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Seit langer Zeit haben die Mornen auf ihrem Heimatplaneten Tiere und Pflanzen als unberechenbare Faktoren aus ihrem Dasein verbannt. Ein glatter Kunststoff überzieht die Landschaft, tiefe Schächte spenden Sauerstoff, und bizarre Kristallkaskaden ersetzen Bäume und Sträucher. Nur so - meinen die Mornen - wird vernunftbegabtem Leben die Möglichkeit einer optimalen Entwicklung gewährt, entsteht für alle ein Höchstmaß an Glück. Doch da bringen eines Tages Fernsonden die unglaubliche Kunde, dass am Rande der Galaxis bei einer überheißen Sonne ein blauschimmernder Planet existiert, auf dem hochentwickelte, intelligente Bewohner, aber auch riesige Pflanzenherden, eine artenreiche Fauna und unzählige Bakterien miteinander leben. Kommandant Faunian und seine Gefährten starten mit einem überlichtschnellen Gravitationsraumer, um zu beweisen, daß die Beobachtungen falsch sind, dass es unter intelligenten Wesen solche »Wilde« nicht geben kann...
Klaus Frühauf (* 12. Oktober 1933 in Halle (Saale); † 11. November 2005 in Rostock) war ein deutscher Schriftsteller und gilt als einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren der DDR; sein Roman Am Rande wohnen die Wilden erschien erstmals im Jahre 1978.
Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Roman als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe KOSMOLOGIEN - SCIENCE FICTION AUS DER DDR.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
KLAUS FRÜHAUF
Am Rande wohnen
die Wilden
KOSMOLOGIEN – SCIENCE FICTION AUS DER DDR, Band 15
Roman
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
AM RANDE WOHNEN DIE WILDEN
Erstes Kapitel: Morn
Zweites Kapitel: Der Boxer
Drittes Kapitel: Der Flug
Viertes Kapitel: Luna
Fünftes Kapitel: Die Wilden
Sechstes Kapitel: Das Ding
Siebtes Kapitel: Fremde auf der Erde
Achtes Kapitel: Menschen
Neuntes Kapitel: Bojan
Zehntes Kapitel: Der Kampf
Elftes Kapitel: Erde
Zwölftes Kapitel: Amazonas
Dreizehntes Kapitel: Entsetzen
Vierzehntes Kapitel: Synthese
Seit langer Zeit haben die Mornen auf ihrem Heimatplaneten Tiere und Pflanzen als unberechenbare Faktoren aus ihrem Dasein verbannt. Ein glatter Kunststoff überzieht die Landschaft, tiefe Schächte spenden Sauerstoff, und bizarre Kristallkaskaden ersetzen Bäume und Sträucher. Nur so - meinen die Mornen - wird vernunftbegabtem Leben die Möglichkeit einer optimalen Entwicklung gewährt, entsteht für alle ein Höchstmaß an Glück. Doch da bringen eines Tages Fernsonden die unglaubliche Kunde, dass am Rande der Galaxis bei einer überheißen Sonne ein blauschimmernder Planet existiert, auf dem hochentwickelte, intelligente Bewohner, aber auch riesige Pflanzenherden, eine artenreiche Fauna und unzählige Bakterien miteinander leben. Kommandant Faunian und seine Gefährten starten mit einem überlichtschnellen Gravitationsraumer, um zu beweisen, daß die Beobachtungen falsch sind, dass es unter intelligenten Wesen solche »Wilde« nicht geben kann ...
Klaus Frühauf (* 12. Oktober 1933 in Halle (Saale); † 11. November 2005 in Rostock) war ein deutscher Schriftsteller und gilt als einer der wichtigsten Science-Fiction-Autoren der DDR; sein Roman Am Rande wohnen die Wilden erschien erstmals im Jahre 1978.
Der Apex-Verlag veröffentlicht diesen Roman als durchgesehene Neuausgabe in der Reihe KOSMOLOGIEN - SCIENCE FICTION AUS DER DDR.
Dieser Hügel in der Nähe des großen Schachtes war einer seiner Lieblingsplätze. Er war oft hier, wenn er sich in der Abgeschiedenheit eines der wenigen unbebauten Orte seiner Heimat von der Betriebsamkeit der täglichen Arbeit erholen wollte. Und er hatte diese Entspannung nötig. Die nächsten Tage würden hektisch werden auf Morn drei. Sie feierten das Fest der zweiten Sonne.
Faunian streckte sich aus, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und schloss die Augen. Er fühlte die Wärme der Sonne auf der nackten Haut seines Gesichtes, die Warme der zweiten Sonne Morns, seiner Sonne.
Oft, wenn er hier lag, musste er an die Worte seines alten Lehrers denken, der Morn drei als einen der schönsten Planeten des Universums bezeichnete. Das war ein hohes Lob, wenn man bedachte, welch ungeheure Vielfalt das All hervorgebracht hatte. Aber Faunian war bereit, dem Alten rückhaltlos zuzustimmen. Auch ihn faszinierte die Majestät der sanften glatten Hügel, der weiten glänzenden Ebenen und die rationelle Symmetrie der Bauten seines Heimatplaneten. Und doch war nicht alles Gute beisammen! So drückte zum Beispiel der harte Boden schmerzhaft gegen seine Schulterblätter. Faunian richtete sich auf, stützte sich auf den Ellenbogen und blickte hinunter zum Schacht, aus dessen Trichter der lebensnotwendige Sauerstoff in die Atmosphäre strömte und der das verbrauchte Atemgas mit leisem Fauchen aus dem Lebenselement der Mornen ausfilterte.
Zwischen dem Hügel und dem vergitterten Schachtmund lag das glatte und schnurgerade Bett eines kleinen Baches. Die Wasser schossen schnell unter flach geschwungenen Brücken dahin und teilten sich unterhalb seines Ruheplatzes, zu gleichen Teilen die Sauerstoffanlage und ein kleines Kraftwerk versorgend.
Faunian schmunzelte, als ihm bewusst wurde, dass sie selbst diese vergleichsweise geringe Energiereserve nutzten, obwohl den Mornen seit nahezu ewigen Zeiten die unbegrenzten Energien aus atomaren Prozessen zur Verfügung standen. Und der Drang nach absoluter Rationalität war gut so, war schließlich eine der Haupttriebkräfte der Entwicklung auf Morn.
Faunian gab sich keine Mühe, darüber nachzudenken, ob man das Flüsschen, dieses Naturrelikt, das dem ewigen Kreislauf von Verdunstung und Kondensation entsprang, aus Gründen der Ehrfurcht oder der Rationalität bestehen ließ. Es war etwas anderes, das ihn hierherzog, das ihn zwang, sich aufzurichten und mit den Blicken den kleinen Wirbeln und unvorhersehbaren Bewegungen des Wassers zu folgen. Es beunruhigte ihn, dass ihn dieser unscheinbare, in einem wie poliert glänzenden Bett dahinschießende Bach vor immer neue gedankliche Probleme stellte, dass es scheinbar keine Gesetze gab, denen die kleinen Wellen und Wirbel gehorchten. Und manchmal verwirrte es ihn, wie er lange über das Wasser nachdenken konnte, ohne eigentlich zu Schlussfolgerungen zu gelangen.
Er seufzte leise und legte sich wieder zurück.
Noch ehe er Cositas leichten Schritt hörte, spürte er, dass sie den Hügel heraufkam. Da sie annahm, er sei eingeschlafen, gab sie sich keine Mühe, ihre Gedanken vor ihm zu verbergen. Sie blieb neben ihm stehen und betrachtete ihn, und er fühlte, dass sich Cosita Sorgen um ihn machte. Die letzten Tage mit den Vorbereitungen für das Fest der zweiten Sonne hatten ihm viel Arbeit und Aufregungen gebracht, die nicht spurlos an ihm vorübergegangen waren. Cositas Sorge tat ihm gut. Er spürte, wie sie beschloss, sich neben ihn zu legen und ihn nicht zu wecken. Faunian lächelte und bemühte sich, seine Gedanken im Zaum zu halten. Aus dem Schacht sang der Sauerstoff sein ewiges Lied.
Später, als die rosa Sonne nur noch wenig über dem Horizont stand, als sich der Himmel mit einem zarten Rot überzog, öffnete Faunian die Augen. Am Himmel erschienen die ersten Sterne. Vorerst noch vereinzelt, würden sie schnell mehr werden, das ganze Gewölbe überziehen, das Rot verdrängen und die Welt in einen warmen gelben Schimmer tauchen.
Faunian berührte Cositas Schulter und half ihr beim Aufstehen. Sie waren sich darüber einig, dass sie den Hügel hinab laufen würden, obwohl ihnen die Antigravgürtel einen großen Teil der Anstrengung abnehmen konnten. Das ungewohnte Laufen würde ihnen bestimmt guttun.
Als sie die niedrige Begrenzung am Schacht erreichten, atmeten beide schneller. Sie neigten sich über das Gitter und kühlten ihre erhitzten Stirnen an dem ausströmenden Sauerstoff. Faunian betrachtete Cosita von der Seite. Sie war schön. Der faltenlos anliegende Overall in der dunkelgelben Farbe der Nacht brachte ihre schlanke Gestalt zur Geltung. Die silbrige Haut wurde durch das Licht der Myriaden von Sternen von einem weichen gelben Schein überhaucht. Als sie den Kopf wandte, sah er, dass sie das feine Netz des Gedankenemitters trug, und erinnerte sich, das seine abgenommen zu haben, als er den Hügel erstieg.
Cosita lächelte nachsichtig, als sie sein Erschrecken bemerkte. »Als Ratsmitglied solltest du das Netz ständig tragen«, sagte sie und strich ihm über die Stirn. Er antwortete nicht, aber er legte das Netz auf seinen Schädel, dessen silbrige Farbe dadurch dunkler wirkte. Als er die kühlen Elektroden fühlte, atmete er auf. Tatsächlich war er als Mitglied des Rates von Morn verpflichtet, ständig erreichbar zu sein, und ohne Netz konnte nur in unmittelbarer Nähe eines Tentakels ein Spruch an ihn abgesetzt werden.
Sie schalteten die Gürtel ein und ließen sich hinüber zum Fluss treiben. Cosita hielt sich an Faunians Seite. Sie lächelte wieder, als er gerufen wurde. Er hatte das Netz rechtzeitig aufgelegt. Es war ein Ruf des Rates, den der diesen Landstrich versorgende Tentakel übertrug.
»Faunian zwölf!«, flüsterte es, und nochmals: »Faunian zwölf! Der Rat erbittet deine Teilnahme an der morgigen Sitzung.«
Es war nicht ungewöhnlich, dass der Tentakel nur den wichtigsten Teil der Gesamtinformation übertrug, denn Faunian hätte, wenn es ihm notwendig erschienen wäre, weitere Einzelheiten abrufen können. Er tat es nicht. Er würde ohnehin noch genügend Zeit dazu haben. Im Augenblick erschien ihm das Zusammensein mit Cosita wichtiger, als dass er es mit der Aufzeichnung von Informationen abkürzen wollte. Langsam glitten sie am Strom entlang.
Es war Cosita, die auf einen hässlichen blaugrünen Fleck wenig oberhalb des Wassers aufmerksam machte. Faunian zog die Schultern hoch. Da war es wieder, das Unbegreifliche, nicht Steuerbare, das Spontane. Eine kleine Pflanze an der Betonwand des Baches, eine Kolonie von Algen, ein Relikt der Vergangenheit, das sich seit Jahrhunderten allen Bestrebungen, es unter Kontrolle zu bekommen, erfolgreich widersetzte. Immer wieder, einmal hier, einmal da, tauchte eine Kolonie derartiger Pflanzen auf, und Faunian war sich klar, dass auch diese Herde ihre Sporen bereits wieder ausgesandt hatte, um irgendwo auf ihrem Planeten neue Zentren zu bilden, nachdem dieses eliminiert sein würde. Die Tatsache, dass Cosita die Pflanze vor ihm entdeckt hatte, obwohl sie auf derartige Relikte weit nachsichtiger zu reagieren pflegte, schrieb er dem Umstand zu, dass er noch mit dem Spruch des Rates beschäftigt war, als sie die infizierte Stelle passierten. Trotzdem verdross es ihn.
Er informierte den Rat und bat um Gegenmaßnahmen, und er war sicher, dass man sofort eine Gruppe aussenden würde, die die Ansiedlung zu vernichten hatte.
Es war dunkler geworden. Der Himmel hatte sich über und über mit einem Vorhang von leuchtenden Funken geschmückt. Der Planet, den sie bewohnten, war der dritte, der um die Sonne Morn kreiste, und diese Sonne befand sich in unmittelbarer Nähe des Zentrums der Galaxis. Die Himmel der Planeten in der Zentrallinse sind unbeschreiblich schön. Beide, Faunian und Cosita, hatten schon an mehreren Expeditionen in nahe gelegene Sonnensysteme teilgenommen, einen derart beeindruckenden Himmel wie den Morns hatten sie nirgends sonst gesehen.
Vor ihnen tauchte das geschlossene Areal des Wohnkomplexes auf. Hier stand der Zentralrechner, der die Meinungen und Wünsche, die Ansichten und Vorstellungen der Millionen Mornen analysierte, abstrahierte und schließlich den Extrakt dem Rat überspielte. Hier schließlich arbeitete auch der Rat selbst, und hier bereiteten sich die Kosmonauten Morns auf ihre Expedition vor.
Sie erreichten ihren Freizeitkomplex über den untersten Schwebetunnel und begaben sich sofort in die nächste Restaurantabteilung. Durch den Spaziergang waren sie hungrig geworden.
Das Restaurant war ein mäßig großer Saal, der durch Emissionsvorhänge in kleinere Abteilungen untergliedert war. So konnten sich die Besucher zwar sehen, ein Gedankenaustausch von Tisch zu Tisch war jedoch nur auf dem Umweg über einen Tentakel möglich. Faunian war gern hier, hier spürte er die Geborgenheit in der Gesellschaft, spürte, dass es die Gemeinschaft der Mornen war, die die Verantwortung für alle trug.
Er blickte sich um. In der Mitte des Saales stieg der Boden sanft an, ging in eine flache Schale über, die von einer Säule aus kopfgroßen Kristallen überragt wurde, die in vielen Farben schillerten. Wasser sprang in dünnen Fäden aus der Schale, brach sich an den Kristallen und fiel kraftlos zurück, zerfloss in Tausende von flimmernden Tropfen. Über allem wölbte sich eine fugenlose Kuppel aus klarem Plast, die ein gelbliches Licht verstrahlte.
Faunian stellte das Menü zusammen, und wie bei allem, was er tat, ging er dabei sehr exakt vor. Die Grundlage zur Auswahl bildete ein kleines Täfelchen, auf dem die Leistung, die der Körper seit der letzten Nahrungsaufnahme hatte vollbringen müssen, aufgezeichnet war. Erst in zweiter Linie ließ er sich von seinem Geschmack leiten. Ein Seitenblick belehrte ihn, dass Cosita, und er hätte sich gewundert, wenn es anders gewesen wäre, genau entgegengesetzt verfuhr. Sie ließ sich von ihrem Hunger leiten und richtete sich erst in zweiter Linie nach ihrem Leistungsschreiber. Ein wenig beneidete er ihre unkomplizierte Art, tröstete sich aber schnell damit, dass der Tentakel ausgezeichnete Speisen servierte.
Als sie nach dem Essen ihren Wohnkomplex erreichten, verabschiedete er sich von Cosita. Sie war einen Moment lang verwundert, weil sie sich vorgenommen hatten, den Abend gemeinsam zu verbringen, aber Faunian fühlte sich abgespannt, und außerdem hatte er am anderen Tag eine anstrengende Sitzung im Rat vor sich.
Doch zur Ruhe kam er auch jetzt noch nicht. Als er seine Schlafkabine betrat, schaltete sich der Visomat ein und überspielte eine aufgezeichnete Sendung. Es handelte sich um den Dank des Rates für den Hinweis auf die Algenkolonie und um eine Übertragung von deren Beseitigung. Faunian streckte sich auf der Liege aus und verfolgte die Bemühungen der ausgesandten Gruppe mit Interesse. Die fünf Biologen hatten die verseuchte Stelle durch einen Strahlenvorhang abgeschirmt und den etwa handtellergroßen hässlichen Fleck mit Hilfe von Hochfrequenzvibratoren von seiner Unterlage gelöst. In einem kleinen Behälter waren die Algen sorgfältig zerstrahlt worden. Die zutage tretende helle Betonfläche war mit einer schnell aushärtenden dünnen Schicht abgedeckt worden.
Faunian wüsste jedoch, dass es bereits zu spät war. Die ungeheure Vegetationskraft der Pflanzen hatte mit Sicherheit ihre Schuldigkeit getan.
Ihm kam der Gedanke, dem Rat vorzuschlagen, den mannigfachen Überwachungs- und Informationsaufgaben der Tentakel eine weitere hinzuzufügen. Dann würde der Tentakel die Umgebung überwachen und freilebende Pflanzenherden sofort und restlos vernichten. Er seufzte, wenn er an die Sitzung am nächsten Tag dachte, und ihm fiel ein, dass er versäumt hatte, sich eingehend über das zur Debatte stehende Problem zu informieren. Eine Zeitlang kämpfte er mit dem Gedanken, sich über den Tentakel alle Informationen überspielen zu lassen, aber schließlich entschloss er sich, den Anstrengungen des Tages nicht noch eine weitere hinzuzufügen. Er war müde.
Trotzdem dauerte es lange, ehe er den verdienten Schlaf fand. Er musste die Amplitude des Schlafemitters auf nahezu größte Intensität stellen lassen, bevor er einschlief.
So kam es, dass der Tentakel ihn am Morgen zweimal rufen musste, ehe er erwachte. Das war ungewöhnlich und alarmierend. Es schien ihm notwendig, sich einem Diagnoseautomaten zu stellen, der ihm Aufschluss über seinen psychischen Zustand geben konnte. Sicher schien, dass es sich um kein körperliches Unwohlsein handelte, denn in diesem Fall hätte der Tentakel bereits die erforderlichen Schritte eingeleitet.
Faunian kam müde und deprimiert zur Sitzung, und er war fast der letzte, der den großen Saal betrat. Cosita begrüßte ihn mit forschendem Gesichtsausdruck, aber er konnte ihre Gedanken nicht ermitteln. Nach kurzer Zeit war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. In der ersten Reihe erhob sich der alte Perkon. Er blickte über die Versammelten, strich sich des Emitternetz auf seiner faltigen Stirndecke glatt und hüstelte. Perkon sechs war einer der ältesten Wissenschaftler Morns, und es war mehr als einmal vorgekommen, dass er sich in krassen Widerspruch zu der Auffassung der jungen Generation stellte, zu der auch Faunian gehörte. Mit Sicherheit würde er versuchen, auf der heutigen Sitzung einen Seitenhieb gegen die Vernichtung der Algen zu führen. Perkon war Biologe, und zwar Biologe aus Leidenschaft. Seine Gedanken waren knapp und präzise, die kurze Zeit intensiver Sammlung war nicht umsonst gewesen, und der erwartete Seitenhieb folgte eher, als es Faunian vermutet hatte, der Alte kam sofort zur Sache.
»Zweifellos ist bereits allen Mitgliedern des Rates bekannt, dass es unserem jungen Freund Faunian gestern Abend gelungen ist, eine Herde freilebender Algen aufzuspüren, die ihn in eine derartige Unruhe versetzte, dass er unverzüglich ihre Vernichtung veranlasste«, begann er sarkastisch. Das war ein ziemlich kräftiger Angriff, zumal es Perkon bekannt war, dass niemand auf Morn etwas veranlassen konnte, das nicht im Interesse der Gesellschaft lag. Faunian war verwundert, fast schon unangenehm berührt; diese Kritik hatte er nicht verdient.
Perkon schien selbst zu bemerken, dass er etwas zu weit gegangen war, und hob die Hand in der Richtung, in der er Faunian sah. »Leider konnte ich meinen Vorschlag, die Algen in eines unserer Institute zu bringen, nicht durchsetzen, da der Zentralrechner seinen Entschluss bereits gefasst und eine Gruppe angesetzt hatte, die die Pflanzen vernichtete.« Er hüstelte wieder.
Es war wirklich verblüffend, welch eigenartige Ansichten der alte Perkon als Biologe hatte. Faunian war sicher, dass er, würde man ihn gewähren lassen, in allen möglichen Instituten Zentren von Naturrelikten schaffen würde, deren unvorhersehbare Reaktionen und spontane Verhaltensweisen erhebliche Gefahren heraufbeschwören konnten. Perkon neigte dazu, die in Jahrhunderten geschaffenen Grundsätze auf dem Planeten Morn drei zu ignorieren, und es hatte den Anschein, als würde ihn nichts so sehr erfreuen wie die Möglichkeit, das Rad der Evolution der Mornen zurückzudrehen.
Faunian fand, es war gut, dass eine Entscheidung in keinem Falle von einem einzelnen getroffen werden konnte. Dann zwang er sich, den Ausführungen des Alten, der in der Zwischenzeit zu seinem Hauptanliegen gekommen war, wieder zu folgen.
Perkon war der Leiter einer Gruppe von Biologen, die sich im Wesentlichen mit den Verhaltensweisen der zur Existenz von Primaten immer noch notwendigen Bakterien befassten. Diese Bakterien waren die einzigen Tiere, die auf Morn drei noch existierten, und Faunian meinte, dass es weit wichtiger sei, sich mit der Schaffung gleichwertiger abiotischer Stoffe zu befassen, die diese Bakterien ersetzen konnten, als damit, die Verhaltensweisen dieser spontan reagierenden Eiweißsysteme zu studieren.
Stattdessen erklärte Perkon den Ratsmitgliedern, dass es ihm und seiner Gruppe gelungen sei, ein neues Bakterium zu züchten, ein Bakterium, das bisher noch nicht bekannt gewesen sei. Er schlug, wie es seine Pflicht war, dem Rat vor, eine Entscheidung über das Verfahren der weiteren Arbeit mit diesem Bakterium zu treffen, und ließ, wie nicht anders zu erwarten, durchblicken, dass er gern einen Stamm dieser Tiere zur weiteren Beobachtung und Analyse in seinem Institut behalten hätte. Faunian meldete sich sofort zu Wort, und Perkons sarkastisches Lächeln zeigte, dass er mit nichts anderem gerechnet hätte.
»Ich muss annehmen, dass dieses Bakterium eine bestimmte Bedeutung für die Zivilisation der Mornen besitzt«, begann Faunian, »denn all unser Forschen ordnet sich dieser Tatsache unter. Aus diesem Blickwinkel meine Frage: Welchen Zwecken kann es dienen?«
Er spürte die beifälligen Gedanken eines großen Teils der Ratsmitglieder, musste aber erstaunt feststellen, dass es eine ganze Reihe von Mornen zu geben schien, die zumindest seinen provokativen Ton unangemessen fanden.
Perkon jedoch ging auf diesen Ton nicht ein. Er ließ sein bekanntes Hüsteln hören und antwortete sofort und ohne Umschweife. »Dieses Bakterium ist äußerst vielseitig. Je nach Population kann es die verschiedensten Reaktionen auslösen.«
Ehe Faunian eine erneute Frage stellen konnte, stieß einer der in seiner unmittelbaren Nähe sitzenden jungen Wissenschaftler nach: »Sind darunter Reaktionen, die sich auf anderem Wege nicht erreichen lassen?«
Wieder bedachte sich Perkon keinen Augenblick, aber seine Antwort war unerwartet heftig. »Selbstverständlich nicht. Nach dem Stand unserer Wissenschaft gibt es keine biologische Reaktion, die sich nicht auf anderem Wege erreichen ließe.«
»Also ist das Bakterium für die Mornen sinnlos?« Der junge Chemiker bohrte weiter. Faunian stellte erstaunt fest, dass Cositas Gedanken, mit denen sie den jungen Mann bedachte, alles andere als freundlich waren.
Perkon blickte nach wie vor ruhig über die Köpfe der Ratsmitglieder. »Ihr alle kennt meine Ansichten... es ist unwesentlich, ob diese Bakterien uns schaden oder nützen könnten, es kommt darauf an, ob wir das eine zulassen oder das andere erreichen. Gefahren auszuschalten sollte uns nicht schwerfallen; ob uns diese Bakterien jemals nützlich sein werden, wage ich beim derzeitigen Stand unserer Forschungen noch nicht zu sagen.« Er hob beschwörend die Hände. »Gerade um uns die Gelegenheit zu weiterer Erforschung dieses Bakteriums zu geben, sitzen wir schließlich hier beisammen und beraten«, fügte er leiser hinzu.
Faunian begann sich über die Starrköpfigkeit des Biologen zu ärgern, obwohl er anerkennen musste, dass Perkon, selbst wenn er bedrängt wurde, keinerlei Ausflüchte suchte, sondern sogar zugab, dass er noch keine klaren Vorstellungen über den Nutzen der von ihm geleisteten Forschungsarbeit habe. Es dauerte einige Augenblicke, ehe er sich entschlossen hatte, nicht nachzugeben. »Ich fordere eine Gesamtabstimmung!«, rief er in den Saal.
Perkon protestierte nur schwach. »Man stelle sich vor«, sagte er dann versöhnlich, »eine Gesamtabstimmung wegen eines Bakteriums. Dabei ist die Zeit, als wir diese Tiere mit jedem Atemzug einsogen, mit jedem Handgriff zu Tausenden berührten, noch gar nicht so lange her. In jedem Kubikzentimeter natürlichen Bodens lebten Unmengen dieser nach eurer Meinung so gefährlichen Bestien.«
Fast war Faunian geneigt, den Biologen mit seiner so unklugen Argumentation zu bedauern. Es konnte nicht ausbleiben, dass die Mornen, denen er mit wenigen Worten ein Bild des Schreckens gemalt hatte, sich gegen ihn entschieden.
Sämtliche Bewohner von Morn wurden über die Tentakel mit den Forschungsergebnissen Perkons und seinem Antrag in groben Zügen vertraut gemacht und nach ihrer Meinung zu dem Problem befragt. In wenigen Augenblicken hatten die Subrechner die Umfrage beendet und die jeweiligen Ergebnisse dem Zentralrechner mitgeteilt. Die Entscheidung war für Perkon niederschmetternd: Fast neunzig von hundert Mornen forderten die unverzügliche Vernichtung der Bakterienkultur.
Perkon setzte sich seufzend. Faunian hatte den Eindruck, dass der alte Mann wohl mit einer Abstimmungsniederlage gerechnet hatte, in dieser Eindeutigkeit allerdings sicher nicht.
Schließlich stand der alte Biologe nochmals auf und dankte dem Rat für die Behandlung seines Vorschlages. Dann schaltete er den Antigravgürtel ein und verließ den Saal, gehen konnte er wohl nicht mehr nach dieser Enttäuschung. Und erst jetzt tat er Faunian aufrichtig leid. Er hatte das Pech, auf einem Arbeitsgebiet tätig zu sein, dessen Grenzen sich in den letzten Jahrhunderten so verengt hatten, dass jetzt nur noch Rudimente davon existierten. Wer wollte es ihm verübeln, dass er sich an jede neue Erkenntnis klammerte, mit ihr zu experimentieren suchte, um zu beweisen, dass es sich um ein wichtiges, ja notwendiges Forschungsgebiet handelte. Vielleicht wollte er es auch nur sich selbst beweisen, mochte nicht zugeben, dass Biologen bald überflüssig sein würden auf Morn. Und für Fernflüge war Perkon schon viel zu alt.
An diesem Abend verabschiedete sich Faunian nicht von Cosita. Er konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass etwas Unausgesprochenes zwischen ihnen war. Sie schalteten das Antigravlager ein und streckten sich aus. Er versuchte sich den Anschein zu geben, als entspanne er sich völlig, als fühle er sich wohl und geborgen, aber er wusste, dass er Cosita nicht täuschen konnte. Vorsichtig lauschte er ihren Gedanken. Sie gab sich keine Mühe, sie zu verbergen, und er stellte fest, dass sie noch immer um den heutigen Beschluss des Rates kreisten. Cosita hatte gegen seinen, Faunians, Antrag gestimmt.
Lange Zeit schwiegen sie, dann blickte sie ihn aufmerksam an. Ich sehe nicht ein, sagten ihre Gedanken, weshalb das neu entdeckte Bakterium vernichtet werden musste. Es ist Leben, und zwar Leben, das uns keinen Schaden zufügen kann, wenn wir es nicht wollen. War die Abstimmung nötig, Faunian? War sie nötig, weil du gegen die Existenz dieser Bakterien bist oder weil du lediglich eine Bestätigung der Achtung brauchtest, die dir die Mornen entgegenbringen? Bist du ihr nicht mehr so sicher wie vor zwei Jahren, als du die zweite Sonne schufst?
Faunian fuhr auf. Er liebte zwar Cositas unkomplizierte Art, auch schwierigen Fragen nicht aus dem Wege zu gehen, aber manchmal war sie in der Lage, den Finger auf Stellen zu legen, die man besser nicht berührte. Er versuchte, sich zu verschließen, aber es gelang nicht ganz. Er hätte viel auf ihre Fragen sagen können, zum Beispiel, dass er nicht nach Anerkennung strebe, dass er es ehrlich meine mit der Gefahr, die das Bakterium heraufbeschwöre. Er hätte ihr auch sagen können, dass sie ihren Anteil an der zweiten Sonne nicht kleiner darstellen solle, als er wirklich war, aber er tat es nicht. Das alles hätte den Kern der Sache nicht getroffen.
»Algen sind auch Leben«, antwortete er verstimmt, »und wenn du der Meinung bist, dass es falsch ist, Leben zu vernichten, dann hättest du mich nicht auf die Algenherde aufmerksam machen dürfen. Schließlich konntest du dir meine Reaktion darauf ausrechnen.«
»Es wäre unaufrichtig von mir gewesen«, entgegnete sie lächelnd. »Ich konnte es dir nicht verschweigen.«
Er wusste, dass sie recht hatte. Es gab mehrere Punkte, in denen ihre Ansichten auseinandergingen.
»Diese Bakterien sind unberechenbar und deshalb gefährlich«, schloss er seine Gedankenkette ab.
»Ich weiß, dass dir alles zuwider ist, was sich nicht genau vorherbestimmen lässt, was nicht programmierbar oder berechenbar ist, aber du selbst hast noch irgendwo eine Ader, die auf natürliche Prozesse mit geheimer Freude reagiert, oder wie erklärst du dir, dass du gern in das Wasser starrst und versuchst, die Gesetzmäßigkeiten seiner spontanen Bewegungen herauszufinden?«
Er winkte ab. »Das ist etwas völlig anderes. Eigentlich wird dadurch das genaue Gegenteil bewiesen. Eben, weil ich mich nicht mit der Spontaneität fließenden Wassers abfinden kann, versuche ich die Gesetze seiner scheinbar unmotiviert auftretenden Verwirbelungen zu ergründen«, sagte er und fühlte doch zugleich, dass er nicht aufrichtig war. Natürlich war es dumm von ihm, anzunehmen, Cosita würde ihn nicht durchschauen. Er blickte sie von der Seite an, aber sie reagierte nur mit einem wissenden Lächeln, das jedoch seine rasch aufkeimenden Gewissensbisse keineswegs abschwächte.
Es verdross ihn, dass er wieder nicht einschlafen konnte. Er war durch die Unterhaltung erregt. Schließlich legte er seinen Arm um Cositas Nacken und zog ihren Kopf an seine Schulter. Sie schmiegte sich an ihn, und er registrierte erstaunt, dass sie anders war als sonst, weniger spröde. Auch ihren Streit hatte sie beendet, ohne das letzte Wort zu beanspruchen, obwohl es ihr in diesem Falle zweifellos zugestanden hätte. Im Unterbewusstsein nahm er wahr, dass sie die Amplitude des Schlafemitters erhöhte.
Als er am Morgen erwachte, fühlte er sich entspannt und ausgeruht. Trotzdem blieb er bei seinem Entschluss, sich dem Diagnoseautomaten zu stellen. Außer gelegentlichen Verletzungen gab es auf Morn keine körperlichen Gebrechen mehr. Seit Jahrhunderten traten weder Seuchen noch ansteckende Krankheiten auf, und auch die Verletzungen verliefen bei dem völligen Fehlen von Infektionsträgern fast immer harmlos. Stattdessen waren psychische Schädigungen häufig, und man konnte sie nicht ernst genug nehmen. Das komplizierte Zusammenleben einer großen Anzahl von Individuen brachte Probleme mit sich, die nur durch absolute Abstimmung mit den Interessen der Gesellschaft kompensiert werden konnten.
Sobald er die Augen öffnete, schaltete sich der Tentakel ein. Das Rufzeichen des Rates ertönte.
»Faunian zwölf... Faunian zwölf«, flüsterte die Stimme. »Information des Rates... Die ersten bis an den Rand unserer Galaxis vorgestoßenen Fernsonden erreichen heute den Rand unseres Sonnensystems. Mit ihrer Landung und dem Beginn der Auswertung der Aufzeichnungen ist ab morgen zu rechnen... Faunian zwölf...«
Er schaltete den Tentakel ab. Durch die Sendung des Rates war er auf ein neues Problem aufmerksam geworden. In wenigen Tagen sollte die Expedition starten, die die Aufgabe hatte, etwa die Hälfte des Weges bis zum Rande der Galaxis zurückzulegen und bestimmte Gesetze des Evolutionsabfalls zu untersuchen, die der Raumfahrer Kaltos entdeckt hatte oder doch zumindest glaubte, entdeckt zu haben. Er, Faunian, sollte der Leiter dieser Expedition sein. Unter diesem Aspekt betrachtet, lohnte es sich, seinen Entschluss, sich untersuchen zu lassen, erneut zu durchdenken. Was, wenn der Diagnosetentakel tatsächlich einen Defekt feststellte? War er dann nicht verpflichtet, die Leitung der Expedition niederzulegen? Sollte er Cosita allein mit den anderen Teilnehmern fliegen lassen? Würde sie überhaupt fliegen, wenn er auf Morn blieb? Wenn er es sich genau überlegte, hatte sie keinen Grund, auf die Expedition zu verzichten, nur weil er nicht daran teilnahm. Zwar hatten sie sich aneinandergebunden, aber das war durchaus kein Hinderungsgrund, sich für ein oder mehrere Jahre zu trennen.
Er war jedoch sich und den anderen Teilnehmern der Expedition gegenüber verpflichtet, sich über seinen Gesundheitszustand genau zu informieren.
Faunian verließ Cosita, ohne sie zu wecken, und suchte den Diagnoseautomaten des Wohnzentrums auf. Die Atmosphäre des kleinen, hell ausgeleuchteten Raumes, den er betrat, belustigte ihn. Durch das Fehlen jeden Mobiliars, des geringsten Anhaltspunktes für Augen und Hände des zu Untersuchenden versuchten die Psychologen die aufgetretenen Defekte zu steigern, von Zufälligkeiten zu befreien, um sie damit leichter erkennbar zu machen. Faunian wusste, dass er, in der Mitte des Raumes auf einem dunklen Kreis stehend, beobachtet wurde mit tausend Augen, dass der Tentakel seine Regungen und Gedanken registrierte und analysierte. Nach relativ kurzer Zeit erschien in einem bislang kaum erkennbaren Schlitz an der Stirnwand ein Täfelchen, das die Diagnose gab. Es war bezeichnend für Faunian, dass er jetzt, da er sich entschlossen hatte, Klarheit über seinen Zustand zu erfahren, keinen Augenblick zögerte. Er zog die Tafel heraus und begann zu lesen. Bereits nach den ersten Zeichen atmete er auf. Der Automat hatte außer einer unwesentlichen Abgespanntheit keinerlei Beunruhigendes feststellen können. Trotzdem empfahl er, in den nächsten Tagen möglichst jede Aufregung zu vermeiden.
Cosita machte erstaunte Augen, als er in einem Overall von hellblauer Farbe erschien, der ihn als einen Mann auswies, von dem jeder Verdruss und jede Aufregung fernzuhalten war.
Als er sich wieder neben sie legte, begann er sich besser zu fühlen, obwohl er nicht hätte sagen können, auf welche Weise er sich unwohl gefühlt hatte.
Und wieder fiel ihm auf, dass Cosita anders war als sonst. Sie schmiegte sich an ihn und blickte ihn lange an. Als er versuchte, in ihren Gedanken zu lesen, lächelte sie und verschloss sich.
Sie hatten nicht die Absicht, wieder einzuschlafen, sondern kamen überein, sich nochmals die Ergebnisse der letzten Expedition des Kaltos in Richtung Großer Abgrund überspielen zu lassen. Da sie bei ihrem Flug die Aufgabe hatten, das von Kaltos aufgestellte Gesetz zu bestätigen oder es ad absurdum zu führen, war es unumgänglich, dass sie sich über seine Theorien und deren Gründe umfassend informierten.
Faunian schaltete über seinen Emitter den Tentakel auf die Leseeinrichtung und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. In dieser, seiner Lieblingsstellung erreichte er die größte Aufnahmefähigkeit, und wie er Kaltos kannte, würde er die bei dem kommenden Bericht nötig haben.
Kaltos begann mit einer allgemeinen Einschätzung der vorteilhaften Lage der eventuellen Bewohner am Rande der Galaxis, vor allem der weit in den interstellaren Raum reichenden Spiralarme.
Faunian staunte, dass der Altkosmonaut offensichtlich seine Reisen motivieren wollte, obwohl es sich von selbst verstand, dass eine Zivilisation wie die der Mornen versuchen musste, ihre Fühler immer weiter in den Raum hinauszustrecken. Kaltos wies nach, dass die die Spiralarme bewohnenden Intelligenzen, vorausgesetzt, sie existierten, eine erheblich größere Chance hätten, eine der Nachbargalaxien zu erreichen. Er begründete seine Theorie mit der Tatsache, dass zwischen den Systemen kaum Materie vorhanden sei, die einen Sprung durch den vierdimensionalen Interkosmos behindere, während im Inneren einer Galaxis diese Materie einen derartigen Sprung unmöglich mache. Aus diesem Grunde seien die innergalaktischen Intelligenzen weiter auf die Verwendung ihrer Schwerkraftgleiter angewiesen, die sich innerhalb einer definierten Zeit fortbewegen müssten und deshalb keine beliebigen Entfernungen zurückzulegen in der Lage seien. Bis hierher stimmte Faunian mit den Untersuchungen des Kaltos bis auf geringe emotionale Abweichungen überein. Eine der Abweichungen war die Tatsache, dass Kaltos bereit schien, auch relativ primitives Leben als potentiell intelligent anzuerkennen, während Faunian diese Art der Einschätzung ablehnte.
Seine und des Kaltos Ansichten gingen jedoch im Folgenden viel weiter auseinander, als das bei den grundlegenden Erwägungen am Anfang der Fall war.
Kaltos berichtete, dass er bei seinen letzten Expeditionen, die weit über den Kern der Galaxis hinausgegangen waren, einen gesetzmäßigen Evolutionsabfall in Richtung Randzone festgestellt habe und dass die Spontaneität des Handelns, die Unausgewogenheit aller anderen Lebensäußerungen und die Abhängigkeit von der Ökologie mit dem Abstand vom Kern in gleichem Maße anwüchsen.
Kaltos machte hier einen Gedankensprung, den Faunian auf keinen Fall akzeptieren konnte. War der Evolutionsabfall bis in bereits erforschte Gebiete der Galaxis auch unverkennbar, so lagen sie doch immerhin noch so weit von den äußeren Armen entfernt, dass es zweifellos einer Spekulation gleichkam, wollte man daraus das allgemeingültige Gesetz aufstellen, dass sich dieser Abfall im gleichen Sinne fortsetzte.
Kaltos kam dadurch zu Schlussfolgerungen mit einem wahrhaft makabren Inhalt. Er vermutete an den Rändern Intelligenzen, die noch Reste natürlicher Ernährung kannten und auf einem Entwicklungsstand waren, der den Anfängen der Zivilisation auf Morn entsprach. Er behauptete, dass es möglich sei, den Entwicklungsweg der Mornen anhand der Intelligenzen mit größer werdendem Abstand vom Kern des Systems mühelos und augenscheinlich zu rekonstruieren.
Faunian seufzte. Es war erstaunlich und beunruhigend, zu welch eigenartigen Ansichten sich Forscher verstiegen, denen die Forschungsergebnisse den Blick für das Normale getrübt hatten. Bei einzelnen Passagen des Berichtes konnte er sich des Eindruckes nicht erwehren, dass sich der Entdecker so vieler Welten der Tragweite seiner Theorie überhaupt nicht bewusst war, sondern diesen Evolutionsabfall, oder sollte man das nicht besser als Evolutionsverfall bezeichnen, als durchaus normal zu empfinden schien.
Faunian schauderte bei dem Gedanken an Intelligenzen, die auf dem gleichen Wege wie die Mornen waren, jedoch das Tierstadium kaum überwunden hatten.
Plötzlich kam er sich allein und verlassen vor. Sollte es möglich sein, dass es zwar, wie man wusste, fremde Intelligenzen gab, dass sie jedoch erst auf einem Punkt des Evolutionsastes angekommen waren, der eine Kommunikation mit ihnen verbot? Sollte es sich bewahrheiten, was die Alten vermutet hatten, dass es im ganzen Kosmos nur eine Zivilisation gab, die diesen Namen verdiente, die der Mornen?
Faunian schloss die Augen. Das Rätsel fremder Intelligenzen verwirrte ihn. Bei seiner nächsten Expedition würde er Gelegenheit haben, die Theorie des Kaltos zu überprüfen. Nicht auszudenken, wenn sie sich bestätigen sollte, wenn sich der uralte Traum der Mornen, Brüder im Kosmos zu finden, als ewiger und unerfüllbarer Wunschtraum erweisen sollte.
Die nächste Gruppe von Raumfahrern würde wahrscheinlich unter seiner Leitung stehen, und sie würde sich genau so weit vom Zentrum der Galaxis entfernen, wie es damals die Gruppe um Kaltos getan hatte. Faunian war sich der Größe seiner Aufgabe bewusst, er würde sich hüten, sie zu unterschätzen, aber er war sich auch seiner selbst so sicher, dass er sich ihre Lösung zutraute.
Auf Morn drei feierte man das Fest der zweiten Sonne. Seit mehr als viertausend Jahren wurde das erlöschende Zentralgestirn durch eine aus atomaren Prozessen gespeiste Miniatursonne unterstützt, die mithilfe von über den ganzen Planeten verteilten Schwerkraftemittoren auf ihrer Bahn nahe dem Planeten gehalten wurde. Trotzdem hatte sich das Klima auf dem Planeten von Jahr zu Jahr verändert. Es war kühler geworden. Zwar ergaben sich daraus für die Bewohner der Planeten keinerlei Nachteile, da sie Zeit hatten, sich an die Veränderung zu gewöhnen, aber man hatte doch die Anregung eines jungen Praktikanten der Kosmologie aufgegriffen, der die Schaffung einer zweiten Sonne und ihre Justierung durch Schwerkraftwirbel vorgeschlagen hatte. Von diesem Zeitpunkt war Faunian, eben jener junge Kosmologe, der Leiter eines Kollektivs geworden, das die Aufgabe hatte, dieses gewaltige Projekt zu verwirklichen. Damals hatte er Cosita kennengelernt, die Physikerin, die die Steuerung der atomaren Prozesse der zweiten Sonne zu programmieren hatte.
Wenn er heute an seine Begeisterung dachte, mit der er die ersten Schritte zur Verwirklichung seines Projektes getan hatte, an die Zweifel, von denen er überfallen worden war, als ihre Arbeit Gestalt angenommen hatte, als er sich der Größe ihrer Aufgabe bewusst geworden war, musste er lächeln. Damals hatte sich Cosita als wahrer Freund erwiesen, hatte ihn aufgerichtet, wenn er zu verzagen drohte, hatte häufig Entscheidungen gefällt, die er sich nicht zu treffen gewagt hatte. Es war eine Zeit gewesen, in der sie sich nähergekommen waren, ohne dass aus ihrem Verhältnis mehr als Freundschaft würde. Erst später, als die neue Sonne längst ihre wärmenden Strahlen vom hellrosa Himmel sandte, als sie sich trennten, um an verschiedenen Projekten zu arbeiten, hatten sie festgestellt, dass es besser war, wenn sie für immer zusammenblieben. Sie hatten den Rat gebeten, ihnen in Zukunft gemeinsame Aufgaben zu übertragen, und der Rat hatte diesen Wunsch seiner beiden jüngsten Mitglieder nicht abgeschlagen.
Faunian ergriff Cositas Hand und lächelte ihr zu. Einen Augenblick lang sah er Erstaunen in ihren Augen, dann wandten sie sich dem nächstgelegenen Vertikaltunnel zu, der sie schnell an die Oberfläche des Wohnzentrums führte. Ihre Sonne stand im Zenit und leuchtete die weite Fläche nahezu schattenlos aus. Die häufig auch am Tag eingeschaltete künstliche Beleuchtung war durch eine Unzahl von Schalen ersetzt worden, deren sprudelndes Wasser den Kristallkaskaden ein eigenartiges Leben verlieh.
Sie blieben stehen, einander wie Kinder an den Händen haltend, und betrachteten das Schauspiel, das sich ihnen bot. Überall waren in leuchtende Overalls gekleidete Mornen, die sich mit den Antigravgürteln fast ausnahmslos in der dritten Dimension bewegten. Sie gingen durch Gruppen von Mornen, die sich angeregt und heiter unterhielten, begrüßten hin und wieder Freunde oder Bekannte und konnten sich nicht satt sehen an der schillernden Pracht der Kristallsäulen in den Schalen mit ihren sprudelnden Wasserfontänen.
Von allen Seiten wurden Faunian und Cosita begrüßt, und es war augenscheinlich, dass man den jungen Schöpfern der zweiten Sonne überall Hochachtung zollte. Man berührte ihre Schultern und Hände und ließ seinen Gedanken freien Lauf. Faunian schien, wie die anderen Mornen auch, seine Vorsicht gebietende blaue Kleidung vergessen zu haben und beteiligte sich rückhaltlos an dem allgemeinen fröhlichen Durcheinander. Er zog Cosita lachend in immer neue Kreise von Mornen aller Berufsgruppen.
Vor einem Automaten, der Speisen und Getränke ausgab, blieb er stehen. Einen Augenblick lang verspürte er den Drang, sich an seiner Leistungstabelle zu orientieren, aber dann unterdrückte er diese Regung und schob sich einige der bizarr geformten bunten Pasteten in den Mund. Die Leckerbissen zergingen auf der Zunge, sie sättigten dauerhaft und versorgten vor allem den Magen mit den notwendigen Füllstoffen.
Wenige Schritte weiter begegneten sie einem jungen Mann, der lange Zeit mit Faunian zusammen studiert hatte. Zwar mochten sie sich beide nicht übermäßig, aber die Höflichkeit gebot, dass man sich einige Worte lang unterhielt. Kiro, der ein gutes Stück kleiner als Faunian und Cosita war, begrüßte sie lärmend. Er stellte ihnen seine Gefährtin vor und machte keinen Hehl aus der Bewunderung, die er für die beiden jungen Wissenschaftler empfand. Den Namen des Mädchens verstand Faunian nicht. Er interessierte ihn auch nicht besonders. Es stellte sich heraus, dass Kiro und seine Gefährtin in einer unter der Oberfläche des Planeten liegenden automatischen Produktionshalle Dienst taten. Kiro pries lauthals die in ihrem Bereich hergestellten Lebensmittel, erklärte aber im gleichen Atemzug, dass er froh sei, in wenigen Tagen mit seiner Frau auf die Außenstation zur Ausrüstung der Serienflotte versetzt zu werden. Es geschehe auf ihren eigenen Wunsch, verkündete er mitteilsam.
Schließlich hielt es Faunian für angebracht, ihn auf seinen hellblauen Overall aufmerksam zu machen. Die verweisenden Blicke Cositas übersah er geflissentlich. Er stellte erfreut fest, dass Kiro einen Augenblick verstummte und sich dann verabschiedete. Kaum jedoch hatte er sich ein kleines Stück entfernt, als er wendete und schnell zurückkam. Faunian verzog das Gesicht, wurde aber, als er die geheimnisvolle Miene Kiros sah, aufmerksam.
»Ihr seid doch Mitglieder der nächsten Fernexpedition«, sagte Kiro und schlug sich lachend vor die Stirn. »Was heißt hier Mitglieder? Du bist doch der Leiter, soviel ich weiß.«
Faunian nickte. »Und was weiter?«, fragte er.
»Die Expeditionsmitglieder von Morn zwei sind angekommen«, erklärte Kiro und deutete auf einen Kreis von Mornen, in deren Mitte offensichtlich etwas geschah, das sie sich nicht entgehen lassen wollten.
»Sie nehmen auf ihre Weise am Fest der zweiten Sonne teil.« Nachdem Kiro seine Neuigkeit mitgeteilt hatte, entfernte er sich endgültig.
Faunian interessierten die Leute von Morn zwei, die, obwohl Mornen wie alle anderen auch, doch anders waren, als man es hier gewöhnt war. Sie wiesen bestimmte Eigenheiten auf, die man der größeren Nähe des Zentralgestirns zuschrieb. Ihr Planet bezog so viel Energie von der erkaltenden Sonne, dass er keiner künstlichen Wärmequelle bedurfte, und hätte jemand den Vorschlag gemacht, ihren Planeten damit auszurüsten, sie hätten ihn wahrscheinlich entrüstet abgelehnt. Ebenso weigerten sie sich hartnäckig, die Rudimente freilebender Flora, die auf Morn zwei noch existierten, zu beseitigen.
Als Faunian und Cosita näher traten, bot sich ihnen ein eigenartiges Schauspiel. Ein Mann, ein wenig größer als die Umstehenden, mit einem dunklen Overall bekleidet, hatte zur allgemeinen Verblüffung einen der Speiseautomaten ergriffen und ihn mit einer Hand scheinbar mühelos hochgehoben. Die an eine derartig heftige Behandlung nicht gewöhnte Maschine protestierte gegen diese Vergewaltigung, indem sie ihren Inhalt auf den Boden spuckte, wo die kleinen bunten Pasteten lustig durcheinanderpurzelten.
Obwohl Faunian die Kraft des Mannes einen Augenblick lang bewunderte, der Dunkle hatte mindestens das Gewicht eines fünfjährigen Kindes gehoben, so lehnte er eine derart unsinnige Handlungsweise unbedingt ab. »Das ist doch...«, protestierte er, brach aber sofort ab, als der andere sich umwandte und ihn anblickte.
Der Dunkle stellte den Automaten zu Boden und kam auf Faunian und Cosita zu. »Ich bin Bojan!«, sagte er mit ungewöhnlich tiefer Stimme, die zu seinem Äußeren passte, und musterte sie aufmerksam. »Und du bist Faunian!«, stellte er genauso kurz fest und berührte Faunian an der Schulter. Fragend blickte er auf Cosita, bis ein Lächeln über sein Gesicht ging und er auch ihre Schulter berührte. »Cosita!«, rief er.
Er blickte zurück zu seiner Gruppe und forderte sie über den Emitter auf, näher zu treten.
Es dauerte nur einige Augenblicke, und Cosita hatte unter den Leuten von Morn zwei eine Frau gefunden, die ihr besonders sympathisch war. Tekla war ebenfalls übernormal groß und dunkel gekleidet, wie Bojan auch. Ihr Gang war kräftig und ausgreifend, ohne dass er so bodenverhaftet wirkte wie der ihres Begleiters.
Abends trafen sie sich unter dem Kuppeldach des großen Saals. Die Emissionsvorhänge waren aus Anlass des Festes abgeschaltet worden. Eine enorme Gedankenvielfalt schwirrte durch den hohen Raum. Sie nahmen an einem der Tische Platz, unmittelbar dort, wo die Kuppel auf dem Boden auflag. Die zweite Sonne stand tief, ihre Strahlen trafen das klare Material des Daches senkrecht und wärmten erheblich. Automatisch trübte sich die Haut des Kuppeldaches, um die Strahlen von der empfindlichen Haut der Gesichter fernzuhalten, wurde aber sofort wieder durchsichtig. Faunian lächelte Cosita, die diesen schnellen Wechsel veranlasst hatte, zu. Auch er hatte einen ähnlichen Gedanken gehabt, hatte gewünscht, dass die Sonne, ihre Sonne, die Haut wärmen möge.
Nach kurzer Zeit stellten sie fest, dass sich Tekla und Bojan unbehaglich zu fühlen begannen. Die hellen, heißen Strahlen waren ihnen unangenehm. An keine hellstrahlende Sonne gewöhnt, störte sie die Übertemperatur, die bereits drei Prozent über dem Optimum lag, erheblich. Faunian kam jedoch nicht mehr dazu, die Trübung der Scheibe zu veranlassen, der Automat, der über ihr Wohlbefinden wachte, kam ihnen zuvor.
Sie bestellten ein leichtes Abendessen und schwiegen dann. Faunian fühlte sich verpflichtet, ein Gespräch in Gang zu bringen, aber Bojan hob die Hand. Sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, als lausche er.
Faunian blickte sich im Gemeinschaftsraum um. Der Saal war gut besetzt. Das kam nicht allzu oft vor, das Leben auf Morn kannte keine definierte Nachtruhe, und der Strom der Gäste verteilte sich über den ganzen Tag. Die Mornen gingen zur Ruhe, wenn es ihnen ihre Konstitution gebot, und sie gingen ihrer Arbeit nach, wenn sie sich dazu angeregt fühlten. Tag und Nacht war lediglich ein Wechsel zwischen dem Licht der Sonnen und dem Licht der Sterne, es war kein biologisches Problem.
Überall an den Tischen lagen oder saßen frohgestimmte Gruppen von Mornen und unterhielten sich. Faunian tat es Bojan nach und versuchte sich in die Gedankenvielfalt der Besucher hineinzuhören. Zu jeder anderen Zeit hätte der Gedankenwirrwarr seine Nerven arg strapaziert, aber heute war er in ausgezeichneter Stimmung, und er hatte den Eindruck, dass es nichts gab, das sie ihm nehmen konnte. Er gönnte sich den Genuss, ein wenig in den fremden Hirnen herumzuhorchen. Solange die Mornen, deren Gedanken er auffing, anonym blieben, sah er keinen Vertrauensbruch darin, und es war immer wieder interessant, fremde Meinungen und fremde Gedankenkonstruktionen mit den eigenen zu vergleichen.
Cosita beobachtete ihn eine Weile lächelnd, blickte dann auf Bojan und beteiligte sich an dem Spiel.
Neben dem Fest der zweiten Sonne stellte die bevorstehende Expedition auf den Spuren des alten Kaltos eines der Hauptgesprächsthemen dar. Die meisten schienen der Meinung zu sein, dass es interessant und nützlich sei, die Theorie des Kaltos zu überprüfen, es sei aber unwahrscheinlich, dass sich eine Kontinuität des Evolutionsabfalls zum Rande der Sternspirale hin nachweisen lasse. Man hielt die Theorie des Kaltos für bemerkenswert, aber man glaubte nicht an sie.
Innerlich rief Faunian einem älteren Mornen, der am Nebentisch diese Gedanken mit kräftiger Emission äußerte, ein Bravo! zu, und der andere winkte freundlich herüber, froh über den Beifall, den seine Meinung fand.
Es schien Faunian, dass Bojan, der ihm gegenübersaß, nicht so sehr seine Meinung teilte, wie es der Morne am Nebentisch tat. Bojan neigte weit mehr zu der Theorie des Kaltos, als es viele der anderen taten.
Nach und nach verstummten die Gespräche an den Tischen, die zweite Sonne versank langsam hinter dem Horizont, eine helle, leuchtende Linie auf die glatten Ebenen von Morn malend. Dann rauschte ein kräftiger Regen auf die Kuppel hernieder, spülte die Reste des Festes der zweiten Sonne durch die Kanäle in die Filter, reinigte die Oberfläche des Planeten in kürzerer Zeit, als die Mornen für ein gutes Essen benötigten.
Am anderen Morgen fuhren sie hinaus zum Raumhafen. Sie benutzten den Gravex, ein kleines, schnelles Verkehrsmittel für mittlere Strecken – und für Leute, die gewohnt waren, sich Zeit zu nehmen, und einer Kommunikation auf Reisen nicht abgeneigt waren.
Es gab kleine Kabinen für vier bis acht Reisende. Sie wurden von Gravitationsringen getragen und durch ein System evakuierter Röhren getrieben.
Der Schacht des Vertikaltunnels endete in einer flach gewölbten Halle, deren Decke von einer Säule in der Mitte der Station getragen wurde.
Bojan blickte sich aufmerksam nach allen Seiten um und musterte die Gesichter der Mornen, die die Halle bevölkerten, sie in den verschiedensten Richtungen durchquerten, teils schnell auf den Feldern ihrer Antigravgürtel, teils gemessenen Schrittes.
»Der Gravex scheint bei euch ein häufig benutztes Verkehrsmittel zu sein«, bemerkte er, sich an Cosita wendend.
Erst jetzt kam es Faunian wieder zum Bewusstsein, dass Tekla und er von Morn zwei stammten. »Du warst noch nicht oft hier auf Morn drei?«
Bojan wiegte nachdenklich den Kopf. »Seit mehreren Jahren habe ich eurer Heimat keinen Besuch mehr abgestattet«, sagte er schließlich. »Aber als Kind war ich mehrmals hier. Meine Mutter arbeitete in einem der Atmosphären-Regeneratoren. Sie hatte die Aufgabe, Erfahrungen zu sammeln, da zu diesem Zeitpunkt derartige Automaten bei uns gerade erst eingesetzt wurden, um die alten, weniger effektiven abzulösen.« Faunian begriff, dass es Bojan nicht leichtfiel zuzugeben, dass die Entwicklung auf dem dünner besiedelten Morn zwei hinter der ihres eigenen Heimatplaneten herhinkte. Er würde darauf achten müssen, dass er den in dieser Beziehung offensichtlich etwas empfindlichen Kollegen nicht mit irgendeiner Bemerkung verletzte. Auf Morn zwei gab es beispielsweise noch keinen Gravex. Der Verkehr auf dem Nachbarplaneten wurde in den meisten Fällen über autonome Fortbewegungsmittel abgewickelt, die hier als uneffektiv längst abgeschafft worden waren.
Zweifellos waren es auch die anderen Naturverhältnisse auf Morn zwei, die für die Entscheidung des Rates, eine Reihe von Bewohnern dieses Planeten in die Expeditionsmannschaft aufzunehmen, den Ausschlag gegeben hatten. Die Bewohner von Morn zwei konnten sich weit besser in natürliche Vorgänge vertiefen, als es bei Wissenschaftlern von Morn drei der Fall war. Faunian fiel in diesem Zusammenhang auf, dass Bojan seinen Antigravgürtel bisher lediglich zu den Bewegungen in den Vertikalschächten benutzt hatte, ansonsten bevorzugte er offensichtlich das Laufen. Er nahm sich vor, die Begleiterin Bojans zu beobachten, vielleicht konnte er bei ihr einen ähnlichen Gedanken wie bei Bojan feststellen.
Auf einen Gedankenimpuls reagierend, schob sich eine der Kabinen aus der Warteröhre und öffnete die seitliche Einstiegluke. Es war eine Viererkabine mit bequemen Liegesitzen.
Faunian programmierte das Fahrtziel mithilfe eines universellen Codeschlüssels, der den Fahrtsensoren aufgeprägt wurde. Die Kabine beschleunigte ruckfrei, die tragenden Antigravfelder schluckten die Beschleunigungskräfte nahezu vollständig. Er setzte sich neben Tekla und stellte fest, dass sie ihn selbst noch in fast liegender Stellung um eine halbe Haupteslänge überragte, obwohl auch er nicht gerade klein war. Noch größer war der Unterschied zwischen Bojan und Cosita.
Bei ihrer Ankunft im Raumflughafen stellten sie fest, dass sie durchaus nicht die einzigen waren, die hier den Gravex verließen. Offensichtlich hatte es sich herumgesprochen, dass der Raumer heute zum ersten Mal auf seinen eigenen Gravitationsfeldern aufschweben sollte, und es schien eine Menge Mornen zu geben, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Auf den Zugängen zum Hangar herrschte ein regelrechtes Gewimmel. Sie hatten Mühe, sich einen Weg zu bahnen, wobei ihnen die mächtige stumpf silbrige Kugel, die alle Gebäude in ihrer Nähe bei weitem überragte, die einzuschlagende Richtung anzeigte.
Die vielen Schaulustigen wurden lediglich von einer dünnen Kette, die einen Warncode ausstrahlte, in sicherer Entfernung vom Raumer gehalten, der bereits in mehr als Manneshöhe über dem Boden schwebte. Als die Besucher die Kosmonauten erkannten, öffnete sich ihnen eine Gasse, durch die sie den Hangar erreichen konnten.
Selbst Faunian war erstaunt über die Herzlichkeit, die ihnen entgegenschlug. Von allen Seiten versuchte man, ihre Hände, ihre Schultern zu berühren, und er beobachtete, wie Bojan einen Augenblick stutzte, sich dann aber auf der Welle der Begeisterung treiben ließ.
Als sie die Außenfläche der Raumkugel bereits wie eine riesige gewölbte Schale über sich hatten, begannen sie das Tragfeld zu spüren. Die geheimnisvolle Kraft, die die Expedition in den Kosmos hinausschleudern würde, hob sie sacht an und ließ sie an der Außenhaut emporsteigen. Hin und wieder überholten sie einen der kleinen Automaten, die die letzten Außenarbeiten verrichteten, und erreichten schließlich einen der in der Nähe des Zenites liegenden Einstiege. Faunian legte die flache Hand in die Nähe der kaum sichtbaren Naht und wartete, bis der Öffnungsmechanismus seinem Code gehorchte.
»Die Luke spricht ausschließlich auf den persönlichen Code der zur Expedition zählenden Kosmonauten an«, erklärte er und blickte auf Bojan. Er erwartete eine Frage nach dem Sinn dieser Sicherheitsmaßnahme, die das unbeabsichtigte oder unbefugte Eindringen fremden Lebens in den Raumer verhindern sollte, aber der schweigsame Riese schaltete seinen Gürtel ein und verschwand in einem der Verbindungsgänge, die das Schiff in allen Richtungen durchzogen. Der Gang hatte die Form einer Röhre, deren Wände weich gepolstert waren. Faunian betastete die Wandung und machte eine Bewegung des Unmutes.
»Immer noch keine Gaskissen«, murmelte er verstimmt. »Dabei hatten sie genügend Zeit, meinen Vorschlag einzuarbeiten.«
»Wozu, Faunian?« Es schien offensichtlich, dass Cosita seine Meinung nicht teilte. »Für die wenigen Augenblicke, in denen wir uns hier aufhalten? Das wäre übertrieben und unrationell.«
Aber Faunian gab nicht so leicht nach. »Wir haben einen derartigen Energieüberschuss, dass wir uns diese kleine Verschwendung durchaus leisten könnten. Immerhin wäre es ein technischer Fortschritt.«
»Im Grunde genommen treibt unsere Entwicklung zu nichts anderem als zu absoluter Rationalität«, erklärte Bojan. »Das ist ein Grundgesetz unserer Entwicklung überhaupt. Nutzen und Aufwand haben in einem vertretbaren Verhältnis zu stehen.« Er winkte ab. »Aber wozu ereifere ich mich? Du weißt das alles genauso gut wie ich.«
Faunian war erstaunt über die lange Rede, die Bojan gehalten hatte, mehr aber noch über die Zurechtweisung, die sie enthielt. Er versuchte sich nicht zu rechtfertigen, zumal er spürte, dass sich sein Gegenüber bereits wieder mit ganz anderen Gedanken befasste. Die Polsterung der Gänge schien er nicht für wichtig zu halten.
Sie durchschritten den Tunnel, blickten in die Kabinen, die während der Expedition ihre Heimat sein würden, und tauschten hin und wieder ihre Gedanken aus. Die Wohn- und Aufenthaltsräume waren nicht eben groß, nach Art der mornischen Lebensverhältnisse handelte es sich um Gemeinschaftsräume mit abgeschlossenen Schlafnischen. Die Einrichtung erschien ihnen optimal und bequem und ließ dem einzelnen, obwohl er ständig in der Gemeinschaft lebte, seinen eigenen Bereich.
Besondere Aufmerksamkeit widmeten sie dem Herz des Räumers, der Zentrale, einem kreisrunden Raum ohne jedes überflüssige Mobiliar. Sie enthielt lediglich einige Liege- und Sitzgelegenheiten. Hier sollte sich sozusagen der Geist vom Körper und seinen Einflüssen lösen, um sich ganz dem Gefühl für die Umgebung des Räumers widmen zu können. Eigentlich war die Zentrale ein gewaltiger Adapter, der die komplizierten Messinstrumente auf der Außenhaut mit den Sinnen des Steuernden verband, um sie den Verhältnissen des Kosmos anzupassen.
Faunian ließ sich in einen der Blasluftsessel des Schwerefeldadapters fallen und fühlte, wie sich die Elektroden an seine Kopfhaut legten. Er wartete geduldig, bis sich das Gefühl des leichten Druckes im Schädel verflüchtigt hatte, bis sein Körper sich in nichts aufzulösen schien. Er genoss das Einswerden mit der Technik, fühlte, wie sich seine Sinne in den Sensoren des Schiffes fortsetzten. Sein eigenes Ich war nicht mehr vorhanden und hatte sich doch vertausendfacht. Die Automatik hatte sich auf ihn eingestimmt, auf dem Bildschirm vor ihm erschienen die schnell steigenden Linien der Schwerkraftquanten, die den Raumer in der Schwebe hielten.
Zufrieden schaltete er das Gravicont aus. Er hakte sich bei Cosita ein und stellte erst jetzt fest, dass sie allein waren. Er zog sie hinaus in den Gang, blickte sich nach Tekla und Bojan um und ließ sich dann zusammen mit Cosita durch den Tunnel zum Zentrum der Raumkugel tragen, um noch einen Blick auf die Schwerkraftemittoren zu werfen. Lange standen sie vor den mehr als mannshohen Zylindern, die die Schwerkraftquanten der umgebenden Felder zu bremsen in der Lage waren und die Aufgabe hatten, das Schiff an sie anzuhängen, sich von ihnen hineinreißen zu lassen in den unendlichen Kosmos. Bojan und Tekla hatte er vergessen.
Als er den Maschinenraum verlassen wollte, bemerkte er, dass ihm Cosita nicht folgte. Sie lehnte an einem der Quantenzylinder und blickte ihn bewegungslos an. Eigentlich sah sie nicht ihn an, sondern einen imaginären Punkt, der weit hinter ihm lag, irgendwo in nebelhafter Ferne. Sie schaute gleichsam durch ihn hindurch. Er versuchte ihre Gedanken zu erhaschen und erstarrte.
»Wir werden ein Kind haben, Faunian!«, sagte sie.
Er fühlte einen Stich in der Brust, dort wo das Herz heftiger zu schlagen begann. Plötzlich war die Angst wieder da, die er zu vergessen gesucht hatte, seit er Cosita kannte. Er legte den Arm um ihre Schultern und mühte sich, sie seine Gedanken nicht spüren zu lassen, aber er war sicher, dass es ihm nicht gelang.
Vor diesem Augenblick, vor dieser Eröffnung hatte er sich gefürchtet von dem Moment an, da er wusste, dass sie ein Kind haben wollte, seit er sich darüber klargeworden war, dass nichts sie eines Besseren belehren konnte. Weder die in den letzten Generationen mitunter auftretenden Missbildungen bei Neugeborenen noch die bevorstehende Expedition. Jetzt war es soweit. Cosita war schwanger.
Einmal, vor langer Zeit, hatte er ihr vorgeschlagen, den einfachsten Weg zu gehen und auf ein Kind zu verzichten – er würde es nie wieder versuchen. Unumwunden hatte sie ihm erklärt, dass sie sich unter derartigen Umständen von ihm trennen würde. Sie denke nicht daran, auf das Glück, sich Mutter zu fühlen, verzichten zu wollen. Was aber, wenn ihr Kind ein Krüppel sein würde? Seit Jahren wurden auf Morn hin und wieder Kinder geboren, deren Gliedmaßen den Anforderungen des Lebens nicht gewachsen waren.
»Es wird kein Krüppel sein, Faunian. Es wird ein gesundes Kind werden, so gesund wie du und ich.«
Einen Moment lang hatte er die unsinnige Hoffnung, dass sie sich bereits Gewissheit über die genetischen Anlagen des beginnenden Lebens verschafft hatte, aber ihre Antwort beruhigte ihn nicht.
»Ich weiß es erst seit wenigen Tagen. Ich habe nicht mehr Gewissheit als du, aber ich hoffe, dass wir zu denen gehören, denen dieses harte Los erspart bleibt.«
Cosita verließ sich also auf die genetische Korrektur, auf jenen Zweig der Vererbungslehre, der in den vergangenen Jahrhunderten einen enormen Aufschwung erlebt hatte. Bereits wenige Tage nach der Befruchtung wurde das Ei aus dem Körper der Mutter entnommen, kontrolliert und im Bedarfsfalle genetisch korrigiert. Aber auch hier bestand keine hundertprozentige Erfolgsrate. Zudem gab es Leute, die behaupteten, dass die Rate der Missbildungen langsam, aber unaufhaltsam ansteige.
»Ich werde das Kind austragen!«, sagte Cosita und bemühte sich, ruhig zu erscheinen. Zuerst glaubte er, sich verhört zu haben, aber er brauchte sie nur anzusehen, um zu wissen, dass sie es ernst meinte. Es gelang ihm, sein Erschrecken zu verbergen, obwohl er ihren Gedanken absurd fand. Seit Jahren war ihm in seinem Bekanntenkreis kein Fall bekannt, in dem eine Frau ihr Kind ausgetragen hätte. Die Untersuchungen der genetischen Struktur des Eies erforderten einen Eingriff, und die vielleicht notwendig werdenden Korrekturen waren außerhalb des Mutterleibes weit weniger aufwendig. Hinzu kam, dass die Erfolgsaussichten höher lagen. Und nicht zuletzt schauderte ihm bei der Vorstellung, Cosita mit aufgetriebenem Leib herumlaufen zu sehen, eine Geburt erwartend, die sie auf eine Stufe mit den Tieren stellte, die Kaltos entdeckt hatte.
Faunian versuchte diesen verrückten Einfall, eine andere Bezeichnung vermochte er nicht zu finden, auf die Tatsache zurückzuführen, dass sie schwanger war, rief sich ins Bewusstsein, dass sie in den vergangenen Tagen anders reagiert hatte als sonst, dass sie anschmiegsamer war als vorher, aber er musste feststellen, dass er sie nicht umstimmen konnte.
»Und die Expedition?«, rief er schließlich und unterdrückte aufsteigenden Zorn. »Sollen wir auf die Reise verzichten, verzichten um einer Laune willen?«
Er spürte, dass sie nachdenklich wurde, dass sie dasselbe schon hundertmal nach allen Seiten durchdacht hatte und dass sie selbst unsicherer war, als sie tat.
»Man kann auch in einem Raumschiff ein Kind zur Welt bringen«, antwortete sie schließlich entschlossen. »Die Verhältnisse dort sind nicht anders als hier auf Morn.«
Faunian antwortete nicht mehr. Er hatte das Gefühl, ihr Zeit lassen zu müssen. Vielleicht kam sie selbst darauf, dass das, was sie sich vorgenommen hatte, unsinnig war. Waren es schon auf Morn nur noch wenige Frauen, die die Gefahren und Unannehmlichkeiten einer monatelangen Schwangerschaft auf sich nahmen und sich nicht auf die sicheren Hände und Geräte der Nursologen verließen, so war es an Bord des Räumers ein Unterfangen, dem ohnehin der Rat nie zugestimmt hätte. Würde Cosita weiterhin auf ihrem Standpunkt beharren, so durfte man als sicher annehmen, dass weder sie noch er selbst an der Expedition teilnehmen würden. Er führte sie vorsichtig aus dem Maschinenraum wie eine Kranke, die der Schonung bedurfte, und er fühlte, dass ihr seine Fürsorge guttat.
Als sie das Raumschiff verließen, fing Faunian einen Spruch auf, der ihm mitteilte, dass die Landung der ersten Fernsonden unmittelbar bevorstehe. Aus dem Anmeldungscode, der ausgestrahlt wurde, gehe eindeutig hervor, dass eine der Sonden in einem der äußeren Spiralarme der Galaxis in der Nähe einer überheißen Sonne intelligentes Leben entdeckt habe, das bereits zu schwärmen beginne. Faunian hätte sich in Hochstimmung gefühlt, wäre nicht die Kontroverse mit Cosita gewesen. Hier endlich hatte er einen Beweis dafür, dass die Theorie des Kaltos nicht stimmen konnte. Intelligentes Leben weit draußen am Rande der Sternspirale und vor allem Leben, das sich bereits anschickte zu schwärmen. Diese Tatsache allein deutete auf einen Evolutionsstand, der im erforschten Teil der Galaxis nirgends angetroffen worden war. Es war in der Tat lächerlich, sich Wilde vorzustellen, die die Raumfahrt beherrschten.
Draußen, in der Nähe der Sperrkette, trafen sie Finetta und Lekon, zwei gute Freunde, die ebenfalls zur Besatzung der Raumkugel gehören würden. Lekon war ein wenig kleiner als Faunian, von gleichem zierlichem Gliederbau und immer zu Scherzen aufgelegt. Faunian mochte den temperamentvollen Freund gut leiden, konnte sich allerdings mit der stets etwas unentschlossenen Finetta nicht ganz abfinden. Er hielt sie für oberflächlich, leicht zu beeinflussen und war überzeugt davon, dass sie immer jemanden brauche, der ihr zur Seite stand. Er gab sich alle Mühe, die beiden seine Gedanken nicht fühlen zu lassen, denn eine ähnliche Äußerung hatte vor einiger Zeit zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen ihnen geführt. Vielleicht spielte bei Faunians Einschätzung aber auch die Tatsache eine Rolle, dass Finetta als Biologin an der Expedition teilnehmen sollte, und von Biologen hielt er eben nicht besonders viel.
Obwohl die beiden die Absicht gehabt hatten, ebenfalls dem Raumschiff einen Besuch abzustatten, entschlossen sie sich, ihn auf später zu verschieben und Faunian und Cosita zu begleiten. Auch sie hatten den Rundspruch des Rates an alle seine Mitglieder und die Teilnehmer der Expedition gehört, und es verstand sich von selbst, dass die Mitteilung das Hauptgesprächsthema bildete. Im Zweifel waren sie alle vier über die Gründe, die den Rat bewogen hatten, nicht nur seinen Mitgliedern, sondern auch den Kosmonauten die Information zukommen zu lassen, da der von den Fernsonden untersuchte Bereich weit außerhalb des Sektors lag, in den sie vorstoßen sollten. Allerdings machte sich Faunian hier seine eigenen Gedanken. Er hielt es für durchaus möglich, dass der Rat aufgrund der neuen Erkenntnisse das Reiseziel kurzfristig änderte.
Sie bummelten durch den langen Tunnel des Wohnzentrums, und das bunte Leben Morns schlug ihnen in brandenden Wellen entgegen. An allen Knotenpunkten reckten die Tentakel ihre flachen Köpfe über die Massen, bereit, auf jeden Anruf zu reagieren, jede Lebensfunktion der Mornen in ihrer Nähe mit den Sensoren zu überwachen.
Faunian beobachtete Cosita, die schweigsam neben der munter plaudernden Finetta ging, ab und an zu ihm herübersah und im Übrigen von dem ganzen Trubel um sie herum nicht die geringste Notiz zu nehmen schien. Finetta ging gerade die Palette der Gegenstände durch, die sie vor Antritt der Expedition noch zu beschaffen hatte, und dabei kam eine derart umfangreiche Liste zustande, dass Faunian scherzend auf den begrenzten Laderaum ihres Schiffes hinwies. Finetta aber winkte ab.
»Wir werden mindestens den halben Radius unserer Galaxis hinter uns bringen«, erklärte sie. »Und schließlich müssen wir auch den Wilden einige Geschenke mitnehmen.«
Faunian verzog das Gesicht. »Wir wollen hoffen, dass es nicht gar so schlimm wird. Ich glaube nicht an die objektive Wirkung des Gesetzes des Kaltos.«
Auf seine Gedanken, die er sich nach dem Spruch des Rates, der sie von der Entdeckung der Fernsonden unterrichtete, gemacht hatte, ging er nicht ein.
»Ein wenig mehr Humor in manchen Dingen könnte dir nicht schaden«, bemerkte Lekon. Dann aber ließ er sich zu Gedankensprüngen hinreißen, derer nur er fähig war.
»Stellt euch vor«, er lachte, »behaarte Wilde, mit vom Wetter gegerbter brauner Haut – und mit solchen Muskeln...« An seinem schmalen Oberarm zeigte er einen Bizeps von unwahrscheinlichem Umfang.
»...und dann am Steuer einer modernen Raumkugel, mit der sie zwischen himmelhohen Pflanzen hindurchrasen«, beendete Faunian den Satz sarkastisch. »Du solltest nicht so maßlos übertreiben, Lekon. Du weißt, dass ich nichts von der Theorie des Kaltos halte, und ich hoffe, dass die Untersuchungen der Sonden meine Einschätzung bestätigen werden.«
»Nichts bestätigen sie!«, ereiferte sich Lekon. »Noch wissen wir nicht, wie sie aussehen werden, diese Randbewohner, die die Raumfahrt eben erst erlernen. Aber sie werden uns nicht gleichen, Faunian, das bin ich bereit zu garantieren.«