Der Richter-Code - Edgar Franzmann - E-Book
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Der Richter-Code E-Book

Edgar Franzmann

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Beschreibung

Versucht jemand, den Kölner Dom zu sprengen? Der fesselnde Kriminalroman »Der Richter-Code« von Edgar Franzmann jetzt als eBook bei dotbooks. Es ist die letzte Nacht des Kölner Karnevals: chaotisch, bunt und laut geht es zu, als nach Tradition eine Strohpuppe verbrannt wird. Auf dem Heimweg entdeckt der Journalist Georg Rubin jedoch ein weiteres Feuer – auf dem zu seinem Entsetzen eine Frau verbrannt wurde! Aber warum hat die Tote die Nachbildung eines Kirchenfensters in der Hand? Bei seinen Recherchen im Kölner Dom stößt der Journalist auf eine verschlüsselte Botschaft im »Richter-Fenster«, die auf einen geplanten Terroranschlag hindeutet. In einem Wettlauf gegen die Zeit versucht Rubin, die Katastrophe zu verhindern und herauszufinden, wer hinter dem Mord steckt: Religiöse Fundamentalisten – oder jemand, der sie nur zum Sündenbock machen will? »Mit voller Wucht reißt der Kölner Krimiautor den Leser in seine Handlung hinein.« WDR 2 Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der packende Regiokrimi »Der Richter-Code« von Edgar Franzmann ist der erste Band seiner Reihe um den Journalisten Georg Rubin der Fans von Andreas Franz begeistern wird. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 373

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Über dieses Buch:

Es ist die letzte Nacht des Kölner Karnevals: chaotisch, bunt und laut geht es zu, als nach Tradition eine Strohpuppe verbrannt wird. Auf dem Heimweg entdeckt der Journalist Georg Rubin jedoch ein weiteres Feuer – auf dem zu seinem Entsetzen eine Frau verbrannt wurde! Aber warum hat die Tote die Nachbildung eines Kirchenfensters in der Hand? Bei seinen Recherchen im Kölner Dom stößt der Journalist auf eine verschlüsselte Botschaft im »Richter-Fenster«, die auf einen geplanten Terroranschlag hindeutet. In einem Wettlauf gegen die Zeit versucht Rubin, die Katastrophe zu verhindern und herauszufinden, wer hinter dem Mord steckt: Religiöse Fundamentalisten – oder jemand, der sie nur zum Sündenbock machen will?

»Mit voller Wucht reißt der Kölner Krimiautor den Leser in seine Handlung hinein.« WDR 2

Über den Autor:

Edgar Franzmann, 1948 in Krefeld geboren, lebt als Journalist und Schriftsteller in Köln. Er war Redakteur der Zeitung EXPRESS, Leiter der Online-Angebote von Kölner Stadt-Anzeiger und Kölnische Rundschau sowie Chefredakteur des Web-Portals koeln.de. Franzmann ist Mitglied des Syndikats, des Vereins deutschsprachiger Krimiautoren, von April 2012 bis Mai 2014 war er dessen geschäftsführender Sprecher.

Edgar Franzmann veröffentlichte bei dotbooks bereits die Kriminalromane um den Journalisten und Ermittler Georg Rubin mit den Bänden »Der Richter-Code«, »Adenauers Auge«, »Die französische Agentin« und »Das Molotow-Komplott« sowie das Prequel zur Rubin-Reihe »Millionenallee«.

Die Website des Autors: https://www.franzmann.de

Der Autor bei Facebook: https://www.facebook.com/efranzmann

Der Autor auf Instagram: https://www.instagram.com/edgarf/

Der Autor bei Twitter:https://twitter.com/edgarf

***

eBook-Neuausgabe Februar 2023

Copyright © der Originalausgabe 2011 Hermann-Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Like Thomas, S. Borisov

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-98952-043-1

***

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Edgar Franzmann

Der Richter-Code

Kriminalroman – Georg Rubin ermittelt 1

dotbooks.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

Für Emmy

Mittwoch, 25. Februar 2009

Kapitel 1

Georg Rubin, einunddreißig Jahre alt, groß, geistreich, gut aussehend, so seine »ehrliche« Selbsteinschätzung, hatte sich als Mönch verkleidet, vielleicht nicht das beste Kostüm, um Frauenbekanntschaften zu machen. Oder doch?

Er feierte die letzte Nacht des Kölner Karnevals im Studentenviertel, dem »Kwartier Latäng«. Irgendwann im närrischen Gedränge am Rathenauplatz hakten ihn zwei Frauen unter, ein blondes Engelchen und ein rothaariges Teufelchen; ein Bützchen links, ein Küsschen rechts, prost!, so konnte es weitergehen!

Eine Kapelle, die sich »De Imis« nannte, lieferte mit Vorsängerin Carolin Kebekus den melancholischen Hit der Nacht:

Kumm hald mich wärm

Hald mich en dinge Ärm

Zum letzte Mol, Herr Unbekannt

Jo, denn hück weed d’r Nubbel verbrannt

Tschö, bes nächstes Johr.

Jeder der abertausend Narren hielt eine Kerze in der Hand, die Gesichter zerflossen in gespenstischer Schönheit.

Ein falscher Priester deklamierte die Anklageschrift gegen den Nubbel, die Strohpuppe, die sich nicht verteidigen konnte, aber alle Sünden der vergangenen tollen Tage auf sich nehmen musste.

»Wer ist schuld, dass wir unser Geld vertrunken haben?«, rief der Zeremonienmeister.

»Der Nubbel ist schuld«, grölte die Menge.

»Wer ist schuld, dass wir fremdgegangen sind?«

»Der Nubbel ist schuld. Der Nubbel soll brennen!«, rief die Menge, und das Engelchen in Georgs Arm rief es besonders laut und schaute so abenteuerlustig, als sollte dem Nubbel noch eine letzte kleine Sünde aufgepackt werden.

Georg überlegte, wie er die entscheidende Frage formulieren sollte. Oder musste er gar nicht fragen? Er legte den beiden Frauen die Arme um die Schultern und marschierte festen Schrittes Richtung Ehrenfeld.

»Wohin gehen wir?«, fragte Teufelchen.

»Zu mir«, sagte Georg.

Teufelchen quengelte, sie wolle nicht ins Kloster, jedenfalls nicht heute Abend.

Georg sagte: »Teufelinnen dürfen sowieso nicht ins Kloster.«

Am Grüngürtel riss sich Teufelchen los, Georg wusste inzwischen, dass sie Sandra hieß. Sie rannte rechts den Hügel hinauf, dicht am Bahndamm entlang. »Fangt mich, fangt mich doch«, rief sie und entschwand in der Finsternis.

Engelchen, sie hieß Kathrin, hielt Georg zurück. »Lass sie. Die kommt schon wieder.« Georg löste die Umarmung. »Nein, jetzt nicht. Es ist nicht mehr weit.«

Er zog Kathrin die Steigung hinauf. In der Ferne sah er Sandras Schatten als Kontur vor einem Lichtschein, der von einem Feuer kam. Da wurde wohl noch ein Nubbel verbrannt.

Von der Universitätsstraße her hörte man gedämpften Verkehrslärm, ansonsten war es still. Schritte näherten sich.

Sandra kam zurück. »Wo bleibt ihr denn?«, fragte sie. »Es ist so unheimlich hier.«

Zu dritt gingen sie auf das Licht zu. Außer ihnen schien niemand oben auf dem Hügel zu sein. Wo war der Trauerzug für den Nubbel? Oder war das da vorn ein herrenloses Feuer?

Das Licht der Flammen blendete Georg, die direkte Umgebung links und rechts des Weges wirkte dadurch noch dunkler, als sie ohnehin war. Ein Knacken kam aus dem welken Gestrüpp, das zum Bahndamm lag. Georg duckte sich. Für einen Augenblick glaubte er, einen großen menschlichen Schatten zu sehen, aber wahrscheinlich war das nur ein streunender Hund, den sie aufgeschreckt hatten.

Das Feuer vor ihnen flackerte unruhig, vereinzelt züngelten Flammen hoch und schickten Funken wie Glühwürmchen in die Nacht. Der Brandherd lag in der Mitte eines kreisrunden befestigten Platzes, der von einer niedrigen Mauer eingefriedet war. Es war der höchste Punkt dieser künstlichen Hügellandschaft.

Georg ging auf die Flammen zu. Ein Windstoß blies ihm ins Gesicht. Ein unangenehmer, ekliger Geruch fiel ihn an und schnürte ihm den Atem ab. Er schaute auf den Nubbel. Er sah einen halb versengten Kopf, aus dem ein hellblaues Auge starrte. Das zweite Auge war verschmort. Er sah glühende blonde Haare. Er sah ein junges Gesicht. Er sah ein weißes Kleid. Er sah ein Messer, das in dem Körper steckte. Er sah Blut, viel rotes Blut. Er sah gefesselte Hände und Beine.

Und dann begriff er endlich, und er schrie, dass es kilometerweit zu hören sein musste: »Oh, mein Gott. Das ist ein Mensch. Sie haben eine Frau als Nubbel verbrannt.«

Für Sekunden war Georg gelähmt, dann ließ das immer noch lodernde Schreckensfeuer sein Gehirn explodieren.

Er zückte seine Digitalkamera und schoss Foto um Foto.

Von der Leiche. Klick. Wer war diese junge Frau? Klick.

Vom Tatort. Klick. Hoch über dem glitzernden Weiher im Norden, klick, und der Uni-Wiese im Süden. Klick.

Von der Umgebung. Klick. Klick. Klick.

Wer konnte das Verbrechen beobachtet haben? Jemand, der im Zug vorbeigefahren war? Klick.

Vom Scheiterhaufen. Klick. Nicht nur Holz, klick, sondern auch Papier. Klick.

Was glitzerte da unter dem Messer? Klick. Das sah aus wie ein Kirchenfenster. Klick. Das war ein Kirchenfenster. Klick. Die Nachbildung eines Kirchenfensters. Klick. Gotisch. Klick. Der Rahmen gut fünfzig Zentimeter hoch. Klick.

Georg fasste den Rahmen vorsichtig an. Die Scheiben des Kirchenfensters waren nicht aus Glas, sondern aus durchsichtigem Kunststoff oder Papier. Fast völlig verbrannt, bis auf ein paar Fetzen mit quadratischen Farbflecken. Farbquadrate wie auf dem berühmten Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom. Was hatte das alles zu bedeuten?

Georg hielt inne, holte bewusst und ganz langsam tief Luft, spürte seine Erregung. Was für Bilder! Was für eine Story! Und dies war seine Story!

»Wo bleibst du denn?«, hallte Sandras Stimme aus der Dunkelheit und holte Georg aus seinem Rausch. Er warf seine schwere Mönchskutte über die Flammen und deckte damit auch den Leichnam zu.

Die beiden Frauen waren einige Meter zurückgewichen und hielten sich zitternd in den Armen. Georg rief: »Geht da nicht hin, um Himmels willen, geht da nicht hin.«

Engelchen Kathrin schrie auf: »Da, da ist er. Ich habe ihn gesehen.« Sie zeigte Richtung Bahndamm. »Da ist er, nein, es sind sogar zwei. Tut doch was.«

Georg und Sandra bemerkten nichts Verdächtiges. »Kathrin, beruhige dich«, sagte Georg. »Das sind nur Schatten.«

Kathrin zitterte und sackte in sich zusammen. Sandra fing sie auf und ging schluchzend mit der Freundin zu Boden.

Georg rief die 110 an, den Notruf der Polizei. »Kommen Sie schnell zum Hügel am Aachener Weiher Richtung Uni. Ganz oben, nahe am Bahndamm, liegt eine Leiche.«

Über 112 alarmierte er die Feuerwehr. Dort sagte man ihm, der Vorgang sei schon bekannt, Einsatzkräfte seien unterwegs. Georg bat darum, auch einen Notarzt zu schicken, mindestens eine Zeugin habe einen Schock erlitten.

Georg sah, dass Kathrin die Augen aufschlug. »Kommt, weg hier«, sagte er und dirigierte sie abwärts bis zu den Bänken eines Kinderspielplatzes, von wo aus der Tatort nicht mehr einzusehen war.

Vom Bahndamm her hörte Georg ein Trippeln und Rascheln. Und da, war da nicht wieder dieser große Schatten? Georg drehte sich um. Plötzlich sah er überall bedrohliche Geister, Bestien und Riesen, die ihnen auflauerten. Nur nicht in Panik geraten!

Georg nahm sein iPhone und rief Gerald Menden an, »seinen« Kommissar bei der Mordkommission. Sie hatten sich vor einem Jahr kennengelernt, als Menden mit der Entführung des Milliardenerben Franck von Franckenhorst zu tun hatte, eines alten Schulfreundes von Georg. Georg hatte damals für den BLITZ berichtet. Gerald war seitdem mit Francks Schwester Miriam zusammen.

Es dauerte eine endlose Minute, bis Gerald abnahm.

»Georg hier.«

»Weißt du, wie spät es ist?«, brummte Gerald.

»Du musst sofort kommen. Aachener Weiher. Der Hügel Richtung Uni. Hier ist eine Frau als Nubbel verbrannt worden.«

»Ich bin nicht im Dienst.«

»Bitte«, sagte Georg, »du musst kommen.«

»Danke«, sagte Gerald und hängte ein.

Aus der Ferne näherten sich Einsatzwagen mit Blaulicht und Martinshorn. Ein Löschwagen der Feuerwehr blieb unten am Aachener Weiher stehen. Zwei Männer kamen den Weg hoch.

»Hierher« sagte Georg und führte sie zum Tatort.

Der ältere der beiden Feuerwehrmänner ging einmal um den Scheiterhaufen herum.

»Hier ist für uns nichts mehr zu löschen. Gelände großräumig absperren. Verhindern, dass hier noch jemand durchläuft. Personalien der Zeugen aufnehmen. Nachhören, wo der Notarzt bleibt. Und bringen Sie ein paar Decken hoch, der Mann hier holt sich ja den Tod.«

Georg zitterte. Er hatte vergessen, dass er im T-Shirt unterwegs war, seitdem er seine Mönchskutte auf das Feuer geworfen hatte.

»Danke«, sagte Georg. »Ich heiße Georg Rubin. Ich habe die Leiche gefunden und Polizei und Feuerwehr alarmiert. Die beiden waren auch dabei«, sagte Georg und zeigte auf Kathrin und Sandra, die auf der Bank am Spielplatz saßen und vor sich hin wimmerten.

»Schmitz, Harald Schmitz«, sagte der Feuerwehrmann. »Ruhen Sie sich aus. Kümmern Sie sich um Ihre Begleitung. Ich regle das hier, bis die Polizei kommt.«

Innerhalb weniger Minuten war ein Großaufgebot an Polizei- und sonstigen Einsatzwagen vor Ort. Der Tatort wurde mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Beamte in Zivil bauten Scheinwerfer auf und erleuchteten die Szenerie.

Ein Mann kam auf Georg und die beiden jungen Frauen zu. »Naumann. Kripo Köln. Herr Schmitz von der Feuerwehr sagte mir, dass Sie uns angerufen haben.«

Georg erzählte seine Geschichte. Wie sie das Feuer gesehen hatten und an eine Nubbelverbrennung glaubten. Wie er mit seiner Mönchskutte das Feuer ersticken wollte und dabei die Tote entdeckte. Von seinen Fotos erzählte er nichts.

Anschließend nahm Naumann auch Kathrins und Sandras Personalien und Aussagen auf. Kathrin wiederholte, dass sie zwei Männer am Bahndamm gesehen hätte.

Endlich erschien auch Gerald Menden, immer noch schlecht gelaunt, und lotste Georg zu sich. »Dann zeig mir mal, was du so Schreckliches entdeckt hast.«

Georg führte den Kommissar den Hügel hinauf. »Ich nehme für die letzten Meter denselben Weg, den ich auch vorhin gegangen bin. Da vorn war das Feuer. Da liegt die Tote.«

Menden trat an den Scheiterhaufen und hob vorsichtig die Mönchskutte an. Er sah das halb verbrannte Gesicht mit dem hellblauen Auge und ließ die Kutte wieder fallen. »Scheiße!«, fluchte er, so einen Anblick musste auch ein Polizist erst einmal verkraften.

Menden startete einen zweiten Versuch und nahm die Kutte ganz beiseite. Das Opfer trug eine Art weißes Nachthemd, keine Unterwäsche.

Menden inspizierte das Messer, das im Leib der Toten steckte, und das Kirchenfenster, das aufgespießt war wie eine übergroße Andenkenpostkarte auf einer Pinnwand.

»Das Messer sieht aus wie ein professionelles Schlachtermesser. Und dann dieses Kirchenfenster …«

»Das Richter-Fenster. Da könnten meine Fingerabdrücke drauf sein«, sagte Georg.

»Du hast hier was angefasst?«, fragte Menden.

»Nur ganz kurz. Nur das Fenster. Und dann habe ich die Kutte über sie geworfen, um sie zuzudecken und die Flammen zu ersticken.«

»Leichenfledderer!«, brummte Menden. Er stapfte dreimal um den Scheiterhaufen herum, hielt dann und wann inne, wechselte immer wieder den Blickwinkel, ging in die Hocke, stellte sich auf und sagte schließlich: »Auffällig, dass der Täter so viele Spuren und Beweisstücke hinterlassen hat. Entweder ist er sich sehr sicher, oder er will etwas demonstrieren, oder er will gefunden werden.«

Georg schoss ein paar Fotos.

Menden stoppte ihn. »Georg, das kannst du nicht machen.«

»Was kann ich nicht?«

»Du kannst hier keine Fotos machen.«

»Warum nicht?«

»Und schon gar nicht veröffentlichen! Du bekommst Fotos von unserer Pressestelle.«

»Ich brauche eure Fotos nicht. Ich war vor dir am Tatort. Das ist eine Riesenstory: Der Nubbel-Mord! Das ist meine Story.«

»Du und deine verdammten Schlagzeilen. Ich sag dir was, als Freund: Wer über Leichen geht, verliert. Immer. Keine Fotos! Sonst bist du nicht besser als diese Mörder.«

»Ich bin Journalist«, sagte Georg.

»Du bist ein Scheißkerl! Ich verbiete dir, irgendetwas zu veröffentlichen, was die Polizei nicht freigegeben hat.«

Menden ließ Georg stehen, ohne dessen Antwort abzuwarten. Der Kommissar stapfte zu einer Gruppe Polizisten und sprach auf Naumann ein, den er zurück zu Georg schickte.

Naumann pflanzte sich vor Georg auf. »So, Herr Rubin, Sie gehen jetzt bitte hinter die Absperrung. Wir haben Ihre Zeugenaussage. Wir werden Sie fürs Protokoll später noch einmal aufs Präsidium bitten. Ansonsten ist für Sie hier Feierabend. Kommissar Menden lässt ausrichten, dass er sich morgen, also heute, bei Ihnen melden wird.«

Georg fand Naumanns Auftritt zum Kotzen. Was wäre, wenn ihm jetzt tatsächlich speiübel würde und er Naumann mitten ins Gesicht…? Den ganzen Ärger. Die ganze Aufregung. Den ganzen Alkohol. Wäre das Beamtenbeleidigung? Wohl kaum. Georg beherrschte sich.

Er schaute noch einmal in Richtung des Scheiterhaufens. Irgendetwas verstörte ihn, irgendetwas erinnerte ihn, aber an was? Was hatte Menden über den Täter gesagt? »Entweder ist er sich sehr sicher, oder er will etwas demonstrieren, oder er will gefunden werden.«

Georg zählte für sich auf, was er sah und gesehen hatte: Holz, Feuer, Messer. Irgendwo waren ihm diese drei Begriffe begegnet, irgendwann in den letzten Tagen, in denen er als Mönch verkleidet im Straßenkarneval unterwegs war.

Naumann packte Georg am Arm. »Bitte, Herr Rubin. Hinter die Absperrung. Das ist eine polizeiliche Anordnung.«

»Rühren Sie mich nicht an!«, schnaubte Georg.

Er nahm sein iPhone und blätterte durch die Bildschirme mit den Apps. Auf den hinteren Rängen hatte er Bücher gespeichert, darunter das Grundgesetz, »Das Kapital« von Karl Marx, Shakespeares gesammelte Werke ‒ und die Bibel in mehreren Sprachen.

Georg aktivierte das Bibelprogramm, wählte als Text eine alte Luther-Übersetzung und gab drei Suchwörter ein: Holz, Feuer, Messer. Nach einer Sekunde kam die Antwort, 1. Mose, 22, Verse 6 und 9:

Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak; er aber nahm das Feuer und Messer in seine Hand, und gingen die beiden miteinander. … Und als sie kamen an die Stätte, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham daselbst einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.

Georg wickelte sich fester in die Feuerwehrdecke und suchte Kathrin und Sandra. Die beiden waren verschwunden. Feuerwehrmann Schmitz dirigierte immer noch Einsatzkräfte. Georg fragte ihn nach den beiden Frauen.

»Der Notarzt hat sich um sie gekümmert.«

Georg wusste von seinen nächtlichen Begleiterinnen nichts außer den Vornamen. Schlecht recherchiert, ärgerte er sich.

Dutzende von Menschen verrichteten irgendeine Ermittlungsarbeit, wuselten herum, sicherten Spuren, nahmen Proben vom Boden und von Sträuchern, ohne ihn zu beachten. Sogar für Menden war er Luft, vor allem für Menden. Und dann diese Gaffer, die sich minütlich vermehrten.

Eine merkwürdige Versammlung hatte sich da eingefunden, viele waren kostümiert, einige betrunken, die meisten inzwischen ernüchtert durch das Geschehen, auch wenn sie von dem Mord kaum etwas mitbekommen haben konnten.

Ein Mann ragte aus der Menge heraus, er musste an die zwei Meter groß sein, trug millimeterkurzes Haar und schob ein kleines Fahrrad neben sich her, eine Art BMX-Rad, mit dem Geübte die tollsten Kunststücke vorführen konnten. Als Junge hatte Georg selbst so ein Bike besessen. Der Zwei-Meter-Mann war überhaupt nicht der Typ eines Rad-Akrobaten, der sah eher nach Ringer oder Catcher aus, aber dann stellte er sich auf die Pedale und ritt den Hügel mit Leichtigkeit hinab, als wäre das seine tägliche Übung.

Georg hatte genug. Er ging hinunter zum Aachener Weiher, am Ostasiatischen Museum vorbei, weiter auf der Universitätsstraße, links in die Vogelsanger Straße bis zur Ecke Piusstraße, wo er wohnte.

Vor seiner Haustür hörte er ein Geräusch. War ihm jemand gefolgt? Niemand zu sehen.

Aus der Kneipe gegenüber ertönte Karnevalsmusik: »Am Aschermittwoch ist alles vorbei.«

Doch Georg beschlich das Gefühl, dass für ihn alles gerade erst begonnen hatte.

Kapitel 2

Zu Hause schaffte Georg es noch ins Bad, ehe er sich die Seele aus dem Leib spuckte. Da kam vieles zusammen. Sechs Tage Karneval. Viel getrunken, wenig gegessen. Und dann der Horror der Nacht, diese verbrannte Frau mit dem aufgespießten Richter-Fenster. Wer war sie? Wer tat so etwas?

Georg kletterte unter die Dusche und drehte die Temperatur hoch. Er war bekennender Heißduscher, und heute konnte es ihm gar nicht heiß genug sein, um sich den Schrecken vom Leib zu waschen.

Fünfzehn Minuten und zwei Espresso später fühlte Georg sich ansatzweise wieder wie ein Mensch. Sein Gehirn meldete sich zurück und erinnerte ihn daran, dass er Journalist war und eine Geschichte zu schreiben hatte.

Er fuhr seinen Computer hoch und spielte die Fotos aus der Nacht ein. Engelchen und Teufelchen im Doppel, leicht unterbelichtet und verwackelt. Was hätte das für eine Nacht werden können! Wo mochten sie abgeblieben sein?

Am dramatischsten waren die Fotos, die er am Tatort geschossen hatte, als die Flammen noch loderten. Am schärfsten waren die Aufnahmen, als die Polizei das Gelände ausgeleuchtet und er seinen Streit mit Menden gehabt hatte.

Georg öffnete sein Textverarbeitungsprogramm und schrieb los. Die Wörter flogen ihm regelrecht zu, manchmal, wenn er stockte, reichte ein Blick auf die Fotos, um ihn zurück in die Story zu bringen. Nach knapp dreißig Minuten war er fertig. Er las sich den Text laut vor, korrigierte einige Stellen, las wieder laut, bis er mit seinem Werk zufrieden war. Ganz zum Schluss tippte er die Überschrift, die er die ganze Zeit im Kopf gehabt hatte: »Köln: Nubbel-Mord ‒ Frau grausam verbrannt« und darunter die Autorenzeile »Von BLITZ-Chefreporter Georg Rubin«.

Das Radio, das im Hintergrund lief, meldete sich mit den Nachrichten. Es war vier Uhr. Der Nubbel-Mord kam in den Meldungen nicht vor.

Georg durchstöberte das Internet, auch dort noch kein Hinweis auf das Verbrechen der Nacht. Er hatte die Story seines Lebens, aber sie würde frühestens in fünfzehn Stunden gedruckt werden. Bis dahin hätte sich der Fall in der halben Welt rumgesprochen. Es war zum Verrücktwerden.

Vielleicht stimmte es ja, dass die Zeitung ein sterbendes Medium war. Sein erster Chefredakteur hatte immer gepredigt: »Wenn du nicht schneller sein kannst als die Konkurrenz, dann musst du wenigstens besser sein.« Jetzt war er nicht nur besser, jetzt war er auch noch schneller, nur dass das niemand mitbekam.

Er könnte die Kollegen von der Online-Redaktion wecken, dann wäre sein Text in der Welt. Aber das war nicht das Gleiche, wie sich gedruckt in der Zeitung zu sehen. Kabarettist Dieter Hildebrandt hatte mal gesagt: »Online kann man nicht wegschmeißen und nicht riechen. Eine Zeitung muss riechen. Zeitung ist etwas Sinnliches.« Recht hatte er, der alte Grantler.

Georg kannte den Geruch frisch gedruckter Zeitungen seit seiner Kindheit. Paul, sein Vater, war Metteur gewesen, ein Berufsstand, der erst vor wenigen Jahren ausgestorben war. Der Metteur nahm die Blöcke aus Bleizeilen, die die Schriftsetzer an ihren langsamen Maschinen gesetzt hatten, und baute sie zu ganzen Seiten zusammen. Die Buchstaben für die ganz großen Überschriften waren einzeln aus Holz geschnitten, die Schriften hatten bei den Metteuren komische Namen wie »Zehn-auf-acht-dicke-fette-Info«.

Georg durfte seinen Vater manchmal zur Arbeit begleiten. Er erinnerte sich, dass alle Buchstaben in der Mettage spiegelverkehrt waren und dass er seinen Vater und dessen Kollegen bewunderte, weil sie die verdrehten Texte trotzdem fließend lesen konnten. Als Georg groß genug gewachsen war, dass er über Pauls Arbeitstisch schauen konnte, hatte auch er das Lesen nach Art der Metteure gelernt.

Als die Computer die Druckereien eroberten, wurden Fachkräfte wie Georgs Vater aussortiert, dafür vermehrten sich in den Druckerzeugnissen die »Schusterjungen« und »Hurenkinder«, typografische Todsünden, deren Vermeidung zum Berufsethos der Setzer und Metteure gehört hatte, deren Wissen plötzlich nicht mehr gefragt und nach ein paar Jahren auch nicht mehr vorhanden war.

Als Georg die Journalistenlaufbahn einschlug, hatte er seinem Vater das Versprechen geben müssen, in seinen Artikeln keine »Schusterjungen« und »Hurenkinder« zu dulden. »Die Seele der Zeitung ist gestorben. Als man uns weggeschickt hat«, pflegte Paul zu sagen. Es war Zeit, dass Georg sich mal wieder bei seinem alten Herrn sehen ließe.

Georg schaute auf das Foto seiner Tochter, das neben dem Computermonitor im Regal stand. Rosa letzten Sommer an ihrem ersten Schultag, in der linken Hand eine große Schultüte, in der rechten ein DIN-A4-großes »Extrablatt«, das Georg noch am selben Tag für sie produziert und ausgedruckt hatte. Die Kleine konnte schon ihren Namen lesen und war ganz stolz auf ihre erste eigene Zeitung.

»Extrablatt«, das wär’s, schoss es Georg durch den Kopf. Konnte man eine Sonderausgabe des BLITZ mit dem Nubbel-Mord auf den Markt bringen?

Aufgedreht hängte er sich ans Telefon. Die Rotation war noch besetzt, aber die Kollegen hatten gleich Feierabend. Überstunden? Die müssen vorher angemeldet werden. Extrablatt? Nubbel-Mord? Na gut, weil du es bist, aber in zwei Stunden muss alles erledigt sein.

Konnte er den Vertriebsleiter aus dem Bett holen? Ja, musste sein. Jetzt zahlte sich aus, dass Georg nicht stur in der Redaktion hockte, sondern sich im gesamten Unternehmen auskannte.

Der Vertriebschef litt an Schlaflosigkeit und schien fast auf Georgs Anruf gewartet zu haben. Extrablatt? Hatten wir seit Ewigkeiten nicht mehr. Welche Auflage? Zehntausend. Er werde sich kümmern. Ob er die Genehmigung vom Verleger und vom Chefredakteur hätte.

»Die werde ich überraschen«, sagte Georg und hängte ein.

Er schickte dem Junior-Verleger und dem Chefredakteur je eine knappe SMS, Text: »Extrablatt Nubbel-Mord Auflage 10.000 Georg Rubin«. Dann sprang er in sein Mini-Cabrio und düste Richtung Pressehaus.

Anderthalb Stunden später hielt Georg ein frisches Extrablatt des BLITZ in der Hand. Seitdem es die moderne Technik gab, war es möglich, mit minimaler Besetzung eine komplette Zeitung zu produzieren. Georg schnupperte am noch druckfeuchten Papier. Dieser Geruch, ja, das war sein Parfüm. Paul würde stolz auf ihn sein!

Auf der ersten Seite prangte in großen Buchstaben seine Schlagzeile: »Köln: Nubbel-Mord ‒ Frau grausam verbrannt«. Darunter in voller Breite und eine halbe Seite hoch ein Foto der Toten auf dem noch brennenden Scheiterhaufen. Menden konnte ihm gestohlen bleiben. Helmut, der Chef vom Dienst, der Nachtschicht in der Redaktion schob, hatte Georg nicht lange überreden müssen, dass die Story erst durch die exklusiven Fotos für ein Extrablatt reichen würde.

Der Text und zwei weitere Fotos standen auf der letzten Seite. Für das Extrablatt hatte Georg im Computer einfach die erste und die letzte Seite der normalen Ausgabe vom Aschermittwoch überschrieben. Zuvor hatte dort gestanden: »Karneval in Köln, selbst Petrus feierte mit«. Die Geschichte erschien so oder so ähnlich jedes Jahr. Jetzt stand da sein Nubbel-Mord.

Mario, der Spezialverkäufer, der normalerweise abends in den Kneipen der Innenstadt den druckfrischen BLITZ verkaufte, erschien müde zur Sonderschicht am Morgen und packte sich die Rücksitze und den Kofferraum mit Zeitungen voll.

»Gibt’s für ein Extrablatt auch ein Extrahonorar?«, fragte er.

»Ja klar. Und ich gebe einen aus«, sagte Georg.

»Wo soll ich mit dem ganzen Papier überhaupt hin? Die Kneipen sind leer, in der Stadt ist doch um diese Zeit nichts los«, moserte Mario.

»Als Erstes fährst du zum WDR, Fernsehstudios am Appellhofplatz«, sagte Georg. »Da wird gerade live das ARD-Morgenmagazin gesendet. Du gibst zehn Exemplare ab. Frag nach Herrn Dietmar, Jürgen Dietmar, das ist ein Freund von mir, der wartet schon auf dich. Lass dich nicht vom Pförtner abspeisen, du musst Dietmar die Zeitungen persönlich in die Hand drücken, damit sie auf jeden Fall bis ins Studio kommen. So, und wenn du das beim WDR erledigt hast, gehst du in die U-Bahn und bringst die restlichen Zeitungen unters Volk. Du Nachteule hast ja keine Ahnung, wie viele Menschen morgens ganz früh schon fleißig sein müssen.«

Mario schien nicht überzeugt. »Ich mach das, aber das Extrahonorar und dass du einen ausgibst, das habe ich nicht vergessen.«

Mario rauschte ab, Georg wusste, er würde den Auftrag zuverlässig erledigen. Er hatte Dietmar zugesagt, dem Morgenmagazin eine halbe Stunde exklusiven Vorsprung zu lassen, um sieben Uhr würde er die Meldung vom Nubbel-Mord und dem Extrablatt dann auch an die Agenturen und die eigene Online-Ausgabe geben.

»Extrablatt. Fernsehen. Agenturen. Online. Paff. Paff. Paff. So macht man Auflage, Herr Stein«, murmelte Georg und stellte sich das Gesicht des Chefredakteurs vor.

Georg saß abgekämpft, aber glücklich in seinem Büro, die Füße hatte er auf den Schreibtisch gelegt. Außer ihm war niemand mehr im Glashaus, wie alle den auch schon in die Jahre gekommenen Neubau am Stadtrand nannten, der offiziell den Namen der Verlegerdynastie trug. Helmut hatte seinen Dienst beendet, die Kollegen aus der Online-Redaktion waren noch nicht da. Wann würde der Sturm beginnen?

Georg schaltete seinen kleinen Bürofernseher ein, erstes Programm, Morgenmagazin. Ob Mario die Zeitungen abgeliefert hatte? Ob Jürgen Dietmar die Meldung im Programm unterbringen konnte?

Georg hatte während seines Volontariats einige Monate beim WDR hospitiert. Dietmar war ein Fernsehprofi, der Georg viel beigebracht hatte und der ihm auch sehr deutlich davon abgeraten hatte, zum Fernsehen zu gehen. Georg sei ein Schreiber, kein Präsentator, und für eine bescheidene Rolle in der TV-Redaktion ohne Bildschirmpräsenz sei er zu ehrgeizig, das würde er nicht aushalten.

Ja, ehrgeizig war er. Aber was war daran so schlimm? Warum sollte er nicht Kölns bester Journalist werden dürfen?

Georg hatte einen Packen Extrablätter mit hochgenommen, jetzt las er zum vierten Mal seinen Text und ärgerte sich über einen Tippfehler. »Aaachener Weiher« hatte er mit drei »a« geschrieben und es beim Redigieren nicht gemerkt. War er zu streng mit sich, zu pingelig?

Das Hochgefühl, das er gespürt hatte, als die erste Zeitung druckfrisch aus der Rotation kam, war plötzlich nicht mehr da.

Zweifel kamen. War das richtig, was er getan hatte? Hatte er nur sein Ego befriedigt? Wie würde Chefredakteur Wolfgang Stein verkraften, dass er ihn übergangen hatte? Er hatte ihm eine läppische SMS geschickt, mitten in der Nacht, die musste er noch gar nicht registriert haben.

Wie würde er selbst an Steins Stelle handeln? Er würde sich feuern, fristlos.

»Scheiße« rief Georg laut, als ihm das bewusst wurde.

»Was für eine schöne Begrüßung«, erklang eine Stimme in Georgs Rücken. Es war der »Alte«, Wolfgang Stein, Chefredakteur. »Aber, Georg, du sagst es, du hast eine ziemliche Scheiße gebaut.«

Georg schreckte hoch. »Wolfgang, das Extrablatt, der Nubbel-Mord, das ist eine Riesengeschichte«, sagte er und nahm die Füße vom Tisch.

»Was eine Riesengeschichte ist, das entscheide immer noch ich«, sagte Stein. »Und, mal ganz abgesehen davon, weißt du eigentlich, was deine Aktion gekostet hat?«

Georg schaute Stein an.

»Ja, da fällt dir plötzlich nichts mehr ein. Du hast zehntausend Exemplare drucken lassen, wenn ich deine SMS richtig verstanden habe. Was kostet ein Exemplar? Sechzig Cent. Was bringt die ganze Aktion, falls alle zehntausend Exemplare verkauft werden? Na, geht’s noch mit dem Kopfrechnen?«

»Sechstausend Euro«, sagte Georg.

»Ja. Sechstausend Euro. Wahnsinn. Mein Chefreporter wird reich und berühmt. Sechstausend Euro. Abzüglich der Mehrwertsteuer und aller Kosten. Hast du die leiseste Ahnung, welchen Aufwand du verursacht hast? Zwei nicht angemeldete Überstunden in der Rotation. Eine halbe Million Blatt Papier plus Druckfarben, Wasser, Strom. Den Spezialvertrieb antanzen und wieder abfahren zu lassen. Ich lasse das alles ausrechnen. Das wird locker eine hohe fünfstellige Summe. Und du wirst das bezahlen, auf Euro und Cent.«

Wolfgang wartete auf eine Antwort; als Georg nichts sagte, fuhr er fort: »Hast du meine SMS gelesen?«

»Du hast mir auch eine SMS geschrieben?«, fragte Georg. Er fingerte sein iPhone heraus und las: ›Außerordentliche Kündigung. Sofort. Spätestens bis zehn Uhr das Haus verlassen. Wolfgang‹.«

»Wolfgang, das geht nicht. Du kannst mich nicht rauswerfen. Doch nicht wegen dieser Geschichte«, sagte Georg.

Stein schaute ihn ruhig an, ließ sich mit seiner Antwort einige Sekunden Zeit. »Doch, kann ich. Begründung auf Papier folgt. Du bist für heute erst einmal beurlaubt. Pack deine Sachen!«

Georg war zu müde, um Stein zu antworten und sich zu wehren. Und hatte der nicht recht? Konnte sich ein Chefredakteur solche Alleingänge bieten lassen? Ja, doch, warum eigentlich nicht? Georg war ja nicht irgendwer. Er war Chefreporter. Und es war eine aufregende Geschichte. Und sie war exklusiv.

Eine Bewegung auf dem Fernseher fesselte Georgs Aufmerksamkeit, er stellte den Ton lauter. Auf dem Bildschirm hielt das Moderatorenduo das Extrablatt mit dem Nubbel-Mord in die Kamera. Neben den TV-Stars stand BLITZ-Verkäufer Mario in seiner roten Uniform und hatte sein breitestes Grinsen aufgesetzt. Wie hatte der Kerl das nur geschafft, selbst ins Studio zu kommen? Und jetzt wurde er auch noch interviewt. Ja, eine schlimme Geschichte. Aber das Motto seiner Zeitung laute ja »Schnell, schneller, geBLITZt«, da müsse so etwas natürlich auch sofort gedruckt werden.

Die Moderatoren gaben weiter zu den Nachrichten der Tagesschau aus Hamburg. Und selbst die Nachrichten begannen mit dem Nubbel-Mord: »Ein grausames Verbrechen überschattet das Ende des Kölner Karnevals. Wie die Kölner Boulevardzeitung BLITZ berichtet, wurde eine junge Frau wie ein Nubbel verbrannt …« Dazu wurde groß das Titelblatt des BLITZ mit dem Foto der Toten eingeblendet und außerdem noch der Texthinweis »Copyright: BLITZ Köln«.

»Das hast du auch noch gedreht?«, wollte Stein wissen.

»Man kennt sich, man hilft sich«, sagte Georg.

Das Telefon auf Georgs Schreibtisch klingelte. Konrad Berger, der Junior-Verleger, meldete sich am anderen Ende der Leitung.

»Guten Morgen, Herr Berger«, sagte Georg geistesgegenwärtig. »Herr Stein ist bei mir; wenn Sie erlauben, werde ich den Lautsprecher einschalten.«

»Aber gerne, mein Lieber«, sagte Berger, was Stein schon mithören konnte. »Und großartig, Stein, dass Sie auch da sind. Das haben Sie wirklich ganz, ganz großartig gemacht. Ein Extrablatt, auf diese Idee muss man erst mal kommen! Und dann noch das Fernsehen einschalten. Da ist man gerne Verleger, wenn man solche Mitarbeiter hat. Wollte Ihnen das auch persönlich sagen. Hat man ja nicht so oft Gelegenheit zu. Also Glückwunsch. Werde in die Redaktionskonferenz kommen und das auch noch mal in großer Runde sagen.«

Stein räusperte sich. »Guten Morgen, Herr Berger. Ich hatte soeben angeordnet, dass Herr Rubin für heute erst einmal beurlaubt ist, also …«

»Ja, gute Idee. Den freien Tag hat er sich verdient. Rubin, legen Sie sich aufs Ohr. Und schauen Sie morgen mal bei mir vorbei. Ich will im Detail wissen, wie Sie das gemacht haben«, sagte der Verleger und beendete das Gespräch.

Georg schaute Stein an. »Und nun?«

»Was, und nun?«

»Konrad schien ganz angetan.«

»Das ändert nichts. Du bist beurlaubt, und das bekommst du auch noch schriftlich. Wenn du meinst, ich würde mich nach diesem Anruf besser fühlen oder gar umstimmen lassen, hast du dich getäuscht. So leicht lasse ich mich nicht abschießen. Nicht von dir. Und auch nicht vom Verleger.«

»Wie kommst du denn da drauf?«

»Ach, Georg, hör auf. Du hältst mich für einen senilen Trottel, der von nichts Ahnung hat. Meinst du, ich merke das nicht? Was du dir heute Nacht geleistet hast, ist der beste Beweis dafür. Ich bin, glaube ich, doppelt so alt wie du. Vielleicht recherchierst du mal, was ich im Leben schon alles gemacht habe. Dagegen bist du ein Würstchen.«

Stein war angeschlagen. In der Tür drehte er sich noch einmal um: »Die Nummer mit dem Extrablatt war an sich nicht übel. Vielleicht hätte ich sogar mitgemacht.«

Stein verschwand in seinem Büro und griff zum Telefonhörer, was Georg durch die verglasten Wände beobachten konnte. Mit wem mochte Stein sprechen? Mit Arthur, dem Senior-Verleger, Konrads Vater, dem Allmächtigen? Oder mit Bernhard, Konrads Cousin, der sich selbst für den einzig qualifizierten Nachfolger des Allmächtigen hielt und kräftig gegen Konrad Stimmung machte? Oder holte Stein sich einfach nur Rat bei seiner Frau? Von Steins Gesicht war nichts abzulesen.

Georg nahm seinen Laptop, griff sich einige Exemplare des Extrablattes und fuhr nach Hause. Ein paar Stunden Schlaf hatte er sich verdient.

Und dann würde er erst einmal auf Mörderjagd gehen. Die Zeit dazu hätte er ja jetzt.

Kapitel 3

Georg schreckte aus dem Schlaf hoch. Woher kam dieser Lärm? Irgendjemand hämmerte gegen die Tür seiner Wohnung. »Aufmachen, Polizei«, hallte ein kräftiger Bariton durch den Flur, als wolle er das ganze Haus aufwecken.

Frau Odenthal, seine Nachbarin, reagierte schneller als Georg. Jedenfalls hörte er ihre schrille Stimme, während er noch schlaftrunken versuchte, in seine Jeans zu schlüpfen.

»Mordkommission, wir suchen Herrn Rubin«, erklang wieder dieser schreckliche Polizist im Hausflur, sehr laut und sehr deutlich.

Das ist doch…? Georg riss die Haustür auf und sprang die Gestalt an, die er für Gerald Menden hielt: »Du Schuft. Das wirst du büßen.«

Als er die Faust hob, um auf den Beamten einzuprügeln, rutschte ihm die Jeans auf die Knie, und er stand in knapper Unterhose vor Teufelchen Sandra und Engelchen Kathrin, während Menden etwas abseits in Deckung gegangen war und sich bei der Nachbarin für die Hilfe bedankte.

»Herr Rubin?«, fragte Menden und tat ganz offiziell. »Kommissar Menden, Mordkommission. Darf ich, dürfen wir reinkommen?«

Mit der Linken hielt Georg seine Jeans hoch, mit der Rechten hielt er die Tür auf, das Trio trat ein, und die Nachbarin wäre am liebsten auch noch mitgekommen.

»Später, Frau Odenthal, später.«

Die kurze Zeit, die Georg an der Tür abgelenkt war, nutzte Kathrin, um das Apartment zu inspizieren, Menden machte sich an der teuren Espressomaschine zu schaffen, Sandra begutachtete Georgs Bücher, nahm eins heraus mit dem Titel »Wie man einen verdammt guten Roman schreibt« und legte sich in Ermangelung anderer bequemer Sitzgelegenheiten auf die weiße Designercouch, die zum Bett ausgeklappt war.

Georg fischte aus seinem Kleiderschrank ein T-Shirt und zog es über. Kathrin schaute ihn an.

»Das wäre jetzt aber nicht nötig gewesen«, sagte sie und legte sich neben Sandra. Die beiden Frauen hatten immer noch ihre Kostüme an, stellte Georg überrascht fest.

Menden saß an dem runden Glastisch und wartete darauf, dass der Hausherr etwas sagte. Georg setzte sich zu ihm. Menden schob ihm wortlos seinen Espresso rüber, stand auf, um sich selbst eine neue Tasse zuzubereiten.

»Schöne Überraschung«, sagte Georg. »›Aufmachen, Polizei. Mordkommission. Wir suchen Herrn Rubin.‹ Ist das dein Standardtext?«

»Nein, den habe ich mir extra für dich ausgedacht«, sagte Menden. »Du bist schließlich so etwas wie mein Freund.«

»Gewesen.«

»Nur, weil ich dich um zehn Uhr geweckt habe? Du hast mich nachts um eins aus dem Bett geholt!«

»Da ist jemand ermordet worden. Und, falls man dich nicht rausgeworfen hat, was mich bei deinen Methoden nicht wundern würde, bist du bei der Mordkommission. Sei froh, dass ich dich so schnell angerufen habe.«

»Ich hatte keinen Dienst. Und so schnell hast du gar nicht angerufen. Naumann war vor mir da. Das ist sein Fall.«

»Wenn das so ist, was willst du dann hier?«

»Ich dachte, es würde dich freuen, wenn ich dir deine Freundinnen vorbeibringe.«

»Welche Freundinnen?«

Menden schaute aufs Bett, wo Kathrin eingeschlafen war und ihren Kopf an Sandras Schulter gelegt hatte, die weiter in ihrem Buch las.

»Die beiden? Die habe ich gestern zum ersten Mal gesehen. Ich weiß nicht einmal, wie sie heißen.«

»Oh, damit kann ich aushelfen. Sandra Herfurth, siebenundzwanzig Jahre, Archivarin, arbeitet bei der Stadt. Kathrin Wagner, fünfundzwanzig Jahre, Studentin, Sport und Englisch. Aber das musst du doch alles wissen.«

»Wieso ich?«

»Die beiden haben gesagt, sie wohnten bei dir.«

»Die haben was?«

»Gesagt, dass sie bei dir wohnen.«

»Und da hast du, ganz Freund und Helfer, sie einfach so hergebracht?«

»Ja natürlich. Aus dem Krankenhaus, wo ich sie vernommen habe, mussten sie ja raus. Und da ich sowieso zu dir wollte, konnte ich sie auch gleich mitnehmen. Jetzt hast du sie doch genau da, wo du sie gestern Nacht haben wolltest.«

Georg schaute aufs Bett. Engelchen Kathrin hatte sich frei gestrampelt und schlief oben ohne auf der linken Bettseite, wo normalerweise sein Platz war. Die weißen Flügel lagen schlaff auf dem roten Steinboden. Sandra hatte die Bettdecke bis ans Kinn hochgezogen, schaute die beiden Männer unschuldig an und vertiefte sich wieder in das Buch.

Georg wandte sich an Menden. »Habt ihr über die Tote schon etwas herausgefunden?«

»Ja, wir wissen mit großer Sicherheit, wer sie ist. Magdalena Lenzen, genannt Lena. Dreiundzwanzig Jahre alt. Studentin. Betriebswirtschaft in Köln. Ihr Vater hat sich gemeldet. Josef Lenzen, Tiefbauunternehmer. Er hat sie auf dem Bild im Fernsehen erkannt«, sagte Menden.

»Du meinst, durch das Bild im Fernsehen, das in Wirklichkeit mein Bild aus der Zeitung zeigte.«

»Ja, wenn du es unbedingt so hören willst. Aber die Veröffentlichung war trotzdem nicht in Ordnung. Das wird noch ein Nachspiel haben.«

»Schon passiert. Man hat mir gekündigt, per SMS«, sagte Georg.

»Kündigung per SMS? Mach keine Witze!«, sagte Menden und nahm sich noch einen Espresso.

»Ist kein Witz. Aber das hat Zeit, das bieg ich schon wieder hin. Erzähl mir mehr von der Toten.«

»Es gibt Hinweise, dass die Frau nicht erst um Mitternacht gestorben ist, sondern schon einige Stunden früher. Das am Aachener Weiher war vielleicht so etwas wie eine rituelle Feuerbestattung. Mehr werden wir nach der Obduktion wissen.«

»Habt ihr noch andere Zeugen als uns drei? Von den vielen Gaffern, die da gestern standen, hat von denen keiner was gesehen?«

»Nichts. Eine Frau, die an der Universitätsstraße wohnt, hat uns von einem entsetzlichen Schrei berichtet. Aber das musst du gewesen sein, nicht das Opfer.«

Georg stand auf, ging zum Bett, deckte Kathrin zu, setzte sich wieder an den Tisch. »Ich hatte zweimal das Gefühl, dass uns jemand beobachtet hat, als wir am Tatort waren. Ein großer Schatten. Kathrin hat auch immer gesagt, sie hätte zwei Gestalten gesehen.«

»Es gab noch einen anonymen Anruf«, sagte Menden. »Du warst nicht der Erste, der den Brand gemeldet hat. Die Feuerwehr hatte schon fünf Minuten vor deinem Alarm eine Nachricht bekommen. Ich habe mir die Aufzeichnung angehört. Die Stimme war verstellt, vielleicht hat sich der Anrufer ein Taschentuch vor den Mund gehalten. Er sagte wörtlich: ›Der beste Richter hat sein Urteil vollstreckt. Kommt und seht.‹ Und diesen ersten Teil sprach er feierlich langsam, fast wie ein Gebet. Dann wechselte er den Tonfall und wurde kurz und hart: ›Über dem Aachener Weiher brennt eine Leiche.‹«

»Der beste Richter«, wiederholte Georg. »Das erinnert schon wieder an das Richter-Fenster, das wir bei der Toten gefunden haben.«

Georg holte sein iPhone und zeigte Menden die Bibelstelle von Isaaks Opferung.

Abrahams Gott hatte letztlich die schreckliche Tat verhindert. Wo aber war Gott in dieser Kölner Nacht?

Menden stand auf. »Wir werden den Mörder finden.«

»Was ist mit den beiden Mädels?«, fragte Georg.

Kathrin und Sandra waren Arm in Arm eingeschlummert.

»Du bist doch der Frauenheld hier. Dir wird schon was einfallen«, sagte Menden und verschwand.

Kapitel 4

»Der Polizist fährt gerade weg«, sagte Lukasz leise in sein Handy. »Silberner Ford Mondeo. Ich habe sein Kennzeichen.«

Deutsch war nicht Lukasz’ Muttersprache, aber er hatte es schnell gelernt und sprach fast fehlerfrei. Er war nicht so dumm, wie die Deutschen meinten, die von ihren polnischen Gastarbeitern eigentlich gar nichts wussten.

Er sprach wieder in das Handy: »Jetzt sind nur noch der Journalist und die beiden Frauen hier. Soll ich weiter warten?«

»Du bleibst in Ehrenfeld und versuchst rauszubekommen, wer die Frauen sind, wo sie wohnen und so weiter. Um den Bullen kümmern wir uns.«

»Ja, Carlo«, sagte Lukasz. Er war froh, sich nicht mit der Polizei anlegen zu müssen. Das gab immer nur Ärger.

Er stand vor dem Schaufenster einer Bäckerei. Jetzt ein belegtes Brötchen, das wäre nicht schlecht. Er hatte seit Stunden nichts gegessen. Eine Frau starrte ihn aus der Bäckerei heraus durch das Fenster an. Neugierige Person!

Lukasz schnappte sich sein BMX-Rad und fuhr ein paar Meter weiter bis zur nächsten Ecke, wo er sich im Eingang einer Kneipe verstecken konnte. Er sah, wie die neugierige Frau die Bäckerei verließ und in dem Haus verschwand, in dem dieser Journalist wohnte.

Ob der ihn gestern Nacht gesehen hatte? Dann würde er ihn auch wiedererkennen. Das war das Schicksal eines Zwei-Meter-Mannes, dass er sich nicht verstecken konnte. Trotzdem setzte ihn Carlo immer wieder als Kundschafter ein. Sollte er sich vielleicht gar nicht verstecken, sondern den Beschatteten nur Angst einjagen?

Lukasz mochte Köln, aber er mochte diesen Teil Ehrenfelds nicht besonders. Hier gab es fast mehr Moslems als Christen. Nur ein paar Meter von dem Ort entfernt, an dem er gerade stand, wurde eine Moschee gebaut, eine große und prachtvolle Moschee mit zwei Minaretten, die alle Kirchen in der Nachbarschaft in den Schatten stellen würde.

Dabei war Köln doch eine katholische Stadt, der Dom mit den Reliquien der Heiligen Drei Könige war eine der größten Wallfahrtsstätten der Christenheit. Der Papst, der Nachfolger seines geliebten Johannes Paul II., war ein Deutscher und hatte seine erste große Reise zum Weltjugendtag nach Köln unternommen.

Die Kölner nannten sich Katholiken, aber irgendwie war ihnen, fand Lukasz, der Glaube völlig egal. Ein Kölner, der viele katholische Kirchen gebaut hatte, war Architekt der Moschee und ließ sich dafür auch noch feiern!

Lukasz war froh, dass der Karneval vorbei war, eigentlich ein christliches Fest, die Vorbereitung auf die Fastenzeit. Aber was machten die Kölner daraus? Ein Saufgelage und vielleicht noch Schlimmeres. Und dazu sangen sie blasphemische Lieder wie: »Wir lieben das Leben, die Liebe und die Lust, wir glauben an den lieben Gott und haben auch immer Durst.«

Wenn die Kölner überhaupt an etwas glaubten, dann war es Fußball. Am Karnevalswochenende hatte der 1. FC Köln den großen FC Bayern in München besiegt. Der Kölner Trainer Christoph Daum wurde daraufhin wie ein Götze im Rosenmontagszug durch die ganze Stadt gefahren und angehimmelt. Als Daum seinen ersten Dienst im Kölner Stadion antrat, wurden ihm Babys hingehalten, denen er die Hand auflegen sollte. Das Stadion war immer voll, die Kirchen waren meistens leer. Irgendwann würde man in Kölns Kirchen Fußballspiele zeigen.

Bei Bayern spielte ein Kölner Pole, Lukas Podolski, den sie hier in Köln »Prinz Poldi« nannten und dessen Rückkehr zum FC sehnlicher erwartet wurde als die Rückkehr des Erlösers durch die Apostel.

Lukasz hatte den wenigen deutschen und vielen ausländischen Kollegen auf der U-Bahn-Baustelle immer wieder erklärt, dass der polnische Vorname Lukasz eigentlich mehr wie »Wukasch« ausgesprochen wird, aber da hatten ihn alle, außer seinen polnischen Landsleuten, ausgelacht und ihm den Spitznamen »Prinz« verpasst.

Lukasz hatte gelernt, dass es besser war, sich den »Prinzen« und anderes gefallen zu lassen. Die Kollegen mochten es nicht, wenn er bei ihren Späßen nicht mitlachen wollte. Dann kam es leicht zum Streit. Nicht dass er Angst vor Streit hatte, im Gegenteil, aber er war manchmal ein bisschen jähzornig. Wenn er zuschlug, dann richtig. Er war nicht nur groß und kräftig, er hatte in seiner Heimat auch Boxen gelernt. Er hätte polnischer Landesmeister werden können, wenn er nicht wegen einer Kneipenprügelei gesperrt worden wäre. Vielleicht hätte er sich wirklich nicht so provozieren lassen sollen, aber seine Zechkumpane hatten den polnischen Papst und die Muttergottes beleidigt. Das konnte er nicht durchgehen lassen.

Weder in Polen noch in Deutschland war bisher jemand an seinen Schlägen gestorben, aber besser machten solche Handgreiflichkeiten das Klima auf der Baustelle auch nicht.

Lukasz arbeitete seit Monaten ernsthaft daran, Prügeleien aus dem Weg zu gehen. Er wollte sich nicht schlagen, hielt das für unfair. Er war Superschwergewicht. Im Boxring gegen gleich Starke anzutreten, das war in Ordnung. Aber im wirklichen Leben hatte er keine gleichwertigen Gegner.