Amoris Laetitia - Freude der Liebe - Franziskus (Papst) - E-Book

Amoris Laetitia - Freude der Liebe E-Book

Franziskus (Papst)

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Beschreibung

Frei sollten die Teilnehmer der Bischofssynode diskutieren. Dazu wurden sogar im Vorfeld die Gläubigen in aller Welt in Form von Fragebögen angehört. Die Summe der Antworten, das heißt die Ergebnisse der Fragebögen und der Schlusstext der Synodenteilnehmer, wurden dem Papst übergeben. In diesem Band stellt Franziskus nun sein Fazit vor und weist der Kirche die Richtung unter dem Zeichen der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und der Zärtlichkeit.

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PAPST FRANZISKUS

AMORIS LAETITIA –FREUDE DER LIEBE

NACHSYNODALES APOSTOLISCHES SCHREIBEN AMORIS LÆTITIA ÜBER DIE LIEBE IN DER FAMILIE

IMPRESSUM

Originaltitel des Apostolischen Schreibens:

Amoris laetitia: Esortazione Apostolica Postsinodale sull'amore nella famiglia.

© Libreria Editrice Vaticana 2016

Für diese Ausgabe:

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2016

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Foto L‘Osservatore Romano

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

ISBN (E-Book) 978-3-451-80855-5

ISBN (Buch) 978-3-451-31137-6

INHALT

Würdigung durch die Synodenteilnehmer Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Heiner Koch und Bischof Franz-Josef Bode

Präsentation durch Kardinal Christoph Schönborn

Die Freude der Liebe [1–7]

ERSTES KAPITEL IM LICHT DES WORTES [8]

Du und Deine Frau [9–13]

Deine Kinder wie junge Ölbäume [14–18]

Ein blutbefleckter Weg des Leidens [19–22]

Deiner Hände Arbeit [23–26]

Die Zärtlichkeit der Umarmung [27–30]

ZWEITES KAPITEL DIE WIRKLICHKEIT UND DIE HERAUSFORDERUNGEN DER FAMILIE [31]

Die heutige Situation der Familie [32–49]

Einige Herausforderungen [50–57]

DRITTES KAPITEL AUF JESUS SCHAUEN – DIE BERUFUNG DER FAMILIE [58–60]

Jesus stellt den göttlichen Plan wieder her und führt ihn zu seiner Vollendung [61–66]

Die Familie in den Dokumenten der Kirche [67–70]

Das Sakrament der Ehe [71–75]

Saatwörter des Wortes und unvollkommene Situationen [76–79]

Die Weitergabe des Lebens und die Erziehung der Kinder [80–85]

Die Familie und die Kirche [86–88]

VIERTES KAPITEL DIE LIEBE IN DER EHE [89]

Unsere tägliche Liebe [90]

Langmut [91–92]

Haltung dienstbereiter Güte [93–94]

Eifersucht und Neid heilen [95–96]

Ohne zu prahlen und sich aufzublähen [97–98]

Liebenswürdige Freundlichkeit [99–100]

Freigebige Loslösung [101–102]

Ohne gewalttätige Gesinnung [103–104]

Vergebung [105–108]

Sich mit den anderen freuen [109–110]

Sie erträgt und entschuldigt alles [111–113]

Sie glaubt alles [114–115]

Sie hofft alles [116–117]

Sie hält allem stand [118–119]

Wachsen in der vollkommenen ehelichen Liebe (Caritas) [120–122]

Das ganze Leben lang alles gemeinsam [123–125]

Freude und Schönheit [126–130]

Aus Liebe heiraten [131–132]

Liebe, die sich kundtut und wächst [133–135]

Der Dialog [136–141]

Die leidenschaftliche Liebe [142]

Die Welt der Emotionen [143–146]

Gott liebt das frohe Genießen seiner Kinder [147–149]

Die erotische Dimension der Liebe [150–152]

Gewalt und Manipulation [153–157]

Ehe und Jungfräulichkeit [158–162]

Die Verwandlung der Liebe [163–164]

FÜNFTES KAPITEL DIE LIEBE, DIE FRUCHTBAR WIRD [165]

Ein neues Leben Annehmen [166–167]

Die Liebe in der besonderen Erwartung der Schwangerschaft [168–171]

Mutter- und Vaterliebe [172–177]

Erweiterte Fruchtbarkeit [178–184]

Den Leib erkennen [185–186]

Das Leben in der großen Familie [187]

Söhne und Töchter sein [188–190]

Die alten Menschen [191–193]

Geschwister sein [194–195]

Ein weites Herz [196–198]

SECHSTES KAPITEL EINIGE PASTORALE PERSPEKTIVEN [199]

Heute das Evangelium der Familie verkünden [200–204]

Auf dem Weg der Ehevorbereitung zum Eheversprechen führen [205–211]

Die Vorbereitung der Feier [212–216]

Die Begleitung in den ersten Jahren des Ehelebens [217–222]

Einige Hilfsmittel [223–230]

Licht in Krisen, Ängsten und Schwierigkeiten tragen [231]

Die Herausforderung der Krisen [232–238]

Alte Wunden [239–240]

Begleiten nach Brüchen und Scheidungen [241–246]

Einige komplexe Situationen [247–252]

Wenn der Stachel des Todes eindringt [253–258]

SIEBTES KAPITEL DIE ERZIEHUNG DER KINDER STÄRKEN [259]

Wo sind die Kinder? [260–262]

Die ethische Erziehung der Kinder [263–267]

Der Wert der Strafe als Ansporn [268–270]

Geduldiger Realismus [271–273]

Das Familienleben als erzieherisches Umfeld [274–279]

Ja zur Sexualerziehung [280–286]

Den Glauben weitergeben [287–290]

ACHTES KAPITEL DIE ZERBRECHLICHKEIT BEGLEITEN, UNTERSCHEIDEN UND EINGLIEDERN [291–292]

Die Gradualität in der Seelsorge [293–295]

Die Unterscheidung der sogenannten »irregulären« Situation [296–300]

Die mildernden Umstände in der pastoralen Unterscheidung [301–303]

Die Normen und die Unterscheidung [304–306]

Die Logik der pastoralen Barmherzigkeit [307–312]

NEUNTES KAPITEL SPIRITUALITÄT IN EHE UND FAMILIE [313]

Spiritualität der übernatürlichen Gemeinschaft [314–316]

Vereint im Gebet im Licht des Ostergeheimnisses [317–318]

Spiritualität der Ausschließlichen, aber nicht besitzergreifenden Liebe [319–320]

Spiritualität der Fürsorge, des Trostes und des Ansporns [321–325]

Gebet zur Heiligen Familie

ANHANG

Anmerkungen

Stichwortverzeichnis

Autoren

Papstliteratur

WÜRDIGUNG*DES NACHSYNODALEN SCHREIBENS »AMORIS LAETITIA – ÜBER DIE LIEBE IN DER FAMILIE«

der deutschen Synodenteilnehmer 2015, Kardinal Reinhard Marx, Erzbischof Dr. Heiner Koch und Bischof Dr. Franz-Josef Bode, anlässlich der Veröffentlichung am 8. April 2016

* Pressetext der Deutschen Bischofskonferenz vom 8. April 2016.

Papst Franziskus hat nun das Ihnen vorliegende Nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie veröffentlicht. Es ist ein wirkliches Geschenk für die Eheleute, die Familien und alle Gläubigen in der Kirche. Wir freuen uns sehr darüber.

Der Text bündelt einen gesamtkirchlichen Reflexionsprozess zu Ehe und Familie, der mit der Einberufung einer Außerordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Herbst 2014 begonnen hatte. Diese Versammlung, der erstmals eine Befragung der Katholiken weltweit vorangegangen war, diente der Vorbereitung einer Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, ein Jahr später, im Herbst 2015. Nochmals wurden hierzu die Gläubigen um ihre Stellungnahmen gebeten, die in die Vorbereitung einer lebhaften Diskussion der Synodenväter einflossen. Papst Franziskus war während dieses gesamten Diskursprozesses in erster Linie ein „hörender Papst“, ließ jedoch von Beginn an keinen Zweifel daran, dass es seinem Dienst an der Einheit der Kirche entsprechen werde, die vielen Stimmen schließlich zusammen- und weiterzuführen. Mit seinem Nachsynodalen Schreiben Amoris Laetitia hat er nun die Erträge des synodalen Weges gesammelt, die Aspekte abgewogen und weiterentwickelt. Er hat sie in das Gesamt der Lehre der Kirche eingefügt und zugleich den Gläubigen in gut verständlicher Weise zugänglich gemacht. Der dabei entstandene Text ist in erster Linie eine herzliche, gleichermaßen tiefgehende wie lebenspraktische Einladung zur Lebensform von Ehe und Familie, die ihre Inspiration aus den Quellen des christlichen Glaubens erfährt.

Der Text beginnt, nach einigen wegweisenden Vorbemerkungen, mit Ausführungen zu den biblischen, alt- wie neutestamentlichen Grundlagen (1. Kapitel: „Im Licht des Wortes“). Es folgen zentrale Aspekte zur gegenwärtigen Situation von Ehe und Familie (2. Kapitel: „Die Wirklichkeit und die Herausforderungen der Familie“) sowie Ausführungen zur Theologie von Ehe und Familie (3. Kapitel „Auf Jesus schauen – Die Berufung der Familie“). Gewissermaßen das Herzstück des gesamten Textes stellen die beiden folgenden Kapitel dar, die in einer Auslegung des „Hohenliedes der Liebe“ des Apostels Paulus (1 Kor 13,4–7) spirituell-katechetische Aspekte für das Leben in der Ehe (4. Kapitel: „Die Liebe in der Ehe“) und in der Familie (5. Kapitel: „Die Liebe, die fruchtbar wird“) darlegen. Dem folgen Hinweise für die Seelsorge der Kirche (6. Kapitel: „Einige pastorale Perspektiven“) und Ausführungen zur Erziehung in der Familie (7. Kapitel: „Die Erziehung der Kinder stärken“). In einem eigenen Kapitel geht Papst Franziskus auf den Umgang der Kirche mit den Ehen und Familien ein, die nicht oder nur zum Teil mit der kirchlichen Lehre übereinstimmen (8. Kapitel: „Die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern“), bevor er noch einmal explizit die spirituelle Dimension des Lebens in Ehe und Familie thematisiert (9. Kapitel: „Spiritualität in Ehe und Familie“). Das Schreiben endet mit einem Gebet zur Heiligen Familie.

Insgesamt geht es Papst Franziskus spürbar darum, in positiver und ermutigender Weise Wertoptionen, Möglichkeiten und Perspektiven für das Leben in Ehe und Familie zu eröffnen. »Als Christen dürfen wir nicht darauf verzichten, uns zugunsten der Ehe zu äußern«, so der Papst. »Wir würden der Welt Werte vorenthalten, die wir beisteuern können und müssen. […] Uns kommt ein verantwortungsvollerer und großherzigerer Einsatz zu, der darin besteht, die Gründe und die Motivationen aufzuzeigen, sich für die Ehe und die Familie zu entscheiden, so dass die Menschen eher bereit sind, auf die Gnade zu antworten, die Gott ihnen anbietet.« (Nr. 35) Dabei verliert der Papst keineswegs einen realistischen Blick auf die Lebenswirklichkeiten und erliegt nicht der Gefahr, die Ehe zu überhöhen. »Man sollte nicht«, sagt Franziskus mit Verweis auf den heiligen Papst Johannes Paul II., »zwei begrenzten Menschen die gewaltige Last aufladen, in vollkommener Weise die Vereinigung nachzubilden, die zwischen Christus und seiner Kirche besteht, denn die Ehe als Zeichen beinhaltet einen ›dynamischen Prozess von Stufe zu Stufe entsprechend der fortschreitenden Hereinnahme der Gaben Gottes‹.« (Nr. 122) Vielmehr rät er den Familien, »mit Realismus die Grenzen, die Herausforderungen oder die Unvollkommenheit zu akzeptieren und auf den Ruf zu hören, gemeinsam zu wachsen« (Nr. 135).

Der Text schöpft sowohl aus den beiden Synodenversammlungen wie auch aus biblischen Quellen sowie aus den Aussagen des päpstlichen Lehramts und hier insbesondere aus den Reflexionen des heiligen Papstes Johannes Paul II. Neben zahlreichen anderen Autoren, die Papst Franziskus zitiert, ist es immer wieder Thomas von Aquin, der zu Wort kommt. Dies unterstreicht die Ausrichtung, die sich deutlich stärker an tugend-ethischen und insbesondere auf die Klugheit bezogenen Linien orientiert als an einer Ethik der normativen Verbote. So traut der Papst dem Menschen und besonders den Ehepaaren etwas zu, was nicht zuletzt auch an der mehrfachen Hervorhebung des individuellen Gewissens deutlich wird: »Aufgrund der Erkenntnis, welches Gewicht die konkreten Bedingtheiten haben, können wir ergänzend sagen, dass das Gewissen der Menschen besser in den Umgang der Kirche mit manchen Situationen einbezogen werden muss« (Nr. 303). »Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen.« (Nr. 37)

Der Duktus des Schreibens ist den Menschen zugewandt. Dazu gehört auch eine ausnehmend positive Würdigung der menschlichen Sexualität und der Erotik: »Wir dürfen also die erotische Dimension der Liebe keineswegs als ein geduldetes Übel oder als eine Last verstehen, die zum Wohl der Familie toleriert werden muss, sondern müssen sie als Geschenk Gottes betrachten, das die Begegnung der Eheleute verschönert.« (Nr. 152)

Im Blick auf die Art und Weise der kirchlichen Verkündigung mahnt der Papst eine »heilsame Selbstkritik« (Nr. 36) an, da man anerkennen müsse, »dass unsere Weise, die christlichen Überzeugungen zu vermitteln, und die Art, die Menschen zu behandeln, manchmal dazu beigetragen haben, das zu provozieren, was wir heute beklagen« (Nr. 36). Gefordert werden dagegen Unterstützung und Hilfe für die Ehepaare und Familien: »Wer kümmert sich heute darum, die Ehen zu stärken, ihnen bei der Überwindung der Gefahren zu helfen, die sie bedrohen, sie in ihrer Erziehungsrolle zu begleiten und zur Beständigkeit der ehelichen Einheit zu motivieren?« (Nr. 52) Hier sieht der Papst eine zentrale Aufgabe der Kirche und ihrer Pastoral, von der er vor allem das »Bemühen« fordert, »die Ehen zu festigen und so den Brüchen zuvorzukommen« (Nr. 307). Dabei betont er zugleich, »dass die christlichen Familien durch die Gnade des Ehesakraments die hauptsächlichen Subjekte der Familienpastoral sind« (Nr. 108). Der Papst macht deutlich, dass nicht nur die Eheleute und Familien von der Unterstützung durch die Gemeinschaft der Kirche profitieren, sondern dass diese Beziehung auch umgekehrt gilt: »Die in den Familien gelebte Liebe ist eine ständige Kraft für die Kirche.« (Nr. 88)

Beachtlich ist die Vielzahl der Aspekte, die in diesem Schreiben aufgegriffen werden und die den Text zu einem umfassenden Zeugnis der Lehre von Papst Franziskus machen. Dies wird nicht zuletzt daran deutlich, dass der Papst in hohem Maß auch auf die bisherigen Ansprachen, Texte und Dokumente seines Pontifikats Bezug nimmt. Dabei knüpft er immer wieder am Zentrum des christlichen Glaubens an, denn »das Geheimnis der christlichen Familie kann man nur im Licht der unendlichen Liebe des himmlischen Vaters ganz verstehen, die sich in Christus offenbarte« (Nr. 59).

Im achten Kapitel geht das Schreiben schließlich auch auf die Gläubigen ein, die in – wie der Papst bewusst sagt –, sogenannten »irregulären« Situationen leben, die dem kirchlichen Leitbild von Ehe und Familie nicht oder nur teilweise entsprechen, also Gläubige, die ohne Trauschein oder in einer Zivilehe zusammenleben und auch die zivil geschiedenen und wiederverheirateten Katholiken. Hier sind dem Papst zwei pastorale Prinzipien wichtig. Zum einen hebt er die »Logik der Integration« hervor, die niemanden aus der kirchlichen Gemeinschaft ausschließt: »Niemand darf auf ewig verurteilt werden, denn das ist nicht die Logik des Evangeliums!« (Nr. 297) Zum anderen fordert er die Seelsorger auf, die konkreten Situationen, in denen die Gläubigen leben, genau zu unterscheiden. Es ist gerade die Vielfalt und Komplexität der Situationen, die es verbietet, eine generelle Regel undifferenziert anzuwenden. Damit wird die Bedeutung allgemeiner sittlicher und kirchenrechtlicher Normen keineswegs gering geschätzt. Aber der Papst erinnert an eine grundlegende Einsicht des Thomas von Aquin, dass eine allgemeine Norm unmöglich alle besonderen Situationen umfassen kann. Insbesondere gilt es, zwischen einer Situation, die objektiv nicht den Anforderungen des Evangeliums entspricht, und der Schuldhaftigkeit der betreffenden Person genau zu unterscheiden. »Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ›irregulären‹ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben.« (Nr. 301)

Diese prinzipielle Einsicht hat weitreichende Konsequenzen für den pastoralen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen. Es reicht eben nicht für ein Urteil einfach festzustellen, dass eine zweite zivile Verbindung im Widerspruch zur ersten, sakramentalen Ehe und damit im Widerspruch zur objektiven Norm steht. Es ist vielmehr notwendig, in jedem einzelnen Fall die besondere Lebenssituation der Betroffenen zu betrachten. Angesichts dieser Überlegungen ist es nur konsequent, dass der Papst keine generelle Regelung zur Zulassung von wiederverheirateten Geschiedenen zur sakramentalen Kommunion gibt. Nur im Blick auf die jeweilige Lebensgeschichte und Realität lässt sich gemeinsam mit den betroffenen Personen klären, ob und wie in ihrer Situation Schuld vorliegt, die einem Empfang der Eucharistie entgegensteht. Dabei ist die Frage einer Zulassung zu den Sakramenten der Versöhnung und der Kommunion immer im Kontext der Biographie eines Menschen und seiner Bemühungen um ein christliches Leben zu beantworten. Auf beide zuletzt genannten Aspekte weist der Papst explizit hin (vgl. Fußnoten 336 und 351).

Das Nachsynodale Schreiben ist reich an Anregungen für die pastorale Praxis; es bietet zudem auch eine wichtige Vertiefung der kirchlichen Lehre über Ehe und Familie. Nicht zuletzt sind nun wir Bischöfe, aber auch unsere Priester und die Theologen gefragt, die vielfältigen Einsichten und Akzentsetzungen moraltheologisch und pastoraltheologisch zu durchdringen und in der Verkündigung und Pastoral wirksam werden zu lassen: »Es wird dann Aufgabe der verschiedenen Gemeinschaften sein, stärker praxisorientierte und wirkungsvolle Vorschläge zu erarbeiten, die sowohl die Lehre der Kirche als auch die Bedürfnisse und Herausforderungen vor Ort berücksichtigen.« (Nr. 199)

Für die Eheleute und die Familien ist das Schreiben ein außerordentlich hilfreiches Orientierungsangebot und ein reicher Schatz an Impulsen für das konkrete Leben. Gerade die einfachen und griffig formulierten katechetischen Hinweise des Papstes eignen sich, um sie mit ins alltägliche Leben zu nehmen. So etwa, wenn Papst Franziskus sein eigenes, schon bekanntes Diktum wiederholt: »In der Familie ist es nötig …, drei Worte zu gebrauchen … Drei Worte: ›darf ich?‹, ›danke‹ und ›entschuldige‹.« (Nr. 133) Oder aber, wenn er den Familien mit auf den Weg gibt: »Die Familie muss immer der Ort sein, von dem jemand, der etwas Gutes im Leben erreicht hat, weiß, dass man es dort mit ihm feiern wird.« (Nr. 110)

Wir sind Papst Franziskus für das Nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia überaus dankbar. Es weist einen Weg der Kirche, an dem wir auch als Bischofskonferenz arbeiten werden. Wir werden uns in den kommenden Monaten bemühen, die Anregungen und Impulse umzusetzen und für die pastorale Arbeit in Deutschland anzuwenden. Das Schreiben des Papstes ist eine Ermutigung zum Leben und zur Liebe! Wir bitten besonders die Priester, im Geist dieses Textes auf die Menschen zuzugehen, auf die, die sich auf dem Weg zur Ehe befinden, auf die Eheleute, aber auch auf die, deren eheliche Beziehungen missglückt sind und die sich oft von der Kirche alleingelassen vorkommen. Der Tenor dieses Schreibens ist: Niemand darf ausgeschlossen werden von der Barmherzigkeit Gottes.

Kardinal Reinhard Marx

Erzbischof Dr. Heiner Koch

Bischof Dr. Franz-Josef Bode

PRÄSENTATION DES NACHSYNODALEN APOSTOLISCHEN SCHREIBENS »AMORIS LAETITIA« VON PAPST FRANZISKUS DURCH KARDINAL CHRISTOPH SCHÖNBORN

Am Abend des 13. März 2013 waren die ersten Worte des neugewählten Papstes Franziskus zu den Menschen am Petersplatz und in der ganzen Welt: Buona Sera!Guten Abend! So einfach wie dieser Gruß sind Sprache und Stil des neuen Schreibens von Papst Franziskus. Nicht ganz so kurz wie dieser schlichte Gruß, aber so lebensnahe. Papst Franziskus spricht auf diesen 200 Seiten Über die Liebe in der Familie (Amoris Laetitia AL), und er tut es so konkret, so schlicht, so herzerwärmend wie dieses Buona sera des 13. März 2013. Das ist sein Stil, und er wünscht sich, dass über die Dinge des Lebens so lebensnahe wie möglich gesprochen wird, besonders wenn es um die Familie geht, die zu den elementarsten Wirklichkeiten des Lebens gehört.

Um es vorweg zu sagen: kirchliche Dokumente gehören oft nicht zur leserfreundlichsten literarischen Gattung. Dieses päpstliche Schreiben ist lesbar. Und wer sich von der Länge nicht abschrecken lässt, wird Freude an der Konkretheit und Lebensnähe dieses Textes finden. Papst Franziskus spricht von den Familien in einer Anschaulichkeit, die in Lehrschreiben der Kirche nicht immer zu finden ist.

Bevor ich näher auf das Schreiben eingehe, möchte ich sehr persönlich sagen, warum ich es mit Freude, Dankbarkeit und immer wieder mit starker Ergriffenheit gelesen habe. In der kirchlichen Rede über Ehe und Familie besteht oft eine Tendenz, vielleicht unbewusst, die Rede über diese Lebenswirklichkeiten zweigleisig zu führen. Da gibt es die Ehen und Familien, die »in Ordnung“ sind, die den Regeln entsprechen, in denen alles »stimmt« und »passt«, und dann gibt es die »irregulären« Situationen, die ein Problem darstellen. Schon mit dem Wort »irregulär« wird suggeriert, dass diese Unterscheidung so feinsäuberlich getroffen werden kann.

Wer also auf der Seite der »Irregulären« zu stehen kommt, wird damit leben müssen, dass die »Regulären« auf der anderen Seite sind. Wie schmerzlich das für die ist, die selber aus einer Patchwork-Familie stammen, ist mir persönlich vertraut durch die eigene Familiensituation. Die kirchliche Rede kann hier verletzend sein, ja das Gefühl geben, ausgeschlossen zu sein.

Papst Franziskus hat sein Schreiben unter das Leitwort gestellt: »Es geht darum, alle zu integrieren« (AL 297). Denn es geht um eine Grundeinsicht des Evangeliums: Wir bedürfen alle der Barmherzigkeit! »Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein« (Joh 8,7). Alle, in welcher Ehe- und Familiensituation wir uns befinden, sind unterwegs. Auch eine Ehe, bei der alles »stimmt«, ist unterwegs. Sie muss wachsen, lernen, neue Etappen schaffen. Sie kennt Sünde und Versagen, braucht Versöhnung und Neubeginn, und das bis ins hohe Alter (vgl. AL 134).

Es ist Papst Franziskus gelungen, wirklich alle Situationen anzusprechen, ohne katalogisieren, ohne kategorisieren, mit jenem Blick eines fundamentalen Wohlwollens, der etwas mit dem Herzen Gottes, mit den Augen Jesu zu tun hat, die niemanden ausschließen (vgl. AL 291), alles annimmt und allen die Freude des Evangeliums zuspricht. Deshalb ist die Lektüre von Amoris Laetitia so wohltuend. Keiner muss sich verurteilt, keiner verachtet fühlen. In diesem Klima des Angenommenseins wird die Rede von der christlichen Sicht von Ehe und Familie zur Einladung, zur Ermutigung, zur Freude über die Liebe, an die wir glauben dürfen und die niemanden, wirklich und ehrlich niemand ausschließt.

Für mich ist deshalb AL vor allem und zuerst ein Sprachereignis, wie es schon Evangelium Gaudium war. Etwas im kirchlichen Diskurs hat sich gewandelt. Dieser Wandel der Sprache war schon während des Synodalen Weges spürbar. Zwischen den beiden Synodensitzungen von Oktober 2014 und Oktober 2015 ist deutlich erkennbar, wie der Ton wertschätzender geworden ist, wie die verschiedenen Lebenssituationen einfach einmal angenommen werden, ohne sie gleich zu be- oder verurteilen. In AL ist dies zum durchgehenden Sprachstil geworden. Dahinter steht freilich nicht nur eine linguistische Option, sondern eine tiefe Ehrfurcht vor jedem Menschen, der nie zuerst ein »Problemfall« in einer »Kategorie« ist, sondern eine unverwechselbare Person mit ihrer Geschichte und ihrem Weg mit und zu Gott. Papst Franziskus sagte in Evangelium Gaudium, wir müssten „die Schuhe ausziehen vor dem heiligen Boden des Anderen“ (EG 36).

Diese Grundhaltung durchzieht das ganze Schreiben. Sie ist auch der tiefere Grund für die beiden anderen Schlüsselworte: unterscheiden und begleiten. Sie gelten nicht nur für die »sogenannten irregulären Situationen« (Papst Franziskus betont dieses „sogenannt“!), sondern für alle Menschen, für jede Ehe, für jede Familie. Denn alle sind unterwegs und alle bedürfen der »Unterscheidung« und der »Begleitung«.

Meine große Freude an diesem Dokument ist, dass es konsequent die künstliche, äußerliche, fein säuberliche Trennung von »regulär« und »irregulär« überwindet und alle unter den gemeinsamen Anspruch des Evangeliums stellt, gemäß dem Wort des Hl. Paulus: »Er hat alle unter in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen« (Röm 11,32).

Dieses durchgehende Prinzip der Inklusion macht freilich manch einem Sorgen. Wird hier nicht dem Relativismus das Wort gesprochen? Wird die so oft angesprochene Barmherzigkeit nicht zur Beliebigkeit? Gibt es nicht mehr die Klarheit von Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, von Situationen, die objektiv als irregulär, ja als sündhaft zu bezeichnen sind? Wird dieses Schreiben nicht einem gewissen Laxismus Vorschub leisten, einem „everything goes“? Ist Jesu eigene Barmherzigkeit nicht oft eine durchaus strenge, anspruchsvolle Barmherzigkeit? Um das klarzustellen: Papst Franziskus lässt keinen Zweifel an seiner Absicht und unserer Aufgabe:

»Als Christen dürfen wir nicht darauf verzichten, uns zugunsten der Ehe zu äußern, nur um dem heutigen Empfinden nicht zu widersprechen, um in Mode zu sein oder aus Minderwertigkeitsgefühlen angesichts des moralischen und menschlichen Niedergangs. Wir würden der Welt Werte vorenthalten, die wir beisteuern können und müssen. Es stimmt, dass es keinen Sinn hat, bei einer rhetorischen Anprangerung der aktuellen Übel stehen zu bleiben, als könnten wir dadurch etwas ändern. Ebenso wenig dient es, mit der Macht der Autorität Regeln durchsetzen zu wollen. Uns kommt ein verantwortungsvollerer und großherzigerer Einsatz zu, der darin besteht, die Gründe und die Motivationen aufzuzeigen, sich für die Ehe und die Familie zu entscheiden, so dass die Menschen eher bereit sind, auf die Gnade zu antworten, die Gott ihnen anbietet« (AL 35).

Papst Franziskus ist überzeugt, dass die christliche Sicht von Ehe und Familie auch heute eine ungebrochene Anziehungskraft hat. Aber er fordert eine deutliche Selbstkritik: »Zugleich müssen wir demütig und realistisch anerkennen, dass unsere Weise, die christlichen Überzeugungen zu vermitteln, und die Art, die Menschen zu behandeln, manchmal dazu beigetragen haben, das zu provozieren, was wir heute beklagen« (AL 36). »Andere Male haben wir ein allzu abstraktes theologisches Ideal der Ehe vorgestellt, das fast künstlich konstruiert und weit von der konkreten Situation und den tatsächlichen Möglichkeiten der realen Familien entfernt ist. Diese übertriebene Idealisierung vor allem, wenn wir nicht das Vertrauen auf die Gnade wachgerufen haben, hat die Ehe nicht erstrebenswerter und attraktiver gemacht, sondern das völlige Gegenteil bewirkt« (AL 36).

Ich erlaube mir, hier eine Erfahrung der Synode vom vergangenen Oktober zu erzählen: So weit ich weiß, haben zwei der dreizehn Circuli minores ihre Arbeit damit begonnen, dass alle Teilnehmer zuerst einmal erzählt haben, wie ihre eigene Familiensituation ist. Dabei zeigte sich schnell, dass fast alle der Bischöfe oder der anderen Teilnehmer des Circulus minor in ihrer eigenen Familie mit den Themen, Sorgen und »Irregularitäten« konfrontiert sind, von denen wir in der Synode meist viel zu abstrakt gesprochen haben. Papst Franziskus lädt uns alle ein, über unsere Familien zu sprechen, »so, wie sie sind«. Und nun das Großartige des Synodalen Weges und dessen Weiterführung durch Papst Franziskus: Weit davon entfernt, dass dieser nüchterne Realismus über die Familien »so, wie sie sind«, uns vom Ideal wegführt! Im Gegenteil: Papst Franziskus schafft es, zusammen mit den Arbeiten der beiden Synoden, einen zutiefst hoffnungsvollen, positiven Blick auf die Familie zu werfen. Doch erfordert dieser ermutigende Blick auf die Familie jene pastorale Neuausrichtung, von der Evangelii Gaudium so eindrucksvoll sprach. Der folgende Text aus Amoris laetitia (Nr. 37) zeichnet die großen Linien dieser pastoralen Neuausrichtung (EG 25) nach:

»Lange Zeit glaubten wir, dass wir allein mit dem Beharren auf doktrinellen, bioethischen und moralischen Fragen und ohne dazu anzuregen, sich der Gnade zu öffnen, die Familien bereits ausreichend unterstützten, die Bindung der Eheleute festigten und ihr miteinander geteiltes Leben mit Sinn erfüllten. Wir haben Schwierigkeiten, die ehe vorrangig als einen dynamischen Weg der Entwicklung und Verwirklichung darzustellen und nicht so sehr als eine Last, die das ganze Leben lang zu tragen ist. Wir tun uns ebenfalls schwer, dem Gewissen der Gläubigen Raum zu geben, die oftmals inmitten ihrer Begrenzungen, so gut es ihnen möglich ist, dem Evangelium entsprechen und ihr persönliches Unterscheidungsvermögen angesichts von Situationen entwickeln, in denen alle Schemata auseinanderbrechen. Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch zu erheben, sie zu ersetzen« (AL 37).

Aus Papst Franziskus spricht ein tiefes Vertrauen in die Herzen und die Sehnsucht der Menschen. Sehr schön kommt das in seinen Ausführungen über die Erziehung zum Ausdruck. Man spürt darin die große jesuitische Tradition der Erziehung zur Eigenverantwortung. Zwei entgegengesetzte Gefahren spricht er an: das Laissez-faire und die Obsession, alles kontrollieren und beherrschen zu wollen. Einerseits gilt: »Die Familie darf nicht aufhören, ein Ort des Schutzes, der Begleitung, der Führung zu sein […] Stets bedarf es einer Aufsicht. Die Kinder sich selbst zu überlassen, ist niemals gesund« (AL 260).

Aber die Wachsamkeit kann auch übertrieben werden: »Übertriebene Sorge erzieht nicht und man kann nicht alle Situationen, in die ein Kind geraten könnte, unter Kontrolle haben […] Wenn ein Vater versessen darauf ist zu wissen, wo sein Sohn ist, und alle seine Bewegungen zu kontrollieren, wird er nur bestrebt sein, dessen Raum zu beherrschen. Auf diese Weise wird er ihn nicht erziehen, er wird ihn nicht stärken und ihn nicht darauf vorbereiten, Herausforderungen die Stirn zu bieten. Worauf es ankommt, ist vor allem, mit viel Liebe im Sohn Prozesse der Reifung seiner Freiheit, der Befähigung, des geistlichen Wachstums und der Pflege der echten Selbstständigkeit auszulösen« (AL 261). Ich finde, es ist sehr erhellend, diese Gedanken über die Erziehung mit denen über die pastorale Praxis der Kirche in Verbindung zu bringen. Denn genau in diesem Sinn spricht Papst Franziskus immer wieder das Vertrauen in das Gewissen der Gläubigen an: »Wir sind berufen, die Gewissen zu bilden, nicht aber dazu, den Anspruch erheben, sie zu ersetzen« (AL 37). Die große Frage ist freilich: wie wird das Gewissen geformt? Wie kommt es zu dem, was ein Schlüsselbegriff des ganzen großen Dokumentes ist, der Schlüssel zum rechten Verständnis des Anliegens von Papst Franziskus: »die persönliche Unterscheidung«, besonders in schwierigen, komplexen Situationen? Die Unterscheidung ist ein zentraler Begriff der ignatianischen Exerzitien. Denn diese sollen helfen, den Willen Gottes in den konkreten Lebenssituationen zu unterscheiden. Die Unterscheidung macht die reife Persönlichkeit aus, und zu dieser Reifung der Persönlichkeit will ja der christliche Weg helfen: Keine fremdgesteuerten Automaten, sondern in der Freundschaft mit Christus gereifte Menschen. Nur wo das persönliche Unterscheiden gewachsen ist, kann es auch zu dem »pastoralen Unterscheiden« kommen, das vor allem wichtig ist »angesichts von Situationen, die nicht gänzlich dem entsprechen, was der Herr uns aufträgt« (AL 6). Um dieses »pastorale Unterscheiden« geht es im 8. Kapitel, das vermutlich am meisten die kirchliche Öffentlichkeit, aber auch die Medien interessiert.

Dennoch muss ich daran erinnern, dass Papst Franziskus die Kapitel 4 und 5 als die zwei zentralen Kapitel bezeichnet hat, nicht nur im geographischen Sinn, sondern von der Sache her: »Denn wir können nicht zu einem Weg der Treue und der gegenseitigen Hingabe ermutigen, wenn wir nicht zum Wachstum, zur Festigung und zur Vertiefung der ehelichen und familiären Liebe anregen« (AL 89). Diese beiden zentralen Kapitel von Amoris laetitia werden wohl von vielen übersprungen werden, um gleich zu den sogenannten »heißen Eisen«, den kritischen Punkten zu kommen. Als erfahrener Pädagoge weiß freilich Papst Franziskus, dass nichts so stark motiviert und anzieht, wie die positive Erfahrung der Liebe. »Von der Liebe sprechen« (AL 89) – das macht Papst Franziskus offenbar große Freude, und er spricht von der Liebe mit großer Lebendigkeit, Anschaulichkeit, Einfühlung. Das 4. Kapitel ist ein ausführlicher Kommentar zum »Hohenlied der Liebe« aus 1 Kor 13. Allen sei die Meditation dieser Seiten ans Herz gelegt. Sie ermutigen, an die Liebe zu glauben (vgl. 1 Joh 4,16) und auf ihre Kraft zu vertrauen. Hier hat ein weiteres Schlüsselwort von Amoris laetitia seinen »Hauptsitz«: wachsen: Nirgendwo wird so deutlich wie in der Liebe, dass es um einen dynamischen Prozess geht, in dem die Liebe wachsen, aber auch erkalten kann. Ich kann nur einladen, diese köstlichen Kapitel zu lesen und zu verkosten! Auf einen Aspekt darf ich eigens hinweisen: Mit seltener Deutlichkeit spricht Papst Franziskus auch vom Anteil der passiones, der Leidenschaften, der Emotionen, des Eros, der Sexualität in der ehelichen und familiären Liebe. Es ist kein Zufall, dass Papst Franziskus sich hier besonders auf den hl. Thomas von Aquin bezieht, der den passiones eine so wichtige Rolle zuspricht, während die neuzeitliche, oft puritanische Moral sie meist schlecht gemacht oder vernachlässigt hat. Hier findet der Titel des päpstlichen Schreibens seine volle Entfaltung: Amoris laetitia! Hier wird deutlich, wie es gelingen kann, »den Wert und den Reichtum der Ehe zu entdecken« (AL 205). Hier wird aber auch schmerzlich sichtbar, wie weh die Verwundungen der Liebe, wie verletzend die Erfahrungen vom Scheitern der Beziehungen sind. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass besonders das achte Kapitel die Aufmerksamkeit und das Interesse anzieht. Denn die Frage, wie die Kirche mit solchen Verwundungen, mit dem Scheitern in der Liebe umgeht, ist für viele zur Testfrage geworden, ob die Kirche wirklich der Ort erfahrbarer Barmherzigkeit Gottes ist.

Dieses Kapitel verdankt viel der intensiven Arbeit der beiden Synoden, der ausgiebigen Diskussion in der kirchlichen und weltlichen Öffentlichkeit. Hier zeigt sich die Fruchtbarkeit der Vorgangsweise von Papst Franziskus. Er wollte ausdrücklich eine offene Diskussion über die pastorale Begleitung von komplexen Situationen, und er konnte sich weitgehend auf die von den beiden Synoden ihm vorgelegten Texte stützen, um zu zeigen, wie »die Kirche ihre schwächsten Kinder, die unter verletzter und verlorener Liebe leiden, aufmerksam und fürsorglich begleiten« aussehen kann (AL 291).

Ausdrücklich macht Papst Franziskus sich die ihm vorgelegten Aussagen der beiden Synoden zu eigen: »die Synodenväter haben einen allgemeinen Konsens erreicht, den ich unterstütze«. Betreffend die zivil wiederverheirateten Geschiedenen sagt er: »Ich nehme die Bedenken vieler Synodenväter auf, die darauf hinweisen wollten, dass […]. Die Logik der Integration ist der Schlüssel ihrer pastoralen Begleitung […] Sie sollen sich nicht nur als nicht exkommuniziert fühlen, sondern können als lebendige Glieder der Kirche leben und reifen, indem sie diese wie eine Mutter empfinden, die sie immer aufnimmt« (AL 299).

Was heißt das aber konkret? Diese Frage wird zu Recht von vielen gestellt.

Die entscheidenden Aussagen stehen in Amoris laetitia 300. Sie bieten sicher noch Stoff für Diskussion. Sie sind aber auch eine wichtige Klärung und Weichenstellung für den zweiten Weg. Zuerst eine Klarstellung: »Wenn man die zahllosen Unterschiede der konkreten Situationen […] berücksichtigt, kann man verstehen, dass man von der Synode oder von diesem Schreiben keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte« (AL 300). Manche haben sich eine solche neue Norm erwartet. Sie werden enttäuscht sein. Was ist möglich? Der Papst sagt es mit aller Klarheit: »Es ist nur möglich, eine neue Ermutigung auszudrücken zu einer verantwortungsvollen persönlichen und pastoralen Unterscheidung der je spezifischen Fälle«.

Wie diese persönliche und pastorale Unterscheidung aussehen kann und soll, ist Thema des ganzen Abschnitts AL 300–312. Schon auf der Synode 2015 wurde, im Anschluss an die Formulierungen des Circulus Germanicus ein Itinerarium der Unterscheidung, der Gewissensprüfung vorgeschlagen, das Papst Franziskus sich zu eigen macht. »Es handelt sich um einen Weg der Begleitung und der Unterscheidung, der ‚diese Gläubigen darauf aus[richtet], sich ihrer Situation vor Gott bewusst zu werden«. Aber Papst Franziskus erinnert auch daran: »…wird diese Unterscheidung niemals von den Erfordernissen der Wahrheit und der Liebe des Evangeliums, die die Kirche vorlegt, absehen können« (AL 300).

Zwei Fehlhaltungen benennt Papst Franziskus: Die eine ist der Rigorismus: »Daher darf ein Hirte sich nicht damit zufrieden geben, gegenüber denen, die in ›irregulären‹ Situationen leben, nur moralische Gesetze anzuwenden, als seien es Felsblöcke, die man auf das Leben von Menschen wirft. Das ist der Fall der verschlossenen Herzen, die sich sogar hinter der Lehre der Kirche zu verstecken pflegen« (AL 305). Andererseits darf die Kirche auf keine Weise »darauf verzichten, das vollkommene Ideal der Ehe, den Plan Gottes in seiner ganzen Größe vorzulegen« (AL 307).

Natürlich wird die Frage gestellt: und was sagt der Papst über den Zugang zu den Sakramenten für Personen, die in »irregulären« Situationen leben? Schon Papst Benedikt hatte gesagt, dass keine »einfache Rezepte« (AL 298, Anm. 337) existieren. Und Papst Franziskus erinnert noch einmal an die Notwendigkeit, die Situationen gut zu unterscheiden in der Linie von Familiaris consortio (Nr. 84) von Papst Johannes Paul II. (AL 298). »Die Unterscheidung muss dazu verhelfen, die möglichen Wege der Antwort auf Gott und des Wachstums inmitten der Begrenzungen zu finden. In dem Glauben, dass alles weiß oder schwarz ist, versperren wir manchmal den Weg der Gnade und des Wachstums und nehmen den Mut für Wege der Heiligung, die Gott verherrlichen« (AL 305). Und Papst Franziskus erinnert an ein so wichtiges Wort, das er in Evangelii Gaudium 44 geschrieben hatte: »Ein kleiner Schritt inmitten großer menschlicher Begrenzungen kann Gott wohlgefälliger sein als das äußerlich korrekte Leben dessen, der seine Tage verbringt, ohne auf nennenswerte Schwierigkeiten zu stoßen«. Im Sinne dieser »via caritatis« (AL 306) sagt der Papst dann schlicht und einfach in einer Fußnote (AL 305, Anm. 355), dass auch die Hilfe der Sakramente »in gewissen Fällen« gegeben werden kann. Dazu bietet er keine Kasuistik, keine Rezepte, sondern erinnert einfach an zwei seiner bekannten Worte: »Die Priester erinnere ich daran, dass der Beichtstuhl keine Folterkammer sein darf, sondern ein Ort der Barmherzigkeit des Herrn« (EG 44) und: »Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen« (EG 47).

Ist das nicht eine Überforderung der Hirten, der Seelsorger, der Gemeinden, wenn die „Unterscheidung der Situationen“ nicht genauer geregelt ist? Papst Franziskus weiß um diese Sorge: »Ich verstehe diejenigen, die eine unerbittliche Pastoral vorziehen, die keinen Anlass zu irgendeiner Verwirrung gibt« (AL 308). Dem hält er entgegen: »Wir stellen der Barmherzigkeit so viele Bedingungen, dass wir sie gleichsam aushöhlen und sie um ihren konkreten Sinn und ihre reale Bedeutung bringen, und das ist die übelste Weise, das Evangelium zu verflüssigen« (AL 311).

Papst Franziskus vertraut auf die »Freude der Liebe«. Sie weiß den Weg zu finden. Sie ist der Kompass, der uns den Weg zeigt. Sie ist das Ziel und der Weg zugleich, weil Gott die Liebe ist, und weil die Liebe aus Gott ist. Nichts ist so anspruchsvoll wie die Liebe. Sie ist nicht billig zu haben. Deshalb braucht niemand zu fürchten, dass Papst Franziskus mit Amoris laetitia auf einen allzu einfachen Weg einlädt. Leicht ist er nicht. Aber voller Freude!

Kardinal Christoph Schönborn

NACHSYNODALES

APOSTOLISCHES SCHREIBEN

AMORIS LÆTITIA

DES HEILIGEN VATERS

PAPST FRANZISKUS

AN DIE BISCHÖFE,

AN DIE PRIESTER UND DIAKONE,

AN DIE PERSONEN GEWEIHTEN LEBENS

AN DIE CHRISTLICHEN EHELEUTE

UND AN ALLE CHRISTGLÄUBIGEN LAIEN

ÜBER DIE LIEBE IN DER FAMILIE

1 Die Freude der Liebe, die in den Familien gelebt wird, ist auch die Freude der Kirche. So haben die Synodenväter darauf hingewiesen, dass trotz der vielen Anzeichen einer Krise der Ehe »vor allem unter den Jugendlichen der Wunsch nach einer Familie lebendig [bleibt]. Dies bestärkt die Kirche«.1 Als Antwort auf diese Sehnsucht ist »die christliche Verkündigung über die Familie […] wirklich eine frohe Botschaft«.2

2 Der synodale Weg hat ermöglicht, die Situation der Familien in der heutigen Welt offen darzulegen, unseren Blick zu weiten und uns die Bedeutung der Ehe und der Familie neu bewusst zu machen. Zugleich machte uns die Vielschichtigkeit der angesprochenen Themen die Notwendigkeit deutlich, einige doktrinelle, moralische, spirituelle und pastorale Fragen unbefangen weiter zu vertiefen. Die Reflexion der Hirten und Theologen wird uns, wenn sie kirchentreu, ehrlich, realistisch und kreativ ist, zu größerer Klarheit verhelfen. Die Debatten, wie sie in den Medien oder in Veröffentlichungen und auch unter kirchlichen Amtsträgern geführt werden, reichen von einem ungezügelten Verlangen, ohne ausreichende Reflexion oder Begründung alles zu verändern, bis zu der Einstellung, alles durch die Anwendung genereller Regelungen oder durch die Herleitung übertriebener Schlussfolgerungen aus einigen theologischen Überlegungen lösen zu wollen.

3 Indem ich daran erinnere, dass die Zeit mehr wert ist als der Raum, möchte ich erneut darauf hinweisen, dass nicht alle doktrinellen, moralischen oder pastoralen Diskussionen durch ein lehramtliches Eingreifen entschieden werden müssen. Selbstverständlich ist in der Kirche eine Einheit der Lehre und der Praxis notwendig; das ist aber kein Hindernis dafür, dass verschiedene Interpretationen einiger Aspekte der Lehre oder einiger Schlussfolgerungen, die aus ihr gezogen werden, weiterbestehen. Dies wird so lange geschehen, bis der Geist uns in die ganze Wahrheit führt (vgl. Joh 16,13), das heißt bis er uns vollkommen in das Geheimnis Christi einführt und wir alles mit seinem Blick sehen können. Außerdem können in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen gesucht werden, welche die örtlichen Traditionen und Herausforderungen berücksichtigen. Denn »die Kulturen [sind] untereinander sehr verschieden, und jeder allgemeine Grundsatz […] muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll«.3

4 Auf jeden Fall muss ich sagen, dass der synodale Weg sehr Schönes enthalten und viel Licht geschenkt hat. Ich danke für viele Beiträge, die mir geholfen haben, die Probleme der Familien der Welt in ihrem ganzen Umfang zu betrachten. Die Gesamtheit der Wortmeldungen der Synodenväter, die ich mit ständiger Aufmerksamkeit angehört habe, ist mir wie ein kostbares, aus vielen berechtigten Besorgnissen und ehrlichen, aufrichtigen Fragen zusammengesetztes Polyeder erschienen. Deshalb habe ich es für angemessen gehalten, ein nachsynodales Apostolisches Schreiben zu verfassen, das Beiträge der beiden jüngsten Synoden über die Familie sammelt, und weitere Erwägungen hinzuzufügen, die die Überlegung, den Dialog oder die pastorale Praxis orientieren können und zugleich den Familien in ihrem Einsatz und ihren Schwierigkeiten Ermutigung und Anregung bieten.

5 Dieses Schreiben gewinnt eine spezielle Bedeutung im Zusammenhang mit dem Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit. An erster Stelle, weil ich das Schreiben als einen Vorschlag für die christlichen Familien verstehe, der sie anregen soll, die Gaben der Ehe und der Familie zu würdigen und eine starke und uneingeschränkte Liebe zu Werten wie Großherzigkeit, Verbindlichkeit, Treue oder Geduld zu pflegen. An zweiter Stelle, weil es alle ermutigen soll, dort selbst Zeichen der Barmherzigkeit und der Nähe zu sein, wo das Familienleben sich nicht vollkommen verwirklicht oder sich nicht in Frieden und Freude entfaltet.

6 Beim Aufbau des Textes werde ich mit einer von der Heiligen Schrift inspirierten Eröffnung beginnen, die ihm eine angemessene Einstimmung verleiht. Von da ausgehend werde ich die aktuelle Situation der Familien betrachten, um „Bodenhaftung“ zu bewahren. Danach werde ich an einige Grundfragen der Lehre der Kirche über Ehe und Familie erinnern, um so zu den beiden zentralen Kapiteln zu führen, die der Liebe gewidmet sind. In der Folge werde ich einige pastorale Wege vorzeichnen, die uns Orientierung geben sollen, um stabile und fruchtbare Familien nach Gottes Plan aufzubauen; in einem weiteren Kapitel werde ich mich mit der Erziehung der Kinder beschäftigen. Danach geht es mir darum, zur Barmherzigkeit und zur pastoralen Unterscheidung einzuladen angesichts von Situationen, die nicht gänzlich dem entsprechen, was der Herr uns aufträgt, und zum Schluss werde ich kurze Leitlinien für eine Spiritualität der Familie entwerfen.

7 Infolge der Reichhaltigkeit dessen, was der synodale Weg in den beiden Jahren der Reflexion einbrachte, spricht dieses Schreiben in unterschiedlicher Darstellungsweise viele und mannigfaltige Themen an. Das erklärt seinen unvermeidlichen Umfang. Darum empfehle ich nicht, es hastig ganz durchzulesen. Sowohl für die Familien als auch für die in der Familienpastoral Tätigen kann es nutzbringender sein, wenn sie es Abschnitt für Abschnitt geduldig vertiefen oder wenn sie darin nach dem suchen, was sie in der jeweiligen konkreten Situation brauchen. Es ist zum Beispiel möglich, dass die Eheleute sich mehr mit dem vierten und fünften Kapitel identifizieren, dass die pastoralen Mitarbeiter ein besonderes Interesse am sechsten Kapitel haben und dass alle sich am meisten durch das achte Kapitel angesprochen fühlen. Ich hoffe, dass jeder sich durch die Lektüre angeregt fühlt, das Leben der Familien liebevoll zu hüten, denn sie »sind nicht ein Problem, sie sind in erster Linie eine Chance«.4

ERSTES KAPITELIM LICHT DES WORTES

8 Die Bibel ist bevölkert mit Familien, mit Generationen, sie ist voller Geschichten der Liebe wie auch der Familienkrisen, und das von der ersten Seite an, wo die Familie von Adam und Eva auftritt mit ihrer Last der Gewalt, aber auch mit der Kraft des Lebens, das weitergeht (vgl. Gen 4), bis zur letzten Seite, wo die Hochzeit der Braut und des Lammes erscheint (vgl. Offb 21,2.9) Die beiden Häuser, die Jesus beschreibt und die auf Fels oder auf Sand gebaut sind (vgl. Mt 7,24–27), sind ein symbolischer Ausdruck vieler familiärer Situationen, die durch die persönliche Freiheit ihrer Mitglieder geschaffen werden, denn – wie der Dichter schrieb – »jedes Haus ist ein Leuchter«.5 Treten wir nun in eines dieser Häuser ein, geführt vom Psalmisten durch einen Gesang, der noch heute sowohl in der jüdischen als auch in der christlichen Liturgie der Trauung erklingt:

»Wohl dem Mann,

der den Herrn fürchtet und ehrt und der auf seinen Wegen geht!

Was deine Hände erwarben, kannst du genießen;

wohl dir, es wird dir gut ergehn.

Wie ein fruchtbarer Weinstock ist deine Frau drinnen in deinem Haus.

Wie junge Ölbäume sind deine Kinder rings um deinen Tisch.

So wird der Mann gesegnet,

der den Herrn fürchtet und ehrt.

Es segne dich der Herr vom Zion her.

Du sollst dein Leben lang das Glück Jerusalems schauen

und die Kinder deiner Kinder sehn.

Frieden über Israel!« (Ps 128,1–6)

DU UND DEINE FRAU

9 Überschreiten wir also die Schwelle dieses heiter-gelassenen Heimes mit seiner Familie, die in festlicher Tafelrunde vereint ist. Im Mittelpunkt begegnen wir dem Paar von Vater und Mutter mit seiner ganzen Geschichte der Liebe. In ihnen verwirklicht sich jenes ursprüngliche Vorhaben, das Christus selbst mit Nachdruck ins Gedächtnis ruft: »Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer die Menschen am Anfang als Mann und Frau geschaffen hat?« (Mt 19,4). Und es wird die Anweisung aus dem Buch Genesis aufgegriffen: »Darum verlässt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch« (2,24).

10 Die großartigen beiden ersten Kapitel des Buches Genesis bieten uns die Darstellung des menschlichen Paares in seiner grundlegenden Wirklichkeit. In diesem Anfangstext der Bibel scheinen einige entscheidende Feststellungen auf. Die erste, die von Jesus zusammenfassend zitiert wird, besagt: »Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mannund Frau schuf er sie« (Gen 1,27). Überraschenderweise wird dem »Abbild Gottes« als erläuternde Parallele ausgerechnet das Paar »Mann und Frau« zugeordnet. Bedeutet das etwa, dass Gott selber geschlechtlich ist oder dass ihn eine göttliche Gefährtin begleitet, wie einige antike Religionen glaubten? Natürlich nicht, denn wir wissen, mit welcher Klarheit die Bibel diese unter den Kanaanäern im Heiligen Land verbreitete Glaubensvorstellung als götzendienerisch zurückwies. Die Transzendenz Gottes bleibt gewahrt; da er jedoch zugleich der Schöpfer ist, ist die Fruchtbarkeit des menschlichen Paares ein lebendiges und wirkungsvolles »Abbild«, ein sichtbares Zeichen des Schöpfungsaktes.

11 Das liebende Paar, das Leben zeugt, ist das wahre, lebende „Bildnis“ (nicht jenes aus Stein und Gold, das der Dekalog verbietet), das imstande ist, den Gott, der Schöpfer und Erlöser ist, darzustellen. Daher wird die fruchtbare Liebe das Symbol der inneren Wirklichkeiten Gottes6. Darauf ist es zurückzuführen, dass die Erzählung der Genesis nach der sogenannten „priesterschriftlichen Überlieferung“ von verschiedenen Geschlechterfolgen durchzogen ist7, denn die Zeugungsfähigkeit des menschlichen Paares ist der Weg, auf dem sich die Heilsgeschichte entwickelt. In diesem Licht wird die fruchtbare Beziehung des Paares ein Bild, um das Geheimnis Gottes zu entdecken und zu beschreiben, das grundlegend ist in der christlichen Sicht der Dreifaltigkeit, die in Gott den Vater, den Sohn und den Geist der Liebe betrachtet. Der dreieinige Gott ist Gemeinschaft der Liebe, und die Familie ist sein lebendiger Abglanz. Die Worte des heiligen Johannes Paul II. schenken uns Klärung. Er sagte, »