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Kämpfende Berberaffen, schreiende Bärenpaviane, kuschelnde Guineapaviane: Das sind nur einige der Protagonisten dieses spannenden Buches. Die Primatenforscherin Julia Fischer geht in ihm den Fragen nach, welche Informationen Affen mittels ihrer Laute, Gesten und Grimassen austauschen und ob sie so etwas wie eine Sprache besitzen. Durch die Verbindung von Labor- und Feldforschung gelingt es ihr, erstaunliche Gemeinsamkeiten im Sozialverhalten von Mensch und Affe aufzuzeigen, aber auch die Unterschiede, die uns von unseren nächsten Verwandten trennen, darzustellen.
Ob im Senegal, in Botswana oder in einem Freilandgehege in Frankreich: Fischer beschreibt Sozialverhalten, Intelligenz und Kommunikation der Affen auf ebenso anspruchsvolle wie unterhaltsame Art und Weise. Angereichert um viele Episoden aus dem Forschungsalltag, in dem nicht nur Gefahr durch Leoparden droht oder bürokratische Hürden zu bewältigen sind, ist dies ein Buch, das auf der Höhe des Forschungsstandes sein Thema allgemeinverständlich beschreibt: die Affengesellschaft.
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Seitenzahl: 371
Julia Fischer
Affengesellschaft
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© Suhrkamp Verlag Berlin 2012
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
eISBN 978-3-518-77780-0
www.suhrkamp.de
für Kurt
Cover
Impressum
Prolog
TEIL: SOZIALVERHALTEN
Diversität der Primaten
Berberaffen als Modell
Die Sozialsysteme von Primaten
Soziale Organisation
Paarungssysteme
Soziale Beziehungen
Bärenpaviane
Baboon Camp
Leben und Sterben
Aggression
Guineapaviane
Expedition in den Senegal
Simenti
Erste Ergebnisse
Evolution der Paviane
Herausforderungen der dritten Art
TEIL: KOGNITION
Was denken Tiere?
Trophäensammler und Spielverderber
Das soziale Gehirn
Physikalische Kognition
Grundlagen
Mengen
Raum
Zeit
Soziale Intelligenz
Kultur bei Tieren?
Formen des Sozialen Lernens
Blickfolgeverhalten
Soziales Wissen
Theorie des Geistes
Intentionen
Sehen und Wissen
Glauben
Metakognition
Evolution der Intelligenz
TEIL: KOMMUNIKATION
Was ist Kommunikation?
Sender und Empfänger
Signale und Anzeichen
Information
Funktion von Lauten
Kommunikation in Konflikten
Paarungslaute
Gruppenkoordination
Evolution der Sprache – die Anfänge
Frühe Theorien
Ein Pionier
Elemente der Sprachfähigkeit
Die Ape Language-Projekte
Sprechtraining für Affen
Symbolsprachen
Natürliche Kommunikation bei Affen
Alarmrufe
Entwicklung der Lautgebung
Dialekte
Entwicklung der Reaktionen
Wahrnehmung gradueller Unterschiede
Wortlernen beim Haushund
Evolution der Sprache – heute
Syntaktische Fähigkeiten
Ein Gen für Sprachfähigkeit?
Gestische Kommunikation
Intentionale Kommunikation
Der Spaß an der Freude
Evolution der Kommunikation
Fazit und Ausblick
Danksagung
Anmerkungen
Abbildungsnachweis
»Sagen Sie, wie ist es eigentlich, etwas zu machen, was niemanden interessiert?« Ich war auf einer Party bei Freunden mit einem anderen Gast ins Gespräch gekommen, und er hatte sich nach meiner Arbeit erkundigt. Begeistert erzählte ich ihm vom Aufbau unserer Feldstation im Senegal und wie spannend die Arbeit mit den Affen dort sei. Bevor ich weiter ausholen konnte, unterbrach er mich mit seiner Frage. Ich schwieg verblüfft. Bislang hatte ich nie den Eindruck gehabt, dass sich niemand für die Affenforschung interessiert. Im Gegenteil. Wenn ich auf Reisen erwähne, was ich mache, werde ich meist mit Fragen bestürmt. Ob Affen denn auch eine Sprache hätten? Ob sie wirklich so intelligent seien? Und ob ich, ebenso wie die berühmte Schimpansenforscherin, wie hieß sie denn gleich, die, die von Wilderern umgebracht worden sei, im Dschungel leben würde? Sei das nicht Jane Goodall gewesen? Ich versichere dann, dass Jane Goodall sich immer noch bester Gesundheit erfreue und Dian Fossey, die Gorillaforscherin, tatsächlich unter ungeklärten Umständen umgebracht worden sei. Und dann berichte ich von den Affen, wie sie leben und wie sie sich verständigen, dass sie vieles wissen und manches überhaupt nicht verstehen.
Affen faszinieren – sie sind uns ähnlich, aber doch anders. Das hatte schon der kleine Junge erkannt, neben dem ich einmal im Zoo vor einem Affengehege stand. Er schaute gebannt auf die Tiere und rief: »Guck mal, der Affe hat Hände an den Füßen!« Genau genommen müsste es allerdings heißen: Die anderen Affen faszinieren uns – gehören wir doch zur selben Ordnung, nämlich den Primaten. Die Affenforschung verspricht nicht nur Einblicke in unsere evolutiven Ursprünge, sie liefert gleichzeitig die Folie für die Charakterisierung unserer eigenen Art: Was unterscheidet uns von unseren nächsten Verwandten? Welche Merkmale sind spezifisch für Affen und welche ausschließlich beim Menschen zu beobachten?
Man muss die Affen1 allerdings nicht unbedingt als Bezugspunkt zur Bestimmung der Gattung Mensch heranziehen, um sich für sie zu interessieren. Die Vielfalt ihrer Erscheinungs- und Lebensformen, ihr differenziertes Verhalten und die Komplexität ihres Gruppenlebens ziehen einen auch so in ihren Bann.
Dieses Buch richtet sich an all diejenigen, die sich ebenso für die Affengesellschaft begeistern wie meine neugierigen Mitreisenden. Und weil so viele danach fragen, wie das Leben »in Affengesellschaft« so ist, werde ich auch etwas von den Reizen, Herausforderungen und absonderlichen Begebenheiten erzählen, die sich einem bei der Freilandforschung in tropischen Ländern bieten.
Mein Forschungsinteresse gilt primär der Frage, in welchem Verhältnis Sozialsystem, Intelligenz und Kommunikation der Affen zueinander stehen. Ausgangspunkt ist die These, dass Intelligenz als Folge des Lebens in Gruppen mit komplexer Struktur entstanden ist. Diese Annahme soll kritisch hinterfragt werden, ebenso wie die Intuition, dass Intelligenz und kommunikative Fähigkeiten in einem engen Zusammenhang stehen. Dementsprechend gliedert sich das vorliegende Buch in drei Teile. Zunächst werde ich Einblicke in das soziale Leben von Affen geben, wobei ich mich vor allem mit den drei afrikanischen Spezies beschäftige, die ich selbst untersucht habe. Der zweite Teil widmet sich der Frage nach der Intelligenz von Affen. Wie schlau sind Affen eigentlich? Lernen sie von anderen? Inwiefern unterscheiden sich ihr Wissen und ihre kognitiven Fähigkeiten von denen anderer Tiere? Und welche Anforderungen stellt das Leben in der Wildnis an die Affen? In diesem Abschnitt werde ich auf zwei verschiedene Forschungsansätze eingehen: Zum einen auf experimentelle Tests an in Gefangenschaft gehaltenen Tieren, die in der Tradition der Experimental- und Entwicklungspsychologie stehen, und zum anderen auf Feldversuche, die darauf abzielen, die Problemlösungsstrategien der Tiere in der Wildnis auszuloten. Der dritte Teil schließlich beschäftigt sich mit der Kommunikation von Affen. Hier frage ich vor allem, was wir aus der Untersuchung der Verständigung von Affen über die Evolution der menschlichen Sprachen lernen können – und was nicht.
Ein wesentliches Erkenntnisinteresse meiner Arbeit ist es, die Evolution menschlichen Sozialverhaltens, unserer Intelligenz und Sprache besser zu verstehen. Dabei vertrete ich die These, dass sich Intelligenz und Kommunikation des Menschen in vielerlei Hinsicht von der von Affen unterscheiden und dass die Gemeinsamkeiten eher im Bereich des Sozialverhaltens und hier insbesondere in der besonderen Bedeutung sozialer Bindungen zu finden sind. Ich finde den Affen im Menschen bemerkenswerter als den Menschen im Affen. Ob man eher die Gemeinsamkeiten zwischen Affen und Menschen betont oder die Unterschiede, ist vielleicht Ausdruck der persönlichen Neigung oder des intellektuellen Stils. Meiner Meinung nach jedenfalls hängt die Faszination, die von einzelnen Tierarten ausgeht, nicht damit zusammen, ob sie unserer eigenen Art mehr oder weniger ähnlich sind.
Affenforscherin zu werden, war mir sicherlich nicht in die Wiege gelegt. Es gibt Leute, die von klein auf wissen, dass sie sich in ihrem späteren Leben mit antiken Tonscherben beschäftigen wollen oder mit der Gestaltung von Bühnenbildern. Ich fand alles Mögliche spannend: Sprachen, Gesellschaftswissenschaft, aber auch die Biologie hatte es mir angetan. Erst später wurde mir klar, dass es mir mit der Entscheidung für die Affen gelang, meine verschiedenen Interessen für Natur- und Geisteswissenschaften unter einen Hut zu bringen. Zu meiner eigenen Überraschung musste ich außerdem feststellen, dass ich das Leben in der Wildnis liebte. Dabei galt ich jahrelang als eingefleischte Stubenhockerin. Das Wunderbare an der Affenforschung ist, dass sie so vielfältige Herausforderungen bietet. Zur Lektüre gehören verhaltensbiologische Fachtexte ebenso wie philosophische Essays – und das Handbuch Wo es keinen Doktor gibt. Ich habe gelernt, die Sonne als Kompass zu nutzen und Wasserleitungen zu reparieren, die von Elefanten zerstört worden waren. Bei einem Abendessen auf der Terrasse vor unserem Forschungscamp musste ich feststellen, dass es sich sieben Löwinnen um den Tisch herum bequem gemacht hatten. Ich musste Geduld üben und viele Rückschläge einstecken. Am Ende aber bin ich immer wieder entschädigt worden. Das soziale Leben von Makaken und Pavianen – das ist ganz große Oper. Vorhang auf.
Die Protagonisten dieses Buches sind Berberaffen, Bärenpaviane und Guineapaviane. Bevor ich sie genauer vorstelle, sind zunächst ein paar Sätze zur Vielfalt der Erscheinungs- und Lebensformen von Affen angebracht, weil es »den Affen« nicht gibt; es gibt noch nicht einmal »den Pavian«. Die Ordnung der Primaten ist durch eine außergewöhnliche Vielfalt gekennzeichnet, sowohl was ihr Aussehen und ihre Lebensweise angeht wie auch ihre soziale Organisation. Das Spektrum reicht von den einzelgängerischen Fingertieren Madagaskars, die nachts mit ihrem dürren verlängerten Mittelfinger Äste abklopfen und horchen, ob sich unter der Rinde Insekten verbergen, über die in großen Gruppen lebenden Totenkopfaffen Südamerikas bis zu den in Harems organisierten Gorillas, bei denen die ausgewachsenen Männchen bis zu vier Zentner auf die Waage bringen.
Abb. 1: Stammbaum der Primaten.
Die Primaten sind vor etwa 80 Millionen Jahren entstanden. Die nächsten lebenden Verwandten sind die in Südostasien vorkommenden Gleitflieger sowie die baumlebenden Spitzhörnchen, die einem eine Vorstellung davon geben, wie der ursprüngliche Vorfahre aller Primaten beschaffen gewesen sein mag. Die heutigen Primaten umfassen drei Hauptlinien: erstens die Feuchtnasenaffen mit den Galagos, Pottos und Loris sowie den Madagassischen Lemuren, von denen wohl die Kattas mit ihren schwarz-weiß geringelten Schwänzen die berühmtesten Vertreter sind. Die zweite systematische Gruppe sind die Tarsier, nachtaktive Primaten, die in den Regenwäldern Südostasiens leben. Als dritte Gruppe tauchten dann vor 50 bis 36 Millionen Jahren schließlich die »echten Affen« auf, die die Neuwelt- und Altweltaffen umfassen. Zu letzteren gehören die geschwänzten Altweltaffen sowie die menschenartigen Affen mit den Gibbons und den großen Menschenaffen – also Orang-Utan, Gorilla, Schimpanse, Bonobo und Mensch.
Die geschwänzten Altweltaffen umfassen die allseits bekannten Paviane, die ich später noch genauer beschreiben werde, sowie die Makaken, zu deren bekanntesten Vertretern die Rhesusaffen, die Berberaffen und die Japanmakaken gehören. Letztere haben durch ihre Sitzbäder in heißen Quellen einige Berühmtheit erlangt. Außerdem werden noch die meist in Baumkronen lebenden verschiedenen Meerkatzenarten zu dieser systematischen Gruppe gezählt. Die zu diesem Stamm gehörende Grüne Meerkatze spielt bei der Erforschung der Kommunikation von nichtmenschlichen Primaten eine große Rolle. Weitere Vertreter der geschwänzten Altweltaffen sind schließlich die Schlank- und Stummelaffen, zu denen die Languren Asiens gehören, ebenso wie die schwarz-weißen Mantelaffen Afrikas mit ihrer beeindruckenden Haarpracht.
Abb. 2: Stammbaum der Altweltaffen.
Ich habe selbst viele Jahre an Berberaffen geforscht. Dabei standen Affen ursprünglich gar nicht auf meinem Plan – ich wollte Meeresbiologin werden. Nach dem Studium an der Freien Universität Berlin und der Universität Glasgow hatte ich sogar schon einen Platz für eine Diplomarbeit an der an der Universität Cambridge ergattert. Mir fehlte nur noch ein Kurs in Verhaltensbiologie – und der führte mich nach Südwestfrankreich, wo wir unter Anleitung von Kurt Hammerschmidt, Henrike Hultsch und meinem späteren Doktorvater Dietmar Todt im Affenfreigehege in Rocamadour das Sozialverhalten von Berberaffen untersuchen sollten. Die Affen, die in diesem Park herumsprangen, erschienen mir doch sehr viel spannender als Robben, die meist träge auf einer Sandbank herumliegen. Seit dieser Zeit arbeite ich mit Kurt zusammen. Er ist mein bester Freund und Kompagnon und wir gehen nach wie vor gemeinsam der Frage nach, was es mit der Evolution von Kommunikation auf sich hat.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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