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Hans Schauder ist mit Almudena, einer Spanierin, verheiratet. Sie bestand auf einem Umzug nach Madrid. Hans, der in einem Dorf aufwuchs, eröffnet in der spanischen Metropole ein Fotostudio, doch sein Betrieb läuft nicht an. Er gerät mehr und mehr unter Druck. Eines Abends ruft endlich eine Kundin an. Eine ältere Dame, die ihn unverzüglich zu sich beordert: "Fotos aus besonderem Anlass". In der Dunkelheit hat Hans große Mühe, die Adresse zu finden. Als er verspätet bei ihr ankommt, liegt Geruch von Weihrauch in der Luft und Chopins Trauermarsch erklingt. Auch seine Kundin hat er sich so nicht vorgestellt. Im Nebenzimmer macht er eine grauenerregende Entdeckung, die unerwartete Folgen nach sich ziehen wird. Auftakt einer spannenden, verwickelten, passagenweise auch humorvollen Geschichte, in der viele und höchst unterschiedliche Akteure auftreten. Wird es Pepe Labrador Hernández gelingen, diesen Fall, der zunächst nur Rätsel aufgibt, aufzuklären? Ein Madrid-Roman von Paul Baldauf. Weitere Informationen unter www.autor-paul-baldauf.de
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Seitenzahl: 150
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Paul Baldauf
Der stille Tod des Conde de Alcalá
Madrid-Krimi
© 2020 Paul Baldauf
Autor: Paul Baldauf
Umschlaggestaltung: Paul Baldauf
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN: 978-3-347-13209-2 (Paperback)
ISBN: 978-3-347-13210-8(Hardcover)
ISBN: 978-3-347-13211-5 (e-Book)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheber-rechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Kapitel 1: Wie soll ich das entziffern?
Dr. José Perez Cabra wartete, bis Maria Louisa, eine junge Arzthelferin, die Tür hinter sich schloss. Dann warf er einen Blick auf ihm zuvor überreichte Untersuchungsergebnisse. Während er die Stirn in die Höhe zog und eine skeptisch und besorgt wirkende Miene zeigte, brummelte er vor sich hin:
„Oh, oh, dachte ich mir, das sieht gar nicht gut aus.“
Er schüttelte seinen von graumelierten Locken umrahmten Kopf und schob seine Brille weiter nach vorn. Dann vertiefte er sich noch einmal in eine Kolonne neu gemessener Werte der Patientin, die er als eines seiner «Sorgenkinder» betrachtete. Die reinste Achterbahnfahrt: Hier, alles im Keller und dort: Viel zu hoch! Ein heilloses Durcheinander. Wie oft habe ich sie nun schon ermahnt? Sie erkennt den Ernst der Lage nicht. Manche legen es regelrecht darauf an. Er justierte seinen Arztkittel und drückte auf eine Taste, die die Verbindung mit den Damen am Empfang herstellte.
„Sag ihr bitte, sie soll zu mir kommen.“
Es dauerte nicht lange und es klopfte. Maria Louisa führte seine Patientin herein, wechselte vertrauliche Worte mit dem Arzt und zog sich wieder zurück. Während Dr. Perez Cabra Aufzeichnungen und Unterlagen vor sich ausbreitete, deutete er auf einen braunen Holzstuhl. Seine Patientin setzte sich. Welchen Ton sollte er nun anschlagen? Er hielt einen Ausdruck, das Ergebnis von Laboruntersuchungen, wie ein Corpus Delicti in die Höhe. Dann sah er sie durchdringend an und legte einen beschwörendernsten Tonfall an den Tag:
„Haben Sie das Kleingedruckte auf dem Beipackzettel nicht gelesen?! Ich habe ihnen doch schon öfters eingeschärft: Sie dürfen – bei den Medikamenten, die ich Ihnen verordnet habe – auf keinen Fall weiter Alkohol trinken! Rekapitulieren wir noch einmal Ihre Vorgeschichte: Angeborene Herzschwäche, zwei schwere Infarkte und jahrelanger Genuss hochprozentiger Getränke. Sie müssen dringend umsteuern: Sonst kann dies irgendwann zu einem tödlichen Mix werden!“
Er sah sie prüfend an und wartete, ob sie eine Reaktion zeigen würde. Seine Patientin verschränkte die Arme, legte den Kopf auf die Seite und wartete ab, ob er noch eine Schippe nachlege. Da er schwieg, schaltete sie sich plötzlich ein.
„Das Kleingedruckte? Wie soll ich das entziffern?! Das geht ja noch nicht einmal mit einer Lupe! Und außerdem: Die Hälfte davon versteht ja kein normaler Mensch! Lauter lateinische und medizinische Fachausdrücke! Wenn ich die Beipackzettel-«Ergüsse» von all den Medikamenten lesen wollte, die Sie mir verordnen − und wie oft stellen Sie wieder alles um, verordnen andere Medikamente, ändern die Dosis − da hätte ich viel zu tun! Und wer macht mir inzwischen den Haushalt? Vielleicht mein Mann?“
Dr. Perez Cabra stöhnte. So etwas nennt man «widerspenstig».
„Also, bitte: Keine Ausreden! Sie brauchen natürlich nicht erst alle medizinischen Erklärungen im Detail zu lesen und zu verstehen: Es reicht, wenn Sie meine Anweisungen beherzigen. Glauben Sie mir, ich habe kein Interesse daran, Ihnen die kleinen Freuden des Lebens zu vergällen. Aber als Arzt muss ich Ihnen dringend raten, an Ihre Gesundheit zu denken und nicht Ihr Leben aufs Spiel zu setzen!“
Sie zeigte ein pikiertes Gesicht und stützte einen Arm auf, um aufzustehen. Dr. Perez Cabra signalisierte ihr, dass er noch nicht ganz fertig sei. Daraufhin nahm er einige Messwerte noch einmal unter die Lupe und wandte sich schließlich wieder seiner Patientin zu.
„Noch etwas anderes: Ich habe den Verdacht, dass Sie Ihrem Hang zu Zigarillos immer noch huldigen.“ Mit ihrem Gesicht ging innerhalb kurzer Zeit eine erstaunliche Veränderung vor. Sie sprang regelrecht auf, sah ihn streng an und keifte:
„Das hat mir gerade noch gefehlt! Warum kam ich denn zu Ihnen? Natürlich, damit Sie mich kurieren und nicht, damit Sie mir mit moralinsauren Bemerkungen die Stimmung verderben! Ich glaube, ich werde mich doch nach einem anderen Arzt umsehen.“
Sie schnappte sich ein von Dr. Perez Cabra zuvor ausgefülltes Rezept und – erhobenen Hauptes und gemessenen Schrittes – verließ sie den Raum.
Kapitel 2: 3 Jahre danach…
Hans Schauder zog einen Vorhang zurück und blickte auf die Avenida, die sich in der Tiefe ausbreitete. Dass sie beide nun in dieser Metropole zu Hause waren, kam ihm noch unwirklich vor. Almudena, eine junge Spanierin, hatte darauf bestanden:
«Entweder du ziehst nach Madrid oder ich heirate dich nicht!»
Als Fotograf mit unzureichenden Spanisch-Kenntnissen musste er nun gleichsam ins kalte Wasser springen: Wieviel kommt auf mich zu…Eine neue Sprache, Mentalität und Kultur, die Orientierung in einer Millionenstadt, nachdem ich am Rande eines großen deutschen Waldgebietes in einem Dorf aufgewachsen bin.
Madrid…Hans ließ Bildern, die das Wort in ihm auslöste, freien Lauf: Die «Plaza de Cibeles», herrliche Springbrunnen, pompöse Bauten an der «Gran Vía» sowie Gemälde alter Meister aus einem berühmten Museum.
Almudenas Worte hallten ihm noch im Ohr: «Ich werde dir ganz Madrid zeigen.»
Zunächst muss ich hier aber beruflich Fuß fassen. Er löste sich von dem Anblick regen Verkehrs, ging zu seinem Notebook und durchsuchte das Internet nach Einträgen von Fotografen in der spanischen Hauptstadt. In Anbetracht einer großen Anzahl seufzte er. Wie soll ich mich da durchsetzen?
Er erinnerte sich an jenen Abend, an dem seine Frau ihn ihrer Verwandtschaft vorstellte, an den skeptischen Blick seines Schwiegervaters Alfonso. Bestimmt wünschte er sich – auch vor dem Hintergrund der Dauerkrise auf dem Arbeitsmarkt – einen Schwiegersohn mit besseren Berufsaussichten. Verwandte seiner Frau setzten Kenntnisse der spanischen Sprache einfach voraus. Dabei sprachen sie gleich viel lauter, da sie wohl glaubten, der arme Ausländer verstehe sie so besser, so als wäre er schwerhörig. Deutsch hingegen sprachen sie nicht, sah er einmal von jenem Cousin Almudenas ab, der ihm mit Kommentaren wie «Gefallen mir Muller, von FC Bayern Munik, muy fuerte!» in den Ohren lag.
Vor der starken Geräuschkulisse und ständigen Schwierigkeiten in der Verständigung war Hans schließlich mit Kopfschmerzen auf den Balkon geflüchtet, gefolgt von Verwandten, die im Wetteifer Rezepte gegen solche Attacken anpriesen. Hans schien es, als höre er erneut die Bemerkung eines Gastes im Hintergrund:
«Este alemán es algo nervioso, no?» (Dieser Deutsche ist etwas nervös, nicht wahr?) Hans erinnerte sich an Gespräche bei der «Cámara de Comercio de Madrid». Für sein Vorhaben, ein Fotostudio zu eröffnen, konnte ihm niemand große Zuversicht vermitteln. Er sah auf die Uhr: Wann kommt Almudena endlich zurück?
3. Kapitel: Einen Monat später…
Na also, wer sagt es denn! Sein Name war schwarz auf weiß unter «Estudios Fotográficos» zu finden. Endlich war es ihm und seiner Frau auch gelungen, hierfür geeignete Räumlichkeiten zu finden. Peinlich war ihm hingegen, dass sie gezwungen waren, von Almudenas Vater Kredit in Anspruch zu nehmen. Bald war wieder die Wohnungsmiete zu zahlen, dazu noch die Miete für das Studio. Hans spürte, wie angespannt er war.
Er blickte durch die Glasfront hinaus: Zwei Handwerker besprachen sich und sahen dabei an der Wand hinauf. Hans eilte zur Tür und trat hinzu. Vorsichtshalber nahm er eine Visitenkarte mit, auf der sein Name zu lesen war. Wenn Almudena nur hier wäre! Doch seine Frau war in der Stadt unterwegs, um bei «Segunda Mano», einem Gebrauchtwarenladen, nach Mobiliar für ihre Wohnung Ausschau zu halten. Einer der Handwerker zerdrückte eine Zigarette, stieß Rauch aus und warf einen Blick auf die Visitenkarte. Dann schüttelte er zur Beruhigung des Auftraggebers den Kopf:
„No se preocupe, Señor, todo claro!” Der Hinweis, er solle sich keine Sorgen machen, löste bei Hans eher das Gegenteil aus. Mit solchen Floskeln kündigte sich meist Unheil an. Was daraufhin der zweite Handwerker von sich gab, klang eher nach Trommelfeuer aus einer Schusswaffe als nach verständlichem Spanisch.
Hans bat die beiden, langsamer zu sprechen. Die Handwerker traten näher und zeigten nach oben, an die Wand. Hans sah hinauf und erkannte nun seinen vollen Namen in schwungvollen Schriftzügen. Ärgerlich war nur, dass am Ende anstatt einem r ein z stand.
Er wies aufgeregt − „miren Ustedes!” − auf seine Visitenkarte. Es dauerte eine Weile, bis einer der Handwerker den Fehler bemerkte und beschwichtigend gestikulierte. Dann tauchte er den von Farbe triefenden Pinsel ein, um den Irrtum auszubessern. Vielleicht hätte ich mir doch besser ein handfestes Schild gestalten lassen sollen…
Über zwei Wochen waren vergangen, als Hans in seinem Fotostudio kauerte und betrübt vor sich hinblickte. Immer noch kein Kunde, wie soll das weitergehen?! Er betrachtete eine endlose Liste mit Namen und Adressen von Zeitschriften und Werbeagenturen, die er in den letzten Wochen anrief. Ihre stereotypen Antworten: «Wir rufen sie an» oder «wir bleiben in Kontakt», bedeuteten vermutlich nichts anderes als eine Absage. Zum Glück behielt Almudena die Nerven und hielt auch ihrem Vater stand, der hinter dem Rücken seines Schwiegersohnes knurrend die Stichworte «Erntehelfer in Extremadura», in Südwest-Spanien, fallen ließ.
Wie stellt der sich das vor? Soll ich etwa aufgeben, bevor ich richtig angefangen habe, dort arbeiten und nur am Wochenende nach Hause kommen? Hans dachte mit Grimm an seinen eigenen Vater in Deutschland. Anstatt ihn in der schwierigen Anfangszeit zu unterstützen, «erbaute» er ihn am Telefon mit Lebensweisheiten á la «Da musst du jetzt durch, Junge!» Dabei klang seine Stimme so schneidig wie ein frisch geschliffenes Tranchiermesser. Hans betrachtete seine Hände, die jemand einmal als Künstlerhände bezeichnete. In seiner Vorstellung tauchte ein Landwirt auf, der ihn von oben bis unten musterte und wieder nach Hause schickte: «Nehmen Sie es sich nicht zu Herzen, aber Sie und auf dem Feld arbeiten?» Hans rief sich selbst vom Handy auf Festnetz an. Zumindest die Telefonverbindung funktionierte.
Ob ich Handzettel verteilen sollte? Da frage ich besser erst Almudena, ob das hier üblich ist. Nachher sieht es noch so aus, als ob ich es nötig habe. Das Telefon klingelte schrill, Hans zuckte zusammen. Wie war das noch gleich: «Dígame?» Er meldete sich, etwas aufgeregt. Da erkannte er die Stimme seiner Frau.
„Ich habe vergessen dir zu sagen, dass ich heute Abend noch ins Fitnessstudio gehen will. Wie läuft es bei dir?“
„Es hat noch niemand angerufen“, sagte er betrübt.
„Ánimo!“ gab sie zurück. „Nur Mut! Aller Anfang ist schwer, das wird schon!“
Hans verabschiedete sich − „Hasta luego, mi amor“− und war dem Schicksal dankbar, dass ihm eine solche Frau über den Weg gelaufen war. Aber, wird sie in einigen Wochen immer noch Geduld aufbringen, wenn mein Betrieb nicht anläuft?
4. Kapitel: Heute Abend! Sofort!
Es brach langsam Dunkelheit über der Stadt herein, als Almudena nochmals anrief.
„Ich komme leider etwas später, habe eine Schulfreundin getroffen. Um die Ecke ist eine nette Bar, in der es Tapas gibt. Da kannst du etwas essen gehen. Viel Glück!“
Ihre Glückwünsche scheinen auch nicht in Erfüllung zu gehen, dachte Hans trübsinnig. Vor ihm lagen ein Auftragsbuch und teure Füller. In diese war − in goldenen Lettern − Name und Adresse seines Fotostudios eingraviert. Die Besucherecke war verwaist, der Visitenkarten-Stapel hoch. Ein Fenster stand gekippt. So hörte er, wie Wind aufkam. Niemand war gekommen, obwohl ein Schild in beweglichen Leuchtbuchstaben «abierto» – geöffnet – signalisierte. Fehlt nur noch, dass Alfonso auftaucht und mir das Berufsbild eines Kartoffel- und Tomatenpflückers anpreist. Wie ist er eigentlich von Andalusien nach Madrid gekommen? Vor seinem geistigen Auge erstand die Gestalt seines Schwiegervaters, der sein Gegenüber aus tiefliegenden, dunklen Augen zu fixieren pflegte. Dabei glänzten seine schwarzen Haare, als habe er sie mit Olivenöl eingerieben. Was sagte Almudena: Er war Chef eines florierenden, in mehreren Städten tätigen Kutschfahrt-Unternehmens? Hans stellte sich gerade vor, wie Alfonso einen Hengst striegelte und nebenbei mit einer Peitsche knallte, als das Telefon klingelte. Er legte sein Wörterbuch in Reichweite und atmete tief durch: „Dígame“
Am anderen Ende hörte er Husten, dann trat Stille ein. Hans nannte den Namen seines Studios und geriet sprachlich ins Stocken. Für die Anfangszeit müsste ich eine Hilfskraft einstellen, die Telefonate entgegennimmt. Aber wovon soll ich sie bezahlen? Nun vernahm er die raue Stimme einer Frau:
„Es usted alemán, verdad?“
Wie peinlich! Also hört man an meinem Akzent, dass ich Deutscher bin. Er versuchte, ihr zu erklären, dass er sein Geschäft neu eröffnet habe und…Sie unterbrach ihn. Ihre Sprache kam ihm spanisch vor:
„Aber Sie verstehen Ihr Handwerk?“
Dann fügte sie noch etwas hinzu. Verflixt, was hat sie gesagt: «Urgente»? Also ist es dringend! „Muy urgente!“ wiederholte die Anruferin und fügte hinzu:
„Ich werde sehr gut zahlen!“
Hans horchte auf und zückte Adressblock und Kuli.
„Sie müssen allerdings heute Abend kommen, sofort!“
„Sí, sí“, stammelte Hans, „claro, Señora! Y dónde?“
Wo wohnt sie? Ich muss unbedingt einen «Spanisch-Intensivkurs» belegen. Aber wenn ich dann im Kurs sitze, ruft hier garantiert jemand an.
„Ich brauche Sie für ungewöhnliche Aufnahmen. Hier bei mir, bei uns. Ein besonderer Anlass. Sie haben Glück. Ich habe es bei anderen Fotografen versucht, vergeblich.“
Sie haben Glück, sagt sie. Und Almudena wünschte mir Glück. Also hat es doch geholfen. Hans bat die Dame, die er als «älter» einschätzte, den Namen der Straße zu wiederholen. Sie ratterte Name, Straße, Hausnummer nur so herunter. Hans traute sich kaum, das Ganze nochmals zu wiederholen.
„No, no!“, protestierte sie. „No es correcto!“ Hans schlug hastig einen Stadtführer auf. Wo ist der Metro-Plan? Während er sich suchend umsah – ah, da steckt er! – legte sie schon wieder los. Ihm schien, als habe er nun die Metrostation «Puerta de Arganda» herausgehört. Doch «Avenida de América, Principe de Vergara»? Meinte sie damit Umsteigestationen? Er brachte sie mit Mühe dazu, ihren Namen zu wiederholen. Sie gab nochmals die Straße durch: Numero 77, segunda a la derecha? Die zweite rechts? Hans wollte auf Nummer sicher gehen: „repito“ Doch aus der Wiederholung wurde nichts, sie legte auf. Hans griff zum Telefonbuch, blätterte, suchte, verglich Namen, bis er endlich fündig wurde.
«Ungewöhnliche Aufnahmen»: Was für ein Anlass? Sofort? Dabei habe ich noch nichts gegessen. Aber sie wird sehr gut zahlen…Hoffentlich erinnert sie sich später noch daran…Gar nicht auszudenken, wenn es länger dauert, bis ich die Adresse finde, sie in der Zwischenzeit doch noch einen anderen Fotografen anruft, ich umsonst hinfahre und mir auch noch Fahrtkosten entstehen. Aber es wird schon alles gut gehen. In seiner Vorstellung tauchte eine Adelige auf, die einem ihrer Pagen mit Fingerschnippen kühl Anweisung gab, einen großen Stapel Geldscheine auf ein Silbertablett zu legen, sie ihm nach getaner Arbeit auszuhändigen und den Gast dann formvollendet hinauszukomplimentieren.
Hans packte seinen Notizblock mit der Adresse, Mobiltelefon, Visitenkarte, Stadtführer «Guía de Madrid» samt Metroplan ein, verstaute alles in einer großen Fototasche, in der er seine ganze Foto- und Beleuchtungsausrüstung aufbewahrte. Almudena rufe ich von unterwegs an. Er sah sich noch einmal um – habe ich auch nichts vergessen? – schloss hinter sich ab und eilte zur nächsten Metrostation.
Kapitel 5: Sie kommen spät!
Hans warf einen Blick auf die Hinweistafel: «PROXIMO TREN LLEGADA EN: 03 MINUTOS» entzifferte er und übersetzte dies in: «NÄCHSTER ZUG ANKUNFT IN: 3 MINUTEN»
Wenn Alfonso wüsste, dass ich zu einer Kundin unterwegs bin! Zum Glück hat mir Almudena gezeigt, wie man Metrotickets löst. Hans war beeindruckt von Scharen von Menschen, die in alle Richtungen ausschwärmten, hier aus einer Metro heraus-, dort in eine andere Metro hineinströmten. Er sah Leuten nach, blickte in Gesichter und warf dann einen Blick auf den Metroplan: So viele Stationen…In meinem Heimatort gibt es gerade einmal einen Bus, und der fährt auch nicht immer! So über den Plan gebeugt, mochte ihn manch einer für einen Touristen halten, der erstmals über die Grenzen seiner Provinz hinausgekommen ist. Hans fuhr mit dem Finger über Stationen. Die Metro fuhr ein und kam langsam zum Stillstand: Ein Schwung Passagiere drängte hinaus, Nachschub hinein. Hans wurde angerempelt, wich aus und stieg ein.
Eine halbe Stunde später lauschte er verzweifelt den Ausführungen eines älteren Herrn, der die Adresse seiner ersten Kundin in Augenschein nahm, den Kopf schüttelte und schließlich einen Zeigefinger ausstreckte: „Nein, da mussten Sie nicht aussteigen. Wenn Sie aber jetzt die Linie gegenüber, am anderen Bahnsteig nehmen und dann an der 3. Station umsteigen, so müssten Sie − Moment, ja, doch! −gleich Anschluss bekommen.“
Hans dankte und machte sich auf den angezeigten Weg. Jetzt habe ich auch noch Zeit verloren. Er fühlte sich wie ein Ruderer, dem ein Paddel zerbrochen ist. Zugleich erklang in seiner Erinnerung Almudenas Stimme: Ánimo! nur Mut! Er schaute nervös auf die Uhr.
Endlich war er in der gesuchten Straße angekommen. Wenn die Hausnummer nicht stimmt? Dunkel ist es hier, ich hätte eine Taschenlampe mitnehmen sollen! Er rief schnell Almudena an und informierte sie über seinen Kundentermin.
„Muy bien, me alegro!“ gab sie erfreut von sich, „todo irá bien, alles wird gut gehen.“
Hans beendete das Gespräch und sah sich um. Was für eine abgelegene Straße, wo sind die Straßenlampen? Aus hochgelegenen Fenstern gegenüber fiel trübes Licht. Und wenn ich die Hausnummer finde, aber die Klingel nicht? Ruhig bleiben, suggerierte er sich, tranquilo! Sie kann froh sein, dass ich so spät noch komme. Ein schöner Zug von mir, bei der Flut von Aufträgen. Hans entdeckte eine Hausnummer − oh, ich bin auf der falschen Seite – und überquerte die Straße. In diese Richtung, ja, die Nummern steigen an. Er beschleunigte seinen Schritt.
Endlich stand er vor dem gesuchten Haus. Die Eingangstür flog auf. Ein Mann musterte ihn argwöhnisch und hielt die Tür mit einem Fuß offen. Hans sprach ihn an und nannte die gesuchte Hausnummer.
„Ja, das stimmt.“
Er ließ die Tür zufallen.
„Aber klingeln müssen Sie schon selbst. Ich lasse niemand ins Haus, schon gar nicht Unbekannte!“