Am Meer - Jens Münchberger - E-Book

Am Meer E-Book

Jens Münchberger

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Beschreibung

In der ersten Geschichte berichtet mir mein Großvater Henner, früher Kapitän eines Hochseeschleppers, wenige Tage nach seinem 90. Geburtstag über eine Begegnung mit dem weltbekannten Ernest Hemingway. Die fand auf der Insel Sylt statt, dort lebte mein Großvater mit seiner Frau... Einem jungen Mann beginnt aus zunächst nicht zu erklärenden Gründen die Lanugo zu wachsen. Am Beginn der zweiten Geschichte werden darum Blutproben entnommen. Deren Untersuchung führt zu kaum erwarteten Ergebnissen und Erkenntnissen über die Verschmutzung der Umwelt und der Meere mit dem Gift PCB, das auch in der Nahrungskette nachzuweisen ist...

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Die Handlungen und einige Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit der Realität sind zufällig. Manchmal beabsichtigt.

Der Verfasser

Ute gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Die Reise nach Sylt

Eine Veränderung

Die Reise nach Sylt

Mein Großvater verlebte seinen neunzigsten Geburtstag bei bester Gesundheit.

Am Morgen nach diesem Tag las er mir, ohne eine Brille zu benutzen, aus der Zeitung vor. Ich hatte zuvor Bedenken geäußert, dass er das noch konnte und er ließ es auf den Beweis ankommen.

Als mein Großvater die Zeitung zusammenfaltete und dann, eher zufällig, auf die Titelseite blickte, sagte er zu mir:

„Heute ist für mich ein besonderer Tag. Nicht allein die Tatsache, dass gestern mein neunzigster Geburtstag war, ist das, was diesen Tag auszeichnet. Nein, aus einem anderen Grund hat dieser Tag für mich Bedeutung.“

Mein Großvater, Schelm wie er war, tat sehr geheimnisvoll und wollte mich, ich wusste es, neugierig machen: Er wartete darauf, nach der für ihn anscheinend außerordentlichen Bedeutung dieses Tages gefragt zu werden. Und so kam es, wie es kommen musste, nach einigen Minuten wollte er von mir wissen:

„Interessiert es dich gar nicht, warum dieser Tag für mich…?“

„Doch, doch, das würde ich gern von dir erfahren. Aber ich möchte dich auch nicht bedrängen!“

„Also soll ich dir das sagen?“

„Ja, wenn du willst. Aber wenn nicht, dann wirst du dein Geheimnis für dich behalten und ich weiß ein bisschen weniger von dir und über dich und aus deinem Leben!“

„Da hast du Recht!“

Mein Großvater stand auf, ging an die mit hohen Fenstern verglaste Wand seines Zimmers. Kerzengerade und mit auf dem Rücken verschränkten Händen stand er und schaute lange über die Dünen auf die See. So, als suche er da draußen etwas, was sich versteckte und unerkannt bleiben wollte.

Dann blickte er zu mir, sah mich einige Augenblicke mit seinen wasserblauen Augen an und sagte:

„Was ich dir jetzt erzählen werde, ist nicht das Ergebnis jahrelangen Nachdenkens eines alten Mannes. Ich habe es wirklich erlebt. Und du musst mir versprechen, mich nicht zu verspotten und weiterhin zusagen, die Geschichte einer wunderbaren Begegnung, von der ich dir berichten werde, für dich zu behalten und sie erst nachdem ich da bin“, er zeigte mit dem Daumen auf die See, denn er wollte dort seine letzte Ruhe finden, „weiter zu geben.“

„Ja, Henner. Darauf kannst du dich absolut verlassen!“

Ich nannte meinen Großvater immer bei seinem Vornamen. Irgendwann, es mag zwanzig Jahre oder noch länger her sein, hatte er mir das angeboten.

Dann blickte er mich wiederum lange an, bis er schließlich sehr langsam sagte:

„Ich habe Ernest Hemingway gekannt!“

„Henner, du hast Ernest Hemingway gekannt?“

„Zugegeben, zu behaupten, ihn gekannt zu haben, ist nicht richtig. Ich bin ihm begegnet!“

„Und wo?“

„Hier, auf der Insel.“

„Hemingway war auf Sylt?“

„Ja!“

„Davon ist in den Biografien über ihn nichts erwähnt. Und Mary Welsh schreibt darüber ebenfalls keine Zeile!“

„Offenbar hat sie davon nichts gewusst. Hemingway hatte, möglicherweise, seine kleinen Geheimnisse.“

Mein Großvater Henner hatte im Alter von sechzehn Jahren, mit dem Zeugnis der Obersekunda, als Schiffsjunge auf einem Ostindien-Segler angeheuert. Seine Eltern waren wirtschaftlich nicht in der Lage, sich einen studierenden Sohn leisten zu können.

Er entschied sich für die Seefahrt und gegen den Wunsch seiner Eltern, die ihn gern im ‚Bankfach’, wie es damals hieß, gesehen hätten.

„Wenn ich schon kein Abitur ablegen durfte, dann wollte ich einen richtigen Beruf, einen Männerberuf, erlernen“, hatte er mir seine Entscheidung erklärt.

Nach einem Jahr Fahrt als Schiffsjunge war er Leichtmatrose und dann, nach weiterer Fahrtzeit, Vollmatrose. Auf den Segelschiffen erlernte er das notwendige Praktische für den Beruf des Seemanns und nebenbei alle Erdteile kennen.

Nach drei Jahren Fahrenszeit als Vollmatrose und der wiederholten Ankunft in Hamburg wurde er in das Kontor der Reederei bestellt.

„Junge, jetzt werde ich dich zur Steuermannsschule schicken. Das wirst du schaffen!“, sagte der dickleibige und unentwegt Zigarre paffende Reeder Hansen zu meinem Großvater.

„Herr Hansen, ich habe dafür kein Geld!“

„Ich habe gesagt, dass ich dich auf die Schule schicken werde! Und nun geh' ins Büro und lass dir die erforderlichen Papiere ausstellen!“

Mehr sagte Reeder Hansen nicht und ein viertel Jahr später saß mein Großvater auf der Schulbank und war, nach erfolgreich bestandener Prüfung dann der jüngste zweite Steuermann der Reederei Hansen aus Hamburg.

Die erste Reise als Seesteuermann auf Großer Fahrt führte ihn auf einem Vollschiff nach Chile. Nun bereits zum vierten Mal um das Kap Hoorn.

„Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, an dem ich nicht tot über einem Gartenzaun hängen möchte, dann ist das in dem nördlichsten Salpeterhafen Chiles, in Pisagua!“

„Warum nicht?“, wollte ich damals wissen, als er mir davon erzählte.

„In den meisten Städten der Welt ist es so, dass die Umgebung der Orte, die Felder und Wälder, die Stadt ernähren. In Pisagua ist es anders, die Stadt lebt von der sie umgebenden Wüste und liegt am Fuße eines etwa eintausend Meter hohen Felsmassives auf einer schmalen Schwelle. Durch die Stadt windet sich eine einzige ungepflasterte Straße und unentwegt ist die Luft von salpeterhaltigem Staub geschwängert. Wir haben sehr schnell begonnen, die jeweils zwei Zentner schweren Säcke mit Salpeter zu laden. Als zweiter Steuermann war ich verantwortlich für das ordnungsgemäße Beladen des Schiffes und musste dabei auch selbst mit arbeiten.“

Drei Jahre fuhr mein Großvater erst als zweiter, dann als erster Steuermann auf verschiedenen Schiffen der Reederei Hansen, in der damals begonnen wurde, neben den Segelschiffen auch motorgetriebene Frachtschiffe einzusetzen. Auf denen fuhr mein Großvater Henner ebenfalls.

Dann wurde er wieder in das Kontor der Reederei bestellt. Der alte Reeder Hansen hatte in der Zwischenzeit die Geschäfte seinem Sohn übergeben. Der hatte, nach einer kaufmännischen Lehre in der Reederei, vor einigen Jahren so, wie mein Großvater Henner, das Steuermannspatent erworben. Eigentlich wollte er danach die Schule besuchen, um Kapitän zu werden. Nachdem der alte Hansen einen Schlaganfall erlitten hatte, entschloss sich der junge Hansen, die Geschäftsführung der Reederei zu übernehmen.

„Mein Vater hat mir von Ihnen berichtet“, sagte der junge Reeder Hansen, als mein Großvater dessen Büro betreten hatte, „Sie sind ein tüchtiger Steuermann und bei den Leuten anerkannt. Solche Menschen wie Sie möchten wir in der Firma halten. Ich mache Ihnen einen Vorschlag!“

„Ja, bitte!“

„Ich gebe ihnen die Wochen bis zum Januar des nächsten Jahres frei. Während dieser Zeit bereiten Sie sich auf den Besuch der Schule vor, um die Prüfung zum Seeofizier ablegen zu können. Ich habe mich erkundigt, Ihre Fahrtzeiten als Steuermann werden als ausreichend eingeschätzt. Die Reederei wird die Kosten Ihrer Ausbildung übernehmen und Ihnen während dieser Zeit eine finanzielle Unterstützung zukommen lassen.“

„Und“, fragte mein Großvater, „was sind Ihre Bedingungen, Herr Hansen?“

„Sie werden nach der erfolgreichen Prüfung zehn Jahre für die Reederei Hansen fahren. Wenn Sie möchten, besiegeln wir das jetzt, wie unter Männern üblich, per Handschlag!“

Mein Großvater berichtete mir, dass er keinen Moment zögerte und die ihm gereichte Hand ergriff.

Am 15. Mai 1931 bestand mein Großvater Henner, damals 26 Jahre alt, die Prüfung an der Navigationsschule und erhielt das deutsche Patent zum Seeoffizier auf große Fahrt. Er war nun berechtigt, Schiffe jeder Bauart und Größe auf allen Weltmeeren zu führen.

So, wie abgemacht, heuerte er auf einem Motorschiff der Reederei Hansen an und fuhr, zunächst als Zweiter Offizier, nach zwei Jahren als Erster Offizier bis 1935.

Als er Anfang Dezember 1935 von einer Ostasienreise nach Hamburg zurückkehrte, hatte Reeder Hansen Deutschland verlassen und war ins Exil gegangen. Für meinen Großvater hatte er allerdings einen Brief geschrieben, der bei einem Freund hinterlegt war.

Die Existenz der Reederfamilie Hansen war durch das am 15. September 1935 auf dem Nürnberger Parteitag der Nazi-Partei beschlossene so genannte „Reichsbürger-Gesetz“ in unmittelbare Gefahr geraten. Es wurde per amtliche Aufforderung verlangt, den Abstammungsnachweis vorzulegen und damit zu begründen, dass die Familie deutschen oder artverwandten Blutes ist. Das konnte nicht gelingen, da die Großmutter väterlicherseits des jungen Reeder Hansen Jüdin gewesen ist. Also entschloss sich die Familie, Deutschland zu verlassen.

Daraufhin wurde die Reederei unter die Zwangsverwaltung des Staates gestellt.

Mein Großvater hat den jungen Hansen nie wieder gesehen. Nach dem Krieg, als er einige Erkundigungen einholte, wurde ihm berichtet, Hansens wären in Argentinien. Weitere Informationen hat mein Großvater Henner jedoch nicht bekommen.

Der junge Reeder Hansen teilte in dem Brief mit, dass er, sollte es sein Wunsch sein, bei der Bergungsreederei Paulsen als Kapitän anheuern kann, entsprechende Vorgespräche waren bereits geführt und man hätte Interesse daran, meinen Großvater als Kapitän auf einem Bergungsschiff einzustellen.

Großvater Henner hat diesen Brief aufbewahrt und mir für ihn bedeutsame Zeilen vorgelesen:

„…wird es sicher so sein, dass Sie als Kapitän auf einem deutschen Bergungsschiff die Zurückstellung vom Kriegsdienst, sollte es zu militärischen Konflikten kommen, was ich im Übrigen nicht bezweifle, ohne Schwierigkeiten erhalten werden… was ich Ihnen von Herzen wünsche...“