Am Himmel über Deutschland - Andreas Langbein - E-Book

Am Himmel über Deutschland E-Book

Andreas Langbein

4,8

Beschreibung

Viele Jahre ging durch Deutschland eine Grenze. Viele Menschen hatten den tiefen Wunsch, über diese Grenze einfach hinwegzufliegen. Seit ich denken kann, wollte ich das tun. Kurz nach der Wende lernte ich Motorflugzeuge zu fliegen. Dann machte ich diesen Flug von Ost nach West über die Grenze und von West nach Ost, zurück in den Osten, wo ich herkomme und hingehöre. In dem Buch geht es nicht nur um Fliegerei. Es geht um das Leben, um Wünsche und Träume, die man hatte, um innerlich zu überleben. Eine Geschichte über das Leben in der DDR und im jetzigen Deutschland. Am Himmel über Deutschland hatte ich diese Gedanken und habe sie aufgeschrieben.

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Ich ging zur Maschine, eine Cessna 172.

Vielfach bewährt, eigentlich einfach zu fliegen, übersichtlich zu manövrieren.

Die üblichen Checks nach Liste waren schnell gemacht.

Die Start- und Landebahn wirkte riesig, schwarzer Asphalt.

Macht schon was her, wenn der Leistungshebel bis zum Anschlag geschoben wird.

Sofort setzt sich die 172 in Bewegung und nimmt schnell Fahrt auf.

Rechtskurve nach dem Start, Richtung Ausflugpunkt aus der Kontrollzone.

»Request leaving your frequency. Is received. Roger.«

Noch sind die Dörfer, Straßen und Autos am Boden gut erkennbar.

Dann gehe ich auf Kurs 270 – Westkurs.

Ich drehe die Maschine auf 270 und stelle sie schräg in den Himmel zum Steigflug auf 4500 ft.

Die Welt unten wird immer kleiner. Die Städte grenzen sich voneinander ab.

Ich fliege Richtung Grenze.

Ehemalige Grenze.

Antiimperialistischer Schutzwall.

Früher wären zeitnah Kampfflugzeuge vom Typ MiG aufgestiegen.

Heute brauche ich diese Angst nicht zu haben.

Aber nach anderen Maschinen Ausschau halten muss ich schon.

Der Motor brummt ruhig und zuverlässig.

Ab und an checke ich die Instrumente: Kurs, Höhe, Öldruck.

Unter mir liegen Dörfer, Städte, Flüsse, Wälder.

Nur wer auch jahrelang hinter einer Grenze eingeschlossen – gefangen – war, versteht wirklich, was es heißt, hoch oben über der Welt durch den Himmel zu fliegen.

Das wurde für mich etwas Heiliges: Einen Strich auf der Fliegerkarte zu ziehen, diesen Strich auszumessen – und ihn dann abzufliegen.

Der Strich dient als Kompass-Steuerkurs in 4500 ft Höhe, abgehoben über der Welt.

Die Maschine liegt ruhig in der Luft.

Große weiße Cumuluswolken hängen überall im blauen Himmel.

Dörfer und Städte mit roten Dächern sind am Boden verstreut.

Ich halte meinen Kurs: 270, Westkurs.

Dann entdecke ich unten einen hellen Streifen in der Landschaft.

Das war sie: die Grenze. Staatsgrenze der DDR.

In einigen Jahren wird man davon nichts mehr sehen.

Ich bin gerührt, über diesen Streifen zu fliegen, der ein Todesstreifen war.

Einfach darüber hinwegfliegen – so viele hatten sich das gewünscht.

Schnell entferne ich mich, Flugzeuge haben Speed – über 200 km/h.

Nun beginnt für mich Navigation.

Im Osten kannte ich alles, jeden Landstrich, im Westen nicht.

Kurs halten.

Blick in die Fliegerkarte auf dem Schoß.

Vergleichen, ob das Gelände da unten wirklich der Karte entspricht.

Ist das die in der Karte verzeichnete Stadt? Führt die Bahnlinie aus der Stadt heraus und umfließt sie der Fluss?

Der Motor brummt ruhig und zuverlässig.

Das da unten soll mein Land sein.

Ich kenne seine Städte nicht.

Ich fliege über das Land und ich freue mich, auch wenn es mir unbekannt ist, ich freue mich von ganzem Herzen.

Ich sehe Autobahnen und große Städte.

Ab und an Flugzeuge auf meiner Höhe und ganz oben im Himmelblau.

Ich stelle mir ein Funkfeuer ein und folge ihm.

Fünf Minuten noch bis zum Flugplatz.

Am Horizont dehnt sich die große weiße Weststadt.

Ich melde mich in Fliegerenglisch.

Ein Freund und Towerlotse hatte es mich gelehrt.

Ich beginne den Sinkflug, 500 ft pro Minute. In 5 min auf 2000 ft.

Fliegen ist wundervoll.

Von dieser Stadt im Westen hatte der Großvater erzählt.

Als Soldat der Wehrmacht war er dort stationiert.

Einmal hatte er Heimaturlaub bekommen. Urlaub in die Heimat.

Als er zurückmusste, gab es die Stadt nicht mehr – und auch seine Kompanie nicht.

Bomber hatten alles in Schutt und Asche gelegt.

Der Anflug ist einfach, wie ich gerade sehe, es gibt keine Hindernisse, keine Berge.

Die Stadt ist wiedererstanden und hell und riesengroß geworden.

Ich fliege nördlich an ihr vorbei.

Am Horizont sehe ich das Blinken des Airportlichts, Aerodrome Beacon.

Ein gerader Streifen zieht sich durch die Landschaft: die Landebahn, Piste oder Runway.

Vergaservorwärmung ziehen.

Speed reduzieren, erste Landeklappe raus.

Ich fliege möglichst exakt – so wie es mich mein Lehrer gelehrt hatte.

Der war Profi, 737-Pilot, mit viel Lametta auf den Schultern.

Es war für ihn wohl eine Degradierung, mit Fußgängern wie mir Flugausbildung zu machen.

Wohl auch deshalb war er oft genervt.

Aber ein Profi. Fliegen konnte man allemal bei ihm lernen.

Right Base, rechter Queranflug, zweite Klappe raus.

Rechts unten sehe ich die Bahn.

Dann drehe ich die Cessna in den Endanflug.

Gas zurück, dritte Landeklappenstufe, Höhenruder trimmen.

70 Knoten – »Und wenn ich 70 sage, meine ich 70, nicht 71 und nicht 69.«

So der Lehrer, der Profi.

»Und ich will eine Landung sehen, keinen Meteoriteneinschlag!«

»Fliegen heißt landen!«

»Die ersten 50 Landungen kannst du vergessen!«

»Die Landung ist eigentlich ein kontrollierter Absturz!«

So die Sprüche.

Landung ist auf jeden Fall immer ein Thema für Piloten.

Es herrscht Wind auf der Bahn. Also die Windrichtung ist direkt der Startbahnrichtung entgegengesetzt.

Das ist gut.

Der schwarze Asphaltstreifen kommt immer näher und wird zusehends größer.

Runter an die Bahn. Das Höhenruder ziehen. Die Maschine ruhig halten.

Ich setze butterweich auf den Westflugplatz auf und lasse den Flieger ausrollen.

Der Tower gibt Anweisungen zur Position und ich stelle die 172 inmitten von schnittigen Privatflugzeugen ab.

Funkgeräte aus, Gemisch arm, Zündung aus, Hauptschalter aus.

Angekommen.

Ein großer Schritt für mich, ein kleiner Schritt für die Menschheit.

Aber immerhin.

Ein Flugplatz im 60er-Jahre-Charme.

Ich hatte andere Flugplätze kennengelernt.

Bereit zur Verteidigung der Heimat.

Schliff – militärischer Schliff.

»Ihr werdet bald jeden Grashalm persönlich kennen!«

Vom Gefühl »über den Wolken wird die Freiheit wohl grenzenlos sein« keine Spur.

Laufbahnausbildung.

Ausbildung zum Fallschirmspringer mit Rundkappenschirmen.

Drillinstruktoren.

Warum haben wir das im jugendlichen Alter von 16 bis 18 Jahren eigentlich mitgemacht?

Weil wir springen wollten.

Und weil wir »harte Schweine« werden wollten.

Reservisten der Fallschirmtruppen führten den Schliff durch.

»Fallschirmspringer sind Diamanten, ihr seid rohe Diamanten, ihr braucht Schliff!«

Beim Nahkampftraining wurde ich enttäuscht.

Da sah ich Judotechnik und die beherrschte ich schon.

Kurze Zeit später wurde Judo durch Karate ersetzt.

Das schien wesentlich effektiver zu sein.

Ein Leitsatz der Karatephilosophie war: Du musst Hartes und Weiches miteinander verbinden!

Und schon war der Vorsatz vom «Hartes-Schwein-Werden« philosophisch widerlegt.

Aber das alles ist zum Glück Vergangenheit.

Ich gehe über den beschaulichen Westflugplatz und schaue mir die schnittigen Maschinen an.

Nette Typen arbeiten im Turm und bei der Luftaufsicht, freundlich und hilfsbereit.

Ein friedlicher und entspannter Flugplatz im Westen.

Ich muss an die Großmutter denken – die sagte oft: »Wenn du das sehen könntest, Junge!

Der Westen ist hell und alle sind freundlich, nichts ist wie hier, im grauen Osten.«

Und sie machte eine abwehrende Geste Richtung Osten, mit dem sie schon lange abgeschlossen hatte.

Nun sitze ich im Westen, bin froh und fühle mich gleichzeitig fremd.

Der Westen ist mir fremd.

Daheim bin ich im Osten.

Das wird wohl immer so bleiben.

Ich schaue mir die Piloten an, die zu den Flugzeugen gehören.

Die sind sehr unterschiedlich.

Einigen geht es wohl mehr um den Status.

Die meisten aber sind Flieger, richtige eben.

Flugzeuge begeisterten mich schon immer.

Selbst unser russisches Absetzflugzeug vom Typ Antonow AN 2 fand ich wunderschön.

Und der 12-Zylinder-Sternmotor hatte Power.

Fliegen, der Welt enthoben sein, sie hinter sich lassen und ihre Schönheit sehen, von oben.