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Eigentlich sollte es nur ein Routine-Job für den jungen Zeitungs-Volontär Heiko Timmermann werden, aber bei einem Brandexperiment in einem Steinzeitpark in Dithmarschen wird die verkohlte Leiche einer Frau gefunden. Wer war diese Frau, vielleicht eine Landstreicherin? Die Ermittlungen der Polizei laufen zunächst ins Leere, aber der Fall lässt Heiko keine Ruhe. Als dann ausgerechnet der Leiter des Experiments, ein Kieler Archäologe, bei einem sehr merkwürdigen Autounfall ums Leben kommt, steht für ihn fest: Hier muss es einen Zusammenhang geben. Heiko Timmermann stellt auf eigene Faust Nachforschungen an und entdeckt auch bald Indizien für seine Theorie. Es bleibt jedoch nicht bei zwei Todesfällen, ein Landtagsabgeordneter der dänischen Minderheitspartei wird auf der Fahrt über den Eiderdamm erschossen. Kaum vorstellbar, dass derselbe Täter für alle drei Todesfälle verantwortlich ist? Für Heiko Timmermann steht bald fest, dass die Lösung in Wesselburen zu finden sein könnte, einem kleinen Ort in Dithmarschen. Während er auf der Suche nach weiteren Hinweisen ist, die auch die Polizei überzeugen könnten, wird er selbst beinahe Opfer eines Mordanschlags.
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Seitenzahl: 562
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Ihr werdet euch vielleicht fragen, was mich jetzt schon wieder umtreibt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich euch etwas über diesen merkwürdigen Todesfall in Lohe-Rickelshof erzählt habe. Danach dachte ich eigentlich: So, Heiko, entspann dich erstmal, jetzt hast du deine Ruhe in jeder Hinsicht, lass mal alles auf dich zukommen. Konzentriere dich auf deinen Job bei der Zeitung, mach dir keinen Stress mit der Damenwelt und so weiter. Aber es ist dann doch wieder ganz anders gekommen.
Für alle, die mich noch nicht kennen sollten, ein paar Infos im Schnelldurchlauf:
Ich bin Heiko Timmermann aus Wesselburener Deichhausen, das liegt in der Nähe von Heide in Schleswig-Holstein. Also in der Nähe der Westküste oder besser gesagt der Nordseeküste. Büsum ist nicht weit von hier. Ich bin 19 Jahre alt und seit August Volontär beim Dithmarscher Landboten, der größten und eigentlich auch einzigen Zeitung in Dithmarschen. Meinen Job bei der Zeitung in Heide finde ich soweit ganz okay, aber ich werde mir später mal Gedanken machen müssen, wie es beruflich mit mir weitergehen soll. Wie gesagt, später.
Ich wohne noch zu Hause in Wesselburener Deichhausen bei meinen Eltern und meinen Geschwistern Linda und Lasse. Linda ist 15, wird aber demnächst 16, sie ist also schon ein bisschen in meiner Altersklasse. Mein jüngerer Bruder Lasse ist erst 8, mit dem kann man noch nicht wirklich viel anfangen. Mein Vater ist Lohnunternehmer, das muss ich jetzt hoffentlich nicht genau erklären, sagen wir mal, wir haben eben so eine Firma mit einigen Landmaschinen, Lkws, Unimogs und so weiter. Mutter ist nicht nur Mutter, sondern mischt auch kräftig in der Firma mit.
Es gibt auch so einen kleinen Haufen von Freunden, Bekannten und Kollegen von der Zeitung, die muss ich jetzt wohl nicht alle vorstellen, sie kommen im Laufe der Zeit schon von selber dran. Eventuell werde ich dann noch das eine oder andere Wort über sie sagen. Aber falls ihr Fragen habt oder es euch zu schnell geht, unterbrecht mich ruhig einmal.
Ihr werdet auf jeden Fall merken, dass meine Geschichte eigentlich ganz entspannt und harmlos anfängt, aber später wird es dann sogar den einen oder anderen ziemlich fiesen Mord geben. Ja, ihr habt richtig gehört, Mord. Passt eigentlich gar nicht zu unserer Gegend. Manche meinen, in Dithmarschen könnte man nur vor Langeweile sterben, das halte ich aber für übertrieben. Kriminelle Sachen gibt es überall, sogar bei uns. In Gedanken habe ich auch schon einige Untaten verübt, sogar ein paar Morde im Affekt waren dabei. Aber, wie gesagt, nur in Gedanken.
Ich bin an und für sich eher der harmlose Typ, der mit Gewalttätigkeiten nicht viel am Hut hat. Aber ich kann schon irgendwie nachvollziehen, dass es Situationen geben kann, in denen die Leute echt austicken und Dinge tun, die sie bei näherer Überlegung eigentlich gar nicht auf dem Zettel hatten. Ich glaube, das hat dann viel mit Gefühlen zu tun. Die beherrschen uns wohl manchmal mehr, als wir es wahrhaben wollen.
Doch zurück zu meiner Geschichte. Wie bereits gesagt, es fängt ganz harmlos an.
Wenn ich morgens zur Zeitung nach Heide fahre, nehme ich entweder den schon etwas älteren Polo oder das Fahrrad. Mit dem Rad dauert es natürlich erheblich länger, sagen wir mal deutlich mehr als eine halbe Stunde, aber auch noch nicht unbedingt eine ganze Stunde. Ich fahre dann seit einigen Wochen gerne über Lohe-Rickelshof und hole mir bei der Filiale von Bäcker Scharbau ein paar Brötchen.
Der Grund ist – tatütata – es hat mich erwischt. Wie ich das jetzt meine? Ich habe mich schlicht und ergreifend in die Bäckerei-Fachverkäuferin verguckt, die da morgens hinter dem Tresen steht. Wie soll ich es euch erklären, sie ist einfach be-zau-bernd. Nicht ganz so groß, kurzes, schwarzes Haar, dunkle Augen und ein Lächeln, das mir durch und durch geht. Und eine angenehme Stimme, die sich durch meine Gehörgänge direkt in meine Hirnrinde hineinsäuselt. Wie alt sie ist, ist schwer zu sagen, so zwischen 20 und 25 vielleicht. Ich kaufe mir da also ab und zu meine Brötchen und himmele sie etwas an und versuche auch das eine oder andere unverbindliche Gespräch anzuknüpfen.
Zum Beispiel, dass bei uns in Wesselburener Deichhausen das Internet ausgefallen war und ob es hier in Lohe auch so war.
Das weiß ich nicht, ich wohne ja in Heide und um das Internet und so kümmert sich eher mein Mann.
Peng. Aus.
Muss sie denn auch noch verheiratet sein? In ihrem Alter, das müsste doch verboten werden.
Jetzt bin ich also nicht nur verliebt, sondern auch noch unglücklich verliebt. Ich hätte es doch wissen können, warum habe ich nicht vorher bemerkt, dass ihr rechter Ringfinger von einem überdimensionalen Ehering geziert wird.
Das sind so Momente, wo meine Phantasie gewalttätig wird: Ich bringe ihren Mann heimlich um und verscharre ihn stilvoll in einem Kohlfeld.
Nein, tue ich natürlich nicht, ich bin ja eher der harmlose Heiko. Aber trotzdem muss ich einfach bei Scharbau weiter meine Brötchen holen und ihr dabei tief in die Augen schauen. Ich kann’s halt nicht lassen.
Vielleicht liegt es ja daran, dass bei mir damenmäßig gerade nicht viel läuft.
Immerhin bin ich jetzt ja keine männliche Jungfrau mehr. Vor kurzem, besser gesagt vor ein paar Monaten, war ich das noch. Für meine Entjungferung zuständig war Maja Schulzik, ebenfalls Volontärin beim Dithmarscher Landboten. Im Nachhinein könnte man es als One-Night-Stand betrachten, denn danach lief zwischen uns eigentlich nichts mehr. Jetzt sind wir so eher Freunde-bleiben-Freunde. Und sie ist auch so eine Art beste Freundin von meiner Schwester Linda geworden.
Dann gab es noch Gwyneth aus Bad Hersfeld, schon fast zehn Jahre älter als ich, die hat sozusagen meine Entjungferung noch etwas verfeinert. Aber mit Gwyneth habe ich im Moment eher wenig Kontakt.
Ich hatte gerade gesagt, dass zurzeit bei mir damen- bzw. mädchenmäßig nicht viel läuft. Auch das muss ich zumindest etwas relativieren. Ich habe, vielleicht sollte ich besser sagen wir haben, gerade Besuch von Bente Kristensen aus Dänemark. Studiert Kunstgeschichte an der Universität Aarhus, ist von uns ungefähr drei Autostunden entfernt. Bente ist ein paar Jahre älter als ich, vielleicht aber auch nur zwei oder drei Jahre. Ich habe sie noch gar nicht danach gefragt.
Kurze Erklärung gewünscht, warum ich sie überhaupt kenne? Okay: Ich hatte sie in der Jugendherberge Bad Hersfeld kennengelernt, da hatte sie aus Versehen in meinem Zimmer übernachtet, es war übrigens nicht ihr oder mein Versehen, sondern das der Heimleitung. Es lag eben an ihrem Vornamen. Wir haben uns aber ganz nett unterhalten beim Frühstück und dann die Adressen ausgetauscht. Bente war auf Erkundungstrip nach interessanten Bauwerken in Deutschland unterwegs, und ich war ja in Bad Hersfeld auf den Spuren von einem gewissen Herrn Dau, sozusagen auf Recherche-Tour.
Bente hat dann irgendwann mal eine Ansichtskarte geschrieben und später sogar einen Brief. Sie hätte ja auch gut mailen können, aber das erschien ihr wohl etwas unpassend. Sie hatte nämlich ein bestimmtes Anliegen.
Ich erzähle das vielleicht mal ein bisschen ausführlicher, obwohl das auch noch zum eher harmlosen Anfang meiner Geschichte gehört.
Meine Mutter war ja schon mal etwas überrascht von Bentes Ansichtskarte, sie hielt sie wohl zunächst auch für einen jungen Mann. Dabei ist der Vorname Bente in unserer Gegend gar nicht so selten, auf meiner Schule gab es jedenfalls mindestens zwei Bentes, oder sagt man Benten. Egal.
Ich komme also an einem Abend Ende September nach Hause, mal wieder mit dem Fahrrad, und bin ziemlich durchnässt. Hätte heute Morgen die Regenhose anziehen sollen. Ich schüttele mich im Flur wie ein nasser Hund, beispielsweise Stromer, das ist unser Hofhund, der macht das auch immer so, wenn er zu viel Feuchtigkeit abgekriegt hat.
Hello everybody!, rufe ich in die Weiten des Hauses hinein.
Hallo Heiko, höre ich Mutter in der Küche. Mein Gott, wie siehst du denn aus, raus aus den nassen Klamotten, am besten hängst du gleich alles in der Waschküche zum Trocknen auf.
Ich folge Mutters Anweisungen, beim Thema Wäsche versteht sie keinen Spaß. Mit trockenen Sachen wage ich mich dann wieder in die Küche, wo Mutter gerade an den Vorbereitungen zum Abendessen ist.
Kleine Zwischenbemerkung: Wir sagen zu unseren Eltern Mutter und Vater, also nicht Mutti und Vati oder Mum und Dad, schon gar nicht die Vornamen. Das würde ich auch echt seltsam finden.
Hier, Heiko, da ist noch heißer Kaffee da.
Ich setze mich und gieße mir einen wunderbar aromatisch riechenden Kaffee in meinen Lieblingsbecher.
Ah, das tut gut!, lasse ich hören.
Die Kommunikation wird etwas durch das Frikadellen-Bratgeräusch erschwert, das gerade um sich greift. Lecker.
Da ist Post für dich, sagt sie, liegt auf dem Wohnzimmertisch.
Post? Interessant. Sicher weiß Mutter auch schon, von wem. Ich trinke noch einen Schluck Kaffee und hole dann meinen Brief. Ich setze mich wieder an den Küchentisch und widme den Teelöffel in einen Brieföffner um. Der Brief ist aus Dänemark, von Bente Kristensen. Der Umschlag ist mit der Hand geschrieben, der Brief selber, bis auf die Unterschrift natürlich, mit dem Rechner getippt.
Ich lese:
Hej, Heiko,
ich hoffe, du kannst dich noch an mich erinnern. Ich bin gerade wieder zu Hause angekommen, aber ich habe noch etwas Zeit, bis das nächste Semester anfängt. Ich würde aber gerne noch ein paar Kirchen und andere Bauwerke in Schleswig-Holstein und besonders in Dithmarschen besichtigen. Ich hoffe, du findest meine Bitte nicht aufdringlich: Wenn deine Familie die Möglichkeit hat, mich für ein paar Tage unterzubringen, wäre es sehr nett. Ich würde dann mit dem Auto von meinem Vater kommen. Du kannst mir gerne mailen, wenn es geht. Ich bin natürlich nicht böse, wenn es nicht geht.
Viele Grüße von Bente
P.S.: [email protected]
Nebenbei bemerkt, ich habe innerlich ein paar Rechtschreibfehler verbessert. Außerdem haben die Dänen ja kein ä oder ö oder ü, da hat Bente dann einfach ae oder oe oder ue genommen. Wie gesagt, nur nebenbei bemerkt. Ich höre aber ihre Stimme mit diesem unnachahmlichen Akzent. Das hat schon was.
Diese News muss ich erst einmal verdauen. Ich brauche aber nur eine Kurzverdauung, denn mein Inneres sagt: Super, die Bente ist wirklich sehr nett und hübsch ist sie auch noch. Ich würde mich schon freuen, wenn es klappt.
Ich erzähle meiner frikadellenwendenden Mutter vom Inhalt des Briefes.
Nichts dagegen, Heiko. Vater ist bestimmt auch einverstanden. Schreib‘ ihr mal, dass sie natürlich gern bei uns willkommen ist. Aber wo soll sie schlafen? Bei dir?
Äh, Mutter, wir haben doch das Gästezimmer…
Gästezimmer? Ach so, du meinst das Bügelzimmer. Naja, das wird man wohl dann ein bisschen herrichten müssen. Onkel Norbert fand es ja ganz bequem und es ist ja sogar ein Fernseher drin.
Ja, prima, sage ich, ich werde das Zimmer dann ein bisschen in Ordnung bringen, wenn es so weit ist.
Mutter nickt meine Bemerkung ab. Übrigens ist es bei uns zu Hause so, dass jeder im Haushalt mit anpacken muss. Darauf sind wir trainiert.
Abendbrot im Hause Timmermann. Es gibt häufig abends etwas Warmes, weil Vater den ganzen Tag unterwegs ist, irgendwo auf den Feldern in 50 Kilometer Umkreis.
Alle an Bord: Mutter, Vater, Heiko, Linda, Lasse. Frikadellen, Kartoffeln, gemischtes Gemüse. Vater trinkt ein Dithmarscher Pils aus der Flasche, ich genehmige mir auch eins.
Ich verkünde der anwesenden Familie den bevorstehenden Bente-Besuch. Dabei muss ich noch etwas Aufklärungsarbeit leisten, warum, wieso, weshalb und unter welchen Umständen ich Bente überhaupt kenne.
Linda beobachtet mein gesamtes Verhältnis zum weiblichen Geschlecht allgemein mit einer gewissen schwesterlichen Skepsis. Sie geht davon aus, dass ich nur das Eine im Sinn habe. Stimmt meistens auch, aber sie ist da auch nicht anders.
Was macht Mathe?, frage ich sie mit leicht provozierendem Unterton. Ach, geht so, will sie das Thema erledigen.
Erklärung: Linda hat seit ein paar Wochen Mathe-Nachhilfe von einem Klassenkameraden. So einem richtigen Mathe-Nerd. Ich habe den nicht ganz unberechtigten Eindruck, dass sie ihm in gewisser Hinsicht auch etwas Nachhilfe erteilt. Nach Mathe auf die Matte sozusagen. Aber, wie gesagt, das ist nur mein Eindruck.
Linda ist nicht so ganz zurückhaltend, wenn es um Jungs geht, man könnte sie zuweilen schon fast als läufig bezeichnen. Vielleicht könnte ich es aber auch etwas freundlicher ausdrücken: Linda verpasst ungern sich bietende Chancen.
Was gibt’s Neues bei der Zeitung?, meldet sich Vater zu Wort.
Ach, sage ich, eigentlich reine Routinearbeiten. Ich bin im Moment häufiger mal mit Rolf Teichgraeber unterwegs auf Recherche. Nichts wirklich Interessantes, meistens Lokalpolitik oder irgendwelche Vereine.
Und die Schule so?, führt Vater seinen Familien-Erkundungs-Rundschlag eher in Richtung Linda und Lasse fort.
Lasse ergreift demonstrativ seinen Milchbecher, damit er jetzt nicht antworten muss.
Linda springt für ihn ein: Alles okay so weit. Wir schreiben vielleicht vor den Ferien noch Deutsch.
Aufsatz?
Nee, eher so Textarbeit mit vielen verschiedenen Aufgaben. Da muss man immer ganz genau lesen und dann dauernd hin- und herblättern. Kann einen ganz schön verrückt machen.
Und Mathe?, frage ich nochmals scheinheilig.
Linda gibt mir einen Tritt unterm Tisch und antwortet nicht.
Zum Glück ist der Verhör-Teil des Abendbrots beendet, die Eltern unterhalten sich über irgendeine Geburtstagseinladung und was man denn schenken soll.
Dann Mutters Schlusswort: Habt ihr eure Sachen gepackt?
Ich brauche mich ja nicht mehr angesprochen zu fühlen. Bin ja sozusagen der dritte Erwachsene im Hause Timmermann.
Linda und ich helfen in der Küche, Lasse muss noch mal seine Hausaufgabe sauber abschreiben, Vater zieht sich in Richtung Tagesschau und Wetterkarte in seinen Lieblingssessel zurück.
Die Küche ist aufgeräumt, die Handtücher sind aufgehängt. Der Feierabend im Hause Timmermann ist offiziell eingeläutet.
Ich verziehe mich nach oben und lasse den Rechner warmlaufen. E-Mail an Bente, dass es okay ist und wann sie kommen möchte und ob es etwas Besonderes zu beachten gibt, zum Beispiel ob sie vielleicht Vegetarierin ist oder Vampir und ob sie möglicherweise irgendeine Allergie gegen Mäuse oder sonstwas hat.
Dann schreibe ich noch, dass ich leider kein Dänisch kann, ich hätte aber den Eindruck, dass sie sehr gut Deutsch spricht. Außerdem könnte sie mir, wenn sie hier ist, ja auch etwas Dänisch beibringen. So etwas kann ja nie schaden.
Ich kürze jetzt mal etwas ab:
Am nächsten Abend checke ich meine Mails, und da ist auch schon die Antwort von Bente. Sie würde gern am Samstag bei uns eintreffen und dann so ungefähr eine Woche bleiben, möglicherweise etwas länger. Und wir sollten sie so als eine Art Austauschschülerin betrachten. Nein, sie sei keine Vegetarierin oder dergleichen.
Ich hole mir das Okay von Mutter und maile dann wieder zurück, dass sie gern Samstag kommen kann, für eine Woche oder länger, das wäre schon in Ordnung.
Um es noch kürzer zu machen:
Jetzt ist Bente also da, heute ist Samstag, der erste Oktober, falls ihr das genau wissen möchtet. Ich hatte ja mal ursprünglich auf dem Zettel, Gwyneth über das erste Oktober-Wochenende in Bad Hersfeld zu besuchen, aber das habe ich wegen Bente sausen lassen. Es war aber auch nicht voll durchgeplant, damit will ich nur sagen, dass Gwyneth mich auch gar nicht erwartet hätte.
Damit genug an Gwyneth gedacht. Bente Kristensen aus Aarhus ist im Hause Timmermann, Wesselburener Deichhausen, anwesend. Und ich muss schon sagen: Toll.
Groß und schlank, ein gewaltiger Haufen langes, blondes Haar, Augen von einem Blau, das man vielleicht als Meerblau bezeichnen könnte. Nur ihre Zähne sind ein kleines bisschen zu groß. So, als ob sie immer etwas zum Knabbern haben müsste. Aber das ist nur das fehlende i-Tüpfelchen ihrer ansonsten makellosen Erscheinung.
Was das Wichtigste ist: Sie ist super-nett und man kommt gut mit ihr klar. Bente hat innerhalb kürzester Zeit die Herzen der gesamten Familie Timmermann erobert. Auch Vater Timmermanns, obwohl der bei Dänen immer etwas skeptisch ist.
Aus historischen Gründen: 1559 haben sie unsere Dithmarscher Unabhängigkeit auf etwas uncharmante Weise beendet.
Wie ich vielleicht schon mal erwähnt habe, Vater ist Hobby-Historiker, vor allem beschäftigt er sich gerne mit der Geschichte des Timmermann-Clans.
Bente ist mit dem Auto gekommen. Sie betont aber, dass es nicht ihr Fahrzeug ist, sondern das Hobby-Auto von ihrem Vater.
Das Auto ist schon cool und erntet auch bewundernde Blicke von Vater. Es ist ein Saab 96, Baujahr 1980. Weiß lackiert, sehr gut gepflegt. Am liebsten hätte mein Vater noch ein schwarzes Nummernschild gehabt, aber dafür ist das Auto leider nicht alt genug, kommentiert Bente.
Wie kommt es, dass du so gut Deutsch sprichst?, frage ich.
Ach, meint sie, ich habe es in der Schule gelernt und dann war ich noch für ein Semester in Köln. Das war zu Anfang ganz schön schwer, bis ich mitgekriegt hatte, dass manche Leute auch Dialekt sprechen.
Wir bringen Bentes Sachen im umgewidmeten Bügelzimmer unter. Ich habe es vorher aufgeräumt und versucht, es etwas gemütlich zu gestalten.
Prima, Heiko, sagt Bente, das ist ja richtig hyggelig hier.
Es gibt Abendbrot, aber vorher verteilt Bente noch ein paar Gastgeschenke, zum Beispiel einen Bildband über Aarhus für die Eltern und ein paar Süßigkeiten für Linda und Lasse. Mir überreicht sie eine kleine Holzkiste mit sechs verschiedenen dänischen Bierflaschen, unter anderem von Carlsberg, Tuborg und Ceres.
Freundliche Gespräche beim Abendbrot, Vater schenkt Dithmarscher Pils aus. Bente lässt ein paar weitere Eckdaten von sich hören: Sie ist 22, sie wohnt mit zwei anderen Studentinnen in einer Wohngemeinschaft in Aarhus, ihre Eltern leben in Horsens, das ist gar nicht so weit von Aarhus.
Sie sagt ohne Scheu du und ihr zu meinen Eltern, aber ich habe mal gehört, dass das in Dänemark so üblich ist. Da sagen alle du zueinander, nur die Königin wird noch gesiezt. Meine Eltern sind nach einer Schrecksekunde sofort bereit, ihre Vornamen zu offenbaren: Heinrich und Erika.
Bente plaudert weiterhin frei von der Leber weg drauflos und berichtet ihr Vorhaben bei uns in einigen näheren Bestandteilen. Sie möchte einige Kirchen und andere historische Bauwerke besuchen, fotografieren und sich ein paar Einzelheiten notieren für irgendeine Semesterarbeit. Dabei hat sie nicht nur Dithmarschen im Auge, sondern sie möchte unter anderem auch mal nach Lübeck rüberfahren und nach Schleswig.
Was gibt es denn bei uns in Dithmarschen so Interessantes, Bente?, fragt Mutter.
Zum Beispiel eure Kirche in Wesselburen, die ist schon ungewöhnlich. Ursprünglich gotisch, dann aber im Barock-Stil wiederaufgebaut. Da würde ich schon gerne erfahren, wo man noch die gotischen Elemente finden kann. Oder der, wie sagt ihr, Meldorfer Dom. Ich weiß, das ist nicht wirklich ein Dom, aber schon eine sehr große Kirche.
Aha, Bente ist bereits voll informiert und gut vorbereitet.
Ich weiß nicht, ob ihr das jetzt verstehen werdet, aber ich fühle mich im Moment nicht wirklich wohl in meiner Haut. Vielleicht habe ich etwas zu viel von Bentes Auftauchen erwartet. So in etwa, dass es klick und boing macht beim Wiedersehen oder dass ich total aufgeregt bin. Ist aber nicht so. Während die anderen sich abendbrotlich weiter gut unterhalten und allgemein gute Stimmung in der Luft liegt, meldet sich kurz mein innerer Psychotherapeut, Dr. Timmermann, bei mir.
Heiko, Sie wirken etwas bedrückt. Mir scheint, Sie haben etwas auf dem Herzen.
Ja, das kann schon sein, Herr Dr. Timmermann. Wissen Sie, dieser Besuch von Bente Kristensen, irgendwie läuft das ganz anders ab, als ich es mir vorgestellt habe.
Ich ahne es, Heiko. Sie möchten in Ihr weibliches Zielobjekt verliebt sein, sind es aber nicht. Keine Sorge, das ist ganz normal. Gefühle kann man nicht erzwingen. Außerdem trauern Sie Ihrer Bäckerin noch nach.
Das muss ich leider zugeben, Herr Dr. Timmermann.
Sehen Sie? Und im Bäckerei-Fall hat Ihre Vernunft über Ihre Gefühle gesiegt. Doch nun will Ihre Vernunft neue Gefühle hervorbringen, so funktioniert das aber nicht.
Was soll ich tun?
Gestehen Sie sich ein, dass Ihr Verhältnis zu Bente nichts mit Liebe zu tun hat. Bleiben Sie locker, machen Sie sich nicht so viele Gedanken. Lassen Sie sich vom Leben überraschen. Ansonsten empfehle ich Ihnen heute Abend noch zwei bis drei Dithmarscher Pils, das dürfte Sie etwas entspannen. Das wär’s für heute, Heiko, wir sehen uns dann bei Bedarf wieder.
Ja, vielen Dank, Herr Dr. Timmermann.
Die innere Auszeit hat mir gutgetan und mich sogar etwas beflügelt. Ich beteilige mich wieder am Gespräch und kläre Bente ein wenig über Wesselburener Deichhausen und Umgebung auf, flankiert von Vaters eher historischen Einwürfen.
Nach dem Abendessen gehen Linda und ich noch eine Runde mit Bente durchs Dorf. Stromer ist dabei, er ist hocherfreut, denn so häufig wird er nicht ausgeführt. Die Stimmung ist gut, wir laufen und laufen und merken kaum, dass wir uns schon auf halbem Weg nach Reinsbüttel befinden. Wenn schon, dann können wir ja auch gleich weiter gehen. Allgemeiner unausgesprochener Entschluss: Wir kehren erst in Reinsbüttel wieder um.
Falls das einer ganz genau nachmessen will, kann er sich ja mal die Kreiskarte von Dithmarschen vornehmen.
Wir kommen am Haus von Maren Reimers vorbei, die war vor gar nicht allzu langer Zeit meine Freundin, obwohl sie erst 14 war und ich gut und gerne fünf Jahre älter. Solche Sachen gibt es halt, nicht nur auf dem Lande. Ich habe mal gelesen, dass der amerikanische Sänger Jerry Lee Lewis mit seiner dreizehnjährigen Kusine verheiratet gewesen sein soll. Ganz so weit ist es mit Maren und mir nicht gekommen, genauer gesagt, es kam ja nicht einmal annähernd so weit. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Höhe Gasthof Leesch kehren wir wieder um, unser Bier können wir ja auch zu Hause trinken.
Da wir uns die ganze Zeit über so gut unterhalten, merken wir gar nicht, wie die Kilometer unter unseren Füßen dahingehen. Linda möchte von Bente gern jede Einzelheit aus der Studentinnen-Wohngemeinschaft erfahren, als ob es eine Doku-Soap wäre. Völlig freies Leben ohne elterliche Kontrolle, das könnte Linda wohl so passen. Allerdings lässt sie sich von den Eltern auch nicht wirklich viel sagen, sie ist da schon sehr selbstbewusst. Selbstbewusster als ich es mit 15 Jahren war. Aber als Zweitgeborene hat man es natürlich auch etwas leichter.
Wir kommen schließlich wieder zu Hause an, es ist ein bisschen spät geworden, schon lange dunkel. Vater und Mutter genießen gerade Verstehen Sie Spaß? im Ersten. Es gibt zu ihrem Leidwesen heute leider keine Volksmusik-Sendung. Peinlich, aber wahr: Meine Eltern stehen auf sowas.
Übrigens hat Bente erzählt, dass Hansi Hinterseer erstaunlicherweise in Dänemark sehr erfolgreich ist. Er sei sogar auf Platz eins der Album-Charts. Ausgerechnet in Bentes Heimatstadt Horsens gibt er im Dezember ein Konzert. Bentes Schilderung entnehme ich, dass sie nicht unbedingt zu seinen Fans gehört.
Wir verzichten also auf den Spaß im Ersten und ziehen uns mit einigen Fläschchen Dithmarscher Pils in mein Zimmer zurück, wo wir bei guter Mucke von meinem Rechner noch ziemlich lange sitzen und quatschen.
Ich habe ja beschlossen, mich nicht krampfhaft in Bente zu verlieben und versuche ihre Gegenwart eher vom lockeren Standpunkt her zu genießen.
Am Sonntag und Montag (3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit) machen wir noch ein paar Ausflüge mit Bente in die nähere Umgebung und zum Beispiel auch nach Heide. Ich will das jetzt nicht alles im Einzelnen erzählen, das würde euch wahrscheinlich eher langweilen.
Ich höre schon die ersten Beschwerden: Heiko, wann geht das denn nun richtig los?
Nur noch eine kleine Randbemerkung: Ein paar Fahrten machen wir mit Vaters altem Unimog, der gut und gerne 50 Jahre alt ist. Natürlich ist man dann nicht so schnell, aber man hat einen guten Überblick und bekommt ziemlich viel von der Gegend mit.
Resümee: Es bringt Spaß mit Bente, aber ich habe auch nichts dagegen, dass das Alltagsleben wieder anfängt.
Verlängertes Wochenende beendet.
Dienstagmorgen in der Redaktion des Dithmarscher Landboten in Heide, Wulf-Isebrand-Platz.
Ich breite mich an meinem Schreibtisch aus und verschaffe mir einen ersten Überblick über die anwesenden Kolleginnen und Kollegen. Herr Callsen, Herr Fuchs und Herr Harder sind schon heftig am Arbeiten und haben mein Guten Morgen allerseits kaum wahrgenommen. Frau Brüggmann, die kuschelig-muttimäßige, hat mir gerade eine neckische Kusshand zugeworfen. Sie steht irgendwie auf mich, aber ich könnte ihr Sohn oder sogar ihr Enkel sein, wenn sie früh angefangen hätte.
Annika Piwek, die Miss Landbote mit der Fielmann-Brille, hat mich dagegen wieder gekonnt ignoriert. Wahrscheinlich hat sie ihre Tage. Rolf Teichgraeber, knapp über 30 und mir vom Fußballverein bekannt, kommt gerade herein. Wenigstens ein Lichtblick, von Frau Brüggmann einmal abgesehen.
Moin, Heiko. Schönes Wochenende gehabt?
Ja, Rolf, war prima. Wir haben gerade Besuch aus Dänemark.
Dänemark?
Ja.
Ich habe nicht den Eindruck, dass ihn das besonders interessiert. Wahrscheinlich kommt jetzt ein ganz anderes Thema. Eventuell hat er sich auch mal wieder was Neues für mich ausgedacht.
Stimmt, denn er sagt:
Heiko, verstehst du was von der Steinzeit?
Rolling Stones?, versuche ich scherzhaft einzuwerfen.
Er ignoriert meinen Einwurf. War wahrscheinlich sowieso nur eine rhetorische Frage.
Es geht um das AÖZA, doziert Rolf.
A-Ötza?
A, Ö, Z, A, buchstabiert Rolf. Archäologisch-Ökologisches Zentrum Albersdorf. Nennt sich aber auch Steinzeitpark Dithmarschen.
AÖZA klingt irgendwie wie eine Sekte, finde ich. Das sage ich aber nicht laut. Ich nicke nur und lasse Rolf weiterreden:
Beim AÖZA gibt es am nächsten Samstag so eine besondere Veranstaltung. Hat was mit Experimenten und Archäologie zu tun. Soll ganz interessant werden, sind auch Leute von der Kieler Uni dabei.
Du bist dazu ausersehen worden, dahin zu fahren und darüber zu berichten. Kann eventuell eine Sonderseite werden. Du kriegst das schon hin.
Aha, jetzt soll ich mich wohl freuen. Gut, tu ich auch teilweise. Ich finde das ja ganz schön, dass die Zeitung mir diese Sonderberichterstattung schon zutraut. Aber ausgerechnet Samstag. Na, ich muss wohl in den sauren Apfel beißen.
Rolf scheint meine Gedankengänge irgendwie an meinem Gesichtsausdruck ablesen zu können.
Ist zwar ‘ne Wochenend-Sache, aber dafür hast du ansonsten diese Woche freie Hand. Also, du kannst dich in aller Ruhe darauf vorbereiten, Heiko. Wie man das macht, das weißt du ja, du hast ja auch ganz erfolgreich mit dieser Serie über unsere Dörfer angefangen.
Rolf weiß schon, wie man Leute motiviert. Wahrscheinlich hat er einen entsprechenden Lehrgang besucht.
Ist eingeloggt, sage ich.
Okay, heute ist Dienstag, da habe ich wirklich noch jede Menge Zeit zum Vorbereiten. Aber es ist wohl besser, ich fange sofort an, dann komme ich zum Schluss nicht in Stress und kann dann vielleicht doch noch den Freitag als freien Tag betrachten.
Ich beginne meine Recherche. Keine Angst, ich werde euch jetzt nicht akribisch und in Echtzeit berichten, wie ich dabei vorgehe. Vielleicht nur am Anfang ein bisschen ausführlicher und den Rest dann nur als Ergebnis, wenn ihr damit leben könnt.
Heiko, Alter, frage ich mich selbst, was weißt du von der Steinzeit?
Ich antworte mir höflich, aber reichlich schimmerlos:
Lieber Heiko, so viel weiß ich nicht darüber. Das ist wohl die Zeit, als die Menschen nur Werkzeuge aus Stein benutzten, also Faustkeile und solche Sachen. Es gab wohl auch Steinäxte, Feuersteine zum Feuermachen und so weiter. Aber das war wohl alles ziemlich unkomfortabel. Heute hat man das schon leichter, da geht man einfach zum Baumarkt.
Fred Feuerstein fällt mir noch ein und dann noch, dass viele Leute glauben, dass es zu Zeiten der ersten Menschen noch Dinosaurier gab, was aber ein völliger Blödsinn ist.
Lieber Heiko, sage ich mir, gib’s zu, du hast eigentlich gar keine Ahnung.
Ich forsche im Internet auf meinen Lieblingsseiten (Wikipedia und so weiter) und bekomme ganz allmählich ein etwas klareres Bild:
Der Mensch ist ein höheres Säugetier und gehört zur Unterordnung der Trockennasenaffen. Und wozu braucht man dann Taschentücher? Egal, weiter: Fossilien von Menschen sollen angeblich über 200.000 Jahre alt sein.
Irgendwo anders habe ich mal gelesen, dass es den Menschen sogar schon seit einer Million Jahren gibt. Hängt wahrscheinlich davon ab, wie man Mensch definiert.
Ab wann ist man kein Affe mehr und schon Mensch? Bei manchen Zeitgenossen sind die Grenzen wohl eher fließend. Okay, darauf scheint es keine wirkliche Antwort zu geben.
Aber was ist nun mit der Steinzeit? Ich vermute mal, das ist die ganze Zeit vom ersten offiziellen Menschen an bis zu dem Zeitpunkt, wo man was Besseres entdeckt hat als Steine.
Schauen wir mal: Hier steht, dass die Steinzeit vor 2,6 Millionen Jahren anfing, aha, dann muss es wohl auch schon Menschen gegeben haben oder so etwas Ähnliches.
Ungefähr 7000 v. Chr. endete die Steinzeit, als die Menschen begannen, Werkzeuge aus Metall herzustellen.
Es gab aber regionale Unterschiede. Gut, das erklärt wohl auch, dass es noch irgendwo auf der Welt versteckte Völkchen gibt, die noch mit Steinäxten hantieren, während die übrige Welt ihr Werkzeug im Internet bestellt.
Also, Heiko, sage ich mir, diese Steinzeit ist schon eine verdammt lange Zeit gewesen. Aber die Leute waren schon damals nicht blöd, die wussten sich schon zu helfen. Die haben eben alles als Werkzeug benutzt, was so herumlag. Also jede Menge Steine in allen erdenklichen Größen.
Ich stelle mir gerade vor, dass ich irgendwo auf einer einsamen Insel ausgesetzt werde, also nicht gerade Mallorca oder Sylt. Lieber Herr Timmermann, wir kommen dann in zwei Monaten und holen Sie wieder ab oder das, was noch von Ihnen übriggeblieben ist. Kein Handy, kein Feuerzeug, kein Schlafsack, keine Konservendosen. Kommt natürlich auf die Insel an und die Jahreszeit.
Ich würde mir dann schon eine eher tropische Insel wünschen, damit ich nicht so friere. Aber dann wäre ich schon auf der gleichen Kulturstufe wie so ein Steinzeit-Heiko. Und der hätte mir bestimmt einiges an praktischem Wissen voraus. Der wüsste schon, mit welchen Steinen man Feuer schlagen kann oder wie man sich Waffen für die Jagd zusammenbaut. Respekt.
Ich google dann mal nach dem AÖZA: Google, google, da ist es schon: Neues im Steinzeitpark ist die Überschrift der Seite. Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet, Eintritt vier Euro. Geht ja noch. Es gibt auch Führungen und jede Menge Projekte und Rallyes und so weiter. Man kann dort auch Kindergeburtstage feiern. Vielleicht mit einer Steinofen-Pizza.
Ich könnte da ja meinen 20. Geburtstag begehen.
Es ist mehrfach von Jungsteinzeit die Rede. Ich lese nach, dass die Menschen vor ungefähr 12.000 Jahren begannen, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben und sich niederzulassen. Aber eher so im Nahen Osten, von Dithmarschen ist noch nicht die Rede.
Vielleicht waren wir ja auch noch komplett von Eis bedeckt? Da muss ich noch mal nachschauen, wann war denn die letzte Eiszeit?
Da haben wir’s: Vor etwa 12.000 Jahren endete die letzte Vergletscherungsphase. Pünktlich zur Einweihung der ersten bäuerlichen Betriebe. Da wird es bei uns in Dithmarschen wohl nicht so arg viele Menschen gegeben haben.
Beim Thema Eiszeit wird mir immer kälter und ich hole mir erst einmal einen heißen Kaffee. Dann muss ich mir nochmals eingestehen, dass ich im Prinzip nur wenig Ahnung von unserer Vor- und Frühgeschichte habe und dass mich das gesamte Wissen über die Historie, das mir vom Flachbildschirm her entgegenschlägt, ziemlich fertigmacht.
Während ich meinen Kaffee genieße, beschließe ich, mich nicht weiter fachwissenschaftlich zutexten zu lassen, sondern den Rechner herunterzufahren, mir ein paar einfache Fragen zu notieren und dann mal selbst zum AÖZA hinauszufahren.
Heute bin ich mit dem Polo da, ist also kein Problem. Man kann übrigens auch mit der Bahn von Heide nach Albersdorf fahren, falls es jemanden interessiert. Und mit dem Bus natürlich auch, falls man das lieber mag.
Nanu, wo ist Rolf denn, eben war er doch noch da. Jetzt ist er jedenfalls wie vom Erdboden verschluckt. Ich gehe rüber zu Frau Brüggmann und sage ihr, dass ich noch nach Albersdorf fahren will und dass ich vermutlich heute nicht mehr in die Redaktion zurückkehren werde.
Ist in Ordnung, Heiko, ich sag‘ Herrn Teichgraeber dann Bescheid.
Ich greife mir meine Sachen, nehme vorsichtshalber noch das Diktiergerät und die Kamera mit, auf geht’s.
Auf dem Flur treffe ich Maja.
Maja, die kleine Dunkelhaarige von der Gelehrtenschule Meldorf.
Geschätzte Größe: 1,70 m, geschätztes Gewicht 66 kg, etwas näher am Normalgewicht als am Idealgewicht.
Hier und da ein paar angenehme Rundungen, sie hat übrigens braune Augen.
Ihr erinnert euch vielleicht, sie ist die andere Volontärin beim Dithmarscher Landboten und war vor gar nicht allzu langer Zeit für meine Entjungferung zuständig. Aber, wie schon erwähnt, wir sind jetzt eher Freunde-bleiben-Freunde.
Hallo Heiko.
Hallo Maja, auch unterwegs?
Ja, ich soll mal rüber zur Volkshochschule. Recherche für einen kleinen Artikel. Was da so angeboten wird, wer die Angebote wahrnimmt und so weiter. Besondere Lust habe ich nicht gerade darauf.
Wir gehen die Treppe herunter.
Noch Zeit für einen kleinen Kaffee?, frage ich.
Ja, klar.
Meine Lust auf Albersdorf hält sich auch noch etwas in Grenzen. Außerdem ist es erst zehn Uhr, die machen ja erst um elf auf. Also Zeit genug für einen kleinen Kaffee und ein Schwätzchen.
Wir holen uns unseren Kaffee bei der Back-Factory und klemmen uns in eine Ecke.
Lange nicht gesehen, eröffne ich das Gespräch.
So ganz stimmt das ja nicht. Maja war erst letzte Woche bei uns. Aber eher als Besuch für Linda. Seltsamerweise sind die beiden ziemlich gut befreundet, müssen wohl irgendwie auf einer Wellenlänge funken.
Und was hast du so vor?, fragt Maja.
Ich soll raus nach Albersdorf zum AÖZA.
Das sagt mir schon was, Heiko. Was sollst du denn da machen?
Vorbereitungen für einen Artikel. Ich soll da am Samstag zu so einer besonderen Veranstaltung hin, aber was es genau ist, weiß ich eigentlich auch noch nicht.
Maja schaut aus dem Fenster auf die Friedrichstraße und scheint dabei meine Informationen abzuspeichern.
Übrigens haben wir gerade Besuch aus Dänemark, sage ich.
Ich habe wir gesagt, nicht ich.
Dänemark?
Ja, Bente Kristensen aus Aarhus. Die studiert Kunstgeschichte und will sich eine Woche lang in Dithmarschen umsehen. Aber wohl nicht nur Dithmarschen.
Da Maja ja nicht wirklich meine Freundin ist oder mit mir geht oder wie man das sonst ausdrücken könnte, erzähle ich ihr, wie ich Bente kennengelernt habe. Auf meiner Recherche-Tour vor ein paar Monaten in Bad Hersfeld. Ich lasse aber auch vorsichtig durchblicken, dass ich nichts mit ihr habe, sonst könnte Maja vielleicht doch eifersüchtig werden. Man weiß ja nie. Und man soll sich ja alle Türen offenhalten. Du wirst sie ja noch sehen, wenn du mal wieder vorbeikommst, lasse ich verlauten.
Maja kommt tatsächlich ab und zu bei uns vorbei. Das heißt natürlich nicht nur vorbei, sondern direkt zu uns.
Ihre Besuche gelten dann dem, der gerade an Bord ist, allerdings schon eher Linda als mir.
Ich glaube aber, dass Linda Maja noch nie in Bargenstedt bei Meldorf besucht hat. Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass Linda nicht motorisiert ist, Maja aber schon mit ihrem noch ziemlich neuen Golf. Sie hat übrigens keine Geschwister, vielleicht sind Linda und ich auch so eine Art Geschwister-Ersatz für sie. Aber eigentlich ist mir das auch ziemlich egal.
Ja, ist gut, ich komm dann irgendwann mal vorbei, sagt Maja, während sie ihren Kaffee austrinkt. Du, Heiko, ich muss dann mal los. Wir sehen uns.
Wir sehen uns, tschüs.
Sie trabt davon in Richtung Volkshochschule am Marktplatz, ich trabe nicht, sondern schlendere eher gelassen zum Parkplatz in der Nähe der Zeitung.
Polo besteigen, Mucke auf mittlere Lautstärke. Straßenkarte brauche ich nicht, Albersdorf gehört eher zu den Dithmarschen-Standards.
Ich fahre über Heides Bausünde Nr. 1, die Stadtbrücke. Wer hier einen Fluss vermutet, liegt aber falsch. Die Brücke führt nur über die Bahnstrecke Hamburg-Westerland.
Dann einfach immer geradeaus, goodbye, Heide, am Media-Markt vorbei und dann rechts ab Richtung Albersdorf. Hier wird die Landschaft immer untypischer für Dithmarschen, das man sonst ja eher als völlig flach kennt, mit ein paar Deichen drumherum. Ist aber nicht überall so.
Hinter Nordhastedt wird es sogar richtig schön, sanfte Hügel und nette Wälder. Fehlt nur noch die Schwarzwaldklinik.
Albersdorf erreicht, liegt eigentlich ziemlich idyllisch. Der Ort erinnert mich an Modelleisenbahn-Landschaften. Das ist übrigens auch so ein Thema, ich hoffe für euch, dass ich das jetzt nicht zu weit ausbreiten werde. Wer spielt denn heutzutage noch mit der Eisenbahn? Das meine ich jetzt aber nicht negativ, sondern ich bedaure es eher. Im Nachhinein hätte ich gerne eine Modelleisenbahn gehabt, von Märklin oder Fleischmann oder wie sie alle heißen. Das scheint aber eher ein Hobby von älteren Herren mit viel Geld im Hintergrund zu sein.
Vielleicht werde ich später ja mal auch so einer, Chefkolumnist bei der Frankfurter Rundschau oder beim Tagesspiegel. Es gibt dann hoffentlich noch Eisenbahnen. Ich habe während meiner Kindheit plus Schulzeit jedenfalls keinen gekannt, der eine Eisenbahnanlage hatte.
Nächste Frage: Welches Kind liest noch Micky-Maus-Hefte? Ich weiß, die Dinger gibt es noch, aber immer mit irgendwelchen Gimmicks aus Plastik zum Wegschmeißen. Vater hat zum Beispiel noch jede Menge alte Hefte, er hat sie früher mal gesammelt. Sobald ich lesen konnte, habe ich mir die Geschichten mit Begeisterung reingezogen. Ich verdanke ihnen einen Großteil meiner gepflegten Halbbildung.
Jetzt gedanklich den Dreh zur Steinzeit hinzukriegen fällt mir schwer. Ich bin mittlerweile auf dem großzügigen AÖZA-Parkplatz angekommen. Leider muss ich kritisch anmerken, dass die Abzweigung ziemlich plötzlich kommt. Aber vielleicht habe ich auch einfach nicht gut genug aufgepasst.
Ich lasse den Polo sanft ausrollen. Ein Blick auf die Uhr: Kurz nach elf, sie müssten eigentlich schon geöffnet haben. Die werden doch hoffentlich nicht nur Sonnenuhren verwenden.
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie hier war, obwohl Vater das AÖZA schon mehrmals als Sonntagnachmittags-Ausflugsziel angepriesen hat. Aber bei Timmermanns ist eher sonntägliche Lethargie gefragt, allgemeines Abhängen. Man hat die Woche über so viel um die Ohren, dass man sich lieber auf dieselben legt.
Ich verschaffe mir einen ersten Überblick. Bildbeschreibung: Im Vordergrund die Ausläufer des Parkplatzes, die zu einem eher neuzeitlich aussehenden Empfangsgebäude führen. Kasse, Infos, Andenken und so weiter. Dahinter ein Arrangement von tatsächlich steinzeitlich wirkenden, niedrigen Häusern mit schmutziggrauen, schiefen Wänden und Dächern, die wohl Stroh- oder Grasdächer oder beides vorstellen sollen.
Es wirkt ein bisschen gewollt ärmlich auf mich, so nach der Devise: Siehst du, Heiko, so mussten unsere Vorfahren noch leben und du räumst nicht einmal dein Zimmer auf. Aber ich war mit der Beschreibung noch nicht fertig.
Also, weiter: Zwischen den Häusern oder Hütten einfache Wege und Wiesenflächen. Grob gezimmerte Zäune, es gibt auch ein paar Ziegen und Rinder, die aber kaum Ähnlichkeit mit den Tieren haben, die der moderne Wesselburener Deichhausener Landwirt in seinem High-Tech-Stall herumlaufen hat.
Ich bin nicht der einzige heutige Mensch in diesem Ambiente, offensichtlich befinden sich schon mehrere Schulklassen auf dem Gelände. Wahrscheinlich in Gruppen aufgeteilt und mit Rallye-Bögen ausgestattet. Ein paar Busse stehen auf dem Parkplatz.
Ich betrete das Empfangsgebäude. Der Kassenraum ist ein bisschen eng und sicher nicht für die vorübergehende Unterbringung mehrerer Schulklassen geeignet.
Guten Morgen, sage ich.
Der Kassenmensch ist ein freundlicher älterer Herr, der mich neugierig anschaut.
Timmermann, stelle ich mich vor, vom Dithmarscher Landboten. Ich komme wegen der Veranstaltung am Samstag, da wäre es gut, wenn ich schon etwas Vorab-Information kriegen könnte.
Das trifft sich gut, bekomme ich als Antwort, unsere Frau Schneebogen ist gerade da, ich sag‘ ihr nur kurz Bescheid.
Schneebogen. Toller Name.
Schneebogen, Herr, äh, Timmermann von der Zeitung? Kommen Sie doch einfach mit in mein Büro.
Frau Schneebogen ist unerwartet schnell hinter dem Kassenmenschen aufgetaucht und lächelt mich auffordernd an. Ich folge ihr.
Nehmen Sie Platz, Herr Timmermann.
Ein aufgestelltes Namensschild auf ihrem Schreibtisch verrät mir den Vornamen: Miriam.
Miriam Schneebogen, klingt eigentlich ganz hübsch.
Sie ist schätzungsweise 33 bis 35 Jahre alt, mittelgroß und etwas füllig, trägt Jeans und eine weite dunkelblaue Bluse, deren geöffneten oberen Knöpfe einen kleinen Einblick in ihre Oberweite erlauben würden, wenn dieser Einblick nicht durch die Ausläufer eines gelben Halstuches behindert wäre. Irgendwie erinnert sie in ihrer Kostümierung an eine Pfadfinder-Führerin. Ihr halblanges braunes Haar ist an einer Seite gescheitelt. Es würde nicht schaden, wenn sie mal wieder einen Friseur aufsuchen würde, der sie etwas aufpeppt. Ihre Augen sind graublau und blicken freundlich, insgesamt ist ihr Gesicht ein wenig pausbäckig.
Es wäre schön, wenn Sie mich etwas über die Veranstaltung am Samstag aufklären könnten. Ich werde dann für den Landboten berichten. Ich muss allerdings gleich sagen, dass ich das AÖZA selbst noch nie besucht habe.
Das hätte ich nicht sagen sollen, denn Miriam Schneebogen atmet tief ein und textet mich anschließend zu:
Durch einen weitgehend natürlichen, aber landschaftsplanerisch gesteuerten und mehrere Jahrzehnte dauernden Entwicklungsprozess vom Maisacker zum Steinzeitwald soll auf der ca. 40 Hektar großen Fläche des AÖZA ein Freigelände entstehen, das in Struktur, Raumgefühl und Nutzbarkeit den Eindruck einer Landschaft der Jungsteinzeit vermittelt.
Gleichzeitig soll auf diesem Gelände mit seinen neun gut erhaltenen archäologischen Grabdenkmälern – den Großsteingräbern, Grabhügeln und Riesen- oder Langbetten – ein attraktiver Erholungsraum geschaffen und die ökologische Situation verbessert werden.
Die Arbeiten dazu haben im Sommer 1997 begonnen.
Unter Berücksichtigung steinzeitlicher Handwerkstechniken und auf Grundlage neuer archäologischer Ausgrabungsergebnisse wird ein Steinzeitdorf aufgebaut, in dem an Aktionstagen oder für angemeldete Gruppen Aktivitäten wie Flintschlagen, Lederbearbeitung und vieles mehr angeboten wird. Mittelfristig ist die Gestaltung einer einführenden Informationsausstellung zum Thema Mensch und Umwelt während der Jungsteinzeit in Norddeutschland geplant.
Stopp.
Das klingt ja wie auswendig gelernt.
Wie ich später anhand der Info-Broschüren feststellen werde, war es auch wirklich Wort für Wort der Originaltext.
Ich überlege kurz, ob ich alles verstanden habe. Im Prinzip schon, aber eigentlich würde ich sie gerne bitten, den Teil mit den Riesen- und Langbetten noch einmal aufzusagen. Und dann würde ich sie gerne fragen, ob sie in ihrem Schlafzimmer eher ein Riesen- oder ein Langbett hat.
Anscheinend ist sie nicht verheiratet. Sie trägt keinen Ring, aber das war in der Steinzeit sicher noch nicht üblich. Ich würde sie auch noch gerne fragen, ob sie Müsli zum Frühstück isst. Sie sieht halt so aus. Aber alle diese Dinge gebe ich natürlich nicht von mir.
Ja, vielen Dank, Frau Schneebogen. Da bin ich ja erst einmal orientiert. Könnten Sie mir kurz erklären, was am Samstag hier stattfinden wird?
Sie erklärt es und es klingt tatsächlich ein bisschen weniger auswendig aufgesagt. Trotzdem will ich euch den Originalton nicht zumuten und fasse lieber mit eigenen Worten das Ergebnis zusammen:
Das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Uni Kiel führt regelmäßig Projekte bzw. Versuche auf dem AÖZA-Gelände durch.
Am kommenden Samstag soll ein extra für diesen Zweck aufgebautes Jungsteinzeit-Haus kontrolliert abgebrannt werden. Man fragt sich, ob es aufgrund seiner Bauweise vollständig abbrennen wird oder ob Reste erhalten bleiben, die es erlauben würden, das Haus an derselben Stelle wieder aufzubauen. Dadurch könnte die Frage geklärt werden, ob steinzeitliche Häuser nach einem Brand in der Regel an Ort und Stelle wieder aufgebaut wurden oder ob die Menschen damals mit größerer Wahrscheinlichkeit an anderer Stelle ein neues Haus errichteten.
Und: Man fragt sich, ob man von den Resten der Brandruine auf die Konstruktion des Hauses Rückschlüsse ziehen könnte. In diesem Fall ist die Bauweise ja bekannt, man war es ja selber, aber es gibt an anderen Orten wohl jede Menge Funde mit Resten von abgebrannten Steinzeithäusern.
Habe ich das jetzt selbst verstanden? Ich fürchte, doch noch nicht so ganz. Deshalb überlege ich nochmal und drücke es mal eine Idee anders aus:
So ein Experiment könnte Hinweise darauf geben, ob man die Rekonstruktion gut hinbekommen hat. Man kann ja normalerweise keine Ahnung davon haben, wie wohl die Dachkonstruktion ausgesehen hat. In der Steinzeit gab es ja leider noch keine Fotos. Wenn die abgebrannten Reste dem ähneln, was man an Ausgrabungsresten aus der Steinzeit kennt, dann hat man wohl ziemlich richtig rekonstruiert und kann sich dann sagen: Hey, wir haben’s gut hinbekommen. Das kann dann wohl so was sein wie die Lage und Verteilung der Holzkohlestückchen und dem gebrannten Lehm von den Wänden. Und ob die Steinzeitleute wohl Bock hatten, eine abgebrannte Hütte an derselben Stelle wieder aufzubauen. Aber das habe ich ja schon mal gesagt.
Tut mir leid, Leute, aber besser kann ich das auch nicht erklären. Ich bin ja auch kein Archäologe, sondern nur ein Landboten-Lehrling.
Ich frage mich auch, ob das Experiment etwas mit Altersbestimmung zu tun haben könnte, aber davon hat die Schneebogen nichts erwähnt. Ich lasse es mal dabei.
Ich fürchte, das klang auch nicht viel unkomplizierter als Miriams Originalton. Für meinen Artikel werde ich das sicher viel einfacher ausdrücken müssen.
Und was bedeutet kontrolliert abbrennen im Klartext?, frage ich nach.
Ganz einfach, wir sorgen durch Sicherheitsmaßnahmen dafür, dass wirklich nur das eine Gebäude abbrennt und nicht die ganze Umgebung. Die Feuerwehr wird natürlich dabei sein, auch die Polizei und sogar das Rote Kreuz. Und wir hoffen besonders, dass an diesem Tag viele interessierte Gäste zu uns kommen werden. So eine Geschichte hat natürlich auch eine gewisse Werbewirksamkeit.
Auf jeden Fall, räume ich ein.
Miriam Schneebogen.
Ist vermutlich so etwas wie eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des AÖZA. Es hängt aber nirgendwo ein Diplom oder dergleichen an einer Wand des Büros. Master of Neolithics, University of Stonehenge.
Meine Blicke an die Wände vermitteln ihr offenbar den Eindruck, dass es mich nach draußen drängt. Daher schlägt sie vor:
Was halten Sie von einer kleinen Begehung, Herr Timmermann, ich nehme doch an, dass Sie noch etwas Zeit haben.
Ja, sehr gern, Frau Schneebogen.
Aha, eine Führung. Bei meiner letzten Führung durch einen Info-Hasen in der Giftmülldeponie in der Nähe von Bad Hersfeld bin ich anschließend sehr ausfallend geworden. Ich hoffe, dass es diesmal nicht notwendig sein wird.
Miriam Schneebogen hüllt sich in einen Jack-Wolfskin-Anorak in einem unbeschreiblich grellen Rot und setzt sich eine schwarze Wollmütze auf. Daher sieht ihre Frisur also so aus.
Ich folge ihr und muss erfreulicherweise keinen Eintritt zahlen. Während wir vor uns hinmarschieren, hoffe ich, dass sich das abzubrennen de Haus nicht unbedingt in der hintersten Ecke der 40 Hektar befindet. Dem ist nicht so, nach zehn Minuten haben wir unser Ziel erreicht.
Miriam Schneebogen lässt es sich nicht nehmen, auf dem Weg dorthin vor sich hinzudozieren.
Die Häuser, die Sie dort sehen, Herr Timmermann, entsprechen in etwa der Bauweise von ca. drei bis vier Jahrtausenden vor Christi Geburt. Die Funde, die in unserem Bereich gemacht wurden, weisen auf diesen Zeitraum hin. Auf Grund von Ausgrabungsbefunden und Vergleichen konnte man die Architektur der jungsteinzeitlichen Häuser rekonstruieren.
Ich nicke freundlich, sie fährt fort:
Gehen wir mal hier rein.
Wie Sie sehen, eine ziemlich dunkle Angelegenheit. Keine Fenster. Das einzige Licht kommt bei geschlossener Tür durch die Windaugen, sehen Sie die beiden Öffnungen in den First-Abschlüssen, die dienten auch gleichzeitig als Be- und Entlüftung und natürlich für den Rauchabzug. Aber so arg gequalmt hat es gar nicht in diesen Häusern, wir haben Versuche mit verschiedenem Brennmaterial gemacht und festgestellt, dass man ein beinahe rauchloses Feuer erreichen kann.
Der Schneehase redet ja ohne Punkt, aber immerhin mit Komma. Und ich muss schon sagen, dass ich durchaus beeindruckt bin. Ich stelle auch die eine oder andere Frage, die hoffentlich nicht meine Steinzeit-Ahnungslosigkeit bloßstellt.
Wir haben die zukünftige Brandruine erreicht. Ein Haus in ähnlicher Bauweise wie die Häuser des Steinzeitdorfes, aber es liegt natürlich abseits, auch etwas weiter entfernt vom Wald.
Ja, da sind wir, Herr Timmermann. Da ist ja der eine Zufahrtsweg, das war eine Auflage von der Feuerwehr, damit sie ihr Fahrzeug hier in der Nähe vor Ort haben kann. Und schauen Sie hier, das Haus ist in ähnlichem Zustand wie die anderen. Komplett möbliert, sozusagen. Und wir werden es bis Samstag noch mit Keramik, Textilien, Lebensmitteln und so weiter ausstatten, damit möglichst realitätsnahe Bedingungen geschaffen werden. Natürlich werden wir keine lebenden Tiere verbrennen, aber frisch geschlachtetes Geflügel und Kleinvieh.
Diese Aussichten beleben mich nicht besonders. Bei uns im Dorf hat mal vor ein paar Jahren ein Stall gebrannt. Der Geruch war so fürchterlich, das kann man sich gar nicht vorstellen. Sogar noch Tage danach.
Ja, das wäre es in etwa, Herr Timmermann. Wenn alle Maßnahmen getroffen sind und vor allem auch das Wetter mitspielt, wird das Haus am Samstag um Punkt elf Uhr morgens angezündet. Und dann werden wir mal sehen. Aber wenn Sie sämtliche Vorbereitungen mitbekommen wollen und die Besprechung mit Polizei und Feuerwehr, dann sollten Sie am besten schon um zehn Uhr da sein.
Zehn Uhr. Ich bin erleichtert. Ich hatte schon befürchtet, ich müsste morgens um sechs in Albersdorf auf der Matte stehen.
Ja, ich muss dann auch wieder, sagt Frau Schneebogen, kommen Sie, Herr Timmermann, ich begleite Sie zum Parkplatz.
Ein kleines Fazit, nachdem ich mich am Parkplatz von Frau Schneebogen verabschiedet habe: Nette Person, diese Miriam. Offensichtlich auch kompetent. Und, lieber Heiko: Es ist interessant hier, das kannst du ruhig zugeben. Man muss sich nur etwas in die Materie hineindenken. Ich bin eigentlich schon ganz gut motiviert für Samstag.
Wenn die Steinzeitmenschen gewusst hätten, dass wir modernen Menschen uns noch so für sie interessieren, dass wir sogar ein Dorf von ihnen nachbauen…
Szene aus dem Jahr 7000 nach Christi Geburt. Ort: Museumsdorf Wesselburener Deichhausen. Der Roboter-Lehrer führt seine Roboter-Klasse durch die Häuser.
Und hier, piep, meine Lieben, seht ihr ein typisches Heranwachsenden-Zimmer aus dem Jahre 2011. Es gehörte einem gewissen Heiko Timmermann. Hier seht ihr einen der ersten Computer, noch reichlich primitiv, mit dem Gegenstand dort in der Ecke konnte man eine einfache Musik hervorbringen. Er wurde Gitarre genannt.
Erstaunte Mienen der jungen Roboter und Roboterinnen.
Ein Blick auf die Uhr. Oh, es ist schon halb zwei, da war ich tatsächlich so lange hier, ist mir überhaupt nicht aufgefallen. Aber mein Magen meldet sich und verlangt sein Recht. Mein Ziel ist die Mensa der Fachhochschule Heide, liegt auf meinem Weg. Soll übrigens nach irgendeinem Ranking die beste Mensa von Schleswig-Holstein sein. Ich habe da schon einige Male gegessen, einer aus der Redaktion hat mir den Tipp gegeben.
Ich nehme Asiatische Bratnudeln mit Ei und Kohlrabi-Rohkost für 3,75 €. Soll angeblich Brain Food sein. Bin mal gespannt, ob mein Gehirn wirklich davon angeregt wird. Die Mensa ist um diese Zeit schon wieder ziemlich leer, ich suche mir mit meinem Tablett einen Platz am Fenster und lasse mich ein bisschen von der Sonne bestrahlen.
Es wäre dramaturgisch passend, wenn jetzt irgendein Bekannter auftauchen würde: Mensch, Heiko, Alter, du hier?
Ist aber nicht so, nur unbekannte Studenten und Studentinnen im Hintergrund. Aber man sagt ja Studierende, weil man der Studierende oder die Studierende damit meinen kann. Gut, also nur unbekannte Studierende.
Ich räume meinen Platz und bringe das Tablett weg. Tak for mad, würde Bente jetzt sagen, danke für das Essen. Was sie wohl heute so treibt? Ich werde es ja später erfahren.
Im Moment bin ich etwas unentschlossen. Wie soll mein Tag weitergehen? Ich habe ein etwas schlechtes Gewissen: Rolf hat mir praktisch bis zum nächsten Montag freie Hand gegeben, aber eigentlich fühle ich mich durch meinen Besuch beim AÖZA schon recht gut vorbereitet. Wenn ich ganz ehrlich bin, könnte ich jetzt in die Redaktion zurückfahren und sagen: Hallo Leute, alles erledigt. Was habt ihr sonst noch für Aufgaben für mich? Euer Heiko.
Da ich aber nicht so super-ehrlich sein will, muss ich mir lieber selbst etwas vornehmen, was mit dem Thema Jungsteinzeit & Co. zusammenhängt. Also könnte ich auch gut nach Hause fahren und weiter im Internet recherchieren. Oder ich könnte Vater Timmermann interviewen. Ich weiß allerdings nicht, ob die Geschichte des Timmermann-Clans bis in die Jungsteinzeit zurückreicht. Ich könnte eventuell auch mal die Stadtbücherei Heide aufsuchen und einen halben Tag unter einem Haufen von Geschichtsbüchern verbringen.
All diese Gedanken überzeugen mich: Nein, ich muss jetzt nicht in die Redaktion, ich kann ohne schlechtes Gewissen nach Hause fahren.
Tu ich auch. Allerdings kann ich mir eine Zwischenlandung in Lohe-Rickelshof nicht verkneifen. Ein paar Kuchen zum Nachmittagskaffee kann ich ja ruhig mal ausgeben.
Mein Anschmacht-Objekt, die schöne dunkelhaarige Bäckerei-Fachverkäuferin, leider verheiratet, ist tatsächlich anwesend. Unglücklicherweise bin ich nicht der einzige Kunde im Laden. Als ich an der Reihe bin, kann ich nur ganz sachlich meine Bestellung loswerden, zu Smalltalk oder Flirt komme ich nicht mehr mit dem nachfolgenden Kunden im Rücken. So kann ich ihr zum Abschied nur einen sehnsuchtsvollen Blick zuwerfen. Das muss sie doch merken!
Zu Hause muss ich erstmal Mutter, Linda und ein wenig auch Lasse aufklären, warum ich jetzt schon komme und was ich in den nächsten Tagen und besonders am Samstag vorhabe. Vater ist wie fast immer unterwegs, Bente ist auch noch nicht wieder an Bord. Linda sagt, dass sie heute nach Wesselburen wollte und vielleicht auch nach Meldorf. In Ordnung.
Wir sind mitten beim Kaffee- bzw. Teetrinken, als Bente ankommt. Ich sehe schon ihren weißen alten Saab durchs Wohnzimmerfenster.
Hej, sagt sie, als sie hereinkommt. Ich habe dieses hej bisher immer für das englische hi gehalten, aber das ist wohl auch egal. Jedenfalls begrüßt man sich offenbar auf diese Weise im Königreich Dänemark. Angeblich soll man beim Abschied dann hej-hej sagen.
Bente nimmt Platz und wird ebenfalls mit Kaffee und Kuchen versorgt. Allgemeine Neugierde, was sie so erlebt hat, greift um sich.
Wie ist es gelaufen?, frage ich.
Es war alles ganz gut, sagt sie, ich war zuerst in Wesselburen und habe die Kirche angeschaut. Der Küster war sehr nett und hat mich herumgeführt. Ich habe viele Fotos gemacht und Notizen. Und danach praktisch das gleiche mit dem Meldorfer Dom, da habe ich aber mehr Zeit gebraucht.
Sie berichtet noch ziemlich viele Einzelheiten, die ich euch aber hier lieber ersparen möchte. Wichtig ist wohl, dass Bente mit der Ausbeute des Tages zufrieden ist.
Ich muss das alles natürlich noch auswerten, ich fange am besten gleich damit an.
Gut so, Bente ist ja nicht zum Amüsieren hier, sondern zum Arbeiten. Ich beeile mich zu sagen, dass mein Tagwerk auch noch nicht beendet ist und dass ich noch einiges über die Steinzeit recherchieren muss.
Die Steinzeit, Heiko? Ja, das ist sehr interessant. Es gibt in Hjerlhede bei uns in Dänemark ein Freilichtmuseum, da leben die Menschen für einige Wochen im Sommer wie in der Steinzeit.
Ist vielleicht auch besser, dass sie sich den Sommer dazu ausgesucht haben.
Mutter, Linda und sogar Lasse räumen ihre Sachen ab, Bente und ich bleiben noch vor unseren Kaffeebechern und Kuchentellern sitzen.
Magst du ein paar Bilder sehen?, fragt sie mich.
Ohne meine Antwort, die positiv ausgefallen wäre, abzuwarten, hat sie sich schon auf den Weg gemacht und hat ihren Laptop und ihre Kamera geholt. Bilder hochgeladen in irgendeine Datei, schon geht es los.
Sie zeigt mir sämtliche Fotos, die sie heute in Wesselburen und Meldorf gemacht hat, es müssen weit über hundert sein. Jedes Bild wird kommentiert, ich höre etwas über Material, Bauweise, Baustil, sogar über die Finanzierung.
Ich bin ein bisschen näher herangerückt an Bente und der Duft ihres Haares streift meine Nüstern. Auf diesem Gebiet bin ich ja etwas empfindlich. Ein wohliges Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus, das nicht nur durch den Genuss von Bäcker Scharbaus köstlichem Kuchen entstanden ist. Trotzdem finde ich, dass mein Bedarf an weiblichen wissenschaftlichen Vorträgen für heute schon genug gedeckt ist.
Es ist schön bei euch, sagt Bente schließlich.
Ich nicke, was soll ich schon dazu sagen. Ich finde es ja auch nicht schlecht. Bin ja sogar so eine Art Lokalpatriot.
Magst du mich auch einmal besuchen kommen?, fragt Bente.
Ja klar, sehr gerne sogar.
Vielleicht heute Nacht?
Oh Mann, das glaube ich jetzt einfach nicht. Halt, stopp. Natürlich glaube ich das, aber ich muss es innerlich noch einmal wiederholen: Magst du mich auch einmal besuchen kommen? Vielleicht heute Nacht?
Ihr müsst euch das jetzt noch mit diesem unnachahmlichen dänischen Akzent vorstellen. Es gibt viele Leute, die halten einen französischen Akzent für den Gipfel der verbalen Erotik. Denen kann ich nur sagen: Leute, ihr habt ja keine Ahnung…
Mein Hormonhaushalt, der bisher eigentlich mehr auf Sparflamme vor sich hinköchelte, gerät aus den Fugen und schaltet auf Volldampf-Betrieb um. Schwester, geben Sie noch ein Beruhigungsmittel, der Testosteronspiegel des Patienten ist bedrohlich gestiegen.
Ich schaue Bente an, schiele aber ein bisschen nach links und rechts, ob die Familie jetzt irgendwas mitbekommen würde. Scheint nicht so zu sein. Ich umarme Bente, sie kommt mir dabei sehr entgegen, und wir küssen uns drei Minuten siebenundzwanzig Sekunden. Danach bin ich eigentlich völlig fertig.
Und ich habe schon gedacht, du interessierst dich gar nicht für mich, sagt Bente.
Was soll ich darauf antworten? Die ungefähre Wahrheit wäre: Das habe ich bis eben gerade auch gedacht.
Jetzt muss Heiko Timmermann aber mal ein bisschen philosophisch werden:
Gibt es ein tolleres Gefühl als frisch verliebt zu sein? So verknallt, dass man denkt, der ganze Himmel hängt voller elektrischer Gitarren?
Man kann das höchstens noch mit dem Gefühl vergleichen, im Lotto einen Sechser mit Superzahl geschafft zu haben oder bei Günter Jauch die Millionenfrage locker beantwortet zu haben.
Diese Erfahrungen habe ich allerdings leider noch nicht gemacht, daher hinkt der Vergleich.
Oder denken wir mal an Songs: Rock, Pop, notfalls auch Schlager, sehr ungern auch Volksmusik. Mindestens 90 Prozent der Texte handeln vom Thema Liebe.
Dieses Jahr muss ich unbedingt in meinem Lebenskalender rot ankreuzen, denn Amor hat mich gleich viermal angeschossen: Maren, Maja, Gwyneth und jetzt auch noch Bente.
Die Bäckerin von Scharbau lasse ich aber mal weg, die zählt nicht richtig mit, war sozusagen ein amouröser Fehlschuss.
Dabei bin ich in der Liebe auch noch so eine Art Volontär, genauso wie bei der Zeitung. Daher beschließe ich, alles, was auf mich zukommt, möglichst locker zu sehen und keine Verlobungsringe zu kaufen.
Anzeige im Dithmarscher Landboten: Erika und Heinrich Timmermann geben sich die Ehre, die Verlobung ihres Sohnes Heiko mit Bente Kristensen, Aarhus, bekanntzugeben. Das Kondolenzbuch für ehemalige Freundinnen liegt gleich neben dem Gästebuch auf dem Schuhschrank im Flur. Wesselburener Deichhausen, den 4. Oktober 2011.
Zur Bekräftigung meines Gedankenganges gebe ich Bente noch einen herzhaften Kuss, dann räume ich den Tisch ab und sage: Jetzt muss ich aber leider noch etwas arbeiten.
Bente scheint es recht zu sein, sie hat ja auch noch was zu tun und will sich auf morgen vorbereiten.
Soll ich das jetzt der Familie offiziell mitteilen, dass ich eine neue Freundin habe? Nein, sehe ich nicht so. Die werden das schon mitkriegen. Verstecken werde ich meine neu entdeckte Zuneigung zu Bente jedenfalls nicht. Lügen irgendeiner Art sind in diesem Fall nicht notwendig.
Okay, ich fasse jetzt einfach mal die nächsten Tage etwas zusammen. Alle, die gespannt auf einen detaillierten Bericht über die bevorstehende Nacht mit Bente warten, muss ich leider etwas enttäuschen. Ich sage das mal so: Gebraucht einfach eure eigene Phantasie, denkt zum Beispiel daran, wie es bei euch so war in einer ähnlichen Situation.
Da fällt mir gerade eine kleine Geschichte von meinem Freund Donald Petersen aus Heide ein. Er heißt übrigens wirklich Donald, das ist kein Spitzname, der Ministerpräsident von Polen heißt ja auch Donald, Donald Tusk.
Zurück zu Donald Petersen: Donald ist ein ziemlicher Womanizer und hat auch so einige Erfahrungen gemacht. Alles ziemlich glaubwürdig, er ist kein Angeber- oder Aufschneider-Typ. Mit sechzehn durfte er mal im Haus seiner Freundin, die wohnte wohl etwas weiter weg, übernachten.
Allerdings im offiziellen Gästezimmer.
Als er in der Nacht den Eindruck hat, alles sei ruhig und er könne sich mal langsam auf die Socken zu seiner Freundin machen, öffnet er vorsichtig die Tür und will auf den Flur schleichen. Da hört er ein unangenehmes Knurren in seiner Nähe und lässt vor Schreck die Kondomschachtel, die er in der Hand hält, fallen.
Der Jagdhund des Vaters seiner Freundin patrouilliert auf dem Flur! Donald traut sich nicht wieder vor dem Morgen raus. Am nächsten Morgen wird er ganz offiziell geweckt. Unter seiner Serviette auf dem Frühstückstisch findet er die Kondomschachtel. Er erntet äußerst kühle Blicke aller Beteiligten und macht sich so schnell wie möglich aus dem Staub.
Übrigens und überhaupt Donald Petersen: Der hat gerade an der Uni Kiel angefangen, Psychologie zu studieren. Vor ein paar Wochen war er noch reichlich unentschlossen. Aber seine Eltern haben ihm eine goldene Brücke gebaut. Sie wollten, wie sie sich ausdrückten, eine Immobilie als Geldanlage erwerben und haben gemeint, sie könnten doch auch in Kiel eine Eigentumswohnung kaufen und ihr Filius könnte dort während seines Studiums wohnen.
Nun hat Donald also ein Zwei-Zimmer-Apartment in Kiel, sogar mit Garage. Aber das alles hat er mir nur kurz am Telefon erzählt, er meinte noch, ich könnte ja mal rüberkommen nach Kiel und dann könnten wir dort Party machen.
Psychologie, hat er gesagt, erst mal sehen.
Das sollen aber auch viele Mädels studieren, also wird er wohl schon eine Weile dabei bleiben.
Jetzt bin ich schon wieder vom Thema abgekommen. Ich hatte euch versprochen, nur kurz über die nächsten Tage, also Mittwoch bis Freitag zu berichten. Machen wir es mal so:
Guten Abend, meine Damen und Herren, hier ist der Sender Wesselburener Deichhausen mit den Kurznachrichten.
– Unser Mitbürger Heiko Timmermann beschäftigt sich mit dem Thema Steinzeit und sucht die Büchereien in Wesselburen und Heide zu diesem Zweck auf. Nur zweimal wurde er kurz in der Redaktion des Dithmarscher Landboten gesehen.