisch.«

Amal lächelte. »Ich kenne den Brief auswendig. Ali schrieb, dass Deutschland ganz anders wäre, als sie immer gedacht hätten. Seit Wochen hätte es nicht geregnet, trotzdem gebe es keinen Wassermangel. Es sei ein Wunder. Geradezu perfekt. Der Himmel sei nicht immer blau, sondern manchmal weiß vor Wolken, aus denen aber kein Regen komme. Und die Deutschen wären gastfreundlich. Vor allem dieser Hans, ein Gewerkschafter, sei ein wahrer Freund.«

Georg untersuchte den Briefumschlag. Abgestempelt in Köln irgendwann im September 1959. Das Tagesdatum war unleserlich. Drei bis vier Wochen vor dem Mordanschlag hatte Ali Amirouche diese Zeilen geschrieben.

»Was wissen Sie über den Anschlag? Was hat Ihr Vater Ihnen erzählt?«

»Der 22. Oktober 1959 war ein Donnerstag. Mein Großvater hat sich an diesem Tag mit fünf anderen algerischen Freiheitskämpfern in einem Hotel namens ›Neunzig‹ in der Johannisstraße getroffen. Es war eine Art Friedensgespräch. Mein Großvater war kurz zuvor mit einigen Kameraden vom MNA zur FLN übergelaufen.«

»FLN habe ich schon gehört«, sagte Georg, »Front de Liberation National ‒ nationale Befreiungsfront, die später die Macht in Algerien übernahm und, wenn ich es richtig weiß, bis heute noch das Land beherrscht. Aber MNA?«

»MNA heißt Mouvement National Algérien, also algerische Nationalbewegung. Die MNA hat mit den Franzosen zusammengearbeitet. Aber genau diese Zusammenarbeit war der Grund, warum mein Großvater zur FLN übergelaufen ist. Er war ein aufrechter Kämpfer für Freiheit und Unabhängigkeit. Er war kein Verräter an der algerischen Sache. Er wurde verleumdet. Und als Verräter ist er angeblich von der FLN liquidiert worden. Mein Vater hat diese Version nie geglaubt. Ich glaube sie auch nicht. Ich denke, er wurde vom französischen Geheimdienst Main Rouge ermordet.«

»Main Rouge«, wiederholte Georg, »Rote Hand. Kannte ich bisher nur als Zigarettenmarke. Mein Vater hat die mal geraucht. Furchtbar starkes Kraut.«

»Für mich hieß Main Rouge immer blutige Hand«, sagte Amal. »Ich habe alte FLN-Protokolle gelesen. Die Schüsse fielen, als sie das Hotel verließen. Genau auf dem Weg vom Hotel in Richtung Hauptbahnhof. Heute ist alles bebaut, damals muss da bis zum Rhein hin ein großer Parkplatz gewesen sein. Glauben Sie, dass es möglich ist, noch etwas über den Mord und die Mörder herauszufinden?«

»Ich denke schon. Es muss Akten geben. Zeitungsartikel. Da kann ich rankommen. Augenzeugen zu finden, wird nicht so leicht sein. Nach über fünfzig Jahren.«

»Sie müssen es tun. Bitte«, sagte Amal und schaute Georg in die Augen. »Ich weiß, dass Sie der richtige Mann sind.«

»Bin ich«, sagte Georg.

»Ich habe Material gesammelt. Das Foto und der Brief gehören dazu. Ich kann Ihnen alles per E-Mail schicken. Bitte.«

»E-Mail, na klar«, sagte Georg.

Aber wieso sollte er einer Frau, die er gerade erst kennengelernt hatte, seine E-Mail verraten? Oder war Amal gar nicht irgendeine Frau, sondern der erwartete geheime Bote?

Seine dienstliche E-Mail-Adresse durfte er keinesfalls angeben, die private Mailadresse hatte er in den letzten Monaten so abgesichert, dass nur noch vertrauenswürdige und verschlüsselte Botschaften ihn erreichen konnten. Zum Glück hatte er für unvorhergesehene Kontaktanfragen immer ein paar Zweitadressen parat. Er entschied sich für seine Mailadresse mit der Endung .koeln, die frisch eingeführt worden war. Die Chance war groß, dass die NSA dort noch nicht schnüffelte.

Amal notierte Georgs Angaben. »Interessant, dass Köln eine eigene E-Mail besitzt. Paris führt auch gerade eine Paris-Mail ein. Ich schicke das Material gleich los. Schauen Sie es ganz genau an. Bitte. Vielleicht entdecken Sie etwas Überraschendes. Wie lange werden Sie brauchen, um etwas herauszufinden?«

»Ein, zwei Tage.«

»Ja, sicher. Wenn Sie etwas wissen oder Fragen haben, dann melden Sie sich bei mir. Ich wohne im Marriott gleich hinter dem Hauptbahnhof. In der Johannisstraße. In der Nähe des ehemaligen Tatorts. Sie können mich auch anrufen.«

»Kennen Sie Threema?«, fragte Georg und war gespannt auf ihre Antwort.

»Ja«, sagte Amal und lachte, als habe sie auf dieses Stichwort gewartet. »Threema ist gut. Und ziemlich sicher. Für Normalbürger. Wollen wir unsere IDs tauschen?«

Amal nahm ihr Handy, öffnete die angesprochene App und präsentierte ihren Threema-QR-Code, den Georg mit seinem iPhone aufnahm und speicherte. Dann lief die gleiche Prozedur umgekehrt ab, Amal sicherte Georgs Code auf ihrem Handy. Drei grüne Punkte hinter ihren Tarnnamen zeigten an, dass sie von nun an mit höchster Sicherheit Meldungen austauschen konnten. Wenn nichts dazwischenkam.

Es war komisch und auch erschreckend, wie sich seit der Enthüllung der totalen NSA-Überwachung sein Kommunikationsverhalten geändert hatte.

Georg schaute sich noch einmal den Namenseintrag an, den Threema für Amal Amirouche angelegt hatte. Als Wohnort war YWC angegeben.

Kapitel 8

Norbert Fink schlenderte über die Hohenzollernbrücke. Er war allein, und das schmerzte umso mehr, als sonst nur verliebte Pärchen unterwegs waren.

Die Hohenzollernbrücke, die Eisenbahnbrücke über den Rhein zwischen der Kölner Altstadt und dem rechtsrheinischen Deutz, war als »Lovebridge« zu einigem Ruhm gekommen. Die Brücke der Liebesschlösser. Als Zeichen ewiger Liebe und Treue befestigten Pärchen ihr Schloss am Brückengitter und warfen den dazugehörigen Schlüssel in den Rhein.

Als Fink, es war im Frühjahr 2008, mit seiner Birgit das Verlobungsschloss am Brückengeländer befestigt hatte, hingen dort erst ein paar Hundert Liebesschlösser, inzwischen mussten es Hunderttausende sein.

Die Bundesbahn hatte gedroht, den Liebesbrauch zu verbieten und alle Schlösser abzumontieren, weil die Last für die Brücke zu hoch wäre. Es kam zu einem Massenprotest. Die Bahn lenkte ein und versprach, ab sofort alles zu tun, um die Liebesschlösser zu schützen.

Fink verlangsamte seinen Schritt. Wo war sein Liebesschloss? Damals war es ihr gemeinsames Liebesschloss gewesen, Birgits und seines. Der Abend war lau gewesen, sie hatten rheinaufwärts geschaut, auf das Altstadtufer mit der beleuchteten Silhouette von Groß St. Martin, dem Schokoladenmuseum, dem Rheinauhafen, wo die Kranhäuser aus der Erde wuchsen.

Sie hatten versucht, den Schlüssel gemeinsam in den Rhein zu werfen. Ein schwieriges Unterfangen. Der Schlüssel war kaum über das Geländer geflogen und mehrmals auf Steine und Metallteile der Brücke geprallt, ehe er endlich doch in den dunklen Fluten versunken war.

Vier Wochen später hatten sie geheiratet. Drei glückliche Jahre miteinander gelebt. Bis zu Birgits Tod.

Sie hatte am Rheinufer gejoggt. Wie immer hatte sie die weißen Stöpsel ihres iPods im Ohr gehabt. Hatte die Bahn, die aus Richtung Bonn kam, nicht gehört. Birgit wollte die Gleise überqueren, lief direkt vor den Zug. Der Fahrer leitete eine Notbremsung ein und setzte einen Hilferuf ab, ehe er einen Schock erlitt.

Fink hatte ihn später einmal besucht. Der Mann hatte den Vorfall nie verkraftet. Den Job als Straßenbahnfahrer hatte er aufgegeben. Weil er Angst hatte, es könnte ihm noch einmal passieren. In dem Jahr verzeichneten die Kölner Verkehrs-Betriebe zehn tödliche Unfälle.

Fink war nicht traurig. Nicht mehr. Dazu war zu viel Zeit vergangen. Aber erst heute war der Tag gekommen, an dem er die Beziehung beenden konnte. Er würde das Schloss abschneiden, in den Rhein werfen und wieder zu leben beginnen.

Ihr Liebesschloss war ein ganz normales Schloss gewesen, nicht in Herzform oder sonst wie kunstvoll gestaltet, nur ein golden schimmerndes Messingvorhängeschloss, wie man es zum Abschließen des Kellers benutzt. Eingraviert waren ihre Namen. Birgit und Norbert. Und das Datum.

Fink schaute sich um. Er wollte bei seiner Tat nicht beobachtet werden, nachher hielte man ihn noch für einen hinterhältigen Liebesschlösserdieb.

Ein ICE rollte vorbei. Das Schloss erzitterte und warf einen Lichtschein zurück, als zwinkerte es ihm zu.

Fink holte die schwere Zange aus dem Rucksack, als sein Handy klingelte.

»Fink? Ich bin’s. Parfitt.«

»Ja«, sagte Fink, es war mehr ein Flüstern.

»Ich bin beunruhigt. Unsere einarmige Banditin geht sehr zielstrebig vor. Raten Sie mal, mit wem sie sich getroffen hat?«

»Sagen Sie es mir.«

»Das sollten eigentlich Sie mir sagen. Mit unserem alten Freund, Georg Rubin, diesem Schreiberling. Eine algerische Terroristin trifft einen deutschen Schmierenjournalisten, der nichts anderes kann, als die Arbeit der Geheimdienste schlechtzumachen.«

»Im Hotel hat sie gesagt, sie wäre auf den Spuren ihres Großvaters.«

»Hach, was für eine schöne Geschichte. Fink, Sie Romantiker, wenn Sie so etwas glauben, dann suchen Sie sich besser einen anderen Job.«

»Ich habe das recherchiert. Ihr Großvater ist 1959 in Köln ermordet worden.«

»Klar. Wenn ich auf Mördersuche gehe, sage ich das als Erstes dem Hotelportier. Damit auch ja niemand was merkt.«

»Sie hat dem Hotelportier nichts von Mord gesagt. Sie hat davon gesprochen, dass ihr Großvater in Köln gestorben ist.«

»Fink, hören Sie auf mit diesem Unsinn. Wir wissen von unseren französischen Freunden, wie gefährlich diese Amal Amirouche ist. Rubin haben wir selbst auf der Liste. Ich will, dass Sie den beiden auf den Pelz rücken. Ich will alles wissen über die beiden.«

»Ich dachte, Sie wüssten sowieso alles.«

»Fink, hören Sie auf mit den Witzen. Um Rubins Computer und Telefon kümmere ich mich. Aber der Kerl ist vorsichtig. Vielleicht sogar clever. Sie müssen ihn beschatten. Tag und Nacht. Das ist ein Befehl. Er darf keinen Schritt machen, ohne dass wir davon erfahren.«

»Und wie soll ich das anstellen?«

»Lassen Sie sich etwas einfallen. Sie waren bei der Polizei. Sie galten als sehr erfindungsreich.«

»Aber«, wollte Fink protestieren, doch Parfitt hatte die Verbindung unterbrochen.

Finks Blick fiel wieder auf sein Liebesschloss. Er packte die Zange und hatte keine Mühe, den Bügel zu durchtrennen. Und so etwas nannte sich Sicherheitsschloss.

»Was tun Sie da?«, rief eine Männerstimme. Fink drehte sich um. Ein Liebespaar.

Fink hielt das Schloss hoch, warf es in den Rhein und sagte: »Sie hat mich verlassen.«

Kapitel 9

»Georg, ich muss mit dir reden.«

Gertrud Odenthal hatte auf der Lauer gelegen, um ihn abzupassen, als er nach Hause kam.

Rud, wie sie genannt werden wollte, war so etwas wie Georgs häusliche Cheforganisatorin. Sie kümmerte sich um seine Tochter Rosa und überließ ihr in ihrer Wohnung das Kinderzimmer, das sie ansonsten für ihre eigene Tochter Nicole freihielt. Die allerdings war schon vor Jahren ausgezogen und wollte auch nicht zurückkehren. »Aber hier ist schließlich ihr Zuhause. Sie soll wissen, dass sie jederzeit willkommen ist«, sagte Gertrud, wann immer das Thema aufkam, und ließ sich nicht beirren.

Sie ließ sich auch nicht darin beirren, mütterlich fürsorglich Georgs Liebesleben zu kommentieren und zu steuern. Früher hatte sie seine wechselnden Bekanntschaften missbilligt, jetzt sorgte sie sich schon seit Monaten darum, dass er gar keine Freundin mehr nach Hause brachte.

»Deine Tochter braucht eine Mutter. Und ein Mann braucht eine Frau«, sagte sie. Und da er die Lust am anderen Geschlecht verloren zu haben scheine, werde sie sich darum kümmern, dass endlich eine Frau ins Haus käme.

Georg selbst kam mit seiner Single-Rolle ganz gut klar. Ricarda Pereyra, seine argentinische Ex, war seit über einem Jahr die Freundin von Gerald Menden, Hauptkommissar bei der Kölner Polizei und einer von Georgs besten Kumpeln.

Ricarda war immer noch Georgs Tango-Lehrerin, sie trafen sich einmal die Woche und verstanden sich gut. Manchmal, für die drei Minuten eines Tangos, kamen sie sich sehr nahe, aber Liebe war nicht mehr im Spiel.

Blieb noch Carola Maar, Georgs Kollegin und Tanzpartnerin. Sie war elegant, zwei Jahre älter als er. In den letzten Herbstferien hatten sie zwei Wochen Tango-Urlaub in Buenos Aires gemacht. Sie hatte in einer Frauen-WG gewohnt, er in einem Hotel in der Nähe. Alle hatten sie für ein Liebespaar gehalten, aber sie waren nur gute Freunde, die den Tango liebten.

Außerdem war Carola verheiratet. Ihr Mann, Arthur, war Architekt, ziemlich beschäftigt und ein Tanzmuffel. »Ich bin Bewegungslegastheniker«, sagte er immer. Und er schien froh zu sein, dass Georg mit Carola tanzen ging. Von Eifersucht keine Spur. Warum auch.

Georg wunderte sich, wie Rud es mit einem einzigen Satz geschafft hatte, sein Gehirn in Besitz zu nehmen. Wo er zuvor noch gegrübelt hatte über Bergers Angebot, die Begegnung mit Amal Amirouche und die bevorstehende Aktion gegen die NSA, nisteten sich plötzlich wieder die zwischenmenschlichen Fragen ein. Vielleicht waren das ja doch die wirklich wichtigen Dinge.

Er schloss die Tür zu seiner Wohnung auf. Rud wiederholte ihren Satz »Georg, ich muss mit dir reden« und machte klar, dass sie die Absicht hatte, ihn in seine Wohnung zu begleiten.

»Espresso?«, fragte er.

»Ich hätte Lust auf Rotwein. Du hast doch einen im Haus?«

Rotwein, kein Kaffee. Das ließ hoffen, dass Ruds Gardinenpredigt nicht ganz so schlimm ausfallen würde. Er goss ihr ein Glas ein, selbst begnügte er sich mit einer Cola Zero.

Rud hatte sich auf einen von Georgs roten Klappstühlen am runden Glastisch in der Küchenecke gesetzt.

»Was macht dir Kummer, Rud?«, fragte Georg.

»Du«, sagte sie und hielt ihm das Glas hin, das schon wieder leer war. »Hast du noch einen Schluck?«

Georg schenkte nach, diesmal füllte er das Glas nur zu einem Drittel.

»Mit mir ist alles in Ordnung«, sagte Georg.

»Meinst du. Ich sehe das anders«, sagte Rud und leerte das Glas.

»Noch eins?«, fragte Georg.

»Nein. Es reicht. Ich wollte mir nur etwas Mut antrinken.«

»Wozu?«

»Um dir die Wahrheit zu sagen.«

»Ich dachte, du sagst immer die Wahrheit.«

»Sag ich auch.«

»Na dann los.«

»Vielleicht… doch noch … nur einen winzigen … Schluck.«

»Nein.«

Gertrud Odenthal richtete ihren Oberkörper auf. Mit großen Augen schaute sie Georg an.

»Nun sag schon, was los ist«, ermunterte er.

Rud senkte die Lider, fast schien es ihm, als ob sie errötete. Und dann sagte sie: »Ich habe einen Freund.«

Georg platzte raus vor Lachen. »Das ist doch wunderbar. Und darum druckst du hier so rum? Komm, ich schenke dir doch noch ein Glas ein. Das muss gefeiert werden. Ich nehme mir auch eins. Prost.«

»Nein«, sagte Rud.

»Wie jetzt?«

»Du verstehst nicht. Für mich ist es großartig, ja. Ich fühle mich wie im dritten Frühling. Aber was ist mit dir?«

»Was soll mit mir sein?«

»Ich werde für dich und für Rosa weniger Zeit haben.«

Oh, das könnte wirklich ein Problem werden. Georg genehmigte sich ein zweites Glas.

»Genau genommen habe ich ab sofort keine Zeit mehr. Rolf, er heißt Rolf, hat mich auf eine Kreuzfahrt mit der AIDA eingeladen. Vierzehn Tage Mittelmeer und Rotes Meer. Mallorca. Ibiza. Tunis. Malta. Kreta. Athen. Suezkanal. Kairo. Sharm El-Sheikh. Ein Sonderangebot, das man nicht ablehnen kann. Ich habe zugesagt. Wir fliegen Donnerstagmittag um dreizehn Uhr. Das ist er.«

Rud holte aus ihrer Handtasche ein Foto hervor, das einen gutaussehenden Mittfünfziger in Badehose an einem Strand zeigte. »Das ist Rolf. Auf Mallorca.«

»Rud, das mit ihm hättest du mir sagen müssen.«

»Ich habe es dir gerade gesagt.«

»Na, ein paar Tage früher.«

»Ich wollte es dir gestern Abend sagen. Aber du hattest ja nur Ohren für die Kanzlerin und diesen Putin. Rolf hat mich vorgestern erst mit der Reise überrascht. Wir kennen uns seit zwei Wochen. Wir standen in der Metzgerei auf der Venloer Straße an der Wursttheke. Stell dir vor, er hat ganz genau dasselbe wie ich bestellt. Zervelatwurst, gekochten Schinken und ein Stück Blutwurst. Er hat Blootwoosch gesagt wie ein echter Kölner. Er kann aber auch Hochdeutsch. Wir haben uns ein paarmal getroffen. Freitagabend hat er mich gefragt, welchen Traum er mir erfüllen könnte. Da habe ich ihm von einer Kreuzfahrt vorgeschwärmt. Die Müllers vom ersten Stock haben letztes Jahr eine kleine Mittelmeerreise gemacht. Mallorca. Cannes. Barcelona. Vollpension. Getränke inklusive. Jeden Abend Programm. Sogar Tanzkurse. Was haben die geschwärmt! Das wollte ich auch mal. Rolf ist gleich am Samstag ins Reisebüro und hat alles gebucht. Ich konnte ihn da doch nicht hängen lassen.«

»Nein. Sicher nicht. Es kommt nur so plötzlich. Und sehr ungelegen. Hast du eine Idee, was ich jetzt machen soll?«

»Also, erstens bin ich nur zwei Wochen weg. Zweitens kannst du meine Wohnung weiter nutzen. Und Rosa ihr Kinderzimmer. Und drittens: Rosa ist zwölf Jahre alt. Meinst du nicht, dass sie auch mal ein paar Stunden allein aushält? Und du selbst könntest dich auch mal ein bisschen mehr an deine Vaterpflichten erinnern. Ich finde, dass du dich in der letzten Zeit zu wenig gekümmert hast.«

»Ich hatte furchtbar viel Arbeit.«

»Ja. Das sagen Männer immer und hängen dann doch nur in der Kneipe rum oder vor dem Computer. Du bist ihr Vater. Du hast zugestimmt, dass sie bei dir wohnt. Ich helfe dir mehr, als man von einer Nachbarin eigentlich erwarten kann. Du musst endlich deine eigene Verantwortung wahrnehmen.«

Georg stand auf und umarmte Rud. »Du bist doch nicht irgendeine Nachbarin. Du gehörst zur Familie.«

»Mag sein. Aber auch ein Familienmitglied hat Recht auf Urlaub. Weißt du, wann ich das letzte Mal eine größere Reise gemacht habe? Vor vier Jahren. Eine Woche Eifel. Mit dem Kirchenchor. Und du? Warst du nicht gerade zwei Wochen in Argentinien?«

»Das war im Herbst. Und Rosa war in der Zeit bei ihrer Mutter.«

»Was willst du damit sagen? Dass ich einfach ganz selbstverständlich immer da sein muss? Wie eine Waschmaschine. Oder wie dein teurer Kaffeeautomat?«

»Ach, Rud, du weißt doch, wie ich das meine. Ich bin so dankbar, dass du mir hilfst. Ohne dich hätte das mit Rosa nie so gut geklappt. Wo ist sie überhaupt?«

»Das weißt du nicht? Heute ist Montag. Da hat sie nachmittags Ballettunterricht. Von vier bis sechs. Um sieben wird sie wieder hier sein.«

»Ballett. Klar. Hatte ich vergessen.«