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FBI-Agent Eliot Ness, der große Gegenspieler von Al CaponeAufregende Action-Krimis aus Chicago um Bandenkriege und Frauenmörder, erzählt von einem Schriftsteller, der sich wie kein anderer in der großen, alten Gangster-Metropole auskennt:Al Cann weiß alles über den unbestechlichen FBI-Agenten Eliot Ness und den berüchtigtsten aller Gangster, den Italo-Amerikaner Al Capone, der nicht nur Chicago, sondern das ganze Land in Atem hielt. Die beiden großen Gegenspieler Eliot Ness und Alfonso Capone haben wirklich gelebt! Authentische Kriminalfälle halten unsere Leser in Atem, fesselnd, fast magisch beschrieben, daß es unter die Haut geht.Diese Krimiserie wird alle Krimifans begeistern und nachhaltig binden. Den fintenreichen und spannungsgeladenen Romanen mit wahrem Hintergrund kann niemand widerstehen. Das Duell zwischen Eliot Ness und Al Capone schreitet unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegen...Es war Abend. Über dem Weltstadtgiganten Chicago breitete sich ein sternenbedeckter Himmel aus. Mit raschen Schritten ging Geraldine Page den Loomis Boulevard hinunter, hatte den Sherman-Park erreicht und deutete mit der Linken auf den italienischen Kastanienverkäufer, der mit melodischer Stimme seine heißen Maronis anbot. Der kleine sechsjährige Joe Griffith, den sie an der Hand hatte, lachte über sein ganzes pausbäckiges Gesicht. »O ja, Miß Page, kaufen Sie mir Maronis!« Die beiden traten an den Stand heran. Der hohlwangige Mann mit den Kohlenaugen warf einen raschen Blick auf das Mädchen und blickte dann den Jungen an. »Na, möchtest du sie denn besonders heiß, Jimmy?« »Ich heiße Joe«, erklärte der Kleine. »Na gut, Joe. Dann werde ich dir ein paar besonders schöne heraussuchen.« Als Miß Page mit dem Jungen den Weg fortsetzte, blickte der italienische Auswanderer Cesar Isella hinter den beiden her. Mit einer müden Bewegung fuhr er sich durch sein faltenzerschnittenes Gesicht und beugte sich wieder über die kleine Zigarrenkiste, in der die wenigen Cents lagen, die er heute abend eingenommen hatte. Miß Page hatte jetzt mit dem Jungen das Haus an der Ecke 52nd Street und Loomis Boulevard erreicht. Mit raschen Schritten lief der Junge ihr voran in das elfgeschossige Haus und drückte unten links auf die Klingel. »Dr. Griffith« stand auf dem großen Messingschild. Der weißbekittelte Arzt kam selbst an die Tür.
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Seitenzahl: 157
Veröffentlichungsjahr: 2022
Es war Abend. Über dem Weltstadtgiganten Chicago breitete sich ein sternenbedeckter Himmel aus. Mit raschen Schritten ging Geraldine Page den Loomis Boulevard hinunter, hatte den Sherman-Park erreicht und deutete mit der Linken auf den italienischen Kastanienverkäufer, der mit melodischer Stimme seine heißen Maronis anbot.
Der kleine sechsjährige Joe Griffith, den sie an der Hand hatte, lachte über sein ganzes pausbäckiges Gesicht.
»O ja, Miß Page, kaufen Sie mir Maronis!«
Die beiden traten an den Stand heran. Der hohlwangige Mann mit den Kohlenaugen warf einen raschen Blick auf das Mädchen und blickte dann den Jungen an. Mit seinem fremdländischen Akzent fragte er:
»Na, möchtest du sie denn besonders heiß, Jimmy?«
»Ich heiße Joe«, erklärte der Kleine.
»Na gut, Joe. Dann werde ich dir ein paar besonders schöne heraussuchen.«
Als Miß Page mit dem Jungen den Weg fortsetzte, blickte der italienische Auswanderer Cesar Isella hinter den beiden her. Mit einer müden Bewegung fuhr er sich durch sein faltenzerschnittenes Gesicht und beugte sich wieder über die kleine Zigarrenkiste, in der die wenigen Cents lagen, die er heute abend eingenommen hatte.
Miß Page hatte jetzt mit dem Jungen das Haus an der Ecke 52nd Street und Loomis Boulevard erreicht. Mit raschen Schritten lief der Junge ihr voran in das elfgeschossige Haus und drückte unten links auf die Klingel.
»Dr. Griffith« stand auf dem großen Messingschild.
Der weißbekittelte Arzt kam selbst an die Tür. Er nahm den Jungen auf die Arme und blickte in seine hellen Augen.
»Na, Joe«, forschte der überanstrengt aussehende Mann, während er dem Kleinen über die Wangen strich, »worauf kaust du denn da herum?«
Inzwischen hatte Miß Page die Haustür auch erreicht und meinte entschuldigend:
»Wir haben ein paar Maronis gekauft.«
Der Arzt ließ das Kind auf den Boden hinunter. In diesem Augenblick wurde am anderen Ende des großen Korridors die Tür geöffnet, und eine große, sehr gut aussehende, etwas üppige Frau blickte mit vorwurfsvollem Gesicht auf das Kind.
»Joe, du sollst doch nicht vor dem Essen Süßigkeiten knabbern.«
»Es sind keine Süßigkeiten, Mama«, antwortete der Junge, während er an der Frau vorbei aufs Kinderzimmer zulief.
Es war sechs Uhr und neunzehn Minuten.
Graue Wolken schoben sich über die Stadt und verdunkelten das Licht der Sterne. Aber das Lichtermeer Chicago nahm davon keine Notiz.
Als Geraldine Page vier Minuten später vom Speisezimmer her die Tür des nebenan liegenden Kinderzimmers öffnete, fand sie das Zimmer leer.
»Joe…?«
Keine Antwort.
Das Mädchen öffnete die Tür zum Korridor. Auch hier war der Junge nicht. Sie sah im Bad nach, in der Küche, in der Toilette – und ging schließlich in die Küche zurück. Die korpulente Negerköchin Sara stand am Herd und hantierte mit ihren dampfenden Töpfen herum.
»Haben Sie Joe gesehen, Miß Sara?«
»Little Joe? Nein, nicht gesehen.«
Das Mädchen trat wieder in den Korridor hinaus und blickte sich unschlüssig um.
Es war achtzehn Uhr siebenundzwanzig, als Geraldine im Salon nachsah. Auch da war niemand. Nanu, sollte Mrs. Griffith noch mit dem Kind vor die Tür gegangen sein?
Geraldine trat ans Fenster, zog die Vorhänge zurück und blickte auf den Loomis Boulevard hinaus. Draußen strömten die Menschen vorüber, die von einer Spätschicht aus einem der gegenüberliegenden Hochhäuser kamen.
Die Wohnungstür wurde geöffnet.
Geraldine lief hinaus und sah die Frau des Arztes ohne Hut und Mantel hereinkommen.
»Das Essen ist bereit, Mrs. Griffith.«
»Ja, es ist gut. Bringen Sie Joe hinein.«
»Joe?« stammelte das Mädchen. »Aber er ist nicht da.«
»Was soll das heißen?« sagte die Frau stirnrunzelnd.
»Ich kann ihn nirgends finden.«
»Sind Sie verrückt?« kam es unbeherrscht von den Lippen der schönen Frau.
Vera Griffith war vierunddreißig, hatte grüne, etwas schrägstehende, langbewimperte Augen und rotes, elegant frisiertes Haar. Sie trug ein smaragdfarbenes Kleid, das ihre etwas vollreife Figur eng umschloß. Jetzt stand zwischen ihren sauber gezupften Brauen eine winzige Falte. Mit raschen Schritten kam sie auf ihren hohen Pumps auf die Mitte des großen chinesischen Teppichs und blickte das erschrockene Mädchen vorwurfsvoll an.
»Aber was soll denn das heißen?«
Geraldine hob mit einer hilflosen Geste die Arme.
»Ich weiß es auch nicht. Ich hatte ihn doch ins Kinderzimmer gebracht.«
»Wann?«
»Als ich mit ihm nach Hause kam.«
Vera Griffith fuhr sich mit einer fahrigen Geste über die Stirn, als sie fragte:
»Ist mein Mann noch da?«
»Ich glaube nicht. Das heißt, es könnte sein. Aber ich glaube, es sind keine Patienten mehr da.«
Mit raschen Schritten ging Vera Griffith auf das Wartezimmer zu, stieß die Tür auf und sah einen älteren Mann, der drüben am Fenster saß und in eine Sportzeitung vertieft war.
Ohne den Mann eines Grußes zu würdigen, schloß die Frau des Arztes hinter sich die Tür, durchquerte das Wartezimmer und öffnete die Zwischentür zum Sprechzimmer.
Sie mußte durch einen kurzen Korridor, der links und rechts von Aktenschränken flankiert war, und klopfte kurz an die Sprechzimmertür. Sie wußte, daß ihr Mann es nicht liebte, wenn er während der Behandlung gestört wurde. Schon der Patienten wegen. Als sie geöffnet hatte, sah sie das Behandlungszimmer leer vor sich. Die grün abgeschirmte Lampe auf dem Tisch brannte noch.
Aber das wollte nichts besagen. Griffith löschte die Lampe eigentlich nie; es war eine Gewohnheit von ihm, sie brennen zu lassen. Als seine Frau ihn einmal daraufhin angesprochen hatte, meinte er, daß es vielleicht beruhigend für die Patienten sei, wenn sie spät in der Nacht seine Praxis aufsuchen müßten und noch Licht brennen sähen. Schon Oswald Griffiths Vater war Arzt gewesen, zwar nicht hier im Zentrum Chicagos, sondern weiter draußen in einem Vorort. Auch er hatte es so gehalten mit der »ewigen Lampe«.
Kopfschüttelnd verließ Vera Griffith das Sprechzimmer ihres Mannes, durchquerte den Bestrahlungsraum und gelangte von hier in den Korridor, von wo eine Zwischentür zum übrigen Teil der Wohnung führte. Dr. Griffith hatte es von Anfang an so eingerichtet, daß seine Privaträume von der Praxis getrennt waren. Die Patienten wurden bis achtzehn Uhr von Miß Tunney an der Tür, die zum Loomis Boulevard hinausführte, empfangen und auch dort wieder hinausgelassen. Miß Tunney selbst verließ jeden Abend pünktlich um achtzehn Uhr die Praxis.
Vera Griffith ging in den Korridor zurück, blieb einen Moment sinnend auf der Schwelle zum Salon stehen und sah dann wieder in die erschrockenen Augen des Kindermädchens.
»Was stehen Sie denn hier herum? Los, gehen Sie raus, und sehen Sie zu, ob Sie den Jungen finden! Er kann ja nur kurz hinausgegangen sein.«
Geraldine folgte dieser Anweisung, verließ die Wohnung, trat auf die Straße und schob sich durch das Menschengewühl auf dem Gehsteig vorwärts. Drüben an der anderen Ecke beim Park konnte sie den Lichtschein der bunten Laterne des Maroniverkäufers erkennen.
Sollte Joe etwa noch einmal dorthin zurückgelaufen sein?
Geraldine ging über den Fahrdamm auf die Parkecke zu, schob sich an den Menschen vorbei, die hier an der Haltestelle auf den Bus wartete, und blieb enttäuscht stehen.
Der Maronistand war leer. Die Holzklappe war zugeschoben, und die Lampe, die dahinter hing, hatte nur noch ein winziges Flämmchen, das nach wenigen Minuten erloschen sein würde.
Miß Page lief zurück ins Haus, und als sie den Schlüssel in die Wohnungstür schob, wurde sie von einem seltsamen Angstgefühl beschlichen.
Vera Griffith stand im Eßzimmer hinter ihrem Stuhl.
»Was ist nun?« drang dem Kindermädchen ihre ungeduldige Stimme entgegen.
»Ich kann ihn – nicht finden, Mrs. Griffith.«
»Was soll das heißen?« Die Frau schob die Hände zusammen, und wieder stand die kleine Falte zwischen ihren Brauen. »Der Junge kann doch nicht verschwunden sein!«
»Vielleicht«, stammelte das verschüchterte Kindermädchen, »ist er mit – ist er mit Ihrem Mann weggegangen.«
»Mit meinem Mann? Was wären denn das für neue Sitten?«
Vera Griffith ging sofort wieder hinüber in die Praxisräume und warf einen Blick auf den kleinen goldgerahmten Tageskalender. Links stand die Reihe der vielen Patienten, die sich für den Vormittag angemeldet hatten. Am Nachmittag waren weniger Namen verzeichnet. Darunter war der große Strich, hinter dem die Abendbesuche aufgeführt waren.
Mit der eiligen Handschrift des Arztes waren da noch fünf Namen aufgeschrieben. Obenan Mrs. Abendroth.
Vera Griffith stieß einen unwilligen Laut aus und sagte dann, so daß Geraldine Page, die in der Tür stand, es hören konnte:
»Denise Abendroth. Schnell, suchen Sie die Telefonnummer heraus.«
Miß Page griff nach dem Telefonverzeichnis und hatte die Nummer rasch gefunden. Als Vera Griffith gewählt hatte, meldete sich niemand.
»Ach, sie hat natürlich wieder abgeschaltet, weil sie sich vor Anrufen nach Einbruch der Dunkelheit fürchtet.«
Der nächste Name war Miller.
»Miller, wer ist denn das? Kennen Sie einen Patienten namens Miller?«
»Ja, mehrere, Mrs. Griffith.«
Unter Miller stand Cavella.
Das Gesicht der Frau des Arztes verdunkelte sich für einen Moment.
»Julia Cavella«, murmelte sie vor sich hin. »Was hat die denn schon wieder?« Mit einem raschen Griff nahm sie das Telefonverzeichnis an sich und suchte den Namen der Patientin vergeblich darin.
»Suchen Sie sofort die Nummer von Miß Cavella aus dem Telefonbuch, Miß Page!«
Auch hier erhielt sie keine Antwort.
»Gewohnheiten haben die Leute! Ich möchte bloß wissen, wozu sie überhaupt Telefon haben.«
Bernstein war der nächste Name.
James Bernstein meldete sich. »Ja, ich warte noch auf den Doktor. Er müßte eigentlich bald kommen. Meiner Frau geht’s gar nicht sehr gut, Mrs. Griffith.«
»Ja, er wird bald kommen. Ich habe ihm nur etwas ausrichten wollen. Nein, nein, es ist nicht sehr wichtig. Aber Sie könnten ihm vielleicht sagen, daß er einmal anruft, wenn er bei Ihnen ist.«
Es dauerte dreiundzwanzig Minuten, bis das Telefon schrillte.
Vera Griffith nahm den Hörer auf.
»Oswald, bist du es?«
»Ja.«
»Hast du Joe mitgenommen?«
Es war einen Moment still in der Leitung.
»Joe?« kam dann die belegte Stimme des Arztes zurück. »Was soll das heißen?«
»Er ist nicht da.«
Wieder herrschte einen Moment Stille in der Leitung. Dann kam wieder die Stimme des Mannes.
»Aber das ist doch nicht dein Ernst, Vera?«
»Er ist nicht da, wenn ich es dir doch sage!«
»Habt ihr denn schon überall nachgesehen? Vielleicht ist er unten im Keller?«
»Was soll er denn im Keller? Da ist doch alles abgeschlossen. – Miß Page, sehen Sie gleich mal nach, ob das Kind vielleicht im Keller ist!«
»Ruf sofort bei Brabanes an«, forderte der Arzt seine Frau auf.
Dr. Jeffrey Brabanes war mit Dr. Griffith befreundet. Er wohnte ein paar Häuser weiter, und sein kleiner Sohn Ted spielte zuweilen mit Joe.
»Ist gut«, sagte die Frau und hängte ein.
Brabanes konnte die Frage nach dem kleinen Joe nur verneinen.
»Nein. Seit wann ist er denn weg, Vera?«
»Wir vermissen ihn seit der Abendbrotzeit. Das heißt, er ist mit unserem Kindermädchen aus dem Kindergarten gekommen, und plötzlich war er dann verschwunden.«
»Aber das gibt es doch nicht. Ich will mal mit Ted sprechen.«
Aber der kleine Ted hatte seinen Freund auch nicht gesehen.
Kurz nach acht rief Dr. Griffith nach dreimaligem Anruf in seiner Wohnung die Polizei an.
*
Der kleine Joe Griffith war verschwunden. Als er auch um zehn Uhr noch nicht zurück war, wandte sich die Polizeibehörde vom 9. Bezirk an das Präsidium.
Die Antwort: sofortige Benachrichtigung des FBI.
Zwar war es noch längst nicht erwiesen, daß der kleine Joe etwa entführt worden war, aber die Vorschriften der Stadt-Polizei gingen dahin, daß das Federal Bureau of Investigation sofort zu benachrichtigen war. Es hatte sich herausgestellt, daß es immer gut war, wenn das FBI, das für Kindesraub seit etlichen Jahren zuständig war, so frühzeitig wie möglich eingeschaltet wurde, denn die G-men waren auf Kidnapping spezialisiert, verfügten über große Erfahrung in der Verfolgung solcher Verbrechen – und vor allem über den entsprechenden Apparat zu deren Bekämpfung.
Die Nachricht erreichte die Spezialabteilung am Oakwoods Cemetery in der 71st Straße East schon nach wenigen Sekunden. Sie wurde sofort zum Zimmer des Chef-Inspektors durchgegeben.
Aber der große Eliot Ness, der seit einer Reihe von Monaten der Spezialabteilung hier am Oakwoods Cemetery vorstand, war nicht anwesend. Zusammen mit seinem Stellvertreter, Pinkas Cassedy, war Ness am frühen Vormittag nach Indianapolis geflogen, um da die Fährte eines Gangsters aufzunehmen, der in Chicago eine Frau ermordet hatte. Es handelte sich um den zweiunddreißigjährigen Bulgaren Jordan Belgareff.
Da die Vorschriften des FBI verlangten, daß in Abwesenheit des Chef-Inspektors und auch seines Stellvertreters ein Sonderinspektor die Angelegenheiten des Bureaus wahrzunehmen hatte, war am frühen Morgen mit einer Kuriermaschine von Detroit der dreiundvierzigjährige Inspektor Durbridge herübergeflogen. Es war das erste Mal, daß Inspektor Durbridge den berühmten Eliot Ness zu vertreten hatte. Er war ein ehrgeiziger, hagerer, ungeliebter Mann, der mehrfach vom Amt A 1 in Washington, den Auftrag erhalten hatte, in Cincinnati, Cleveland, Rochester, Pittsburgh und Columbus die dort abwesenden leitenden Inspektoren zu vertreten. Offensichtlich war man oben in Washington der Ansicht, daß dieser Mann nicht nur ehrgeizig, sondern auch tüchtig war.
Eine halbe Stunde nach Erhalt der Meldung traf Durbridge mit Ted
O’Keefe, Daniel O’Connor und Joseph Lock am Sherman-Park ein. Mit dem ihm eigenen Eifer und einer etwas zu arroganten Manier – wie Joseph Lock fand – setzte Durbridge die Untersuchungen in Gang.
Zunächst wurden die im dortigen Distrikt bekannten Verbrecher festgesetzt. Es handelte sich da gleich um sieben Leute, die schon einmal etwas mit Kidnapping zu tun gehabt hatten. Des weiteren ließ Durbridge sofort nach Geraldine Pages Bericht den Maroniverkäufer Cesar Isella suchen und zwecks Vernehmung zum Amt bringen.
O’Connor mußte eine vollkommene Liste der Hausbewohner anfertigen. Dabei stellte sich heraus, daß nur drei Geschosse als Wohnungen vermietet waren, die übrigen acht als Büroräume. In den drei Wohnetagen stand eine Wohnung leer, und zwar die über der von Dr. Griffith gelegene. Bis vor einem Monat hatte dort ein Dr. Croci gewohnt, der für ein Geldinstitut arbeitete, aber kürzlich nach Tennessee verzogen war. Gegenüber der Familie Griffith wohnte die achtundsechzigjährige Mrs. Diana Midland, eine alleinstehende Frau, die seit sieben Jahren verwitwet war und mit ihrem Dackel allein in der großen Wohnung lebte. Über ihr wohnte Walt Cramer, ein deutschstämmiger Handelsvertreter von sechsundvierzig Jahren mit seiner vierunddreißigjährigen Frau Joana und seiner sechzehnjährigen Tochter Carol. Über den Cramers lebte die neunundvierzigjährige Mrs. Pullinger mit ihrem dreiundzwanzigjährigen Sohn Roy.
Auf der anderen Seite wohnten unten die Griffiths, darüber die Wohnung stand wie gesagt leer, und im dritten Geschoß lebte ein Ausländer namens Storgoff, ein einundfünfzigjähriger Mann, der sich als Privatier hatte eintragen lassen. Oben im siebten Geschoß lebte in drei Zimmern noch eine Mrs. Duncer, eine sechsundsechzigjährige Frau, mit ihrem siebenundzwanzigjährigen Neffen Edward. Mrs. Duncer hatte von der Versicherungsgesellschaft, die die acht übrigen Geschosse belegte, den Portiersposten bekommen.
Inspektor Durbridge, der sich schon lange einen solchen Fall gewünscht hatte, nahm sämtliche Hausbewohner unter die scharfe Lupe. Er ließ sich sogar die Listen sämtlicher Angestellten kommen, die in den acht Etagen der Versicherung beschäftigt waren; obgleich diese Leute kaum in Frage kamen, da sie an diesem Nachmittag bereits um vier Uhr das Haus verlassen hatten.
Durbridge griff mit großer Energie in den Fall ein. Er verhörte bis in den grauenden Morgen hinein die Hausbewohner und ließ sich außerdem eine Aufstellung ihrer sämtlichen Verwandten und abschließend auch von allen Bekannten beschaffen.
Um elf Uhr sechzehn am nächsten Vormittag schritt Inspektor Durbridge zur Verhaftung des dreiundzwanzigjährigen Edward Duncer. Er hatte herausgebracht, daß Duncer vor fünf Jahren zu einer Bande gehört hatte, die am Westrand von Chicago Autos geknackt und sich einmal auch an der Verschleppung eines Negerjungen beteiligt hatte. Wenige Minuten vor ein Uhr erschien Durbridge in der ersten Etage und verhaftete zum Schrecken von Walt und
Joana Cramer auch deren Tochter Carol.
»Was hat denn das zu bedeuten?« fragte der Handelsvertreter entsetzt. »Sie bringen doch nicht allen Ernstes meine Tochter mit dem Verschwinden des kleinen Joe in Verbindung, nur weil sie ein paarmal mit ihm gesprochen hat?«
»Hat sie nur mit ihm gesprochen, Mr. Cramer?« forschte Durbridge scharf.
»Nun ja, sie hat auch sicher mal mit ihm gespielt.«
»Hat sie ihm nicht auch Bonbons gegeben?«
»Das kann schon sein.«
»Ist das nicht schon mehrfach geschehen?«
»Weshalb nicht? Der kleine Junge war drollig, und wenn ich ein Mädchen von sechzehn Jahren wäre, so könnte es mir wohl auch in den Sinn kommen, einem kleinen, netten, pausbäckigen Jungen einmal ein paar Bonbons zu schenken. Was ist denn schon dabei?«
»Mr. Cramer, hindern Sie mich nicht an der Ausführung meiner Arbeit…«
Carol Cramer saß mit leichenblassem Gesicht oben in dem grauen, finsteren Bau am Oakwoods Cemetery im Vorzimmer des Chef-Inspektors und blickte auf die flinken, leichten Finger der Sekretärin, die einen endlosen Bericht abzuschreiben hatte.
Hin und wieder wurde die Tür zum Chefzimmer geöffnet, und Durbridges hageres Gesicht blickte herein.
»Ich werde Sie gleich zur weiteren Vernehmung rufen, Miß Cramer.«
Aber Durbridge ließ sich offenbar sehr viel Zeit. Es war schon fast drei Uhr am Nachmittag, als die Tür zum Korridor geöffnet wurde und ein hochgewachsener Mann eintrat, der mit einem raschen Blick das Mädchen betrachtete, das verschüchtert in einer Ecke saß.
»Wen haben wir denn da?« forschte er mit einer dunklen Stimme.
Die hübsche schwarzhaarige Ruth Everett fuhr von der Maschine auf, wurde etwas rot und sagte mit offensichtlicher Freude: »Hallo, Mr. Ness! Sie sind schon zurück?«
Carol Cramer zuckte zusammen. Das war also der berühmte Eliot Ness. Der Mann, der den fürchterlichen Nebelmörder zur Strecke gebracht hatte, der den grauenhaften Aufschlitzer gestellt und eine Reihe anderer Gangster gegriffen hatte. Im »Chicago News« hatte der Redakteur Matherley für ihn den Namen MR. CHICAGO geprägt. Bloß hatte es damals so ausgesehen, als hätte der große Matherley Eliot Ness mit diesem Namen verspotten wollen. Wenn es so war, dann war das ein Schlag ins Wasser gewesen, denn die Unterwelt Chicagos akzeptierte den Namen durchaus; für sie war dieser FBI-Mann wirklich der Feind Nummer eins.
Ja, es war Eliot Ness. Er blieb neben dem Schreibtisch seiner Sekretärin stehen, nahm den Hut ab und fuhr sich durch sein kurzgeschnittenes helles Haar. Sein Gesicht war scharfkantig, und die blauen Augen hatten etwas Zwingendes an sich.
Er sieht gut aus, dachte Carol trotz der scheußlichen Situation, in der sie sich befand.
»Das ist Miß Carol Cramer«, sagte Ruth Everett und berichtete in sachlicher Kürze, was sich ereignet hatte. Der Chef-Inspektor nickte nur, grüßte Carol kurz mit dem Kopf und ging dann weiter auf sein Zimmer zu.
Inspektor Durbridge saß hinterm Schreibtisch, hatte die nächsten Mitarbeiter von Eliot Ness alle um sich versammelt und hielt Kriegsrat. Das geschah zwar in einer so weitschweifigen Art, daß Joseph Lock gerade ärgerlich zu O’Connor gemeint hatte:
»Vielleicht sollten wir, um uns die Sache richtig klarzumachen, zunächst einmal bei Kain und Abel anfangen.«
»Hören Sie, Mr. Lock«, wies ihn Durbridge zurecht. »Wenn Sie glauben, hier an meinen Entscheidungen etwas auszusetzen zu haben, so tun Sie sich nur keinen Zwang an. Allerdings möchte ich Sie dann bitten, dies schriftlich zu tun und Ihre Eingabe an das Amt A I zu richten. Hier jedenfalls herrscht jetzt absolute Ruhe.«
»Eine Frage nur, Inspektor«, meinte Lock, »haben Sie allen Ernstes vor, das Girl wegen der Bonbons einzulochen?«
»Sie müssen es mir schon überlassen, ob ich Miß Cramer, die Sie hier als Girl bezeichnen, inhaftieren lassen werde oder nicht. Schließlich sind ausreichende Verdachtsmomente vorhanden…«
»Finden Sie?«
Durbridges Ton verschärfte sich.