Abschied von Havanna - Paul Baldauf - E-Book

Abschied von Havanna E-Book

Paul Baldauf

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Beschreibung

Die Erzählungen dieses Buches führen an geographisch weit gespannte Schauplätze, die von Spanien (Santiago de Compostela) über Kuba (Havanna) und Italien (u. a. Padua und Rom), bis in den Vatikan reichen. Auch inhaltlich sind sie vielfältig: So finden sich neben realistischen Erzählungen, die nachdenklich stimmen, unterhaltsame und auf die Schilderung autobiografischer Erlebnisse (von spannend bis heiter) folgen phantasievolle, bis phantastische Geschichten: Wird sich ein «mexikanisches Verwirrspiel» auflösen und wohin entführt «Massimo» zwei junge und mittelose Reisende in Italien? War es ein fataler Fehler, einem Unbekannten in Padua in seine Wohnung zu folgen und: Mit wem führt Papst Franziskus im Apostolischen Palast ein Gespräch? Ein Aufenthalt in einem römischen Dampfbad nimmt ein überraschendes Ende und eine unerwartete Begegnung in Havanna wird unvergesslich bleiben…

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Seitenzahl: 67

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Paul Baldauf

Abschied von Havanna

Erzählungen

© 2020 Paul Baldauf

Umschlag: Paul Baldauf

Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback  978-3-347-14158-2

Hardcover  978-3-347-14159-9

e-Book         978-3-347-14160-5

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhalt

MEXIKANISCHES VERWIRRSPIEL

ABSCHIED VON HAVANNA

PASTA ODER ADENAUER?

KOMM SCHON, FRANCESCO

STILLE TAGE IN PADUA – ODER: 14,

SENKRECHT

SCHWERHÖRIG?

FRANZISKUS TRIFFT FRANZISKUS

Über den Autor

MEXIKANISCHES VERWIRRSPIEL

Kapitel 1

Es war an einem Tag im November.

Während ich mich, inmitten des historischen Zentrums von Santiago de Compostela, dem «Hotel Real» nähere, regnet es. Diana, die Rezeptionistin, begrüßt den neuen Gast, wirft einen Blick nach draußen und erklärt:

«Hier ist der Regen ein beinahe dauerhaftes Phänomen.»

Sie sollte recht behalten: Die ganze Woche hindurch sehe ich so viele mit Regenschirm ausgerüstete Menschen, dass mir scheint, beschirmt unterwegs zu sein, muss hier eine Art Volkssport sein. Das unverwechselbare Geräusch des Regens, der auf Gassen, Straßen und Plätze, auf windschiefe, graue Schieferdächer und prächtige Bauten niedergeht, begleitet mich, als ich mich zu späterer Stunde der Kathedrale annähere und in Gassen dem Gemurmel von Leuten lausche, die Restaurants und Cafés verlassen. Regen fällt und fällt und scheint sich mit dem Klang keltischer Musik zu vermischen, die in der Nähe von Souvenirläden zu hören ist. Die Fülle der ausgestellten Waren, Tücher, filigranen Fächer, des vielgestaltigen Kunsthandwerkes, erschwert die Auswahl. Da lugt auf einmal eine junge Frau hinter der Ladentheke hervor und fragt mit sanfter Stimme:

„Suchst du etwas Bestimmtes?“

Was für ein reizender Akzent, denke ich, während ich ihrem Tonfall, dem Klang ihrer sich daran anschließenden Worte lausche. Ob sie Mexikanerin ist?

Sie heiße Lorena, verrät sie und stamme aus der Stadt Zitácuaro in Michoacán. Ich bemühe mich vergeblich um geografisch stimmige Einordnung, sichere ihr jedoch zu, dass ich zurückkehren werde. Von dem Überangebot an Souvenirs leicht verwirrt, muss ich zunächst meine Gedanken sortieren.

Als ich am nächsten Tag durch das Labyrinth der Gassen streife, finde ich den Laden wieder.

„Hallo, Lorena!“

Sie schütttelt freundlich, aber bestimmt den Kopf.

„Ich bin nicht Lorena. Ich heiße Fabiola!“

Beliebt sie zu scherzen? Ich erinnere mich genau, sie heißt Lorena! Ich spreche dies im Brustton unerschütterlicher Überzeugung aus. Mein Gegenüber lächelt und schüttelt ihren von dunklem, langem Haar umrahmten Kopf.

„Nein, das ist mein Schwesterherz, Lorena! Ich bin Fabiola! Hat sie dir nicht von mir erzählt?“

Das ist unmöglich: Die gleiche Figur, Kleidung, Stimme, Form und Farbe der Haare und schließlich legt sie dieselbe liebenswürdige Art an den Tag. Ich will gerade protestieren, als sie ausruft:

„Wir sind Zwillinge!“

Ich werfe einen prüfenden Blick auf sie. Will sie ein Spiel mit mir treiben, mich in die Irre führen, sich auf meine Kosten lustig machen? Nach einer Weile beginne ich ihr zu glauben, scheint mir doch, sie spreche etwas schneller als die junge Frau, mit der ich zuerst sprach. Oder vielleicht doch nicht?

Wieder lässt sie ihre melodisch-zarte Stimme hören:

„Es ist ganz einfach: Meine Schwester arbeitet in dem Souvenirshop da drüben, dort, an der Straßenecke und ich, ich arbeite hier.“

Sie begleitet mich einige Schritte und gibt mir noch einen Fingerzeig mit auf den Weg.

Morgen, so denke ich, nachdem ich mich – von wem nun? – verabschiedet habe, muss ich endlich noch einige Souvenirs kaufen.

Kapitel 2

Am folgenden Tag kann ich mich zu meiner Bestürzung kaum noch erinnern, wo die Gasse zu finden ist, in der Fabiola arbeitet. Warum habe ich mir den Straßennamen nicht notiert, die Lage im Stadtplan nicht markiert? Ich irre umher, biege hoffnungsvoll in Gassen ein und verlasse sie wieder enttäuscht, bis mir endlich ein Licht aufgeht: Da drüben, das muss es sein! Ich trete beschwingt in den Laden und rufe mit triumphierender Stimme:

„Hallo, Fabiola! Wie geht es dir?“

Sie schüttelt den Kopf und sagt:

„Ich heiße nicht Fabiola! Ich bin Lorena. Erinnerst du dich nicht an mich?“

Nun scheint es, als lege sich ein dezenter Schleier der Enttäuschung über ihr – Fabiolas? Lorenas? – Gesicht.

In mir steigt leichter Argwohn auf. Empfindet sie etwa Vergnügen dabei, mich an der Nase herumzuführen? Schnellere Sprechweise? Das läßt sich ohne weiteres künstlich herbeiführen. Die Kleidung, die Statur sind auf Anhieb nicht unterscheidbar. Wer steht vor mir? Aber sie sprach doch von «zwei Läden». Halt mal…

Ich sehe mich rasch um, aber die Läden sehen sich alle ähnlich. Wer auch immer sie ist, sie macht ihre Rechnung ohne den Orientierungssinn eines potentiellen Kunden, der nun Einspruch erhebt.

„Das ist nicht möglich, du bist Fabiola! Gestern habe ich dir von meiner Heimatstadt erzählt. Erinnerst du dich nicht?!“

Ich lasse einige Sekunden verstreichen, wobei ich mir vorstelle, was für eine reumütigverschämte Miene die überführte Fabiola beim Geständnis eines fehlgeschlagenen Streiches gleich aufsetzen wird.

„Hör mal”, bringt sie auf einmal vor, „was kann ich dafür? Ich bin nicht Fabiola, sondern Lorena, mit der du zuerst gesprochen hast! Fabiola arbeitet heute gar nicht, und ihr Laden liegt weiter hinten, dort, an der Ecke, schau!“

Drei Tage vergehen, in denen ich immer noch nicht alle Souvenirs beisammen habe und in denen ich – mit wem? – weitere Gespräche führe.«

Und wenn sie tatsächlich Zwillinge sind? Aber selbst wenn es so ist, vielleicht gibt Lorena sich dann dennoch als Fabiola aus und Fabiola als Lorena?»

Die ungeklärte Frage löst beim Reisenden ein Gefühl aus, wie es jemand empfinden mag, der zu lange Karussell gefahren ist.

Am Tag vor der Abreise erinnere ich mich plötzlich an ein verräterisches Detail. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Lorena trägt Ohrringe!

Ein neuer Tag bricht an, und mich überkommt ein nostalgisches Gefühl. Bevor ich den Weg zum Bahnhof einschlage, will ich meine neuen Bekannten noch einmal besuchen. Ich betrete den Souvenirladen, der meinem Hotel näher liegt und begrüße Lorena:

„Hallo! Ich fahre heute nach Hause.“

„Wir schreiben dir!“

Ein Blick auf die Uhr, die Zeit drängt!

„Ich will mich noch von Fabiola verabschieden“ und schon öffne ich die Tür. Ich habe bereits einen Fuß auf die Schwelle gesetzt, als mich ihre Stimme erreicht.

„Wie bitte? Von F a b i o l a? Wie soll das gehen, wo ich doch Fabiola bin!“

Genug gescherzt, denke ich, der ich nun meine Beobachtungsgabe mit Hinweis auf die Ohrringe an den Tag lege. So ähnlich wird sich ein Kartenspieler fühlen, der auf einmal ein Ass hervorzaubert und es siegessicher auf den Tisch knallt.

„Ach, so! Manchmal zieht Lorena sie an, manchmal ich“, gibt sie lächelnd zurück.

Tage danach: Wieder in Deutschland, trifft eine Nachricht bei mir ein, die mir spanisch vorkommt:

«Erinnerst du dich noch an uns? Meine Schwester und ich senden dir viele liebe Grüße! Mit Zuneigung, Lorena.»

Lorena? In der Erinnerung steht sie wieder vor mir, die junge Mexikanerin, die ich zuerst traf…Oder war sie vielleicht doch Fabiola?

ABSCHIED VON HAVANNA

Kapitel 1

Er schaute noch einmal hinaus auf das Meer und in die Ferne, zur Festungsanlage «Castillo del Morro» und dem aus ihr herausragenden Leuchtturm. Dann sah er dem Spiel der Wellen zu, wie sie langsam, aber unaufhaltsam heranrollten, sich an Felsen brachen, hell aufschäumten. Ein letztes Mal am «Malecón».

Noch blieb etwas Zeit. Er ließ seinen Blick über die Ufermauer aus Stein, die sich scheinbar endlos hinziehende Uferstraße wandern, die die Altstadt von Havanna mit dem Stadtteil Vedado verbindet.

Menschen, vermutlich Einheimische, saßen behaglich zurückgelehnt auf der Mauer, ließen die Beine baumeln und vermittelten, ins Gespräch vertieft, den Eindruck, als hätten sie alle Zeit der Welt. Ein Paar schlenderte vorbei und ließ mit kubanischem Akzent spanische Laute hören, während – in akustischer Reichweite – jemand die Seiten einer Gitarre zum Klingen brachte.

Langsam brach über Havanna Dunkelheit herein, der Abendhimmel veränderte sich zusehends. Nur noch wenige hellere Flächen waren am Himmel zu sehen, während dunklere Wolken sich in den Vordergrund schoben: Ein Spiel von Farben und Formen, auf seine Art nicht weniger imposant als das Spiel der Wellen.