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Mord in der englischen Provinz - der neue Agatha-Raisin-Krimi von Spiegel-Bestsellerautorin M. C. Beaton
Um ein für alle Mal über den vermaledeiten James Lacey hinwegzukommen, zieht Agatha Raisin nach Norfolk. Hier, im Osten Englands, sind die Leute ziemlich seltsam: Sie glauben sogar an Elfen. Was für ein Blödsinn!, findet Agatha. Dennoch möchte sie einen guten Eindruck im Dorf machen und behauptet, einen Kriminalroman zu schreiben, der Tod auf dem Landgut heißt. Das hat ungeahnte Folgen, als auf dem nahe gelegenen Landgut tatsächlich ein Mord geschieht und Agatha unter Tatverdacht gerät. Kann sie ihren Kopf aus der Schlinge ziehen? Und was hat es mit den angeblichen Elfen auf sich?
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Seitenzahl: 269
Cover
Über das Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Widmung
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Über das Buch
Mord in der englischen Provinz – der neue Agatha-Raisin-Krimi von Spiegel-Bestsellerautorin M.C. Beaton
Um ein für alle Mal über den vermaledeiten James Lacey hinwegzukommen, zieht Agatha Raisin nach Norfolk. Hier, im Osten Englands, sind die Leute ziemlich seltsam: Sie glauben sogar an Elfen. Was für ein Blödsinn!, findet Agatha. Dennoch möchte sie einen guten Eindruck im Dorf machen und behauptet, einen Kriminalroman zu schreiben, der Tod auf dem Landgut heißt. Das hat ungeahnte Folgen, als auf dem nahe gelegenen Landgut tatsächlich ein Mord geschieht und Agatha unter Tatverdacht gerät. Kann sie ihren Kopf aus der Schlinge ziehen? Und was hat es mit den angeblichen Elfen auf sich?
Über die Autorin
M.C. Beaton ist eines der zahlreichen Pseudonyme der schottischen Autorin Marion Chesney. Nachdem sie lange Zeit als Theaterkritikerin und Journalistin für verschiedene britische Zeitungen tätig war, beschloss sie, sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Mit ihren Krimi-Reihen um den schottischen Dorfpolizisten Hamish Macbeth und die englische Detektivin Agatha Raisin feiert sie bis heute große Erfolge in über 17 Ländern. M.C. Beaton lebt abwechselnd in Paris und in den Cotswolds.
M.C. BEATON
Agatha Raisin
und der tote Gutsherr
Kriminalroman
Aus dem Englischen von Sabine Schilasky
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Für die Originalausgabe:Copyright © 2000 by M. C. BeatonPublished by Arrangement with Marion Chesney GibbonsTitel der englischen Originalausgabe: »Agatha Raisin and the Fairies of Fryfam«
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, KölnLektorat: Judith MandtTextredaktion: Anke Pregler, RösrathTitelillustration: © Arndt Drechsler, RegensburgUmschlaggestaltung: Kirstin OsenauE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-5012-8
www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de
In Liebe fürRose Mary und Tony Peters aus Fort Lauderdale
Agatha Raisin verkaufte und ging für immer aus Carsely fort.
Oder zumindest war das der Plan gewesen.
Sie hatte sich bereits ein Cottage in Fryfam gemietet, einem Dorf in Norfolk. Das Haus hatte sie unbesehen angemietet, dabei kannte sie weder jenes Dorf noch sonst irgendeinen Ort in Norfolk. Eine Hellseherin hatte Agatha gesagt, ihr Schicksal läge in Norfolk. Und nachdem ihr Nachbar und die Liebe ihres Lebens, James Lacey, wortlos verschwunden war, hatte sie beschlossen, nach Norfolk zu übersiedeln. Das Dorf Fryfam hatte sie ausgewählt, indem sie blind auf die Karte tippte. Dann hatte sie sich bei der dortigen Polizei nach einem Immobilienmakler erkundigt und den Mietvertrag unterschrieben. Jetzt musste sie nur noch ihr eigenes Cottage verkaufen und abreisen.
Das Problem waren die Leute, die zur Besichtigung des Cottage kamen. Entweder waren die Frauen zu gut aussehend, sodass Agatha sie auf keinen Fall neben James wohnen haben wollte, oder sie waren mürrisch und griesgrämig, was sie wiederum dem Dorf nicht zumuten mochte.
Anfang Oktober sollte sie das gemietete Haus in Norfolk beziehen, und nun ging es auf Ende September zu. Leuchtend buntes Herbstlaub zierte die Straßen der Cotswolds. Es war ein Spätsommer wie aus dem Bilderbuch, mit sonnigen Tagen und nebligen Nächten. Noch nie war Carsely schöner gewesen. Doch Agatha war entschlossen, sich von ihrer Fixierung auf James Lacey zu befreien, und sicherlich war es auch in Fryfam schön.
Agatha streckte gerade ihre steifen Gelenke, als es an der Tür läutete. Sie öffnete. Vor ihr stand ein rundliches Paar. »Guten Morgen«, sagte die Frau fröhlich. »Wir sind Mr. und Mrs. Baxter-Semper. Wir sind gekommen, um uns das Haus anzusehen.«
»Da hätten Sie einen Termin mit dem Makler machen sollen«, entgegnete Agatha.
»Ach, aber wir haben das Zu verkaufen-Schild vorn gesehen.«
»Kommen Sie rein«, seufzte Agatha. »Sehen Sie sich um. Ich bin in der Küche, falls Sie Fragen haben.«
Sie hockte sich vor eine Tasse mit schwarzem Kaffee an den Küchentisch und steckte sich eine Zigarette an. Durchs Fenster sah sie ihre Kater, Hodge und Boswell, im Garten spielen. Wie nett es war, eine Katze zu sein, dachte Agatha verbittert. Keine hoffnungslose Liebe, keine Verantwortung, keine Rechnungen bezahlen – nichts weiter tun, als darauf warten, dass man gefüttert wurde, und sich in der Sonne aalen.
Sie hörte, wie sich das Paar durchs Haus bewegte. Dann vernahm sie das Geräusch von Schubladen, die geöffnet wurden.
Sie lief zum unteren Ende der Treppe und rief nach oben: »Sie dürfen sich das Haus ansehen, nicht in meiner Unterwäsche wühlen!« Es folgte betretene Stille. Dann kamen die beiden nach unten. »Wir haben gedacht, dass Sie vielleicht die Möbel dalassen«, verteidigte sich die Frau.
»Nein, die werden eingelagert«, erwiderte Agatha gereizt. »Ich miete etwas in Norfolk, bis ich dort etwas zum Kaufen gefunden habe.«
Mrs. Baxter-Semper blickte an ihr vorbei.
»Ah, ist das der Garten?«
»Offensichtlich«, sagte Agatha und blies Rauch in ihre Richtung.
»Sieh nur, Bob. Wir könnten diese Küchenwand einreißen und einen hübschen Wintergarten anbauen.«
O Gott, dachte Agatha, eine von diesen scheußlichen weißen Holz-Glas-Geschmacklosigkeiten, die dann hinten aus meinem Cottage ragt!
Die beiden standen vor ihr, als warteten sie darauf, dass Agatha ihnen Tee oder Kaffee anbot.
»Ich begleite Sie zur Tür«, sagte Agatha stattdessen.
Als sie die Haustür hinter ihnen schloss, hörte sie Mrs. Baxter-Semper sagen: »Was für eine unhöfliche Frau!«
»Aber das Haus ist ideal für uns«, bemerkte ihr Mann.
Agatha griff nach dem Telefon und rief den Makler an. »Ich habe entschieden, vorerst nicht zu verkaufen. Ja, hier ist Mrs. Raisin. Nein, ich will nicht verkaufen! Nehmen Sie Ihr Schild wieder weg.«
Beim Auflegen fühlte sie sich so glücklich wie schon lange nicht mehr. Carsely zu verlassen brachte gar nichts.
»Dann haben Sie sich entschieden, nicht nach Norfolk zu gehen?«, rief Mrs. Bloxby, die Vikarsfrau, später am selben Tag begeistert aus. »Bin ich froh, dass Sie uns nicht verlassen!«
»Oh doch, ich werde nach Norfolk gehen. Ein bisschen Abwechslung wird mir guttun. Aber ich komme wieder.«
Die Gattin des Vikars war eine sympathisch wirkende Frau mit grauem Haar und sanften Augen. In ihrem damenhaften Tweedrock zu der Seidenbluse und einer sehr alten Strickjacke sowie den flachen Schuhen war sie das genaue Gegenteil von Agatha Raisin. Selbige hatte ihre leicht mollige Gestalt mit den sehr passablen Beinen in Feinstrumpfhosen, einen engen, kurzen Rock und einen passenden Blazer gehüllt. Ihr schimmerndes Haar war zu einem eleganten Bob geschnitten, und ihre Bärenaugen blickten, anders als die von Mrs. Bloxby, trotzig und misstrauisch in die Welt.
Obwohl die beiden Frauen eng befreundet waren, sprachen sie einander zumeist immer noch mit Nachnamen an – Mrs. Bloxby, Mrs. Raisin –, wie es im altmodischen Damenverein von Carsely Sitte war.
Sie saßen im Garten des Pfarrhauses. Es war ein sonniger, goldener Spätsommernachmittag.
»Und was ist mit James Lacey?«, fragte Mrs. Bloxby vorsichtig.
»Ach, den habe ich schon fast vergessen.«
Die Vikarsfrau sah Agatha an. Es war ein stiller Tag. Eine späte Rose blühte in schillernd roter Pracht vor der Sandsteinmauer des Pfarrhauses. Jenseits des Gartens lag der Friedhof, wo die geneigten Grabsteine lange Schatten auf die Grasbüschel warfen. Die Kirchturmuhr schlug sechs.
»Die Tage werden kürzer«, sagte Agatha. »Na gut, es stimmt, ich bin noch nicht über James hinweg. Deshalb will ich ja einen Ortswechsel. Aus den Augen, aus dem Sinn.«
»Daraus wird nichts.« Mrs. Bloxby zupfte an einem losen Wollfaden ihrer Strickjacke. »Denn momentan lassen Sie ihn mietfrei in ihrem Kopf wohnen.«
»Küchenpsychologie«, spottete Agatha mürrisch.
»Dennoch stimmt es. Sie können nach Norfolk ziehen, aber er wird auch dort bei Ihnen sein, solange Sie ihn nicht bewusst aus Ihrem Denken verbannen. Ich hoffe, Sie werden nicht noch mal in einen Mord verwickelt, Agatha, und doch gibt es Momente, in denen ich mir wünsche, jemand würde James umbringen.«
»Wie furchtbar, so etwas zu sagen!«
»Schon, aber ich kann nicht anders. Ach, was soll’s. Verraten Sie mir, warum ausgerechnet Norfolk, warum jenes Dorf, wie hieß es noch gleich? Fryfarm?«
»Fryfam. Ich habe mit einer Nadel auf die Karte getippt. Es ist nämlich so, dass mir diese Hellseherin gesagt hat, ich soll dahin.«
»Kein Wunder, dass die Kirchen leer sind«, sagte Mrs. Bloxby halb zu sich selbst. »Ich finde, dass es Leuten, die zu Hellsehern gehen, an Spiritualität mangelt.«
Agatha wurde verlegen. »Ich mache das bloß, weil ich es witzig finde.«
»Ein teurer Spaß, sich dort ein Cottage zu mieten. Und den Winter in Norfolk zu verbringen! Das wird sehr kalt.«
»Hier wird es auch sehr kalt.«
»Ja, aber Norfolk ist so … flach.«
»Klingt wie ein Satz von Noël Coward.«
»Ich werde Sie vermissen«, sagte Mrs. Bloxby. »Vermutlich werden Sie wollen, dass ich Sie anrufe, wenn James wieder zurück ist?«
»Nein … oder, ja.«
»Dachte ich mir. Trinken wir einen Tee.«
Agatha stellte fest, dass der Tag ihrer Abreise allzu schnell kam. Jedweder Drang, aus Carsely zu fliehen, war verpufft. Aber noch war das Wetter sonnig und ungewöhnlich warm, und sie hatte eine beträchtliche Anzahlung für das Cottage in Fryfam bezahlt. Also lud sie verdrossen Koffer in ihren Wagen und auf den neuen Dachgepäckträger.
Am Morgen ihrer Abreise brachte sie ihrer Putzhilfe Doris Simpson die Hausschlüssel und kehrte nochmals zum Cottage zurück, um Hodge und Boswell in ihre Katzenboxen zu locken. Bei der Fahrt aus der Lilac Lane blickte Agatha sehnsüchtig zu James’ Cottage, bog dann ab und fuhr schnell den Hügel hinab aus Carsely hinaus. Ihre Kater waren in den Boxen auf der Rückbank, und die Landkarte lag ausgebreitet auf dem Beifahrersitz.
Die ganze Strecke über schien die Sonne, bis Agatha die Grenze von Norfolk erreichte. Dort hingen Wolken über der flachen Landschaft.
Norfolk wurde im 5. Jahrhundert, nach der Invasion der Anglosachsen, zu einem Teil von East Anglia, und der Name Norfolk bedeutete nichts anderes als »nordisches Volk«. Ursprünglich war diese Gegend das größte Sumpfgebiet Englands. Auf den höher gelegenen Bereichen hatten sich einst römische Lager befunden. Die Römer hatten versucht, Drainagen und einige Straßen in den Niederungen anzulegen, den Fens, wie das Marschland hier genannt wurde. Mit der Ankunft der Anglosachsen jedoch wurden diese Anlagen dem Verfall überlassen. Das erste brauchbare Entwässerungssystem, bestehend aus Gräben und Kanälen, wurde erst im 17. Jahrhundert entwickelt.
Agatha, die an die gewundenen Straßen und Hügel der Cotswolds gewöhnt war, fand all dieses Flachland, das sich vor ihr erstreckte, so weit das Auge reichte, unendlich deprimierend.
Sie bog in eine Haltebucht ein, um auf ihre Karte zu sehen. Hinter ihr scharrten die Kater unruhig in ihren Boxen. »Wir sind bald da!«, rief sie ihnen zu. Sie konnte Fryfam nicht finden, deshalb holte sie eine andere Straßenkarte der Gegend hervor, und auf der entdeckte sie das Dorf endlich. Wieder sah sie auf den Straßenatlas, da sie nun wusste, wo sie suchen musste, und der Ortsname schien ihr förmlich entgegenzuspringen. Warum hatte sie ihn eben nicht gesehen? Das Dorf lag mitten in einem Gewirr von Landstraßen. Sorgfältig notierte Agatha sich die Namen der Straßen, die dorthin führten, und fuhr weiter. Der Himmel wurde immer dunkler, und ein fädiger Nieselregen begann die Windschutzscheibe zu verschleiern.
Agatha stieß einen erleichterten Seufzer aus, als sie einen Wegweiser mit der Aufschrift Fryfam sah, und folgte dem weißen Zeigefinger. Inzwischen standen Kiefernwälder zu beiden Seiten der Straße, und die Landschaft wurde hügeliger. Es kam eine Biegung, hinter der ein Ortsschild Fryfam erschien, was bedeutete, dass Agatha am Ziel war. Sie hielt erneut und holte die Wegbeschreibung des Maklers hervor. Lavender Cottage, ihr vorübergehendes Zuhause, befand sich in der Pucks Lane auf der anderen Seite der Dorfwiese.
Eine sehr große Dorfwiese, wie Agatha feststellte, als sie um diese herum fuhr. Hier gab es Fachwerkhäuser, einen Pub, eine Kirche und schließlich die Pucks Lane, die entlang des Friedhofs verlief. Diese war sehr schmal, und Agatha hoffte, dass ihr kein Auto entgegenkommen würde, denn im Rückwärtsfahren war sie erbärmlich. Sie schaltete ihre Scheinwerfer ein. Das Cottage lag am Ende der Gasse. Es war ein zweigeschossiger, sehr alt wirkender Fachwerkbau aus Ziegel. Das ganze Haus neigte sich ein wenig in Richtung Garten … eines sehr großen Gartens. Ein bisschen steif von der Fahrt, stieg Agatha aus und spähte über die Hecke.
Der Makler hatte gesagt, dass der Schlüssel unter der Fußmatte liegen würde. Agatha bückte sich, um ihn hervorzuholen. Es war ein riesiger Schlüssel, wie er zu einer alten Kirchentür passen würde. Und er bewegte sich recht starr im Schloss, aber mit einem energischen Drehen und Ziehen bekam Agatha die Haustür auf. Drinnen neben der Tür ertastete sie einen Lichtschalter und betätigte ihn. Die Diele war klein. Links ging das Esszimmer ab, rechts das Wohnzimmer. Über die niedrigen Decken zogen sich schwarze Balken. Eine Tür am Ende der Diele führte in eine moderne Küche.
Agatha öffnete die Küchenschränke, in denen sich reichlich Geschirr und jede Menge Töpfe und Pfannen befanden. Sie ging zurück zum Wagen und schleppte eine große Kiste mit Lebensmitteln ins Haus. Aus der holte sie zwei Dosen Katzenfutter hervor, öffnete sie, schüttete den Inhalt in zwei Schälchen, füllte zwei weitere mit Wasser und kehrte zum Wagen zurück, um ihre Kater zu holen. Als sie sah, dass die beiden friedlich fraßen, begann sie, ihr Gepäck hereinzuholen. Sie ließ alles in der Diele stehen. Zunächst einmal wollte sie sich einen Kaffee und eine Zigarette gönnen. Agatha hatte das Rauchen im Auto aufgegeben, seit sie eine brennende Zigarette auf ihre Bluse fallen gelassen hatte und fast einen Unfall gebaut hätte.
Als sie mit einem Kaffeebecher in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand dasaß, fiel ihr zweierlei auf: In der Küche gab es keine Mikrowelle, und es war unangenehm kalt. Was die Mikrowelle anging, so hatte Agatha unlängst ihre Versuche, »richtig« zu kochen, aufgegeben und war wieder zu Fertiggerichten zurückgekehrt. Was die Kälte im Haus betraf, müsste sie nach dem Grund forschen. Sie stand auf und fing an, nach einem Temperaturregler zu suchen, bis sie bemerkte, dass es keine Heizkörper gab. Sie ging ins Wohnzimmer. Dort stand ein Kamin, der groß genug war, um darin einen Ochsen zu grillen, und neben dem Kamin befand sich ein Korb voller Holzscheite. Es lagen sogar ein Päckchen Kaminanzünder sowie ein Stapel alter Zeitungen herum. Agatha machte ein Feuer. Wenigstens waren die Scheite trocken und knisterten bald munter vor sich hin. Abermals suchte Agatha das Haus ab. In jedem Raum, mit Ausnahme der Küche, gab es einen Kamin. In der Küche, in einem der Unterschränke, fand sie einen rollbaren Gasofen.
Das ist lächerlich, dachte Agatha. Es wird mich ein Vermögen kosten, diesen Kasten hier zu heizen. Sie ging zur Haustür hinaus. Der Garten schien immer noch sehr groß. Und er brauchte dringend einen Gärtner. Das Laub lag hoch auf dem Rasen. Es war Samstag. Vor Montag wäre der Makler nicht zu erreichen.
Nachdem sie all ihre mitgebrachten Vorräte ausgepackt und ihre Tiefkühlkost verstaut hatte, öffnete sie die Hintertür zum Garten, der wild und von einem verwaschenen Grün war. Sie sah hin und blinzelte. Komische kleine Farbpunkte tanzten hinten im Garten herum. Glühwürmchen? Doch nicht in Norfolk. Sie schritt auf die tanzenden Lichter zu, die abrupt verschwanden, als sie sich ihnen näherte.
Ihr Magen knurrte und erinnerte sie, dass es eine Weile her war, seit sie etwas gegessen hatte. Sie beschloss, zum Pub zu gehen und zu sehen, ob sie dort eine anständige Mahlzeit bekam. Sie war schon auf halbem Weg, als ihr einfiel, dass sie vergessen hatte, die Katzenklos aufzustellen. Also kehrte sie um, machte die Katzentoiletten bereit und marschierte wieder los.
Der Pub hieß The Green Dragon. Über der Tür hing ein Schild mit einem überaus schlecht gemalten grünen Drachen. Agatha ging hinein. Es waren nur wenige Gäste da, allesamt Männer, allesamt sehr kleine Männer. Sie beobachteten Agatha, wie sie zum Tresen ging.
Es war ein stiller Pub. Keine Musik, keine Spielautomaten, kein Fernseher. Niemand stand hinter dem Tresen. Agathas Magen grummelte wieder. »Gibt’s hier eine Bedienung?«, rief sie. Sie drehte sich zu den anderen Gästen um, die sofort Richtung Steinboden sahen.
Ungeduldig wandte Agatha sich zum Tresen zurück. In was für einem gottverdammten Kaff bin ich hier gelandet?, fragte sie sich. Das laute Klackern von Absätzen erklang, und hinter dem Tresen tauchte auf, was wie eine Erscheinung wirkte. Die Frau sah wie eine Mensch gewordene Galionsfigur aus: dichtes blondes – echt blondes – Haar, das in weichen Wellen um ein pfirsichfrisches Gesicht mit sehr großen und sehr blauen Augen floss.
»Was kann ich für Sie tun, gnädige Frau?«, fragte sie mit sanfter Stimme.
»Ich habe Hunger«, sagte Agatha. »Kann man hier essen?«
»Bedaure, wir servieren kein Essen.«
»Ach, um Gottes willen«, heulte eine frustrierte Agatha auf. »Kann ich in diesem Dorf denn um diese Zeit nirgends mehr etwas zu essen bekommen?«
»Tja, anscheinend haben Sie Glück. Ich habe noch etwas von unserer Fleischpastete übrig. Möchten Sie?«
Sie schenkte Agatha ein strahlendes Lächeln. »Ja, sehr gerne«, antwortete Agatha versöhnlicher.
Die Frau hob eine Klappe im Tresen nach oben. »Kommen Sie durch. Sie müssen Mrs. Raisin sein, die das Lavender Cottage gemietet hat.«
Agatha folgte ihr nach hinten in eine große, schäbige Küche, in deren Mitte ein weißgescheuerter Tisch stand.
»Bitte, setzen Sie sich, Mrs. Raisin.«
»Und Sie sind?«
»Ich bin Mrs. Wilden. Kann ich Ihnen ein Glas Bier anbieten?«
»Ich hätte nichts gegen einen Wein, falls das nicht zu viel verlangt ist.«
»Nein, überhaupt nicht.«
Sie verschwand und kam kurz darauf mit einer Karaffe Wein und einem Glas zurück. Dann legte sie Messer, Gabel und eine Serviette vor Agatha hin. Sie öffnete die Ofenklappe eines AGA-Herds und zog eine Form mit einem Stück Fleischpastete heraus. Nachdem sie es auf einen Teller gelegt hatte, öffnete sie eine andere Herdklappe und zog eine Schale mit Röstkartoffeln hervor. Aus einer weiteren Klappe förderte sie eine Schale mit Karotten, Brokkoli und Erbsen zutage. Schließlich stellte sie Agatha einen vollgehäuften Teller hin sowie einen kleinen Krug Bratensoße, der aus dem Nichts zu kommen schien. Dazu reichte sie einen Korb mit knusprigen Brötchen und einen großen Klacks sattgelbe Butter. Nicht nur war das Essen köstlich, auch der Wein war der beste, den Agatha je getrunken hatte. Normalerweise schmeckte sie den Unterschied zwischen verschiedenen Weinen gar nicht, doch dieser hier war etwas ganz Besonderes, und Agatha wünschte, ihr Freund, Sir Charles Fraith, könnte ihn probieren und ihr verraten, was für einer das war. Sie wollte Mrs. Wilden danach fragen, doch als sie sich umdrehte, war die Schönheit wieder in den Schankraum verschwunden.
Agatha aß, bis sie nicht mehr konnte. Ausgesprochen milde gestimmt und ein wenig angetrunken ging sie zurück in den Pub.
»Alles in Ordnung?«, fragte Mrs. Wilden.
»Es war absolut köstlich«, sagte Agatha und holte ihr Portemonnaie hervor. »Was bin ich Ihnen schuldig?«
Die unglaublichen blauen Augen sahen sie erschrocken an.
»Ich habe doch gesagt, wir servieren hier kein Essen.«
»Aber …«
»Also waren Sie zu Essen und Wein eingeladen«, sagte Mrs. Wilden. »Am besten gehen Sie jetzt nach Hause und schlafen ein bisschen. Sie müssen müde sein.«
»Dann bedanke ich mich herzlich.« Agatha steckte ihr Portemonnaie wieder ein. »Und ich muss Sie und Ihren Mann irgendwann mal zum Essen einladen.«
»Das ist sehr nett von Ihnen, aber er ist tot, und ich bin immer hier.«
»Tut mir leid, das zu hören«, sagte Agatha verlegen, als Mrs. Wilden ihr die Tresenklappe aufhielt, damit sie zurück in den Schankraum gehen konnte. »Als Sie von ›unserer Fleischpastete‹ sprachen, dachte ich …«
»Ich meinte Mutter und mich.«
»Ach so, na, das war jedenfalls sehr freundlich von Ihnen. Vielleicht darf ich dann heute Abend eine Lokalrunde für alle hier bezahlen?« Die anderen Gäste, die sich leise unterhalten hatten, verstummten prompt.
»Heute nicht. Wir wollen sie ja nicht verwöhnen, was, Jimmy?«
Jimmy, ein knochiger alter Mann, murmelte etwas und blickte betrübt in sein leeres Glas.
Agatha ging zur Tür. »Nochmals danke«, sagte sie. »Ach, übrigens habe ich so komische tanzende Lichter hinten in meinem Garten gesehen. Gibt es hier Glühwürmchen oder etwas in der Art?«
Für einen Moment war die Stille im Pub fast mit Händen zu greifen. Alle waren wie versteinert. Dann nahm Mrs. Wilden ein Glas auf und begann, es zu polieren. »So was haben wir hier nicht. Sicher waren Ihre Augen einfach übermüdet von der langen Fahrt.«
Agatha zuckte mit den Schultern. »Kann sein.« Sie trat hinaus in die Abendluft.
Ihr fiel ein, dass sie das Kaminfeuer angelassen und den Funkenschutz nicht davorgestellt hatte. Vor lauter Angst, dass ihre geliebten Kater geröstet sein könnten, rannte sie den Weg zurück. Sie kramte in ihrer Handtasche nach dem lächerlichen Schlüssel. Ich muss das Schloss ölen, dachte sie. Doch sie bekam die Tür auch so auf und stürmte ins Wohnzimmer. Die Scheite glühten rot im Kamin, und ihre Kater lagen ausgestreckt davor. Mit einem erleichterten Seufzer bückte Agatha sich zu ihnen und streichelte über ihr warmes Fell. Dann ging sie nach oben ins Bett. Es gab zwei Schlafzimmer, eines mit einem Doppelbett und eines mit einem Einzelbett. Agatha entschied sich für das Doppelbett. Es war von einem gewaltigen, dicken Überwurf bedeckt. Als Nächstes inspizierte sie das Bad. Dort gab es nur einen Heißwasserspeicher, also würde es ewig dauern, bis sie ein Bad nehmen könnte. Sie schaltete das Ding ein, wusch sich das Gesicht, putzte ihre Zähne und ging zu Bett, wo sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.
Der nächste Morgen hielt strahlenden Sonnenschein bereit. Agatha nahm ein heißes Bad, zog sich an und genoss ihr übliches Frühstück, bestehend aus zwei Tassen schwarzem Kaffee und drei Zigaretten. Anschließend ließ sie die Kater in den Garten, kehrte in die Küche zurück und nahm die Inventarliste des Maklers zur Hand. Sie wollte am Ende ihres Aufenthalts die Kaution zurückhaben und sich nicht wegen irgendwelcher Dinge streiten müssen, die angeblich verschwunden waren.
Agatha hatte die Liste halb durchgearbeitet, als es an der Tür klopfte. Sie öffnete und sah sich vier Frauen gegenüber.
Die Anführerin war hochgewachsen, mittleren Alters und trug eine Steppweste über einer karierten Bluse. Dazu hatte sie eine an den Knien ausgebeulte Cordhose an. »Ich bin Harriet Freemantle«, stellte sie sich vor. »Ich bringe Ihnen einen Kuchen. Wir sind Mitglieder der Frauengruppe von Fryfam. Lassen Sie mich Ihnen alle vorstellen. Dies ist Amy Worth.« Eine kleine, blässliche Frau in einem Schlabberkleid reichte Agatha scheu lächelnd ein Glas Chutney. »Und Polly Dart.« Es handelte sich um eine große, hagere Frau mit Monobraue und schlecht gezupftem Oberlippenbart. »Ich bringe Ihnen ein paar von meinen Scones«, verkündete sie dröhnend. »Ich bin Carrie Smiley.« Die letzte Frau, die vortrat, war jünger, in den Dreißigern, hatte dunkles Haar und dunkle Augen und machte in Jeans und T-Shirt eine gute Figur. »Ich bringe Ihnen etwas von meinem Holunderwein.«
»Kommen Sie doch bitte rein«, sagte Agatha. Sie führte alle in die Küche.
»Die haben das Haus vom alten Cutler ganz hübsch hergerichtet«, sagte Harriet, während sie und die anderen ihre Geschenke auf den Küchentisch stellten.
»Cutler?«, fragte Agatha. Sie stöpselte den Wasserkocher ein.
»Ein alter Mann, der ewig hier gewohnt hat. Seine Tochter vermietet das Cottage«, erklärte Amy. »Es war in einem furchtbaren Zustand, als er starb. Er hatte ja nie irgendwas weggeworfen.«
»Mich wundert, dass seine Tochter es nicht einfach verkauft hat. Es muss schwer zu vermieten sein.«
»Das kann ich nicht beurteilen«, sagte Harriet. »Sie sind ja die Erste.«
»Kaffee für alle?«, fragte Agatha. Die Damen stimmten im Chor zu. »Und vielleicht etwas von Mrs. Freemantles Kuchen?«
»Harriet. Wir sprechen uns alle mit Vornamen an.«
»Wie Sie sicher schon wissen, bin ich Agatha Raisin. Ich bin im Landfrauenverein in meinem Heimatdorf Carsely.«
»Ein Landfrauenverein?«, rief Carrie aus. »So nennen Sie das?«
»Wir sind ein bisschen altmodisch«, sagte Agatha. »Und wir sprechen uns alle mit Nachnamen an.« Harriet schnitt einen köstlichen Schokoladenkuchen auf und verteilte die Stücke auf Teller. Ich werde hier zunehmen, wenn ich nicht aufpasse, dachte Agatha. Erst dieses gigantische Essen im Pub und jetzt Schokokuchen.
Als der Kaffee eingeschenkt war, nahmen sie alle ihre Tassen und Teller mit ins Wohnzimmer. »Soll ich Feuer machen?«, fragte Agatha.
»Nein, uns ist allen warm genug«, antwortete Harriet, ohne die anderen zu fragen.
»Ich finde, es könnte wenigstens eine kleine Heizungsanlage geben«, beklagte Agatha sich. »Die Miete ist hoch genug, auch ohne noch Holz kaufen zu müssen.«
»Oh, aber Sie haben jede Menge Feuerholz«, sagte Polly. »Hinten im Garten ist ein ganzer Schuppen voll.«
»Den habe ich nicht gesehen. Aber es war auch dunkel, als ich angekommen bin. Ach, übrigens habe ich da diese komischen tanzenden Lichter im Garten gesehen.«
Stille trat ein, dann fragte Carrie: »Fehlt hier eigentlich irgendwas?«
»Ich bin gerade erst dabei, die Inventarliste durchzugehen, also weiß ich es noch nicht. Warum?«
Wieder wurde es still.
Schließlich sagte Harriet: »Wir haben uns gefragt, ob Sie Lust hätten, Ehrenmitglied unserer Frauengruppe zu sein, solange Sie hier sind. Wir machen Quilts.«
»Was ist das?«, fragte Agatha mit dem Mund voller Kuchen. Warum wollte hier niemand über die Lichter reden?
»Wir nähen Patchworkquilts, Sie wissen schon. Bunte Stoffquadrate, die man auf alte Decken näht.«
Ehrgeizig, wie sie war, gab Agatha natürlich nicht zu, dass sie nicht nähen konnte. »Klingt spaßig«, log sie. »Vielleicht schaue ich mal vorbei. Es ist so nett von Ihnen allen, mir die vielen Geschenke zu bringen.«
»Heute Abend«, sagte Harriet. »Wir treffen uns heute Abend. Ich komme Sie um sieben abholen, gleich nach der Abendmesse. Sind Sie Anglikanerin?«
»Ja«, antwortete Agatha, die eigentlich gar nichts war, aber das Gefühl hatte, ihre Freundschaft mit Mrs. Bloxby würde sie in gewisser Weise zur Anglikanerin machen.
»Ah, in dem Fall sehe ich Sie heute Abend in der Kirche. Dann gehen wir von dort aus hin«, sagte Harriet.
Agatha wollte sich schon herauswinden und behaupten, sie fühle sich nicht fit genug, um irgendwohin zu gehen, als Polly abrupt sagte: »Na, dann mal raus damit. Erzählen Sie uns von Ihrem Liebeskummer.«
Agatha wurde rot. »Was meinen Sie?«
»Als wir hörten, dass Sie hierherziehen«, erklärte Harriet, »und dass Sie eigentlich in einem Dorf in den Cotswolds leben, haben wir uns gefragt, warum Sie das tun, und da kamen wir zu dem Schluss, dass Sie wahrscheinlich wegen eines Mannes dort wegwollten.«
Diese Truppe wird mir schlagartig unsympathisch, dachte Agatha. Sie lächelte jenes Haifischlächeln in die Runde, das sie für gewöhnlich einer himmelschreienden Lüge voranstellte.
»Genau genommen schreibe ich gerade an einem Buch«, sagte sie. »Und ich wollte irgendwohin, wo es ruhig ist. Es ist nämlich so, dass mich in meinem Dorf immer wieder alte Freunde aus London besuchen, sodass ich kaum Zeit für mich habe. Heute Abend werde ich Sie begleiten, aber ich fürchte, ansonsten werde ich mich eher zurückziehen.«
»Was schreiben Sie denn?«, fragte Amy.
»Einen Detektivroman.«
»Und wie heißt er?«
»Tod auf dem Landgut«, improvisierte Agatha.
»Und wer ist Ihr Detektiv?«
»Ein Baronet.«
»Dann ist Ihre Figur so was wie Lord Peter Wimsey?«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich nicht mehr über meine Arbeit spreche?«, sagte Agatha. »Ich rede nicht so gerne darüber.«
»Verraten Sie uns nur eines«, bat Amy und beugte sich vor. »Haben Sie schon etwas veröffentlicht?«
»Nein, das ist mein erster Versuch. Ich bin ja Detektivin, und da dachte ich, dass ich aus einigen meiner Abenteuer Geschichten machen könnte.«
»Heißt das, Sie arbeiten für die Polizei?«, fragte Harriet.
»Ich arbeite hin und wieder mit der Polizei zusammen«, antwortete Agatha überheblich und begann, mit ihren Fällen zu prahlen. Zu ihrem Verdruss stand Harriet ausgerechnet in dem Augenblick auf, als sie zum aufregenden Teil eines Falles kam, und sagte unvermittelt: »Entschuldigen Sie, aber wir müssen los.«
Agatha brachte die Frauen zur Tür. Sie ging mit ihnen noch bis zur Gartenpforte und winkte ihnen zum Abschied. Dann lehnte sie sich an die Pforte und genoss den Sonnenschein.
Harriets laute Stimme wurde vom Wind bis zu Agatha getragen. »Natürlich hat sie gelogen.«
»Meinst du?« Das war Amy.
»Oh ja. Keine Silbe davon ist wahr. Die Frau kann wahrscheinlich nicht ein einziges Wort schreiben.«
Agatha ballte die Fäuste. Neidische Kuh. Der würde sie es zeigen. Sie würde ein Buch schreiben. Schreiben war schreiben, und sie hatte in ihrer Zeit als PR-Frau genug Pressetexte verfasst. Ihren Computer und den Drucker hatte sie jedenfalls mitgebracht. Auf einmal wurde sie fast ein bisschen aufgeregt. Wenn ihr Name erst an die Spitze der Bestsellerliste kletterte, würde James bestimmt Augen machen.
Auf dem Weg zurück ins Haus linste Agatha seitlich über die Hecke zur Einfahrt, wo ihr Wagen parkte. Was hatten sie damit gemeint, ob etwas fehlte?
Drinnen öffnete sie die Küchentür und ging zum hinteren Ende des Gartens, wo sie den besagten Schuppen hinter einer kleinen Baumgruppe fand. Er war voller Feuerholz. Agatha kehrte zur Küche zurück, gefolgt von ihren munteren Katern. Wenigstens sind die hier zufrieden, dachte sie. Sie fütterte die beiden und machte mit der Inventarliste weiter. Derweil dachte sie über ihre Besucherinnen nach. Hatten sie Ehemänner? Es konnten unmöglich alle Frauen hier verwitwet sein.
Nachdem sie alles auf der Liste abgehakt hatte, kratzte sie den Inhalt einer Packung »Original bengalisches Curry« in einen Topf. Eine Mikrowelle müsste noch her. Agatha aß den heißen Brei und beschloss, sich an ihr Buch zu machen.
Sie stellte ihren Computer auf einen Tisch, tippte Kapitel eins und starrte auf den Monitor. Bald stellte sie fest, dass sie, anstatt ihr Buch zu schreiben, lauter Ausreden aneinanderreihte, warum sie nicht zum Quilten gehen konnte. »Ich habe Migräne.« Nicht gut. Dann kämen alle mit Tabletten vorbei. »Mir ist etwas Dringendes dazwischengekommen.« Was? Und wie in aller Welt erreichte sie die anderen? Das müsste Mrs. Wilden im Pub wissen.
Sie entschied, zum Pub zu gehen.
Während sie die Pucks Lane hinuntertrottete, fand Agatha, dass sie lieber anfangen sollte, alles in ihrer Umgebung bewusst wahrzunehmen. Autoren machten das so. Die roten Maul- und Mehlbeeren in der Hecke rechts von ihr zum Beispiel. »Die roten Früchte von Maul- und Mehlbeere leuchteten wie Buntkristall …« Nein, streichen. »Die scharlachroten Maul- und Mehlbeeren hingen winzigen Lampions gleich über die …«
Nein, noch mal. »Weißdornbeeren schimmerten sonnengleich in der Hecke.« Nein, Beeren konnten nicht sonnengleich schimmern. Blumen taten das. Und wer wollte überhaupt Bücher schreiben?
Der Pub hatte nicht geöffnet. Unentschlossen stand Agatha davor. In der Dorfmitte gab es eine Wiese mit einem Ententeich, allerdings ohne Enten. An dem Teich stand eine Bank. Agatha ging dorthin, setzte sich und blickte auf das Wasser.
»Guten Tag.«
Nervös zuckte Agatha zusammen. Ein knorriger alter Mann hatte sich lautlos neben sie gesetzt.
»Guten Tag«, sagte Agatha.
Er rutschte über die Bank, bis er dicht neben ihr saß. Agatha stellte fest, dass er nach Kartoffelsuppe und Zigarettenrauch roch. Offensichtlich hatte er seinen Sonntagsstaat an – einen alten, fusseligen Anzug, ein weißes Hemd und eine gestreifte Krawatte. Seine großen Stiefel waren auf Hochglanz poliert.
Dann fühlte Agatha etwas an ihrem Knie, blickte nach unten und stellte fest, dass er eine Hand auf ihr Knie gelegt hatte.
Sie hob seine Hand hoch und legte sie auf sein Knie. »Benehmen Sie sich«, sagte sie streng.
»Machen Sie sich nicht wegen dem Burschen verrückt, der Sie zu Hause schlecht behandelt hat. Wir hier kümmern uns um Sie.«
Agatha wurde feuerrot, stand auf und ging weg. Hatte das ganze Dorf beschlossen, dass sie an Liebeskummer litt? Zum Teufel mit denen! Sie würde gleich Montagmorgen zum Makler fahren und sagen, dass sie mit sofortiger Wirkung kündigte.
Sie fand eine Straße, die vom anderen Ende der Dorfwiese abging und in der sich einige kleine Läden befanden. Hier gab es ein Postamt, das zugleich ein Lebensmittelladen war, sowie ein Geschäft für Elektrogeräte, eine Boutique, die Kleider im Laura-Ashley-Stil verkaufte, einen Antiquitätenhändler, und am Ende befand sich Bryman’s, der Immobilienmakler. Agatha betrachtete die Angebote im Fenster. Die Hauspreise waren niedriger als in den Cotswolds, aber nicht viel.
Sie wanderte zurück zur Dorfwiese, mutterseelenallein, und beschloss, nach Hause zu gehen und den Tag sinnvoll mit dem restlichen Auspacken zu verbringen.
Nachmittags kam der Gärtner vorbei und fragte sie, ob sie irgendetwas Bestimmtes erledigt haben wollte. Agatha trug ihm auf, das Laub zu harken, den Rasen zu mähen und die Beete in Ordnung zu halten. Er war ein junger Mann, muskulös und tätowiert mit einem dichten Schopf nussbraunem Haar. Er sagte, dass er Barry Jones hieße und am nächsten Tag zurückkäme. Agatha dankte ihm, und als er sich zum Gehen wandte, fragte sie: »Wissen Sie irgendwas über komische kleine Lichter? Ich habe gestern Abend seltsame Lichter hinten im Garten tanzen gesehen.«
Er sah sich nicht mal zu ihr um. »Nee, da weiß ich wohl nichts von«, sagte er und ging schnell weg.
Irgendwas stimmt mit diesen Lichtern nicht, dachte Agatha. Vielleicht handelte es sich um irgendein hochgiftiges Insekt, von dem die Einheimischen nicht wollten, dass es Gäste verscheuchte, weshalb sie nicht über diese Tierchen sprechen wollten.