ADHS - Franz Joseph Freisleder - E-Book
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Beschreibung

Was kann ich tun, wenn sich mein Kind nicht konzentrieren kann? Wenn es ständig herumzappelt und innerlich immer unterwegs ist? Ist das noch normal? Solche Fragen stellen sich viele Eltern. Franz Joseph Freisleder, einer der renommiertesten Kinder- und Jugendpsychiater Deutschlands, erklärt, wie ADHS ensteht und wie man sie am besten behandeln kann. Auszug aus dem Buch «Anders als die Anderen».

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2014

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Für unsere Kinder

Anna, Florian, Franziska, Julia und Paul

Diese E-Book-Ausgabe entspricht dem Kapitel »Innerlich immer unterwegs« über ADHS, entnommen aus dem Buch »Anders als die anderen. Was die Seele unserer Kinder krank macht«, Piper Verlag GmbH 2014, 2. Auflage. Dieses Buch liegt auch als E-Book vor.

ISBN 978-3-492-96894-2

© Piper Verlag GmbH, München 2014 

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee 

Covergestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg 

Covermotive: mauritius images (oben); Demurez (unten)

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Innerlich immer unterwegs

Leon, 9. ADHS

Die vierte Stunde, das ist die Schulstunde, die Leon immer besonders schwerfällt. Es ist die Stunde, in der Frau Lauenstein Rechnen durchnimmt. Frau Lauenstein ist eine strenge Lehrerin, das heißt, sie lässt kein Fehlverhalten ohne Folgen durchgehen. Sie findet, dass auch 8- oder 9-Jährige wissen müssen, dass es nicht in Ordnung ist, den Unterricht zu stören und damit vor allem das Lernen der anderen zu erschweren.

Frau Lauenstein ist deshalb nicht unfreundlich, ganz im Gegenteil, sie lacht viel, und sie spornt ihre Schüler immer wieder aufs Neue an. Die große dunkelhaarige Frau mit der sportlichen Figur lobt viel und kritisiert wenig. Sie mag Kinder wirklich gern und hat selbst drei Töchter. Aber Buben, die vorlaut oder frech sind, schätzt sie gar nicht. Solche, die sich übermäßig in den Vordergrund spielen, die ihre körperliche Überlegenheit ungehemmt gegenüber Gleichaltrigen ausspielen und die vor allem glauben, weil sie sich zu Hause alles erlauben dürfen, sei das auch in der Schule möglich.

Im Grunde tut sich Frau Lauenstein mit Buben schwer, weil es ihnen schwerer fällt, sich an die Regeln zu halten, still zu sitzen, weil sie lauter sind und unbeherrschter, weil die meisten viel lieber Fußball spielen würden, als im Klassenzimmer zu sitzen, und weil sie mit ihrem starken Bewegungsdrang anstrengender in diesem Alter sind. Und wohl auch, weil ihre dritte Klasse 28 Schülerinnen und Schüler hat, die Schüler aber in der Mehrheit sind – und das macht Frau Lauenstein an manchen Tagen wirklich zu schaffen. Besonders am Donnerstag in der vierten Stunde, wenn Rechnen auf dem Stundenplan steht.

Es ist ja gar nicht so, dass die Buben (und manchmal auch die Mädchen) die ganze Stunde mit Papierkügelchen schießen müssten, um einen nachhaltigen Störeffekt zu erzielen. Es genügt ja, dass sich ein paar immerfort mehr für das interessieren, was hinter ihrem Rücken vorgeht, als für das, was gerade vorn an die Tafel geschrieben wird. Was macht denn der Elias gerade? Und der Antonio und der Paul und der Mehmet und der Jonathan? Sie drehen sich immerfort nacheinander um, suchen den Blickkontakt zu den Hinterbänklern, stupsen ihren Banknachbarn an, machen ihn auf etwas aufmerksam, das gerade draußen am Fenster vorbeigeflogen ist, flüstern ihm etwas zu, was ihnen gerade durch den Kopf geht. Rufen einfach in die Klasse hinein, wenn ihnen etwas zu dem einfällt, das Frau Lauenstein gerade gesagt hat, egal ob es nun passt oder nicht. Und manchmal verstecken sie sich unter der Bank und tun so, als seien sie plötzlich ganz woanders. Wie jetzt Leon zum Beispiel.

»Leon, darf ich dich fragen, was du da unten eigentlich machst?«, fragt Frau Lauenstein und schaut Leon an, der unter der Bank mit gesenktem Kopf hockt.

Ihr Blick fällt auf das aufgeschlagene Rechenheft von Leon. Keine Rechnung, das sieht sie sofort, geht auf. Bei den meisten stimmt nicht mal die Aufgabenstellung. Alles ist wirr und durcheinander. »Du sollst deine Aufgaben machen – und nicht … Leon, ich rede mit dir!«

»Ich bin nicht da«, sagt Leon mit sehr leiser Stimme.

»Du bist was nicht?«

»Ich bin nicht da.«

Gekicher in der ganzen Klasse.

»Leon, deine Mitschüler lachen über dich. Du kommst jetzt sofort unter der Bank hervor.«

»Ich darf nicht.«

»Was heißt das, du darfst nicht! Jetzt komm sofort unter der Bank hervor. Sonst erhältst du einen Verweis, und du weißt genau, was das bedeutet.«

Leon verharrt noch einen Moment, der Frau Lauenstein mit der kichernden Klasse im Rücken wie eine halbe Ewigkeit vorkommt, schließlich hebt er den Kopf, bis er Frau Lauenstein sieht, schaut sie an und nickt entschlossen. Dann kriecht er unter der Schulbank hervor. Sein Nachbar, Jakob, feixt unverhohlen.

Mühsam schiebt sich Leon wieder auf seinen Stuhl und schaut Frau Lauenstein stumm an. Er sieht nicht schuldbewusst aus, eher neugierig. Er ist gespannt, was geschieht, vor allem, weil er weiß, dass es etwas Neues sein wird, weil das, was er getan hat, auch ganz neu war.

»Wir werden uns nach der Stunde darüber unterhalten, Leon. Dein Verhalten ist nicht in Ordnung, was ist denn nur in dich gefahren?« Frau Lauenstein schaut ihn unverwandt an. »Nun sag schon, Leon.«

»Der Jakob hat gesagt, er will mich nicht mehr sehen. Da musste ich unter meine Bank. Wo sollte ich denn sonst hin?«

»Jakob, ist das wahr?«, fragt Frau Lauenstein Leons Banknachbarn.

»Nein, ganz bestimmt nicht, ich bin doch nicht dumm.«

»Lüg mich nicht an, Jakob. Warum sollte der Leon denn sonst so etwas tun?«