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Seit Nanni den Buchner-Bauern kennt, ist sie wie verwandelt. Es scheint, als ob das Schicksal selbst ihr befohlen habe, dem einsamen, verbitterten Mann zu helfen. Doch wie soll sie seine Frau und das Kind wiederfinden, die er aus glühender Eifersucht vor Jahren verstoßen hat?
Seine Reue schneidet Nanni ins Herz. Oder ist es etwas anderes, das sie bewegt, ihren Verlobten und die Eltern zu verlassen und eine Reise ins Ungewisse anzutreten?
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Seitenzahl: 105
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Wenn es das Schicksal will
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Impressum
Wenn es das Schicksal will
Eine ungewöhnliche Liebe in den Bergen
Von Margit Hellberg
Seit Nanni den Buchner-Bauern kennt, ist sie wie verwandelt. Es scheint, als ob das Schicksal selbst ihr befohlen habe, dem einsamen, verbitterten Mann zu helfen. Doch wie soll sie seine Frau und das Kind wiederfinden, die er aus glühender Eifersucht vor vielen Jahren verstoßen hat?
Seine Reue schneidet Nanni ins Herz. Oder ist es etwas anderes, das sie bewegt, ihren Verlobten und die Eltern zu verlassen und eine Reise ins Ungewisse anzutreten?
Marianne Forbach stieg am Kirchplatz von Seeleiten aus dem Bus. Ein prüfender Blick zum Himmel zeigte ihr, dass sie sich beeilen musste, wenn sie noch trocken daheim ankommen wollte. Mit einem freundlichen »Pfüat euch miteinander!« verabschiedete sie sich von den übrigen Mitfahrern, die sich ebenso schnell wie sie aus dem Staub machten.
»Gleich gibt's was!«, rief der Busfahrer hinter ihr her. »Beeil dich bloß, Nanni!«
»Aprilwetter!« Nanni lachte und winkte ihm zu. Dann lief sie um das Pfarrhaus herum, um den kürzesten Weg zum Forbach-Hof einzuschlagen. An der Ecke wäre sie beinahe mit einem Mann zusammengestoßen, der mit gesenktem Kopf gegen den aufkommenden Wind ankämpfte.
»Hoppla!«, sagte Nanni fröhlich. Doch der Blick, der sie aus alten, farblosen Augen traf, ließ ihr das Blut in den Adern erstarren.
Uijeh, dachte sie im Weiterlaufen, der alte Buchner! Das ist grad' so, als ob einem eine schwarze Katze über den Weg läuft!
Schon fielen die ersten Tropfen. Doch Nanni erreichte noch rechtzeitig den elterlichen Hof. Erst als sie die Haustür hinter sich schloss, begann es draußen zu prasseln, dass man meinte, die Hagelkörner müssten die Fensterscheiben in Stücke schlagen. Im Nu war der Hofplatz mit einer weißen Eisschicht bedeckt.
Nanni schüttelte sich wie ein nasser Hund. Die Mutter kam aus der Küche und begrüßte die Tochter.
»Da bist du ja im richtigen Augenblick gekommen, Nanni! Hat's dich noch ein bisserl erwischt?«
»Ach was! Ein paar Tropfen nur.« Sie drückte der Mutter eine prallgefüllte Tasche und zwei Beutel in die Hand. »Hier sind die Einkäufe. Ich zieh' mir nur andere Schuhe an, dann komm' ich in die Stube. Hast du einen Kaffee für mich?«
»Freilich. Der Vater ist grad' ins Gemeindebüro gegangen. Wir können den restlichen Kaffee in Ruhe austrinken. Er ist noch heiß.«
Katharina Forbach öffnete die Stubentür und stellte Nannis Einkäufe auf der Sitzbank ab. Dann holte sie zwei Gedecke aus dem Geschirrkasten und stellte sie auf den Tisch am Fenster.
Nanni zog inzwischen Mantel und Schuhe aus, strich sich über das lockige, kastanienbraune Haar und verschwand dann im Bad, um sich zu waschen und richtig zu kämmen. Frisch und bildhübsch anzuschauen, erschien sie wenige Minuten später in der Wohnstube. Die Mutter sah ihr schon erwartungsvoll entgegen.
»Hast du alle Besorgungen erledigen können?«, fragte sie.
Nanni nickte. »Ja, sogar die ausgefallene Borte, die du dir gewünscht hast. Willst du sie gleich sehen?«
»Später. Sonst wird der Kaffee wirklich kalt. Magst du ein Stück Rosinenbrot dazu?«
»Ja, gern. Ich hab direkt schon wieder Hunger.«
»Warst du nicht essen, Kind?« Die Mutter sah ihre Tochter besorgt an. »Du weißt, was dir der Arzt gesagt hat. Nach der schweren Grippe im Winter hast du viel nachzuholen.«
»Beim Klosterbräu war ich«, zerstreute Nanni die Sorgen der Mutter. »Es gab Weißwürst' mit Kraut. Und eh der Bus abfuhr, hab ich noch ein Eis gegessen. Zufrieden?«
Katharina Forbach streichelte die Hand der Tochter.
»Schaust ja auch schon wieder besser aus als vor vier Wochen. Aber jetzt hol' ich dir noch die Butter, damit du dir ordentlich was drauf streichst.«
Nanni ließ es sich schmecken. Die Mutter bezähmte so lange ihre Neugier, wie Nanni aß und trank. Aber sie verfolgte jeden Bissen, den die Tochter in den Mund schob, mit ihren Blicken. Es entging ihr auch nicht, dass Nanni immer wieder zum Fenster hinausschaute.
Der Hagelschauer war vorüber, jetzt regnete es nur noch ganz leicht. Am Himmel wurde schon wieder ein Stück Blau sichtbar. Einmal stand Nanni sogar auf und schob die Gardine beiseite, um besser nach draußen sehen zu können.
»Was hast du denn, Nanni? Warum bist du so unruhig? Wartest du vielleicht auf jemanden?«
Nanni schüttelte den Kopf. Sie schluckte erst den Bissen hinunter, bevor sie antwortete: »Ich bin vorhin mit dem alten Buchner zusammengestoßen. Er hat mich mit den Augen fast aufgefressen, als er mich erkannte. Er muss direkt ins Unwetter hineingeraten sein.«
»Ach, der Buchner«, meinte Katharina Forbach abfällig. »Dem macht das nichts aus. Der ist abgehärtet wie kein anderer im Dorf.«
»Kann schon sein«, gab Nanni zurück, »aber mir tut er leid, auch wenn er noch so bös schaut. Immer so allein in dem halb verfallenen Haus! Und das seit vielen Jahren ...«
»Das hat er sich selbst zuzuschreiben. Wenn er nicht so einen Dickschädel gehabt hätt', könnt' er noch immer der angesehene Bauer sein, der er einmal war.«
»Ich hab nie begriffen, warum er ganz allein auf dem Hof haust, ohne Vieh, ohne einen anderen Menschen! Wie alt ist er eigentlich?«
Katharina Forbach machte ein unwilliges Gesicht. Sie hätte sich lieber über Nannis Einkäufe statt über den alten Buchner unterhalten.
»Er muss an die Achtzig sein. Vor fünfzig Jahren soll er seine Frau mit dem Kind fortgejagt haben. Sie kam nicht wieder, und er hat sie nicht zurückgeholt.«
»Und? Wie ging's weiter?«, wollte Nanni wissen.
»Aber Kind, das weißt du doch! Warum interessiert's dich auf einmal so sehr?«
»Ich weiß auch nicht, Mutter. Aber irgendetwas war in seinem Blick ... ich kann's nicht beschreiben.« Nanni drängte die Mutter: »Erzähl weiter! Was hat er dann gemacht, als die Frau nicht mehr zurückkam?«
»Ich weiß es doch auch nur vom Hörensagen, Nanni. Als es passiert ist, war ich noch gar nicht in Seeleiten. Du must du lieber den Vater fragen, er wird besser Bescheid wissen.« Damit war für Katharina Forbach das Thema beendet. »Zeig mir jetzt, was du eingekauft hast! Wo ist die Borte? Die Tischdecke muss zu Ostern fertig sein! Wenn der Reinhard mit seinen Eltern kommt, will ich sie auflegen!«
Nanni lachte. »Meinst du, dass der Reinhard sieht, welche Mühe du dir mit der Stickerei gemacht hast?«
»Dass der Reinhard nur Augen für dich hat, weiß ich. Aber seine Mutter wird's bemerken. Sie soll ruhig sehen, dass wir mehr können als Kühe melken und Knödl drehen. Nichts gegen den Reinhard. Aber seine Mutter gibt manchmal ein bisserl arg an.«
Nanni lachte aus vollem Hals, wobei sie ihrer Mutter liebevoll die vor Erregung erröteten Wangen streichelte.
»Die Rivalität der tüchtigen Hausfrauen! Dass es so was noch gibt!«
»Du verstehst mich falsch, Nanni. Reinhards Mutter ist die Tochter eines studierten Mannes, deshalb fühlt sie sich uns Bauern überlegen und meint, unser Horizont endet am Hoftor. Ich wett' aber, dass sie nur halb so viel Geschick für eine solche Handarbeit hat.«
»Ja, ja, Mutterl, ist ja gut. Für mich bist du sowieso die Größte!«, glaubte Nanni, ihre Mutter trösten zu müssen. »Bei mir braucht sie aber erst gar nicht anzufangen, sich als Besserwisserin aufzuspielen. Ich kann nämlich gut mit ihrer eingebildeten Klugheit konkurrieren.«
»Ach, Kind, Kind«, begann Katharina Forbach zu jammern, »wenn du so eingestellt bist, wird's ständig Streit zwischen dir und deiner Schwiegermutter geben.«
»Aber Mutter! In erster Linie heirat' ich den Reinhard und nicht seine Mutter. Außerdem werden wir auf dem Forbach-Hof wohnen, der Gott sei Dank uns gehört und den ich einmal erben werd'! Da hat meine Schwiegermutter nichts zu meckern.«
»Trotzdem ist's besser, wenn man mit der Schwiegermutter gut steht«, beharrte Katharina auf ihrer Meinung.
»Noch ist's nicht so weit, Mutter. Wir sind erst verlobt, und vor dem nächsten Jahr denk' ich nicht ans Heiraten. Lass dir nicht schon heut graue Haare wachsen!«
Katharina Forbach musste aber trotzdem noch ein paarmal tief seufzen.
Nanni sah das Leben durch eine rosarote Brille. Sie ahnte noch nicht, wie schnell sich die Liebe abkühlen konnte, wenn es in der Familie ständig Streit gab. Sie und ihr Mann waren sich längst darüber einig, gleich nach Mariannes Hochzeit mit Reinhard Melzer ins Austragshäusl zu ziehen und sich nicht in das Eheleben der beiden einzumischen.
Ob sich aber Reinhards Mutter an dieselben Spielregeln halten würde?
***
Nanni plagte sich nicht mit solchen Gedanken herum. Mit der Unbekümmertheit ihrer zwanzig Jahre erwartete sie von der Zukunft nur erfreuliche Dinge.
Sie und Reinhard liebten sich. Nanni war davon überzeugt, dass diese Liebe auf beiden Seiten stark genug war, um mit allen Anfechtungen von außen fertig zu werden. Hätten sie sich sonst zu Weihnachten verlobt, wenn sie sich ihrer Liebe nicht sicher gewesen wären?
Reinhard Melzer war ein begehrter junger Mann in Seeleiten gewesen, bevor er sich für Marianne Forbach entschied. Obwohl feststand, dass nicht er, sondern sein älterer Bruder später den Melzer-Hof übernahm, brauchte sich Reinhard nicht als Zweitrangiger zu fühlen, denn er würde von den Großeltern mütterlicherseits einmal ein großes Vermögen erben.
Reinhard brauchte also bei der Wahl seiner künftigen Frau nicht danach zu schielen, ob sie einen schönen Hof in die Ehe mitbrachte. Er konnte seine Wahl nach dem Herzen treffen. Und sie fiel auf Marianne, das Mädchen mit den kastanienbraunen Locken und den lustigen Grübchen in den Wangen.
Dass der Forbach-Hof als Beigabe nicht zu verachten war und der künftige Schwiegervater als Bürgermeister von Seeleiten vielleicht bei diesem oder jenem Geschäft von Nutzen sein konnte, das hatte angeblich bei Reinhards Entscheidung für Marianne keine Rolle gespielt.
Unbestritten war Reinhard Melzer ein gut aussehender Bursche, der sich auch sehr gewandt zu benehmen wusste. Darauf hatte seine Mutter geachtet. Konnte sie ihren Mann, den Bauern und Viehgroßhändler Gustl Melzer, nicht mehr nach ihren Wünschen formen, so sollten wenigstens die beiden Söhne ein bisschen Lebensart lernen. Bei Reinhard gelang ihr die Erziehung, weniger jedoch bei ihrem Ältesten, der ganz dem Vater nachgeriet!
Hätte man Mariannes Vater gefragt, ob er mit der Wahl seiner Tochter einverstanden war, so wäre die Antwort wohl gewesen: »Na ja, man kann gegen den Reinhard nichts sagen. Aber ehrlich gesagt, der Ludwig, der ältere Melzer-Sohn, wär' mir lieber gewesen. Das ist ein Kerl von echtem Schrot und Korn, ein Bauer, wie er sein muss. Auf den Ludwig ist Verlass. Beim Reinhard bin ich mir da nicht so sicher ...«
Natürlich zerstreute Katharina sofort diese Bedenken. Sie war schließlich eine Frau und fiel wie alle weiblichen Wesen auf Reinhards ungezwungen wirkenden Charme herein. Dafür nahm sie auch die Überheblichkeit seiner Mutter in Kauf.
Es schien also alles in bester Ordnung zu sein, sowohl auf dem Forbach-Hof am südlichen Ende von Seeleiten als auch auf dem Melzer-Hof, der am nördlichen Ortseingang lag. Es gab keine familiären Probleme, die wirtschaftlichen Grundlagen waren gesichert, und wenn nichts Unvorhergesehenes eintrat, dann würde das Leben dahinplätschern wie ein klarer, stiller Bach.
***
Es fehlten nicht mehr viele Tage bis zum Osterfest, als Nanni eines Morgens im Vorgarten nach den gelben Osterglocken schaute, die dieses Jahr noch weit zurück in der Blüte waren. Krokusse und im Herbst gepflanzte Stiefmütterchen hielten tapfer den Launen des Aprils stand, doch Tulpen und Narzissen versteckten ihre Knospen tief in den grünen Blättern. Auf den Bergen lag noch Schnee.
Bevor Marianne ins Haus zurückging, trat sie an den Zaun und sah die leicht abschüssige Straße zum Dorf hinunter, ob der Vater nicht aus dem Gemeindebüro zurückkehrte. Doch das Auto des Vaters war nicht zu entdecken. Stattdessen näherte sich eine gebückte Gestalt, die sich mühsam auf einen Stock stützte.
Marianne kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Das konnte nur der alte Buchner sein! Sicher schleppte er wieder einen viel zu schweren Rucksack auf dem Buckel heim.
Marianne war unschlüssig, ob sie ihm entgegengehen und ihm ihre Hilfe anbieten sollte. Warum kümmerte sich eigentlich keiner von den Dorfbewohnern um ihn?
Plötzlich war der Mann verschwunden. Marianne reckte den Hals. Wo konnte er auf einmal hin sein? Sie lief durch das Gartentor auf die Straße.
Da sah sie ihn liegen.
Ohne zu überlegen, rannte sie bergab. In Sekundenschnelle war sie bei dem Gestürzten angekommen.
»Herr Buchner!«, rief sie ihn an. »Haben Sie sich wehgetan?«
Buchner gab keine Antwort. Er sah erschreckend bleich aus. Die Augen waren geschlossen, sie lagen tief in den Höhlen, von dunklen Schatten umgeben. Das Gesicht sah in seiner faltigen Magerkeit erbarmungswürdig aus.
»Mein Gott, Herr Buchner«, drängte Marianne, »so sagen Sie doch was! Wie konnten Sie aber auch mit einem so schweren Rucksack den Berg hinaufsteigen wollen!«
Sie sah hinauf zu dem Hügel, hinter dem sich der Buchner-Hof verbarg. Dann versuchte sie, den Alten von dem Rucksack zu befreien. Doch es gelang ihr nicht, den Körper auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bewegen.