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Wie so oft steht Gabi Penzinger auf dem Felsplateau der "Teufelskanzel" und blickt traurig ins tief verschneite Tal hinab. Der Winter auf dem armseligen Bergbauernhof ist unendlich lang, und die große Abgeschiedenheit hier oben bedrückt das bildschöne Madel sehr. Außer ihren Eltern und dem älteren Bruder sieht sie wochenlang keinen anderen Menschen.
Ist es da ein Wunder, dass ihr einsames Herz auf den ersten Blick dem feschen jungen Mann zufliegt, der im ersten Frühlingssonnenschein zum Einsiedlerhof hinaufsteigt?
Der Fremde mit den blitzenden Augen und dem verführerischen Lächeln stellt sich als Wolf Domin vor. Noch ahnt niemand, dass mit seinem Auftauchen das beschauliche Leben der Penzinger-Leute schon bald eine dramatische Wende nehmen wird ...
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Seitenzahl: 107
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Allein im Winter
Vorschau
Impressum
Allein im Winter
Die lange Einsamkeit machte ihr Herz unvorsichtig
Von Margit Hellberg
Wie so oft steht Gabi Penzinger auf dem Felsplateau der »Teufelskanzel« und blickt traurig ins tief verschneite Tal hinab. Der Winter auf dem armseligen Bergbauernhof ist unendlich lang, und die große Abgeschiedenheit hier oben bedrückt das bildschöne Madel sehr. Außer ihren Eltern und dem älteren Bruder sieht sie wochenlang keinen anderen Menschen.
Ist es da ein Wunder, dass ihr einsames Herz auf den ersten Blick dem feschen Mann zufliegt, der im ersten Frühlingssonnenschein zum Einsiedlerhof hinaufsteigt?
Der Fremde mit den blitzenden Augen und dem verführerischen Lächeln stellt sich als Wolf Domin vor. Noch ahnt niemand, dass mit seinem Auftauchen das beschauliche Leben der Penzinger-Leute schon bald eine dramatische Wende nehmen wird ...
Zwei Männer begegneten sich auf der fast menschenleeren Dorfstraße von Langham. Der eine war groß und hager und führte einen Maulesel am Halfter. Das Tier war mit Taschen und Säcken beladen, ein seltener Anblick in einem bayerischen Dorf, den Bewohnern von Langham aber altvertraut.
Der andere, rund und rosig mit einem fröhlichen Lächeln auf dem Gesicht, rief erfreut: »He, Ignaz! Grüß dich! Sieht man dich auch wieder mal nach diesem langen Winter? Wie geht's auf dem Einsiedlerhof?«
Der Angeredete dachte gar nicht daran, stehen zu bleiben. Er machte vielmehr eine abwehrende Handbewegung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Ohne nach rechts oder links zu schauen, setzte er stur seinen Weg fort.
»Hast du keine Augen mehr für deine alten Freunde? Nicht einmal einen freundlichen Gruß? Ja, gibt's denn so was überhaupt?«
Entrüstet sah der Bauer Ferdl Bachhuber dem vorübergehenden Ignaz Penzinger nach, der seinen Maulesel nur noch schneller hinter sich herzog. Da schwoll dem stets frohgelaunten Bachhuber aber doch der Kamm.
»Mit deinem alten Muli kannst auch nicht mehr viel Staat machen, Penzinger! Wird Zeit, dass du's zu Salami verarbeitest, eh es zu zäh wird!«
Jetzt drehte sich Ignaz Penzinger um und drohte seinem alten Spezi mit der Faust. Aber kein Wort kam über seine Lippen. Ferdl Bachhuber sah ihm nach, bis er hinter der Straßenbiegung verschwunden war.
»Hirsch, damischer«, knurrte er, »benimmt sich, als ob ihm einer von uns was getan hätte.«
Als er auf dem Absatz kehrtmachte, stieß er unversehens mit einer Frau zusammen, die aus dem Bäckerladen kam und an ihm vorbeigehen wollte.
»Ja, mei, Ferdl, wo hast du denn deine Augen?«, rief sie mehr lustig als empört. »Es ist doch weit und breit kein fesches Dirndl zu sehen.«
»Da muss ich halt mit dir vorliebnehmen, Selma! Schaust immer noch recht knusprig aus«, grinste Ferdl Bachhuber. Sein Zorn auf den dickfelligen Penzinger verflog im Nu, als er Selma Lehnerts frisches Gesicht vor sich sah. »Grüß dich, Lehnert-Bäuerin. Bin gerade dem Ignaz Penzinger mit seinem Muli begegnet. Meinst du, er schaut mich an oder grüßt, wenn man ihn freundlich anredet? Er wird immer sonderbarer. Seine Frau und die Kinder können einem wahrhaftig leidtun.«
»Weiß Gott, Ferdl, du sagst, was alle im Dorf denken. Aber man kann sich da nicht einmischen. Du weißt wohl, dass unser Stefan ausgerechnet auf die Penzinger-Gabi ein Auge geworfen hat. Stefan, hab ich zu ihm gesagt, überleg dir das gut. Musst du dir eine Frau aussuchen, die in einer so freudlosen Familie aufgewachsen ist? Was meinst du, Ferdl, wie fuchsteufelswild der Stefan geworden ist. Auf die Gabi lässt er nichts kommen. Das arme Ding kann ja auch nichts dafür, dass es einen solchen querköpfigen Vater hat. Keiner traut sich, zu lachen oder gar zu singen. Gabi ist nur der Mutter zuliebe noch daheim. Die arme Helene müsste sich sonst noch mehr abrackern. Ignaz denkt ja gar nicht daran, einen Knecht oder eine Magd einzustellen.«
Ferdl Bachhuber nickte zustimmend.
»Ein bisserl sonderbar ist Ignaz schon immer gewesen. Das mag daran liegen, dass er dort oben nur auf sich allein gestellt ist. Der Hof wirft gerade mal so viel ab, dass es zum Lebensunterhalt reicht. Da kann einem wohl das Lachen vergehen.«
»Er ist nicht der einzige Einödbauer in unserer Gemeinde, Ferdl. Schau dir den Lichtenberg an! Der wohnt sogar noch ein Stückerl höher, wenn auch auf der anderen Talseite. Hast du einen von den Lichtenbergs schon mal mit so einem grimmigen Gesicht herumlaufen sehen wie den Penzinger?«
»Nein. Adi Lichtenberg ist immer lustig und fidel.«
»Seit die neue Straße zum Lichtenberg-Hof hinaufführt, ist für ihn auch vieles besser geworden. Da kann er natürlich gut lachen.«
»Selma, du weißt genau wie ich, dass sich Ignaz Penzinger seit Jahr und Tag gegen den Straßenbau sträubt. Er könnte es längst so gut haben wie der Lichtenberg-Bauer. Aber nein, der Ignaz will, dass alles so bleibt, wie es ist: Der alte, ausgewaschene Weg soll bleiben. Er will mit seinem Muli die nötigen Besorgungen im Dorf erledigen, und er möchte vor allen Dingen verhindern, dass fremde Leut' mit dem Auto bis vor seinen Hof fahren. So sagt er jedenfalls. In der letzten Gemeinderatssitzung war er dabei. Du hättest ihn mal hören sollen, Selma. Gewettert hat er, als wollte man ihm seinen ganzen Hof wegnehmen und nicht nur ein Stückerl Wiese für die neue Straße. Aber es hat ihm diesmal nichts genutzt. Der Gemeinderat hat einstimmig beschlossen, die Straße zu bauen. Da sind viele Bauern, die ihren Wald hinter dem Einödhof haben. Sie wollen auf bequemere Weise hinkommen als bisher.«
»Du bist doch auch im Gemeinderat, Ferdl, gelt? Und da wunderst du dich, dass Ignaz dich nicht mehr anschaut? Eine Wut wird er auf dich, seinen einstigen Spezi, haben. Meinst nicht auch?«
»Kannst recht haben, Selma. Obwohl meine Stimme allein gar nicht maßgebend war. Wir müssen es jetzt der Zeit überlassen, ob er sich beruhigen wird. Eines Tages wird er einsehen, dass die neue Straße für ihn von ganz besonderem Vorteil ist. Aber ich glaube, jetzt müssen wir unseren Plausch auf der Straße beenden.«
»Hast recht, Ferdl. Alsdann, pfiat di! Grüß deine Frau und die Jüngste.«
»Danke. Ebenso, Selma. Grüß den Gustl und deinen Stefan. Weißt du, ich habe früher immer gehofft, aus unserer Susi und eurem Stefan könnt' mal ein Paar werden. Aber die beiden haben sich's anders überlegt. Susi ist längst glückliche Ehefrau, und Stefan schleicht um den Penzinger-Hof herum. Wenn er noch ein oder zwei Jahre wartet, ist unsere Vroni alt genug zum Heiraten! Was meinst du dazu, Selma?«
Selma Lehnert lachte, dass in ihren runden Wangen zwei Grübchen erschienen.
»Dazu sag' ich gar nichts, Ferdl, wenn mir auch dein Vorschlag gefallen könnte. Stefan lässt sich von uns nicht mehr dreinreden. Er ist mit seinen sechsundzwanzig Jahren kein kleiner Bub mehr. Wenn er meint, nur mit der Penzinger-Gabi glücklich werden zu können, dann muss er schauen, wie er sich bei dem Alten beliebt macht. Das soll seine Sorge sein, ich kümmere mich nicht darum. Gegen die Gabi habe ich nichts einzuwenden, mich stört nur die Familie, vor allem der ewig mürrische, knurrige Ignaz. Aber jetzt endgültig auf Wiedersehen, Ferdl. Höchste Zeit, dass ich an meine Kochtöpfe komme!«
Mit einem letzten, freundlichen Nicken eilte Selma Lehnert auf die andere Straßenseite. Sie hatte es nicht weit bis zu ihrem Hof. Er lag nur wenige Meter hinter der Hauptstraße auf dem leicht ansteigenden Hang.
Ferdl Bachhuber ging zu seinem Wagen, der vor dem Postamt parkte. Er hatte es etwas weiter als die Lehnert-Bäuerin. Sein Anwesen lag etwa zwei Kilometer von der Ortsmitte entfernt. Er stellte sich vor, dass er ebenso wie Ignaz Penzinger zu Fuß gehen müsste, anstatt mit dem Auto fahren zu können. Brrr, das wäre nichts mehr für ihn. Ein gewisses Maß an Bequemlichkeit sollte sich der Mensch im Leben gönnen!
***
Ferdl Bachhuber war längst daheim angekommen, als Ignaz Penzinger noch immer zu seinem Hof unterwegs war.
Der Weg schlängelte sich in vielen Windungen auf die Höhe hinauf. Weg konnte man diesen Trampelpfad eigentlich nicht mehr nennen. Früher mochte er einmal eine Art Befestigung aufgewiesen haben. Heute war jedoch davon nichts mehr zu erkennen. Durch die wechselnden Witterungseinflüsse waren tiefe Rillen entstanden, teilweise schauten dicke Steinbrocken aus dem Boden hervor. Es wäre unmöglich gewesen, mit einem Karren zum Einsiedelhof zu fahren. Daher benutzte Ignaz Penzinger entweder den Traktor oder, wie jetzt, das Muli, um seine Einkäufe zu erledigen. Das kam selten genug vor.
Jannis, sein Sohn, und Gabi, die Tochter, mussten ebenfalls zu Fuß gehen, wenn sie der Abgeschiedenheit des Einsiedelhofs entfliehen wollten. Jannis konnte sein Moped nicht mehr benutzen, auf dem mit vielerlei Hindernissen gespickten Weg hätte er es schnell kaputtgefahren.
»Das ist eine Querfeldeinstrecke«, brummte er mehr als einmal empört, wenn er vergebens versucht hatte, mit dem Moped ins Dorf zu gelangen. »Eine himmelschreiende Dickköpfigkeit ist das vom Vater, dass er dem Straßenbau nicht zustimmen will.«
Er war sich darin mit der Gabi einig, der das Leben auf dem Einsiedelhof schon längst eine Qual war. Wie oft schon hatte sie sich fest vorgenommen, im nächsten Monat irgendwo eine Stellung zu suchen. Keinen Tag länger als unbedingt nötig wollte sie auf dem Hof und bei dem nörgelnden Vater bleiben! Sah sie dann aber in das vergrämte, schmale Gesicht der Mutter, ließ sie den Plan wieder fallen, wenn auch seufzend und mit schwerem Herzen. Sie konnte die Mutter nicht im Stich lassen.
Ignaz Penzinger war ein Mann, der besser in eine vergangene Zeit gepasst hätte. Von modernen Errungenschaften hielt er nicht viel. Es gab ständig Kämpfe zwischen ihm und seinem Sohn, der als junger Mensch natürlich für die Neuerungen im landwirtschaftlichen Bereich eintrat.
Gegen den Willen des Vaters hatte Jannis eine Art Seilbahn gebaut, mit deren Hilfe die Milchkannen zur Straße befördert wurden.
Später musste Ignaz widerwillig zugeben, dass diese Lösung für den abgelegenen Hof geradezu ideal war. Jannis Penzinger war davon überzeugt, dass es sich mit der geplanten Straße genauso verhalten würde. Der Vater würde eines Tages einsehen, dass sie zum Besten des Einsiedelhofes war.
In Ignaz Penzinger tobten allerdings andere Gedanken, während er mit seinem Muli das letzte Wegstück zum Einsiedelhof zurücklegte. Noch hallte die höhnische Bemerkung von Ferdl Bachhuber in ihm nach: »... es wird Zeit, dass du aus deinem Muli Salami machst, eh es zu zäh wird.«
Zu seinem Maulesel hatte der sonst so hartherzig wirkende Ignaz nämlich ein ganz besonderes Verhältnis. Er bedeutete ihm mehr als ein Mensch – seine Familie natürlich ausgenommen – er redete mit ihm und vertraute ihm sogar seine Sorgen an. Dann wackelte das Muli mit den Ohren, als könnte es das Gesagte verstehen.
Mit den Rindviechern vertrug sich das Muli allerdings weniger gut. Sobald ihm eins der Tiere auf der Weide zu nahe kam, machte es kehrt und schlug kräftig nach hinten aus. Dann zog sogar ein Lächeln über Ignaz' herbes Gesicht. Ja, das Muli war ihm ans Herz gewachsen. Und da kam ein solcher Lackl wie der Bachhuber daher und schrie, er solle Salami aus ihm machen!
Als müsste er sich bei seinem Muli für diese Beleidigung selbst entschuldigen, schüttelte Ignaz nach der Rückkehr eine zusätzliche Schaufel Futter in dessen Trog.
»Weil's heute gar so schlecht zum Laufen war«, begründete er diese Zusatzration vor seinem Gewissen. Denn eigentlich war jede Menge genau eingeteilt. Der Winter dauerte länger auf dem Berg als unten im Tal. Man musste mit den Vorräten haushalten.
Helene Penzinger saß in der Stube. Obwohl es bereits dämmrig war, wagte sie es nicht, Licht zu machen. Um diese Jahreszeit fand noch kein Sonnenstrahl den Weg zum Einsiedelhof. Die hohen Tannen verwehrten dem Tageslicht zusätzlich den Weg in die niedrige Bauernstube, zumal auch die Fenster sehr klein waren.
Im Dorf schien freilich noch die Sonne, das sah man, wenn man das Haus verließ und an den Rand der Hochebene trat. Hier stand Gabi und schaute sehnsüchtig ins Tal hinab. Dem heimkehrenden Vater schenkte sie keinen Blick. Sie verzieh es ihm nicht, dass er nichts getan hatte, um ihnen allen das Leben in der Einsamkeit zu erleichtern.
Jannis, der Bruder, war in den Wald gegangen. Man hörte ab und zu seine Axtschläge bis hierher schallen. Er musste die im Herbst gefällten Bäume von den Ästen befreien, bevor sie abtransportiert werden konnten.
So war es immer auf dem Hof, jeder ging seiner Arbeit nach. Es wurde kaum gesprochen. Nur das Notwendigste wurde gesagt. So wollte es Ignaz Penzinger.
Es verwunderte daher Gabi nicht wenig, als der Vater plötzlich vom Haus her nach ihr rief.
»Gabi! Komm herein!«
Einen letzten Blick warf sie auf das sonnenbeschienene Dorf, dann ging sie zu dem dunkel umschatteten Haus hinüber.
Der Vater stand an der Haustür. »Kannst die Einkäufe in die Küche tragen«, sagte er. »Und dann kommst du ins Wohnzimmer. Hab mit euch zu reden. Wo ist Jannis?«
»Im Wald, wie du es ihm angeschafft hast.«
»Läute die Glocke, damit er heimkommt.«
Gabi tat, wie der Vater ihr aufgegeben hatte.