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Der Wuppertaler Privatdetektiv Remigius Rott hat es endlich zu einem angenehmen Job gebracht: Für freie Unterkunft und ein ordentliches Honorar soll er das Haus eines Freundes in Wülfrath hüten. Doch dann kommt alles anders: Auf einer Rätsel-Rallye durchs Bergische Land stolpert er zusammen mit der geheimnisvollen Yvonne über eine Leiche in der Nähe des Altenberger Doms. Schnell steckt Rott mittendrin in einem Fall, der ihm nicht nur als Detektiv einiges abverlangt: Der sympathische Privatschnüffler von der Wupper ist bis über beide Ohren verliebt ...
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Seitenzahl: 402
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Oliver Buslau wurde 1962 in Gießen geboren. Er wuchs in Koblenz auf und studierte in Köln und Wien Musikwissenschaften und Germanistik. Heute lebt er als freier Autor, Redakteur und Journalist in Bergisch Gladbach.
Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen, Personen und manche Schauplätze sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.
© 2013 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagmotiv: Heribert Stragholz Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI – Clausen & Bosse, LeckISBN 978-3-86358-330-9 Der Bergische Krimi Originalausgabe
Prolog
Der kleine Wagen rollt langsam auf den Parkplatz, der jetzt, am Morgen, noch im Schatten liegt. Sie bremst im letzten Moment, bevor die Stoßstange die herabhängenden Zweige der Büsche berührt.
In der Nacht hat es geregnet. Pfützen haben sich auf dem Platz gebildet. Wenn man nicht vorsichtig ist, trägt man den Dreck ins Auto und am Ende ins Haus …
Sie folgt der breiten Rampe, die hinauf zur Hauptstraße führt, und wartet, bis eine Lücke im dichten morgendlichen Verkehr entsteht.
Ein Laster zieht dröhnend Dieselabgase hinter sich her. Dahinter drängeln sich mehrere Pkw. Die Kolonne bewegt sich hinauf in Richtung Burscheid. Über die Serpentinen auf die Höhe.
Endlich kann sie hinüber. Ein paar schnelle Schritte, dann erreicht sie die Bushaltestelle abseits des kleinen Kiosks, der noch geschlossen hat. Hier zweigt ein Pfad in den Wald ab.
Sie hätte näher an die Kirche heranfahren und ihr Auto auf dem kostenpflichtigen Parkplatz abstellen können. Der Fußweg wäre kürzer gewesen.
Aber genau das will sie nicht.
Ihre Art, sich dem Dom zu nähern, ist für sie eine Form der Andacht. Es liegt ihr viel daran, durch den Wald zu gehen, dann ein Stück der dahinplätschernden Dhünn zu folgen und schließlich das alte Tor zu durchschreiten, durch das schon vor Jahrhunderten die Pilger den Dom erreichten.
Sie freut sich darauf. Jeden Tag. Seit Jahren.
Zuerst der Weg durch die Natur. Dann tauchen die Klostermauern auf. Und wie eine Krönung des Ganzen erscheint schließlich das herrliche, stolz hochgezogene Kirchenportal. Es ist plötzlich da – wie aus dem Nichts. Vergleichbar mit einem majestätischen Orgelakkord im leeren, weiten Kirchenraum.
Sie braucht nicht auf die Uhr zu sehen, um zu wissen, dass sie pünktlich ist. Sie hat es über die lange Zeit verinnerlicht, kurz nach der Öffnung des Domes morgens zum Gebet zu kommen.
Sie wirft noch einen Blick auf die geschlossenen Fensterläden des Kiosks. Dann betritt sie den Wald.
Jetzt, im Sommer, ist der Pfad fast zugewachsen. Schattige Kühle und der Geruch nach feuchter Erde empfangen sie. Nach wenigen Schritten erkennt sie weiter hinten im Wald den Spielplatz, der, etwas abseits im Wald gelegen, kaum wie ein Ort kindlicher Freude wirkt. Eher wie eine düstere, geheimnisvolle Höhle. Das kleine Holzfort mit der Brücke und den aufragenden Türmen, die Rutschbahn und das Wipptierchen in der Ecke – alles erscheint trostlos, einsam und verlassen.
Ganz in der Nähe murmelt das Wasser der Dhünn. Weiter entfernt rauscht der Verkehr. Dass das Domgelände von Straßen umgeben ist, lässt sich nicht ausblenden.
Sie blickt auf die Wasserfläche, in der sich die Bäume spiegeln, und versucht, spirituelle Einkehr zu finden.
Manchmal gelingt ihr das schon hier. An anderen Tagen erst später, wenn sie ein Stück den schmalen, von Wurzeln überzogenen Pfad entlanggewandert ist. Ihr Sohn fällt ihr ein. Sie wird ihn in das Gebet einschließen.
Sie schließt die Augen. Jetzt sind die Autos weit weg, und die Geräusche der Natur wirken ganz nah. Das leise Gluckern des Wassers. Das Gezeter der Vögel in den Wipfeln.
Im Klang der Welt liegt der Atem Gottes.
Das hat sie vor Kurzem in einem ihrer Bücher gelesen, und ihr ist sofort klar gewesen, dass es stimmt.
Nicht nur im Klang der Welt. Auch im Klang der Musik, die sie manchmal im Dom hört. Im Klang der Konzerte, die sie dort besucht. Im Klang der mächtigen Domorgel.
Sie bleibt eine Weile stehen. Es wird immer stiller um sie. Das ferne Rauschen des Verkehrs, das Vogelgezwitscher – alles hält den Atem an, als hätte eine gewaltige Macht im großen Weltgefüge nur auf sie, Klara Hackenberg, gewartet. Darauf, dass sie ihre Chance bekommt, sich von all der Mühsal und Last, die sie quält, zu befreien.
Nur die Dhünn plätschert leise vor sich hin.
Doch da ist noch etwas anderes.
Ein zartes Klopfen auf dem weichen Waldboden. Ein Tappen. Langsam, aber regelmäßig.
Sie öffnet die Augen.
Es kommt gelegentlich vor, dass sie hier morgens nicht allein ist. Hin und wieder begegnet sie Hundebesitzern. Sie kennt die typischen Geräusche: Schritte, das Hecheln der Tiere, das leise Klirren des Halsbandes.
Doch das hier ist anders.
Sie dreht sich um, ihr Blick durchdringt den Wald in alle Richtungen.
Nichts. Nur die Äste, die den Pfad zur Hauptstraße verdecken, wiegen sich sanft. Hat sie jemand in Bewegung versetzt?
Jemand, der ihr gefolgt ist?
Alles ist noch so wie vorher – in seiner ganzen Trostlosigkeit und Einsamkeit.
Sie muss sich geirrt haben.
Es wird Zeit, dass sie sich auf den Weg macht.
In diesem Moment heult hinter den Bäumen ein Dieselmotor auf; in derselben Sekunde tritt eine Gestalt aus der Deckung neben dem hölzernen Fort und stellt sich an die kleine Hängebrücke.
»Frau Hackenberg?«
Klara zuckt vor Schreck zusammen. Ihr kommen weder Stimme noch Gesicht bekannt vor.
Es ist ihr nicht recht, in ihrer Andacht gestört zu werden. Trotzdem muss sie höflich bleiben. Es kann schließlich niemand wissen, dass das hier schon eine geistliche Handlung ist, die für andere erst im Dom beginnt. Nach dem Kreuzzeichen, nach dem Kniefall.
»Sie sind doch Frau Hackenberg?«
Die Person kommt näher. Jetzt steht sie zwei Schritte entfernt.
Klara nickt. »Ja, das bin ich …« Ihre Stimme ist belegt, sie muss sich räuspern. »Kennen wir uns?«
»Ich glaube nicht. Das heißt – ich kenne Sie.«
Klara glaubt, ein spöttisches Grinsen in dem Gesicht aufblitzen zu sehen.
»Und wie heißen Sie?« Sie versucht, so freundlich wie möglich zu sein.
»Das tut nichts zur Sache.«
Klara hebt die Augenbrauen. Wie ungehörig! Seltsam. Das passt gar nicht zu der eleganten Erscheinung.
»Entschuldigen Sie, aber …«
Der Satz bleibt unvollendet. Sie hatte etwas Ablehnendes sagen wollen, doch ihr ist klar geworden, dass niemand sie zwingen kann, sich mit dieser unbekannten Person zu unterhalten. Sie hat schon genug Zeit verloren. Der Dom öffnet gerade. Sie muss weiter.
Klara geht auf die Stelle zu, wo der kleine Weg beginnt.
»Bleiben Sie stehen!«, hört sie hinter sich.
Klara lässt sich nichts befehlen.
»Stehen bleiben, habe ich gesagt.«
Jetzt hat sie den Pfad erreicht. Schritte folgen ihr. Plötzlich sind sie ganz nah.
Dann hemmt sie etwas.
Ein schmerzhafter Ruck. Ein Stoß. Irgendwo unterhalb der Schulterblätter. Ein stechender Schmerz nimmt ihr den Atem. Ihr Oberkörper scheint mit einem Mal in Flammen zu stehen.
»Ich habe gesagt, Sie sollen stehen bleiben«, zischt die Stimme, die von einem anschwellenden Rauschen in Klaras Ohren übertönt wird. Sie wirkt, als käme sie aus einem defekten Lautsprecher. Und sie klingt plötzlich bösartig. Teuflisch.
Die Person beugt sich über sie. Das Gesicht schiebt sich zwischen sie und die Baumwipfel.
Erst jetzt realisiert sie, dass sie auf dem Boden liegt.
Klara kämpft um Luft. Da trifft sie der Schmerz ein zweites Mal. Diesmal von vorne.
Eine heiße rote Fontäne schießt von irgendwo hervor.
Klaras Gesichtsfeld zieht sich zusammen, wird eng wie ein Tunnel.
Und erst in diesem Moment wird ihr klar, was hier geschieht.
Sie hebt zu ihrem letzten Gebet an.
Dann ist alles schwarz und still.
1
George Clooney stand am Himmelstor und verhandelte mit Petrus über seine Rückkehr aus dem Tod ins Leben. Als Petrus, verkörpert von John Malkovich, die Kaffeemaschine sah, die Clooney unter dem Arm trug, war der Deal perfekt. Der Womanizer vom Dienst durfte zurück auf die Erde und blieb der Menschheit noch eine Weile erhalten.
Worüber sich deren weibliche Hälfte wahrscheinlich am meisten freute.
Mir war es wurscht.
Lässig griff ich nach der handlichen Fernbedienung und zappte mich weiter durch die geschätzten tausend Programme, die Manni über seinen sauteuren Digitalreceiver empfing – einschließlich einiger Pay-TV-Sender, deren Themenschwerpunkte ein ganz neues Licht auf seine Interessen warfen: Ein History-Kanal war dabei, der rund um die Uhr irgendwelche Soldaten zeigte, die in Schwarz-Weiß über Schlachtfelder rannten. Ein Disney-Kanal, wo ich all die alten Entenhausener wiedertraf, die mich in meiner Jugend erfreut hatten: Massenhaft Variationen über das Thema »Donald und die Backenhörnchen« oder »Donald und die Ameisen«. Und schließlich das Gebiet, das am besten zu Manni passte: gleich drei Erotik-Kanäle, zum Teil mit Klassikern aus den Siebzigern wie »Deep Throat« sowie einer Menge Streifen mit Stars wie John Holmes und Desiree Cousteau.
Manni bewies Geschmack. Immerhin konnte man da noch richtige Frauen sehen, ohne Plastikimplantat und aufgespritzte Lippen. Keine bis zur totalen Sterilität ausgeleuchteten Rammeleien, sondern frivoles Treiben in vielen Spielarten, und das sogar mit Ansätzen von Filmhandlung. Eingebettet in ein Ambiente aus Flokatiteppichen und lila Blumentapeten im Pop-Art-Stil.
Mannis Haus hatte noch viel mehr zu bieten als einen Flachbildfernseher von der Größe einer Plakatwand. Es gab einen Computer, an dem man durch Webseiten so schnell blätterte wie durch die Illustrierte beim Zahnarzt. Eine Bar mit allem Schnick und Schnack für die Herstellung raffinierter Cocktails. Eine Einbauküche, die immerhin gut aussah, von der ich aber nur besagte Kaffeemaschine und die Mikrowelle benutzte – Letztere vor allem, um mir Tiefkühlpizzen aufzutauen. Im Gefrierschrank hatte ich Unmengen davon gehortet.
Draußen erwartete mich ein Garten mit parkähnlicher Rasenfläche, drinnen, am Ende der Wendeltreppe, die vom Wohnzimmer in den ersten Stock hinaufführte, ein Gästezimmer, das ungefähr halb so groß war wie meine ganze Wuppertaler Wohnung.
Was mich betraf, hätte ich in diesem Moment an keinem anderen Ort der Welt sein wollen. Ich war im Paradies, und ich hatte nichts anderes zu tun, als darauf aufzupassen, dass es niemand klaute.
Seit drei Tagen war ich Haushüter statt Detektiv.
Manni, durch irgendein undurchsichtiges geschäftliches Manöver zu Geld gekommen, kajolte irgendwo auf den Malediven herum und hatte fest vor, frühestens in drei Wochen zurückzukommen.
Einundzwanzig Tage. Tausend Sender. Ich rechnete kurz und kam auf knapp fünfzig Sender am Tag. Bei zehn Stunden Fernsehen machte das fünf pro Stunde. Ich brach die Kalkulation ab. Schließlich sollte es ja nicht in Arbeit ausarten.
Ich übersprang ein paar Telefonsexkanäle, streifte Astro-TV, wo eine dicke Dame Karten legte, und verweilte ein wenig bei einer Wiederholung der ZDF-Hitparade, wo ein Schönling mit Plüschfrisur, blauem Samtjackett und einem riesigen Fliegenpropeller an der Gurgel gerade seinen Auftritt hatte. Das Mikro, das er sich vor die Lippen hielt, war ebenfalls von gewaltiger Größe. Ein graues Kabel entsprang ihm. Der Sänger hatte es dekorativ zu einem Kreis geschlungen.
Freddy Breck. Das musste mindestens fünfunddreißig Jahre her sein …
Bei Marianne Rosenberg, Katja Ebstein oder Vicky Leandros hätte ich ja eine Weile zugehört, aber jetzt drückte ich auf »Mute«, und in dem Moment der Stille, in dem der Star der Schlagercharts der Siebziger stumm weitersang, hörte ich, wie sich von der Hauptstraße her ein Fahrzeug näherte.
Mannis Haus stand etwas abseits der schnurgeraden Straße zwischen Mettmann und Wülfrath. Rundherum blickte man weit über Felder und sanfte Höhen, darüber spannte sich der blaue Himmel. Jedenfalls tagsüber, wenn die Sonne schien. Jetzt zeigte die Digitalangabe am Receiver dreiundzwanzig Uhr sechsunddreißig.
Ich ging hinüber in die Küche, deren Fenster zur Auffahrt hinausging. Ein Blick genügte, und ich erkannte, dass zwei Scheinwerfer herankamen.
Das Sträßchen stieß schnurgerade etwa zweihundert Meter von der Landstraße auf das Haus zu. Es war von Büschen gesäumt und endete auf einem kleinen Vorplatz mit weißem Kies direkt vor der Haustür.
Durch das geschlossene Fenster war der Motor des Wagens zu hören – und die Reifen, die auf den Steinen knirschten.
Das Auto kam zum Stehen, aber niemand stieg aus.
Wer konnte das sein?
Manni hatte mir ausdrücklich zu verstehen gegeben, dass niemand wusste, dass er hier wohnte.
Auch ich hatte meinen Aufenthaltsort geheim gehalten. Der Anrufbeantworter in meinem Büro erklärte jedem, der meine Nummer wählte, dass ich für drei Wochen nicht zu erreichen sei. Ich hatte im Moment keine Aufträge nötig. Manni ließ mich in seinem Haus wohnen und zahlte mir zusätzlich einen Hunni täglich. Ich sollte nur verhindern, dass jemand einbrach.
Ob genau das jetzt geschehen würde?
Ohne Licht zu machen, huschte ich ins Gästezimmer. Dort hatte ich im Wäschefach des Schranks meine Neun-Millimeter-Beretta deponiert. Ich tastete mich an der glatten Oberfläche des Fünf-Meter-Ungetüms entlang, zog die Waffe aus dem Fach und steckte sie ein. Dann machte ich mich auf den Weg zum Keller. Als ich an der Diele vorbeikam, nahm ich den Schlüssel der Außentür mit, der hier griffbereit an einem Haken hing.
Ich streckte die Hand zum Lichtschalter aus und zögerte. Es war besser, alles dunkel zu lassen. Vorsichtig tastete ich mich an den Wänden entlang.
Manni hatte mich, als ich den Job antrat, natürlich herumgeführt. Meiner Erinnerung nach war es hier ziemlich aufgeräumt. Ein einziger Raum war verschlossen. Manni hatte mir erklärt, dass dort die Dinge drin waren, die mich nichts angingen.
Es hatte mir einen kleinen Stich versetzt, als er das gesagt hatte; schließlich hielt ich mich für einen Menschen, zu dem man Vertrauen haben konnte. Letztlich war es mir aber egal. Mir war klar, dass Manni es nur mit irgendwelchen krummen Dingern geschafft haben konnte, an das Geld für dieses Haus und seine Reisen zu kommen. Vor drei Jahren war er noch ein armer Schlucker gewesen, der kleine Handreichungen bei meinen Ermittlungen leistete und dafür hin und wieder mal einen Schein zugesteckt bekam. Dann hatte er als Computerfachmann gearbeitet, aber ziemlich schnell entdeckt, dass man mit schwarz heruntergeladener Musik und anderen Dingen ganz gut verdienen konnte.
Wahrscheinlich befanden sich hinter der Tür die Festplatten mit dem digitalen Diebesgut. Oder irgendwelche Server, auf denen das Zeug lag.
Während ich weiter vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzte und mir sehnlichst wünschte, endlich die Außentür zu erreichen, lauschte ich angestrengt in die Dunkelheit.
Schritte. Draußen auf dem Kies.
Etwas Helles erschien. An den Kellerfenstern wanderte der Kegel einer Taschenlampe entlang. Mein Herz klopfte bis zum Hals.
Ob ich die Polizei rufen sollte? Aber noch war ja nichts geschehen. Erst mal das Auto checken. Und die ganze Sache von draußen beobachten. Dann die 110 wählen und die Einbrecher, wenn es welche waren, in Ruhe draußen erwarten.
Endlich erreichte ich die Außentür. Einige lange Sekunden wartete ich in völliger Reglosigkeit. Es kam mir vor, als entfernten sich die Schritte. Und so wagte ich es, die Tür zu öffnen.
Sie führte in den Garten hinter dem Haus. Jetzt war er nichts als eine riesige dunkle Fläche, über die der nächtliche Wind strich. Der Himmel war von Sternen übersät, und ich roch den typischen sommerlichen Duft des Bergischen Landes: eine Mischung aus Erde, gemähtem Gras und einer kleinen Note Landwirtschaft.
Ein paar Stufen führten hinauf zu dem weitläufigen Rasen. Zweitausend Quadratmeter, hatte Manni gesagt. Ich hatte nur geantwortet, dass hier unbedingt ein Swimmingpool hinmüsste. Manni hatte genickt und erklärt, das sei alles in Planung. Dafür müsste ich mich noch ein bisschen gedulden. Nächstes Jahr vielleicht.
Aus seinen Worten hatte ich herausgehört, dass er mich dann wieder zum Haushüten engagieren würde. Keine schlechte Aussicht.
Voraussetzung war, dass ich die Sache nicht vermasselte.
Und prompt fiel mir ein, dass ich einen Fehler gemacht hatte.
Erstens: Ich hatte die Taschenlampe vergessen und würde weiter hier im Dunkeln herumstolpern müssen. Wenn ich auf den Einbrecher stieß, würde ich ihm keinen blendenden Lichtkegel ins Gesicht schicken können.
Zweitens: Ich hatte nach meinem Aufbruch in den Garten die Außentür nicht verschlossen.
Wenn ich jetzt ums Haus ging, und der Einbrecher kam aus der anderen Richtung, konnte er die Gelegenheit nutzen und einfach hineingehen.
Ich schlich zurück. Kaum hatte ich die Kellertür erreicht und den Schlüssel aus der Hosentasche genommen, näherten sich wieder die Schritte.
Es war besser, aufs Ganze zu gehen. Noch mal die Stufen vom Keller hinauf, so leise wie möglich. Da sah ich das Licht der Taschenlampe. Der Kerl hatte sie vor sich auf den Boden gerichtet, wahrscheinlich, um nicht über irgendwas zu stolpern. Der Nebeneffekt war, dass er mich nicht bemerkte.
Ohne zu zögern, rannte ich los.
Während ich auf den Typen zustürmte, überlegte ich, ob er wirklich allein war. Und da einem in so kurzer Zeit bekanntlich ziemlich viel durch den Kopf gehen kann, dämmerte mir darüber hinaus, dass es für einen Einbrecher ziemlich dusselig war, sich mit seinem Wagen direkt vors Haus zu stellen. Apropos dusselig: Zusätzlich kam mir in den Sinn, dass es nicht besonders genial war, den Einbrecher direkt anzugreifen. Schließlich war es durchaus möglich, dass er viel kräftiger war als ich. Und sich den Angriff nicht wehrlos gefallen lassen würde.
Zu spät.
Der Einbrecher im Dunkeln gab einen Laut des Erschreckens von sich, als ich gegen ihn prallte, und wir landeten gemeinsam auf dem Rasen. Ich schlug mit der rechten Schulter auf. Der plötzliche Schmerz lenkte mich von der Erkenntnis ab, dass sich die Person merkwürdig klein und zierlich angefühlt hatte. Jetzt stand sie neben mir und hielt mir eine Lampe ins Gesicht.
»Remi!«, schrie sie.
Und ich schrie zurück: »Jutta!«
Mühsam rappelte ich mich auf. »Verdammt noch mal, was machst du hier?« Ich rieb mir die Schulter.
»Ich suche dich, Blödmann. Du bist ja nicht zu erreichen. Mensch, wieso musst du gleich den Rambo spielen?«
»Und warum musst du um fremde Häuser schleichen? Kannst du nicht klingeln, wie jeder normale Mensch?«
Wo war eigentlich meine Pistole? Sie musste runtergefallen sein.
»Ja, wenn es denn eine Klingel gäbe!«
Ich bückte mich und tastete auf dem dunklen Gras herum. »Was soll das heißen – wenn es eine gäbe?«
»Genau das, was ich sage. Es gibt keine.«
Ich richtete mich wieder auf. Es konnte stimmen. Darauf hatte ich gar nicht geachtet. Manni hatte mich bei meinem ersten Besuch gleich vor seinem Anwesen empfangen. Offenbar hatte er es mit dem Ruhe-haben-Wollen tatsächlich ernst gemeint.
»Aber du hättest rufen können.«
»Mitten in der Nacht? Ich habe erst mal am Eingang geschaut, ob da der Name Manfred Hecking steht. Das tut er nicht, also bin ich ums Haus gegangen, weil ich dachte, es gäbe noch eine Einliegerwohnung oder so was. Ich kannte ja noch nicht mal Mannis Hausnummer. Du hast nur gesagt, an der Straße zwischen Mettmann und Wülfrath …«
Ja, Jutta war die Einzige, der ich eine Andeutung darüber gemacht hatte, wo ich war.
»Und an dein Handy gehst du auch nicht«, setzte sie nach.
»Es ist ausgeschaltet.«
»Na, jetzt hab ich dich ja gefunden.«
»Genau«, sagte ich – etwas blöde. »Lass uns reingehen«, fügte ich hinzu.
»Wo ist denn nun Mannis Wohnung?«
»Ihm gehört das ganze Haus.«
»Im Ernst?«
»Im Ernst.«
»Und was macht er?«
»Er ist gerade auf den Malediven und sonnt sich. Komm rein. Das heißt – würdest du noch mal hierhin leuchten bitte?«
Endlich fand ich meine Pistole und steckte sie ein.
»Wie kann er sich das alles leisten?«, fragte Jutta, als wir in dem riesigen Wohnzimmer mit Marmorboden saßen.
»Ich weiß es nicht. Irgendwelche Geschäfte. Eigentlich will ich es auch gar nicht wissen.«
Ich hatte die raffinierte indirekte Beleuchtung eingeschaltet, Jutta hatte die Kerzen auf dem Tisch angezündet, und jetzt hielt sie in der einen Hand ein Weinglas, in dem es dunkelrot funkelte, und in der anderen eine brennende Zigarette. Rauchen war im ganzen Haus erlaubt. Noch ein Pluspunkt für Manni.
Ich hatte mir ein Bier geholt, wie gewohnt auf ein Glas verzichtet und rauchte ebenfalls. Ich hatte vor, es mir abzugewöhnen, aber nach mehreren gescheiterten Versuchen wusste ich, dass ich das niemals auf einen Schlag schaffen würde. So wandte ich die Salami-Taktik an. Täglich etwas weniger. Morgens eine, eine weitere am Vormittag. Dann erst nach dreizehn Uhr höchstens zwei bis sechs. Die Vorschriften für den Abend würde ich nach Weihnachten treffen, wenn ich genug Erfahrungen mit dem neuen System gesammelt hatte. Derzeit leerte ich bis zum Schlafengehen manchmal eine ganze Schachtel – fast so viele, wie ich früher über den Tag geraucht hatte. Trotzdem kam ich mir besser vor.
»Mich würde was ganz anderes interessieren«, sagte ich. »Wieso kommst du hier mitten in der Nacht angefahren? Ich hab gar nicht gewusst, dass du im Lande bist.«
Jutta reiste viel. Manchmal war sie monatelang unterwegs, und dann tauchte sie wieder auf und verspürte das unbändige Verlangen, mir bei meinen Fällen zu helfen. Oder mich für irgendwelche niederen Jobs anzuheuern.
»Es geht um meinen Geburtstag«, sagte sie.
Ich überlegte. »Der war am 10. Dezember. Das ist ungefähr ein halbes Jahr her.«
Sie nippte an ihrem Weinglas. »Vor zwei Wochen ist mir etwas klar geworden.«
War da plötzlich eine Spur Traurigkeit in ihrer Stimme? War es ein runder Geburtstag gewesen? Hatte ich ihn vergessen? Nein, das konnte nicht sein.
Jutta war zehn Jahre älter als ich. Das hieß, sie war im letzten Dezember siebenundfünfzig geworden. Ein Alter, das man ihr nicht im Mindesten ansah.
»Du bist siebenundfünfzig geworden«, gab ich das Ergebnis meiner Rechenkünste bekannt.
»Genau darum geht’s.«
»Was meinst du damit?«
Jutta verzog den Mund, und nun erkannte ich tatsächlich ein paar Falten neben ihren Grübchen. Wahrscheinlich war das Licht unvorteilhaft.
Man ist immer so alt, wie man sich fühlt, dachte ich – dann hatte ich schon öfter das Rentenalter erreicht. Vor lauter Schreck trank ich noch einen Schluck.
»Wenn man fünfundfünfzig ist, ist man Mitte fünfzig«, sagte Jutta. »Wenn man sechsundfünfzig ist, auch. Glaubst du, dass man das mit siebenundfünfzig noch sagen kann?«
Ich stellte mein Glas ab. »Du hast Probleme … Keine Ahnung. Ja, wahrscheinlich. Das heißt, eigentlich würde man eher schon von Ende fünfzig sprechen, oder?«
Ihre Augen verengten sich, und sie drückte hastig die Zigarette aus. »Eben«, sagte sie, und ihre Stimme wurde spitzer. »Genau das. Wieder geht etwas im Leben zu Ende. Wieder muss man sich damit abfinden, dass man sich einer neuen Grenze nähert. Wieder geht’s ein Stück abwärts.«
Ich sagte nichts und unterdrückte den Drang, aufzuseufzen. Manchmal konnte einen diese Frau wirklich in den Wahnsinn treiben. Seit Jahrzehnten war Jutta finanziell unabhängig, sie hatte die ganze Welt gesehen, hatte sich alles gegönnt, was man sich vorstellen konnte. Wenn sie sich dazu herabließ, sich in meinen Job einzumischen, war es nicht ausgeschlossen, dass sie alles nur noch schlimmer machte. Zumindest zeitweise. Bevor sie dann – das muss ich zugeben – gelegentlich auch die entscheidende Hilfe war. Es ging ihr jedenfalls wesentlich besser als den meisten anderen Menschen – und vor allem viel besser als zum Beispiel mir. Obwohl sie meine Tante war, hatte sie sich noch nie entschließen können, mich finanziell zu unterstützen, wenn es meiner Detektei nicht so gut ging. Was, ehrlich gesagt, ein Dauerzustand war.
Und jetzt musste ich mir ein Lamento darüber anhören, dass sie sich alt fühlte.
Was sollte ich denn sagen? Mein eigener Geburtstag war am 30. Mai sang- und klanglos vorübergegangen. Wenn ich mich recht entsann, hatte ich den Tag damit verbracht, in der Remscheider Alleestraße einen Mann zu überwachen, der angeblich fremdging. Ein öder Routinejob. Das Wetter hatte Februar-Niveau gehabt, und ich hatte mir eine Erkältung zugezogen. Auch ich ging auf einen runden Geburtstag zu. Aber mir war es egal, ob ich Ende oder Mitte vierzig war.
»Du bist doch nicht zu mir gekommen, um mit mir darüber zu diskutieren, ob dein Altersglas halb voll oder halb leer ist?«
Sie sah auf. »Nein. Ich wollte dir einfach nur mitteilen, dass ich meinen Geburtstag nachfeiere. Nächstes Wochenende. Ich habe das im Dezember versäumt, und ich denke, dass man alle Feste mitnehmen sollte, die es noch gibt. Bevor es endgültig zu spät ist«, fügte sie düster hinzu.
Wieder fragte ich mich, ob ich mich irrte, aber ihre Stimme wurde am Ende des Satzes ein bisschen weinerlich. Das war ich von Jutta nicht gewohnt.
»Sag mal, geht’s dir eigentlich gut?«, fragte ich. »Ich meine, körperlich?«
»Schon, aber …«
»Na siehst du«, unterbrach ich sie. »Was soll dann das ganze Gerede? Du bist immer noch fit genug, um Harley zu fahren oder auf den Himalaja zu steigen. Was haben denn da schon die blöden Zahlen zu sagen? Ob eine fünf oder eine sechs vorne steht, ist doch völlig egal.«
Sie tätschelte mir das Knie. Ich erschrak. Das war auch etwas vollkommen Neues.
»Du bist lieb«, sagte sie.
»Jetzt mach bloß nicht auf alte Tante«, fuhr ich auf. »Auf so was hab ich nämlich überhaupt keine Lust. Und dass du mich zum Geburtstag eingeladen hast, finde ich zwar nett, aber …«
Ich stockte, weil ich nicht wusste, wie ich es sagen sollte. Eigentlich hatte ich mich von Juttas gesellschaftlichen Anlässen immer ferngehalten. Ich passte nicht in diesen Kreis selbstherrlicher Vorstände, Banker, Steuerberater und Künstler, mit denen Jutta sich umgab.
Ich wurde direkt: »Bist du sicher, dass du mich dabeihaben willst?«
Sie wiegte den Kopf hin und her. »Es ist im Grunde keine richtige Einladung«, sagte sie.
Sofort ging in mir eine Alarmglocke los. »Was heißt das?«
»Ich wollte dich fragen, ob du mir hilfst.«
»Also mehr ein Job?«
»Wenn du so willst.«
»Ich habe schon einen.«
»Tatsächlich? Wo?«
»Hier.«
Sie stellte ihr Glas ab und sah mich streng an. Ihr schwacher Moment von eben war offenbar überwunden. »Du kannst doch wohl mal einen Tag hier weg und mir helfen?«
»Was soll ich denn machen? Kellnern?«
»Zum Beispiel. Oder andere Sachen.«
»Wie bitte?«
»Ich werde jedenfalls eine kleine Bar einrichten. Es ist Sommer, es wird ein Fest unter freiem Himmel.«
»Bei dir im Garten?«
Jutta wohnte auf dem Brill in Wuppertal. Oberhalb des Villenviertels, das Berühmtheiten wie Else Lasker-Schüler hervorgebracht hatte. Ihr Hanggrundstück besaß ähnliche Ausmaße wie ein Fußballplatz. Na ja, vielleicht nicht ganz.
»Nein, ich habe da ein paar andere Ideen. Ich veranstalte eine Rallye. Am frühen Nachmittag geht’s los. Alle Gäste versammeln sich und bekommen eine Mappe mit Aufgaben, die sie lösen müssen. An verschiedenen Orten im Bergischen Land.«
»So eine Art Schnitzeljagd? Klingt spannend. Und was für Aufgaben sind das?«
»Sie sollen bestimmte Stellen anfahren, um Sachen rauszukriegen. Figuren in einer Kirche zählen oder etwas mitbringen. Sie müssen irgendwas schätzen – zum Beispiel, wie viele Kühe in einem bestimmten Stall stehen. Wenn sie so clever sind und den Bauern finden, der es ihnen genau sagt, sind sie fein raus.«
Ich hörte Jutta noch eine Weile zu, und je mehr sie darüber sprach, desto interessanter fand ich ihre Idee. Das war wirklich mal was anderes.
»Fahren die Teams in Autos?«, fragte ich.
»Na sicher, was hast du denn gedacht?«
»Nicht gerade gut fürs Klima«, stellte ich fest. »Wenn da fünfzig Autos durch die Gegend düsen …«
»So viele sind es nicht. Apropos Klima: Hoffentlich haben wir schönes Wetter.«
»Was genau soll ich nun dabei tun?«
»Wenn es losgeht, muss jedes Team eine Mappe bekommen. Hinterher müssen diese Mappen ausgewertet werden, wir wollen ja einen Gewinner ermitteln. Und dann brauche ich noch jemanden, der das Feuerwerk zündet … Und da sind sicher noch mehr Kleinigkeiten zu tun.«
»Ein Feuerwerk gibt’s auch? In deinem Garten? Ist das erlaubt?«
»Ich habe doch gerade gesagt, dass es nicht in Wuppertal stattfinden wird.«
»Sondern?«
»Ich habe noch das Haus in Solingen.«
»Das in Hästen?«
Das Haus kannte ich. Es war der Rest eines Bauernhofs, den Jutta von ihrem verstorbenen Mann geerbt hatte. Ich hatte das Bild genau vor Augen. Umstanden von Nussbäumen. Dahinter schloss sich eine Streuobstwiese an, die bis zum Horizont zu reichen schien.
»Es ist im Moment an einen Webdesigner zwischenvermietet, der es als Büro nutzt. Und da gibt’s doch das große Grundstück gleich daneben …«
Ich sah sie an, und wieder beschlich mich ein seltsames Gefühl. Das alles passte nicht zu Jutta. Ihre Art war es eher, ein komplettes Nobelrestaurant inklusive Personal zu mieten, anstatt auf so ein Provisorium auszuweichen. Auch dass sie mich anheuern wollte, war ungewöhnlich. Sie engagierte sonst ohne mit der Wimper zu zucken und ohne Rücksicht auf ihre Brieftasche eine Crew von Bediensteten, irgendeinen Cateringservice, und fertig. Abgesehen davon konnte ich die Einladung, wenn man das denn so nennen wollte, nicht annehmen.
»Wenn hier jemand einbricht, macht mich Manni zur Schnecke«, sagte ich. »Ich habe ihm versprochen, das Haus nicht aus den Augen zu lassen.«
»Er kann doch nicht verlangen, dass du keinen Fuß vor die Tür tust.«
»Na ja, so streng ist das auch wieder nicht. Aber erst spät abends zurückzukommen wäre nicht so gut.«
»Hätte dein toller Freund, anstatt deine Wenigkeit zu beauftragen, nicht schlicht und ergreifend eine Alarmanlage einbauen können? Es gibt mittlerweile auch welche, bei denen sofort ein Wachdienst informiert wird, wenn jemand auch nur einen Schatten auf die Schwelle wirft.«
Das stimmte. Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen. Und ich dachte noch ein Stück weiter: Manni hätte auch irgendwas Elektronisches programmieren können. Es gab heutzutage die Möglichkeit, Häuser über das Internet zu überwachen. Von jedem Punkt der Welt aus. Und er war Computerexperte …
»Vielleicht wollte er mir nur einen Job verschaffen«, sagte ich. »Manni hat manchmal so eine menschenfreundliche Ader.«
»Das kannst du mir nicht erzählen«, sagte sie. »Mach, was du willst, aber du enttäuschtest mich ehrlich, wenn du mich im Stich ließest.«
Enttäuschtest, ließest … Wenn Jutta grammatikalisch so korrekt sprach wie ein Lehrbuch, dann war das ein erstes Anzeichen dafür, dass sie sauer wurde.
»Eigentlich würde ich auch gerne richtig auf die Rallye mitfahren«, nörgelte ich. »Und nicht bloß aushelfen.«
»Das geht nicht«, sagte sie streng. »Es gibt Zweierteams, und die Leute haben genau in der richtigen Anzahl zugesagt.«
»In welchen Teams sie fahren, hast du schon festgelegt?«
»Es wird dann ausgelost.«
Sie trank den Wein aus. »Komm, sag schon zu. Es gibt auch was Leckeres zu essen.«
Ich musste grinsen. Sie wusste, womit sie mich locken konnte.
»Ich ruf dich morgen früh an«, sagte ich.
»Der Herr brauchen Bedenkzeit, was?«
»So ähnlich.«
Sie sah auf die Uhr. »Meine Güte, schon nach eins. Also überleg’s dir. Wenn du mir nicht hilfst, muss ich mir jemand anders suchen. Und du weißt, wie enttäuscht ich dann wäre.«
Ich brachte sie raus. Als ihr Wagen in der Dunkelheit verschwand, überlegte ich, dass Manni tatsächlich wenigstens einen Bewegungsmelder hätte anbringen können, wenn er schon keine Alarmanlage hatte.
Wieder zurück, ging ich in das große Arbeitszimmer im ersten Stock. Auf dem Schreibtisch lag ein Blatt, auf dem einige Informationen für mich notiert waren. Unter anderem eine Handynummer, unter der ich Manni erreichen konnte.
Im Internet erfuhr ich, dass es auf den Malediven dreieinhalb Stunden später war. Genau die richtige Zeit, um sich bei Manni zu melden, flüsterte mir ein kleines gemeines Teufelchen zu. Obwohl – sicher machte er dort ohnehin die Nächte durch.
Ich wählte die Nummer und hörte sofort Mannis Stimme, die heiter verkündete: »Keine Chance, Leute. Ich bin im Paradies und komme so schnell nicht wieder. Hier gibt’s keine Mailbox, und wenn es eine gäbe, würde ich sie nicht abhören. Abgesehen davon mache ich dieses Handy praktisch nie an. Außer ich will euch anrufen. Darauf könnt ihr aber lange warten. Ach, und vergesst bitte nicht, nach dem Signalton aufzulegen. Sonst habt ihr schnell eine Mordsrechnung am Hals.«
2
Das gedrungene Fachwerkhaus, das zur Hälfte mit Efeu zugewuchert war, schien missmutig auf die große Wiese hinüberzublicken. Als wundere es sich, was sich da in seiner Umgebung für neumodische Dinge taten. Zwischen den Obstbäumen leuchteten weiße Tische. Ein Stück weiter waren junge, adrett gekleidete Männer damit beschäftigt, Getränke aufzubauen. Als Sitzgelegenheiten hatte Jutta bequeme Korbstühle heranschaffen lassen.
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