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Wie verändert sich die Liebe im Alter? Macht uns das Alter zu besseren Menschen? Stimmt es, dass wir Krisen mit zunehmenden Jahren besser bewältigen? Was können die Jungen von den Alten lernen? Und warum tut es auch im Alter gut, mal etwas Verrücktes zu wagen? In 24 Streifzügen durch Wissenschaft und Philosophie erkunden Bestsellerautor und Glücksforscher Florian Langenscheidt und André Schulz die wichtigsten Themen, die uns auf dem Weg ins Alter begleiten, und fördern manch Überraschendes zutage. Inspirierende Erkenntnisse, die dazu einladen, der zweiten Lebenshälfte mit einer guten Portion Optimismus zu begegnen – voller Freude auf das, was uns erwartet!
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Seitenzahl: 437
Florian Langenscheidt
André Schulz
Alt genug,um glücklichzu sein
Wie unser Lebenmit jedem Jahr besser wird
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Copyright © 2020 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Redaktion: Evelyn Boos-Körner
Covergestaltung und Motiv: Hauptmann und Kompanie Werbeagentur, Zürich
Herstellung: mw
Satz: Guter Punkt, München
ISBN 978-3-641-25191-8V001
www.heyne.de
Meinem Vater gewidmet,der auch mit 99 Jahren noch pfeifend spazieren gehtund immer etwas Positives am Leben findet.
Das Alter hat ihn milder und liebevoller gemacht –und ich kenne kaum ein stärkeres Vorbild.
In Liebe,Florian Langenscheidt
Eines vereint uns alle: dass wir lange glücklich und gesund leben möchten. Um dies zu erreichen, brauchen wir eine gute innere und äußere Vorbereitung aufs Altwerden. Denn für ein langes, gesundes und erfülltes Leben gibt es weder einen Automatismus noch eine Garantie. Aber es gibt unzählige Möglichkeiten, seinem ganz persönlichen »Altersglück« so nahe wie möglich zu kommen.
Eines vorweg: Das Alter ist besser als sein Ruf. Viel besser. Und bietet in vielerlei Hinsicht Grund zur Vorfreude:
Darauf,
endlich mehr Zeit für sich persönlich und die eigenen Hobbys zu haben;
den beruflichen Stress hinter sich zu lassen;
morgens ausschlafen zu können;
tun und lassen zu können, was immer man möchte;
mehr Zeit für die Familie zu haben.
Das sind die fünf Dinge, auf die sich die Deutschen im Alter am meisten freuen, wie eine Umfrage ergeben hat, die wir zusammen mit dem Verlag von »Apotheken Umschau« und »Senioren Ratgeber« eigens für dieses Buch durchgeführt haben, um die Gefühle unserer Leserinnen und Leser möglichst gut kennenzulernen.
Viele haben aber auch große Ängste:
Davor,
im Alter ein Pflegefall zu sein;
krank und gebrechlich zu werden;
das Leben nicht mehr selbst bestimmen zu können;
dement zu werden;
nicht genug Geld zu haben.
Das sind die fünf Herausforderungen, vor denen sich die Deutschen im Alter am meisten fürchten, wie die genannte Umfrage ergab.
Dieses Buch ist eine Erkundungsreise durch das Alter in vierundzwanzig Stationen. Es soll Ihr Lieblingsbegleiter ins und im Alter werden und Sie äußerlich wie innerlich bestmöglich auf alles vorbereiten, was da kommen mag. Die guten Momente wie die dunklen Tage.
Wir zwei Autoren gehen aus ganz unterschiedlichen Lebenssituationen an das Thema heran. Für die Steigerung der Vorfreude ist jeder von uns Experte, denn seit über vierzig Jahren beschäftigen wir uns mit allen Aspekten der Glücksforschung und des positiven Denkens und haben viele Bücher dazu geschrieben. Im Umgang mit den Ängsten sind wir beide nicht so versiert, obwohl wir diese auch selbst haben und vielfältig im persönlichen Umfeld erleben. Hier brauchten wir Hilfe (wie jede und jeder von uns). Daher haben wir zu fünfzehn Themen ausgewiesene und ganz besondere Expertinnen und Experten gesucht und sie darum gebeten, das jeweils Wichtigste für Sie zusammenzufassen. Tausend Dank dafür!
Da wir nicht alles zwischen den beiden Buchdeckeln unterbringen konnten und auch immer wieder Aktuelles hinzufügen wollen, finden Sie eine Fülle weiterführender Videos und Texte unter www.florian-langenscheidt.de. Zum Beispiel Glücksmomente, wie sie nur Älteren vergönnt sind ...
Überall im Buch verteilt sind einhundert Schritte zum glücklichen Alter. Finden Sie sie – vielleicht gleich zum Einstieg! Und gehen Sie sie! Mit Optimismus, Vorfreude, Kraft und Beweglichkeit. Sie werden merken: allein dadurch leben Sie wesentlich glücklicher. Und wie uns die Forschung sagt: sogar länger ...
Wir sind alt genug, um glücklich zu sein. Beginnen wir doch einfach damit. Jetzt!
Dr. Florian Langenscheidt und André Schulz
1
Das Leben ist wie ein Sessellift: Erst fahren wir hoch und entdecken staunend alles, dann runter und genießen den Überblick und ungeahnte neue Perspektiven.
2
Einatmen, ausatmen. Den Fluss des Lebens spüren und genießen. Sich am Lachen der Kinder erfreuen, am Geruch des Kaffees und am Zwitschern der Vögel. Die Sonne begrüßen und wieder verabschieden. Das immer Gleiche als neu wahr-nehmen, als sei man ein Kind. Wissen, was guttut.
3
»In sich schwimmen und dabei glücklich sein«, steht über einem Pool in den Alpen. Wir brauchen weniger zum Glück, als wir anzunehmen geneigt sind.
4
In keiner Lebensphase ist Optimismus herausfordernder als in der hoffentlich längsten Phase unseres Lebens. Plötzlich ist das Erleben geprägt von Verlusten, Niedergang, Schmerzen und Verengung. Umso wichtiger, dass wir nicht aufgeben. Wir sitzen im Fahrersitz! Wir können entscheiden, ob wir durch all die Jahre des Alterns mit innerer Sonne oder im düsteren Nebel gehen. Und wir bestimmen in dieser Freiheit entscheidend, wie wir all die Herausforderungen erleben und auch bewältigen. Wie sagte Martin Luther? »Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.«
5
Das Leben ist wie eine Sanduhr. Wir haben eine ungefähre Ahnung, wie lang der Sand läuft, aber die Sanduhr kann jederzeit umkippen. Genießen wir das Rieseln, solange sie steht, lassen wir uns mit dem Sand fallen und treiben wie auf einer Welle an den Strand.
6
Was zeichnet uns Menschen aus? Dass wir am meisten für unser Glück tun, wenn wir uns mit ganzem Herzen um das Glück anderer kümmern. An seine eigene Schulter kann man sich nicht lehnen. Warum fällt es uns dann so schwer, zu akzeptieren, dass wir Hilfe brauchen? Nehmen wir sie leise lächelnd an! Die Mitte des Lebens wird geprägt vom Wunsch nach Unabhängigkeit und Stärke, an seinem Anfang und Ende brauchen wir allerlei Unterstützung. Je mehr wir in der Mitte für andere getan haben, desto mehr können wir uns an den Rändern ein wenig fallen lassen und dankbar die Hand anderer nehmen.
7
Kinder fiebern darauf hin, wann sie endlich Filme ab zwölf oder sechzehn sehen können. Vielleicht sollte es Filme ab sechzig geben. Denn vieles im Leben erschließt sich erst dann.
8
Ja, die Augen werden schlechter und die Ohren auch. Die Knie schmerzen, die Hände tun weh und der Rücken ohnehin. Das Bücken ging mal einfacher und das Flaschenöffnen ebenso. Was mal selbstverständlich war, wird langsam zu Hürde und Hindernis. Man könnte verzweifeln – aber ändert das irgendetwas? Lassen wir ein wenig Buddhismus in unser Leben und nehmen es, wie es ist. Finden uns ab mit dem, das wir sowieso nicht ändern können, und freuen uns am dem, das noch funktioniert.
9
Einfach mal die Autobahnen des Geistes und der Gewohnheiten verlassen und das Gehirn herausfordern durch Dinge, die nur auf den ersten Blick unmöglich erscheinen ...
PS: Glück ist auch eine Zielerreichungsprämie ...
10
In den ersten zwei Jahrzehnten würden die meisten von uns gern älter sein, als sie sind. Dann dreht sich das unmerklich um, und fast jede und jeder freut sich, wenn sie oder er als jünger geschätzt wird, als sie oder er ist. (Fühlen tun wir uns in der zweiten Lebenshälfte ohnehin jünger, als wir sind.) Warum diese Sehnsucht nach etwas, das wir nicht haben? Warum nicht akzeptieren, was ist, sich so gut wie möglich darin einrichten und zu den eigenen Fältchen stehen? Sie sind Ausdruck gelebten Lebens, zeigen einzigartige Erfahrung und Erlebenstiefe.
11
Ersetzen wir das schreckliche Wort »Rentenalter« durch »nachberufliche Phase«! Sie kann die längste unseres Lebens sein – und auch die schönste, wenn wir sie mit den richtigen Erwartungen angehen, sie bewusst und kreativ, angenehm und stressfrei gestalten. Weniger ist oft mehr und leichtes Gepäck drückt weniger.
12
Was für ein Segen, dass Fehler und Fehlschläge hinterm Horizont versinken und Alternativen für ein vielleicht besseres Leben im Sonnenuntergang unseres Seins verblassen. Wie schön, wenn wir nichts bereuen und nichts anders gemacht hätten, wenn wir noch mal durchstarten dürften! Ein Grund zu tief empfundener Dankbarkeit ...
13
Nichts hat aus sich selbst heraus Sinn. Wir sind es, nur wir, die uns den Sinn von allem schaffen. Wir entscheiden, ob wir in die Leere starren oder voll sind von Licht, Farbe, Bewegung und Liebe.
14
Der ehemalige Vorstand eines großen Unternehmens in kurzen Hosen mit der Gießkanne in der Hand in seinem Garten voller Überzeugung auf die Frage, wie es ihm ginge: »Besser denn je!« Garten und Familie seien wichtiger als Bilanzen und Marktanteile.
Kapitel 1
Lange, gesund und glücklich leben. Wer wünscht es sich nicht?
Der römische Philosoph Cicero konstatierte schon vor mehr als zweitausend Jahren: »Alle wünschen sich, alt zu werden, doch niemand wünscht, alt zu sein.« Recht hatte er. Was nützt uns allen ein möglichst hohes Alter, wenn wir es in Krankheit und Unglück verbringen müssen? Geprägt voll Gesundheit und Glück soll unser Lebensabend sein. Doch, und auch das wusste Cicero bereits, dieser Lebenstraum geht nicht automatisch in Erfüllung. Er bedingt etwas. Doch was genau? Wie lautet es, das Rezept des glücklichen Alterns?
Die gute Botschaft vorweg: Die Chancen auf ein langes, gesundes und glückliches Leben stehen heutzutage besser denn jemals zuvor. Vor allem, wenn wir es mit den Umständen vergleichen, die Cicero zu seiner Zeit vorfand. Und das, obwohl es auf unserer Welt zweifellos noch große Probleme, wie beispielsweise Armut, Krieg oder Umweltzerstörung, zu lösen gilt. Trotz allem verfügen wir über die bestmöglichen Voraussetzungen seit Menschenbestehen.
So lässt uns das Statistische Bundesamt regelmäßig schwarz auf weiß wissen, dass wir zusehends länger leben. Während Menschen, die um das neunzehnte Jahrhundert herum geboren wurden, nur knappe vierzig Jahre auf Erden verweilen durften, konnte man als 1930 Geborene/r im Durchschnitt bereit seinen sechzigsten Geburtstag feiern. Heute geborene Kinder dürfen sich sogar über noch mehr Lebenszeit freuen (Jungen auf etwas mehr als achtundsiebzig Jahre, Mädchen etwas mehr als dreiundachtzig Jahre). Irgendwann werden Neugeborene vielleicht im Durchschnitt alle ihren hundertsten Geburtstag feiern. Ein immer längeres Leben ist für uns scheinbar keine Traumvorstellung, sondern wird immer mehr zur gelebten Wirklichkeit.
Zwar werden wir wohl – zumindest nach dem heutigen wissenschaftlichen Stand der Dinge – niemals ewig leben, aber der Verlauf der Menschheitsgeschichte gibt uns Mut, dass wir unsere Lebenserwartung zukünftig weiter steigern können. Wenn …, aber dazu kommen wir gleich.
Vorher müssen wir klären, wie es um unsere Gesundheit und unser Glücksempfinden bestellt ist. Gehen beide unseren länger werdenden Lebensweg im Gleichklang mit uns bis ins hohe Alter? Was brächte es uns, wenn wir zwar immer älter, aber dabei immer kränker und immobiler werden würden?
Betrachten wir nur die medizinischen Möglichkeiten, die uns, zumindest in der westlichen Welt, mittlerweile zur Verfügung stehen. Beweisen sie doch auf eindrucksvolle Art und Weise, wie gesegnet wir heute sind – auch, wenn wir es manchmal vielleicht anders wahrnehmen.
Mussten unsere Groß- oder Urgroßeltern noch unter manch (damals) unheilbarer Krankheit oder jahrelangen Schmerzen leiden, weil die damals verfügbaren Mittel keine Linderung oder Heilung ermöglichten, sind wir heute Nutznießer von den Ergebnissen intensiver jahrzehntelanger Forschungsarbeiten, neu entwickelter Heilverfahren sowie revolutionärer Medikamente.
Hinzu kommen das stetig wachsende Wissen über alle relevanten Facetten unserer Gesundheit und das Zusammenspiel von Körper, Geist, Seele und Umwelt sowie innovative Verfahren zur Lösung der noch letzten unheilbaren Krankheiten und vieles mehr. Wir können gesundheitlich aus dem Vollen schöpfen. Welch wundervolle Voraussetzungen, finden Sie nicht?
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An jeder Ecke des Lebens wartet die Chance, festgefahrene Meinungen über Bord zu werfen und sich neu und unbefangen einem Menschen oder einer Situation zuzuwenden. Nutzen wir sie so oft wie möglich und verlassen die eingetretenen Pfade!
Zudem ist unser Alltag durch den technischen Fortschritt über die Jahrzehnte immer einfacher, bequemer und somit gesundheitsförderlicher geworden. Hiermit sind weniger Treppenlift, Rollator und Co. gemeint, wobei auch sie für manche Menschen eine Erleichterung bedeuten. Vielmehr geht es um die kaum aufzählbaren technischen Errungenschaften, die für uns mittlerweile schon so normal geworden sind, die aber dennoch einen Anteil daran haben, dass wir keinen Raubbau an uns treiben müssen.
Man denke nur an den Komfort des Wäschewaschens (früher nur möglich mit harter Arbeit am Fluss, heute lassen wir geräuschlose Waschmaschinen und Trockner für uns arbeiten) oder auch die maschinelle Hilfe bei anderen körperlich anstrengenden Arbeiten.
Nicht zu vergessen den Fortschritt der Mobilität. Unsere Vorfahren haben früher nicht selten täglich mehr als vierzig Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Bewegung hält zwar gesund, aber ob wir dies heute noch in dieser täglichen Intensität wollen würden, steht zumindest infrage.
Die Voraussetzungen für ein gesundes Leben sind uns also gegeben: medizinisch, technisch und in Form von Wissen sowie intensiven Erfahrungen.
Und wer weiß, was die Zukunft uns noch bringen wird an weiteren Lebenserleichterungen und Glücksmöglichkeiten? Ob Flugtaxis, die uns stresslos von A nach B bringen. Hausroboter, die lästigen Staub putzen, kochen oder aufräumen. (Staub saugen können sie ja bereits.) Oder die Heilung von Krebs oder Aids. Alles scheint möglich, weil (fast) nichts (mehr) unmöglich ist.
Kein Wunder also, dass jeder von uns den Genuss des Lebens so lange und so intensiv wie möglich auskosten möchte. Optimismus ist aufgrund der unzähligen Möglichkeiten ausdrücklich erlaubt.
Wer dennoch ganz leise daran zweifelt, dem seien die Menschen ans Herz gelegt, die den Beweis, dass ein langes gesundes und glückliches Leben möglich ist, bereits angetreten haben: die Supercentenarians.
Dies sind Menschen, die mindestens hundertzehn Jahre alt geworden sind, und dies – soweit dies von außen überhaupt valide beurteilt werden kann – auch glücklich und bei guter Gesundheit. Vielleicht können wir von ihnen das Gewünschte erfahren, denn, darum soll es an dieser ersten Station gehen: um das Rezept zum glücklichen Altern.
Die hundertsiebzehnjährige Japanerin Chiyo Miyako beispielsweise gab als ihr »Erfolgsrezept« an: »Sushi und Aal essen, Reiswein trinken und positiv bleiben.« Ihre gleichaltrige Landsfrau Misao Okawa schwor hingegen auf »viel schlafen«, und die dritte im Bund der Hundertsiebzehnjährigen, Emma Morano aus Italien, aß täglich zwei rohe Eier und trank selbst gebrannten Grappa.
Marie-Louise Meilleur aus Kanada, ebenfalls hundertsiebzehn, führte einen überraschenden Grund für ihr langes Leben an: »Harte Arbeit.« Verständlich, hatte sie doch zehn Kinder, fünfundachtzig Enkel, achtzig Urenkel und siebenundfünfzig Ururenkel. Unglaublich.
Jeanne Louise Calment aus Frankreich konnte sich hingegen nicht so recht entscheiden, was genau sie mit hundertzweiundzwanzig Jahren zur »Alters-Weltrekord-Halterin« hatte werden lassen. »Olivenöl, Portwein, Zigaretten und Schokolade. Oder der liebe Gott hat mich einfach vergessen.« Vielleicht lag ihr Sagenalter auch am Rauchen. Mit hundertneunzehn hörte sie nämlich damit auf – nach einhundert Jahren!
Ein »grammgenaues« Rezept lässt sich also aus alldem noch nicht ableiten. Und die »Geheimnisse« zwei weiterer »Superalter« sorgen auch nicht wirklich für mehr Klarheit, dafür jedoch für ein Schmunzeln. Und das macht bekanntermaßen wenigstens kurzfristig glücklich.
Leandra Becerra Lumbreras aus Mexiko beispielsweise, sie soll hundertsiebenundzwanzig Jahre alt geworden sein, meinte trocken: »Die Ehe vermeiden.« Manch glücklich Geschiedene werden ihr sicherlich beipflichten.
Die New Yorkerin Susannah Mushatt Jones trug auch bis ins hohe Alter von hundertsechzehn Jahren noch liebend gern Spitzenunterwäsche. Ihr Kommentar dazu: »Man ist nie zu alt dafür, ausgefallene Sachen zu tragen.« Spitze, oder?
Wer ist der älteste Mensch, den Sie persönlich kennen? Was bewundern Sie an ihr/ihm? Was kann Ihnen als Vorbild dienen?
Bei allen bisher genannten »Superalten« handelte es sich um Frauen. Statistisch gesehen keine Überraschung. Aber an dieser Stelle vielleicht doch etwas einseitig, denn es gibt auch Männer, die ein sehr hohes Alter erreichten. Zwar wenige, aber immerhin.
Übrigens: Die ältesten westeuropäischen Männer leben in der Schweiz. Ob die günstigen Steuersätze wohl eine lebensverlängernde Wirkung haben?
Der hundertsechzehnjährige Japaner Jiroemon Kimura gab als sein »Rezept« an: »Kleine Portionen essen, laufen und Zeitung lesen.«
Der mit hundertelf Jahren älteste Deutsche, Hermann Dörnemann, trank jeden Tag Altbier, das Kochwasser von Kartoffeln (wegen der Vitaminzufuhr, wie er zu Protokoll gab) und mied jede Bewegung. Genau wie Winston Churchill, dessen legendäres Alters-Erfolgsgeheimnis »No sports« ihn zu immerhin siebenundneunzig Jahren verhalf. Vielleicht halfen auch seine weiteren Wegbegleiter (Zigarren, Champagner und Whisky) ein wenig mit. Wer weiß?
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Alter bietet oft nur noch kleines Glück. Ob das weich gekochte Ei, der Schrebergarten oder die Hand des Enkels auf dem Unterarm. Man sollte den Teufel tun und sich den dankbaren Genuss solchen Glücks durch überspannte Erwartungen, die ohnehin nicht mehr erfüllbar sind, zu verbauen. Es gibt so unendlich viele Arten des Glücks ...
Zu guter Letzt müssen wir natürlich noch Saparman Sodimejo erwähnen (auch Mbah Gotho genannt). Zwar gibt es an seinem kolportierten Alter von hundertsechsundvierzig Jahren erhebliche Zweifel, weshalb das »Guinness-Buch der Rekorde« auch nicht ihn als ältesten Menschen der Welt aufführt, sondern seit 2019 die Japanerin Kane Tanaka mit ihren damals hundertsiebzehn Jahren und achtundzwanzig Tagen. Aber dies ist für uns nicht wirklich wichtig, da die Erkenntnis Mbah Gothos, der rauchte, aß, was er wollte, und Alkohol trank, sehr hilfreich ist. Er war sich sicher, dass er seine lange Erdenzeit vor allem dreierlei zu verdanken hatte: »Geduld, Dankbarkeit und Leute an meiner Seite, die mich wirklich lieben und sich stets um mich kümmern.«
Kann es eine schönere Erkenntnis geben? Doch bei aller Mitfreude: Waren die Geheimnisse der »Superalten« hilfreich auf unserer Rezeptsuche? Ermutigend, ja. Rezepttaug-lich eher nicht.
Vielleicht hilft uns ein Ausflug in die Welt der Wissenschaft weiter, die auf so gut wie jede Frage unzählige Antwortmöglichkeiten bereithält. So werden täglich beispielsweise mehr als fünfhundert neue ernährungsrelevante Studien veröffentlicht. Wenn es unser gesuchtes Rezept also gibt – oder wenigstens zehn garantierte Erfolgstipps –, dann doch in der Wissenschaft, oder?
Motiviert machten wir uns bei der Erarbeitung dieser Zeilen für Sie auf die Suche. Wir sichteten unzählige Studien und Analysen, begutachteten diverse Artikel sowie Reportagen und kamen am Ende zu einer, im ersten Moment zugegeben ernüchternden, Erkenntnis:
Das Rezept zum glücklichen Altern gibt es … nicht.
Ebenso wenig wie ein funktionierendes Elixier für das ewige Leben, wie es zum Beispiel Adlige in China vor zweitausend Jahren glaubten, als sie sich ein Gebräu herstellen ließen, mit dem sie Unsterblichkeit erlangen würden.
Genauso, wie sich die Erfolgsgeheimnisse der »Superalten« unterscheiden, differieren auch die wissenschaftlichen Erkenntnisse. Zu fast jeder Studie findet sich auch eine Gegenstudie, die zu einer entgegengesetzten Erkenntnis kommt. Zudem ist das Wundervolle der Wissenschaft zugleich auch ihr Problem: Täglich entstehen neue Erkenntnisse und Theorien, werden bisher unbekannte Zusammenhänge festgestellt, wird Altes von Neuem infrage gestellt oder gar verdrängt.
Was also ist richtig? Was definitiv falsch? Und was davon hat wie lange Bestand? Niemand weiß es genau.
Wie sagt ein Sprichwort so schön: »Des einen Leid, des anderen Freud!« In unserem Sinne bedeutet das Nicht-Vorhandensein eines Rezepts zum glücklichen Altern, dass unser Buch eine Existenzberechtigung hat. Denn gäbe es dieses eine allumfassende Rezept, wäre an dieser Stelle bereits … Schluss!
Wie schön, dass Sie erst am Anfang des Buches sind, gibt es doch noch so viel Inspirierendes zu berichten. Dazu gehört natürlich nicht, dass jeder Mensch einzigartig ist, kein Leben dem anderen gleicht und ein Rezept daher schon rein theoretisch gar nicht funktionieren würde. Und ebenso, dass das Geschenk des Lebens gerade seine Unberechenbarkeit ist, die Möglichkeit, dass sich alles von heute auf morgen verändern, verbessern kann.
Wäre das Leben nicht fürchterlich, wüssten wir schon heute, was zukünftig wann genau passiert?
Wo wäre der Reiz, heute etwas für ein gutes Morgen zu tun, wäre bereits alles unveränderbar in Stein gemeißelt? Man stelle sich nur einmal, aber wirklich nur ganz kurz vor, man wüsste just in diesem Moment, dass man im Alter schwer krank, gar ein Pflegefall, arm oder einsam sein wird? Glücklicherweise folgt das Leben seinen eigenen Gesetzen!
Und jetzt? Was bedeutet das alles für unser aller Wunsch, lange, gesund und glücklich zu leben? Bleibt uns am Ende nur die Hoffnung aufs Schicksal, auf göttliche oder universelle Fügungen, hilfreiche Zufälle?
Nein, denn aus der Welt der Wissenschaft gibt es eine wichtige Erkenntnis, die uns bei unserer Suche weiterhilft:
Unsere Gene und unser Lebensstil haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie lange, wie gesund und wie glück-lich wir leben.
Macht diese Erkenntnis nicht gleich gute Laune!? Wir sind also nicht Opfer der Umstände, sondern bestimmen – zumindest zu großen Teilen – selbst über den Verlauf unseres Lebens. Doch mit der guten Laune ist es jetzt vorbei, zumindest kurz, denn eines darf nicht unbeachtet bleiben: Die Erkenntnis, dass unsere Lebenserwartung, die in den letzten Jahren stetig gestiegen ist, stagniert, weil die Menschen mittlerweile zu viel rauchen, zu viel essen und sich zu wenig bewegen. Rund zwei Drittel der deutschen Männer sind schon zu dick (fast jeder vierte Fünfzehnjährige sogar), Bluthochdruck und Diabetes sind auf dem Vormarsch.
Daher beschäftigen wir uns kurz mit dem Thema Lebensstil. Und keine Sorge: Es folgt keine ernüchternde Verbots- oder Besserwisserliste, sondern vielmehr unterschiedliche Impulse.
Denn auch, wenn es kein garantiertes Erfolgsrezept gibt, so existieren doch eine Unmenge an Zutaten, mit denen wir die Wahrscheinlichkeit auf ein langes, gesundes und glückliches Leben erhöhen können.
Reisen wir – zumindest gedanklich – an die Orte unserer schönen Welt, in denen die Menschen überdurchschnittlich alt werden (die sogenannten Blauen Zonen). Wenn Sie die Hoffnung hegen, dass allein eine echte Reise nach Okinawa in Japan, Sardinien in Italien, Ikaria in Griechenland oder Loma Linda in Kalifornien/USA eine direkte und nachhaltige Auswirkung auf Ihr Leben haben könnte, müssen wir Sie enttäuschen. Entscheidend sind an diesen Orten nicht die klimatischen Bedingungen, sondern die Lebensweisen der Menschen dort, die laut wissenschaftlichen und demografischen Erkenntnissen offenbar für das Erreichen eines Lebensalters jenseits der neunzig verantwortlich sind. Für die Zeitschrift National Geographic untersuchte beispielsweise der Autor Dan Buettner dieses Phänomen mit einem Expertenteam von Anthropologen, Historikern, Ernährungsmedizinern und Genetikern. Seine 2005 unter dem Titel »The Secrets of a Long Life« veröffentliche Reportage brachte spannende Langlebigkeitsfaktoren zutage, wie: die natürliche Art, sich im Alltag zu bewegen (also nicht das Fitnessstudio besuchen, sondern lieber im Garten arbeiten), die Vermeidung von Hektik, gelebte Lebensfreude mit Genuss und Zeit, eine maßvolle Ernährung, Obst und Gemüse, Wein, Glauben und Vertrauen, Familie und das Leben als Teil einer Gruppe, in die man perfekt hineinpasst.
Übrigens: In Okinawa kennt man das Wort »Ruhestand« gar nicht. Auch keine Übersetzung, die seinen Sinn zumindest annähernd wiedergibt, existiert nicht. Warum auch!? Schließlich erleben die Menschen dort, dass es gerade die Arbeit ist, in Verbindung mit der damit verbundenen Freude, Wertschätzung und Resonanz, die sie so alt werden lässt.
Die glücklichen Alten haben erkannt, dass es im Leben keine Ziellinie gibt, die es gilt, so schnell wie möglich zu erreichen. Wie anders dies manche in unserer Gesellschaft betrachten, erkennen Sie, wenn Sie an das Wort »Rente« denken. Für viele ist der Renteneintritt, die Ziellinie, nach deren Passieren alles besser wird, weil man es geschafft hat. Und sein Leben dann so leben kann, wie man es wirklich möchte.
Nicht wenige werden, wenn sie ins »Rentenziel« kommen, jedoch von ihrer eigenen Vorstellung enttäuscht, weil nicht sofort und automatisch alles besser wird. Wäre dies nicht auch komisch, würde es doch voraussetzen, dass es vor der Rente nicht so schön war, wie man es gern hätte. Halten wir es doch mit den glücklichen Superalten und leben wir schon vor der nachberuflichen Phase das Leben, das wir uns wünschen.
Wenn Sie sich die Gesamtheit dessen, was Sie bis hierher gelesen haben, als Kreis vorstellen (oder als Torte, je nach Geschmack), können Sie daraus vier gleich große Stücke schneiden, die alle einen großen Einfluss auf das glückliche Altern haben:
Gemeinschaft
Aufgaben
Bewegung
Ernährung und Einstellung
Zugegeben, richtig strukturiert müsste die Einstellung zuerst stehen. Schließlich geht von ihr, von unserem Bewusstsein, alles Weitere aus. Aber unsere Reihenfolge hat einen triftigen Grund. Fügt man die Anfangsbuchstaben der fünf Faktoren zu einem Wort zusammen, entsteht der Begriff: Gabe
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Der längste Tag des Jahres ist zugleich in etwa der Anfang des Sommers. Obwohl das Licht ab dann Schritt für Schritt schwindet, kann sich die intensivste Jahreszeit auf das Schönste entfalten. Wollen wir das nicht zum Vorbild nehmen?
Im Sprachgebrauch versteht man unter Gabe ein Talent, eine besondere Fähigkeit, etwas, das uns »in die Wiege gelegt wurde«. Und tatsächlich ist uns die Fähigkeit, glücklich zu altern, angeboren. Alles, was wir dazu benötigen, ist in uns vorhanden, beziehungsweise kann von uns beeinflusst und erlangt werden. Wenn wir wollen. Und wenn wir wissen, wie.
Gemeinschaft: Meine lieb gewonnenen Menschen, die ein wichtiger Teil meines Lebens sind.
Ich bin Teil einer Gemeinschaft, die mir Halt und Kraft gibt.
Aufgaben: Tätigkeiten, die mich erfüllen.
Ich mache Dinge, die mir Freude bereiten.
Bewegung: Körperliche, geistige und seelische Aktivitäten.
Ich achte auf mich, halte mich fit und versuche, im Gleichgewicht zu bleiben.
Ernährung und Einstellung: Feste, flüssige und geistige Nahrung, die mir guttut.
Ich achte auf das, was ich esse, trinke und denke, und liebe das Leben.
Diese GABE ist nicht unserRezept fürs glückliche Altern. Es ist eher ein Angebot an Sie, eine kleine Zutatenliste, aus der Sie sich Ihr Rezept zum glücklichen Altern nach Ihrem Gusto zusammenstellen können. In den folgenden Kapiteln werden Sie immer mehr hierzu finden. Vielleicht orientieren Sie sich aber auch an den drei Ls, die oft als Zutaten für ein langes glückliches Leben genannt werden: Laufen (also Bewegung), Lernen (neugierig bleiben) und Lachen. Für welche Bausteine dieses Angebots auch immer Sie sich im Folgenden entscheiden, eines scheint gewiss: Die Wahrscheinlichkeit für eine lange, gesunde und glückliche Zeit auf Erden steigt auf jeden Fall, wenn Sie sich aktiv auf das, was vor Ihnen liegt, vorbereiten. Und eines hilft ganz besonders: das Leben zu lieben.
Bevor wir gemeinsam mit Ihnen gleich an der zweiten Station unserer Erkundungsreise ankommen, beschäftigen wir uns noch mit der – neben dem Lebensstil – zweiten Säule eines langen, gesunden und glücklichen Lebens: den Genen.
Keine Sorge: Wir langweilen Sie jetzt nicht mit ausufernden Zahlen, Daten und Fakten zur Epigenetik (so bezeichnet man ganz vereinfacht die Forschung zum genetischen Code). Äußerst spannend und hilfreich für uns ist jedoch diese Erkenntnis:
Unser genetischer Code, unsere erbliche Programmierung, bleibt zwar während unseres gesamten Lebens kon-stant. Wir haben aber Einfluss darauf, wie er eingesetzt und gelebt wird.
Forscher gehen von einem Wirkungsgrad von etwa zwanzig Prozent aus, den die Gene auf unser Altern haben, wobei es das Methusalem-Gen, das uns »automatisch« ein langes Leben schenkt, leider nicht gibt.
Der Lebensstil beeinflusst also zu fünfundsiebzig Prozent unser Altern! Ist das nicht eine fantastische Nachricht? Drei Viertel sind also nicht Schicksal oder Fügung, sondern wir haben es selbst in der Hand. Und es kommt noch besser: Mit unserem Lebensstil können wir die Wirkung unserer Gene sogar beeinflussen. Das hat nicht nur wunderbare Auswirkungen auf unser Leben, sondern sorgt sogar für einen positiven Einfluss auf unsere Nachfahren (wenn wir vorhaben, noch welche in die Welt zu setzen).
Aus dem Leistungssport ist durch die Wissenschaft der Epigenetik beispielsweise bekannt, dass Kinder von Spitzensportlern oft eine natürliche Neigung dazu haben, überdurchschnittliche körperliche Fähigkeiten zu erreichen. Auch unsere Nachkommen erhalten also einen »genetischen Staffelstab« von uns übergeben. Und wir entscheiden mit unserem Lebensstil mit, wie hilfreich er für unsere Nachkommen ist.
Beispielsweise hat der Neurobiologe Dr. rer. nat. Peter Spork festgestellt, dass epigenetische Strukturen in unserem Körper »wirken wie Schalter, die Gene an- oder abstellen«. Einflüsse aller Art, wie unsere sportlichen Aktivitäten, negative sowie positive Gefühle, unsere Ernährungsweise, aber auch äußere Faktoren, wie das Klima, können unsere Zellen somit programmieren und ihre Funktionsweise dauerhaft verändern. Epigenetische Strukturen, die einmal programmiert sind, werden laut Spork an ihre Tochterzellen weitergegeben. »Auf diese Weise kann eine früh erworbene Eigenschaft bis ins hohe Alter erhalten bleiben.«
Ein eindrucksvolles Experiment führte der amerikanische Krebsforscher Randy Jirtle von der Universiy of Wisconsin-Madison mit den gelben Agouti-Mäusen durch, die ein Gen besitzen, das ihr Fell blassgelb statt dunkelbraun färbt, das Sättigungszentrum hemmt und sie anfällig für Krebs und Diabetes macht. Jirtle verabreichte trächtigen Mäuse-Weibchen ein Spezialfutter inklusive großzügiger Portionen von Nahrungsergänzungsmitteln (unter anderem Folsäure, Vitamin B12, Cholin). Das Beeindruckende: Diese Beimischung wirkte sich auf ihre Nachkommen aus, die zum großen Teil dunkles Fell bekamen, schlank waren und gesund blieben. Die Jungtiere von den Weibchen, die normales Futter bekamen, waren hingegen gelb, dick und krankheitsanfällig wie ihre Mütter.
Der generationenübergreifende Effekt von Ernährung tritt auch bei uns Menschen auf. Prof. Dr. med. Andreas Plagemann von der Klinik für Geburtsmedizin (Charité, Berlin) kommt zu dem Schluss, dass bereits im menschlichen Mutterleib ein umweltabhängiger Lernprozess stattfindet, der vor allem die zentralen Regelinstanzen Gehirn und Genom prägt. Eine mütterliche Überernährung, vor allem, wenn die Mutter adipös ist oder an Schwangerschaftsdiabetes leidet, verdoppelt das Risiko des Kindes auf Makrosomie, also die übermäßige Größe einzelner Körperteile oder Organe.
Wir selbst können also nicht nur etwas dafür tun, dass es uns heute und im Alter gut geht. Wir können nachfolgenden Generationen auch eine gute Basis mit auf den Weg geben für ihr langes, gesundes und glückliches Leben.
Ist dies nicht ein wundervoll beruhigender Gedanke!? Fast so wie dieser, den Cicero schon vor mehr als zweitausend Jahren so treffend formuliert hat: »Nicht das Alter ist das Problem, sondern unsere Einstellung dazu.«
Kapitel 2
Wissen Sie noch, wie Sie sich das Leben »im Alter« beziehungsweise als alter Mensch vorgestellt haben, als Sie ein kleines Kind waren? Wahrscheinlich gar nicht, oder? Ist es doch eine Segnung der Kindheit, vollkommen im Heute zu versinken. An morgen denken Kinder genauso selten wie an später – es sei denn, Weihnachten oder der eigene Geburtstag stehen vor der Tür. Sonst zählt das Leben im Hier und Jetzt. Wie also sollte man auch nur theoretisch in einer solch glücksseligen Momentversunkenheit ans Alter denken!?
Dennoch entwickeln bereits kleine Kinder ein erstes Gefühl fürs Alter. Besonders deutlich zeigt es sich, wenn Kinder gefragt werden, wie alt sie jemanden schätzen oder ab wann man für sie alt ist. Wer kennt das nicht aus eigener »leidvoller« Erfahrung? Wenn man als noch nicht mal Dreißigjähriger das erste Mal von einem Kind gesiezt wird, obwohl man sich doch selbst noch jung fühlt. Oder wenn man, sobald man einem Kind sein Alter verrät, meist in mitleidigem Ton zu hören bekommt: »Sooo alt bist du!?« Das ungesagt mitschwingende, aber durchaus gefühlte »Du Armer« oder auch »Dann bist du ja bald tot« sind wohl die ersten Anzeichen, dass man älter wird.
Es sind diese und viele weitere Momente, in denen einem klar wird, dass das Alter und das Altwerden bereits bei den ganz Kleinen eher negativ als positiv angesehen werden. Und: Wenn wir ehrlich sind, an bekannten Vorurteilen über alte Menschen mangelt es wahrlich nicht. Befragt man junge Erwachsene, was sie über das Alter beziehungsweise Altwerden denken, hört man nicht selten Folgendes:
»Man kann vieles nicht mehr machen, weil der Körper abbaut und immer mehr verfällt. Man wird gebrechlicher und kann sich immer schlechter bewegen.«
»Alte Leute sind andauernd krank, jede Woche beim Arzt und nur noch am Leiden.«
»Man wird vergesslich, kann sich schlecht an was erinnern, kriegt nicht mehr so viel mit.«
»Die tragen alle ’ne Brille, weil die nichts mehr sehen. Und brauchen alle Hörgeräte und Gehhilfen.«
»Ohne fremde Hilfe kriegen alte Leute nichts mehr hin.«
»Die werden immer faltiger, dicker, die Haare fallen aus.«
»Alte Leute riechen auch so komisch.«
»Irgendwann kommen die dann ins Altersheim, weil die nichts mehr allein hinbekommen. Und dann sterben die auch bald.«
Kein Wunder, dass man auf die Gegenfrage an Kinder »Freust du dich darauf, auch irgendwann mal alt zu sein?« meistens eine ablehnende Antwort erhält. Sie erraten diese sicherlich selbst. Und, ganz offen und ehrlich: Wer möchte es den Jungen verdenken? Als junger Mensch steht man in der Regel noch »voll im Saft«, und das einzige Zipperlein ist vielleicht der Kater nach einer ausgiebigen Feier am nächsten Morgen.
Der Blick, den wir Menschen insgesamt auf unsere Umwelt und unsere Mitmenschen bekommen, verändert sich, je älter wir werden. Er wird differenzierter. Und mit ihm verändert sich auch das Bild übers Alter und Altwerden. Verständlich, denn mit steigender Zahl an Lebensjahren weicht das sehr oberflächliche Bild, das sich meist nur aus der Beurteilung von Äußerlichkeiten zusammensetzt. Die eigenen Erfahrungen mit älteren Menschen werden mehr. Man spricht öfter mit ihnen, erfährt bisher unbekannte (oder unbeachtete) Dinge, nimmt mehr von ihnen, ihrem Leben, ihrer Sicht auf die Dinge wahr. Aber: Das Bild wird dadurch nicht per se positiver. Im Gegenteil.
Nicht selten hört man aus den Mündern junger Erwachsener und ebenso von Mittdreißigern oder Mittvierzigern Äußerungen wie:
»Alte Leute reden immer nur von früher und erzählen nur über sich, was sie damals gemacht haben.«
»Die wollen einem immer irgendwelche Ratschläge zu allem geben, weil sie alles besser wissen, obwohl die Welt heute ganz anders ist als damals, als die selbst jung waren.«
»Die kennen sich doch mit unseren Sachen gar nicht aus und interessieren sich auch nicht dafür.«
»Alte Leute sind stur, ignorant und meckern immer nur an allem und jedem herum.«
»Die interessieren sich doch nur noch für ihre Krankheiten.«
Interessant, oder? Klingt nach Altersdiskriminierung und ist es stellenweise sogar. Genauso wie Sätze wie dieser, der suggeriert, dass alte Leute mit Technik nicht umgehen können:
»Diese Software ist so einfach, dass selbst meine Großmutter sie benutzen könnte.«
Fragt man die Jungen, wie sie sich selbst beziehungsweise ihre Altersgenossen so einschätzten, hört man nicht selten Dinge wie:
»Wir sind offen, spontan, kreativ, neugierig. Wir engagieren uns, weil wir noch eine Zukunft haben.«
Ist die Welt so einfach? Zum Glück nicht. Befragt man ältere Menschen über die Jungen, dreht sich das von der Jugend über sich selbst gezeichnete Bild schnell in die andere Richtung.
»Die jungen Leute heute interessieren sich doch nur für sich selbst und ihr Handy.«
»Die sind total undankbar und nehmen keinen Rat an.«
»Ständig fotografieren sie sich selbst, ihr Essen oder unnützen Kram und nehmen andere gar nicht wahr.«
»Die haben keinen Respekt vor alten Leuten.«
»Die übernehmen keinerlei Verantwortung und suchen immer nur ihren Vorteil.«
»Die sind aufmüpfig, frech, wissen alles besser, lassen sich nichts sagen.«
»Die hinterfragen alles, stellen alles infrage und hören nicht auf die Erfahrung von uns älteren Leuten.«
Wir könnten Seiten über Seiten mit Vorurteilen füllen, weil es so unendlich viele davon gibt. Irgendwoher müssen sie ja kommen. Vielleicht steckt ja sogar in jedem Vorurteil auch ein Funken Wahrheit, so wie das von Gerüchten immer behauptet wird?
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»Dem lieben Gott ist das Alter nicht gut gelungen«, sagte mir eine kluge Frau kürzlich. Wie recht sie hat, wissen wir alle. Aber auch, dass wir trotzdem da durchmüssen. Also lasst uns das Beste draus machen. Es liegt zu einem großen Teil in unserer Hand.
Es liegt einfach in der Natur des Menschen, andere Menschen instinktiv und ohne es selbst wahrzunehmen, in soziale Gruppen einzuteilen. Zum einen in die »In-Gruppen«, sozusagen »die Guten«. Zu den In-Gruppen gehören alle Menschen, die uns nahe sind, beispielsweise in Sachen Alter, Familienstand, Beruf, Freizeitgestaltung, Interessen et cetera.
Die »anderen», die sich stark von uns unterscheiden, gehören automatisch zur »Out-Gruppe«. Und weil diese Menschen so anders sind, sind sie und ihre Ansichten, Lebensweisen et cetera auch eher fremd. Das ist nicht weiter schlimm, wenn wir uns in andere Menschen hineinversetzen (können). Gerade dies fällt vielen jedoch unglaublich schwer, was aber nicht verwunderlich ist.
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In Zeiten enorm gestiegener Lebenserwartung vom »Alter« als einer einheitlichen Lebensphase zu sprechen, ist wie Kindheit, Pubertät und junges Erwachsensein in einen Topf zu schmeißen. Zumindest die Unterscheidung zwischen dem jungen Alter zwischen sechzig und achtzig, in dem gerade mal fünfzehn Prozent der Menschen im Alltag von gesundheitlichen Herausforderungen behindert werden, und der Zeit danach ist zu treffen. Alles andere verbaut den Blick auf eine der schönsten Lebensphasen.
Wie sollen wir wirklich verstehen können, wie schwer der Beruf einer Pflegekraft ist, wenn wir selbst zum Beispiel in einem Verwaltungsjob gearbeitet haben? Wie sollen Männer wirklich verstehen, wie sich Frauen an ihren besonderen Tagen im Monat fühlen? Dementsprechend überrascht es nicht, dass sich junge Menschen auch nicht wirklich in ältere hineinversetzen können – und andersherum, obwohl jeder mal jung war. Wirklich verstehen können wir nur, wenn wir es fühlen können. Die reine Nachvollziehbarkeit über den Verstand reicht bei Weitem nicht aus.
Aufgrund dieser »natürlichen Unfähigkeit« sehen wir oftmals eher die negativen Seiten der anderen. Unser Gehirn bildet ganz automatisch Muster der Vereinfachung, damit wir uns in der täglichen Flut an Informationen, die auf uns einprasseln, besser zurechtfinden. Das ist zwar hilfreich, führt aber zu Wertungen, die uns das Leben und das Zusammenleben erschweren.
Wir betrachten andere (Menschen und Gegebenheiten) nicht neutral, sondern vergleichen die anderen und das andere mit unserem Leben, unseren Ansichten und so weiter. Wer gewinnt bei diesem Vergleich? Natürlich wir. Schon aus Selbstschutz. Verständlich also, dass die Jungen nicht alt sein und es auch nie werden wollen.
Vielleicht schwingt unbewusst noch ein bisschen das mit, was in einigen Kulturen schon vor Tausenden von Jahren zum Alter niedergeschrieben wurde. Beispielsweise, dass das Alter eines der großen Leiden des Lebens ist (unter anderem neben Krankheit und Tod), was neben Mangelernährung, körperlichen Anstrengungen und fehlender gesundheitlicher Versorgung auch ein Grund dafür sein könnte, dass die Menschen früher nicht wirklich alt wurden.
Für die Menschen früher war es auch das Alter, das Leiden schaffte. Wir können das Alter zur Leidenschaft machen, es zumindest mit einer solchen begehen und uns darüber jeden weiteren Meter auf unserem Lebensweg freuen. Denn auch diesen tröstenden Gedanken findet man in den Religionen: Alter, Krankheit und Tod werden nicht von allen lediglich als Leid begriffen. Im Buddhismus gelten diese gar als »Götterboten«, die uns Menschen zu ernstem Nachdenken führen. Also: Denken wir lieber nach, bevor wir vorschnell austeilen und Stäbe über dem Alter brechen, die ihm gar nicht gebühren. Leider ist dies leichter geschrieben als getan.
Manche Vorurteile sind in jahre-, teilweise gar jahrzehntelangen »Erfahrungen« mit dem Alter verwurzelt, auch bei Menschen, die noch gar keine eigenen Erfahrungen mit dem Alter haben. Menschen lernen und übernehmen manche Muster: Vorurteile, Bewertungen unserer Eltern und Großeltern, aus der Schule, dem Fernsehen, von Zeitungen. Dabei sehen sie oftmals nicht, dass einzelne Einschätzungen wahrlich nicht zur Allgemeingültigkeit taugen.
Was denken Sie über das Altwerden und Altsein? Welche Vorurteile haben Sie von anderen übernommen?
Die Antworten darauf sind gar nicht so einfach, oder? Der 2016 verstorbene Schauspieler, Sänger und Schriftsteller Manfred Krug sagte einst: »Ich hatte immer Angst, wie mein Vater zu werden. Jetzt bin ich’s, und es ist gar nicht so schlimm.« Vielleicht vermag diese Erkenntnis, Jung und Alt einander näherzubringen. Zumindest verdeutlicht sie den Sinn (und Wert) von Vorurteilen aufs Wunderbarste.
Wir müssen es also nicht automatisch mit dem bayerischen Komiker Karl Valentin halten, der meinte: »Die Zukunft war früher auch besser.« Auch wenn manche Menschen mit Angst in die Zukunft und ins Alter schauen, lassen sich diese Vorurteile und stillen Sorgen widerlegen, indem wir Fakten entgegensetzen.
Laut Ingo Froböse, dem Leiter des Instituts für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation an der Deutschen Sporthochschule in Köln, verfügt ein Siebzigjähriger über schätzungsweise vierhundert Prozent mehr Wissen als ein Zwanzigjähriger.
Sportlich aktive Alte leben laut Studie der schwedischen Universität Uppsala länger als Nichtsportler. Über einen Zeitraum von fünfunddreißig Jahren untersuchte man zweitausendachthunderteinundvierzig aus Uppsala stammende Männer mit dem Ergebnis: Wer als Fünfzigjähriger sportiv war, lebte im Schnitt 2,3 Jahre länger als ein Stubenhocker. Wer seine sportliche Aktivität zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr vergrößerte, halbierte sogar sein Sterblichkeitsrisiko jenseits des sechzigsten Lebensjahres. Und auch Prof. Albert Gollhofer, Leiter des Instituts für Sport und Sportwissenschaft an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und einer der führenden deutschen Experten auf dem Gebiet des Krafttrainings, kennt die positive Wirkung sportlicher Aktivitäten und die Möglichkeiten des Krafterhalts – vor allem im Alter: »Der Peak (Höhepunkt) der muskulären Kraft liegt im Alter von fünfundzwanzig Jahren. Es ist aber ein Irrglaube in der breiten Bevölkerung, dass die Kraft mit sechzig Jahren verfällt. Mit Training kann man die Kraft da sehr gut erhalten.«
Der Ökonomie-Professor David Blanchflower vom Darthmouth College hat Umfragen mit Menschen aus hundertzweiunddreißig Ländern unter die Lupe genommen und festgestellt, dass sich unser Glück wie ein »U« durch unser Leben zieht. Bis zum Alter von etwa achtzehn Jahren leben wir im Glückshoch, bis unsere Zufriedenheit stetig abfällt und mit etwa siebenundvierzig Jahren seinen Tiefpunkt erreicht. Danach geht’s dann wieder aufwärts, und wir nähern uns, je älter wir werden, unserem früheren Glück an. Es stimmt also nicht, dass unser Leben mit den Jahren per se immer schlechter und wir unglücklicher werden. Im Gegenteil: Wenn wir unser Tal der Tränen durchschritten haben, also die Zeit, in der wir hoch beansprucht und oft gestresst sind von Arbeit, Familie, wenig Freizeit, wird’s besser.
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Dem Leben auf den letzten Metern noch Schnippchen schlagen. Wider Erwarten immer noch Licht, Liebe, Lachen und Leidenschaft herausholen aus schwieriger werdenden Umständen. Selbst mit dem Rollator in bestimmten Momenten tanzen.
Was können Sie jetzt ganz konkret aus diesen Gedanken zu Vorurteilen mitnehmen auf Ihren Weg ins Alter? Einerseits, dass ein Vorurteil immer ein Urteil ist und im Falle des Alterns zudem ein Urteil zu etwas, das Sie wahrscheinlich noch gar nicht richtig einschätzen können, weil Sie eben nicht genau wissen, wie Ihr Alter werden wird. Man stelle sich vor, ein Mensch, der sich mit dem Bau von Flughäfen nicht auskennt, solle entscheiden, wie man einen Flughafen bestmöglich baut. Welches Ergebnis kann man da schon erwarten?
Anderseits sind Vorurteile getrost zu missachten, da sie reine Einschätzungen sind und keine Tatsachen. Wie wunderbar, dass kein Leben einem anderen gleicht und wir Menschen so unterschiedlich sind. Die Erfahrung, die der eine macht, ist für den anderen keine Blaupause, sondern nicht mehr als eine Orientierung in Form eines Anreizes oder einer Warnung.
Wer ein herumgeisterndes Vorurteil für bare Münze nimmt oder gar auf sich selbst münzt, macht sich zum Richter über Dinge, über die er nicht richten sollte. Richten wir lieber unseren Blick auf die unzähligen positiven Beispiele um uns herum, die uns beweisen, dass Alter und Altwerden kein Leidensweg sein muss. Suchen wir doch einfach nach lebenden Beweisen für ein glückliches Altern und wandeln wir Vorurteile zu Vorbildern.
Die Welt ist und bleibt das, was wir von ihr denken. Wir ziehen das an, was wir denken. Wer Menschen kennt, die den ganzen Tag nur über Krankheiten reden, weiß, dass diese Menschen meist öfter krank sind (oder sich entsprechend fühlen). Das bedeutet natürlich nicht, dass diejenigen, die nur über Gesundheit reden, überwiegend gesund sind. Aber das Gesetz der Anziehung hilft Ihnen, die Wahrscheinlichkeit auf Gesundheit zu erhöhen, wenn Sie sich auf die Dinge fokussieren, die Ihnen und Ihrer Gesundheit dienlich sind.
Es ist wie bei einem Drachenflieger, der glücksversunken über Wiesen und Felder schwebt und die untergehende Sonne am Horizont genießt. Lässt er sich aber davon ablenken und richtet den Blick beispielsweise zu einem hektisch winkenden Mann, der ihm zuruft: »Vorsicht! Fliegen Sie nicht auf den Baum!«, dann wird er unweigerlich auf dem einzigen Baum weit und breit landen. Wir kommen dort an, wohin unser Blick sich richtet.
Suchen wir nach den positiven Bildern. Schauen wir dankbar und bewundernd auf den Fünfundachtzigjährigen, der Marathon läuft, zu den Omas, die sich liebevoll um ihre Enkel kümmern, zu den eifrig werkelnden Rentnern, die für jedes Problem eine Lösung haben. Blicken wir zu den weltbereisenden, anerkannten Alten, den vielen lebenden Beispielen dafür, dass es sich lohnt, sich aufs Alter zu freuen. Und die dem Weg des Alterns eine reizvolle Note verleihen.
Beherzigen wir doch einfach, was Epiktet schon vor über zweitausend Jahren wusste, als er konstatierte: »Es sind nicht die Dinge selbst, die uns beunruhigen, sondern die Vorstellungen und Meinungen von den Dingen.«
Vielleicht ist das Alter ja doch schöner, reizvoller, magischer, als viele denken? Irgendetwas Anziehendes muss das Alter haben. Wieso sollten sonst fast alle »Alten« auf die Frage, ob sie noch einmal jung sein möchten, dieselbe Antwort geben: »Nein.«
Oder könnte es gar sein, dass es dieses ominöse Alter gar nicht gibt? Dass wir mit unserer Einschätzung, man wäre ab einer gewissen Zahl an Lebensjahren alt, komplett falsch liegen?
Was wäre, wenn wir damit aufhören würden, nach der exakten Jahreszahl zu suchen, ab der man alt ist, weil sie nicht existiert?
Was wäre, wenn wir das Alter grundsätzlich ganz anders betrachten würden? Sind wir nicht zu jeder Zeit unseres Lebens alt, nur jeder auf unterschiedliche Art? Ein Baby, das drei Monate auf der Welt ist, ist alt, eine dreiundzwanzigjährige Studentin ist alt, ein neunundsiebzigjähriger Rentner ist alt. Jeder Mensch von uns ist alt. Wäre es nicht erleichternd, wenn wir das Alter nicht nur negativ mit Menschen in Verbindung bringen würden, die bereits eine gewisse Zahl in Form absolvierter Lebensjahre erreicht hätten? Wenn wir uns alle als »alt« fühlen würden, verlöre »das Alter« seinen Schrecken, weil wir uns nicht vor etwas fürchten müssen, das uns irgendwann ereilt. Wir sind schon alt, waren es schon immer.
Und was wäre, wenn wir auch das »Altern« neu beleben würden? Wir könnten den Prozess des Älterwerdens als vorfreudiges Wachstum ansehen. Würden wir nicht altern, wären wir schon tot. Wenn wir also altern, leben wir.
Kapitel 3
Wer bin ich? Wozu bin ich hier? Was ist der Zweck des Lebens? Dies ist die wohl klassischste Frage der Philosophie. Seit Jahrtausenden beschäftigen sich unzählige der klügsten Menschen unserer Welt damit, Antworten zu finden. Je älter Menschen werden, desto häufiger und intensiver klopft diese Frage auch an ihre Tür und fordert sie auf, sich mit ihr zu beschäftigen. Aber: Wie lautet die Antwort? Gibt es sie überhaupt, wenn unterschiedliche Philosophen seit Menschengedenken hierzu unterschiedliche Theorien formulierten?
Der Philosoph René Descartes vertrat beispielsweise die These, dass wir im Kern rein geistige Wesen seien, die nur zufällig während unseres irdischen Daseins in einem Körper stecken. Sicherlich kennen Sie sein berühmtes Argument »Cogito ergo sum«. »Ich denke, also bin ich.« Oder, etwas genauer: Wenn ich denke, dann existiert auch der Träger dieses Gedankens, also ich.
Interessant, sicherlich, aber wirklich hilfreich noch nicht. Zumal nicht wenige Philosophen seiner These widersprachen und den Mensch nicht als rein-geistiges Wesen betrachteten, sondern unter anderem als biologisches Wesen (samt Körper), das ein Ich-Gefühl und ein Selbstbild entwickeln kann.
Was sind wir jetzt? Ein Wesen mit einer unsterblichen Seele? Eine reine Ansammlung von Molekülen?
Wer bin ich, und wenn ja, wie viele? Der wohl bekannteste lebende deutsche Philosoph, Richard David Precht, erweiterte die Sinnfrage und landete damit einen Bestseller. Der Buchmarkt ist voll von Ratgebern zum Thema Lebenssinn und Sinnsuche. Immer mehr »normale« Menschen suchen nach Antworten, nicht mehr nur die Philosophen. Manche suchen ihr Heil in den Religionen, andere in Meditationsübungen und Bewusstseinsseminaren.
Wie schön wäre es, wenn immer mehr Menschen den einen Sinn (wenn es ihn denn gibt) oder ihren eigenen Lebenssinn finden. Bedeutet dies doch meist, dass man angekommen ist, mit sich im Reinen, dem eigenen Glückszentrum ganz nahe.
Wie viele Ältere kennen Sie, die von sich selbst behaupten, ihren Sinn gefunden zu haben?
Wenn man es ehrlich betrachtet, bleiben die meisten Menschen oftmals bis zum Ende ihres Lebens Suchende. Warum ist das so? Ist es grundsätzlich unmöglich, Sinn zu finden, oder ist es einfach schwer, den eigenen Sinn zu finden? Und, die viel spannendere Frage: Kann man nicht auch ohne Sinn leben und glücklich und zufrieden sein?
Die Generation der Großeltern sprach praktisch nie davon, nach einem Sinn im Leben zu suchen; geschweige denn eine Begründung für die Existenz des eigenen Daseins finden zu wollen. Früher reichte es den Menschen, da zu sein: gesund, mit genügend Essen, einem Dach über dem Kopf, in Frieden auskömmlich leben zu können. Insbesondere die Alten waren doch, je näher sie ihrem Lebensende kamen, froh um jeden neuen Tag, den sie möglichst ohne Schmerz und mit guter Laune erleben durften.
Konnte man früher vielleicht ohne Sinn leben? Oder hatten die Menschen damals ihren Sinn schon gefunden, ohne es zu wissen und vor allem, ohne danach bewusst gesucht zu haben?
In vergangenen Zeiten war dieses »Warum« eher kleiner, unscheinbarer Natur. Überleben, ein Dach über dem Kopf, genügend Essen, gesund oder zumindest nicht schwer krank sein, nicht allein sein, arbeiten dürfen und können. Heute sind diese Dinge, die in der Maslowschen Bedürfnispyramide, in der die Bedürfnisse und Motivationen in ihrer Wichtigkeit für den Menschen stufenweise angeordnet sind, weit unten stehen, für die meisten eine nicht weiter erwähnenswerte Grundvoraussetzung des Lebens, ihr gelebter und erlebter Alltag. Das Gros der Sinnsucher strebt nach mehr: mehr Tiefe, mehr Höhe, mehr Wirkung, mehr Resonanz, mehr Wissen und Bewusstsein.
Heutzutage wird man das Gefühl nicht los, dass immer mehr Menschen für alles eine allumfassende Erklärung haben möchten, am besten leicht verdaulich (und unterhaltsam) präsentiert. Vielleicht liegt es am digitalen Zeitalter, an der nahezu unendlichen Verfügbarkeit von Wissen. Es ist nicht zu kritisieren, dass wir die Dinge gern verstehen wollen. Es ist gut, nicht alles einfach als selbstverständlich hinzunehmen.
Durch Fragen und Wissbegierde eignen sich Menschen Wissen an und verstehen Themen. Die Frage ist jedoch: Wo liegen die Grenzen dessen, was wir verstehen können? Oder gibt es sie gar nicht? Gibt es für alles eine nachvollziehbare Erklärung? Und: Muss es sie überhaupt geben?
Gehen wir einen gedanklichen Schritt zurück zur Frage nach dem Warum. Warum suchen wir nach dem Sinn? Vielleicht, weil wir das Gefühl haben, dass uns etwas fehlt? Dass unser Leben und unsere Gesellschaft »sinn-entleert« sind? Hätten wir Menschen das Gefühl, sinnvoll zu leben, müssten wir doch nicht nach dem Sinn suchen, oder?
Verständlich und wichtig sind solche Gedankenspiele allemal. Leben wir doch in einer Welt, in der immer mehr Menschen immer häufiger im Außen leben. Nicht im Draußen, der Natur, was schön und erstrebenswert wäre. Im Außen, also der Welt um sich herum, die zunehmend digitaler wird.
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Spätestens in der Mitte des Lebens sollte man wissen, was einem guttut. Und das im vorgegebenen Rahmen dann auch leben. Der inneren Stimme folgen, wo immer das geht. Liebe Menschen um sich haben. Vereinfachen und entrümpeln. Zeit haben für sich und für andere. Wissen, wofür man steht.
Immer neue abgesetzte Posts in den sozialen Medien, möglichst viele positive Kommentare, Daumen-hochs und anonyme Freunde. News über die Nachrichten-App, neue Videos vom abonnierten YouTube-Kanal, die Lieblingsserie auf Netflix. Dies alles (und noch viel mehr davon) bestimmt heute den Lebensalltag von Millionen Menschen.
Vielen ist die eigene Darstellung samt positiver Kommentierung in den sozialen Medien wichtiger als das, was sie gerade an wirklicher, greifbarer Welt umgibt. Ist es wirklich ein Wunder, dass uns der Sinn immer mehr abhandenkommt, wenn wir mit über den Bildschirm sausendem Blick permanent auf der Jagd nach etwas Neuem, Aufregendem sind?
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Forscher in aller Welt entdecken voll Staunen mehr und mehr, dass nicht einmal unsere Gene feststehen. Alles fließt und ist zu beeinflussen. Ob wir durch Meditation, Neugier oder Sport Impulse für ein gesünderes und erfüllteres Leben geben – unser Erbgut ist nicht in Stein gemeißelt. Geschichte geschieht nicht einfach, sie wird von uns geschrieben.
Wenn wir aus den digitalen Zeiten etwas lernen können, dann doch das: Gäbe es den Sinn da draußen im Netz, hätte er sich doch schon längst verbreitet. Und gäbe es die Bedienungsanleitung für ein glückliches Leben, wäre sie schon längst ein Welthit geworden. Sucht doch schließlich fast jeder Mensch danach. Insbesondere, je älter man wird. Und dies hat gute Gründe.
Auch wenn sie natürlich wie alle anderen »nur« Vierundzwanzig-Stunden-Tage zur Verfügung haben, haben Ältere vergleichsweise mehr Zeit für sich selbst beziehungsweise für die Dinge, die ihnen wichtig sind. Die Kinderbetreuung erfordert immer weniger Zeit, am Arbeitsplatz muss man vielleicht nicht mehr jeden Tag Überstunden machen. Das eigene Heim ist irgendwann so auch eingerichtet, wie man es haben will, und erfordert weniger Arbeit.
Das Älterwerden bringt also mehr Freiräume mit sich und ermöglicht es, den Blick von den früheren stressigen Kleinigkeiten des Alltags zu lösen. Hin zur eigenen Umwelt, in das Umfeld. Nicht umsonst interessieren sich beispielsweise ältere Männer oftmals für (welt-)politische Themen. Sicher kennen auch Sie etliche reifere Damen, die sich ehrenamtlich für andere (ihnen fremde) Menschen engagieren. Statt im Klein-Klein zu versinken, sich in Alltags-Details zu verheddern, können Menschen mit zunehmendem Alter auch das große Ganze besser überblicken. Interessieren sich verstärkt für andere, helfen oftmals mit, wenn Hilfe vonnöten ist.
Und auch das hat einen guten Grund: Sie wissen relativ gut, wer sie sind, sind im Leben etabliert, haben vieles erreicht. Haben sich eine Heimat geschaffen, sind verwurzelt. Diese Gewissheit ermöglicht es den Menschen, nicht nur auf sich selbst zu schauen. In jungen Jahren sind wir Menschen, qua Alter, permanent auf der Suche: nach einem Partner, Zuhause, Beruf, der richtigen Balance im Leben, nach dem Erreichen der eigenen Ziele. Wir müssen uns fragen, was wir wann wollen (und was nicht)? Wie wir erreichen, was wir wollen? Wir sind unsicher, worauf es ankommt und was verschwendete Liebesmühe ist. Es ist ein wenig wie ein Gang über eine riesige Eisfläche. Man weiß nie, welcher Schritt in welche Richtung der richtige ist, uns Halt gibt, Sicherheit verspricht. Und wo wir einbrechen und in die Tiefe stürzen.