Alpengold 445 - Carola Martin - E-Book

Alpengold 445 E-Book

Carola Martin

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Beschreibung

Ganz allein lebt der Schriftsteller Matthias Peternell im Jagdschlössl und sucht Vergessen in seiner Arbeit. Im Dorf sieht man ihn kaum, und so ranken sich auch nur Gerüchte um den furchtbaren Schicksalsschlag, der ihn getroffen haben soll. Da steht eines Tages ein blutjunges Mädchen vor der des Schlössls und bittet Matthias, bei ihm wohnen und arbeiten zu dürfen. Matthias erkennt die Angst in den Augen des Dirndls - und willigt nach kurzem Zögern ein. Und plötzlich sind es zwei, die sich in dem einsamen Jagdschlössl vor dem Rest der Welt verstecken ...


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Seitenzahl: 104

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Der Einsame vom Jagdschlössl

Vorschau

Impressum

Der Einsame vom Jagdschlössl

Er wollte vor der Vergangenheit fliehen

Von Carola Martin

Ganz allein lebt der Schriftsteller Matthias Peternell im Jagdschlössl und sucht Vergessen in seiner Arbeit. Im Dorf sieht man ihn kaum, und so ranken sich auch nur Gerüchte um den furchtbaren Schicksalsschlag, der ihn getroffen haben soll.

Da steht eines Tages ein blutjunges Mädchen vor der Tür des Schlössls und bittet Matthias, bei ihm wohnen und arbeiten zu dürfen.

Matthias erkennt die Angst in den Augen des Dirndls – und willigt nach kurzem Zögern ein. Und plötzlich sind es zwei, die sich in dem einsamen Jagdschlössl vor dem Rest der Welt verstecken ...

Der Regen prasselte gegen das Fenster der Amtsstube. Theo Pichler, der Bürgermeister von Dorf Garsten, war ein stämmiger Mann mit einem derben Gesicht. Mitleidig schaute er auf das blasse junge Mädchen, das mit seinem kleinen Bruder vor ihm stand.

Die achtzehnjährige Leopoldine Schmalhofer war als Bittende gekommen. Eng an sie drückte sich der Anderl, ihr fünfjähriges Brüderl.

Vor einer Woche waren die Geschwister zu Vollwaisen geworden. Ihr Vater, der Taglöhner Franz, war in der Nacht auf dem Heimweg vom Rad gestürzt. Er hatte keinen Rausch gehabt, sondern war hundemüde vom langen Werken in der Sägemühle gewesen, wo er aushalf. Die Mutter der Kinder war bei der Geburt vom Anderl gestorben. Die damals dreizehnjährige Leopoldine hatte ihn aufgezogen, sich um das Haus gekümmert und es fertiggebracht, auch noch in der Schule eine ganz passable Schülerin zu bleiben.

»Schau, Dirndl, du musst doch einsehen, dass du den Anderl nicht bei dir behalten kannst«, redete ihr der Bürgermeister zu. »Ich weiß, dass du brav und fleißig bist. Die Kramerin ist froh, dass du ihr hilfst. Aber wer kümmert sich um den Anderl, wenn du am Tag im Kramerladen bist? Willst du mir das sagen?«

Leopoldine war ein schlankes Mädchen, unter dem braunen Madonnenscheitel war ihr Gesicht schmal, die großen goldbraunen Augen blickten entschlossen.

»Ich hab' mein Brüderl, großgezogen, er nennt mich ›Mutterl‹. Sie haben's eh schon gehört. Der Anderl ist an mich gewöhnt. Wenn ich nicht im Haus bin, kümmert sich der Schorsch um ihn.«

Sofort rief der Pichler: »Jetzt hörst du mir auf mit dem alten Narren, der ist doch nicht ganz richtig im Kopf!«

»Aber Herr Pichler, ein ganz Gescheiter ist der Schorsch und ein guter alter Mann! Nur, weil er einsiedlerisch ist, halten ihn die Leut' für einen Spinner! Das ist falsch und ungerecht.«

»Ich möchte nicht mit dir streiten, Dirndl, aber der alte Schorsch ist nicht die geeignete Person für dein Brüderl.«

»Ich werd' die Kramerin bitten, dass ich nur stundenweise bei ihr aushelfen darf.«

»Wovon wollt ihr existieren? Von der Hand in den Mund habt ihr bisher gelebt. Ja, dein Vater war fleißig, aber er hat sich nix ersparen können, er hat keine Versicherung, ihr steht mit nix da, Dirndl, sieh das doch ein!«

»Wir haben unser Haus, ist das vielleicht nix? Und wir haben zwei Ziegen. Ich bring' den Anderl und mich schon durch!«, erklärte sie sehr bestimmt.

»Deine Hütte braucht ein neues Dach, der Wind pfeift bei euch durch die Ritzen. Woher willst du das Geld für die Reparaturen nehmen?«

»Kommt Zeit, kommt Rat.«

»Den Rat geb' ich dir.« Theo Pichler erhob sich, jetzt erst sah man, was für ein großes Mannsbild der Bürgermeister war. »Die Loderers wollen den Buben zu sich nehmen, und sie kriegen ihn auch. Eure Verwandten werden den Anderl gut versorgen, gleich haben sie sich erboten, ihn bei sich aufzunehmen.«

Das Blut stieg dem Mädchen ins Gesicht.

»Feine Verwandte sind die, nicht einmal beim Begräbnis vom Vaterl waren sie! Den Anderl wollen sie doch nur wegen des Geldes haben, das ihnen die Jugendfürsorge zahlt!«

»Mach deine Verwandten nicht schlecht!«

»Weit entfernt sind sie mit meinem Mutterl verschwägert, nie haben sie sich um uns gekümmert. Sie haben gewusst, dass der Vater es nicht leicht gehabt hat, uns durchzubringen. Und jetzt sind sie nur aufs Geld von der Fürsorge aus!« Mit einem Ruck warf Leopoldine den langen nussbraunen Zopf über die Schulter. »Warum kann das Jugendamt nicht mir den Unterhalt für mein Brüderl geben, Herr Pichler?«

»Weil sie es für unvernünftig halten, dir den Bruder anzuvertrauen. Du bist ja selber noch ein Kind.«

»Ich bin achtzehn und großjährig! Ich verdien' ein bisserl was, seit er ein Baby war, hab ich den Anderl versorgt!« Furchtlos sah sie zu dem großen Mann auf. »Ich sag's Ihnen, Herr Pichler, die Loderers waren beim Jugendamt in der Kreisstadt, ich möcht' nicht wissen, was sie dort über mich zusammengelogen haben, nur, damit sie das Geld kriegen. Der Anderl ist denen doch ganz gleichgültig!«

Der Fünfjährige umkrampfte die Hand seiner Schwester.

»Ich will bei meinem Mutterl bleiben, bitt' schön!«, schluchzte er.

»Jetzt hast du das arme Kind noch ganz narrisch gemacht, Dirndl! Warum soll er's bei den Loderers denn nicht gut haben? Hoch und heilig haben sie versprochen, dass sie ihn wie ihr eigenes Kind halten werden! So leid tät' es ihnen, dass sie kein eigenes haben.« Was sie Abträgliches über Leopoldine getratscht hatten, verschwieg der Bürgermeister wohlweislich.

Ihr Gesicht war so verzweifelt, dass er in einem Anflug von Mitleid hinzufügte: »Das letzte Wort ist ja noch nicht gesprochen. Ich werd' für dich ein Wörterl einlegen, dass du den Anderl behalten kannst. Aber jetzt musst du gehen, ich hab' noch mehr zu tun, als mich um euch Schmalhofer-Kinder zu kümmern.«

***

Die Hütte der Schmalhofers und auch die vom Schorsch lagen hinter dem Dorf Garsten. Sie waren mit grauen Schindeln gegen die Kälte abgedichtet, trotzdem blies der Sturm durch die Ritzen. Bei den Schmalhofers gab es eine große Küche, in der die Kinder schliefen, und eine Kammer für den Vater, die jetzt leer stand. Im kleinen Stall meckerten zwei Ziegen und ihre Zicklein.

Der Regen trieb den Kindern prickelnd ins Gesicht, als sie den steilen Weg emporgingen. Der Anderl klammerte sich noch immer an die Hand der großen Schwester, als habe er Angst, die Verwandten könnten ihn gleich von ihr wegholen.

Doch oben begann ein schrilles Kläffen, das war der Burli. Aufgeregt zerrte er an der Kette. Der Anderl vergaß seine Ängste, er schüttelte die Kapuze vom Anorak zurück und lief eilig hinauf zu seinem Freund und Spielkameraden.

Burli war ein kleiner, spitzähnlicher Mischling auf kurzen Beinen, mit weißbraunem Fell und einem pfiffigen Kopf mit blanken Knopfaugen. Kaum konnte ihn der Anderl von der Kette freimachen, so verrückt gebärdete er sich und tanzte um den Buben herum.

Im kleinen Windfang hielt Leopoldine den Bruder zurück, als er patschnass in die Stube laufen wollte.

»Nix da, erst ziehst du deine Jacke aus und schlupfst aus den Schuhen!«, kommandierte sie. »Nimm dir ein Beispiel am Burli!« Der kleine Hund beutelte das Nasse aus seinem zottigen Fell.

In der Küche war es angenehm warm. Kurz vor seinem Unglück hatte der Schmalhofer-Franz sie mit Leopoldine frisch geweißelt.

Im Herd war noch Glut unter der Asche; Leopoldine legte Reisig nach, knisternd liefen Flämmchen über das dürre Holz. Der Burli hatte sich vor den Herd gelegt. Anderl kauerte sich zu ihm, und während er ihn streichelte, fragte er:

»Mutterl, glaubst, dass mich die Loderers kriegen?«

Leopoldine wollte nicht auf dieses unangenehme Thema eingehen.

»Hast du denn keinen Hunger? Kartoffelauflauf gibt's!«

»Nix mag ich, Angst hab' ich, die stehlen dich mir, Mutterl!«

Sonst war sie nie heftig zu dem kleinen Bruder, aber die Unterredung auf der Bürgermeisterei hatte sie aufgeregt.

»Sei stad, du kommst schon nicht zu denen!«, fuhr sie ihn an.

Mit dünner Kinderstimme begann der Bub zu greinen, das Gesicht drückte er ins weiche Fell vom Burli. Der Hund ließ ein mitfühlendes Winseln hören.

»Seid's doch still, ihr beiden! Nein, die Loderers kriegen dich nicht, so wahr ich die Leopoldine bin!«

***

Es war richtig Frühling geworden, als die Leopoldine in der kommenden Woche von der Arbeit im Kramerladen nach Hause hastete. Sie freute sich schon auf das Gesicht vom Anderl. Gutln hatte ihr die Kramerin für ihn geschenkt, auch zwei Zuckerkipferln, die er gar zu gern naschte.

Über dem Waldberg, an dessen Fuß ihr Heim lag, schwebte unwirklich wie ein Wolkengebilde das »Teufelshorn« im blauen Dunst. Der Föhn hatte den Schnee von den Hängen weggeputzt, Schneeglöckchen hatten sich zu kleinen Gruppen zusammengeschlossen. Dicht vor der Hütte unter den Buschen leuchtete rot der Seidelbast.

Der Frühling ging der Leopoldine ins Blut, grundlos fühlte sie sich glücklich. Der Anderl war noch immer bei ihr, offenbar hatte man auf die Sache am Amt verzichtet. Der Burli war nicht vor dem Haus, also war ihr Brüderl in der Küche, die auch zugleich ihre Wohnstube war.

Schon im Windfang rief sie: »Anderl, was Gutes hab' ich für dich, freuen wirst du dich!« Von drin antwortete ihr das Kläffen vom Burli. Mit dem Fuß stieß sie die Tür auf, weil sie den Rucksack mit beiden Armen an sich gedrückt hielt.

»Ja, Brüderl, wo steckst du denn?«, fragte sie immer noch lächelnd, denn er war ein Spitzbub und versteckte sich gern, um sie zu frotzeln. Dann sah sie die lange Gestalt vom Schorsch im Bankeck. Ein einziger Blick auf sein kummervolles Gesicht, und sie wusste alles.

Der Anderl hatte sich nicht vor ihr versteckt, fortgeholt hatten sie ihn ihr, während sie bei der Kramerin bediente.

Ihren Armen entfiel der Rucksack, der Inhalt polterte zu Boden.

»Wann ist's passiert?« Leopoldines Stimme war ganz rau.

»Der Bub war bei mir, geschnitzt haben wir zusammen, da ist ein Auto den Weg heraufgekommen, Stimmen haben wir gehört. Neugierig ist der Anderl aus dem Haus gelaufen, ich bin ihm nach, und dann war da ein älteres Ehepaar, beide recht dicke Leut'. Gegrinst übers ganze Gesicht haben sie, als sie den Anderl gesehen haben.«

»Und dann haben sie mein Brüderl fortgenommen.«

»Geschleppt haben sie ihn zu dem Wagen, drin sind Leut' gesessen, denen hat wohl der Wagen gehört. Der Bub hat um sich getreten und geschlagen, geholfen hat's ihm nix. Nach dir hat er geschrien. In den Wagen haben sie ihn gestopft wie einen Sack, und fort waren sie.«

Leopoldine starrte vor sich hin, die Arme ließ sie hängen, das Kinn hatte sie auf die Brust gepresst. Dem Schorsch tat sie leid. Auch bedauerte er, dass er ihr zu viel verraten hatte. Die Loderers hatten auf ihn keinen guten Eindruck gemacht. Das Dirndl hatte recht: Die nahmen das Bürscherl nicht aus Nächstenliebe zu sich, denen ging's nur ums Geld.

Der Burli schlich zu Leopoldine, winselnd wies er ihr seine rechte Vorderpfote.

»Bist schon ein braves Hunderl«, sagte sie. Jetzt erst kamen ihr die Tränen, sie hob den kleinen Hund auf, drückte ihn an sich und begann herzzerbrechend zu weinen. Der Burli hielt ganz still, nur manchmal winselte er leise aus Mitgefühl.

Leopoldine nahm sich nicht lange Zeit zum Trauern, sie schubste den Burli vom Schoß, sprang auf und erklärte entschlossen:

»Das lass ich mir nicht gefallen. Zum Bürgermeister geh' ich, beschweren tu' ich mich!«

So in Rage war sie, dass sie den Burli anschnauzte, als er ihr folgen wollte.

Der alte Schorsch blieb in der Küche sitzen, ungefähr eine Stunde wartete er. Endlich kam sie, ihr schmales Gesicht war verzweifelt, die Augenlider rot geschwollen.

»Angewiesen hat er mich, Ruh' soll ich geben. Ob ich denn vielleicht eifersüchtig wär', weil er's jetzt gut hat und ich immer noch in unserer Hütte hausen muss!« Ihre sonst so sanften braunen Augen funkelten böse. »So etwas Blödes, ich soll dem armen Hascherl was Gutes nicht gönnen! Verblendet sind die alle!«

»Wann darfst du ihn denn sehen, den Anderl?«

Leopoldine schluckte. »Vorläufig überhaupt nicht, damit er sich leichter eingewöhnt und nicht am End' heim will, wenn er mich sieht. O Schorsch, meinen Glauben werd' ich noch verlieren! Wie kann denn unser Herrgott so etwas zulassen!«

***

Das Leben ging weiter, Leopoldine musste sich in ihren Verlust schicken.

An einem besonders schönen Frühlingsmorgen kam Matthias Peternell in den Kramerladen. Er war ein schlanker Mann mit grauen Schläfen.

Leopoldine hatte ihn schon ein paarmal bedient; es hieß, dass er Bücher schrieb. Ganz allein hauste er im Türkensturz, einem Bergkessel unter dem Bergwald. Die Leute munkelten, eine unglückliche Ehe solle er hinter sich haben.

Leopoldine mochte den ruhigen, ernsten Mann, der meist zerstreut wirkte und doch vielleicht mehr als andere sah, wenigstens das, was wichtig war. Und so bemerkte er, dass die Leopoldine blass war.

»Ja was haben Sie denn, Leopoldine?«, hörte sie ihn fragen. Sie waren allein im Laden. »Heiter sind Sie sonst, aber jetzt drückt Sie etwas. Wollen Sie mir nicht anvertrauen, was Ihnen Kummer bereitet?«