Als ob man lebte - Theodoras Cetrauskas - E-Book

Als ob man lebte E-Book

Theodoras Cetrauskas

4,8

Beschreibung

Dieses Buch gibt vor, ein Märchen zu sein; doch tatsächlich ist es alles andere als märchenhaft, was hier beschrieben wird. Im Grunde nur wenig verfremdet, erzählt Cetrauskas mit dem für ihn typischen beißenden Humor die Geschichte Litauens während des langen Zweiten Weltkriegs. Dieser Krieg dauerte im Baltikum noch bis zum Tod Stalins und lange darüber hinaus; erst in den 90er Jahren endete er mit dem Abzug der sowjetischen Truppen, als der letzte Partisan seinen Bunker verließ. Satirisch nähert sich Cetrauskas diesem für die nationale Vergangenheitsbewältigung elementaren Themenkomplex zwischen Widerstand, Mitläufertum und Verrat an. Er erzählt die Geschichte des braven Schuldirektors und Familienvaters Juozas, der sich in der harten Krieger- und Männerwelt ziemlich schnell verirrt und schon nach einigen Jahren seinen eigenen Tod organisiert, um das Gesicht zu wahren, am Ende aber im "Großen schwarzen Loch" des Jenseits mit seinem Unvermögen, Politik, soziale Verantwortung und Ethik vereinbaren zu können, konfrontiert wird.

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Teodoras Četrauskas

Als ob man lebte

Ein heroisches Märchen

aus dem Litauischen von Klaus Berthel

ATHENA

Literatur aus Litauen

Band 5

Die Übersetzung dieses Buches wurde gefördert von »Bücher aus Litauen« mit Mitteln des Ministeriums für Kultur der Republik Litauen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

E-Book-Ausgabe 2013

Copyright © 2001 by Teodoras Četrauskas

Copyright © der deutschen Ausgabe 2002 by ATHENA-Verlag,

Copyright © der E-Book-Ausgabe 2013 by ATHENA-Verlag,

Mellinghofer Straße 126, 46047 Oberhausen

www.athena-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagfoto: © Mona Filz www.4tunes.de

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (Print) 978-3-89896-121-9 ISBN (ePUB) 978-3-89896-840-9

1

Juozas lag in einem weißen Krankenhausbett, und es tat weh. Das eine Bein war eingegipst, von einem eindrucksvollen Gewicht in der Schwebe gehalten, auch die Brust zierte ein Gipspanzer, der Kopf war mit einem dicken Verband umwickelt. So glich er eher einem großen Käfer oder einer in ihren Kokon eingesponnenen Seidenraupe als einem Menschen. Einem Menschen, der von einem Auto überfahren wurde. Übrigens nicht einfach einmal überfahren, sondern gleich dreimal: vor, zurück, dann wieder vor. Ein wenig so, wie es dem seligen Pasolini erging. Nur überfuhr man Juozas nicht an einem azurnen Strand, sondern im Wald, im kalten Winter des Jahres 1947, in Tannenbergland, Heimstatt der Kriven und Vaidiluten[1]. Und ein weiterer Unterschied bleibt festzuhalten: Juozas hatte es nicht mit einem Jeep Cherokee zu tun, von einem Schwulen gelenkt, sondern mit einem rumpeligen Lastwagen, einer sogenannten Polutorka, gelenkt von wer weiß wem. Deshalb lag er jetzt hier, und es tat eben höllisch weh, vom Kopf bis hinunter zu den Zehenspitzen, überall dort, wo das Ungetüm hängen geblieben war, und dazu gehörten nicht wenige Körperstellen. Man hatte ihn ja nicht zufällig überrollt, sondern in voller Absicht. Diese Fahrkünste ähnelten nur allzu sehr den gleichfalls in Mode gekommenen Fangschüssen in den Hinterkopf. Kein Zweifel, man hatte ihn aus dem Leben befördern wollen, wollte nicht, dass er weiter auf dieser geliebten, aber auch verabscheuten Welt herumspazierte. Das verstand Juozas. Dennoch verspürte er keine übermäßige Traurigkeit. Sie haben das ihre getan, dachte er, aber du hast sie trotzdem hinters Licht geführt, hast sie geleimt, verarscht. Das war es vor allem, was Juozas beschäftigte. Früher, als er noch nicht überfahren worden war, hatte er gern in Synonymen gedacht, auch jetzt konnte er nicht davon lassen, umso mehr, als der Schmerz ein wenig nachgelassen hatte und ihn eine seltsame Ruhe überkam. Natürlich ahnte er, was das bedeutete. »Wenn es einem Menschen vom Kopf bis hinunter zum Bauch weh tut, dann geht es zu Ende mit ihm«, das war wie aus weiter Ferne die Stimme Rosalias, der Großmutter seiner Frau Judita. Sie belehrte gerade seinen Sohn Aurelius, der schon halbwegs erwachsen schien, in die dritte oder vierte Klasse ging und nicht mehr ein zweieinhalbjähriger Bengel war. Rosalia saß mit ihm auf der Ofenbank in Juditas elterlichem Haus, dort, wo man ihm geradezu feindselig begegnet war, als er um ihre Hand angehalten hatte. Eigentlich sind diese Proleten kein bisschen klassenbewusst, dachte Juozas. Und wenn, dann allenfalls diejenigen, die nichts als eben Proletarier sein wollen und das auch ihren Kindern und Enkeln wünschen. Aber gibt es solche? Seine Schwiegereltern hatten jedenfalls nicht zu denen gehört, sie ließen ihrer ältesten Tochter eine gewisse Ausbildung zukommen, dafür erhofften sie sich für sie einen Prinzen, und der kommt gewöhnlich auf einem weißen Schimmel daher, nicht wie er, Sohn eines armen Stadtschneiders, mit einem Raddampfer.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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