Alkohol und Drogen in der Familie - Regina Kostrzewa - E-Book

Alkohol und Drogen in der Familie E-Book

Regina Kostrzewa

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Beschreibung

Suchtmittel Nummer eins ist der Alkohol. Kinder und Jugendliche kommen entsprechend früh mit Alkohol in Berührung, teilweise auch mit anderen Drogen. Dieses Präventionsbuch für Eltern und pädagogisch Tätige vermittelt, wie sie einem übermäßigen Konsum bzw. dem Konsum überhaupt vorbeugen können. Dabei werden die Vorbildfunktion der Eltern und innerfamiliäre Regeln vorgestellt mit Bezug auf das Kommunikationsverhalten zwischen Eltern und Kindern. Auch Risikogruppen stehen im Fokus: Angehörige von Suchterkrankten und Eltern, die eine Suchterkrankung überwunden haben, finden Hilfe für den Alltag. Das Buch arbeitet mit zahlreichen Beispielen sowie Eltern- und ExpertInneninterviews - so wird das Thema Alkohol und Drogen gerade für Eltern lebensnah veranschaulicht.

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Praxiswissen Erziehung

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

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Die Autorin

Prof. Dr. Regina Kostrzewa ist Professorin für Soziale Arbeit im Dualen Studium der Internationalen Hochschule und Akademische Standortleitung in Bremen. Zuvor war sie in Leitungsfunktionen 25 Jahre in der Suchtarbeit und Prävention in Schleswig-Holstein tätig und ist seit 1991 Lehrbeauftragte zum Thema »Prävention und Suchtvorbeugung in Theorie und Praxis« an der Fachhochschule Kiel. Ihre Promotion erfolgte zum Thema Alkoholprävention bei Jugendlichen. Darüber hinaus ist sie im wissenschaftlichen Beirat des Fachverbandes Drogen und Suchthilfe e. V. und bietet im Rahmen des jährlichen Kongresses ein Suchtforschungssymposion an. Außerdem engagiert sie sich ehrenamtlich im Feld der Suchtprävention, Resilienzförderung und Gesundheitskompetenz im betrieblichen und schulischen Kontext.

Regina Kostrzewa

Alkohol und Drogen in der Familie

Präventionswissen für Eltern und pädagogische Fachkräfte

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-037659-5

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-037660-1

epub:        ISBN 978-3-17-037661-8

Geleitwort

 

 

Wir, d. h. unsere Gesellschaft, haben ein schwieriges Verhältnis zum Alkohol. Einerseits ist er überall. Von der Taufe bis zur Beerdigung gibt es keine Festivität ohne Sekt, Wein, Bier oder Härteres. Andererseits haben diejenigen, die mit Alkohol nicht zurechtkommen, sich oft betrinken und in eben dieser durchalkoholisierten Gesellschaft auffällig werden, einen schweren Stand. Mit den Drogen ist es nicht besser: Die Politik schwankt zwischen Strafen und Legalisierung, was einen ständig zunehmenden Gebrauch von überhaupt nicht harmlosen Substanzen zur Folge hat.

Vor so einem Hintergrund scheint es nahezu unmöglich, Kinder und Jugendliche zum richtigen Umgang mit dem Alkohol zu erziehen. Wie sollen wir zu etwas erziehen, wovon wir selbst keine klare Vorstellung haben?

Hier bietet das Buch von Frau Professorin Regina Kostrzewa ausgezeichnete Hilfestellungen. Sie ist durch ihren beruflichen Werdegang ausgewiesene Fachfrau für das Thema, kennt alle professionellen Ansätze in Prävention und Suchthilfe, und auch der politische Diskurs ist ihr vertraut. Auf dieser Grundlage betet sie nun aber nicht die üblichen Glaubenssätze der Profis herunter, die sich von der Lebenswirklichkeit ganz normaler Familien entfernt haben, die oft verzweifelt einen gangbaren Weg im Umgang mit Alkohol und Drogen suchen.

Stattdessen lässt sie sich klar, verständlich und transparent auf die Lebenswirklichkeit in den Familien ein, befreit Eltern von den üblichen Selbstvorwürfen, erklärt, was Erziehung und Prävention miteinander zu tun haben, und setzt sich mit Genuss und Konsumverhalten auseinander. Sie spart den schwierigen Dialog in suchtbelasteten Familien nicht aus und versucht dem Wunsch suchtkranker Eltern gerecht zu werden, wenigstens bei ihren Kindern etwas besser zu machen. Besonders schön ist das Schlusskapitel »Von Sinnen und Gefühlen im Dialog«, in dem praktische Handlungsempfehlungen für pädagogische Fachkräfte auf der Grundlage von Achtsamkeit und Gefühlswahrnehmung gegeben werden und gezeigt wird, wie Wege und Regeln im Umgang mit abhängig machenden Substanzen in den verschiedenen Altersstufen gefunden werden können.

Ich habe keine Zweifel, dass dieses durch und durch gelungene Buch viele dankbare Leser_innen finden wird.

 

Prof. Dr. med. Josef Aldenhoff, Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, em. Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Danksagung

 

 

Bedanken möchte ich mich bei allen, die mich auf unterschiedlichste Art und Weise bei der Erstellung dieses Buches unterstützt haben.

Als erstes möchte ich mich bei Prof. Dr. Josef Aldenhoff ganz herzlich bedanken. Schon am Anfang bei der Erstellung der Gliederung konnte ich mit ihm den Aufbau des Buches diskutieren und erhielt auch zwischenzeitlich zu den Kapiteln motivationsfördernde Feedbacks. Josef, selbst erfahrener Buchautor, ›schenkte‹ mir das Geleitwort, obwohl er selbst gerade in der Endphase eines seiner Bücher steckte.

Mein besonderer Dank gilt Gunhild Heidermann und Peter Röhling! Gunhild hat das gesamte Buch teils mehrfach in kürzester Zeit Korrektur gelesen, was mir die Arbeit sehr erleichterte. Und mit Peter Röhling – meinem alten Wegbegleiter – stand ich kontinuierlich im fachlichen Austausch, wir haben Kapitelweise diskutiert. Seine schnellen Rückmeldungen gaben mir häufig die notwendige Sicherheit zur Weiterarbeit. Es bestärkte mich, neben meiner ausfüllenden Arbeit an der Internationalen Hochschule (IU), stetig am Buch weiterzuschreiben.

Ebenfalls möchte ich meinem ehemaligen Kollegen Hinnerk Frahm herzlich danken. Auch mit ihm stand ich am Anfang und am Ende der Schreibphase im Austausch und erhielt wertvolle Anregungen zu einigen Kapiteln.

Besonders hervorheben möchte ich die unermüdliche Unterstützung – auch weit über die übliche Arbeitszeit hinaus – durch meine Studentische Hilfskraft Carmen Thater bei den vielen zeitaufwendigen ›Kleinarbeiten‹ und dem technischen Support – ein großes Dankeschön dafür!

Ganz besonders möchte ich mich bei all meinen Interviewpartner_innen bedanken: für ihre offenen und ehrlichen Berichte aus ihrem persönlichen Leben, die dieses Buch auf besondere Weise lebendig werden lassen und so die theoretischen Ausführungen für die Leser_innen leichter nachvollziehbar machen.

Auch bei meinen Freund_innen und meiner Familie möchte ich mich für die vielen positiven und wertschätzenden Worte und ihr Verständnis bedanken. Nicht zuletzt gilt mein besonderer Dank meinem Mann und unserer Tochter, denen ich die kleinen Anekdoten aus unserem Familienleben verdanke, die ich in diesem Buch preisgeben durfte. Es ist schön, authentisch sein zu können und nicht nur über ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes und genussorientiertes Leben theoretisch zu schreiben, sondern sich als konsumkompetente Familie gemeinsam den täglichen Herausforderungen zu stellen und sie gemeinsam zu meistern.

 

Regina Kostrzewa

Inhalt

 

 

Geleitwort

Danksagung

Einleitung

1         Eltern sind nicht allein verantwortlich

1.1      Gesellschaftlicher Umgang mit Alkohol und Drogen

1.2      Umgang mit Alkohol

1.3      Umgang mit Tabak

1.4      Umgang mit Cannabis

1.5      Umgang mit illegalen Drogen

2         Erziehung ist die beste Prävention

2.1      Konsumverhalten: Die Familie im Säuglings- und Kleinkindalter

2.2      Bindungsverhalten: Frühe Einflüsse der Bezugspersonen

2.3      Kompensationsverhalten: Umgang mit unangenehmen Gefühlen

2.4      Kommunikationsverhalten: Kontakte zwischen Eltern und Kind

3         Elternverhalten: Schlechtes Vorbild oder gutes Modell?

3.1      Elterliche Regeln zum Konsumverhalten bei Kindern im Grundschulalter

3.2      Vorbildverhalten am Beispiel Tabakkonsum

3.3      Familienregeln aufstellen

3.3.1   Gespräche führen

3.3.2   Rahmenbedingungen bedenken

4         Weniger Alkohol – mehr Genuss

4.1      Elterliche Regeln zum Konsumverhalten in der beginnenden Pubertät

4.2      Verzicht fördert Genuss – Gemeinsam geht es besser!

4.3      Vereinbarungen treffen

4.3.1   Positives Loben

4.3.2   Gesprächsführung bei Regelverstößen

5         Loslassen statt Fallenlassen

5.1      Umgang mit riskant konsumierenden Jugendlichen

5.2      Entwicklungsaufgaben und Funktionen des Substanzkonsums

5.2.1   Identitätsfindung akzeptieren

5.2.2   Soziale Beziehungen zulassen

5.2.3   Lebensplanung und -gestaltung unterstützen

5.3      Konsumverhalten aushandeln

5.4      Entwicklungsprobleme erkennen

5.5      Problemgespräche führen

6         Ansprechen statt Schweigen

6.1      Sucht im Familiensystem

6.2      Unterstützung durch Angehörige in suchtbelasteten Familien

6.2.1   Ansprache durch Angehörige

6.2.2   Motivierende Gespräche mit Betroffenen führen

6.3      Lebensbedingungen in suchtbelasteten Familien verstehen

6.3.1   Soziale Ausgrenzung vermeiden

6.3.2   Problematisches Elternverhalten wahrnehmen

6.3.3   Verhaltensmuster der Kinder erkennen

6.4      Hilfe bei Kindeswohlgefährdung

6.4.1   Unterstützung durch Selbsthilfegruppen

6.4.2   Professionelle Beratung einholen

7         Chancen für neue Wege

7.1      Krisen und Veränderungen in der Familie sehen

7.2      Suchtfördernde Strukturen in der Familie erkennen

7.3      Auch betroffene Eltern wollen gute Eltern sein

7.3.1   Umgang von betroffenen Eltern mit dem Konsum ihrer jugendlichen Kinder

7.3.2   Gemeinsamkeiten in Selbsthilfegruppen finden

8         Von Sinnen und Gefühlen im Dialog – Praktische Handlungsempfehlungen für pädagogische Fachkräfte

8.1      Mit allen Sinnen – Praktische Methoden für den Kindergarten

8.2      Auf die Gefühle kommt es an – Praktische Methoden im Grundschulbereich

8.3      Chaos der Gefühle – Praktische Methoden für die Pubertät

8.4      Erwachsen werden – Praktische Methoden für Heranwachsende

8.5      Eltern im Dialog – Praktische Methoden für die Elternarbeit

8.5.1   Vom Fehlerfahnder zum Schatzsucher

8.5.2   Eltern Halt geben – Strategien von Anfang an

8.5.3   Goldene Regeln? Konsumverhalten beeinflussen

9         Schlussworte

Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

 

 

Rauchen und Alkoholkonsum sind ein Teil unseres gesellschaftlichen Lebens. Kinder und Jugendliche sehen im Alltag viele Menschen, die in den unterschiedlichsten Situationen Substanzen konsumieren und deren Wirkungen miterleben. Eltern haben die Aufgabe, ihren Kindern schon früh einen kritischen Blick auf den Konsum zu vermitteln und ihnen ein gutes Vorbild zu sein. Da stellt sich schnell die Frage, wie kann es gelingen, ein gutes Vorbild zu sein, wenn man selbst raucht und Alkohol trinkt?

Diese Frage erfordert eine komplexe Antwort, da sie individuell abhängig von der Lebenswelt des Einzelnen beantwortet werden muss. Grundsätzlich lässt sich hier schon einmal festhalten, dass es einen selbstkritischen Blick auf das eigene Verhalten erfordert, was nicht immer einfach und angenehm ist. Eher im Gegenteil! Die meisten Menschen empfinden es als schwierig, sich dieser Aufgabe zu stellen und nach einer individuellen Antwort zu suchen. Ehrlich gesagt, ist das auch nicht verwunderlich, denn der oft lockere gesellschaftliche Umgang mit Alkohol und Drogen macht es Eltern auch nicht leicht, eine gute Orientierung zu erlangen. Nahezu in allen Lebensbereichen wird z. B. Alkohol konsumiert! Insbesondere bei allen Feierlichkeiten: von der Taufe über die Konfirmation, die Abschlussprüfungen, die Hochzeit, das Jubiläum bis zur Beerdigung. Insofern kann man festhalten: »Eltern sind nicht allein verantwortlich« für das Bild, das unsere Kinder vom Alkoholkonsum haben, was ja auch beruhigend für Eltern sein kann und im ersten Kapitel genauer erläutert wird (Kap. 1).

Die Vermittlung eines angemessenen Umgangs mit Alkohol und Drogen in der Familie stellt sich als große Herausforderung dar. Genau genommen kann diese Herausforderung als ein Teil des Elternseins betrachtet werden, der ein umsichtiges Vorgehen erfordert im Sinne von »Erziehung ist die beste Prävention«, wie es im zweiten Kapitel heißt. Hier werden insbesondere Eltern von ganz kleinen Kindern angeregt, ihr eigenes Konsumverhalten unter die Lupe zu nehmen. Denn schon im Säuglings- und Kleinkindalter werden Grundlagen gelegt, die ein positives Heranwachsen fördern können. In diesem Kapitel wird auch der Blick auf das Bindungsverhalten der Eltern zum Kind gerichtet und herausgearbeitet, welche Auswirkungen frühe Einflüsse auf die Kindesentwicklung haben. Das Erlernen von Kompensationsverhalten bei unangenehmen Gefühlen sowie das Kommunikationsverhalten zwischen Eltern und Kind sind hier auch in den Fokus genommen, um praxisorientierte Hinweise abzuleiten (Kap. 2).

Das dritte Kapitel konzentriert sich auf das Thema »Eltern als Vorbild« und geht dabei insbesondere auf Kinder im Grundschulalter ein. In diesem Alter übernehmen die Eltern eine zentrale Vorbildfunktion, was das Konsumverhalten ihrer Kinder anbelangt. Beispielhaft wird der Tabakkonsum fokussiert, und es werden Möglichkeiten vorgestellt, wie sich Familienregeln aufstellen und Gespräche mit den Kindern führen lassen (Kap. 3).

Das darauffolgende Kapitel konzentriert sich auf elterliche Regeln zum Konsumverhalten ihrer pubertierenden Kinder. Nach dem Motto »Weniger Alkohol – mehr Genuss« werden kreative Wege vorgestellt, wie der Genuss durch Mäßigung oder Verzicht gefördert werden kann. Ziel ist es, die Eltern dabei zu unterstützen, mit ihren jugendlichen Kindern gemeinsam Vereinbarungen zu treffen, Positives zu loben und eine gelungene Gesprächsführung bei Regelverstößen zu erreichen (Kap. 4).

Die Lebensphase der späten Pubertät ist häufig begleitet von riskantem Substanzkonsum. Auf den Umgang damit wird im fünften Kapitel eingegangen. Eine entwicklungspsychologische Betrachtung ermöglicht dem_der Leser_in die Funktionen des Substanzkonsums nachzuvollziehen und die Entwicklungsaufgaben der Heranwachsenden zu verstehen, die von Identitätsfindung über das Knüpfen sozialer Beziehungen bis hin zur Zukunftsplanung reichen. Die Herausforderungen für die älteren Jugendlichen erhöhen auch den Bedarf an Gesprächskompetenz bei den Eltern, um Entwicklungsprobleme zu erkennen, Konsumverhalten auszuhandeln und Problemsituationen zu bewältigen (Kap. 5).

Das sechste Kapitel richtet den Fokus von außen auf die Familie, in der Suchtbelastungen vorliegen. Es werden Strategien für Angehörige vermittelt, die suchtbelastete Familien unterstützen wollen. Über das Wissen der Entwicklungsphasen und Folgen hinaus werden Beispiele von Motivierender Gesprächsführung einbezogen, die die Vermeidung sozialer Ausgrenzung erläutern. Darüber hinaus werden professionelle Beratungsangebote wie auch Selbsthilfegruppen vorgestellt (Kap. 6).

Daran anknüpfend folgt ein Kapitel, das sich an betroffene Eltern richtet, die erfolgreich ihre Suchterkrankung überwunden haben und Möglichkeiten des Umgangs suchen, um innerhalb ihrer Familie mit ihren Kindern abstinent leben zu können. Es bieten sich Chancen für neue Wege, die gemeinsam im Alltag umgesetzt werden können (Kap. 7).

Insgesamt wird der Fokus hauptsächlich auf den Umgang mit Alkohol gelegt, weil er gesamtgesellschaftlich betrachtet das größte Problem darstellt. Allerdings lassen sich die Empfehlungen und die Gesprächsführungsregeln weitestgehend auf andere Substanzen übertragen.

Das achte Kapitel richtet sich an pädagogische Fachkräfte, die mit Eltern und Kindern im Kontext von »Erziehung zwischen Rausch und Risiko« arbeiten. Hier werden entsprechend der Entwicklungsphasen vom Kleinkind, Grundschulkind, Jugendlichen bis zum Heranwachsenden bzw. für die Elternarbeit selbst Handlungsempfehlungen und praktische Methoden zur konkreten Umsetzung im Arbeitsalltag sowie Best-Practice-Projekte vorgestellt (Kap. 8).

Das letzte Kapitel enthält Schlussworte, die fünf Regeln für eine Erziehung zur Konsumkompetenz einbeziehen (Kap. 9).

1

Eltern sind nicht allein verantwortlich

 

 

Der Konsum von Alkohol, Tabak und anderen Drogen ist in unserer Gesellschaft weit verbreitet. Viele gesellschaftliche Anlässe sind geprägt vom Konsum dieser stimulierenden Substanzen. Vorneweg der Alkohol, der wie selbstverständlich z. B. bei festlichen Anlässen im privaten wie im beruflichen Bereich dazugehört und es schon förmlich einer Entschuldigung bedarf, wenn man auf Alkohol verzichten möchte. So ist es auch naheliegend, dass die Verantwortung des Erlernens eines bewussten Umgangs mit Alkohol und anderen Drogen nicht allein bei den Eltern liegen kann. Natürlich kommt den Eltern als direktes Vorbild für ihre Kinder eine zentrale Bedeutung zu, aber die alltägliche Konfrontation unserer Kinder und Jugendlichen damit, verlangt auch eine allgemein gesellschaftliche Verantwortung. Diese zeigt sich in den politischen Entscheidungen für Präventionsmaßnahmen struktureller Art wie z. B. Nichtraucherschutzgesetz und in kommunikativer Form wie z. B. direkter Präventionsangebote in Kita und Schule. Insofern können Eltern sich zwar nicht zurücklehnen in puncto Erziehung zum verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol und Drogen, aber sie sind auch nicht allein gelassen und können Unterstützung einfordern, um sich diesen weitreichenden Aufgaben zu stellen.

1.1       Gesellschaftlicher Umgang mit Alkohol und Drogen

Der Gebrauch von Substanzen erfüllt viele Funktionen wie z. B. Genuss, Zugehörigkeit, Entspannung oder auch Belohnung. Darüber hinaus kann mit dem Konsum auch ein bestimmter Lebensstil ausgedrückt werden, der sich häufig im Jugendalter entwickelt und im Erwachsenenalter manifestiert. Um hier im Sinne eines gesundheitsbewussten Lebensstils die Heranwachsenden zu begleiten, sollten der gesamtgesellschaftliche Einfluss sowie die multifaktoriellen Entstehungsbedingungen von Verhaltensweisen bedacht werden, auf die im Laufe des Buches eingegangen wird.

Der gesellschaftliche Umgang lässt sich anhand aktueller Konsumzahlen sehr gut ablesen. Entsprechend des Drogen- und Suchtberichts der Bundesregierung von 2019 konsumieren in Deutschland 7,8 Millionen Menschen Alkohol in gesundheitsschädigender Form, ca. 25 % der Erwachsenen sind episodische Rauschtrinker_innen, 1,3 Millionen gelten als alkoholabhängige und 73.000 Menschen sterben jährlich an den Folgen von Alkoholmissbrauch. Dazu kommen nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jährlich ca. 150.000 Menschen, die vorzeitig an den direkten Folgen des Tabakrauches sterben sowie 3300 an den Folgen des Passivrauchens, während ungefähr ein Viertel der Erwachsenen in Deutschland raucht. Bezogen auf den übermäßigen Konsum illegaler Drogen werden jährlich 150.000 Menschen stationär behandelt, und im Jahr 2016 starben 1333 Menschen durch illegale Drogen.

1.2       Umgang mit Alkohol

Nahezu täglich werden wir in unserer westeuropäischen Gesellschaft mit dem Alkohol konfrontiert. In vielen sozialen und kulturellen Anlässen ist der Alkoholkonsum so integriert, dass ein abstinentes Verhalten als abweichend erlebt wird und einer besonderen Begründung bedarf. Neben dem Genuss wird der Alkohol auch häufig zum Stressabbau konsumiert und das in allen Bevölkerungsschichten und nicht nur im Jugendalter, sondern gerade auch im höheren Erwachsenenalter. So stellte das Robert Koch-Institut im Jahr 2017 fest, dass insbesondere die Altersgruppe der 45- bis 64-Jährigen regelmäßig zu viel trinkt. Der riskante Alkoholkonsum liegt in dieser Gruppe bei einem Anteil von 19,2 %, während bei den über 65-Jährigen 15 % riskant konsumieren und bei der Gruppe der 33- bis 44-Jährigen 12,3 % regelmäßig zu viel trinken. Diese Zahlen zeigen die Akzeptanz von Alkohol bis ins höhere Alter, trotz der bekannten gesundheitlichen Folgen. Kinder und Jugendliche wachsen also in einer Gesellschaft heran, die den Alkoholkonsum vorlebt. Auch die Alkoholwerbung spricht insbesondere junge Menschen an und »gibt sich betont jugendlich« (Seitz, 2018, S. 111). Nach dem Motto »jung, schön und frei« investierte die Alkoholindustrie allein im Jahr 2015 544 Millionen Euro (ebd., S. 106) und verwendete dabei jugendorientierte Musik, lebhafte Handlungen und effektvolle Farben. Die Gesundheitsrisiken und Gefahren werden dabei komplett ausgeblendet, obwohl zahlreiche Studien darauf hinweisen. Mediziner_innen belegen, dass über 200 Krankheiten durch einen riskanten Alkoholkonsum ausgelöst werden können: von Herz-Kreislauf-Problemen über psychischen Erkrankungen bis zu verschiedenen Arten von Krebs. Allein für Deutschland zeigt die Global Burden-of-Disease-Studie rund 47.000 Todesfälle im Zusammenhang mit Alkohol. Darüber hinaus ist ein Viertel aller Gewaltdelikte von alkoholisierten Täter_innen im Jahr 2018 begangen worden, während 13 % aller Unfälle mit tödlichem Ausgang aufgrund von übermäßigem Alkoholkonsum erfolgten. Entsprechend der Angaben der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) liegt die »risikoarme Schwellendosis« für Männer bei 24 Gramm Alkohol pro Tag, das ist ca. ein halber Liter Bier bzw. ein Viertel Liter Wein. Für Frauen gilt die Hälfte, da der Alkohol aufgrund des niedrigen Wasseranteils im Körper der Frau schneller eine höhere Konzentration erreicht und gleichzeitig das für den Alkoholabbau erforderliche Enzym in geringerer Menge produziert wird, d. h. der Alkohol länger im Körper bleibt (ebd., S. 53). Die DHS ergänzt die Angaben für einen risikoarmen Konsum noch mit dem Hinweis, dass man wöchentlich wenigstens zwei alkoholfreie Tage einlegen sollte.

Aufgrund jahrelanger Arbeit im Bereich der Alkoholprävention ist meine persönliche Empfehlung folgende: Versuche es als »Dunkel- und Wochenendtrinker«! Das bedeutet genussvoller Konsum am Abend und möglichst nur am Wochenende, idealerweise auch nicht jedes Wochenende, sondern am ehesten bei Feierlichkeiten oder besonderen Anlässen. Natürlich gibt es auch mal Ausnahmen wie z. B. im Urlaub. Wobei es wichtig ist, den Unterschied zwischen Genuss und Trunkenheit zu erkennen und zwischendurch auch Wasser zu trinken. Dazu mehr in Kapitel 4 »Weniger Alkohol – mehr Genuss«. Dort wird es dann auch um Jugendliche gehen, denn die Empfehlung hier ist für Erwachsene gedacht (Kap. 4).

Einen bewussten Umgang mit Alkohol zu pflegen, bleibt jedem bislang selbst überlassen. Gleichwohl gibt es eine Reihe weiterer Empfehlungen im Sinne der ›Punktnüchternheit‹. Das bedeutet, in folgenden Situationen sollte man ganz auf Alkohol verzichten:

  auf der Arbeit,

  im Straßenverkehr,

  beim Bedienen von Maschinen,

  beim Sport/beim Schwimmen,

  bei Krankheit bzw. bei Einnahme von Medikamenten,

  bei Konfliktgesprächen in der Partner- bzw. Freundschaft,

  während der Schwangerschaft.

Es ist immer wieder überraschend, dass werdende Mütter überhaupt noch Alkohol trinken, obwohl die Risiken für das ungeborene Kind seit Jahrzehnten bekannt sind. Die Gefahr, dass ein Embryo gravierende Entwicklungsstörungen davonträgt, ist sehr hoch und zeigt sich im verzögerten Wachstum, kleinem Kopf, geringerem Geburtsgewicht, verringerten motorischen und geistigen Entwicklungen, Herzfehlern oder später auftretenden Verhaltensstörungen wie auch Epilepsie. Das fötale Alkoholsyndrom (FAS) wird auch als pränataler Minderwuchs bezeichnet und kann sich vom ersten Moment der Befruchtung anfangen auszubilden. D. h. Frauen, die gerne schwanger werden möchten, sollten ab dem Zeitpunkt der aktiven Entscheidung für eine Schwangerschaft auf den Alkohol verzichten. Dabei sollten Frauen, die gewohnt sind, regelmäßig viel zu trinken, versuchen einen ausschleichenden Prozess des Alkoholverzichts zu wählen und sich etwas Zeit lassen, bevor sie mit dem Schwanger-Werden starten.

Bruce Lipton ruft zu einer »bewussten Elternschaft« auf, die sogar schon vor der Befruchtung beginnt. Elternsein ist also von Beginn an mit einer hohen Verantwortung verbunden, bei der die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eine große Unterstützung bieten können. Inwieweit die deutsche Politik hier ihren Beitrag leistet, bleibt fraglich. Denn betrachtet man die Vorgabe nach dem von der WHO gesetzten Ziel zur Senkung des Alkoholkonsums um 10 % bis 2025, zeigt es sich als unwahrscheinlich, dass Deutschland das Ziel erreicht. Dabei ist längst bekannt, was die Politik tun könnte. Nach der WHO gelten Steuererhöhungen, Werbeverbote und restriktive Verkaufshürden als wirksame Maßnahmen. Aber mit Forderungen nach strengeren Regeln macht man sich nicht beliebt und die Wirtschaftsinteressen der Alkoholindustrie stehen dem auch entgegen, die ja mit entsprechender Lobby politischen Einfluss nimmt. Nach einer Analyse des Fachmagazins Lancet werden die Vorgaben der WHO beispielsweise von den osteuropäischen Ländern besser umgesetzt. Sie konnten den Alkoholkonsum so deutlich reduzieren. Anders in Deutschland! Nach dem Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung im Jahr 2019 trinkt jeder sechste Erwachsene zu viel, weshalb der Satz des Suchtforschers Heino Stöver »Wir als Gesellschaft haben eine Alkoholstörung« treffend formuliert ist.

1.3       Umgang mit Tabak

Seit Jahrhunderten wird in unserer Gesellschaft Tabak geraucht, obwohl die gesundheitlichen Schädigungen bekannt sind. Die meisten Menschen erleben beim Erstkonsum einer Zigarette sogar häufig unangenehme Körperreaktionen wie Husten, Übelkeit oder Schwindelgefühl. Da stellt sich natürlicherweise die Frage, weshalb trotzdem geraucht wird. Hier gibt es unterschiedlichste Erklärungsmodelle: von genetischen Prädispositionen, die den Einstieg und das Aufrechterhalten des Rauchens begünstigen, über das Lernen am Modell, bei dem rauchende Eltern oder andere Erwachsene als Modell die angenehme Wirkung des Rauchens vorleben, bis hin zum sozialen Lernen, bei dem schon Kleinkinder das Rauchverhalten imitieren und zigarettenähnliche Gegenstände in den Mund nehmen.

Studien belegen, dass Kinder von rauchenden Eltern häufiger selbst zu Raucher_innen werden, dieser Einfluss wird insbesondere in Kapitel 3.2 genauer beleuchtet (Kap. 3.2). Über diesen elterlichen Einfluss hinaus ist auch der Zusammenhang zwischen Tabakkonsum in Kinofilmen und der Initiierung des Rauchens von Jugendlichen nachgewiesen (Morgenstern et al., 2011). Je häufiger die Jugendlichen Tabakrauchereignisse sehen, desto höher ist der Experimentierkonsum. Zielführende Tabakprävention setzt demzufolge auf eine Denormalisierung des Rauchens, indem eine Beeinflussung sozialer Normen erfolgt, die das Rauchen als nicht mehr gesellschaftsfähig darstellen. Die seit 2007 eingeführten Nichtraucherschutzgesetze haben diesbezüglich einen großen Anteil am Imagewandel von Tabakrauchen bewirkt. Die Konsumverbote in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln sowie in Schulen, Krankenhäusern und gastronomischen Betrieben reduzieren die Berührungspunkte mit dem Rauchen und sie senken die Toleranz, sich dem Passivrauchen auszusetzen. Auch das Inkrafttreten des Tabakverbots in Printmedien und im Internet sowie in Rundfunk und Fernsehen reduzieren den Tabakkonsum in der Bevölkerung. Diese und andere Maßnahmen der Tabakkontrollpolitik konnten der KiGGs-Studie zufolge die Rauchquote bei den 11- bis 17-jährigen Jugendlichen bis zum Jahr 2012 von rund 20 % auf 12 % senken. Entsprechend der Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) rauchten im Jahr 2015 nur 8 % der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen. Allerdings zeigt eine altersdifferenzierte Betrachtung, dass der rückläufige Trend beim Rauchen insbesondere bei den jungen Erwachsenen zutrifft, im mittleren und höheren Lebensalter ist dies nicht so ausgeprägt. So bleibt abzuwarten, wie sich der Umgang mit Tabak allgemeingesellschaftlich weiterentwickeln wird, denn die Tabakindustrie hat ja eine Reihe neuerer Produkte auf dem Markt eingeführt wie z. B. E-Zigarette und E-Shisha. Entsprechend der Studie der BZgA haben 12 % der 12- bis 17-jährigen Jugendlichen im Jahr 2015 schon mal eine E-Zigarette geraucht, bei den 18- bis 25-Jährigen sogar schon 21 %. Die E-Shishas sind bei Jugendlichen noch mehr im Trend, das haben 14 % der 12- bis 17-Jährigen schon einmal probiert. Diese Bewegung könnte eine Renormalisierung des Rauchens in der Bevölkerung nach sich ziehen, weshalb spezifische Präventionsstrategien entwickelt werden sollten.

Denn E-Zigaretten und E-Shishas werden als Lifestyle-Produkte und gesunde Alternative zum Tabakrauchen beworben, und die aromatischen Liquids mit den trendigen Geschmacksrichtungen könnten insbesondere für Kinder und Jugendliche attraktiv sein. Zwar wurde der Verkauf von elektronischen Inhalationsprodukten an Minderjährige 2016 verboten, aber Eltern sollten hier sehr aufmerksam sein und nicht dem Irrglauben verfallen, wenn die Liquids kein Nikotin enthalten, könnten sie ja keinen negativen Einfluss nehmen. Gerade die E-Shisha kann zum gemeinsamen Rauchen verführen und in der Peergroup einen erheblichen sozialen Druck auslösen, weshalb sich Jugendliche dann zum Rauchen verleiten lassen, um in der Gruppe anerkannt zu werden.

In dieser frühen Phase besteht die Funktion des Rauchens in der Unterstützung bei der Identitätsfindung und Zugehörigkeit. Damit kann auch eine Abgrenzung gegenüber anderen Peergroups oder den Erwachsenen erfolgen, um sich z. B. ein eigenes Gruppenimage zu geben. Die Raucherquote in der Peergroup beeinflusst das Rauchverhalten der einzelnen Gruppenmitglieder genauso wie der elterliche Einfluss. Studien belegen, dass Kinder rauchender Eltern weit häufiger selbst mit dem Rauchen beginnen als Kinder aus Nichtraucherelternhäusern. Welche Möglichkeiten rauchende Eltern haben, trotzdem positiven Einfluss zu nehmen, wird in Kapitel 3.2 aufgegriffen (Kap. 3.2). Denn Tabak wird als eigentliche Einstiegsdroge in den Konsum psychotroper Substanzen angesehen, d. h. rauchende Jugendliche konsumieren auch eher Alkohol oder Cannabis, weshalb es umso wichtiger ist, möglichst zum Nichtrauchen zu erziehen (DHS, 2013, S. 57).

1.4       Umgang mit Cannabis

Zweifelsohne ist Cannabis in Deutschland die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Trotzdem lässt sich in unserer Gesellschaft keine klare Position für oder gegen den Konsum feststellen. Im Gegenteil! Häufig wird ideologisch diskutiert und sich in gespaltenen Lagern positioniert. So ist es heute keine Überraschung, dass sich die Jugend eine eigene Meinung bildet und zunehmend Cannabis ausprobiert. Solange es keine Einigung gibt bzw. keine klaren Strategien verfolgt werden, wird die Jugend ihren eigenen Weg gehen, wie nachfolgende Zahlen nahelegen. Entsprechend der Drogenaffinitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) von 2019 haben 10,4 % der 12- bis 17-Jährigen und 46,4 % der 18- bis 25-Jährigen schon einmal Cannabis konsumiert, was einen erneuten Anstieg bedeutet. Der Konsum im Jugendalter birgt besondere Risiken für die Heranwachsenden, die von Kurzzeitfolgen wie Bewusstseinsstörungen, verzögerten Reaktionszeiten bis hin zu Panikattacken reichen können. Langzeitfolgen sind bei regelmäßiger Einnahme durch Jugendliche Wahnvorstellungen/Psychosen, Depressionen, vermindertes Erinnerungsvermögen und veränderte Hirnstruktur sowie erhöhtes Infarkt- oder Schlaganfallrisiko bis hin zur Abhängigkeit. Letzteres tritt umso zügiger ein, je jünger der_die Konsument_in ist! Denn in jungen Jahren lernt das Gehirn noch schneller. So auch hier. Drogen aktivieren das Belohnungszentrum des Gehirns, d. h. durch die Einnahme erfolgt eine Dopaminfreisetzung. Das sind Botenstoffe, die dem_der Konsument_in ein positives Gefühl vermitteln. Insofern lernt das Gehirn des_der jugendlichen Konsument_in schneller die positive Wirkung und möchte dieses Gefühl wieder herbeiführen, weshalb dann erneut Cannabis konsumiert wird. Dieser Mechanismus lässt sich aber nicht unbegrenzt wiederholen und bleibt nicht ohne Folgen, wie im Verlauf des Buches noch deutlich werden wird.

Die Verbreitung des Cannabiskonsums verzeichnet in den letzten Jahrzehnten große Schwankungen. Während bis vor der Jahrtausendwende maximal ein Viertel der 18- bis 25-Jährigen schon mal Cannabis konsumiert hat, sind es 20 Jahre später nach Angaben der BZgA fast doppelt so viele. Gesellschaftliche Diskussionen und politische Debatten beispielsweise um die Legalisierung oder den Einsatz von Cannabis als Heilpflanze werden auch von Jugendlichen wahrgenommen und z. B. in Präventionsveranstaltungen heiß diskutiert. Beliebte Annahmen wie »Cannabis ist gesünder als Alkohol« oder auch »Cannabis macht nicht abhängig« halten sich hartnäckig und müssen immer wieder geschickt hinterfragt bzw. widerlegt werden. Eine kurze Antwort wäre beispielsweise »Am gesündesten ist es, den Konsum von Cannabis und Alkohol zu unterlassen« oder »Cannabis macht psychisch abhängig«. Gleichwohl ist das »Gesetz zur Verwendung von Cannabis als Medizin« für viele schwererkrankte Menschen ein großer Gewinn und verspricht z. B. bei Multipler Sklerose, Krebs, Epilepsien, Morbus Parkinson oder auch ADHS Linderung. Gesellschaftlich betrachtet wäre eine klare Haltung zum Umgang mit Cannabis für Jugendliche eine wichtige Orientierung. Auch für Eltern wäre eine zentrale Botschaft für den Erziehungsalltag relevant. Allerdings werden ohne gesetzliche Veränderungen im Bereich Cannabis voraussichtlich Ideologiedebatten kein Ende finden, weshalb Eltern nur durch ihr eigenes Vorbildverhalten bezüglich des bewussten Umgangs mit Konsummitteln von Anfang an positiven Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kinder nehmen können, wie es in Kapitel 3 ausgeführt werden wird (Kap. 3).

1.5       Umgang mit illegalen Drogen

In großen Teilen der deutschen Gesellschaft werden Menschen, die illegale Drogen konsumieren, verachtet, ausgegrenzt und stigmatisiert. Häufig wird angenommen, dass der Konsum Ausdruck einer schwachen Persönlichkeit sei und in die Kriminalität führe. Letzteres ist insofern zutreffend, als es in jedem Fall eine illegale Handlung ist und gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) verstößt. Inwieweit es zutrifft, dass der Gebrauch illegaler Drogen mit einer schwachen Persönlichkeit zusammenhängen könnte, ist wesentlich komplexer zu beantworten und wird im Rahmen der Identitätsbildung aufgegriffen. Festzuhalten bleibt, dass der gesellschaftliche Umgang mit einer Droge im kulturellen Kontext zu betrachten ist. Während in Deutschland Cannabis illegal und Alkohol legal ist, trifft dies auf andere Länder so nicht zu. Das bedeutet, eine Droge ist nicht automatisch illegal, sondern wird in Deutschland durch die Aufnahme in die Liste des BtMG so eingeordnet. Genau genommen wird der Begriff der Droge mit einer bestimmten Bedeutung verbunden, die mit der Erwartung einer Wirkung verknüpft ist. In Bezug auf die Wirkungsweisen werden illegale Drogen in drei Gruppen unterteilt: Sedativa, Halluzinogene und Stimulanzien. Während Sedativa als dämpfende und beruhigende Mittel bekannt sind, bewirken Stimulanzien eher das Gegenteil, indem sie eine anregende Wirkung erzielen. Halluzinogene beeinflussen die Sinneswahrnehmung, das Denken und Fühlen. Sie werden auch als Psychedelika bezeichnet und verändern die Sinneseindrücke. Am bekanntesten ist Cannabis.

In der Regel erwartet jede_r Konsument_in von illegalen Drogen eine positive Wirkung im Sinne der Verbesserung der Stimmung, des Wunsches nach Entspannung, der Stimulierung und Intensivierung des Erlebens oder des Abbaus von Hemmungen, Ängsten und Schmerzen. Die positiv wahrgenommene Veränderung des psychischen Erlebens wird dadurch erzeugt, dass mit der Drogenwirkung im Gehirn gezielt in den biochemischen Übertragungsprozess der Impulse von einer Nervenzelle zur anderen eingegriffen wird. An den Verknüpfungspunkten, den sogenannten Synapsen, werden durch elektrische Impulse Botenstoffe freigesetzt, die an den Rezeptoren anderer Nervenzellen andocken und so die Informationen weitergeben. Durch das Andocken von psychoaktiven Substanzen an die Rezeptoren wird die eigene Kontrolle der Nervenzellen über die angemessene Menge an Botenstoffen, auch Neurotransmitter genannt, gestört. So wird den Nervenzellen vorgespielt, dass eine gewisse Transmittersubstanz genug bzw. nicht genug vorhanden sei. Dadurch wird die natürliche Wirkung der körpereigenen Botenstoffe verstärkt bzw. ersetzt, bis der Körper die konsumierte Substanz wieder abgebaut hat. Dass dieser Eingriff in die körpereigenen Prozesse nicht ohne gesundheitliche Gefährdungen verläuft, ist hinreichend bekannt und führt zur Frage nach den Ursachen des Konsums, die sich bei Frauen und Männern oft unterscheiden. Während Männer durch den Konsum illegaler Drogen insbesondere Stärke, Macht und eine Unverletzlichkeit demonstrieren wollen, um in ihrer Peergroup eine Statusverbesserung zu erzielen, versuchen Frauen eine Form von Unabhängigkeit, Coolness und Selbstbewusstsein auszudrücken. Bei beiden Geschlechtern stellt sich der Konsum als eine Möglichkeit von Identitätsfindung und Persönlichkeitsentwicklung dar, die bei längerfristiger Anwendung Gesundheitsschäden bewirkt und eine Suchtgefahr beinhaltet.

In Deutschland ist die Konsumprävalenz – das ist, einfach formuliert, die Konsumhäufigkeit – jeder illegalen Droge bei Männern deutlich höher als bei Frauen. Nach dem Epidemiologischen Suchtsurvey aus dem Jahr 2018 liegt der Anteil erwachsener Männer bei 4,9 % und erwachsener Frauen bei 2,6 % (Piontek et al., 2018, S. 4ff.). Bei den Jugendlichen stehen die Zahlen in der gleichen Relation, während die 12-Monats-Prävalenz im Alter von 18 bis 24 Jahren am höchsten ist. Hochrechnungen zufolge liegt die Lebenszeitprävalenz von Erwachsenen bei ca. 32 %, d. h., ca. ein Drittel aller Erwachsenen hat irgendwann einmal in ihrem Leben eine illegale Droge konsumiert. Doch ein einmaliger Gebrauch illegaler Drogen wird nicht zu einem gesamtgesellschaftlichen Problem. Das Spannungsfeld des Umgangs mit dem Thema Drogen ergibt sich aus der Betrachtung problematischen Konsums illegaler Substanzen mit bio-psycho-sozialen Folgen der Konsument_innen und ihres Umfeldes. Mit dem bio-psycho-sozialen Ansatz lässt sich erklären, wie eine Sucht entsteht. Das multifaktorielle Bedingungsgefüge bezieht die drei großen Faktoren Droge, Individuum und Gesellschaft ein, die in einer Wechselwirkung zueinanderstehen und auf eine dynamische Entwicklung des Prozesses hinweisen. Ein Störungsbild im Sinne eines problematischen Substanzkonsums entsteht dann, wenn die Wechselwirkung der biologischen, sozialen und psychologischen Wirkfaktoren nicht zum Gleichgewicht für die Person führen, sondern sie durch eine Überlagerung von Problemen beeinträchtigen. Hervorzuheben ist, dass die Gesellschaft diesbezüglich einen großen Anteil hat und Einfluss darauf nimmt, wie jede_r Einzelne mit Drogen umgeht. Selbstverständlich liegt ein erheblicher Teil bei der Person selbst, wie gesundheitsbewusst oder risikoreich sie konsumiert. Ebenso wichtig ist die individuelle Wirkung der Droge auf die Person im biologischen wie im psychischen Bereich, die sich bei allen Menschen unterscheidet. Von der Droge an sich geht keine Gefährlichkeit aus, solange sie nicht eingenommen wird. Und Letzteres wird maßgeblich von dem Sozialisationsprozess der Person beeinflusst.

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Erziehung ist die beste Prävention

 

 

Erziehung ist wissenschaftlich betrachtet die zielgerichtete Einflussnahme auf die Verhaltensweisen des Kindes, um es auf das gesellschaftliche Leben vorzubereiten. Die Einflussnahme erfolgt dabei in der Regel von Menschen mit einem Vorsprung an Lebenserfahrung, also Eltern oder Erzieher_innen und anderem pädagogischen Fachpersonal. Die Erziehungsziele, die dabei verfolgt werden, dienen der Förderung der kindlichen Kompetenzen und seiner Autonomie sowie der Steigerung des Selbstvertrauens und Selbstwertgefühls, um ein eigenständiger, verantwortungsvoll handelnder Mensch zu werden. Dabei werden verschiedene Erziehungsstile genutzt, die sich grob in vier Stile unterteilen lassen: den autoritären, den vernachlässigenden, den nachgiebigen und den autoritativen. Da letzterer sich nachweislich am positivsten auf die kindliche Entwicklung auswirkt, wird er folgend etwas genauer beleuchtet.

Der autoritative Erziehungsstil lässt sich mit drei relevanten Aspekten beschreiben: Befriedigung kindlicher Bedürfnisse durch positiven Kontakt, Autonomieentwicklung durch Übernahme altersangemessener Aufgaben sowie moderate elterliche Kontrolle mit konsistentem Erziehungsverhalten. Der positive Kontakt beinhaltet Fürsorge und Wärme, d. h., die Eltern fühlen sich mit ihren Kindern emotional stark verbunden, fördern sie in ihren Interessen und zeigen wertschätzende Anerkennung. Der zweite Punkt der realistischen Erwartungen an das Kind trägt zu einem harmonischen Familienleben bei und ermöglicht zugleich dem Kind, ein wichtiger Teil der Familie zu werden, indem es z. B. Aufgaben im Haushalt übernimmt und sich dafür auch verantwortlich zeigt. Im Weiteren thematisieren die Eltern explizit ihre normativen Überzeugungen und Wertvorstellungen, indem sie mit ihren Kindern – abhängig vom Alter – sachlich verbale Aushandlungsprozesse führen, klare Regeln aufstellen und deren Umsetzung konsequent verfolgen. Mit zunehmendem Alter der Kinder erlauben und ermutigen die Eltern die Heranwachsenden eigene Meinungen und Überzeugungen zu entwickeln, um die Autonomie der Kinder zu fördern (Wild, Möller, 2015, S. 238) und die Verantwortung für das eigene Handeln zu tragen. Kurzgefasst lässt sich der autoritative Stil als liebevoller, strenger, konsistenter Erziehungsstil beschreiben, der sich, wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird, auch als wirkungsvoll im Sinne der Suchtprävention herausstellt.

Prävention bedeutet vorbeugen bzw. zuvorkommen. Bezogen auf den Inhalt des Buches konzentrieren sich die Ausführungen auf die Suchtprävention, also das Vorbeugen eines gesundheitsgefährdenden Konsumverhaltens. Studien belegen: Je früher die Vorbeugung einsetzt, desto zielführender ist sie.

Deswegen sollte Eltern bewusst sein, dass eine konsequente Prävention nicht erst im Jugendalter einsetzt, sondern möglichst von Beginn an erfolgt und sich in der Haltung und dem Konsumverhalten der Eltern zeigt; denn gute Erziehung ist die beste Prävention und setzt zunächst am Verhalten der Eltern an.

2.1       Konsumverhalten: Die Familie im Säuglings- und Kleinkindalter

Im ersten Lebensjahr, bevor Kinder erlernt haben sich mit Worten zu verständigen, steht die nonverbale Kommunikation im Vordergrund. Nicht nur die Eltern beobachten die Signale des Kindes, sondern der Säugling beobachtet sehr intensiv alle nonverbalen Kommunikationsformen der Bezugsperson. Minimale Veränderungen der Mundwinkel oder Augenbrauen lassen das Kind Stimmungen der Erwachsenen erahnen. Durch Versuch und Irrtum gewinnt der Säugling eine untrügliche Sicherheit im Lesen der nonverbalen Signale. Sie lernen, dass die Körpersprache ein verlässlicherer Ausdruck der Stimmung der Eltern ist als die verbale Kommunikation (Kessler, 2005, S. 33). Ein Baby spürt die Gefühle der Mutter auch schon durch den Körperkontakt, d. h., fühlt sich die Mutter oder der Vater z. B. ausgeglichen, überträgt sich diese entspannte Stimmung auf das Kind. Demzufolge können beispielsweise Stressempfindungen der Mutter beim Kind zur Nervosität führen.