Anastasia, Band 3: Raum der Liebe - Wladimir Megre - E-Book

Anastasia, Band 3: Raum der Liebe E-Book

Wladimir Megre

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Beschreibung

Band 3 der Anastasia-Reihe.Um seinen Sohn zu sehen und Antwort zu finden auf zahlreiche Fragen, unternimmt Wladimir Megre in Band 3 eine weitere Reise in die Tiefen der Taiga. Die Wildnis birgt jedoch ungeahnte Gefahren. Zudem muss er feststellen, dass er längst nicht mehr der Einzige ist, der nach Anastasia sucht. Einflussreiche Kreise sind auf sie aufmerksam geworden und trachten danach, ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten für die moderne Wissenschaft nutzbar zu machen. Dabei wird ihnen eine Erfahrung besonderer Art zuteil.Der Leser macht in diesem Band ferner Bekanntschaft mit dem Wirken eines hochenergetischen Geistwesens und mit Anastasias "Antisystem" der Kindeserziehung, bei dem beispielsweise die traditionelle Rolle von Vätern und Lehrern hinterfragt und in neue Bahnen gelenkt wird. Der "Raum der Liebe" spielt dabei eine zentrale Rolle für die gesunde Entwicklung des Kindes und die Verantwortlichkeit der Eltern. In diesem Zusammenhang erwartet auch Wladimir eine neue, umfangreiche Mission ...

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Seitenzahl: 306

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Wladimir Megre

Anastasia

Band 3:

Raum der Liebe

aus dem Russischen übersetzt vonHelmut Kunkel

Govinda-Verlag

Herausgegeben von Ronald Zürrer

Alle Titel von Wladimir Megre zu Anastasia:

Band 1: Anastasia – Tochter der Taiga

Band 2: Anastasia – Die klingenden Zedern Russlands

Band 3: Anastasia – Raum der Liebe

Band 4: Anastasia – Schöpfung

Band 5: Anastasia – Wer sind wir?

Band 6: Anastasia – Das Wissen der Ahnen

Band 7: Anastasia – Die Energie des Lebens

Band 8.1: Anastasia – Neue Zivilisation

Band 8.2: Anastasia – Die Bräuche der Liebe

Band 10: Anastasia – Anasta

Hinweis zur Nummerierung: Gemäß dem Autor soll Band 9 im Laufe der Zeit aus Texten von Lesern und Bewohnern von Familienlandsitzen zusammengestellt werden.

Kontaktadresse des Verlages:

Govinda-Verlag, Postfach, 8462 Rheinau | [email protected]

govinda.ch

Govinda-Verlag, Postfach, 8462 Rheinau | [email protected]

Offizielle Website des Autors (Informationen über Wladimir Megre, seine Bücher, Leseveranstaltungen und weltweiten Projekte):

www.vmegre.com

© 2005/2013 Govinda-Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten.

Originaltitel: Пространство Любви

Übersetzung aus dem Russischen: Helmut Kunkel

Lektorat: Dania Asfandiarowa

Gestaltung Umschlag: Ronald Zürrer

Umschlagbild: © Kursiv

Erstausgabe als E-Book – August 2019

ISBN 978-3-905831-57-3 (E-Book)

ISBN 978-3-905831-20-7 (gedruckte Ausgabe)

Inhalt

1 Ein weiterer Pilger

2 Kein Geld für dumme Flausen

3 Ungebetene Gäste

4 Kosmische Klangschwingungen

5 Der Geist der Urmutter

6 Die lichten Kräfte

7 Die Entführung

8 Die Hölle

9 Wie Worte das Schicksal verändern können

10 Sei deines eigenen Glückes Schmied!

11 Wer sind wir?

12 Von Menschenhand geschaffene Monster

13 Neuer Morgen – neues Leben

14 Die Aufgaben der Eltern

15 In luftigen Höhen seelischer Erkenntnis

16 Das System

17 Gelebte Visionen des Glücks

18 Akademiemitglied Schtschetinin

19 Was können wir glauben?

20 Kontakt mit anderen Welten

21 Sollen wir alle in den Wald ziehen?

22 Über die Anastasia-Zentren

23 Errichtet ein neues Shambhalla!

24 Wer bist du, Anastasia?

Über den Autor

1

Ein weiterer Pilger

Endlich sah ich ihn wieder: Vor meinen Augen erstreckte sich der gewaltige sibirische Strom Ob. Ich war in jener nördlichen Siedlung angelangt, wo alle regulären Verkehrsverbindungen enden. Um zu dem Ort zu gelangen, von dem aus ich zu Fuß zu Anastasias Lichtung gehen konnte, musste ich ein Motorboot oder einen kleinen Kutter chartern. An einem der vielen am Ufer liegenden Boote waren drei Männer damit beschäftigt, ihre Fischernetze zu entwirren. Ich grüßte sie und fragte, ob sie jemand kannten, der mich gegen eine gute Entlohnung an mein Ziel bringen könne.

«Der Jegorytsch, der ist bei uns dafür zuständig. Eine halbe Million* kostet das», erwiderte einer der Männer.

Ich war beunruhigt. Wenn schon jemand «dafür zuständig» war, Leute zu einem so abgelegenen Ort in der Taiga zu befördern, so war ich offenbar nicht der Erste mit diesem Anliegen, ja, es musste sogar eine recht rege Nachfrage für diese Dienstleistung herrschen, denn bekanntlich werden Angebot und Preis von der Nachfrage bestimmt. Und dann ein solcher Preis für ein paar Stunden Bootsfahrt … Allerdings war mir klar, dass es hier im hohen Norden wenig Zweck hatte zu feilschen, und so fragte ich gleich: «Wo kann ich diesen Jegorytsch finden?»

«Irgendwo im Dorf wird er sein, wahrscheinlich in der Nähe vom Laden. Siehst du den Kutter da vorn? Das ist seiner. Und eines der Kinder, die dort spielen, ist Jegorytschs Enkel, Wasjatka. Frag ihn, er wird dir Jegorytsch holen.»

Wasjatka war ein aufgeweckter Bursche von vielleicht zwölf Jahren. Kaum hatte ich ihn begrüßt, da platzte er heraus: «Sie wollen mit dem Boot fahren, nicht wahr – zu Anastasia? Sekunde nur, ich hol gleich meinen Opa.» Und ohne meine Antwort erst abzuwarten, rannte er los ins Dorf. Offenbar gab es seiner Meinung nach nur einen möglichen Grund für mein Kommen: Alle Fremden wollten zu Anastasia.

Ich setzte mich ans Ufer und wartete. Da es für mich nichts zu tun gab, starrte ich ins Wasser und ließ meine Gedanken schweifen.

Der Fluss, so schätzte ich, musste hier von Ufer zu Ufer einen guten Kilometer messen. Würdevoll und gemächlich wälzt sich der Strom seit Jahrhunderten durch die Taiga, deren Weite selbst vom Flugzeug aus nicht zu ermessen ist. Welche Bilder aus spurlos verflossenen Zeiten tragen die Wellen des Ob wohl noch heute mit sich?

Vielleicht erinnern sie sich an Jermak, den Eroberer Sibiriens? Daran, wie er von den Feinden ans Flussufer gedrängt wurde? Wie er allein mit dem Schwert in der Hand sich des Angriffs der Feinde erwehrte, während sein Blut ins Wasser floss? Und wie er schließlich entkräftet ins Wasser fiel und von den Wellen des Ob fortgetragen wurde? Was hat Jermak erobert? Wer weiß – vielleicht war er nicht besser als all die Mörder und Gangster von heute. Eine Antwort hierauf könnte heute wohl nur der Ob geben …

Oder vielleicht sind für den Fluss die Raubzüge Dschingis Khans bedeutender? Seine wilden Horden waren im Mittelalter überall gefürchtet. In der heutigen Region Nowosibirsk liegt die Kreisstadt Ordynskoje, und in ihrer Nähe gibt es ein Dorf namens Dschingis. Erinnern sich die Fluten des Ob wohl noch, wie die Horden Dschingis Khans mit ihrer Beute den Rückzug antraten und wie sie eine junge Sibirierin fesselten? Wie einer seiner mächtigen Wesire diese Frau mit leidenschaftlichen Worten und mit vor Liebe erglühten Augen anflehte, ihm freiwillig zu folgen? Sie jedoch blickte stumm zu Boden. Die Soldaten des Wesirs waren schon entflohen, denn die Verfolger nahten; er aber redete wieder und wieder auf sie ein und warb um ihre Liebe. Schließlich packte er sie auf den Rücken des Pferdes, machte die Satteltaschen voller Gold fest, sprang selbst in den Sattel und sprengte mit seinem treuen Ross davon, auf das Ufer des Ob zuhaltend. Die Verfolger jedoch holten auf, und so warf der Wesir ihnen Gold zu, um sie abzulenken und sich von Ballast zu befreien. Als die Taschen leer waren, riss er sich seine kostbaren Abzeichen und Medaillen von der Brust und warf sie den Verfolgern zu Füßen. Die Sibirierin aber behielt er bei sich. Das vor Erschöpfung schäumende Pferd brachte sie zu den Kähnen am Ufer des Ob. Der Wesir nahm das gefesselte Mädchen behutsam vom Pferd und setzte es ins Boot. Dann sprang er selbst hinein. Doch während er das Boot mit einem Stecken vom Ufer abstieß, ereilte ihn ein Pfeil.

Die Strömung erfasste das Boot. Schwer verwundet lag der Wesir im Heck. Er bemerkte gar nicht, dass drei gegnerische Boote ihnen folgten und immer näher kamen. Er hatte keine Kraft zu sprechen und blickte zärtlich das Mädchen an, das schweigsam dasaß. Die Sibirierin sah ihn an, dann die Verfolger … da huschte plötzlich ein Lächeln über ihr Gesicht. Wem nur galt dieses Lächeln? Sie riss sich die Stricke von den Händen, warf sie ins Wasser und übernahm das Ruder. So sehr sich die Verfolger auch bemühten, sie konnten das Boot mit der Sibirierin und dem verletzten Wesir nicht einholen.

An welchen Ort und in welche Zeiten hat deine Strömung die beiden getrieben? Und welche Bilder werden deine getrübten Wellen jetzt, in diesem Moment, als Erinnerung an uns mit sich nehmen? Lass es mich wissen, ehrenwerter Fluss!

Sind vielleicht die Großstädte für dich von Bedeutung? Näher an deiner Quelle liegt die sibirische Metropole Nowosibirsk. Bist du dir ihrer erhabenen Größe bewusst? – Klar, ich weiß schon, was du mir alles erzählen könntest von den vielen giftigen Abwässern, die sie in dich hineinpumpt, sodass dein einst heilendes Wasser ungenießbar geworden ist. Nun, wir sind eben nicht wie unsere Vorfahren. Wir streben nach Fortschritt und wirtschaftlicher Entwicklung. Wohin sollten wir sonst mit all den Abfällen unserer Fabriken? In und um Nowosibirsk gibt es jetzt eine ganze Reihe von Forschungszentren. Wenn die ihre Abfälle nicht in dich leiten würden, müssten wir glatt ersticken. Die Luft in Nowosibirsk ist sowieso schon schlecht genug. In einigen Bezirken riecht es äußerst penetrant, sodass uns das Atmen manchmal schwerfällt. Bitte versuch all das zu verstehen. Du weißt doch, welche Technik wir jetzt haben. Die Zeiten der lautlosen Kähne sind nun mal vorbei; wir haben jetzt große Schiffe mit Dieselmotoren. Auch mein Schiff befuhr ja deine Wasser.

Es würde mich wirklich interessieren, ob sich der Fluss an mich erinnert. Ich fuhr mit dem größten Passagierschiff unserer Reederei. Nun ja, neu war es weiß Gott nicht, und der Dieselmotor und die Schrauben machten einen solchen Lärm, dass man bei voller Fahrt die Musik in der Schiffbar kaum mehr hören konnte. Jedenfalls weiß ich noch, wie ich eines Tages durch die Fenster der Schiffbar vom Oberdeck des Schiffes den Fluss betrachtete. Aus der Musikbox erklangen Lieder und Romanzen von Malinin:

Auf weißem Rosse wollte ich einst reiten in die Stadt,

Derweil der Schenke Wirtin mich nett angelächelt hat.

Auf der Brücke bedachte mich der Müller mit finsteren Blicken,

Die Nacht aber verbrachte ich mit der Wirtin zu meinem Entzücken.

Klein und unbedeutend waren mir die Menschen damals vorgekommen, die ich an den Ufern des Ob sah – jetzt war ich plötzlich selbst einer von ihnen …

Ich dachte darüber nach, wie ich wohl Anastasia davon überzeugen mochte, den Kontakt mit meinem Sohn zuzulassen. Die Lage war schon recht seltsam. Mein Leben lang hatte ich davon geträumt, einen Sohn zu haben. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich mit ihm spielen und ihn später erziehen würde. Wenn er dann erwachsen wäre, sollte er mir bei der Arbeit helfen. Dann könnten wir gemeinsam Geschäfte machen. Einen Sohn habe ich jetzt. Und auch wenn er nicht bei mir lebt, so ist es doch ein schönes Gefühl zu wissen, dass auf dieser Erde ein solches mir nahes und von mir erwünschtes Wesen lebt. Vor meiner Abreise hatte ich für den Kleinen mit großem Vergnügen alle möglichen Kindersachen gekauft. Das Kaufen war allerdings eine Sache – eine andere war die Frage, ob er die Sachen auch bekommen würde. Wäre er der Sohn einer normalen Frau gewesen, egal ob Städterin oder Dorffrau, so wäre diese Frage gar nicht erst aufgetaucht. Jede andere Frau hätte sich darüber gefreut, wenn der Vater um das Wohl des Kindes besorgt ist, ihm alles Nötige zur Verfügung stellen und an seiner Erziehung teilhaben will. Im Gegenteil: Tut er das nicht, so klagen viele Frauen Alimente ein. Ganz anders Anastasia. Die Taiga-Einsiedlerin hat ihre eigenen Lebensanschauungen und Wertmaßstäbe. Bereits vor der Geburt des Sohnes erklärte sie mir: «All deine sogenannten materiellen Annehmlichkeiten hat er nicht nötig. Ihm steht die ganze Fülle der Schöpfung zur Verfügung. Du willst ihm irgendwelches nutzloses Spielzeug kaufen. Aber das ist höchstens für deine eigene Befriedigung gut – damit du dir sagen kannst: ‹Was bin ich doch für ein sorgsamer Vater!›»

Wie kann sie nur so etwas sagen: «Das Kind braucht keine materiellen Annehmlichkeiten»? Was können die Eltern einem kleinen Kind dann überhaupt geben – vor allem der Vater? So ein Baby ist doch noch zu klein für väterliche Erziehung. Wie also soll er seine Liebe und seine Fürsorge dem Kind gegenüber zum Ausdruck bringen? Die Mutter hat es da schon leichter – sie stillt das Kind, und das ist das Wichtigste in diesem Alter. Was bleibt für den Vater da noch groß zu tun? In der normalen Gesellschaft kann er im Haushalt mithelfen und sich um wirtschaftliche Belange kümmern. Anastasia jedoch braucht solche Hilfe nicht. Alles, was sie hat, ist ihre Taiga-Lichtung. Ihr «Haushalt» besorgt sich von selbst und kümmert sich auch um sie, und sobald er sieht, dass das Kind zu ihr gehört, wird er es ebenfalls versorgen. Interessant ist, wie viel ein solcher «Haushalt» kosten könnte. Heutzutage ist es kein Problem, fünf Hektar Land käuflich zu erwerben oder langfristig zu pachten. Aber für wie viel Geld kann man die Zuneigung einer Wölfin, einer Bärin, eines Adlers und zahlloser Käfer kaufen?

Nun gut, Anastasia macht sich nichts aus den Errungenschaften unserer Zivilisation – aber wieso soll ein kleines Kind unter der Weltanschauung seiner Mutter leiden? Nicht einmal normales Spielzeug hat es. «Wozu solch sinnloses Spielzeug? Das wird dem Kind nur schaden und es von der Wahrheit abbringen», hatte sie gesagt.

Nun, ich finde, Anastasia neigt in mancher Hinsicht zu Übertreibung und Aberglauben. Es kann doch nicht sein, dass die ganze Menschheit nur sinnloses Spielzeug erfunden hat! Doch ihr zuliebe hatte ich kein «sinnloses» Babyspielzeug gekauft, sondern gleich einen Baukasten für ein größeres Kind. Auf der Verpackung stand: «Zur Förderung der geistigen Entwicklung des Kindes». Außerdem hatte ich Wegwerfwindeln besorgt, wie sie heutzutage in aller Welt üblich sind, und Babynahrung, deren einfache Zubereitung mich faszinierte. Man öffnet die Schachtel und findet darin einen Beutel aus wasserdichter Folie. Den schneidet man auf, gibt das darin enthaltene Pulver in warmes Wasser, einmal umrühren – fertig! Es gibt verschiedene Sorten von diesem Pulver: es kann aus Buchweizen bestehen, aus Reis oder aus anderem Getreide. Außerdem steht auf der Packung, dass diese Nahrung mit verschiedenen Vitaminen angereichert ist.

Ich kann mich noch gut erinnern, als meine Tochter Polinka** ganz klein war: Da musste ich ihr Essen jeden Tag aus der Babyküche*** holen gehen. Jetzt aber kann man einfach diese Fertignahrung kaufen, und das ganze Problem ist gelöst: Kochen ist nicht mehr nötig. Da ich wusste, dass Anastasia es ablehnt, Wasser zu kochen, hatte ich zunächst nur eine Packung gekauft. Ich wollte zuerst probieren, ob sich das Pulver auch in lauwarmem Wasser auflöst. Und tatsächlich – es klappte. Der Brei schmeckte gar nicht übel, nur war er etwas fade, weil ungesalzen. Aber das muss bei Babynahrung wohl so sein. Jedenfalls kam ich zu dem Schluss, dass Anastasia keine Argumente gegen diese Babynahrung würde finden können. Etwas so Praktisches abzulehnen wäre schlichtweg absurd. Im Gegenteil, Anastasia müsste endlich einmal zugeben, dass unsere technokratische Welt auch Gutes hervorbringt: Wir produzieren nicht nur Waffen, sondern denken auch an das Wohl der Kinder.

Von alledem, was Anastasia zu mir gesagt hatte, gab es eine Sache, die mich am meisten beunruhigte: Um meinem Sohn zu begegnen, sollte ich zunächst innerlich geläutert werden und «rein in Gedanken» sein. Hätte sie darauf bestanden, dass ich glatt rasiert und ordentlich gekleidet sein und aufs Rauchen verzichten solle, während ich meinen Sohn besuchte, ja, das hätte ich noch verstanden. Sie sprach aber von irgendeiner «inneren Reinigung». Wie sollte ich das denn anstellen? Und bin ich wirklich so ein Dreckskerl? Gut, ich bin vielleicht nicht gerade ein Tugendbold, aber ich bin auch nicht schlechter als die anderen. Würden alle Frauen solche Ansprüche an die Männer stellen, dann hätten wir bald ein Fegefeuer auf Erden. Wo kämen wir denn da hin? Das widerspricht jeglicher Gesetzgebung.

So hatte ich denn in meinem Rucksack einen Auszug aus dem bürgerlichen Gesetzbuch mitgebracht, der sinngemäß besagte, dass ein Partner dem anderen das Recht, ihr gemeinsames Kind zu sehen, nicht ohne Grund vorenthalten darf – selbst wenn es sich um ein uneheliches Kind handelt. Mir war klar, dass Anastasia nicht viel auf unsere Gesetze gibt, aber dennoch war das kein unbedeutendes Argument, denn immerhin richten sich die meisten Menschen nach den Gesetzen. Ich hätte Anastasia gegenüber natürlich auch einen härteren Ton anschlagen und darauf bestehen können, das gleiche Recht auf unseren Sohn zu haben wie sie. Das hatte ich ursprünglich auch tun wollen, aber dann waren mir immer mehr Zweifel an diesem Plan gekommen.

Grund dazu war nicht zuletzt ein Packen Leserbriefe, den ich in meinem Rucksack mitgenommen hatte – für alle wäre nicht genug Platz gewesen. In vielen Briefen bringen die Leser ihr Verständnis Anastasia gegenüber zum Ausdruck. Mehr noch, sie nennen sie ihren Messias, die «Taiga-Fee» oder eine Göttin und widmen ihr Gedichte und Lieder. Einige sprechen mit ihr, wie man mit einem vertrauten Freund spricht. Die Flut von Briefen hatte mich dazu bewegt, mein ursprünglich beabsichtigtes Auftreten Anastasia gegenüber nochmals zu überdenken.

So saß ich etwa drei Stunden am Flussufer nahe bei Jegorytschs Kutter und hing meinen Gedanken nach. Die Abenddämmerung setzte bereits ein, als sich mir zwei Männer näherten, begleitet von Jegorytschs Enkel. Der erste von ihnen – er war um die sechzig Jahre alt – trug eine Windjacke und Gummistiefel. Er hatte ein rotes Gesicht und wirkte angetrunken, denn er wankte beim Gehen. Der zweite Mann war jünger, etwa dreißig; er war kräftig gebaut, und mir fielen ein paar graue Strähnen in seinem ansonsten dunkelblonden Haar auf. Der Ältere kam gleich zur Sache: «Tag, der Herr! Zu Anastasia? Bitteschön. Macht fünfhunderttausend für die Fahrt und zwei Flaschen Wodka.»

Wegen des hohen Preises war mir von vornherein klar gewesen, dass ich nicht der Erste war, der zu Anastasia wollte. Ich war für die Leute einfach einer von vielen Anastasia-Pilgern. Dennoch fragte ich: «Wie kommen Sie darauf, dass ich zu irgendeiner Anastasia will und nicht einfach ins Dorf?»

«Mir egal, der Preis ist der gleiche. Hast du jetzt die fünfhundert Piepen oder nicht? Sonst kannst du nämlich selber sehen, wie du hinkommst.»

Besonders freundlich schien Jegorytsch nicht zu sein. «So viel Geld verlangt er für die Fahrt», dachte ich, «und dann noch in diesem Ton … Was hat das wohl zu bedeuten?» Ich hatte aber keine Wahl, und so zahlte ich. Doch statt sich über das Geld und den Wodka zu freuen, wurde er nur noch gereizter. Während sein Begleiter den Wodka kaufen ging, setzte er sich auf einen Stein und brummte missmutig vor sich hin: «Ins Dorf … welches Dorf denn? Ganze sechs Häuser sind es, und kaum jemand lebt mehr dort. Was sollte da schon jemand zu suchen haben?»

«Fahren Sie oft Leute zu Anastasia? Läuft das Geschäft gut?», fragte ich Jegorytsch, um ein Gespräch anzuknüpfen und ihn milder zu stimmen.

«Wer hat sie nur alle eingeladen?», entgegnete er unwirsch. «Von selbst kommen sie, und nichts hält sie auf. Hat sie sie etwa eingeladen? Nein, hat sie nicht! Irgendjemand hat über ihr Leben berichtet, ein Buch hat er geschrieben. Schreiben, meinetwegen – wozu aber die Stelle verraten? Wir haben das jedenfalls nicht getan. Er war es. Er hat über ihr Leben geschrieben und darüber, wo sie lebt. Sogar unsere Weiber hier haben schon immer gewusst: So etwas verrät man nicht, sonst wird sie keine Ruhe mehr haben.»

«Dann haben Sie das Buch über Anastasia gelesen?»

«Nein, ich lese keine Bücher. Saschka, mein Partner, der liest. Übrigens – wir werden dich nicht gleich zum Dorf bringen. Das ist weit, und der Motor würde es nicht schaffen. Wir fahren bis zum Fischerhäuschen und werden dort übernachten. Morgen früh fährt Saschka dich weiter, und ich gehe fischen.»

«Na schön», sagte ich und dachte: «Bloß gut, dass Jegorytsch nicht weiß, dass das Buch über Anastasia von mir ist!»

Saschka kam mit dem Wodka, und die beiden verstauten die Utensilien für den Fischfang im Boot. Dann meldete sich Wasjatka zu Wort, und beinahe hätte er mich um die Fahrt gebracht. Er bat Jegorytsch um Geld für ein neues Radiogerät: «Ich habe eine Stange gefunden, die als Antenne dienen kann, und habe mir schon überlegt, wo ich sie anbringen will. Ein Stück Draht für die Antenne habe ich auch. Und wenn man die Antenne an ein Radio anschließt, kann man viele verschiedene Sender hören.»

Etwa 100 US-Dollar. (Anmerkung des Übersetzers)

Kosename für Polina. (Anmerkung des Übersetzers)

Eine Einrichtung (in der Sowjetzeit), wo frisch gekochte Milchgerichte für Säuglinge verkauft wurden. (Anmerkung des Übersetzers)

2

Kein Geld für dumme Flausen

«Siehst du, was für einen aufgeweckten Buben ich zum Enkel habe!», prahlte Jegorytsch mit einer viel wärmeren Stimme. «Wissbegierig ist er und geschickt. Gut so, Wasjatka! Das Geld sollst du bekommen.»

Mir war klar, wer dafür bezahlen sollte … Ich machte mich also daran, mein Geld hervorzuholen, da fuhr Wasjatka, durch das Lob ermutigt, mit den Ausführungen über seine Pläne fort: «Ich will alles über die Kosmonauten hören – über unsere und die amerikanischen. Und wenn ich groß bin, werde ich selber Kosmonaut.»

«Was hast du da gesagt?», fiel plötzlich Jegorytsch ein.

«Wenn ich groß bin, werde ich Kosmonaut.»

«Soso … nicht einen Rubel sollst du von mir bekommen für solchen Quatsch.»

«Wieso denn Quatsch? Kosmonauten findet doch jeder gut. Sie sind Helden. Über sie wird im Fernsehen berichtet. Mit ihren riesigen Raumschiffen kreisen sie ständig um die Erde, und sie sprechen aus dem Weltall direkt mit den Wissenschaftlern.»

«Und was bringt der ganze Rummel? Sie drehen da oben ihre Runden, und im Ob gibt es immer weniger Fische.»

«Die Kosmonauten erzählen uns über das Wetter. Sie können genau sagen, was für ein Wetter morgen auf der ganzen Erde sein wird», verteidigte Wasjatka weiter die Wissenschaft.

«Was ist daran so besonders? Geh mal zu Oma Marpha, die kann dir auch vom Wetter erzählen – für morgen, übermorgen und das ganze Jahr. Sie wird bloß kein Geld dafür verlangen, im Gegensatz zu deinen Kosmonauten. Wer bezahlt denn für diesen Zirkus, wenn ich fragen darf? Von Petkas Geld fliegen sie da oben rum, vom Geld deines Vaters.»

«Die Kosmonauten bekommen eine Menge Geld vom Staat.»

«Und woher bekommt der Staat sein Geld? Na, woher wohl? Von Petka, von deinem Vater, bekommt er es. Ich habe hier Fische gefangen, und Petka hat sie auf dem Markt verkauft. Er dachte sich, er kann ein gutes Geschäft machen, doch da kommt Vater Staat zu ihm und sagt: ‹Zahl deine Steuern. Gib uns all dein Geld. Wir haben sehr hohe Kosten.› Die in der Duma, die quasseln doch nur rum – schlimmer als Klatschweiber sind die. Sie machen große Pläne und halten sich für wer weiß wie schlau. Ihre eigenen Wohnungen haben sie sich schön eingerichtet, diese Quarkköpfe, mit piekfeinen Toiletten – und unser Fluss wird immer dreckiger. Nein, Wasjatka, für deine Flausen zahle ich nicht auch noch. Ich werde nirgendwo mehr hinfahren. Ich verdiene mein Geld doch nicht für solchen Unfug!»

Es lag wohl auch daran, dass Jegorytsch schon etwas getrunken hatte, jedenfalls regte er sich dermaßen auf, dass er die Reise tatsächlich beinahe abgeblasen hätte. Doch dann brachte Saschka die beiden Flaschen Wodka, und Jegorytsch nahm einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche, rauchte eine Zigarette und beruhigte sich dann allmählich. Wasjatka jedoch bekam kein Geld für sein Radio, und noch während der ganzen Fahrt brummte Jegorytsch etwas über «dumme Flausen» vor sich hin.

Der alte Motor des Kutters machte einen Höllenlärm, sodass es fast unmöglich war, miteinander zu sprechen. So fuhren wir schweigend dahin, bis wir zu einer alten Fischerhütte mit einem kleinen Fenster gelangten. Es war inzwischen dunkel geworden, und am Abendhimmel leuchteten die ersten Sterne. Jegorytsch, der die erste Flasche Wodka geleert hatte, lallte zu seinem Partner Saschka: «Ich geh jetzt sch-schlafen. Ihr schlaft am Feuer oder in der Hütte auf dem Fußboden, klar? Und morgen früh bringst du ihn zu unserer Stelle, verstehst du?»

Jegorytsch bückte sich schon, um durch die winzige Tür in die Hütte einzutreten, doch dann drehte er sich noch einmal um und wiederholte streng: «Zu unserer Stelle, Saschka. Kapiert?»

«Schon klar», antwortete Saschka ruhig.

Als Saschka und ich später am Lagerfeuer saßen und gebratenen Fisch aßen, fragte ich ihn: «Alexander, könntest du mir sagen, was ‹eure Stelle› ist, wo du mich morgen hinbringen sollst?»

«‹Unsere Stelle› … das ist gegenüber von dem Dorf, von dem aus man Anastasias Lichtung erreichen kann», antwortete Alexander gelassen.

«Was? Erst knöpft ihr mir so viel Geld ab, und dann bringt ihr mich noch nicht mal zur richtigen Stelle?»

«Ja. Das ist alles, was wir für Anastasia tun können … das sind wir ihr schuldig.»

«Schuldig? Und warum hast du mir das eigentlich verraten? Wie stellst du dir das jetzt vor, mich an ‹eurer Stelle› abzusetzen?»

«Ich werde dich da hinbringen, wo du willst. Und meinen Anteil am Geld gebe ich dir zurück.»

«Wieso denn plötzlich solche Vergünstigung?»

«Ich habe dich erkannt. Hab sofort gewusst, dass du Wladimir Megre bist. Ich habe dein Buch gelesen und dein Foto auf dem Umschlag gesehen. Ich werde dich dahin bringen, wo du willst. Nur muss ich dir zunächst noch etwas sagen. Höre gut zu und handle dann besonnen. Es hat keinen Sinn, in die Taiga zu gehen. Du wirst Anastasia dort nicht mehr finden. Sie ist fort. Ich glaube, sie lebt jetzt noch tiefer im Wald oder ganz woanders. Suchen ist zwecklos. Du wirst umkommen in der Taiga, oder die Jäger werden dich erschießen. Sie dulden keine Fremden in ihrem Revier. Fremde erledigen sie gleich aus der Entfernung, um kein Risiko einzugehen.»

Äußerlich sprach Alexander fast ruhig, nur zuckte hin und wieder der Stecken auf, mit dem er in der Glut herumstocherte, sodass die Funken in den Nachthimmel aufstieben.

«Was ist denn los? Du hast mich schon richtig erkannt, also erzähl mir auch, was geschehen ist. Weshalb ist Anastasia weggegangen?»

«Ich möchte es ja selbst jemandem erzählen», sagte Alexander mit bedrückter Stimme. «Jemandem, der das alles verstehen kann. Ich weiß bloß nicht, wo ich anfangen soll und wie ich es sagen soll, dass es auch verständlich wird … dass ich es selbst verstehe …»

«Erzähle es einfach so, wie es war.»

«Einfach? Stimmt, alles ist ganz einfach – fürchterlich einfach! Höre mir gut zu und versuche, mich nicht zu unterbrechen.»

«Schon gut. Lass nur hören.»

3

Ungebetene Gäste

Alexander sprach behäbig, wie es die Art der Sibirier ist. Dennoch spürte ich, wie aufgeregt der junge, schon leicht ergraute Mann war.

«Als ich damals dein Buch über Anastasia las, war ich Doktorand an der Moskauer Universität. Meine Fächer waren Philosophie und Psychologie. Mich interessierten besonders die Religionen des Orients. Dann war da plötzlich Anastasia, und zwar nicht am Ende der Welt, sondern in Sibirien, direkt bei meinem Heimatort. Ich spürte die große Kraft und den tiefen Sinn in ihren Worten. Alles war mir irgendwie sehr vertraut und gleichzeitig so voller Bedeutung. Angesichts dieser ungewöhnlichen Empfindungen, die in mir entstanden, verblasste mein Interesse an den fernöstlichen Weisheiten. Ich habe mein Studium auf der Stelle geschmissen und eilte nach Hause, wie aus der Finsternis ins Licht. Dieses Licht war Anastasia. Ich wollte sie sehen, mit ihr reden … so machte ich mich daran, mit Jegorytsch und seinem Boot die von dir beschriebene Stelle am Ufer zu suchen. Nicht lange, und wir hatten sie gefunden. Ab und zu tauchten dann auch andere auf, die Anastasia aufsuchen wollten. Sie fragten nach dieser Stelle am Ufer. Doch wir führten niemanden dorthin. Auch die anderen Einwohner hier hatten genug Verstand zu begreifen, dass es nicht ratsam wäre, die Pilger zu ermutigen. Doch eines Tages haben wir – genauer gesagt ich allein – eine ganze Gruppe zu der Stelle geführt.»

«Wieso hast du das getan?»

«Ich hielt das damals für die richtige Entscheidung und dachte sogar, ich täte dadurch etwas Gutes. Die Gruppe bestand aus sechs Männern, darunter zwei namhafte Wissenschaftler, die offenbar über große finanzielle Mittel verfügten – oder wenn nicht sie selbst, so zumindest ihre Auftraggeber. Die übrigen waren Leibwächter, die Pistolen trugen und in ihrem Gepäck noch andere Waffen dabeihatten.

Sie baten mich, sie als ihr Expeditionsleiter in die Taiga zu begleiten. Ich sagte zu. Dabei ging es mir gar nicht ums Geld. Ich hatte mich zunächst lange mit ihnen unterhalten. Sie sagten mir gleich offen, dass sie auf der Suche nach Anastasia waren. Der Gruppenleiter, ein würdevoller älterer Herr namens Boris Moissejewitsch, war der Ansicht, Anastasia könne der Wissenschaft größere Dienste leisten als so manches Forschungsinstitut. Sie wollten sie zu ihrer eigenen Sicherheit in ein bewachtes Naturschutzgebiet bringen. Boris Moissejewitsch sagte: ‹Wenn wir das nicht tun, wird es jemand anders tun. Anastasia ist ein besonderes Phänomen, und wir haben die Pflicht, sie zu beschützen und zu erforschen.›

Sein Helfer, ein intelligenter junger Mann namens Stanislaw, war geradezu verliebt in Anastasia, obwohl er sie noch nie gesehen hatte.

Wie gesagt, ich ließ mich schließlich durch ihre Argumente überzeugen, und bald darauf ging es los. Sie mieteten einen kleinen Dampfer. Außer unserem Gepäck verstauten sie auch ein paar Fässer Treibstoff darin, die in einem Auto angeliefert wurden.

An besagter Stelle angekommen, schlugen wir auf einem erhöhten Flussufer Zelte auf, und sie riefen per Funk einen Hubschrauber herbei. Der Hubschrauber war mit einer Apparatur für Luftaufnahmen und einer Videokamera ausgestattet und hatte dazu noch ein paar seltsame, mir unbekannte Geräte an Bord. Die beiden Piloten flogen Tag für Tag in geringer Höhe die Taiga ab und fotografierten systematisch ein Planquadrat nach dem anderen. Die Wissenschaftler schauten dann jeweils das neue Material durch und flogen hin und wieder zu Stellen, die ihnen interessant erschienen. Sie suchten nach Anastasias Waldlichtung, wo sie dann landen wollten. Ich stellte mir vor, was für einen Schrecken Anastasia, ihr Kind und alle Lebewesen in der Nähe der Lichtung bekämen, wenn der lärmende Hubschrauber dort landen würde. Deshalb schlug ich vor, nach dem Auffinden der Lichtung einen Lageplan zu zeichnen und zu Fuß dort hinzugehen. Doch Stanislaw entgegnete, der lange Marsch durch die Taiga sei zu beschwerlich für Boris Moissejewitsch. Er sah zwar meine Bedenken ein, was die Lärmbelästigung für die Taiga-Bewohner betraf, versicherte mir aber, Boris Moissejewitsch sei sicherlich in der Lage, Anastasia und ihr Kind zu beruhigen. Am vierten Tage geschah es dann.»

«Was geschah?»

«Die Piloten waren mit dem Hubschrauber fortgeflogen, um weitere Luftaufnahmen zu machen, und wir gingen alle unseren jeweiligen Beschäftigungen nach, als plötzlich ein Wachtposten eine Frau bemerkte, die allein aus der Taiga auf unser Lager zukam. Er unterrichtete Boris Moissejewitsch darüber, und bald sahen wir alle der Frau entgegen. Sie trug eine leichte Bluse und einen langen Rock, und ihr Kopftuch war so gebunden, dass es Stirn und Hals bedeckte. Wir standen in einer Gruppe zusammen, zuvorderst Boris Moissejewitsch und Stanislaw. Die Frau näherte sich uns. Ihr Gesicht zeigte keine Regung von Furcht oder Verlegenheit. Und ihre Augen … mit ihren außergewöhnlichen Augen blickte sie uns gütig und freundlich an. Dabei schaute sie nicht die Gruppe als Ganzes, sondern jeden Einzelnen von uns an. Uns wurde ganz warm unter ihren Blicken, und doch erfasste uns eine sonderbare Aufregung. Wir vergaßen alles um uns herum und sogen nur noch die Wärme ein, die die seltsamen Augen der Frau verströmten. Wir dachten nicht einmal daran, ihr einen Sitzplatz anzubieten.

So war es dann auch sie, die zu sprechen begann. ‹Guten Tag, meine Herren›, sagte sie mit ruhiger, freundlicher Stimme.

Wir standen einfach nur da und schwiegen. Boris Moissejewitsch fasste sich als Erster. ‹Guten Tag›, antwortete er. ‹Darf ich fragen, wer Sie sind?›

‹Ich heiße Anastasia, und ich bin mit einer Bitte zu Ihnen gekommen. Rufen Sie bitte Ihren Hubschrauber zurück. Er ist eine Störung für diese Gegend. Sie suchen mich. Da bin ich. Ich werde mich bemühen, Ihre Fragen zu beantworten.›

‹Ja, das stimmt, wir haben nach Ihnen gesucht. Danke, dass Sie gekommen sind. Das löst eine Menge Probleme›, sagte Boris Moissejewitsch. Noch immer bot er ihr keine Sitzgelegenheit an, obwohl vor unserem Zelt ein Tisch und ein paar Klappstühle standen. Wahrscheinlich war er aufgrund ihres unerwarteten Erscheinens noch etwas verwirrt. Er kam dann gleich auf den Zweck unseres Kommens zu sprechen. ‹Ja, sehr gut … Wir wollten zu Ihnen, und jetzt, jetzt sind Sie selbst gekommen. Keine Sorge, den Hubschrauber holen wir gleich zurück.›

Boris Moissejewitsch gab dem Führer der Wachmannschaft eine kurze Anweisung, und dieser beorderte die Hubschrauberpiloten über Funk zum Lager zurück. Dann wandte sich Boris Moissejewitsch Anastasia zu und sprach, schon ruhiger als zuvor: ‹Anastasia, der Hubschrauber wird jeden Moment hier sein. Sie werden sich mit meinen Mitarbeitern in den Hubschrauber setzen und uns zu Ihrer Lichtung führen. Wir werden dort landen, wo Sie es uns zeigen, und dann nehmen Sie bitte Ihren Sohn mit. Wir werden Sie beide in ein Naturschutzgebiet in der Nähe von Moskau bringen. Dort wird alles nach Ihren Wünschen eingerichtet werden. Das muss so sein. Niemand wird Sie dort belästigen. Jenes Gebiet steht unter ständiger Bewachung, und nach Ihrer Umsiedlung wird die Bewachung noch verstärkt werden. Hin und wieder, zu einer Ihnen genehmen Zeit, werden Wissenschaftler zu Ihnen kommen, alles kompetente Fachleute. Ich denke, der Umgang mit ihnen wird ganz interessant für Sie werden. Und diese Leute werden sich ihrerseits für Ihre Ausführungen zu bestimmten Phänomenen in der Natur und der Gesellschaft interessieren, ja ganz allgemein für Ihre Lebensphilosophie. Wenn Sie möchten, werden Sie einen würdigen Begleiter haben, jemand, der immer bei Ihnen sein und Sie sofort verstehen wird. Trotz seiner Jugend ist er schon eine anerkannte Kapazität der Wissenschaft. Außerdem hat er sich in Sie verliebt, noch bevor er Sie kennengelernt hat. Ich denke, Sie beide passen sehr gut zueinander und werden ein glückliches Paar sein. Er ist in jeder Hinsicht ein würdiger Partner für Sie, nicht nur was seine Gelehrsamkeit betrifft, sondern auch von seiner ganzen Lebensart her. Und hier ist er …›

Mit diesen Worten wandte er sich Stanislaw zu, wies mit der Hand auf ihn und winkte ihn herbei: ‹Komm her, Stanislaw, was ist denn los? Jetzt stell dich doch vor!›

Stanislaw kam herbei, stellte sich Anastasia gegenüber und fing etwas unsicher an zu sprechen: ‹Boris Moissejewitsch hat für mich direkt um Ihre Hand angehalten. Das mag alles sehr überraschend für Sie sein, aber ich versichere Ihnen, dass ich Sie wirklich heiraten möchte. Ich bin bereit, Ihren Sohn zu adoptieren und ihm ein Vater zu sein. In allen Lebenslagen möchte ich Ihnen zur Seite stehen. Bitte betrachten Sie mich als Ihren wohlmeinenden Freund.›

Damit verneigte sich Stanislaw elegant vor Anastasia und gab ihr einen Handkuss. Er war wirklich ein kultivierter, stattlicher junger Mann. Wäre Anastasia anders gekleidet gewesen, hätten die beiden tatsächlich ein ansehnliches Paar abgegeben.

Anastasia antwortete ihm freundlich und ernst: ‹Danke für Ihre Sympathiebekundung und Ihre Sorge um mich.› Dann fügte sie hinzu: ‹Wenn Sie sich wirklich stark genug fühlen, mit Ihrer Liebe das Leben eines anderen Menschen glücklicher und erfüllter zu machen, dann denken Sie dabei bitte an Frauen aus Ihrer Umgebung. Vielleicht gibt es dort eine Frau, die mit ihrem Leben nicht zufrieden ist. Wenden Sie sich an sie, gewinnen Sie sie lieb, und machen Sie sie glücklich.›

‹Aber ich möchte Sie lieben, Anastasia.›

‹Ich bin bereits mit einem anderen glücklich. Bemühen Sie sich nicht weiter um mich. Es gibt andere Frauen, die Sie mehr brauchen als ich.›

Boris Moissejewitsch wollte dem schweigenden Stanislaw behilflich sein: ‹Wer ist dieser andere, den Sie gerade erwähnt haben? Sicher meinen Sie Wladimir, aber der ist doch kein Vorbild!›

‹Ihre Worte können meine Gefühle nicht beeinflussen. Nicht einmal ich selbst bin in der Lage, sie zu bestimmen.›

‹Wie konnten Sie nur diesem Wladimir verfallen – einem Mann, dem jeglicher Bezug zu Spiritualität und Wissenschaft fehlt, der noch nicht einmal ein normales Leben führen kann! Er ist ein gewöhnlicher Unternehmer. Warum lieben Sie ausgerechnet ihn?›

Irgendwann begann ich zu begreifen», unterbrach Alexander seine Erzählung, «dass Boris Moissejewitsch, Stanislaw und ihre Männer ein klar gestecktes Ziel verfolgten: Anastasia auch gegen ihren Willen mitzunehmen und sie für irgendwelche Zwecke auszunutzen. Ob das alles ihre eigene Idee war oder ob sie jemandes Befehl folgten, spielte im Moment keine Rolle. Klar war nur, dass keine auch noch so gewichtigen Argumente sie von ihrem Plan abbringen konnten. Anastasia wird das auch alles gespürt haben. Kein Zweifel, sie muss die Absichten dieser Leute durchschaut haben. Dennoch blieb sie bis zum Schluss freundlich, als würde sie ein Gespräch mit ihr wohlgesinnten Menschen führen. Sie sprach ganz offen über ihre größten Geheimnisse, und mit ihrer Offenheit und Ehrlichkeit verhinderte sie eine direkte Gewaltanwendung vonseiten der Männer – oder schob sie zumindest auf. Sie widersetzte sich den Bestrebungen Boris Moissejewitschs und Stanislaws, ihre Beziehung zu dir in Frage zu stellen, auf solch wirkungsvolle Weise, dass deren Argumente schließlich gegenstandslos wurden. Dabei reagierte sie keineswegs wie eine Frau, die vor Liebe blind ist und nur das Gute in ihrem Partner sieht, egal was er auch tut. Nein, ihre Argumente waren anderer Art.

Als die erste Aufregung nach Anastasias Erscheinen verflogen war, gelang es mir, heimlich mein Diktiergerät einzuschalten. Später hörte ich mir diese Aufnahmen immer wieder an. Ich kann mich fast wörtlich an alles erinnern, was sie sagte. Und ihre Worte verwirrten mich immer aufs Neue.»

«Was hat dich daran verwirrt?», fragte ich, denn ich wollte wissen, was Anastasia über mich gesagt hatte.

Alexander fuhr fort: «Auf die Frage, wieso Anastasia dich liebt, antwortete sie zunächst einfach: ‹Es hat keinen Sinn, mir eine solche Frage zu stellen. Niemand, der verliebt ist, kann seine Liebe erklären. Jede verliebte Frau kennt nur einen Mann in der Welt, und das ist ihr Auserwählter. Ich bin da keine Ausnahme.›

‹Trotzdem, Anastasia, Sie können doch nicht die Absurdität Ihrer Wahl bestreiten. Sie haben Ihre Wahl vielleicht umständehalber oder zufällig getroffen, aber absurd war sie dennoch. Mit Ihrem Willen, Ihren Fähigkeiten und Ihrer analytischen Intelligenz sollten Sie doch in der Lage sein, von dem ursprünglichen Gefühlsausbruch Abstand zu gewinnen und die Haltlosigkeit dieser Person zu erkennen. Lassen Sie sich das Ganze bitte noch mal durch den Kopf gehen.›

‹Das führt zu nichts. Meine Überlegungen haben genau das Gegenteil bewirkt: Sie haben mir nur die rätselhafte Notwendigkeit des Geschehenen verdeutlicht. Mir ist klar geworden, dass ich nichts davon ablehnen darf.›

‹Wollen Sie damit sagen, dass Sie das Absurde, das Paradoxe, einfach hinnehmen?›

‹Paradox erscheint es nur auf den ersten Blick. Sie haben eine lange Reise hinter sich von Moskau bis zu diesem entlegenen Ort in der Taiga. Jetzt fragen Sie mich über meine Liebe aus. Das Paradoxe an dieser Liebe ist, dass sie gerade durch Ereignisse klarer wird, die in Moskau stattgefunden haben. Sie sollten besser dort darüber nachdenken. Der weite Weg hat sich nicht gelohnt.›

‹Was ist denn in Moskau geschehen?›