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Beschreibung

Seit 70 Jahren beschäftigt sich das international bekannte Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg mit Grenzfällen unserer Alltagswelt, mit anomalen Phänomenen wie Gedankenübertragung und außergewöhnlichen Erfahrungen wie Nahtoderfahrungen oder veränderten Bewusstseinszuständen. Es geht nicht allein, wie man meinen könnte, um die klassischen Felder der Parapsychologie, wie Spukerscheinungen, außersinnliche Wahrnehmung Telepathie oder Hellsehen, sondern im weitesten Sinn um die Erforschung von bisher nur unzureichend verstandenen Phänomenen und Anomalien an den Grenzen unseres derzeitigen Wissens. Forscher aus verschiedenen Disziplinen (Physik, Neurowissenschaften, Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaften) beschreiben in leicht verständlicher Form ihre Forschung am Institut.

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Dieter Vaitl (Hg.)

An den Grenzen unseres Wissens

Von der Faszination des Paranormalen

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2020Alle Rechte vorbehaltenwww.herder.deUmschlagkonzeption: Verlag HerderUmschlagmotiv: IGPP, Freiburg im BreisgauBildrechte, wenn nicht anders angegeben: IGPP, Freiburg im BreisgauE-Book-Konvertierung: SatzWeise, Bad WünnenbergISBN Print: 978-3-451-38737-1ISBN E-Book: 978-3-451-81964-3

Hinweise für die Leserinnen und Leser

Hier einige »Lesehilfen« und Erläuterungen: Wer sich hauptsächlich für die Entwicklungsgeschichte des Instituts und die damit verbundenen konzeptuellen Überlegungen interessiert, dem sei die Lektüre von Teil I und II empfohlen. Wer mehr über die aktuellen Forschungsaktivitäten und -schwerpunkte des Instituts erfahren möchte, findet einschlägige Berichte in Teil III und IV; dort finden sich auch Beschreibungen der speziellen Einrichtungen des Instituts wie Bibliothek und Archiv. Die Literaturangaben am Ende der jeweiligen Kapitel sind bewusst kurz gehalten und beziehen sich nur auf die Kapitelinhalte. Sie repräsentieren nicht die umfangreiche Publikationstätigkeit des Instituts. Diese findet sich in den seit 2002 alle zwei Jahre herausgegebenen Tätigkeitsberichten in deutscher und englischer Sprache. Detaillierte Hinweise auf die Inhalte dieser Tätigkeitsberichte enthalten das Kapitel I.4 sowie die »Allgemeinen Angaben« am Ende des Buches.

Den Autorinnen und Autoren war es freigestellt, wie sie eine geschlechtergerechte Sprache in ihren Texten verwenden. Der besseren Lesbarkeit halber wird in den meisten Beiträgen das generische Maskulinum verwendet. Es sind aber selbstverständlich immer beide Geschlechter gemeint.

Würdigung und Danksagung

Diese Wissenschaftsgeschichte hätte nicht geschrieben werden können ohne die jahrelange großzügige finanzielle Unterstützung des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene durch die Holler-Stiftung. Das Stifterehepaar Christian und Asta Holler hat auch nach seinem Ableben ein Anrecht darauf, dass seiner gedacht und ihm Dank geschuldet wird. Beider Lebensleistung und Menschlichkeit ist es zu verdanken, dass die Grenzgebietsforschung ein neues Profil erhielt und international an Bedeutung gewann. Mein ganz persönlicher Dank gilt auch den Vorständen der Stiftung, den Herren Jürgen Schow, Klaus Kaminsky und Dr. Christoph-Marc Pressler. Sie waren es, die mit Weitblick, modernen Formen des Managements und Engagement die Aktivitäten des Instituts begleiteten und Lösungen fanden, als dem Institut drohte, aus dem Kreis der Begünstigten ausscheiden zu müssen.

Das Buch ist ein Gemeinschaftswerk und repräsentiert in der vorliegenden Form das hohe Maß an Transdisziplinarität unserer Arbeit. Daher geht mein besonderer Dank an die Autorinnen und Autoren dieses Bandes. Sie haben allesamt weder mit Zeit noch Engagement gegeizt, als es an die Realisierung dieses Buchprojektes ging. Entscheidend trugen sie – und dafür legen ihre Beiträge Zeugnis ab – zur Neukonzeption des Instituts bei und eröffneten so noch unerschlossene Forschungsfelder. Mit großer Freude erinnere ich mich noch an die engagierten Gespräche mit ihnen, als es in der Vorbereitungsphase darum ging, wie Form und Inhalt dieses Bandes gestaltet werden sollten, sowie in der spannenden Phase der Fertigstellung der einzelnen Beiträge.

Ein großer Dank gebührt Kirsten Krebber für ihre redaktionelle Betreuung dieses Buchprojekts, die außerdem zusammen mit Dr. Frauke Schmitz-Gropengießer, der ich an dieser Stelle ebenfalls herzlich danke, sehr aufmerksam und mit großem Einfühlungsvermögen das Lektorat für dieses Buch übernommen hat. Auch möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen Beate Baumgartner und Karin Moos für ihre überaus hilfreiche Unterstützung bei organisatorischen Fragen und bei der Protokollführung während der Planungssitzungen sehr herzlich bedanken.

Allen, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen haben, gilt mein Dank gleichermaßen. Zu nennen sind hier die Mitarbeiter des Herder Verlags Herr Dr. Patrick Oelze und Frau Miriam Eisleb sowie des Karl Alber Verlags Herr Dr. Lukas Trabert, dank deren fachlicher Kompetenz und freundlicher Art wir uns stets gut betreut wussten.

Im März 2020, Dieter Vaitl

Inhalt

Vorwort (Dieter Vaitl)

Teil I. Historischer Abriss

1. Wie alles begann: Frühe Geschichte des IGPP (von den Anfängen bis zu Hans Benders Tod) (Eberhard Bauer & Dieter Vaitl)

2. Dokumentation einer unerwarteten Entwicklung: Das IGPP in den Brückenjahren (1991 bis 1995) (Uwe Schellinger)

3. Eine prekäre Situation: Förderung durch die Holler-Stiftung ist bedroht (Dieter Vaitl)

4. Umbruch und Neuorientierung: Das Institut zwischen 1996 und 2020 – ein kurzer Überblick (Uwe Schellinger & Dieter Vaitl)

Teil II.Neue Konzepte

1. Neue Institutssatzung (Dieter Vaitl)

2. Multidisziplinarität und reflexive Anomalistik – Neukonzeption des Instituts (Dieter Vaitl)

3. Förderung von Kooperationsprojekten (Frauke Schmitz-Gropengießer & Dieter Vaitl)

Teil III.Forschungsschwerpunkte

1.1 Experimentell-naturwissenschaftlicher Forschungsbereich – Einführung (Dieter Vaitl)

1.2 Konzeptuelle und formale Modelle zum psychophysischen Problem (Harald Atmanspacher)

1.3 Wahrnehmungsforschung und das psychophysische Problem (Jürgen Kornmeier)

1.4 Geist und Materie: Psychophysikalische Forschung am IGPP (Jioí Wackermann)

1.5 Zeit, Bewusstsein und Selbst (Marc Wittmann)

1.6 Psychophysiologische Perspektive auf das Außergewöhnliche (Wolfgang Ambach)

1.7 Internationaler Forschungsverbund »Veränderte Bewusstseinszustände«[Consortium Altered States of Consciousness (ASC)] (Dieter Vaitl)

1.8 Das Bender Institute of Neuroimaging (BION) (Dieter Vaitl & Ulrich Ott)

1.9 Direkte mentale Interaktion: Ein Labor für parapsychologische Experimente (Stefan Schmidt)

1.10 Mind-Machine Interaction Consortium (Dieter Vaitl & Stefan Schmidt)

2.1 Kultur-, sozialwissenschaftlicher und wissenschaftshistorischer Forschungsbereich – Einführung (Dieter Vaitl)

2.2 Das Außergewöhnliche im sozialen Kontext: Die Abteilung »Empirische Kultur- und Sozialforschung« (2002–2013) (Michael Schetsche)

2.3 Die Nahtoderfahrung (Ina Schmied-Knittel)

2.4 Spiritualität und psychotherapeutische Praxis (Liane Hofmann)

2.5 Wissenschaftsgeschichte der Grenzgebiete (Uwe Schellinger)

2.6 Das Okkulte im Museum: Ausstellungsprojekte mit Beteiligung des IGPP (Andreas Fischer)

Teil IV. Beratung und Information

1. Beratungspsychologie am IGPP (Eberhard Bauer & Wolfgang Fach)

2. Beratungspsychologische Begleitforschung (Wolfgang Fach & Eberhard Bauer)

3. Die Forschungsbibliothek – Entwicklung und Bestände (Eberhard Bauer)

4. Das Forschungsarchiv – Entwicklung und Bestände (Uwe Schellinger)

Teil V.Ausblick

Vision und Gegenwart. Grenzgebietsforschung in der öffentlichen Wahrnehmung und die Zeitläufe (Gerhard Mayer)

Anhänge

Förderung interner Projekte

Förderung externer Projekte

Forschungsarchiv (Übersicht) des IGPP

Autorenverzeichnis

Allgemeine Angaben

Stichwortregister

Vorwort

Dieter Vaitl

Ein wissenschaftliches Institut, das wie das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) 70 Jahre alt geworden ist, hat in der Regel eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Dies hängt, wie bei allen Organismen und Systemen, die sich entwickeln, von zahlreichen Faktoren ab, von förderlichen wie von hemmenden. Hierzu zählen der Ideenreichtum der Akteure, die finanziellen und materiellen Ressourcen, aber auch die zeitgeschichtlich gebundenen und sozial geformten Mentalitäten derer, die das wissenschaftliche Aktionsfeld – mit dem für sie als gültig erachteten Weltbild – dominieren. Ist ein Institut überhaupt, so könnte man fragen, auf lange Sicht »überlebensfähig« und widerstandsfähig genug, wenn es sich hauptsächlich der Erforschung von Ungewöhnlichem verschrieben hat, sich also in Grenzbereichen bewegt, deren Untersuchungswürdigkeit allenthalben in Zweifel gezogen oder gar in Abrede gestellt wird? Bis vor kurzem – etwa bis zum Jahr 2002 – rubrizierte man Forschungsthemen dieser Art unter dem Begriff der Pseudowissenschaft. Gern genannte Beispiele sind Magie, Alchemie, Astrologie, Hexerei, Parapsychologie, Okkultismus oder C. G. Jungs Archetypenlehre. Selbst wenn der Begriff der Pseudowissenschaft mittlerweile obsolet geworden ist, besteht nach wie vor das Dilemma, dass es bislang noch keine befriedigende Lösung gibt, die die Übergänge von der einen zur anderen Wissenschaftskultur klar zu markieren erlaubte (Lux & Paletschek, 2016). Und mit diesem Dilemma ist ein Institut wie das IGPP permanent konfrontiert, ja man könnte sogar so weit gehen zu behaupten, dass die Auseinandersetzung damit zu seinem Wesenskern gehört. Welche förderlichen oder hemmenden Entwicklungsstränge dieses Diskursfeld in sich birgt, wird sich zeigen müssen. Ein Spannungsfeld bleibt es nach wie vor.

Ein Faktor, der die Entwicklung des Instituts nicht minder beeinflusst hat, ist die Spannung zwischen wissenschaftlicher Legitimation und gesellschaftlicher Relevanz. Die außergewöhnlichen Phänomene und Erlebnisse, die zu erforschen das Institut gegründet wurde, gehören, wie wir heute wissen, zur Alltagswirklichkeit. Sie erschrecken und faszinieren zugleich. Ihr Status des »Außergewöhnlichen« resultiert keinesfalls aus ihrer Seltenheit, sondern aus der spezifischen gesellschaftlichen Etikettierung dieses Erfahrungsbereichs und nicht zuletzt aus dem Mangel an zufriedenstellenden Erklärungen.

Wie aber begegnet die Wissenschaft dem »Außergewöhnlichen«? Das Spektrum der Reaktionen reicht von enthusiastischer Akzeptanz bis hin zu provokantem Zweifel oder gar kategorischer Ablehnung. Nehmen wir als Beispiel die Parapsychologie, kennzeichnend für eine Grenzbereichsdisziplin par excellence. Aus wissenschaftshistorischer Sicht ist sie, wie die Wissenschaftshistorikerinnen Lux und Paletschek zu Recht argumentieren, vor allem deswegen von Bedeutung, weil über »ihre Anerkennung oder Nichtanerkennung in der Wissenschaftsgemeinschaft (»scientific community«) Einblicke in die epistemischen und sozialen Bedingungen der Konstruktion von Wissenschaft gewonnen werden sowie generelle Fragen der Disziplinbildung studiert werden« (Lux & Paletschek, 2016: 3). Hier zeigt sich exemplarisch, wie dieses Fach eng mit verschiedenen anderen gesellschaftlichen Feldern wie dem der Wissenschaft allgemein, dem universalen Weltbild, der Kultur und Religion, aber auch mit dem der Unterhaltung verbunden ist. So bleibt nach wie vor der strenge Diskurs zwischen Wissenschaftlichkeit und Populärkultur – im Sinne der medial vermittelten Faszination – ein wesentliches Merkmal dieses Phänomenbereichs. Ähnliches gilt aber nicht allein für die Parapsychologie, sondern im Prinzip für alle Disziplinen, die sich mit grenzwissenschaftlichen Fragen beschäftigen. Dies ist, wie wir noch sehen werden, Thema und Forschungsziel der sogenannten Anomalistik. Die Axiomatik dieses fächerübergreifenden Forschungsfeldes wird als Leitlinie des gegenwärtigen Instituts im Zentrum der kommenden Ausführungen stehen. Zunächst aber werfen wir einen Blick auf die Entstehung und frühe Geschichte des Instituts (Teil I).

Am 19. Juni 1950 eröffnete Hans Bender das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene auf der Eichhalde 12 in Freiburg im Breisgau. Dies war zur damaligen Zeit eine erstaunliche Leistung, wenn man die wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland bedenkt. Der Eröffnung gingen dreieinhalb Jahre schwieriger Aufbauarbeiten voraus, die Hans Bender mit Zähigkeit und sozialem Geschick vorangetrieben hat. Entscheidende Förderung und eine gewisse Zukunftssicherung erfuhr das junge Institut (im Volksmund »Eichhalde-Institut« genannt) durch eine Stiftung der Schweizer Biologin und Parapsychologin Fanny Moser (1872–1953). Sie war bekannt geworden durch ihre wegweisenden Untersuchungen von Spukphänomenen. Diese Mittel erlaubten in relativ bescheidenem Umfang Forschungen zu parapsychologischen Phänomenen, und zwar zu Themengebieten, die zur damaligen Zeit zur Diskussion standen. Hierzu zählten u. a. Untersuchungen zu Grenzgebieten der Psychologie, zu Spontanberichten über sonderbare Erlebnisse und Spukphänomene, qualitative und quantitative Experimente, methodische Fragen, Modellansätze und theoretische Überlegungen, interdisziplinäre Aktivitäten und nicht zuletzt die besondere Rezeptionsgeschichte der Parapsychologie selbst. Einzelheiten zu diesen Themenfeldern finden sich in einem eigenen Kapitel, in dem die Vorgeschichte des Instituts, im Wesentlichen unter der Ägide von Professor Hans Bender, geschildert wird (Kapitel I.1). Der Schwerpunkt der vorliegenden Institutsgeschichte aber liegt auf der Nach-Bender-Ära; denn hier war das Institut gefordert, sich eine neue Form zu geben und sein Verhältnis zu den Grenzgebieten im weitesten Sinne neu zu bestimmen. Der entscheidende Impuls dazu kam von einem Ereignis, das niemand hatte vorhersehen können: dem Zufluss von Stiftungsmitteln (Holler- Stiftung) in ungeahnter Höhe. Der Nachfolger von Professor Hans Bender, sein ehemaliger Assistent Dr. Johannes Mischo, und der neu gewählte Vorstand des Instituts standen vor der nicht einfachen Aufgabe, die traditionellen Schwerpunkte des Instituts, nämlich die Forschung, Beratung und Information in relativ kurzer Zeit neu zu strukturieren und erheblich auszuweiten. Es galt im Grunde, ein neues Institut zu entwerfen.

Die vorliegende Institutsgeschichte verfolgt ein zweifaches Anliegen. Zum einen soll geschildert werden, wie sich die Erweiterung und Neukonzeption des Instituts gestaltete, zum anderen werden einzelne Forschungsansätze und -ergebnisse relativ ausführlich dargestellt, damit sich der Leser ein Bild machen kann, wie sich Forschung in diesem Institut vollzieht bzw. vollzogen hat. Dies ist sowohl intern, von der Institutsstruktur her, als auch extern, von der Wissenschaftsgeschichte her, von Bedeutung.

Die Übergangsphase nach Benders Tod verlief im Wesentlichen so wie in der Zeit, als Bender noch das Institut leitete. Es bestand kein Anlass, grundlegende Änderungen vorzunehmen, da die knappen finanziellen Ressourcen derlei sowieso nicht erlaubten. Dies änderte sich, wie bereits angedeutet, 1992 schlagartig durch den erheblichen Zufluss an Stiftungsmitteln aus der Holler-Stiftung. Geschildert werden die Probleme, die sich aus dem Sachverhalt der sogenannten Thesaurierung ergeben, das heißt, die Stiftungsmittel können nicht zeitnah für die Stiftungszwecke ausgegeben werden. Um die drohende Gefahr abzuwenden, aus dem Kreis der Begünstigten ausscheiden zu müssen, wurden verschiedene Maßnahmen, organisatorische wie konzeptuelle, ergriffen, die komplex waren und viel Zeit in Anspruch nahmen. Eine wichtige Maßnahme war die Änderung der Institutssatzung. Hier mussten die Grenzgebiete neu definiert und der Stellenwert der Parapsychologie relativiert werden, ohne das generelle Förderungsziel, nämlich die Grenzgebiete, aus den Augen zu verlieren. Eng damit verbunden war die Neukonzeption des Instituts. Sie wurde vor allem vom neuen Institutsleiter, Professor Dr. Dieter Vaitl von der Universität Gießen, vorangetrieben, der 2001 die Nachfolge von Professor Dr. Johannes Mischo als Institutsleiter und Vorsitzender des Vorstands angetreten hat. Hier ging es zunächst um die Kernfrage, was unter Grenzgebieten zu verstehen sei und mit welchem Methodenarsenal sie einer wissenschaftlichen Erforschung zugänglich zu machen sind. Es stellte sich heraus, dass Grenzgebiete nicht nur auf die Psychologie beschränkt zu betrachten sind, sondern dass sie in jeder wissenschaftlichen Disziplin vorkommen können. Die neue Disziplin, die dem Rechnung trägt, ist die Anomalistik. An ihr orientierten sich die Neukonzeption des Instituts und sein Forschungsprofil. Sie war der Axiomatik einer reflexiven Anomalistik verpflichtet. Auf dieser konzeptuellen Basis wurde es möglich, das Themenfeld der Forschungsförderung zu erweitern und einen multidimensionalen Forschungsansatz systematisch zu verfolgen. Das neue Forschungskonzept ist ein dezidiert wissenschaftliches, das sich bewusst von Metaphysik und religiösen Dogmen abgrenzt. »Reflexiv« meint in diesem Zusammenhang eine Anomalistik, die sich der erkenntnistheoretischen Besonderheiten der untersuchten Phänomene sowie der damit verbundenen Problemlage bewusst ist und die unausweichliche Verschränkung zwischen subjektiven Evidenzen, wissenschaftlichen Daten und gesellschaftlichen Diskursen bei ihrer Forschung berücksichtigt und formalisiert (Mayer & Schetsche, 2016). Umfassende Ausführungen zu diesen Gedanken, zu Phänomenbereichen, Methoden und Erklärungsansätzen finden sich in dem 2015 vom IGPP herausgegebenen Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik »An den Grenzen der Erkenntnis« (Herausgeber: G. Mayer, M. Schetsche, I. Schmied-Knittel & D. Vaitl). Es wird also bewusst auf den Begriff der traditionellen Parapsychologie verzichtet, der zwar in der Vergangenheit repräsentativ für das Feld der Grenzgebiete war, beim jetzigen Stand der Forschung aber eine zu strenge thematische und methodische Beschränkung bedeutet hätte. Dennoch leitet sich die Mission des Instituts nach wie vor aus dem Grundanliegen seines Gründers Hans Bender her, nämlich aufklärend zu wirken, wo immer Grenzerfahrungen und -phänomene auftauchen, die dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Weltbild zuwiderlaufen und Unruhe stiften. Dies erfordert paradigmatische Offenheit und methodischen Pluralismus.

Die Neukonzeption des Instituts machte zwei grundlegende Änderungen nötig: Zum einen musste, wie schon erwähnt, die Institutssatzung neu verfasst werden, zum anderen galt es, ein Forschungskonzept zu entwerfen, in dem eine Balance zwischen herkömmlicher, sogenannter Mainstream-Forschung, und Forschung in noch unerschlossenen Grenzgebieten angestrebt wird. Dies führte zwangsläufig zur Frage nach einem sinnvollen Verhältnis zwischen Forschungsansätzen mit hohem bzw. niedrigem Risikopotenzial oder kurz: dem Verhältnis zwischen Orthodoxie und Heterodoxie. Dabei stellte sich heraus, dass nicht mehr die traditionelle Parapsychologie allein den Kernsatz an Forschungsfragen liefert, sondern, dem Konzept der Anomalistik folgend, auch Grenzbereiche in anderen Disziplinen als Forschungsfeld infrage kommen. Diese Überlegungen fanden letztlich Eingang in die neue Fassung der Institutssatzung und Neukonzeption des Instituts. In Teil II des vorliegenden Bandes liefern die Kapitel II.1 und II.2 die Details zu diesen Fragen. Neben diesen grundsätzlichen Überlegungen gibt Kapitel II.3 einen ersten Überblick über die Forschungsprojekte, die bis zum Jahr 2000 gefördert worden sind.

Teil III des Buches ist den aktuellen Forschungsaktivitäten des Instituts gewidmet. Er soll dem an grenzwissenschaftlichen Fragen interessierten Leser einen Einblick in theoretische Konzepte, Forschungsmethoden und Ergebnisse vermitteln. Es sind Abhandlungen aus der subjektiven Sicht der Akteure, die am Institut Forschung in Gang gesetzt und zur Entwicklung und Profilierung von speziellen Forschungsfeldern beigetragen haben.

Es existieren am Institut drei große Forschungsschwerpunkte: der experimentell-naturwissenschaftliche, der kultur-, sozialwissenschaftliche und wissenschaftshistorische sowie der beratungspsychologische Forschungsschwerpunkt. Alle, die in diesen Forschungsschwerpunkten mitarbeiten, verfügen über eine entsprechende akademische Ausbildung, besitzen ein Diplom oder sind in diesen Disziplinen entweder promoviert oder habilitiert. Die Forschung des Instituts war und ist in der Wissenschaftswelt von heute verankert.

Der experimentell-naturwissenschaftliche Forschungsschwerpunkt knüpft an die Themenkreise an, die schon zu Benders Zeiten zu den zentralen Fragestellungen zählten, nämlich die Frage nach den biophysikalischen Hintergründen von Grenzbereichen, nicht nur der Parapsychologie im Besonderen, sondern von außergewöhnlichen psychologischen Vorgängen und Phänomenen ganz allgemein. Hierzu zählen theoretische wie experimentell- praktische Forschungsansätze. Beispiele, die in eigenen Kapiteln in Teil III abgehandelt werden, sind die verallgemeinerte Quantentheorie, das Problem der psychophysischen Beziehungen, die Physiologie von subjektiven Evidenzen (Tatbestände, die in der alltäglichen Arbeit des Instituts häufig anzutreffen sind, wie Täuschung, Lüge, Pseudoerinnerung), Zeit und Raum als fundamentale Bewusstseinsdimensionen, Fragen zur »Objektivität« unserer Wahrnehmung und schließlich das weite Feld veränderter Bewusstseinszustände. Um dieses letztgenannte Forschungsfeld nach den Regeln moderner Forschungspraxis bearbeiten zu können, wurde 2000 an der Universität Gießen ein eigenständiges Institut für Hirnforschung, das Bender Institute of Neuroimaging (BION), errichtet (s. Kapitel III.1.8). Es steht als externe Forschungseinrichtung seither für die neurowissenschaftlichen Untersuchungen von Gehirnprozessen, insbesondere bei veränderten Bewusstseinszuständen, zur Verfügung. Über die Grenzen von Freiburg und Gießen hinaus wurde ein internationaler Forschungsverbund zur Erforschung veränderter Bewusstseinszustände (Altered States of Consciousness, ASC-Consortium) ins Leben gerufen, in dem Forscher und externe Universitätsinstitute zusammengeschlossen waren, die über langjährige Erfahrung in der Erforschung der psychobiologischen Grundlagen von veränderten Bewusstseinszuständen verfügten (s. Kapitel III.1.7). Damit erreichte das IGPP Anschluss an das internationale Forschungsfeld.

Zu Beginn der Forschungsgeschichte des Instituts standen Methoden zur Verfügung, die zu großen Teilen der Psychologie, der Medizin und den Geisteswissenschaften entstammten. Wie sehr auch immer die Interdisziplinarität im Bereich der Grenzbereichsforschung beschworen wurde, fehlte bis vor nicht allzu langer Zeit eine wichtige Disziplin: die Sozialwissenschaft. Sie wurde in den sozial- und kulturwissenschaftlichen und wissenschaftshistorischen Forschungsschwerpunkt integriert. Zu den sozialwissenschaftlichen Untersuchungsfeldern zählen beispielsweise außergewöhnliche Erfahrungen, ihre individuelle und kollektive Deutung (z. B. Nahtoderfahrungen), spirituelle, okkulte und magische Denkformen und Handlungspraxen, soziale Verbreitung heterodoxer Glaubenssysteme und Wirklichkeitskonstrukte oder die Organisation esoterischer und alternativreligiöser Gruppierungen. Hier greifen oft sozialwissenschaftliche und kulturwissenschaftliche Themenfelder ineinander. Historisch interessant ist vor allem die bunte Palette der Wissenschaftsgeschichte, inklusive der Problem- und Rezeptionsgeschichte parapsychologischer Forschung und ihrer Vorläufer seit dem 19.  Jahrhundert bis zur Gegenwart.

Teil IV des Bandes ist dem Thema Beratung und Information gewidmet. Seit seiner Gründung 1950 bietet das Institut der Öffentlichkeit einen Informations- und Beratungsservice an, und zwar zum gesamten Spektrum der Parapsychologie, Grenzwissenschaften und anomalistischen Phänomene. Außerdem steht unentgeltlich ein besonderes Beratungs- und Therapieangebot für Menschen mit außergewöhnlichen Erfahrungen zur Verfügung. Das umfangreiche Datenmaterial, das die Beratungsstelle des Instituts über die Jahre hinweg gesammelt hatte, und die systematische Verarbeitung desselben haben zur Einrichtung eines eigenen Forschungsschwerpunkts geführt: die beratungspsychologische Begleitforschung. Sie verfolgt die konzeptuelle Entwicklung und praktische Erprobung von speziellen Diagnostik- und Behandlungskonzepten für Menschen mit diesen Erfahrungen.

Ein besonderer und intensiv gepflegter Bestandteil des Instituts ist dessen Bibliothek. Aufgabe der Institutsbibliothek ist seit der Institutsgründung die systematische und möglichst vollständige Erfassung des in- und ausländischen Schrifttums, das sich mit dem Gesamtgebiet parapsychologischer und anomalistischer Forschung befasst. Dank der Sachmittel der Holler-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemeinschaft konnte das Akquisitionsprogramm erheblich erweitert werden. Mit gegenwärtig mehr als 65000 Bänden gehört die Freiburger Bibliothek mittlerweile zu den größten dieser Art in Europa. Sie wächst jedes Jahr um ca. 600 Bände. Gegenwärtig bezieht sie 174 Zeitschriften und Mitteilungsblätter aus aller Welt. Vollständig vorhanden sind alle internationalen Fachzeitschriften für parapsychologische Forschung und Anomalistik. Ihr aktueller Zeitschriftenbestand umfasst ca. 2200 Nachweise, von denen mehr als die Hälfte Unikate sind, also nur in der Freiburger Spezialbibliothek vorhanden. Dies macht diese Bibliothek zu einer in Deutschland und Europa einzigartigen Informationsquelle für alle mit den Grenzbereichen der Forschung zusammenhängenden Fragen. Einzelheiten hierzu, wie Geschichte, historische Bestände oder das Sammelprofil der Bibliothek, sind in Kapitel IV.3 dargestellt.

Ähnliche Aufgaben wie die Institutsbibliothek hat sich auch das Archiv des Instituts zum Ziel gesetzt. Seine Hauptaufgabe besteht darin, Materialien, die für die Kultur- und Wissenschaftsgeschichte der Parapsychologie bzw. der Grenzgebiete der Psychologie, aber auch für die Institutsgeschichte von Bedeutung sind, zu sichern, zu erschließen und nutzbar zu machen. Aufgrund seines speziellen und einzigartigen Profils besitzt es heute eine besondere Bedeutung in der deutschen und europäischen Wissenschaftslandschaft. Zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten zu unterschiedlichen kultur- und wissenschaftshistorischen Studien sind mithilfe von Materialien aus dem Institutsarchiv entstanden. Kapitel IV.4 vermittelt einen Einblick in Sammelbestände und Nutzung.

Zu einem speziellen Nutzungsbereich sind in der Vergangenheit die fotografischen Sammlungsbestände des Archivs geworden. In ihnen schlummert ein Reichtum, der schon in zahlreichen kunst- und kulturhistorischen Ausstellungsprojekten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist und sich eines wachsenden Interesses erfreut. Wie sehr sich die ästhetische Praxis mit dem »Okkulten« auseinandersetzt, hat sich in den vergangenen Jahren in zunehmendem Maße in Ausstellungsprojekten gezeigt, an denen das IGPP beteiligt war. Ein eigenes Kapitel (III.2.6) schildert, wie das »Okkulte« in die zeitgenössische bildende Kunst und Ausstellungspraxis Einzug hält, welche Verbreitungslinien und Aneignungsformen es gibt und insbesondere, welche Rolle das IGPP dabei spielt.

Galten die bisherigen Ausführungen vorwiegend den wissenschaftlichen Aspekten, kommt in Teil V noch ein Phänomen zur Sprache, das das Selbstverständnis des Instituts gleichermaßen tangiert: Es ist die Faszination, die von dem bunten Spektrum außergewöhnlicher Ereignisse und Erlebnisse ausgeht und die das zunehmende Interesse moderner Gesellschaften an »Esoterischem«, »Spiritistischem« oder »Okkultem« bedient. Das Echo, das diese Themen in der Welt der Medien gefunden haben, ist ein klares Zeichen für die gesellschaftliche Verankerung dieser Deutungsmuster. Lux und Paletschek (2016) sehen darin zu Recht eine Verschränkung mit gesellschaftlichen Prozessen wie Säkularisierung, Individualisierung, Fortschrittsgläubigkeit, Mediatisierung oder Kritik an der Moderne. Und nicht zuletzt kommt dem Außergewöhnlichen ein hoher Unterhaltungswert zu: Spektakel gefällt eben! Die unspektakulären Ergebnisse dagegen, die die Wissenschaft präsentiert, werden gerne marginalisiert oder bleiben stets unbeachtet am Rande. Das ist das soziale Umfeld, in dem das Institut operiert. Es ist eine Gratwanderung zwischen der akademischen Welt der Wissenschaft und anderen institutsfernen Räumen gesellschaftlichen Lebens (Religion, Kunst, Unterhaltung). Da jede wissenschaftliche Disziplin mehr oder weniger bewusst in einem solchen Spannungsfeld lebt, mag das IGPP ein exemplarischer Fall dafür sein, wie sich unter diesen Umständen die Produktion von Wissen vollzieht und sich ein Diskurs darüber gestalten lässt.

Ich wünsche, dass dieses Buch über die Geschichte des IGPP zur Bewässerung unserer oftmals verkrusteten Hirne beitragen und dabei die Lust wecken möge, mehr über Grenzfälle des Lebens zu erfahren.

Literatur

Lux, A. & Paletschek, S. (2016): Institutionalisierung und Parapsychologie. Eine Hinführung. In: Okkultismus im Gehäuse. Institutionalisierung der Parapsychologie im 20. Jahrhundert im internationalen Vergleich, hrsg. von A. Lux & S. Paletschek, De Gruyter Oldenburg, Berlin & Boston, 1–36.

Mayer, G. A. & Schetsche, M. T. (2016): On anomalistic research: The paradigm of reflexive anomalistics. Journal of Scientific Exploration 30 (3), 374–397.

Mayer, G.; Schetsche, M.; Schmied-Knittel, I.  & Vaitl D., Hrsg. (2015): An den Grenzen der Erkenntnis. Handbuch der wissenschaftlichen Anomalistik. Schattauer, Stuttgart.

Teil I. Historischer Abriss

I.1. Wie alles begann: Frühe Geschichte des IGPP (von den Anfängen bis zu Hans Benders Tod)

Eberhard Bauer & Dieter Vaitl

Das IGPP blickt heute auf eine siebzigjährige Geschichte zurück. Wie es entstanden ist und welche Ziele es verfolgte, wird im Folgenden in groben Zügen geschildert.1 Das Hauptgewicht liegt dabei auf verschiedenen Forschungsetappen und -schwerpunkten und beruht im Wesentlichen auf den Publikationen, die sich in der vom Institut herausgegebenen Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie finden. Im Zentrum der Grenzgebiete, denen sich das Institut widmet, steht nach dem damaligen Verständnis die Parapsychologie. Sie ist in ihrer Struktur eine interdisziplinäre Wissenschaft. Sie untersucht mithilfe bewährter natur- und sozialwissenschaftlicher Methoden eine Reihe ungewöhnlicher (»anomaler«) Erlebnis- und Verhaltensweisen des Menschen, die aus dem etablierten Erklärungsrahmen herausfallen bzw. herauszufallen scheinen und die unter dem Kürzel »Psi«, dem 23. Buchstaben des griechischen Alphabets, zusammengefasst werden. Die Psi-Phänomene werden üblicherweise in zwei Gruppen unterteilt: Die erste wird als »außersinnliche Wahrnehmung« (ASW) bezeichnet, die zweite als »Psychokinese« (PK). Unter ASW fällt die Untersuchung der Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Menschen in der Lage sind, Informationen außerhalb bisher bekannter sensorischer Kanäle aufzunehmen und/oder weiterzugeben, wobei drei Formen unterschieden werden: Telepathie (als »direkter« psychischer Kontakt zwischen zwei Menschen), Hellsehen (als »direkter« Informationserwerb von Sachverhalten, die sonst niemandem bekannt sind), Präkognition (als »direkter« Informationserwerb zukünftiger Vorgänge, die rational nicht erschließbar sind und die auch nicht als Folge der Vorhersage auftreten dürfen). Unter PK fällt die Untersuchung der Frage, ob und unter welchen Bedingungen Menschen in der Lage sind, eine »direkte« psychische Wirkung auf physikalische Systeme auszuüben, die den bisher bekannten oder akzeptierten wissenschaftlichen Erklärungsmodellen zu widersprechen scheint. Gegenstand der Parapsychologie bilden also Berichte über sogenannte Psi-Anomalien, die außerhalb der üblichen wissenschaftlichen Vorstellungen von Raum, Zeit, Energie oder Kausalität zu stehen scheinen. Wird ein bestimmtes Ereignis als »Psi- Phänomen« klassifiziert, wird damit nur ausgesagt, dass alle bisher bekannten (z. B. physikalischen) Wechselwirkungen zwischen Menschen untereinander oder zwischen Menschen und ihrer Umwelt zuverlässig ausgeschlossen worden sind. Die Bezeichnungen Telepathie oder Psychokinese für eine solche unbekannte Wechselwirkung stellen also keine Erklärung dar, sondern bedeuten lediglich die Aufforderung, nach einer wissenschaftlichen Erklärung zu suchen.

1. Forschung und Lehre: Parapsychologie in Freiburg

Der offizielle Beginn der Freiburger Parapsychologie datiert vom 19. Juni 1950. An diesem Tag eröffnete Hans Bender (Abbildung 1) das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V. auf der Eichhalde 12 in Freiburg im Breisgau (Abbildung 2). Vorausgegangen waren dreieinhalb Jahre einer schwierigen Aufbauphase, bedingt durch die wirtschaftliche Situation im Nachkriegsdeutschland. Entscheidende Förderung und eine gewisse Zukunftsgarantie erfuhr das junge »Eichhalde-Institut« durch eine Stiftung der Schweizer Biologin und Parapsychologin Fanny Moser (1872–1953) (Abbildung 3).

Abb. 1: Institutsgründer Professor Hans Bender (1907–1991)

Abb. 2: Institutsgebäude »Eichhalde 12« in Freiburg-Herdern, von 1950–1996 Sitz des IGPP

Abb. 3: Stifterin Dr. Fanny Moser (1872–1953)

1954 wurde Hans Bender an der Universität Freiburg ein planmäßiges Extraordinariat für Grenzgebiete der Psychologie übertragen, dem unter der Bezeichnung »Abteilung für Psychologie und Grenzgebiete der Psychologie« Räumlichkeiten und Einrichtungen (Bibliothek, Apparaturen) des Eichhalde-Instituts zur Verfügung gestellt wurden. Die außerordentliche Professur wurde 1967 in ein Ordinariat für Psychologie und Grenzgebiete der Psychologie umgewandelt und zugleich dem Psychologischen Institut der Universität eine »Abteilung für Grenzgebiete der Psychologie« angegliedert. Diese enge Verflechtung dokumentierte sich auch in der jahrzehntelangen Tätigkeit Hans Benders als akademischer Lehrer: Viele Jahre hindurch lag der Akzent seiner Lehrtätigkeit auf »normalpsychologischen« Fächern, wie z. B. Charakterkunde und Ausdruckspsychologie, Traumpsychologie, später auch Sozialpsychologie (lange Zeit nur von ihm vertreten). Das Verhältnis seiner normalpsychologischen Lehrveranstaltungen zu jenen aus dem Bereich »Parapsychologie/Grenzgebiete der Psychologie« betrug etwa 70 zu 30 Prozent. Hans Bender hatte die Doppelfunktion von Lehrstuhlinhaber und Direktor des Privatinstituts bis 1975 inne, dem Jahr seiner Emeritierung, in dem es zu einer Entflechtung der beiden Institutionen kam. Als Nachfolger wurde sein Assistent Johannes Mischo berufen, der sich 1972 mit der Arbeit »Außersinnliche Wahrnehmung – spontane Erfahrung und quantitativ-statistisches Experiment als Gegenstand der Forschung« als erster deutscher Psychologe über ein parapsychologisches Thema habilitieren konnte. Zu den Aufgabenbereichen der Abteilung gehörten neben der Forschung in erster Linie Lehrveranstaltungen für Hauptfachstudenten der Psychologie (Psychologische Diagnostik, Persönlichkeits- und Sozialpsychologie) (zum Studium der Parapsychologie an der Universität Freiburg vgl. auch Abschnitt 6 in diesem Kapitel). Es gab also in jenen Jahren – entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis – an der Universität Freiburg weder einen »Lehrstuhl« noch ein »Institut für Parapsychologie« unter dieser Bezeichnung.

2. Das Sprachrohr der Freiburger Parapsychologie: Die Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie

1957 gründete Hans Bender die Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie, die damals das einzige wissenschaftliche Fachorgan für Parapsychologie in der Bundesrepublik war. Sie berichtet in empirisch und theoretisch orientierten Originalarbeiten, in Sammelreferaten und Fallstudien über Methoden, Ergebnisse und Probleme der Parapsychologie, über psychische und psychophysische Phänomene, die anscheinend nicht in den Bereich heute anerkannter Gesetzmäßigkeiten fallen (wie Telepathie, Hellsehen, Präkognition, Psychokinese). Sie informiert über den internationalen Stand der Forschung. In den Themenbereich aufgenommen werden ferner Fragestellungen aus dem Gebiet der Diagnostischen und Klinischen Psychologie, der Sozialpsychologie und Psychohygiene, die sich auf den individuellen und kollektiven Glauben an »außergewöhnliche« Fähigkeiten und Zusammenhänge beziehen, wie etwa Fragen der außerschulischen Medizin. Besondere Aufmerksamkeit gilt den interdisziplinären Beziehungen der parapsychologischen Forschung.

3. Die Spezialbibliothek »Parapsychologie/Grenzgebiete der Psychologie«

Seit 1970 begannen mit Starthilfe der Volkswagenstiftung der systematische Aufbau und die Erschließung einer möglichst vollständigen Literatursammlung auf dem Gebiet der Parapsychologie und angrenzender Bereiche. Dabei konnten die aus den Stiftungen Albert Freiherr von Schrenck-Notzing (1862–1929) und Fanny Moser stammenden Bestände inkorporiert werden. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) hat seit 1973 die Sammlung in den Rahmen ihres Förderprogramms von überregional bedeutenden Spezialbibliotheken aufgenommen (Fördervolumen 1988: etwa 38.500 DM). Zum Sammelprofil gehören nicht nur in- und ausländische Neuerscheinungen zum Themenkreis von Parapsychologie, Okkultismus und Spiritismus im engeren Sinne, sondern auch Publikationen zu anderen »unorthodoxen Gebieten« wie z. B. Astrologie, außerschulmäßige Diagnose- und Heilmethoden, Radiästhesie, Ufologie oder auch das große Gebiet der Anomalistik. Die Spezialbibliothek umfasste 1987 mehr als 20000 monografische Werke und – Stand: März 1987 – 549 Zeitschriftentitel, von denen 333 Unikate sind, also nur in der Freiburger Bibliothek vorhanden und einsehbar. Dieses Zeitschriftenverzeichnis dürfte das umfassendste sein, das es in dieser Art in der Bundesrepublik und vermutlich auch in Europa gibt. Weitere Informationen finden sich im Kapitel IV.3.

4. Überblick über die Forschungsarbeiten im Freiburger Institut

Die Vielfalt der Fragestellungen, die in Freiburg im Laufe der ersten vier Jahrzehnte bearbeitet wurden, spiegelt die Komplexität des Fachgebiets wider. Eine ausschließliche Konzentration auf ein einziges festumrissenes Forschungsprogramm war nie angestrebt worden. Dennoch zeigen sich in der Retrospektive die Konturen von Forschungsschwerpunkten, die spezifische empirische, methodische und theoretische Probleme der Parapsychologie zum Gegenstand haben und ein Raster für eine Darstellung der Freiburger Parapsychologie liefern.

Die hier dargestellten Themenblöcke enthalten dadurch eine Einteilung und Gewichtung, die im Wesentlichen dem der damaligen Begründungsproblematik der Parapsychologie entspricht. Dabei wird ein Bogen von den Spontanberichten, Bevölkerungsumfragen, Laborexperimenten bis hin zu methodischen und theoretischen Überlegungen gespannt. Die Themenblöcke werden im Einzelnen wie folgt benannt: 1. Grenzgebiete der Psychologie; 2. Spontanberichte; 3. Spukphänomene; 4. Qualitative Experimente; 5. Quantitativ-statistische Experimente; 6.  Methodologische Fragen; 7. Modellansätze und theoretische Überlegungen; 8. Interdisziplinäre Wechselwirkungen.

4.1 Grenzgebiete der Psychologie

Unter diesem Stichwort sind die sozial- und persönlichkeitspsychologischen sowie psychohygienischen Fragen versammelt, die sich auf ungewöhnliche Fähigkeiten und Beobachtungen, Praktiken und Vorkommnisse beziehen (z. B. geistige Heilung, Radiästhesie, Biorhythmik, Astrologie, UFO-Sichtungen). Der Umgang damit ist in allen Teilen der Bevölkerung weitverbreitet. Diese und ähnliche nicht unmittelbar zum Fach Psychologie gehörende »Grenzgebiete« wurden kritisch auf ihren Tatsachengehalt hin untersucht, um eine sachlich begründete Aufklärung zu ermöglichen. Die Untersuchung des »diagnostischen Anspruchs« der Astrologie gehörte seit der Gründung des Freiburger Instituts zu seinem Aufgabenbereich. Ebenfalls in die Frühzeit des Instituts fiel die Untersuchung über die Tätigkeit eines »geistigen Heilers«. Es wurden 650 Patienten medizinisch und psychologisch erfasst und in einer nachgehenden Kontrolle bis zu 14 Monaten auf die Ergebnisse ihres Kontaktes mit dem Heiler untersucht. Hierbei bestätigte sich vor allem der Einfluss einer positiven Erwartungshaltung auf die subjektiv erlebten Besserungen.

4.2 Spontanberichte

Im Freiburger Institut wurde eine Sammlung von etwa 1000 Spontanberichten über »paranormale Erlebnisse« kritisch gesichtet und analysiert. Dabei ging es im Wesentlichen um die Merkmale jener Personen, die von eigenen, vermutlich parapsychologischen Erlebnissen berichteten. Dabei ließ sich eine gewisse Persönlichkeitsdisposition zu solchen Erlebnissen feststellen, die jedoch zu ihrer Auslösung einer besonderen affektiv geladenen Situation bedurfte. Die »okkultbezogene Persönlichkeit« ließ sich folgendermaßen charakterisieren: labil und ichschwach, aggressiv und leicht verunsicherbar, projektionsbereit und nach einem festen, außerhalb der Persönlichkeit liegenden Halt suchend. Es fanden sich drei unterschiedliche Erlebnisformen (Traum, Ahnung, Halluzination), die durch weitere Formen ergänzt werden konnten: Vision, innere Stimme, Illusion, Wahrnehmung von etwas Unsichtbarem. Eine weitere paranormale Erlebnisform stellten die »Ankündigungserlebnisse mit physikalischem Effekt« dar. Die phänomenorientierte Unterscheidung der einzelnen Typen der Ankündigung führte zu zwei großen Gruppen dynamischer Vollzugsgestalten der »physikalischen Effekt« [sic], wobei besonders auf die Ausarbeitung psychologisch verstehbarer Zusammenhänge zwischen dem ausgelösten »Effekt« und den in den Feldsituationen wirkenden Personen eingegangen wurde.

Die Untersuchung kasuistischen Materials gehört ebenfalls zur Tradition der Freiburger Parapsychologie, wie z. B. Hans Benders Untersuchungen des »Blutwunders« des Heiligen Januarius in Neapel.

4.3 Spukphänomene

Es zählt mit zu den grundlegenden Verdiensten Hans Benders, die Untersuchung von Spukphänomenen (wiederkehrende spontane Psychokinese; englisch: recurrent spontaneous psychokinesis, RSPK) in der Parapsychologie »salonfähig« gemacht zu haben. Als paradigmatisch für diese Form der Felduntersuchung kann der »Rosenheim-Fall« gelten. Eine Reihe von physikalisch unerklärlichen Phänomenen in einer Rosenheimer Anwaltskanzlei – Knallerscheinungen, elektrische und Telefonstörungen, Bewegungen von Gegenständen – war Anlass für eine Untersuchung des Falles durch das Freiburger Institut. Es stellte sich heraus, dass als mutmaßliche Fokusperson eine Büroangestellte infrage kam. In Zusammenarbeit mit den Stadtwerken Rosenheim und zwei Münchner Physikern gelang es zum ersten Mal, die »anomalen« Phänomene objektiv zu dokumentieren. Für die Ausschläge der Messgeräte fand sich keine zur damaligen Zeit bekannte physikalische Ursache. Da die seit alters behaupteten Spukphänomene auf den gesunden Menschenverstand in höchstem Maße »anstößig« wirken, verwundert es nicht, dass gerade die Spukforschung umstritten blieb. So gab es auch im Fall Rosenheim eine ausgedehnte öffentliche Kontroverse um Betrug und Täuschung. Die Untersuchungen zur Persönlichkeitsstruktur psychokinetischer Spontanmedien ergab ein vorläufiges intrapsychisches Konfliktmodell, in dem sich psychologisch verstehbare Zusammenhänge zwischen Aggressionsspannung, gekoppelt mit einem Zustand intensiver Frustration, und psychokinetischen »Entladungen« abzeichnen. Im Freiburger Institut wurden 54 RSPK-Berichte der Jahre 1947 bis 1986 quantitativ-statistisch ausgewertet. Diese Befunde führten zur Entwicklung eines systemtheoretischen Modells, das, von bestimmten Interpretationen der Quantenphysik ausgehend, verlaufstypische Eigenschaften des RSPK-Prozesses beschreibt und die meistens als irritierend empfundene »Flüchtigkeit« des Spuks als inhärentes Strukturmerkmal des Phänomens identifiziert.

4.4 Qualitative Experimente

Die »qualitative Methode« wurde in der Parapsychologie eingeführt, um eine thematische Analyse paragnostischer Aussagen zu ermöglichen. Der Beitrag des Freiburger Instituts betrifft vor allem die Untersuchungen mit dem holländischen Sensitiven Gerard Croiset (1910–1980). Mit ihm wurden sogenannte Platzexperimente durchgeführt. Dabei unternahm es der »Paragnost«, Personen zu beschreiben, die bei einer zukünftigen Veranstaltung auf bestimmten Plätzen sitzen würden. Die vorher aufgezeichneten Aussagen Croisets bezogen sich auf das äußere Erscheinungsbild, das Verhalten und die emotionalen Erlebnisse der zukünftigen »Zielperson«. Das methodische Kernproblem war dabei, die Spezifität der paragnostischen Aussagen in Bezug auf die mutmaßliche Zielperson zu quantifizieren. Eine andere Form qualitativer Methoden beschäftigt sich mit dem Traum als möglichem Vehikel für paranormale Informationen. Seit 1954 stellte eine vermutlich paranormal begabte Schauspielerin, Frau Christine Mylius (1913– 1982), dem Institut in kurzen Abständen Niederschriften ihrer Träume zur Verfügung, die dort in erwartender Beobachtung archiviert wurden. Aus dem nahezu 3000 Träume umfassenden Material ließen sich manche Traummotive in auffälliger Weise mit Umständen bei den Dreharbeiten und Filmszenen (»Fall Gotenhafen«), für die die Träumerin 1959 engagiert wurde, und in einem thematisch gegensätzlichen Film, der gleichzeitig produziert wurde, koinzidieren. Zum Teil waren diese Träume bereits seit 1954 im Institut archiviert. Das Evidenzmaterial erlaubte eine Unterscheidung zwischen einer von außen feststellbaren »Übereinstimmungsevidenz«, die hauptsächlich bei realistisch-abbildenden Träumen zustande kam, und einer »Evidenz« »verständlicher« Zusammenhänge. Diese ergab sich aus einer Aufdeckung des Traumsinnes, der – wie an sorgfältig dokumentierten Beispielen gezeigt wurde – Gegenwärtiges (Bezugssystem der aktuellen Lebenssituation zur Zeit des Traums) und Zukünftiges (»präkognitives« Bezugssystem) miteinander durch eine Motivationsbrücke verbindet. Einen weiteren Anlass, die PK-Hypothese an qualitativem Material zu diskutieren, boten 1974 die Auftritte des damals 28-jährigen Israelis Uri Geller im Fernsehen der meisten westlichen Länder. Seine Demonstrationen – angeblich rein durch »Geisteskraft« Besteckteile zu verbiegen oder zu zerbrechen und defekte Uhren wieder in Gang zu setzen – führten auch in der Bundesrepublik Deutschland zu einer auffallenden Publikumsreaktion, die als Unikum in der Geschichte der psychischen Epidemien bezeichnet werden kann. Im Anschluss an solche Auftritte meldete sich im Freiburger Institut eine Reihe von zumeist jugendlichen Nacheiferern, die vorgaben, willentlich und wiederholbar solche Effekte hervorbringen zu können. Gerade bei der Diskussion des Geller-Effekts flammte die alte Streitfrage nach der Bedeutung von Tricktäuschung in der Parapsychologie neu auf, die schon zur Zeit des physikalischen Mediumismus eine große Rolle gespielt hatte.

4.5 Quantitativ-statistische Experimente

ASW-Experimente richten sich weitgehend nach dem in der Parapsychologie seit Jahrzehnten etablierten »Rhineschen Verfahren« (nach dem amerikanischen Parapsychologen J. B. Rhine benannt), das aus folgenden Elementen besteht: Versuchspersonen sollen unter guter sensorischer Abschirmung eine zufällig erzeugte Zielfolge »erraten«, die z. B. aus 25 Karten mit je 5 verschiedenen Zeichen oder Bildern besteht. Die Anzahl der Treffer wird auf ihre statistische Signifikanz (d. h. Abweichung vom Zufall) überprüft, wozu wegen der meist geringen Trefferquote längere Versuchsserien nötig sind. Besonderes Gewicht wurde auf die Entwicklung und Verbesserung automatischer Testapparaturen gelegt. In diesem Punkt konnte das Freiburger Institut besonders die Mithilfe der Technischen Hochschule Darmstadt (Institut für allgemeine Nachrichtentechnik) in Anspruch nehmen. Dabei zeigte sich, dass das Problem der Zuverlässigkeit solcher Zufallsgeneratoren von erheblicher theoretischer und methodischer Bedeutung für die korrekte Interpretation der statistischen Experimente ist. Bei dem umfangreichen Untersuchungsmaterial, das im Laufe der Jahre im Freiburger Institut gesammelt wurde, stellte sich heraus, dass ein direkter Existenzbeweis von Psi vor allem auf technische Schwierigkeiten stieß und dass aus diesem Grunde mehr Gewicht auf den Nachweis »induktiver Korrelationen« zu legen ist, wie z. B. Dauer der Exposition, Entfernung zwischen Agent und Perzipient oder intermittierende Einflussgrößen wie Einstellungen, Beziehungen oder Persönlichkeitszüge. Bei zahlreichen Reanalysen dieser Daten zeigte sich, dass nichtlineare Modelle die Vorhersageleistung der psychologischen Variablen in Bezug auf die ASW-Trefferleistung erheblich verbessern können.

Zu den quantitativ-statistischen Experimenten zählten auch Untersuchungen zu PK-Phänomenen. Hierzu wurde beispielsweise ein neuartiger Zufallsgenerator konstruiert: Als Zufallsquelle diente der radioaktive Zerfall einer Strontium-90-Quelle, die von fünf Geiger-Müller-Zählrohren umgeben war. Die Ergebnisse dieser Experimente führten zu der Arbeitshypothese, dass es sich bei PK möglicherweise um eine nichtlokale Korrelation im Sinne der Quantenmechanik handelt, die nicht als Signal aufgefasst werden darf und deshalb nicht notwendigerweise im Widerspruch zur Physik stehen muss.

4.6 Methodologische Fragen

Ein Grundlagenproblem, das im Rahmen der Freiburger Parapsychologie im Lauf von mehreren Jahrzehnten immer wieder diskutiert wurde, betrifft die korrekte Anwendung statistischer Methoden. Hierzu zählen beispielsweise so grundlegende Fragen, inwieweit es in Zufallsverteilungen hochsignifikante Fluktuationen geben kann, die als Psi-Effekte« fehlinterpretiert werden. Auch das Phänomen der sequenziellen Abhängigkeit gehört dazu. Methodische Probleme ergeben sich 1. durch den Ausschluss bereits bekannter Kräfte oder Energien, 2. den vorläufigen Erkenntnisstand in den Wissenschaften, 3. die unbekannten Randbedingungen von Experimenten, 4. die phänomenologische Konsistenz unterschiedlicher Phänomene, die als »Psi« bezeichnet werden, und 5. durch die fehlende Kohärenz der verschiedenen Beschreibungssprachen, die aus unterschiedlichen Disziplinen stammen, z. B. der Physik und der Psychologie.

4.7 Modellansätze und theoretische Überlegungen

Die Unvereinbarkeit paranormaler Phänomene mit dem physikalischen Weltbild stand im Freiburger Institut immer wieder und permanent zur Diskussion. Es zeichneten sich vor allem zwei Gruppen von physikalischen Modellansätzen ab: die feldtheoretischen- und Dimensionsmodelle auf der einen und die quantenphysikalischen und systemtheoretischen Modelle auf der anderen Seite. Vor allem der letztere Ansatz hat seit Mitte der 1970er-Jahre zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dies lässt sich an der Entwicklung der theoretischen Parapsychologie in Freiburg ablesen. Seit 1974 etwa erschien in der Zeitschrift eine Reihe von Aufsätzen, die ein bestimmtes theoretisches Modell Schritt für Schritt weiter entwickelten. Ausgangspunkt hierfür war die Feststellung bestimmter systemtheoretischer Gemeinsamkeiten zwischen der Beschreibung der Quantenphysik und der Parapsychologie. Eine gewisse Analogie zwischen den Psi-Phänomenen und den quantenphysikalischen Effekten war auch bereits anderen Theoretikern aufgefallen. Die Besonderheit des in Freiburg entwickelten Modells ist die konsequente Einbeziehung der Systemtheorie und ihrer Beschreibungsbegriffe. Damit sollte erreicht werden, dass im Prinzip auch operationalisierbare psychologische Konstrukte in die physikalische Beschreibung integriert werden. Ausgangspunkt der systemtheoretischen Begriffsbildung war die Beschreibung »komplexer Systeme«, die über eine gewisse »Autonomie« verfügen können. Dazu wurde ein neuer Informationsbegriff eingeführt, der die »Bedeutung« einer Information quantifiziert und »pragmatische Information« genannt wurde. Bei der genaueren Ausformulierung dieses Modells zeigte sich, dass Psi trotz seiner »Raum-Zeit-Unabhängigkeit« starken Einschränkungen unterliegen muss. Damit wurde im Rahmen dieses Modells die »Elusivität« oder Flüchtigkeit der Psi-Phänomene als eine intrinsische Eigenschaft verständlich. Psi kann dabei nicht mehr als ein Signal im Sinne der Signaltheorie angesehen werden, sondern stellt lediglich eine makroskopisch messbare, »nichtlokale« Korrelation dar, die in dem Moment verschwindet, wo sie zur Signalübertragung »ausgenützt« werden soll.

4.8 Interdisziplinäre Wechselwirkungen

Dass die Erforschung paranormaler Phänomene nur in einem breiten interdisziplinären Kontext vorangetrieben werden kann, gehörte schon früh zur Überzeugung des Institutsgründers Hans Bender und spiegelt sich auch in der Konzeption der Zeitschrift (s.  o.) wider. Es gibt zahlreiche Berührungspunkte mit verschiedenen Disziplinen. Insbesondere die alltägliche Beratungsarbeit des Instituts, die sich auf den Nenner vom »Umgang mit dem Okkulten« bringen lässt, reicht häufig in Bereiche der Klinischen Psychologie bzw. der Psychopathologie hinein. Hierzu zählen so spektakuläre Fälle wie der Fall einer vermeintlich dämonischen Besessenheit der Anneliese Michel (der »Fall Klingenberg«), der 1976 großes öffentliches Aufsehen erregt hat und einer detaillierten Analyse aus nervenärztlicher und psychologischer Sicht durch Mitglieder des Instituts unterzogen wurde. Sie untersuchten die Auswirkungen von Selbst- und Fremdinterpretationen des Krankheitsgeschehens innerhalb des spezifischen religiösen Umfeldes, das streng konservativ ausgerichtet war und »Privatoffenbarungen« und »Dämonenaussagen« bevorzugte. Als besonders gravierend erwies sich, wie aus den Tonbandprotokollen der Exorzismen hervorgeht, die theologische Umdeutung der unverstandenen Krankheitssymptome (Epilepsie, Magersucht) bei den betroffenen Kleriker- und Laienkreisen, was zu einem doktrinären Induktionseffekt führte.

Aus den Wechselwirkungen zwischen Parapsychologie und Ethnologie beispielsweise ging hervor, wie selten Ethnologen in ihrer Forschungsarbeit parapsychologische Phänomene berücksichtigen, obwohl die in der westlichen Wissenschaft als »Psi« bezeichneten Phänomene im Alltag von Naturvölkern von großer Bedeutung sind (z. B. im Schamanismus). 1970 wurde ferner am Freiburger Institut – als weiterer Versuch einer interdisziplinären Kontaktaufnahme, hier zur Verhaltensforschung – eine Pilotstudie zur Frage von »Psi bei Tieren?« durchgeführt. Es wurden über 500 Berichte gesammelt und analysiert, von denen der größte Teil mit tierischem »Warnverhalten« zu tun hatte; es ging dabei um die Frage, ob Tiere nach der Schilderung von Beobachtern ein ungewöhnliches Verhalten zeigen, das den Eindruck erweckt, als sei es antizipatorisch auf eine künftige Gefahrensituation bezogen. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass keine bisher in der Biologie bekannten sensorischen Kanäle eine Rolle spielen dürfen. Etwa 20 % der analysierten anekdotischen Berichte legen die Psi-Hypothese nahe.

Weitere Berührungspunkte bestehen zwischen Parapsychologie und Theologie. Hierzu gehören beispielsweise Fragen des biblischen Wunderverständnisses, der Wunderheilungen (Lourdes), der von Heiligen berichteten außergewöhnlichen Erscheinungen (Levitationen, Stigmatisationen, Bilokationen). Religionspsychologisch interessant sind auch die Ergebnisse zu Einstellungen, Kenntnissen und Erfahrungen einer repräsentativen Stichprobe von ca. 1500 katholischen und evangelischen Theologen zum Gesamtbereich der Parapsychologie einschließlich ihrer theoretischen und praktischen Bedeutung für die Theologie im Urteil der Theologen selbst. Im Allgemeinen zeichnete sich eine positive Einstellung der Theologen bezüglich der Faktizität der paranormalen Phänomene ab; sie erwiesen sich als gut informiert, waren aber sehr skeptisch, was die Stützung theologischer Systeme durch die parapsychologischen Phänomene betrifft.

Nicht zuletzt werfen soziologisch orientierte Untersuchungen die Frage auf, von welchen kollektiven (historischen oder sozialen) Faktoren die Aufnahmebereitschaft für Themen der Parapsychologie abhängig ist, z. B. von Krisenzeiten oder Modeströmungen. Sie verdeutlichen aber auch die paradoxe Situation, dass auf der einen Seite ein verbreitetes öffentliches Interesse am »Okkulten« besteht, auf der anderen Seite aber die Mehrzahl der Wissenschaftler die Ergebnisse der Parapsychologie schlichtweg ignorieren. Dieser Sachverhalt drückt sich auf verschiedenen Ebenen aus: in der mangelnden Akzeptanz der Parapsychologie als Wissenschaft, der mangelnden Institutionalisierung, der fehlenden Forschungsförderung, der unzulänglichen Professionalisierung, dem Ausbildungsdefizit und in anderen von der Wissenschaftssoziologie untersuchten Merkmalen einer »abweichenden Wissenschaft«.

5. Psychohygiene, Beratung und Aufklärung

Hans Bender eröffnete das Eichhalde-Institut 1950 mit dem programmatischen Vortrag: »Der Okkultismus als Problem der Psychohygiene«. Darin heißt es: »Mannigfache soziale Einstellungen und Haltungen bauen auf echten und vermeintlichen okkulten Erlebnissen auf. Krisenzeiten verstärken die Bereitschaft, sich dem Okkulten zuzuwenden. Viele suchen dann Halt bei Menschen, die im Besitz okkulter Fähigkeiten sein sollen; bei Hellsehern, Wahrsagern, Astrologen, Psychographologen usw. Die einen erhoffen sich eine Auskunft über den Verbleib vermisster Angehöriger, die anderen treiben Versagung und Enttäuschung zur Beschäftigung mit dem Okkulten. Es ist ein verwirrender Aspekt mit seinen sozialen Folgen der Fehleinstellung, der Flucht vor der Wirklichkeit, ja, (…) der ernstlichen Gefährdung der seelischen Gesundheit, des Betruges und der Ausbeutung. Hier ist der Psychohygiene eine große Aufgabe gestellt: nämlich die Aufklärung, die Vermittlung von Kenntnissen über Erscheinungsformen der Begegnung mit dem Ungewöhnlichen, die Aufstellung eines Ordnungsschemas, das auch dem einfachen Menschen fasslich ist und ihm zu benennen ermöglicht, was ihn sonst beunruhigt; denn schon das Nennen bannt bekanntlich die Dämonen.«2

Diese Sätze haben bislang von ihrer Aktualität nichts eingebüßt. Der psychohygienische Tätigkeitssektor der Institutsarbeit hat im Laufe der Jahrzehnte immer größeres Gewicht bekommen. Je größer die Resonanz der Grenzgebiete im öffentlichen Bewusstsein geworden ist, desto größer wurde auch die Zahl der Anfragen an das Institut. Sie stammen neben Deutschland aus Österreich und der Schweiz und nicht selten auch aus Frankreich. Die Fragen lassen sich in folgende Hauptgruppen einteilen, zwischen denen es natürlich Übergänge gibt:

1. Informationsanfragen: Hierbei geht es vor allem um zuverlässige Angaben zum Forschungsstand der Parapsychologie (z.  B. um Literaturangaben) oder Fragen hinsichtlich der Seriosität von Behauptungen über Paranormales in Presse, Rundfunk und Fernsehen.

2. Anfragen aus dem persönlichen Bereich: Darunter fallen unter anderem Mitteilungen eigener Erlebnisse von »Unerklärlichem« mit der Bitte um Beurteilung, nach Forschung und Rat. Dazu gehören besonders auch Spukberichte, die häufig eine sofortige Hilfe erfordern. Hier ist die persönliche Betroffenheit in der Regel sehr groß und erfordert ein besonderes »Fingerspitzengefühl« im Umgang mit den Beteiligten.

3. Probleme, die aus dem alltäglichen Umgang mit Hellsehern, Geistheilern, Wünschelrutengängern usw. erwachsen: Aus der »praktischen Anwendung« des Okkulten können sich mitunter seelische Abhängigkeiten ergeben. Hier spielt die Aufklärung über die Art und Weise, wie paranormale Fähigkeiten in die Irre führen können, eine große Rolle. Dies wurde besonders relevant bei Anfragen über angebliche Jenseitskontakte (Tonbandstimmen, mediale Botschaften, Wiedergeburtserinnerungen) und dergleichen.

4. Okkultpraktiken: Es haben sich immer wieder zahlreiche Jugendliche, Eltern und Lehrer in wachsendem Maße neugierig, besorgt oder ratlos nach dem Glasrücken, dem automatischen Schreiben, Tischrücken und Pendeln erkundigt. Sie baten um Aufklärung über die Funktionsweise der »Techniken« und Ratschläge darüber, wie sie mit diesen Erfahrungen umgehen und welche Bedeutung sie dieser Sache beimessen sollten. Bei fortwährendem unkritischem Umgang können seelische Störungen auftreten, die als »mediumistische Psychosen« bekannt sind.

5. Klinische Fälle: In diese Gruppe fallen vor allem neurotisch und psychotisch anmutende Fehlverarbeitungen angeblich okkulter Erlebnisse. Es können auch paranoide Reaktionen auftreten, die sich in folgenden Symptomen äußern: »hypnotisch angezapft«, »hypnotisch ferngesteuert« oder belästigt zu werden.

Ein weiterer wesentlicher Beitrag des Instituts zur Aufklärung stellte die umfassende Öffentlichkeitsarbeit dar. Diese zeigt sich – neben der Herausgabe der Zeitschrift – in Presseverlautbarungen, zahlreichen öffentlichen Vorträgen und Seminaren vor den unterschiedlichsten Gruppen im Bereich der Erwachsenenbildung sowie in Rundfunksendungen und Fernsehdiskussionen, an denen Mitarbeiter des Instituts teilgenommen haben. Die Eigengesetzlichkeit der Massenmedien mit ihrer Betonung von Unterhaltung und Sensation erschwerte natürlich stets die sachgerechte Aufklärungsarbeit. Insofern besteht die Gefahr, dass eine popularisierte Parapsychologie in ihr Gegenteil umschlägt und genau diejenige Irrationalität produziert, die sie bekämpfen will. Dieser Drahtseilakt zwischen Aufklärung und Unterhaltung wurde stets bei der Öffentlichkeitsarbeit kritisch reflektiert.

6. Das Studium der Parapsychologie in Freiburg

Seit jeher zählte es zu den zentralen Anliegen Hans Benders, die Parapsychologie in den akademischen Rahmen, insbesondere in die akademische Lehre zu integrieren. Im Zuge der zunehmenden Popularisierung der Parapsychologie seit Anfang der 1970er- Jahre stiegen die Anfragen von Schülern, Studierenden und anderen Interessierten, die sich nach den Möglichkeiten eines Studiums (bzw. einer Ausbildung) sowie einer eventuellen späteren Tätigkeit oder Mitarbeit auf diesem Gebiet erkundigten. Da es an keiner europäischen Universität eine formale Ausbildung zum »Parapsychologen« gab und insofern auch kein Berufsbild existierte, konnten die Anfragenden nur darauf hingewiesen werden, dass seit 1978 an der Universität Freiburg die Möglichkeit besteht, im Rahmen des Psychologiestudiums in der Diplom-Hauptprüfung als freiwilliges Zusatzfach »Parapsychologie/Grenzgebiete der Psychologie« zu wählen. Die entsprechenden Lehrveranstaltungen standen in der Regel Hörern aller Fakultäten offen und fanden eine gute Resonanz (100–120 Teilnehmer in Vorlesungen, 30–50 in Begleitseminaren). Wie kritisch und reflektiert dieses Zusatzfach in der Lehre repräsentiert sein soll, dokumentiert der Studienplan für den Diplomstudiengang Psychologie (Freiburger Studienplan 1978): Am Modell der parapsychologischen Forschung soll der Weg von der Hypothesenbildung bis zur gezielten experimentellen Überprüfung und Auswertung anhand bisheriger Forschungsansätze skizziert und erweitert werden. Dabei stehen Methoden kritischer Überlegungen angesichts des besonderen Forschungsgegenstandes im Vordergrund und sollen den Transfer gewonnener Einsichten auf andere Problemkreise im Kreise der Psychologie innovativ fördern, wie z. B. die Problematisierung statistisch-methodischen Denkens, die Auswirkung von Vorannahmen auf die Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen, die Formulierung und Überprüfung von Hypothesen zur Trennung zwischen »legitimer« und »pseudowissenschaftlicher« Bearbeitung. Aufgrund dieses methodenkritischen Trainings sollten die Studierenden in die Lage versetzt werden, sich ein kritisches Urteil über die empirische Absicherung gewonnener Erkenntnisse zu bilden.

1998, nach Mischos Emeritierung, wurde die Denomination des Lehrstuhls in »Pädagogische Psychologie« umgewandelt. Bis 2009 boten noch Mitarbeiter des IGPP ein Seminar »Einführung in die Parapsychologie« an, das Entwicklung, Methoden, Ergebnisse, Theorien, Probleme und Kontroversen der parapsychologischen Forschung überblicksartig vorstellte und Einblicke in laufende Forschungsprojekte sowie in die Beratungs- und Informationsarbeit des IGPP vermittelte.

Anmerkungen

1 Eine ausführliche Darstellung der frühen Institutsgeschichte von E.  Bauer und W. von Lucadou findet sich in der Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie (1987), Jahrgang 29, Nr. 4. Sie enthält auch sämtliche Literaturangaben für die im Folgenden (Kurzfassung) geschilderten Entwicklungen und Forschungsergebnisse des Instituts.

2 Bender, H. (1950/51): Der Okkultismus als Problem der Psychohygiene. Neue Wissenschaft 1 (3): 34–42.

I.2. Dokumentation einer unerwarteten Entwicklung: Das IGPP in den Brückenjahren (1991 bis 1995)

Uwe Schellinger

Das folgende Kapitel gibt einen kurzen historischen Abriss der Institutsgeschichte nach Hans Benders Tod. Es geht bei dieser Dokumentation um Stationen der Institutsentwicklung, seiner wissenschaftlichen Aktivität und Profilbildung. Die inhaltliche Vertiefung von neuen Konzepten der Institutsgestaltung sowie eines neuen Forschungsprofils ist späteren Kapiteln (II.1–II.3) vorbehalten.

1. 1991: Wechsel in der Institutsleitung

Am 7. Mai 1991 verstarb Professor Hans Bender im Alter von 84 Jahren. Damit ging eine wissenschaftliche Ära zu Ende, deren Lebenswerk sich, wie bereits geschildert, im Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene e. V. auf der Eichhalde in Freiburg manifestierte (Mischo, 1991).

Zu seinem Nachfolger als Institutsdirektor wählten die Mitglieder des Trägervereins am 7. Dezember 1991 den Psychologen Professor Dr. Johannes Mischo (1930–2001), der Bender 1975 schon als Lehrstuhlinhaber an der Universität Freiburg nachgefolgt war und seit 1987 dem Vorstand des IGPP angehörte (Bauer, 2000/2001).

2. Die Lage des IGPP nach Hans Benders Tod

Zu Beginn der 1990er-Jahre waren am Institut lediglich zwei Diplom-Psychologen (Eberhard Bauer und Rolf Streichardt) sowie zwei geprüfte wissenschaftliche Hilfskräfte beschäftigt. Unterstützt wurden sie von einer durch die Universität Freiburg finanzierten Bibliothekarin (Micaela Brunner), einer Schreibkraft (Charlotte Wüstholz, bis März 1991) sowie dem ›guten Geist‹ des Instituts, Charlotte Böhringer (1917–1994), die vor allem für die Geschäftsführung und Finanzen zuständig war. Zu Benders Zeiten, aber auch nach seinem Tod wurde die Mangelsituation immer drängender, und die Zukunft des IGPP stand auf unsicheren Füßen. Immer wieder war die Rede davon, dass mit der vorhandenen Personalkapazität die enorme Menge anfallender Beratungs- und Informationsanfragen kaum zu bewältigen war. An eigene oder gar umfangreichere Forschungsaktivitäten war kaum zu denken.

3. Standortbestimmungen: Erste Konzepte für die Gestaltung der Institutsarbeit

Spätestens nach Hans Benders Tod stellte sich die Frage, in welche inhaltliche Richtung sich das IGPP künftig weiterentwickeln sollte. In einem umfangreichen Positionspapier hatte Rolf Streichardt in Kooperation mit Susanne Braunger und Volker Schuhmacher anlässlich des 40-jährigen Institutsjubiläums schon im September 1990 »Zukunftsperspektiven der Freiburger Grenzwissenschaftlichen Forschung« konzipiert.1 Rückblickend erwähnte er als die wichtigsten Arbeitsschwerpunkte der vergangenen Jahre die systematische »Archivierung und Dokumentation der Forschungsergebnisse des Instituts seit seiner Gründung«, den ständig anwachsenden Bedarf an Beratungs- und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Durchführung von »kleineren Forschungsprojekten« zur Wissenschaftsgeschichte, zu Spukphänomenen sowie zur Sozialpsychologie des Okkultismus. In der »Forschung« und in der »Psychohygiene« sowie in einer daraus resultierenden Öffentlichkeitsarbeit sah man die Kernaufgaben des Instituts. Die Grundlage dafür sollten die systematische Sammlung und Dokumentation von relevantem Material (z. B. »Spontane Berichte«) liefern. Ein gewichtiger Bestandteil des Instituts war schließlich die einzigartige Spezialbibliothek für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie, deren Bestände zum damaligen Zeitpunkt schon rund 28 000 Monografien sowie umfangreiche Zeitschriftenreihen umfassten.

Bemängelt wurde allerdings, dass in den zurückliegenden Jahren – gemeint waren die 1980er-Jahre – im Bereich der Forschung nur »wenige innovative Projekte in Angriff genommen worden« seien. Dieses Defizit in der Forschung begründeten die Autoren mit dem fehlenden finanziellen Spielraum, mit der hohen Fluktuation des Mitarbeiterstabes und der oft nicht ausreichenden Qualifikation der Angestellten. Inhaltlich sah man hinsichtlich der Methoden und Theorienbildung der parapsychologischen Forschung eine gewisse Einengung auf physikalische Paradigmata, während sozialwissenschaftliche, medizinische und psychologische Erklärungsmodelle ins Hintertreffen geraten seien.

Auf diesem Hintergrund entwarfen Streichardt und seine Kollegen ein Modell interdisziplinärer Forschung am IGPP, bei dem die Grenzwissenschaft Parapsychologie von Disziplinen wie der Psychologie, der Soziologie, der Ethnologie, der Medizin sowie der Physik Unterstützung erhalten sollte. Grundsätzlich sollte sich, so die Autoren, die parapsychologische Forschung »wieder vermehrt als Wissenschaft vom Bewußtsein, vom Unbewußten und von den veränderten Bewußtseinszuständen begreifen«.

In der Folge wurden insgesamt zehn Forschungsprojekte aus der engeren Parapsychologie, der Bewusstseinsforschung sowie der Psychohygiene skizziert.2

Angesichts der realen finanziellen und personellen Kapazitäten des Instituts waren diese höchst ambitionierten Ideen allerdings kaum umzusetzen: Sie verschwanden bald wieder in der Schublade. Eine entscheidende Weiterentwicklung der Institutsarbeit, wie in diesem Konzept eingefordert, konnte auch in der folgenden Zeit nicht stattfinden, sondern man arbeitete auf etwa derselben Ebene wie in den vorherigen Jahren weiter.

1992 wurden in einem Bericht für die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) noch immer die traditionellen Arbeits- und Forschungsschwerpunkte des Instituts genannt, die auch die 1980er-Jahre hauptsächlich geprägt hatten: die Wissenschaftsgeschichte der deutschsprachigen parapsychologischen Forschung; die wissenschaftssoziologische und psychologische Analyse von Rand- und Rezeptionsbedingungen »unorthodoxer Phänomene«; die Untersuchung sogenannter Spukphänomene sowie die Erfassung und Auswertung des in den zurückliegenden Jahren vom Institut gesammelten klinischen Fallmaterials. Die Beratungs- und Informationsarbeit sowohl für Privatpersonen als auch für die Anfragen der Massenmedien galt ebenfalls als besonderer Schwerpunkt. Daneben gab es eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, z. B. in Form von Vorträgen in unterschiedlichen wissenschaftlichen sowie nichtwissenschaftlichen Foren. Explizite Forschungsanstrengungen im größeren Umfang, etwa im experimentellen Bereich, waren hingegen nicht initiiert worden. Man musste sich im IGPP als Anlaufstelle für Fragen aus der Bevölkerung weiterhin auf die laufenden Kerngeschäfte sowie die wissenschaftliche Grundversorgung beschränken, ohne größere Schritte in Richtung eines elaborierten Forschungsprogramms unternehmen zu können.3

4. Neue Möglichkeiten – Neue Ziele (1992/1993)

Im Frühjahr 1992 wurde plötzlich – für alle im Institut vollkommen überraschend – bekannt, dass seitens der Münchner Holler-Stiftung Finanzmittel in erheblichem Umfang in Aussicht gestellt würden. Die Mäzenin Asta Holler (Abbildung 1), die das IGPP schon seit 1975 mit jährlichen finanziellen Zuwendungen unterstützt hatte, war 1989 verstorben. In ihrem Testament hatte sie zwei Jahre zuvor das Freiburger Institut neben anderen Einrichtungen in äußerst großzügiger Weise als Destinatäre ihrer Stiftung bedacht (Edelmann, 2011).

Abb. 1: Asta Holler um 1970

In einer ersten Phase – in der zweiten Hälfte des Jahres 1992 – bemühte man sich daraufhin im IGPP, angesichts der unversehens eingetretenen neuen Situation ein Programm für eine »interuniversitäre Zusammenarbeit« zu entwickeln und dazu eine Kooperation mit kompetenten Forschungspersönlichkeiten herzustellen. Als beteiligte Disziplin wurde dabei neben der Psychologie vor allem an die Medizin gedacht, als universitäre Kooperationspartner wurden nun Erlendur Haraldsson (Reykjavik), Lydia Hartl (München), Friederike Schriever (Berlin), Eckart Straube (Jena) sowie Dieter Vaitl (Gießen) gewonnen. Zusammen mit den eigenen Vorhaben von Johannes Mischo wurden von diesem Kreis bis Ende 1992 sieben größere Forschungsprojekte zu den Schwerpunkten »Formen okkulter Glaubenshaltung«, »Grenzerfahrungen in Todesnähe« sowie »Parapsychologische Replikationsuntersuchungen« entwickelt und auf den Weg gebracht.

Das institutsgeschichtlich bedeutsame Jahr 1992 war somit von ersten Strategieentwürfen geprägt, auf der Basis der unerwarteten hohen Mittelzuflüsse die bisherigen Kerntätigkeitsfelder der Institutsarbeit – Beratung und Information, Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit sowie im begrenzten Rahmen kleinere Forschungsprojekte – durch ambitionierte größere Forschungsvorhaben in Zusammenarbeit mit externen Forschungseinrichtungen zu ergänzen. Die Notwendigkeit, das Forschungsprogramm erheblich zu erweitern, wurde immer drängender durch die prekäre Situation dergestalt, dass die Stiftungsmittel in ihrem erheblichen Umfang nicht zeitnah verwendet wurden und somit die Gefahr der Thesaurierung bestand. Um die Brisanz dieser Gefahr zu verdeutlichen, ist dieser prekären Situation an anderer Stelle ein eigenes Kapitel gewidmet (Kapitel I.3).

5. Ausbau der Förderung von Kooperationsprojekten und des Personalstandes 1993 bis 1995

Nach der ersten Anlaufphase wurde die Förderung von externen Projekten in den Jahren 1993 bis 1995 erheblich intensiviert. Zu den oben genannten ersten, 1992 in Gang gesetzten sieben Großprojekten des Instituts kamen zunächst 1993 und 1994 zahlreiche weitere externe Vorhaben hinzu. Die externen Vorhaben befassten sich mit »Geistiger Heilung« (Heinz Schott und Barbara Wolf-Braun), mit der Biografie des Hellsehers Hanussen (Wilfried Kugel), mit der parapsychologischen Publizistik in den 1980er- Jahren (Pantaleon Fassbender), mit dem sogenannten Gauquelin-Paradigma (Arno Müller und Suitbert Ertel), mit okkulten Glaubenshaltungen bei Erwachsenen (Heinz Gutscher und Inge Strauch), mit Wundern in katholischen Kanonisationsprozessen (Andreas Resch), mit der Tätigkeit von Rutengängern (Hans-Dieter Betz), mit Forschungsfragen zu Traum und Telepathie (Inge Strauch), mit der Psychokineseforschung (Walter von Lucadou), mit Wunderheilungen von Lourdes (Patrick Dondelinger) und mit dem Thema Besessenheit (Ludwig Bertsch und Ulrich Niemann).4

Im April 1995 veranstaltete das Institut im Freiburger Bildungshaus Waldhof eine erste größere Tagung, bei der ein Überblick über sämtliche neuen Projekte des Instituts und seiner externen Kooperationspartner gegeben wurde. Es war der erste Versuch des Instituts, die diversen internen und externen Projektgruppen, die ganz unterschiedliche disziplinäre Voraussetzungen mitbrachten, zusammenzuführen und zu einem fachübergreifenden Meinungsaustausch anzuregen. In einem abschließenden ›Roundtable-Gespräch‹ sollten »Konturen und Schwerpunkte eines zukünftigen Forschungsprogramms« exploriert werden.

Der im Frühjahr 1995 vorliegende Projektspiegel dokumentiert insgesamt 24 Einzelprojekte in fünf größeren Sektionen. Sowohl diese Übersicht als auch das Tagungsprogramm mit über 30 Referentinnen und Referenten vermitteln einen Eindruck, wie sich die Forschungsfelder des Instituts nunmehr ausdifferenziert und ausgeweitet hatten. Die Sektionen umfassten (1) wissenschaftsgeschichtliche, wissenschaftssoziologische und rezeptionsproblematische Aspekte parapsychologischer Forschung (4 Projekte), (2) experimentelle Paradigmen der Parapsychologie (4 Projekte), (3) sozial- und persönlichkeitspsychologische Aspekte magisch-irrationaler Einstellungen und Glaubenssysteme (8 Projekte) sowie (4) interdisziplinäre Wechselbeziehungen zu Disziplinen wie Theologie, Medizin, Psychotherapie oder Psychopathologie (5 Projekte), aber auch (5) zur Astrobiologie und -psychologie sowie zur Geophysik (3 Projekte).5

Das Spektrum der Inhalte, mit denen sich das Institut und seine Kooperationspartner befassten, war nun weitaus breiter geworden und entsprach in etwa dem, was 1990 in ersten Konzepten anvisiert worden war. Insbesondere die lange Zeit in nur begrenztem Umfang durchgeführte experimentelle Forschung war erheblich gestärkt worden. Auch hatten sich die multidisziplinären Zugangsweisen zu den Grenzgebieten vermehrt. Die durch das IGPP finanzierten Forschungsvorhaben verteilten sich nunmehr auf wissenschaftliche Projekte in 13 Städten in Deutschland, Frankreich, Österreich und der Schweiz.

Expansion und Differenzierung der Forschungsvorhaben am IGPP zeigten sich auch in diversen Tagungen und Konferenzen. So wurden beispielsweise die kulturhistorischen, konzeptuellen und experimentellen Forschungsansätze auf dem Third European Meeting der Society for Scientific Exploration (SSE) (Freiburg, Oktober 1996) oder auf der 40. Jahrestagung der Parapsychological Association in Verbindung mit der Society for Psychical Research (Brighton, U.K., August 1997) vorgestellt.

Das IGPP selbst konnte das wissenschaftliche Personal in dieser »Expansionsphase« dank der neuen finanziellen Möglichkeiten erheblich aufstocken. Von 1993 bis 1995 erfolgte die Einrichtung einer Forschungsprofessur am IGPP für Professor Dr. Erlendur Haraldsson (Psychologe) unter Mitarbeit von Dr. Joop Houtkooper (Physiker). Ziele waren: a) die Etablierung und Supervision experimenteller Forschungsprojekte, in erster Linie zum Zusammenhang zwischen Außersinnlicher Wahrnehmung (ASW) und Wahrnehmungsabwehr, b) Feldforschung (Phänomene der Reinkarnation) und c) der Ausbau und die Intensivierung der internationalen Kontakte zur parapsychologischen Forschungsgemeinschaft. Insgesamt waren neun interne Forschungsprojekte neu auf den Weg gebracht worden.6

Auch der Kreis der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am IGPP wurde erweitert und bestand erstmals nicht mehr ausschließlich aus Psychologinnen und Psychologen. Aufgestockt wurde in diesem Zeitraum auch das Personal für die Geschäftsführung und die Verwaltung. Nicht zuletzt für die Organisation der vielen neuen Projekte bedurfte es weiterer personeller Kapazitäten.7 Ende 1995 beschäftigte beziehungsweise finanzierte das IGPP in seinen eigenen Reihen schließlich rund 20 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Verwaltungskräfte. Innerhalb von nur wenigen Jahren hatte sich die Belegschaft im Haus auf der Eichhalde somit vervielfacht.

6. Das neue Institut: Von der Eichhalde in die Wilhelmstraße

Obwohl nicht alle neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig im Institutsgebäude auf der Eichhalde zugegen waren, reichten inzwischen die dort zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten bei Weitem nicht mehr aus. Die Arbeitsplätze sowie die Unterbringungsmöglichkeiten für Bücher und die archivischen Sammlungen waren inzwischen ebenfalls deutlich an ihre Grenzen gelangt.

Der Gedanke an einen Umzug des Instituts in neue Gebäude drängte sich demnach fast zwangsläufig auf, zumal die finanziellen Mittel der Holler-Stiftung ein solches Vorhaben problemlos ermöglichten. Die Planungen für den Erwerb neuer Büroräumlichkeiten im I. und II. Geschoss der Wilhelmstraße 3a inklusive zweier Kellerräume sowie einer weiteren Büroetage in der Wilhelmstraße 1b waren gegen Ende des Jahres 1995 weitgehend abgeschlossen. Der Kauf dieser Immobilien wurde durch die Mitglieder des Trägervereins einvernehmlich beschlossen. Mit dem Umzug 1996 von der Eichhalde oberhalb des Freiburger Stadtteils Herdern hinab in die Wilhelmstraße in der Innenstadt fand fünf Jahre nach dem Tod des Institutsgründers Hans Bender die neue Ära der Institutsgeschichte auch in räumlicher Hinsicht ihren Ausdruck (Abbildung 2).

Abb 2: Das neue Institutsgebäude in der Wilhelmstraabbeß

Trotz dieser für die Entwicklung des Instituts idealen Voraussetzungen und für die Grenzgebietsforschung wohl einzigartigen Bedingungen baute sich seit Anbeginn des Zuflusses an Stiftungsmitteln eine prekäre Situation auf, die wie ein Damoklesschwert über dem Institut schwebte und zu schier unüberwindlichen Schwierigkeiten führte. Es drohte nämlich die Gefahr, dass das Institut aus der Reihe der Destinatäre ausgeschlossen und die Förderung durch die Holler-Stiftung eingestellt wird. Der Grund hierfür verbirgt sich hinter dem Begriff der Thesaurierung. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, schildert das nächste Kapitel (I.3).

Literatur

Bauer, E. (2000/2001): Johannes Mischo (1930– 2001). Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 42/43, 214–220.

Edelmann, H. (2011): Vermögen als Vermächtnis. Leben und Werk der Stifter Christian und Asta Holler. Oldenbourg-Verlag, München.

Mischo, J. (1991): Zum Tode von Hans Bender. Zeitschrift für Parapsychologie und Grenzgebiete der Psychologie 33, 3–5.

Anmerkungen

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