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Alina ist zum ersten Mal allein verreist. An einem heißen Sommernachmittag verlässt sie ihr Hotel in der maltesischen Hauptstadt Valletta und schlendert zum 'Manoel Theatre'. Ein freundlicher Herr an der Rezeption gab ihr den Tipp: Heute sei 'dieses Juwel' länger geöffnet. Am Vormittag war Alina in drückender Hitze schon viel unterwegs. So ist sie nach der Führung durch das berühmte Theater müde. Als alle schon zum Ausgang streben, bleibt sie zurück, macht es sich in einem Sitz bequem, will nur kurz ausruhen. Als sie aufwacht, ist es Nacht. Alina ruft vergeblich um Hilfe, rüttelt an Türen, irrt durch Gänge, bis sie Stimmen hört. Sie wird entdeckt und sieht sich einer seltsamen Gruppe von Schauspielern in Kostümen gegenüber. Alina schöpft Hoffnung, gibt Auskunft über sich, zückt eine Visitenkarte ihres Hotels. Warum nur scheint sie niemand zu verstehen? Diese Schauspieler sollen endlich aufhören zu spielen und ihr helfen, das Theater zu verlassen. Es kann doch nicht wahr sein, dass niemand von ihnen ihr Hotel kennt. Die Straße, in der es steht, soll es gar nicht geben?! Und wie soll Alina sich dies erklären: Ein Mann, der der Schauspieltruppe seine Aufwartung macht, sieht Großmeister António Manuel De Vilhena − so wie sie ihn auf einem Ölgemälde sah − unglaublich ähnlich… Zwei Schauspielerinnen, Marija und Annunziata, nehmen sich ihrer in rührender Weise an. Wieder im Freien kommt Alina jedoch alles fremd vor und ein furchtbarer Verdacht wird verstärkt. Ihre Begleiterinnen führen sie zu Don Caxaro, einem weisen Geistlichen, zu Dr. Saliba und Professor Azzopardi. Aber auch diese großen Gelehrten stellt ihr Fall vor ein unlösbares Rätsel. Als Alina vor der Conventual Church einen Künstler vor seiner Staffelei erblickt, sondert sie sich ab, spricht ihn an. Noch hat sie die Hoffnung nicht ganz aufgegeben. Doch seine Antwort und ein unmissverständliches Zeichen auf seinem Gemälde lassen Alina entsetzt zurück: Ihr Verdacht ist nun endgültig Gewissheit.
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Seitenzahl: 83
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PAUL BALDAUF
Alina war zum ersten Mal allein in einem fremden Land. Als sie in ihrem Reiseführer blätterte, erinnerte sie sich an Worte ihrer Mutter: ‘Ich denke, es ist gut für dich, wenn du einmal allein verreist. So wirst du selbstständig.‘Sie betrat den Balkon. Wie herrlich war der Ausblick von hier oben! Man konnte weit hinaussehen, über Dächer und auf Kirchtürme. Gebäude im benachbarten OrtFlorianawaren gut zu erkennen. Gleich gegenüber stand der Präsidentenpalast und unweit, an einer Hauswand, entdeckte sie eine maltesische Flagge. Alina löste sich von dem Anblick und schritt munter zur Rezeption.
Es war ein – auch für maltesische Verhältnisse – besonders heißer Sommernachmittag. In der Eingangshalle desHotel Castillein Valletta entspannten sich einige Gäste in bequemen Sesseln. Ronald De Giorgio blickte bald nach rechts, bald nach links. Vor ihm lagen große Pläne, auf denen die Namen der Hotelgäste, An- und Abreisedaten und Zimmernummern vermerkt waren. Als er Herrn Farrugia erblickte, atmete er auf:Endlich löst er mich jetzt ab…
Alina grüßte die beiden und Herr Farrugia nahm lächelnd ihren Schlüssel entgegen. Die Malteser schienen ihr überhaupt ein freundliches Volk zu sein. „So, gehst du wieder aus? Machst du noch einen Ausflug?”„Ja, ich werde gleich dasManoel Theatrebesichtigen.“Die Miene von Herrn Farrugia hellte sich auf und er blickte sie vielsagend an:„Ahaaa. Du hast Glück! Heute ist es lange geöffnet. Normalerweise finden Führungen nur um 10.45 und um 11.30 Uhr statt.“Er hängte ihren Schlüssel an einen Haken und drehte sich auf dem Absatz um:„Einen schönen Tag noch, bis später!”Und schon wieder war er mit anderen Aufgaben beschäftigt, nahten doch Neuankömmlinge mit schweren Koffern.
Sie cremte sich noch einmal ein.Mmh, was für ein schöner Geruch nach Kokusnuss!Alina trug eine weiße Bluse. Ihr pechschwarzes Haar hatte sie zueinem Zopf zusammengebunden.Sie zückte ihre schwarze, in einem Souvenirladen in Valletta gekaufte Sonnenbrille, verstaute ihren Fotoapparat und verließ das Gebäude. Zur Sicherheit steckte sie ein kleines Wörterbuch ein und nahm eine Visitenkarte des Hotels mit:Hotel Castille, Castille Square, c/w St. Paul's Street, Valletta, Malta.Ich werde schon nicht verloren gehen...Wie hat dieserHerrDe Giorgio noch gesagt:Malta ist ungefähr 28 km lang und 14 km breit?Für alle Fälle prägte sie sich den Namen der Straße ein. Sie blickte in ihren Reiseführer und suchte den Weg zur Old Theatre Street.Na also, wer sagt es denn? Ich komme doch gut zurecht.Sie schritt gemächlich auf Sandalen die Straße entlang, die sie zu dem Theater führen sollte. Nun, da sie im Freien war, bekam sie wieder zu spüren, wie heiß es war. Ein paar Tauben flatterten auf. Straßenhändler boten Schmuck an. Ein Mädchen spielte Geige. Passanten warfen Münzen in einen Hut, der in ihrer Nähe auf der Straße lag. An einem kleinen Stand pries ein Malteser lautstark Lotteriescheine an. Alina sah sich zufrieden um. HeuteVormittag hatte sie schon an einer Hafenrundfahrt teilgenommen und dabei viele Fotos vomGrand Harbour,dem großen Hafen,gemacht. Von den Erklärungen in Englisch hatte sie nicht allzuviel verstanden. Doch die Fahrt war ein wunderbares Erlebnis. Wie gut war es, dass diese Ausflugsboote für Touristen schön langsam fuhren. So hatte man alle Zeit der Welt, sich in Ruhe umzusehen, den Blick bald über das Wasser, bald über Festungsmauern, Dächer, Balkone oder eines der berühmten Forts wandern zu lassen. Sie schloss für einen Moment die Augen und ließ die Wärme auf sich wirken. Das tat richtig gut!Und nun stand die Besichtigung im berühmten Theater auf dem Programm.Hoffentlich bin ich nicht zu spät dran und kann noch an einer Führung teilnehmen.Sie beschleunigte ihren Schritt.
Im Souvenir Shop des Theaters angekommen, entdeckte sie ein verlockendes Angebot an Gläsern, Silber, Keramiken und CDs.Eine Gruppe wartete schon gespannt auf die angekündigte Fremdenführerin. Es dauerte nicht lange, und eine kurzhaarige Dame mittleren Alters kam herein. Sie begrüßte die wartenden Touristen und stellte sich als ‘FrauGrima‘ vor. Dann ging sie flink voraus und bat in den Innenhof. Alina setzte ihre Sonnenbrille wieder ab und schloss sich der Gruppe an.Teatru Manoelhieß das Theater auf maltesisch.Wie interessant das klingt! Da habe ich heute abend am Telefon wieder einiges zu erzählen.
„Beginnen wir im Innenhof. Bitte, folgen Sie mir.“
Der überdachte Hof mit seinen Säulen, Palmen und Bogendurchgängen war eine Augenweide. Auch die Farbtönung der Wände, Tische und Stühle aus Holz trugen zu der besonderen Atmosphäre bei.
„Der zentral gelegene Hof ist eine der Attraktionen dieses Theaters. Besuchern gefällt die Atmosphäre, die ein wenig der einer kleinen Piazza ähnelt.” Alle durften sich eine Weile umsehen und schon ging es weiter.
„Bitte, achten Sie auf die Stufen!“
Ein deutscher Tourist schlug die Warnung leichtfertig in den Wind. Seine Frau griff beherzt ein und konnte ihn gerade noch vor einem freien Fall bewahren. Alina musste kichern. Die Frau hakte sich nun bei ihm ein und beobachtete ihn so, als traue sie ihm nicht mehr zu, alleine zu gehen. Nun stieg die Gruppe Treppen aus Carraramarmor hinauf.
Alina betrachtete Portraits berühmter Komponisten, die in Nischen verewigt waren. Die beschwingte Fremdenführerin blieb auf einmal stehen und verkündete stolz:
„Das ‘Manoel Theatre’ ist das drittälteste Theater Europas. Es wurde am Anfang des 18. Jahrhunderts erbaut.“ Nun sah man anerkennende Blicke. Die Fremdenführerin sprach bald Englisch, bald Französisch und Italienisch. Alina war beeindruckt.Ob sie auchDeutsch kann?
„Der Plan, ein Theater zu errichten, das für die Öffentlichkeit zugänglich ist, stammte vom früherenGroßmeisterAntónio Manoel de Vilhena.Es war in den Märztagen des Jahres1731...“
Das hört sich ja interessant an.GroßmeisterAntónio Manoel de Vilhena?Woher der wohl stammte? 1731. Wenn man sich das vorstellt...Vor fast 300 Jahren…Diese Großmeister, so viel wusste sie schon, standen dem Orden der Ritter desheiligen Johannes vor.Unterstand ihnen ein ganzes Heer von Rittern? Manoel de Vilhena? Also ist das Theater nach ihm benannt!Aber für weitere Gedanken blieb keine Zeit. Die Fremdenführerin war schon wieder unterwegs, ging der Gruppe voran und blieb dann kurz stehen.
„Vielleicht fragen Sie sich, warum er ein Theater erbauen ließ? Nun, er wollte dafür sorgen, dass das Volk – so drückte er sich aus – ‘auf ehrenwerte Weise unterhalten‘ wird. Zu seiner Zeit war es für viele Leute durchaus üblich, eine Theateraufführung zu besuchen. Oper und Drama waren sehr beliebt. Es gab auch Freiluft-Aufführungen, in denen professionelle Künstler undAmateurschauspieler zu sehen waren. Wer von Ihnen Latein versteht, kann den Hinweis auf die gute Unterhaltung über dem Haupteingang lesen.“
Frau Grima sprudelte nur so. Es war offensichtlich, dass sie in dem Theater zu Hause war und hier jeden Stein kannte.Latein...,dachte Alina,kann ich leider nicht.
„Er wollte auch die jungen Ritter des Ordens vor Unheil bewahren: Er wird dabei gedacht haben: Wenn sie im Theater gut unterhalten werden, wird dies einen guten Einfluss auf sie ausüben. Bevor wir das Theater besichtigen, möchte ich Ihnen noch etwas über seine Geschichte erzählen. Der Großmeister zahlte den Großteil der Baukosten in Höhe von 2184 Scudi aus eigener Tasche.“ Sie machte eine entsprechende Geste – zog ihre Hand wieder aus der Hosentasche – und erntete Heiterkeit. Alina lachte hell auf. Einige Leute drehten sich nach ihr um und lächelten ihr wohlwollend-schmunzelnd zu.Nein, so viel Geld hatte er bestimmt nicht gerade in der Hosentasche greifbar,dachte Alina. Über 2000 Scudi?Sie erinnerte sich, dass der Name der damaligen Währung irgendwo in ihrem Reiseführer vorgekommen war.Scudi...,das klingt gut.Schön, dass Frau Grima betont langsam spricht, so verstehe ich doch recht viel.
„Sobald alle Formalitäten erledigt waren, begann man mit den Arbeiten. Nach nur 10 Monaten war das ganze Gebäude errichtet!“
Die Fremdenführerin ließ der Gruppe Zeit, bis bei allen der Groschen fiel. Die allgemeine Bewunderung wuchs.Das ging ja rasend schnell, dachte Alina:In nur 10 Monaten so einen Bau auf die Beine zu stellen. Die müssen aber geschuftet haben! Wieviel Mann da wohl beteiligt waren?
„Das Innere des Gebäudes bestand nur aus Holz. Vorbild war sehr wahrscheinlich das Theater von Palermo. Später wurde das Gebäude umgebaut, bis das Auditorium die ovale Form aufwies, die heute noch zu sehen ist. Zu Beginn hieß es einfachÖffentliches Theater. Später wurdeÖffentlichdurchKöniglichersetzt. 1866 nannte man es schließlich zu Ehren seines GründersManoel Theatre,und so heißt es noch heute.Das muss ein Gefühl sein,dachte Alina,wenn ein Theater nach einem benannt wird...
Frau Grima machte es spannend. Bevor sie die Besucher ins Theater hereineinließ, holte sie noch einmal aus:
„Für die erste Aufführung 1732 stand eine klassische italienische Tragödie auf dem Spielplan.Die Ritter traten selbst als Schauspieler auf. Der dauerhafte Austauschzwischenden Theatern von Neapel, Palermo und Valletta machte dasTeatru Manoel, wie es auf Maltesisch heißt, zu einem begehrten Sprungbrett für ehrgeizige Künstler, die in derScalaoder in Covent Garden auftreten wollten.“
DieScala? fragte sich Alina. Auf einmal dämmerte es ihr:Ah, natürlich, La Scala, das berühmte Theater in Mailand. Sie malte sich gerade aus, wie herrlich golden die Logen dort glänzten. Doch Frau Grima war schon wieder in ihrem Element:
„In seiner besten Zeit gab es herrliche Aufführungen, wie die legendäre Inszenierung einer Oper vonDonizettiim Dezember 1838. Unter den Zuschauern war damals auch die Witwe des englischen Königs Wilhelm IV anwesend. Später verlor das Theater an Bedeutung und wurde durch den Bau einer neuen Oper ersetzt.”
Frau Grima hielt einen Moment inne und seufzte. Es schien, als müsse sie nun etwas sagen, was ihr schwer fiel.
„Das Manoel Theater wurde sogar als Tanzhalle und Kino genutzt.”Unglaublich,dachte Alina, das muss ein schönes Kino gewesen sein...Da hätte ich mir auch gerne mal einen Film angesehen...
Die Miene von Frau Grima wirkte nun wieder entspannter.
„Auf Wunsch der Öffentlichkeit kaufte die