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Band 1 der Anastasia-Reihe:Anastasia ist die Botschafterin eines uralten Volkes, dessen Nachkommen auch heute noch vereinzelt in der Taiga leben, von der Zivilisation unbeeinflusst und immer noch im Besitz "paranormaler" Kräfte, die der moderne Mensch weitgehend verloren hat.Kurz nach der Öffnung Russlands war die Zeit anscheinend reif, dass die Welt von der Existenz dieser Menschen erfahren sollte. So ließ es die junge Einsiedlerin Anastasia im Jahr 1994 zu, dass ein "Zivilisierter" der Geschäftsmann Wladimir Megre aus Nowosibirsk mit ihr in Kontakt kam und im darauffolgenden Jahr für drei Tage Zeuge ihres Lebens auf einer entlegenen Taiga-Lichtung wurde.Diese Begegnung sollte Wladimir Megres Leben grundlegend verändern. Als einfacher Geschäftsmann, der nur den Atheismus des kommunistischen Russlands kannte, sah er sich plötzlich mit Phänomenen konfrontiert, die alles bisher Gekannte um Dimensionen übertrafen: Telepathie, Präkognition, Teleportation, Unverletzlichkeit (Kälteresistenz) und Verbindung mit höheren Welten.Anastasias Person und Lebensstil provozieren Fragen zu weltbewegenden Themen wie die Herkunft des Menschen, Gesundheit, kosmische Heilkraft, richtige Ernährung, göttliche Naturverbundenheit, die Ursache von Krankheit, Hintergründe der Weltpolitik und die Zukunft der Menschheit.Seit dem ersten Erscheinen von Band 1 in Russland (1996) hat sich dort Unglaubliches getan. Anastasias Botschaft berührte die Herzen von Millionen von Menschen, und die überwältigende Resonanz löste eine revolutionäre Dynamik aus, die mittlerweile weit über den russischen Sprachraum hinausgeht. Auch in deutscher Sprache sind bisher 10 Bände erschienen, die allesamt Bestseller wurden.
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Seitenzahl: 274
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Wladimir Megre
Anastasia
Band 1:
Tochter der Taiga
aus dem Russischen übersetzt von Helmut Kunkel
Govinda-Verlag
Herausgegeben von Ronald Zürrer
Alle Titel von Wladimir Megre zu Anastasia:
Band 1: Anastasia – Tochter der Taiga
Band 2: Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands
Band 3: Anastasia – Raum der Liebe
Band 4: Anastasia – Schöpfung
Band 5: Anastasia – Wer sind wir?
Band 6: Anastasia – Das Wissen der Ahnen
Band 7: Anastasia – Die Energie des Lebens
Band 8.1: Anastasia – Neue Zivilisation
Band 8.2: Anastasia – Die Bräuche der Liebe
Band 10: Anastasia – Anasta
Hinweis zur Nummerierung: Gemäß dem Autor soll Band 9 im Laufe der Zeit aus Texten von Lesern und Bewohnern von Familienlandsitzen zusammengestellt werden.
Kontaktadresse des Verlages:
Govinda-Verlag, Postfach, 8462 Rheinau | [email protected]
govinda.ch
Offizielle Website des Autors (Informationen über Wladimir Megre, seine Bücher, Leserveranstaltungen und weltweiten Projekte):
www.vmegre.com
© 2003/2013 Govinda-Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten.
Originaltitel: Анастасия
Übersetzung aus dem Russischen: Helmut Kunkel
Lektorat: Dania Asfandiarowa
Gestaltung Umschlag: Ronald Zürrer
Umschlagbild: © Kursiv
Erstausgabe als E-Book – August 2019
ISBN 978-3-905831-55-9 (E-Book)
ISBN 978-3-905831-17-7 (gedruckte Ausgabe)
Inhalt
1 Perestroika
2 Die klingende Zeder
3 Die Begegnung
4 Tier oder Mensch?
5 Was für Menschen sind das?
6 Ein Schlafzimmer im Wald
7 Anastasias Morgen
8 Anastasias Strahl
9 Ein Konzert in der Taiga
10 Wer einen neuen Stern entzündet …
11 Anastasias Vorliebe für Kleingärtner
12 Einige von Anastasias Ratschlägen
Heilende Samen
Wen die Bienen stechen …
Morgenstunde, sei gegrüßt!
Das abendliche Waschritual
Der innere Ratgeber
13 Träumen unter dem eigenen Stern
Die Sternenfrau
14 Natürliche Kindeserziehung
15 Das Waldgymnasium
16 Aufmerksamkeit gegenüber den Mitmenschen
17 Fliegende Untertassen? Nichts Besonderes!
18 Das Gehirn, ein Supercomputer
19 «In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen …»
20 Eine andere Weltanschauung
21 Eine Todsünde
22 Wie im Paradies
23 Wer soll unseren Sohn aufziehen?
24 Ein seltsames Mädchen
25 Es kribbelt und krabbelt
26 Träume erschaffen die Zukunft
27 Die Entrückung aus dem Zeitalter der Dunkelmächte
28 Starke Menschen
29 Wer bist du, Anastasia?
Über den Autor
1
Perestroika*
Mit dem Beginn der Perestroika in Russland im Jahre 1990 war es den Menschen plötzlich erlaubt, sich selbstständig zu machen und ein eigenes Unternehmen zu gründen. Für die Bürger der Sowjetunion, wo das Unternehmertum strafbar war und sogar mit Gefängnis geahndet werden konnte, war diese Entscheidung revolutionär.
Etwa ein Drittel der Bevölkerung, besonders in den Hauptstädten und Metropolen, träumte von einer selbstbestimmten Zukunft und einem Leben wie dem westlicher Millionäre.
Nowosibirsk, mein damaliger Wohnort, war dreitausend Kilometer von Moskau entfernt, aber selbst dort tat man sein Bestes, um den Menschen in der Hauptstadt der Sowjetunion in nichts nachzustehen, was die Gründung von privaten Unternehmen betraf.
Die Betriebe der ersten sibirischen Geschäftsleute waren zunächst klein. Sie boten Dienstleistungen an, wurden im Einzelhandel tätig oder eröffneten Cafés und kleine Geschäfte. Wer es schaffte, sich gebrauchte, aber funktionstüchtige Ausrüstung und Maschinen zu besorgen, sie im Keller aufzustellen und den damals modischen Plastikschmuck zu produzieren, galt praktisch schon als Industrieller.
Ich hatte Glück. Mir gelang es, die drei größten Passagierschiffe der westsibirischen Flussschifffahrtslinie zu chartern. Ich benutzte eines von ihnen – einen Dreidecker mit Restaurant, Bar und Konferenzsaal – für Vergnügungsfahrten und veranstaltete auf ihm Tagungen für sibirische Unternehmer.
Ich war damals gewählter Präsident einer überregionalen Vereinigung von Unternehmern, die sich «Sibirische Genossenschaft» nannte. Ich hielt mich für einen aufstrebenden, erfolgreichen Unternehmer. Allerdings gab es auch ernste Probleme. So manchem waren die neuen Geschäftsleute ein Dorn im Auge.
Zu Beginn der Perestroika spaltete sich die russische Bevölkerung in zwei scheinbar unvereinbare Teile. Einige wollten sich selbstständig machen, und da sie nichts Schlechtes im kapitalistischen System sahen, wollten sie in einer Gesellschaft nach westlichem Vorbild leben. Auf der anderen Seite gab es die Kriegsveteranen und Traditionalisten, die die neuen Entwicklungen im Land ablehnten. Auch ihr Standpunkt war durchaus nachzuvollziehen.
Vor dem Beginn der Perestroika konnte ein älterer Mann – viele waren Frontveteranen oder sozialistische Arbeitshelden – an einem Feiertag seine Medaillen anlegen und in einer Parade mitmarschieren. Er wurde zu Vorträgen vor Schülern eingeladen. Nach eigenem Ermessen hatte er ein ehrenhaftes und sinnvolles Leben geführt, zum Besten der sozialistischen Gesellschaft. Nun jedoch hatte sich alles drastisch geändert, und die einstigen Helden sollten auf einmal am Aufbau einer falschen Gesellschaftsform mitgearbeitet haben. Sie hätten eine kapitalistische – nicht eine sozialistische – Gesellschaft errichten sollen. Es sei ein Fehler gewesen, 1917 den russischen Zar abzusetzen und seine gesamte Familie zu töten. Die Auszeichnungen des zuvor geehrten Mannes bezeugten jetzt nicht mehr seinen Mut, sondern zeigten, dass er in erster Front an etwas mitgearbeitet hatte, was die Gesellschaft nicht brauchte. Wie konnte ein solcher Mann jetzt seinen Kindern und Enkeln in die Augen schauen? Solche Leute nahmen zu Beginn der Perestroika an Kundgebungen und Demonstrationen teil.
Eines Tages geriet ich mitten in eine solche Massenversammlung.
Während meiner Verhandlungen mit Geschäftsleuten aus der Türkei teilte mir mein Sekretär mit, dass sich in der Nähe der Büroräume des Nowosibirsker Regionalkomitees der Kommunistischen Partei spontan eine größere Menschentraube bildete und dass die Leute empört Parolen gegen Unternehmer ausriefen. Ich entschuldigte mich bei der türkischen Delegation und beschloss, mit ein paar meiner Kollegen dorthin zu gehen. Wir befürchteten, dass die Leute nach der Demonstration private Schaschlikstände und kleine Läden zertrümmern würden. «Du solltest deine Kleidung wechseln», riet mir einer meiner Kollegen. «Wenn die Leute uns in unseren Geschäftsanzügen sehen, werden sie umso ungehaltener sein.»
«Hast schon recht, aber dafür ist jetzt keine Zeit.»
Wir fuhren also in zwei Autos zur Massenversammlung, einem importierten Mercedes und einem russischen UAZ-Jeep. Wir stiegen in eleganten Anzügen und weißen Hemden mit Krawatte aus den Autos, wobei ich mit meinem extravaganten weißen Anzug wie ein Londoner Dandy aussah. Wir standen dort, beobachteten die Menge und wussten nicht, was zu tun war.
Die Versammlung bestand aus etwa 1500 oder 2000 Menschen. Rote Flaggen wurden über den Köpfen der Menge geschwenkt. Dazu hörten wir die Parolen: «Nein zum Kapitalismus!», «Unternehmer saugen das Blut der Menschen», «Zieht die Verräter der Partei zur Rechenschaft!» Ein älterer Mann mit Medaillen auf der Brust sprach in Rage und Verzweiflung auf einer improvisierten Bühne.
«Unsere Generation wurde betrogen! Unsere gesamte Generation! Wir haben in Schützengräben Blut gelassen. Wir haben die Faschistenschweine davon abgehalten, unsere Heimat zu überrumpeln. Wir litten Hunger und lebten in Zelten, aber wir erbauten Fabriken und Manufakturen. Wir haben Städte erbaut. Wir haben den Sozialismus aufgebaut und träumten vom Kommunismus.»
Gelegentlich fiel ein Invalide auf Krücken beipflichtend ein: «Wir haben uns nicht geschont.»
Zwei alte Frauen riefen vereint: «Rente! Rente!»
Es war offensichtlich, dass die Menge den Sprecher aufstachelte.
«Wir werden den Blutsaugern und Spießern Einhalt gebieten. Es gibt auf dem Markt nicht einmal mehr Fleisch zu kaufen, weil sie alles für ihre Schaschlikstände aufgekauft haben. Lasst uns ihre Fressbuden zerschlagen wie Schlangennester!», forderte er.
Nun erklangen Sprechchöre: «Schlagt sie kaputt! Schlagt sie kaputt! Schlagt sie kaputt!»
«Wir haben unser Leben für unsere Kinder aufgebaut, nicht für die da!», rief er und deutete gestikulierend auf unsere Gruppe.
Alle Demonstrationsteilnehmer schauten nun in unsere Richtung. Es wurde totenstill. Die Menge schien bereit, über uns herzufallen. Da ergriff ich ein Megaphon und kletterte aufs Dach des Jeeps, ohne recht zu wissen, was ich sagen würde. Ich begann also ohne einleitende Worte.
«Wie ihr sagt, habt ihr für eure Kinder gearbeitet – nun, hier sind wir, eure Kinder. Wir haben beschlossen, Unternehmer zu werden. Und ein Leben zu führen, das dem in Amerika in nichts nachsteht. Das Gesetz erlaubt es uns jetzt, private Geschäfte zu betreiben. Vielen Dank für eure Bemühungen, aber was ihr aufgebaut habt, ist einfach nicht nach unserem Geschmack, und wir wollen uns etwas Eigenes schaffen. Wenn ihr aber unsere Verkaufsstände zertrümmert, werdet ihr keine Rente bekommen, denn wir sind es, die das Geld für eure Rente bezahlen. Unternehmer sind keine Blutsauger. Unternehmer sind Leute, die versuchen, für ihr Land Gutes zu tun – und natürlich auch für sich selbst.»
Der Sprecher auf der Bühne hatte kein Megaphon, also musste er schreien, um mich zu unterbrechen.
«Da ist er, seht her! Der Anführer all derer, die das Blut der Leute saugen. Sie sind diejenigen, die dafür gesorgt haben, dass unsere Lebensmittelregale leer sind. Sie sind es, die das Fleisch aufgekauft haben und es jetzt als Schaschlik zum dreifachen Preis verkaufen. In nur drei Tagen ist uns das Fleisch ausgegangen.»
«So, so, interessant – aber ich glaube, Sie meinen eigentlich etwas anderes: Ihr habt geschuftet und geschuftet, und trotzdem hattet ihr nur Fleisch für drei Tage.»
Die Zwischenrufe aus der Menge verebbten. Die Menschen hörten jetzt unserem Dialog zu, wobei sie ihre Blicke immer dem jeweiligen Sprecher zuwandten. Der Mann auf der Bühne versuchte es nicht, mein Argument zu erwidern. Statt zu antworten, rief er laut: «Holt ihn runter von seinem Auto, den Blutsauger des Volkes! Schaut nur, wie diese Bastarde angezogen sind!»
Alle möglichen Gegenstände flogen jetzt aus der Menge auf mich zu. Zwei eingelegte Tomaten und ein Ei zerplatzten auf meinem weißen Anzug. Eine weitere Tomate landete an meinem Kopf. Die anwesenden Polizeibeamten bildeten eine Absperrung zwischen der Menge und dem Auto, auf dem ich stand. Der Polizeikommandant rief mir zu: «Steig von deinem Auto und hau ab. Wir können die Menge nicht zurückhalten.»
Ich wollte aber nicht klein beigeben, sondern schrie ins Megafon: «Wollt ihr, dass eure Kinder in Lumpen herumlaufen wie ihr? Ist es das, wofür ihr kämpfen wollt?»
Ein paar Leute lösten sich aus der Menge, durchbrachen die Polizeibarriere, rannten auf mein Auto zu und fingen an, daran zu rütteln. In diesem Augenblick – ich weiß selbst nicht genau, wie es geschah – begann ich Majakowskis Gedicht über Lenin** zu zitieren:
Es ist Zeit …
von Lenin
zu sagen heb ich an.
Aber nicht,
weil Welt und Leid
vergangen wären.
Es ist Zeit,
weil unser herber Gram
begann,
sich zum hell bewussten Schmerz
zu klären.
Zeit,
heb wieder
Lenins Losung in den Wirbelwind!
Sollten wir
an Tränenpfützen
trüb erschlaffen?
Lenin
ist heut lebender,
als die am Leben sind.
Er verleiht uns
Wissen, Kraft
und Waffen.
Die Menge erstarrte vor Staunen. Die Leute, die an dem Auto geruckelt hatten, hielten inne und hoben den Kopf. In dem Augenblick kam von der Seite her langsam ein Wodka-Lieferwagen über das Gras herbei, und ich und meine Kollegen beschlossen, zusammenzulegen und die Menge mit Wodka zu beschwichtigen. Während sich das Fahrzeug mir näherte, rezitierte ich weiter:
Menschen und Boote.
Wenn auch zu Lande.
Während man so
seine Tage verlebt,
mancherlei
sudlige Menschengirlande
rau
an unsere Flanken
sich klebt.
Dann, wenn es gelang,
sich bösen Stürmen
zu entbalgen,
kehrt man
auf sein Sonnenplätzchen heim,
setzt sich,
schabt ihn ab,
den grünen Bart der Algen,
der Medusen himbeerfarbnen Schleim.
Ich
säubere mich
unter Lenins Sonne,
um in der Revolution
dann vorwärts zu schwimmen.
Als der Lieferwagen mit Wodka ganz dicht an mein Auto herangekommen war, sprang ich auf die Ladefläche des Lieferwagens herüber und sagte: «Nur hatten wir leider Pech, Leute. Jedem seine eigene Revolution!»
Der Sprecher rief wieder dazwischen: «Seht ihr nicht, er macht sich über uns lustig! Er hat das Gedicht über Lenin rezitiert, damit wir alle aufhören, klar zu denken. Und genau das habt ihr auch getan.»
«Ich habe mir große Mühe gegeben, in der Schule Gedichte zu lernen. Auch strengte ich mich sehr an, sie aufsagen zu können, um zu beweisen, dass unsere Generation die Bestrebungen unserer Vorväter kennt.»
«Auf einen Schlag hat er mit seinem Gedicht alle übertölpelt, dieser Ausbeuter, dieser Blutsauger des Volkes. Was steht ihr da so belämmert herum? Zerquetscht diese Hydra, schlagt sie zu Brei. Er hat sich hinter Lenin und Gedichten verkrochen.»
Einige in der Menge riefen laut aus und versuchten erneut, die Polizeikette zu durchbrechen.
«Ich habe Gedichte vorgetragen, damit wir eine normale Unterhaltung anfangen können. Kommt her, genehmigt euch ein Glas und lasst uns vernünftig weiterreden, wie es sich für Russen gehört!»
Ich öffnete die Seite des Lieferwagens, setzte mich auf eine Kiste, öffnete eine Flasche Wodka, dann eine zweite und goss Wodka in kleine Plastikbecher. Ich hob einen Becher und nahm einen Schluck. Dann wandte ich mich an diejenigen, die die Polizeibarriere durchbrochen und meinen Jeep durchgeschüttelt hatten. Sie standen bereits um den offenen Lieferwagen herum.
«Na los, genehmigt euch auch einen, Leute. Lasst uns einen heben, sonst können wir uns nicht richtig unterhalten.»
Die Männer begannen nach den Bechern zu schnappen.
«Warum haben wir uns eigentlich so aufgeregt? Man kann sich doch auch normal unterhalten», bemerkte ein kleiner bärtiger Mann, und sein Freund fügte hinzu: «Warum sprechen wir nicht darüber, unter welchen Umständen ein Unternehmen etwas Gutes sein kann?»
Einer der Männer, die sich bereits einen Drink genehmigt hatten, wandte sich an die Polizisten und sprach: «Leute, haltet noch ein wenig aus, sonst bricht die Menge durch und hindert uns daran, normal zu reden.»
«Stimmt genau! Was für eine Unterhaltung kann man mit der Menge führen? Das gäbe nur einen Riesenlärm, sonst nichts», meinte ein anderer.
«Wir genehmigen uns noch einen, dann helfen wir euch.»
«Ihr solltet lieber den Soldaten helfen. Schenkt nach.»
Ich füllte weitere Becher mit Wodka.
«Was für Gedichte kennst du sonst noch?», fragte ein sehr großer, barhäuptiger Mann mit Bassstimme.
«Auswendig? Nur was ich in der Schule gelernt habe», antwortete ich.
«Gut, dann sag ein Gedicht von der Schule auf, und ich werde dazu ins Mikro singen. Immer wenn ich trinke, komme ich in Stimmung zu singen.»
«Einsam glänzt ein weißes Segel in des Meeres blauem Nebel!», rezitierte ich, und der Kahlkopf begann in mächtiger Bassstimme einzustimmen, verstärkt durch das Megafon:
Einsam glänzt ein weißes Segel
In des Meeres blauem Nebel!
Von der Fremde, was verlangt’s?
Was verblieb am Heimatstrand? ***
Die Menge durchbrach die Polizeisperre. Eine größere Menschengruppe, zumeist männlich, rannte auf den Lieferwagen zu.
Der robuste Kahlköpfige hörte auf zu singen und rief mit sonorem Bass: «Stellt euch an, wie es sich gehört! Das hier ist eine normale Unterhaltung, kein lärmender Aufruhr.»
Die Neuankömmlinge stellten sich in einer Warteschlange an.
Der Sprecher auf der gegenüberliegenden Bühne redete nun weiter, an die vor ihm stehenden Menschen gewandt: «Seht, er macht die Leute betrunken. Frauen! Er macht eure Männer betrunken.»
Ein Wirrwarr unzufriedener Stimmen machte sich breit, größtenteils Stimmen älterer Frauen.
Ich ergriff erneut das Megafon und wandte mich an die Frauen: «Verzeihen Sie, meine Damen, ich hab es einfach verschwitzt zu sagen: Auf der anderen Seite des Platzes steht ein Lieferwagen mit importierten Hähnchenkeulen, ein Geschenk an Sie alle von der Genossenschaft der Unternehmer. Das ist nicht als Bestechung gedacht, sondern als kleine Aufmerksamkeit, damit wir eine Verschnaufpause haben können und Sie unsere Diskussion nicht stören. Natürlich reicht eine Wagenladung nicht für alle, das gebe ich zu, aber zumindest einige von Ihnen werden etwas umsonst bekommen.»
Eine größere Gruppe von Frauen – einige schnell gehend, andere laufend – eilte zum Lieferwagen mit den Hähnchenkeulen. Auf diese Weise waren die Protestler in zwei Gruppen geteilt: eine beim Wodkalaster, die andere beim Hähnchenkeulenlaster. Ich stellte fest, dass die Menge sich beruhigt hatte. Meine Kollegen und ich stiegen in die Autos ein und fuhren zurück zu meinem Schiff.
Während ich mich von den Wodkatrinkern entfernte, hörte ich jemand sagen: «Gar kein schlechter Typ, und wir hätten ihn fast zum Krüppel geschlagen.»
Solange das Schiff vor Anker lag, wurde es als Club für Unternehmer genutzt. Ältere und jüngere Leute trafen sich dort oft, sprachen über das Geschäftsleben und tauschten Erfahrungen aus. Fast jeder hatte das Gefühl, dass ein ungewöhnlich schönes Leben im Anzug war. Bisweilen versuchte ein Skeptiker, den anderen diese herrlichen Träume zu vergällen. Eines Tages kam der Mann, der auf der Kundgebung gesprochen hatte, zum Schiff. Der Wächter wollte ihn nicht einlassen, doch der Mann forderte, mit mir zu sprechen. So kam ich heraus, und wir stellten einander vor. Er hieß Pjotr Iwanowitsch und bat um Erlaubnis für den Besuch unseres Clubs.
«Was wollen Sie denn in unserem Club, Pjotr Iwanowitsch, wenn Sie gegen Unternehmer und gegen Privateigentum sind?»
Er entgegnete: «Ich bin gegen alles Absurde im Leben. Ich möchte Ihnen, der Avantgarde von heute, meine Meinung sagen. Oder fürchten Sie sich davor, sich andere Ansichten anzuhören?»
Einer meiner Kollegen schlug vor: «Lass ihn ruhig herein, sodass er sich den Kummer von der Seele reden kann. Das ist doch besser, als wenn sie wieder eine Kundgebung abhalten und die Leute kirre machen.»
Ich war einverstanden.
Pjotr Iwanowitsch kam Woche für Woche. Wir hatten vereinbart, dass er nicht länger als fünf Minuten sprechen sollte. Wie es sich herausstellte, hatte er früher Geschichte und Philosophie unterrichtet. Seine Reden im Unternehmerclub stießen auf herzlich wenig Interesse, doch hin und wieder brachten sie mich dazu, lange über den Sinn des Lebens nachzugrübeln.
Eines Tages trat er wieder ans Mikrofon und sprach zu den an den Restauranttischen sitzenden Unternehmern: «Wieso glauben Sie eigentlich, in Zukunft glücklich sein zu können? Drüben in Amerika gibt es schon sehr lange private Unternehmer, und sie haben dort viel mehr Geschäftsleute als wir hier in Russland. Vielleicht können wir in zwanzig Jahren den amerikanischen Lebensstandard erreichen, aber in diesen zwanzig Jahre werden sie uns noch weiter voraus sein als jetzt. Es wird dann zwar mehr Unternehmer in Russland geben, aber das heißt noch lange nicht, dass es auch mehr glückliche Menschen hier gibt.»
Damals, zu Beginn der Perestroika, haben sich unsere Unternehmer der ersten Stunde keine Gedanken über den Sinn des Lebens gemacht. Wir wollten einfach ein gutes Leben.
Dieses Kapitel wurde vom Autor für die vorliegende, vollständig überarbeitete Neuausgabe neu hinzugefügt. (Anmerkung des Verlags)
W. Majakowski; «Wladimir Iljitsch Lenin», im Deutschen nachgedichtet von Hugo Huppert; Quelle: Majakowskis Werke, Bd. 2, Insel TB, 1974.
Die erste Strophe aus dem Gedicht «Der Segler» von Michail Lermontow (1814 – 1841).
2
Die klingende Zeder
Im Frühjahr 1994 unternahm ich mit meinen Schiffen eine viermonatige Geschäftsreise auf dem sibirischen Fluss Ob: von Nowosibirsk nach Salechard, einer Stadt am nördlichen Polarkreis. Ziel und Zweck dieser Reise war es, wirtschaftliche Beziehungen zum hohen Norden zu knüpfen.
Wir nannten unsere Expedition «Handelskarawane». Auf einem großen Dreidecker, auf dem der Führungsstab der Handelskarawane Quartier bezogen hatte, gab es eine Ausstellung mit Produkten sibirischer Unternehmer und einen Kaufladen. Ich wohnte dort in einem Luxusappartement. Zu diesem Zweck waren zwei Kajüten der ersten Klasse umgebaut und modern eingerichtet worden. Das war notwendig, um bei Verhandlungen Eindruck zu schinden.
Meine Schiffe mussten eine Strecke von 3500 Kilometern nordwärts zurücklegen und liefen dabei sowohl große Städte wie Tomsk, Nishnewartowsk, Chanty-Mansijsk und Salechard an als auch kleine, unbedeutende Orte, wo Frachtgüter nur zu bestimmten Zeiten angeliefert werden können. Im Winter ist der Ob zugefroren, und der Verkehr zwischen den Städten und den Einwohnern der sibirischen Siedlungen kommt dann zum Erliegen.
Tagsüber legten die Schiffe der Handelskarawane an besiedelten Orten an. Wir ließen die Schiffssirenen heulen und spielten über große Lautsprecher auf dem Oberdeck Musik ab, um die Menschen anzulocken. Wir trieben Handel, kauften von den Einheimischen wertvollen Fisch und andere Gaben der sibirischen Taiga – Moosbeeren, Dörrpilze und Pelze – und führten Gespräche, um Handelsbeziehungen mit den Jägern und Fischern der Region aufzubauen.
Die Nacht wurde in der Regel benutzt, um Fahrt zu machen. Wenn aber der Fluss wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse unbefahrbar war, lief das Stabsschiff die nächste Anlegestelle an, und wir veranstalteten dort einen Kulturabend für die einheimische Jugend. Solche Veranstaltungen finden dort nur sehr selten statt, denn die Klub- und Kulturhäuser sind jetzt größtenteils verfallen. Unser Boot war also eine größere Attraktion.
Stellen Sie sich das nur einmal selbst vor: Die Bewohner eines sibirischen Dorfes, das Tausende von Kilometern entfernt von aller Zivilisation liegt, sehen auf dem Fluss ein schönes weißes Schiff vorbeifahren. Und auf einmal wendet es und legt an ihrem Ufer an. Auf dem Stabsschiff gab es ein Restaurant, eine Bar und einen Tanzsaal mit Säulen. Nicht nur sämtliche Jugendliche, auch die Erwachsenen strömten in Scharen auf das Schiff, um sich für ein paar Stunden zu amüsieren. Später dann standen sie winkend am Ufer, um die weiße Schönheit zu verabschieden.
Je weiter wir die Großstädte hinter uns ließen und je mehr wir uns dem Polarkreis näherten, desto mehr nahm der Ob an Breite zu, und an seinen Ufern konnte man mit dem Fernglas wilde Tiere beobachten. Manchmal sahen wir den ganzen Tag keine einzige Ortschaft – nur die Taiga, die sich endlos zu beiden Seiten des Ufers zu erstrecken schien, und den Fluss, die einzige Verkehrsader weit und breit. Damals ahnte ich noch nicht, dass in dieser Gegend eine Begegnung stattfinden würde, die mein Leben von Grund auf verändern sollte.
Eines Tages dann – wir waren bereits auf dem Rückweg und hielten auf Nowosibirsk zu – ließ ich unser Hauptschiff bei einem kleinen Dorf festmachen, das aus nicht mehr als ein paar Häuschen bestand. Ich hatte einen Aufenthalt von drei Stunden geplant, in denen sich die Besatzung an Land erholen konnte. Gleichzeitig sollten die Ortsbewohner bei uns Industriewaren und Lebensmittel kaufen können, und wir wollten die Gelegenheit nutzen, bei ihnen Wildfrüchte und Fisch zu erwerben.
Auch ich beschloss, an Land zu gehen. Während ich die Schiffstreppe hinabstieg, fiel mein Blick unwillkürlich auf zwei ältere Männer. Sie standen schweigend an der Seite einer Gruppe Einheimischer, die sich anschickte, das Schiff zu besuchen.
Besonders seltsam sah der Ältere der beiden aus, der einen grauen Bart hatte und einen Regenmantel aus Segeltuch trug, der ihm bis zu den Füßen reichte. Sein Kopf war in eine Kapuze gehüllt. Beim Vorbeigehen grüßte ich die beiden Alten. Der Ältere sagte nichts, sondern neigte nur leicht seinen Kopf. Sein Gefährte hingegen erwiderte meinen Gruß: «Guten Tag! Mögen Ihre guten Gedanken sich verwirklichen! Sie haben hier wohl das Sagen, ja? Können Sie Anordnungen geben?»
«Ja, das kann ich, solange sie vernünftig sind», antwortete ich und wollte meinen Weg fortsetzen.
Doch der Alte ließ mich nicht gehen. Er versuchte mich zu überreden, ihnen 50 Leute zur Verfügung zu stellen (die gesamte Besatzung zählte nicht mehr als 65 Mann), die sie in die Taiga mitnehmen wollten, zu einem Ort, der 25 Kilometer von der Anlegestelle entfernt lag. Dort sollte es einen besonderen Baum geben, den sie «klingende Zeder» nannten und fällen wollten. Diese vierzig Meter hohe Zeder* sollte außerdem in kleine, handliche Stücke zersägt und dann zum Boot getragen werden. Wir sollten die Stücke restlos mitnehmen und später in noch kleinere Teile zersägen. Jeder sollte dann ein Stück an sich nehmen, und die übrigen Stücke sollten unter unseren Angehörigen, Bekannten und allen anderen, die sich über ein solches Geschenk freuen würden, verteilt werden.
Der Alte meinte, diese Zeder sei etwas Besonderes und die Stückchen solle man an einer Schnur auf der Brust tragen. Man solle sich eines davon anlegen, während man barfuß auf dem Gras stehe und es mit der linken Hand an die nackte Brust drücke. Nach einer Minute werde man eine angenehme, von der Zeder ausgehende Wärme spüren und dann werde ein leichtes Zittern den Körper durchlaufen. Ab und zu solle man, wann immer man möchte, die Seite des Holzstückchens, die den Körper nicht berührt, mit den Fingerspitzen reiben, während man es von der anderen Seite mit den Daumen hält. Schon nach drei Monaten, so behauptete der Alte, werde sich der Mensch bedeutend besser fühlen und werde von vielen Krankheiten geheilt werden.
«Auch von Aids?», fragte ich und teilte ihnen mit, was ich über diese Krankheit aus Presseberichten wusste.
Der Alte versicherte mir: «Von allen Krankheiten.»
Das war aber seiner Meinung nach nichts Besonderes. Die Haupteigenschaft der Zedernstückchen bestehe darin, dass sein Besitzer herzlicher, erfolgreicher und begabter werde.
Von der Heilkraft unserer sibirischen Taiga-Zeder hatte ich bereits gehört, aber dass sie auch Gefühle und Fähigkeiten beeinflussen konnte, erschien mir damals unglaubwürdig. Ich dachte: «Vielleicht wollen die Alten für diese angeblich besondere Zeder Geld von mir haben.» Ich erklärte ihnen also, dass in der modernen Welt die Frauen Gold- und Silberschmuck tragen, um anderen zu gefallen, und dass sie für ein Stückchen Holz schwerlich etwas ausgeben würden. Deshalb würde auch ich dafür kein Geld investieren wollen.
«Sie tragen es nur», entgegnete der Alte, «weil sie nicht wissen, dass Gold im Vergleich zu einem Stück Zeder reiner Klimbim ist. Aber wir sind nicht auf Geld aus. Wir können euch obendrein sogar noch Dörrpilze geben; für uns selber brauchen wir nichts.»
Aus Achtung vor ihrem Alter wollte ich nicht weiter streiten und sagte: «Nun, vielleicht wird jemand ein Stück von Ihrer Zeder tragen, wenn ein großer Holzschnitzer mit seinem Messer ein Kunstwerk daraus schafft …»
Doch darauf erwiderte der Alte: «Natürlich kann man daraus etwas schnitzen, aber Reiben und Polieren ist besser. Am besten aber ist es, wenn man es mit seinen eigenen Fingern reibt, wann immer die Seele es wünscht; dann wird das Holz auch äußerlich schön sein.» Dabei knöpfte der jüngere Alte hastig seine zerschlissene Jacke und sein Hemd auf, und ich erblickte auf seiner Brust ein gewölbtes, rundlich-ovales Holzstück. Seine bunten Farben – violett, weinrot, fuchsrot – bildeten ein kompliziertes Muster mit Holzadern, die wie winzige Bäche wirkten. Ich bin zwar kein Kunstkenner, habe aber in meinem Leben hin und wieder Gemäldegalerien besucht. Die weltberühmten Meisterwerke haben bei mir keine besonderen Gefühle hervorgerufen, doch der Anhänger auf der Brust des Alten beeindruckte mich sehr – mehr als ein Besuch in der Tretjakow-Galerie**.
Ich fragte: «Wie lange haben Sie denn an Ihrem Zedernstück poliert?»
«Dreiundneunzig Jahre», antwortete der Alte.
«Und wie alt sind Sie?»
«Hundertneunzehn.»
Damals glaubte ich ihm nicht, denn er sah aus wie ein Fünfundsiebzigjähriger. Ohne meine Zweifel zu bemerken oder zu beachten, versuchte er mich nun leidenschaftlich davon zu überzeugen, dass ein solches Holzstück auch bei anderen schon nach drei Jahren ebenso schön sein werde, wenn es nur von den Fingern des Besitzers gerieben werde, und danach immer schöner – besonders bei Frauen. Vom Körper des Trägers werde ein angenehmer Duft ausgehen, der alle künstlichen, menschengemachten Duftstoffe bei Weitem übertreffe.
Von den beiden Alten ging tatsächlich ein Wohlgeruch aus, den ich ganz deutlich wahrnahm, obwohl ich rauche und mein Geruchssinn, wie wohl bei den meisten Rauchern, ziemlich beeinträchtigt ist.
Und noch etwas Seltsames hatte es mit den beiden Alten auf sich …
Während sie sprachen, fielen mir plötzlich Redewendungen und Gedanken auf, die bei Einwohnern des hohen Nordens gar nicht üblich sind. An einige erinnere ich mich noch heute, sogar an die Intonation. So sagte der Alte:
«Gott erschuf die Zeder als einen Speicher kosmischer Energien …
Von einem Menschen, der Liebe empfindet, geht eine Strahlung aus. In Bruchteilen einer Sekunde wird diese Strahlung von den Planeten im Weltall auf die Erde zurückgeworfen, erreicht wieder die Erde und nährt alles Leben hier …
Die Sonne ist einer dieser Planeten, und sie reflektiert nur einen Teil des Spektrums dieser Strahlung …
In den Kosmos steigt vom Menschen nur lichte Strahlung, und aus dem Kosmos gelangt auf die Erde nur wohltuende Strahlung … Von einem Menschen boshafter Gesinnung geht eine dunkle Strahlung aus, die nicht hinaufsteigen kann, sondern in das Innere der Erde gelangt. Von dort zurückgeworfen, kehrt sie wieder an die Oberfläche zurück – in Form von Vulkanausbrüchen, Erdbeben und Kriegen …
Die stärkste Wirkung der reflektierten dunklen Strahlung unmittelbar auf den Menschen besteht darin, dass seine bösen Gefühle verstärkt werden …
Die Zeder lebt 550 Jahre. Mit Millionen ihrer Nadeln empfängt und speichert sie Tag und Nacht lichte Energie, und zwar das ganze Spektrum. Im Laufe des Lebens der Zeder bewegen sich über sie alle Himmelskörper hinweg, die diese Lichtenergie reflektieren …
Selbst ein kleines Stückchen Zeder enthält mehr dem Menschen wohltuende Energie als alle von Menschenhand geschaffenen Energieanlagen auf der Erde zusammengenommen …
Die Zeder nimmt die vom Menschen ausgehende Energie durch den Kosmos auf, speichert sie und gibt sie wieder ab, wenn es daran im Kosmos und folglich auch im Menschen und allem anderen Leben mangelt, das auf Erden wächst und gedeiht …
In seltenen Fällen gibt es Zedern, die ihre gespeicherte Energie nicht abgeben. Nach fünfhundert Lebensjahren beginnen sie zu klingen. Mit diesem Zeichen teilen sie den Menschen mit, dass diese sie absägen und mitnehmen können, um die gespeicherte Energie auf der Erde zu nutzen. So bittet die Zeder mit ihrem Klang drei Jahre lang. Wenn sie in dieser Zeit nicht von Menschen berührt wird, verliert sie die Möglichkeit, ihre Energie unmittelbar an den Menschen abzugeben. Da sie ihre Energie auch nicht an den Kosmos zurückgeben kann, beginnt sie nach drei Jahren, die Energie in sich zu verbrennen. Dieses qualvolle Sterben durch Selbstverbrennung dauert 27 Jahre.»
Der Alte fuhr fort: «Vor Kurzem haben wir eine solche Zeder entdeckt und festgestellt, dass sie schon seit zwei Jahren klingt – leise vor sich hin klingt. Sehr leise. Vielleicht versucht sie auf diese Weise ihr Bitten auf längere Zeit auszudehnen, aber ihr bleibt nur noch ein Jahr. Deshalb soll sie gefällt und an die Menschen verteilt werden.»
Der Alte sprach lange, und aus irgendeinem Grund hörte ich ihm zu. Die Stimme des merkwürdigen alten Sibiriers klang bald ruhig und sicher, bald erregt. Wenn er unruhig wurde, fingerte er nervös an seinem Stückchen Zeder herum, fast als spiele er auf einem Musikinstrument.
Es war kalt am Ufer, und vom Fluss her blies ein kräftiger Herbstwind. Die grauen Haare der Greise flatterten im kühlen Wind, doch der sprechende Alte ließ seine Jacke und sein Hemd aufgeknöpft. Die ganze Zeit rieb er mit seinen Fingerspitzen an dem Zedernstückchen auf seiner Brust und versuchte, mir dessen Bedeutung zu erklären.
Dann kam eine Mitarbeiterin meiner Firma, Lydia Petrowna, vom Schiff zu uns ans Ufer und teilte mir mit, alle Mann seien an Bord, das Schiff sei bereit zur Abfahrt und man warte nur darauf, dass ich das Gespräch beende. Ich verabschiedete mich also von den Alten und ging schnell an Bord. Ihrer Bitte konnte ich aus zwei Gründen nicht nachkommen: Der verlängerte Aufenthalt von etwa drei Tagen hätte große Verluste gebracht, und außerdem hielt ich damals alles, was sie mir erzählt hatten, für Übertreibungen und Aberglauben.
Am nächsten Tag fiel mir bei unserer morgendlichen Besprechung auf, dass Lydia Petrowna ein Zedernstück betastete, das sie um den Hals trug. Später erzählte sie mir, dass sie noch ein wenig an Land geblieben war, während ich an Bord ging. Dort habe sie beobachtet, wie der Alte, der mit mir gesprochen hatte, ganz verstört bald mir nachschaute, bald seinen Gefährten ansah und sich aufgeregt Vorwürfe machte:
«Warum nur? Warum haben sie es nicht verstanden? Ich kann einfach nicht richtig in ihrer Sprache reden. Ach, ich konnte ihn nicht überzeugen! Hab’s einfach nicht geschafft. Warum nur? Vater, sag doch was!»
Der Ältere legte seinem Sohn die Hand auf die Schulter und erwiderte: «Ja, du warst nicht überzeugend. Sie haben nichts begriffen.»
«Ich war bereits auf der Schiffstreppe», fuhr Lydia Petrowna fort, «da lief mir der Alte, mit dem du gesprochen hattest, plötzlich nach, nahm mich an der Hand und führte mich zurück auf das Gras. Dann holte er hastig einen Bindfaden aus der Tasche, an dem dieses Stück Zedernholz hing, hängte es mir um den Hals und drückte es mir mit meiner und seiner Handfläche an die Brust. Dabei spürte ich, wie ein Zittern meinen Körper durchlief. Das alles ging so schnell, dass ich gar nichts sagen konnte. Als ich wegging, rief er mir hinterher: ‹Gute Reise und viel Glück! Bitte kommt nächstes Jahr wieder! Alles Gute! Wir werden hier auf euch warten. Gute Reise!›
Als das Schiff ablegte, winkte uns der Alte noch lange hinterher, dann setzte er sich plötzlich ins Gras. Ich beobachtete sie durch ein Fernglas. Ich sah, wie der Alte, der mit dir gesprochen und mir dann das Stück Zeder gegeben hatte, im Gras saß und heftig mit den Schultern zuckte. Der Ältere, der mit dem langen Bart, beugte sich über ihn und strich ihm tröstend über den Kopf.»
* * *
Aufgrund von Geldsorgen, meiner Buchhaltung und dem Abschlussbankett unserer Reise hatte ich die beiden seltsamen Sibirier bald vergessen.
Nach der Rückkehr des Dampfers nach Nowosibirsk bekam ich plötzlich heftige Schmerzen. Ich suchte einen Arzt auf, und die Diagnose lautete: Zwölffingerdarmgeschwür und Osteochondrose der Wirbelsäule im Brustbereich.
In der Ruhe des Krankenhauses war ich vor den täglichen Sorgen behütet. Mein luxuriöses Einbettzimmer ermöglichte mir, die Ergebnisse der viermonatigen Reise in aller Ruhe zu analysieren und Pläne für die nächste Geschäftsreise zu schmieden. Doch in meinen Gedanken rückte alles, was damit zusammenhing, in den Hintergrund, und in den Vordergrund traten aus irgendeinem Grund immer wieder die Alten und ihre Geschichte von der Zeder.
Auf meine Bitte hin wurden mir verschiedene Bücher über Zedern gebracht. In Gedanken verglich ich das Gelesene mit den Beschreibungen der alten Sibirier, und je mehr ich las, desto mehr wunderte ich mich. Schließlich begann ich den Worten der Alten Glauben zu schenken. Immerhin lag ja anscheinend einige Wahrheit in ihren Worten, und wer weiß, vielleicht stimmte sogar alles, was sie gesagt hatten!
In Büchern über Volksmedizin wird viel von den Heilkräften der Zedern berichtet. Alle Teile der Zeder, so heißt es dort – von den Nadeln bis zur Rinde –, sind mit hochwirksamen Heilkräften ausgestattet. Das Holz der sibirischen Zeder sieht sehr schön aus und kann von Bildhauermeistern für Schnitzereien verwendet werden. Man stellt daraus Möbel und Schallböden für Musikinstrumente her. Die Zedernnadeln enthalten hochwirksame Phytonzide, die die Luft schnell desinfizieren. Das Zedernholz hat einen sehr angenehmen Balsamduft. Ein kleines Stück Zedernholz im Haus ist ein bewährtes Mittel gegen Motten.