Andrew im Wunderland (Band 2): Toranpu Town - Fanny Bechert - E-Book

Andrew im Wunderland (Band 2): Toranpu Town E-Book

Fanny Bechert

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Beschreibung

Sei ein letztes Mal mein Held, Andrew. Ich brauche dich. Du musst mein Retter sein. Hey, ich bin's noch mal – ihr kennt mich noch? Ja, genau, der nerdige Idiot, der sexy Hasenmädchen hinterherrennt, mit grinsenden Katzenschwestern flirtet und nebenbei sein Leben riskiert. Dachtet ihr, mein skurriles Abenteuer in diesem ›Wunderland‹ sei vorbei? Ähm, jap, ich auch … aber da kannte ich Toranpu Town noch nicht. Denn eben dorthin ist mein Hasenmädchen verschwunden. Und was macht der heldenhafte Andrew? Naaaa? Genau, er rennt hinterher, um es vor der bösen Roten Königin zu retten, deren Schloss sich dort befinden soll. Den Rest müsst ihr selbst lesen, sorry. Sonst glaubt ihr mir ebenso wenig wie mein Psychiater.

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Kapitel 1 - Zu Hause ist es doch am schönsten

Kapitel 2 - Déjà-vu

Kapitel 3 - Zeit zum Packen

Kapitel 4 - Der Kompass

Kapitel 5 - Kuchen, den es gegeben haben wird

Kapitel 6 - Quockels Touristeninformation

Kapitel 7 - Wieso haben wir Verfolger?

Kapitel 8 - Ein Punkt im Kornfeld

Kapitel 9 - Teezeit

Kapitel 10 - Camping mal anders

Kapitel 11 - Der Codeknacker

Kapitel 12 - Flashback

Kapitel 13 - Schmerzhafte Aussprache

Kapitel 14 - Vom Ausrasten und Einrasten

Kapitel 15 - Der falsche Forrest

Kapitel 16 - Wimpergeklimper

Kapitel 17 - Was für ein Affentanz!

Kapitel 18 - Jumping Deedle

Kapitel 19 - Nackte Tatsachen

Kapitel 20 - Aufklärungsstunde

Kapitel 21 - Bäumchen, wechsel dich

Kapitel 22 - Endlich: Hilfe von Alice

Kapitel 23 - Ein Park ist kein Wald – oder doch?

Kapitel 24 - Die Zerreißprobe

Kapitel 25 - Kreativstunde

Kapitel 26 - Viel zu schön

Kapitel 27 - Was für ein Stammbaum!

Kapitel 28 - Der Saferoom

Kapitel 29 - Tickt die noch richtig?

Kapitel 30 - Rollentausch

Kapitel 31 - Die falsche Schwester

Kapitel 32 - Das Ende

Nachwort / Dank

 

Fanny Bechert

 

 

Andrew im Wunderland

Band 2: Toranpu Town

 

Fantasy

 

 

Andrew im Wunderland (Band 2): Toranpu Town

Sei ein letztes Mal mein Held, Andrew. Ich brauche dich. Du musst mein Retter sein.

 

Hey, ich bin’s noch mal – ihr kennt mich noch? Ja, genau, der nerdige Idiot, der sexy Hasenmädchen hinterherrennt, mit grinsenden Katzenschwestern flirtet und nebenbei sein Leben riskiert.

Dachtet ihr, mein skurriles Abenteuer in diesem ›Wunderland‹ sei vorbei? Ähm, jap, ich auch … aber da kannte ich Toranpu Town noch nicht. Denn eben dorthin ist mein Hasenmädchen verschwunden. Und was macht der heldenhafte Andrew? Naaaa? Genau, er rennt hinterher, um es vor der bösen Roten Königin zu retten, deren Schloss sich dort befinden soll.

Den Rest müsst ihr selbst lesen, sorry. Sonst glaubt ihr mir ebenso wenig wie mein Psychiater.

 

 

Die Autorin

Fanny Bechert wurde 1986 in Schkeuditz geboren und lebt heute mit ihrem Mann in einem ruhigen Dörfchen im Thüringer Vogtland.

Als gelernte Physiotherapeutin griff sie erst 2012 mit dem Schreiben ein Hobby ihrer Kindheit wieder auf. Was zuerst ein Ausgleich vom Alltag war, nahm bald größere Formen an und so veröffentlichte sie im Juni 2015 ihren ersten Roman im Genre High-Fantasy, der den Beginn der mehrbändigen Reihe ›Elesztrah‹ darstellt. Seitdem widmet sie sich immer aktiver der Tätigkeit als Autorin.

Heute schreibt sie nicht nur Romane, die sie ebenfalls selbst vertont, sondern hat das Texten im Bereich des Online-Marketings auch zu ihrem Hauptberuf gemacht.

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Mai 2021

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Martina König

Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-195-6

ISBN (epub): 978-3-03896-196-3

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für meine Lektorinnen Martina und Corinne,

die mir seit meinem ersten Buch zur Seite stehen

 

Danke, dass ihr aus meinen Rohdiamanten immer ganz besondere Edelsteine schleift.

 

 

Kapitel 1 - Zu Hause ist es doch am schönsten

 

»Die Migwicks brauchen dich. Ich brauche dich.«

Mein Herz rast, droht zu zerspringen.

»Okay, der Bürgermeister veranstaltet also einen Spielenachmittag.«

»Und du wirst hingehen.«

Da sind ein Hase und eine Katze. Und nackte Haut.

Dann plötzlich ein Mann mit kupferfarbenem Haar und einem Schmetterling auf der Schulter. Nein, ein Nachtfalter …

»Das hier werden Sie brauchen, Mr. Andrew.«

Schimmernde Tropfen, die auf das Haus einer Schnecke prallen … eine tanzende Schreibmaschine … und ein totes Mädchen in meinen Armen.

»Sie haben Ludens City einen Gefallen getan.«

Ludens City … Ich kenne den Namen … Oder?

»Spielen Sie, Mr. Andrew? Natürlich tun Sie das, jeder hier spielt.«

Ein Turm … Ein Ritter … Eine Rote Königin.

Ich greife nach der Spielkarte.

Da ist wieder der Hase, nein, die Hasendame. Sie streckt die Finger aus. So klar erkenne ich das weiße Fell auf ihrem Handrücken und die zartrosa Ballen.

Doch als ich die Karte an sie weitergeben will, werde ich fortgerissen, in einen Strudel bunter Farben.

»Das ist dein Weg, Andrew, ganz allein deiner«, begleitet eine Stimme meinen Sturz und ich kann das Grinsen hören, das auf den Lippen der Katze liegt.

 

Schweißgebadet schrak ich hoch.

Mir war schlecht, mein Kopf dröhnte und mein Brustkorb schmerzte, als wäre ein Opossum darauf Trampolin gesprungen.

Fahrig tasteten meine Finger in der Dunkelheit auf dem Nachttisch herum. Irgendwo hier mussten doch diese blöden Pillen liegen.

Aber alles, was ich fand, waren meine Brille und der Schalter für die kleine Lampe. Erst als ich sie eingeschaltet hatte und mich im Zimmer umsehen konnte, wurde mein Kopf wieder halbwegs klar.

Ich lag in meinem Bett, in meinem Zimmer, in meiner Wohnung in Chicago. Und zwar zum ersten Mal seit gut zwei Monaten.

Nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus und den ersten konfusen Tagen zu Hause hatte mein behandelnder Psychiater mich vor die Wahl gestellt: Klinik oder Urlaub.

Ich hatte Letzteres gewählt und war aufs Land gefahren, zum Haus meiner Tante und ihren zwei Töchtern. Mit ihrer Hilfe, und einem ordentlichen Medikamentencocktail mehrmals täglich, hatte ich mich von meinem Absturz erholt.

Ich hatte akzeptiert, dass die Alkoholvergiftung, die ich mir in dem Stripclub eingehandelt hatte, Wahnvorstellungen in mein Hirn gezaubert hatte und nichts von dem, was ich glaubte, erlebt zu haben, wirklich geschehen war.

Es gab keine heiße Kaninchendame, die mich in ein Paralleluniversum gelockt und dort zum Helden gemacht hatte. Einer, der ihre Mutter aus den Klauen des Bürgermeisters befreien sollte, um mit ihrer Hilfe ein ganzes Volk von verrückten Fantasiegestalten aus der Unterdrückung zu führen.

Nein, ich war kein Retter, kein Held. Ich war ein Nerd, dem seine ständige Zockerei einen gewaltigen Dachschaden eingehandelt hatte.

Ich wusste das, ehrlich. Allerdings schien die Erkenntnis noch immer nicht bis in mein Unterbewusstsein vorgedrungen zu sein.

Denn kaum kehrte ich in mein altes Umfeld zurück und begann, die Medikamente runterzufahren, kehrten die Erinnerungen zurück – ich meine, die Einbildungen.

Schnell verdrängte ich die Bilder meines Traumes und beschloss, mir doch noch die Pille zu gönnen, auf die ich vor dem Zubettgehen verzichtet hatte. Auch wenn das bedeutete, aufstehen und ins Bad gehen zu müssen. Nur dort konnten sie sein, wenn nicht auf meinem Nachttisch.

Als ich mir dort ein Glas Wasser eingoss und in den Spiegel schaute, zuckte ich zusammen und ließ das Glas fallen. Hinter mir, im Schatten, stand jemand!

Ich stieß ein heiseres Quietschen aus und wirbelte herum, nur um auf die hellblauen Wandfliesen zu starren. Ich war allein – natürlich war ich allein.

»Vielleicht gönne ich mir doch zwei Pillen …«, murmelte ich.

Mit zitternden Fingern füllte ich das Glas erneut, das den Sturz ins Waschbecken zum Glück überlebt hatte, klaubte zwei Tabletten aus dem kleinen Behälter neben meiner Zahnbürste und schluckte sie. Die kleinen rosa Dinger würden jeden Schatten vertreiben. Aus meinem Bad, und aus meinem Kopf.

Nicht aber aus meinem Herzen, dachte ich, als ich mich zurück ins Schlafzimmer schleppte.

Denn sosehr ich daran glaubte, dass ich niemals in Ludens City gewesen war – zwei Dinge konnte keine Medizin der Welt ändern:

Den Schmerz, die Liebe meines Lebens verloren zu haben.

Und die Last, die Schuld am Tod eines Menschen zu tragen.

Real oder nicht, beides tat verdammt weh.

 

Den Rest der Nacht blieb ich von Albträumen verschont, sodass ich am nächsten Tag – für meine Verhältnisse – fit war. Das war gut, denn heute stand einiges auf dem Plan.

Ich hatte ein Gespräch in dem Walmart, in dem ich vor meiner Krankheit gearbeitet hatte. Dass ich noch ein paar Tage brauchte, um mich einzuleben, war klar. Aber spätestens nächste Woche wollte ich wieder an der Kasse sitzen – und sei es nur, um mich abzulenken.

Außerdem wollte ich einkaufen und mich mit Craig treffen.

Mein bester Kumpel hatte mich zwar einige Male besucht, erst im Krankenhaus, dann bei meiner Tante. Aber nun hatten wir uns schon seit knapp drei Wochen nicht gesehen. Er fehlte mir ein bisschen und ein Teil von mir hoffte, er würde die Normalität zurück in mein Leben bringen. Mit ihm an meiner Seite konnte ich Fuß fassen, das spürte ich. Ich meine, wenn nicht mit ihm, mit wem dann?

Und heute Abend würde ich zum ersten Mal seit dem Absturz an meinem Laptop sitzen und in die Online-Rollenspielwelt von ›Elesztrah‹ abtauchen. Ich selbst war skeptisch gewesen und hatte eigentlich beschlossen, nichts mehr anzurühren, was auch nur entfernt mit Fantasy zu tun hatte. Keine Filme, keine Bücher und schon gar keine Spiele. Aber Craig war der Meinung, es könnte mir helfen, Realität und Fantasie endgültig zu unterscheiden, und wider Erwarten hatte mein Psychiater ihm recht gegeben.

Ach stimmt, bei dem musste ich mich heute auch noch melden …

 

»Ja, Dr. Hogan, es lief prima heute.«

In begeistertem Tonfall schilderte ich dem Psychiater am Telefon, wie gut und problemlos mein Tag verlaufen war – und vor allem, wie wahnvorstellungsfrei. Leider war ich wohl zu euphorisch, denn er roch sofort Lunte.

»Die Tabletten … Nun, doch, die … Ja, ich weiß, dass ich damit aufhören sollte. Aber vielleicht sollte ich damit warten, bis ich meine ersten Arbeitstage hinter mir habe … Weniger? Natürlich …«

Ich verdrehte die Augen, während ich ihm versprach, zumindest auf die halbe Dosis runterzugehen.

Der Traum letzte Nacht hatte mir gezeigt, dass ein kalter Entzug nicht klappen würde, aber vielleicht würde es mit einer Reduzierung funktionieren. Probieren konnte ich es ja mal …

»Sie wissen, dass Sie mich jederzeit anrufen können?«, hörte ich den Doc am anderen Ende.

Ich unterdrückte ein Seufzen. Er wusste, dass ich gleich zum Zocken mit Craig verabredet war, und fürchtete, ich könnte hinterher ein nervliches Wrack sein.

Okay, das war nicht ganz abwegig. Aber dann würde ich sicher nicht ihn anrufen. Ich hatte meine kleinen rosa Freunde, die im Bad jederzeit für einen Notfall bereitstanden. Und ich hatte meinen besten Freund, der mich ebenfalls auffangen würde.

Ja, das Erste, was ich reduzieren würde, war der Kontakt zu meinem Psycho-Doc.

»Vielen Dank, Dr. Hogan. Ich weiß das sehr zu schätzen, aber machen Sie sich keine Gedanken. Je mehr ich meinen alten Alltag zurückgewinne, desto besser.«

Ich sagte, was er hören wollte. Nun ja, genau genommen zitierte ich ihn sogar, was er aber zum Glück nicht bemerkte. Trotzdem wurde ich ihn erst los, als ich versprach, mich nach dem Spiel für ein Auswertungsgespräch bei ihm zu melden. Seufz …

Ich legte mein Smartphone beiseite und wandte mich meinem Laptop zu. Während er hochfuhr, stöpselte ich mein Headset ein. Dann startete ich ›Elesztrah‹.

 

»Als Nächstes kommt eine Herde Feuerechsen aus dem rechten Gang«, drang Shazzars Stimme an sein Ohr.

Die Warnung galt nicht ihm. Er kannte sich in diesem Dungeon aus, auch wenn er seit Wochen nicht hier gewesen war. Aber die Neulinge, die sie heute anführten, waren auf derlei Warnungen angewiesen. Es war ihr erster Zug gegen den Flammenden Lord.

Für Maximus12 war es wie ›nach Hause kommen‹. Kaum war er aus seinem Tiefschlaf erwacht und ein wenig in der Hauptstadt umhergelaufen, war er wieder Herr über all seine Kräfte gewesen. Er war der mächtigste Schamane in ganz ›Elesztrah‹, und das …

 

Halt, Andrew, hör auf!

Kein Shazzar, sondern Craig. Kein Tiefschlaf, sondern eine Offline-Zeit. Kein ›nach Hause kommen‹, sondern Spaß am Spielen. Keine Rückkehr irgendwelcher Kräfte, sondern das Beherrschen der Spielprinzipien, die man nicht verlernte, wie Fahrradfahren.

Ich war Andrew – nicht Maximus12, verdammt. Gott, wie schnell ich mich wieder in den Sog hatte ziehen lassen.

»Andrew, kannst du das Heilen mit übernehmen? Sonst kommen wir nicht mal bis zum zweiten Zwischenboss«, bat Craig mich über einen separaten Voice-Chat.

»Lauft weiter, ich switche schnell um«, antwortete ich.

Die Truppe dackelte davon, während ich meine Fähigkeiten in der Schnellzugriffleiste neu ordnete.

An ihren Gesundheitsbalken erkannte ich …

 

Maximus12 spürte, dass sie sich bereits im nächsten Kampf befanden, aber diese Mobs würden sie auch ohne ihn schaffen. Er brauchte noch einen Moment der Meditation, ehe er genug Mana gesammelt hatte, um sie mit seinen Heilkräften zu unterstützen.

»Sieh an, sieh an. So sieht er also aus, der mächtige Schamane, den das Schicksal zu unserem Retter auserkoren hat.«

Hektisch sah er sich um. Diese Stimme, die da gerade durch den Gang gehallt war … Er kannte sie.

Doch da war niemand.

War dies ein Trick des Flammenden Lords? Nein, noch hatten sie die ›Schattenebene‹ nicht erreicht, in der jedem von ihnen ein anderer Gegner vorgesetzt wurde.

Er blinzelte, dann wandte er sich nach vorn, um seinen Begleitern zu folgen – und stieß unsanft mit jemandem zusammen. Er taumelte zwei Schritte zurück und noch bevor er realisiert hatte, wer oder was sich ihm in den Weg gestellt hatte, hörte er die Stimme erneut.

»Ouh, stürmisch wie eh und je, Andrew.«

 

Ich klappte den Laptop zu und sprang panisch von meinem Stuhl auf, sodass dieser krachend hinter mir umflog.

Schweißperlen traten mir auf die Stirn.

Das … konnte unmöglich … So etwas gab es in ›Elesztrah‹ nicht.

Da hatte nicht gerade eine Frau mit roten Locken und Katzenohren vor mir gestanden, nein, niemals! Schon gar keine mit einem Gesicht, das mir dermaßen vertraut war.

Ginger …

Ich riss mir die Kopfhörer herunter und pfefferte sie auf den Schreibtisch. Dann drehte ich mich um mich selbst und fuhr mir mit den Händen über das Gesicht.

Okay, ganz ruhig, Andrew. Du hast vorher schon gemerkt, dass das Spiel deine Fantasie viel zu sehr befeuert. Es war dumm, nicht gleich wieder aufzuhören.

Und nun drehte mein alkoholgeschädigtes Gehirn wieder ab.

Meine Pillen, ich brauchte unbedingt meine Pillen …

Das Klingeln meines Smartphones brachte mich dazu, mein stoisches Im-Kreis-Gedrehe zu beenden.

Es war Craig.

Ich atmete noch einmal tief durch und nahm das Gespräch an.

»Alter, was war das denn? Für einen Rage-Quit haben sie sich nun wirklich nicht blöd genug angestellt.«

»Ich … Da war … Sorry, Kumpel«, stammelte ich.

»Was ist los, Andrew?« Craig merkte sofort, dass etwas nicht stimmte.

»Keine Ahnung.« Während ich mit ihm am Telefon ins Bad ging, überlegte ich, wie ehrlich ich sein sollte. »Ich hab mich wohl etwas zu sehr reingesteigert«, entschied ich mich für die abgeschwächte Version.

Das war keine Lüge, ließ nur viel Raum für Interpretation.

Craig schwieg einen Moment.

»Was hältst du davon, wenn wir was unternehmen? Eine Runde Dart vielleicht im Theos?«, fragte ich ihn, um das Thema zu wechseln, und nahm den Behälter mit den Tabletten aus dem Regal.

Genau, erst würde ich eine kleine Party mit meinen rosa Freunden feiern und dann eine mit Craig.

»Ähm, okay, wenn du das willst.« Mein Kumpel wusste genau, was mit mir los war. Ihm konnte ich nichts vormachen. »Aber lass mich wenigstens noch schnell duschen.« Er räusperte sich. »Solltest du vielleicht auch machen. Ich hol dich in ’ner halben Stunde ab?«

»Klingt perfekt«, antwortete ich. Dann legte ich auf.

Ich drehte das Pillendöschen in meinen Fingern. Zwei Stück davon, eine heiße Dusche und ich wäre wieder auf voller Höhe.

Mein Blick blieb an dem Etikett hängen und sofort drohte ich wieder den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Follow the ginger cat, stand dort in schnörkeligen Buchstaben.

Meine Kehle wurde eng und ich presste die Lider zusammen. Gleichzeitig hielt ich die Dose krampfhaft umklammert.

Durchatmen, Andrew … Ein und aus … So wie du es vom Doc gelernt hast.

Wut kochte in mir hoch und verdrängte die Panik. Diese scheiß Wahnvorstellungen würden mir nicht den einzigen Rettungsanker nehmen, der mich bei Verstand hielt – meine Pillen.

Ohne noch einmal hinzusehen, fischte ich zwei Stück aus der Dose und schluckte sie trocken. Dann wiederholte ich das Ganze mit zwei weiteren Tabletten. Die doppelte Dosis von der doppelten Dosis. Wenn das nicht half, wusste ich auch nicht.

Zitternd verschloss ich den Behälter und ließ ihn ins Waschbecken gleiten. Jetzt hieß es warten, bis …

»Sag bitte nicht, dass du drogenabhängig bist.«

Mein Kopf schoss hoch. Ein Blick in den Spiegel offenbarte mir, dass ich nicht allein war. Die rothaarige Katzenfrau, der ich eben noch im Spiel begegnet war, stand hinter mir und grinste mich an.

»Einen zugedröhnten Helden kann ich nämlich nicht gebrauchen. Und nun lass uns gehen.«

»Du … Du bist nicht real«, hauchte ich. Dann zwang ich mich, mich umzudrehen.

Niemand da. Natürlich!

»Es gibt dich nicht, hörst du?«, schrie ich die Handtücher an, die dort hingen, wo ich gerade noch die Katze gesehen hatte. »Es gibt keine verdammte Ginger, kein Ludens City, keine Lola …«

Noch während die Worte meinen Mund verließen, spürte ich das altbekannte Stechen in der Brust, das mich immer überkam, wenn ich an die Hasendame dachte.

»Duschen, du solltest duschen«, trieb ich mich selbst an.

Ich musste nur noch ein paar Minuten durchhalten, bis die Tabletten wirkten. Dann wäre alles wieder gut.

Ich zog meine Klamotten aus und schleppte mich unter die Dusche. Irgendwie war das schwerer, als ich es in Erinnerung hatte. Genau wie meine Beine und meine Arme – alles schien fünfmal mehr zu wiegen als sonst.

Ich schaffte es, die Brause anzustellen, und als endlich heißes Wasser über meinen Körper rann, ließ ich mich erschöpft auf den Wannenboden sinken.

Gleich würde es mir wieder besser gehen, gleich … Nur einen Moment ausruhen.

Ich schloss die Augen.

Kapitel 2 - Déjà-vu

 

Hilfe, ich ertrinke. Ich ertrinke!!!

Wasser überall – in meinen Haaren, meinen Augen, meiner Nase, meinem Mund.

Prustend und spuckend hielt ich mir schützend die Hände vors Gesicht.

»Genug jetzt, das reicht!«

Ich wischte mir über die Augen und starrte den kleinen Jungen vor mir an, der noch immer einen Eimer in der Hand hielt.

»Deedle, spinnst du?«, fuhr ich ihn an. »Willst du mich ersäufen?«

»Kann man das mit einem Eimer Wasser?«, fragte er mit großen Augen. »Quatsch, das geht nicht.« … »Aber wenn Andrew es doch sagt?«

»Lasst unseren Helden doch erst mal zu sich kommen. Und holt ihm ein paar Klamotten von unten.«

Scheppernd ließ Deedle den Eimer fallen und flitzte hinaus. Er war pflichtbewusst wie eh und je und noch immer total versessen darauf, zu helfen.

Nun trat eine andere Person an mich heran. »Es freut mich, dich wiederzusehen, Andrew«, säuselte Ginger. Ihre Augen glitten über mich und ihr Mund war zu einem lasziven Grinsen verzogen, während sie ihren rot-orange gestreiften Schwanz durch ihre Finger gleiten ließ. Sie trug eines dieser Cancan-Kleider, dieses Mal in einem dunklen Grün, und sah heiß aus, ohne Frage. Meine sofort erwachende Libido wusste gar nicht, ob sie ihre Aufmerksamkeit den sexy Netzstrümpfen oder dem einladenden Dekolleté zukommen lassen sollte.

Warum sie mich mit diesem Funkeln in den Augen musterte, wurde mir erst klar, als ich an mir herunterblickte und feststellte, dass ich vollkommen nackt war.

»Und wie ich sehe, bist du bereit für mich, sehr schön.« Ihr Blick war an meinem besten Stück hängen geblieben, das sich bei ihrem Anblick sofort aufgerichtet hatte.

Hektisch bedeckte ich mich. »Ginger, was soll der Mist? Du hast mich unter der Dusche entführt? Bist du völlig übergeschnappt?«

Übergeschnappt war genau das richtige Wort – allerdings nicht für sie, sondern für mich, wie mir in dieser Sekunde klar wurde.

Hatte ich nicht wochenlang daran gearbeitet, zu begreifen, dass es sie nicht gab? Genauso wenig wie Deedle oder diesen Ort, den ich sofort als Vincents Büro wiedererkannte.

Und nun plauderte ich mit ihr, als wäre das hier nicht nur eine weitere Wahnvorstellung, eine von der übelsten Sorte.

Das war nicht mehr als ein verfluchtes Déjà-vu oder …

Die Pillen! Oh Mann, ich hatte mich tatsächlich mit einer Überdosis abgeschossen, so wie damals im ›Dark Hole‹ mit dem Alkohol. Und nun steckte ich wieder in den irren Windungen meines kranken Hirns fest.

Aber das würde ich nicht noch mal zulassen! Unter keinen Umständen war ich bereit, hierzubleiben – in einer Welt, die nur in meinem Kopf existierte und die mich völlig verrückt machen würde.

»Aufwachen, Andrew, komm schon«, sprach ich mir zu und kniff die Augen zusammen. »Tief durchatmen. Du sitzt in deiner Dusche, ganz allein. Das hier ist nicht real.«

Ginger seufzte. »Oh bitte, dieses Lass-mich-aufwachen-Geschwafel hat doch schon bei deinem ersten Besuch nicht funktioniert. Könnten wir den Teil, in dem du alles anzweifelst, nicht einfach überspringen? Wir haben keine Zeit für so einen Krempel.«

Wütend sprang ich auf. »Verdammt, Ginger! Weißt du, was ich wegen euch durchgemacht habe? Ihr habt mein Leben zerstört. Schau mich doch an, ich bin ein Wrack!« Mit ausgebreiteten Armen starrte ich sie an.

Ich tat es schon wieder! Ich redete mit ihr, als sei sie real. Warum, verflucht? Wieso akzeptierte mein Unterbewusstsein so schnell, was hier abging? Wo war die Stimme der Vernunft geblieben – die Stimme meines Psychiaters –, die mir erklärte, dass dies hier nur Wahn war?

Sie hingegen grinste nur noch mehr. »Ohh, ich schau dich gern an, Andrew. Ich mache auch noch ganz andere Dinge mit dir, wenn du möchtest. Wenn das hilft?«

»Ginger, heilige Scheiße. Ich bin in deine Schwester verliebt, schon vergessen?«, rutschte es aus mir heraus, bevor mich mein Sinn für Realität bremsen konnte.

Die Katzenlady lehnte sich etwas vor und strich mit dem Finger über meine Brust. »Das hat dich beim letzten Mal auch nicht gestört.«

Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, als ich mich an den Dreier mit ihr und Lola erinnerte.

Ich hatte so lange dagegen angekämpft, meine Erlebnisse zu verdrängen, und hatte mich fast selbst überzeugt. Aber wie sollte ich daran festhalten, wenn meine Wahnvorstellung in persona vor mir stand und mich ansexte?

Ich packte Ginger bei den Schultern und schob sie von mir, nur um meine Hände danach hektisch über meinem kleinen Kumpel zu drapieren, der gerade zu betteln begann, mit der Katzenlady spielen zu dürfen.

»Da war Lola aber dabei. Das war was anderes … Und wir haben nicht miteinander geschlafen.«

… was wir dringend nachholen sollten, flüsterte meine Libido.

Klar, seit ich im Krankenhaus gewesen war, hatte sie sich nicht mehr gemeldet. Und kaum stand ich in meiner Fantasiewelt, kehrte sie mit Pauken und Trompeten zurück.

Ich biss die Zähne zusammen.

Ginger hingegen verschränkte die Arme vor dem Körper und sah äußerst zufrieden aus. »Und jetzt sag mir, dass das Ganze nicht real gewesen ist«, forderte sie.

Ich schwieg.

In dem Moment kam Deedle zurück. Zumindest vermutete ich, dass er es war und der riesige Berg Klamotten nicht von allein durch den Raum schwebte. Hastig griff ich mir das erstbeste Stück von oben und hielt es vor meine Lenden, um Gingers gierigem Blick zu entkommen.

Das änderte jedoch nichts an meinen Grundproblemen. Ich hatte einen mordsmäßigen Ständer. Und ich war kurz davor, meinen hart erarbeiteten Realitätssinn wieder zu verlieren.

Sollten diese verfickten Pillen mir nicht helfen, das alles hier zu vergessen, anstatt mich nach Ludens zurückzukatapultieren?

»Ein Vorschlag«, riss Ginger mich wieder in die Realität – oder die Wahnvorstellung, ganz wie man es betrachtete. »Du ziehst dir erst mal was an. Und dann unterhalten wir uns.«

 

Ich musste zugeben, ich fühlte mich pudelwohl in den Sachen, die Deedle mir gebracht hatte. Mit der Hilfe des Jungen, der noch mehr wirres Zeug plapperte, als ich es in Erinnerung hatte, fand ich mich bald in einem eleganten Ensemble in Blau-Weiß wieder, das eindeutig Vincents Schneiderkünsten entstammte.

Als ich das Zimmer verließ und Deedle durch die Schneiderei folgte, konnte ich mir den Blick in den großen Ankleidespiegel nicht verkneifen.

Die ganzen letzten Wochen hatte mein Spiegelbild mich einfach nur angekotzt. Der braunhaarige, schlaksige Typ darin mit seinem vernebelten Blick war das Sinnbild eines Jammerlappens gewesen. Nein, eines Außenseiters.

Und kaum trug ich diese weiße Rüschenbluse, die dunkelblaue Edelmannjacke und die dunkelblauen Kurzhosen über weißen Strümpfen, war ich … ich selbst.

Das war verrückt, einfach nur komplett irre. Aber entgegen aller Vernunft fühlte sich das hier richtig an.

Auf der Treppe, die nach oben in Vincents Privatgemächer führte, wartete Ginger auf mich.

Ein aufgeregtes Kribbeln machte sich in mir breit, als ich daran dachte, was mich da oben erwartete. Oder besser, wer mich erwartete.

Wochenlang hatte ich mir eingeredet, dass meine Traumfrau nicht existierte. Dass ihre Schwester jetzt vor mir stand, sollte Beweis genug für das Gegenteil sein.

Gleich würde ich Lola wiedersehen, meine sexy Kaninchendame, der ich meinen ersten Aufenthalt hier zu verdanken hatte und die aus den schrecklichsten Tagen meines Lebens die schönsten gemacht hatte.

 

Als ich die Treppe mit schnellen Schritten nach oben hasten wollte, hielt Ginger mich mit ausgestrecktem Arm zurück.

»Langsam, Tiger. Himmel, du hast immer noch dieses debile Grinsen auf dem Gesicht, wenn es um sie geht.«

Ein Klirren, gefolgt von lautem Gelächter, drang aus Richtung Esszimmer zu uns.

Sie seufzte. »Hör mal, Andrew, was du gleich sehen wirst, könnte etwas befremdlich auf dich wirken.«

Ich sah sie mit hochgezogener Augenbraue an. »Und das sagt mir die Katzenlady herself?« Ich winkte ab. »Bitte, ich habe hier so viele Unmöglichkeiten gesehen, was soll mich da noch schocken?«

Okay, das hatte ich damals auch gedacht, bevor ich ins Herrenhaus aufgebrochen war. Dort war ich dann fast von einer sprechenden Weinbergschnecke und einem Schreibmaschinenmann getötet worden. An das Eulenmädchen, dem wiederum ich das Leben genommen hatte, wollte ich gar nicht erst denken.

Langsam senkte sie ihren Arm und das Grinsen in ihrem Gesicht wurde einen Hauch blasser. »Oh, entschuldige, großer Held, wenn ich deine Fähigkeiten angezweifelt habe.« Sie machte eine einladende Geste nach oben. »Bitte, nach Ihnen.«

Das irritierte mich. Ginger war weder der zickige noch der höfliche Typ. Sie war ironisch, ja, manchmal sarkastisch und direkt. Aber …

»Na geh schon, hopp«, trieb sie mich an, als ob sie es jetzt nicht mehr erwarten könnte.

Etwas bedächtiger nahm ich die letzten Stufen und folgte dann dem Lärm, der nun deutlicher zu hören war. Ich meinte, Minas und Vincents Stimmen zu erkennen, war mir aber nicht sicher.

Als ich vor der Tür zum Esszimmer stand, mischte sich zu meiner Vorfreude ein mulmiges Gefühl in meinem Magen. Genau in dieser Tür hatte Pau damals das Portal geöffnet, durch welches er mich ungefragt in meine Welt zurückbefördert hatte. Er hatte entschieden, dass ich nicht hierhergehörte.

Wie würde er es auffassen, dass ich zurück war? Und wie würden die anderen es auffassen???

Ich wusste nicht, ob Lola damals eingeweiht gewesen war, dass der Flattermann mich zurückschicken würde. Ginger hatte jedoch so gewirkt. Vielleicht sollte ich zuerst mit ihr darüber reden. Gründe erörtern, Erklärungen fordern …

Gerade als ich beschloss, die Katzenlady darauf anzusprechen, griff sie an mir vorbei, drückte die Klinke nach unten und stieß die Tür auf.

Ja, ich war vieles von Ludens City gewohnt. Aber der Anblick, der sich mir bot, ließ mich dennoch fast aus meinen neuen Latschen kippen.

Der Esstisch war brechend voll mit Kuchen, Muffins, Donuts, Teigtaschen und was nicht noch für Gebäck. Dazwischen standen Tee-, Kaffee- und Milchkannen jeder Größe, Form und Farbe – aber alle aus Porzellan. Nicht mal die Tassen und kleinen Teller, die vor jedem Stuhl aufgestellt waren, passten zusammen.

Die letzten freien Flächen auf dem Tisch waren mit Schälchen vollgestellt, in denen sich Zuckerwürfel, Schlagsahne und andere Süßungsmittel befanden.

Zwischen all diesen Dingen tobte Mina umher. Die Maus schwang einen Löffel durch die Luft, mit dem sie ständig irgendwo aneckte, und trällerte ein Lied, das sie sich mit Sicherheit selbst ausgedacht hatte, so schief wie es klang.

Das Absurdeste an dem ganzen Anblick erwartete mich jedoch am Kopfende. Dort saß Vincent, der ruhige, besonnene und modebewusste Vincent – der jetzt einen bunt geflickten Frack trug und eine rosa Tüllschleife um seinen silber-grün gestreiften Zylinder. Darunter quollen seine kupferfarbenen Haare hervor, die nicht wie sonst glatt gebürstet waren, sondern weit in alle Richtungen abstanden.

»Mr. Andrew, was für eine fantasteristische Überraschung«, rief Vincent aus, als er mich entdeckte.

Mein Mund klappte auf, als ich in seine Augen blickte, deren Iriden unnatürlich groß waren, genau wie seine Pupillen. Und trug er etwa Make-up?

Na ja, immerhin war er höflich wie gewohnt.

Auch Mina war sichtlich erfreut. »Andrew, Andrew, Andrew«, brüllte sie euphorisch im Takt ihrer Sprünge, wobei sie mindestens zwei Tassen umwarf, deren Inhalt sich auf der ohnehin fleckigen Tischdecke ausbreitete.

»Hey, Leute«, erwiderte ich die Begrüßung etwas zurückhaltender. Durch zusammengebissene Zähne flüsterte ich Ginger zu: »Was zum Geier ist hier los?«

»Setz dich und ich erkläre dir alles«, antwortete sie mit einem Schulterzucken.

»Oh ja, bitte, Mr. Andrew, setz dich doch.« Vincent nickte eifrig, wobei seine Haarzotteln auf und ab wippten. »Möchtest du eine Tasse Tee?«

Unwillkürlich legte ich die Stirn in Falten, als ich auf den Tisch zuging. Hatte er gerade gelispelt? Und mehr noch: Hatte er mich geduzt? Was ging hier ab?

»Ja, danke«, nahm ich das Angebot an und ließ mich auf den Stuhl neben ihm sinken.

»Was?«, fragte er und zog eine seiner buschigen Augenbrauen nach oben, die im Vergleich zu den Augen jetzt geradezu normal wirkten.

»Äh, die Tasse Tee.«

»Na was denn nun?« Erwartungsvoll sah Vincent mich an. Als ich nicht reagierte, sondern ihn nur mit leicht geöffnetem Mund anstarrte, fügte er hinzu: »Tasse oder Tee?«

Ja, er lispelte tatsächlich … Und seine Stimme hatte eine höhere Note als früher, wie ich jetzt bemerkte.

»Ich nehme Tee, bitte«, entschied ich schnell, auch wenn mir nicht klar war, wo der Unterschied lag.

»Milch? Zucker? Sahne?«, fragte Vincent und griff nach der Teekanne, die ihm am nächsten stand.

»Vielleicht etwas Zucker.«

»Hände.«

»Bitte?«

»Deine Hände.«

Ich sah Hilfe suchend zu Mina, die ihre Pfoten zu einer Schüssel formte und mir auffordernd zunickte.

Ginger, die sich gerade neben mir niederließ, bemerkte erst jetzt, dass ich von Vincent bedient wurde. »Andrew, nicht«, rief sie aus und zog meine Hände zur Seite.

In der Sekunde kippte Vincent die Teekanne, die er wohlgemerkt noch über dem Tisch hielt, und schwenkte schwungvoll zu mir herüber. Es war zu spät, um zu reagieren, und so ergoss sich der Tee auf meinem Schoß.

»Uahhh, Vincent, bist du irre?«, brüllte ich, als ich aufsprang.

Der Tee war echt heiß, doch der dicke Hosenstoff schützte meine Haut bestmöglich. Es tat weh, aber verbrannte mich nicht. Zum Glück hatte Ginger meine Hände gerettet. Für die wäre es weniger glimpflich ausgegangen.

Wütend betrachtete ich den nassen Fleck in meinem Schritt. Großartig. Da hatte ich mich gerade so wohlgefühlt, und nun durfte ich mich schon wieder umziehen.

Ich sollte das als Zeichen betrachten. Es war mit Sicherheit nicht förderlich, mich in meiner Wahnvorstellung wohlzufühlen …

»Was zum Teufel sollte das?« Ich sah erst Ginger an, die wie immer grinste, dann Mina, die mich in dieser Sekunde mit Zucker bewarf und anfing, wie ein Huhn zu gackern. Zuletzt blickte ich zu Vincent, in Erwartung einer Entschuldigung, und zuckte zusammen.

Er hatte die Augen zu schmalen Schlitzen verengt und die Brauen so tief ins Gesicht gezogen, dass es aussah, als würden zwei Raupen seine Augen fressen.

»Wie hast du mich gerade genannt?«

Jetzt begann sich sein Gesicht zu verfärben. Von unten nach oben wurde es rot, fast violett. Der Mann war wütend, nein, stinksauer, und ich erwartete, dass es jeden Moment aus seinen Ohren pfiff, wie das in Comics immer der Fall war, bevor jemand explodierte.

Und dabei hatte er mich mit Tee bekippt, nicht andersrum!

»Er hat es nicht so gemeint, Vinc«, ging Ginger dazwischen. »Würdest du mir bitte Tee einschenken? Eine Tasse habe ich schon.« Sie streckte ihm diese mitsamt Untertasse entgegen.

Kurz ruhte Vincents zornentbrannter Blick noch auf mir, bis sich von einer Sekunde zur anderen wieder das strahlende Lächeln zeigte, mit dem er mich begrüßt hatte. Fast als hätte ein Restaurator über eine Leinwand gewischt und ein gänzlich anderes Bild zum Vorschein gebracht.

»Darf ich dir auch etwas anbieten, Mr. Andrew? Eine Tasse Tee?«, fragte Vincent, während er sich zu Ginger beugte und ihre erhobene Tasse füllte.

Ich schluckte und setzte mich wieder. »Nein … Danke, ich habe schon.«

»Na dann.« Der Hutmacher gab ein zufriedenes Glucksen von sich. »Mina, Liebes, wie wäre es mit einem Lied?«

Schon setzte die Maus wieder mit dem ohrenbetäubenden Gesang ein und nach zwei Zeilen schloss Vincent sich ihr an.

Einen Moment noch war ich von der abstrusen Situation überfordert. Dann begann mein Hirn, sich an die Verrücktheit zu gewöhnen – ziemlich schnell, wie ich fand, aber ich hatte ja mittlerweile Übung darin, und dass ich einen diagnostizierten Dachschaden hatte, machte es auch leichter.

Und dann erst, viel zu spät, fiel mir auf, was an dieser Szenerie so grundlegend falsch war.

Ich wandte mich Ginger zu. »Würdest du mir bitte erklären, was hier abgeht? Anstatt einem Krisenstab beizuwohnen, bin ich auf einer Teeparty mit einer durchgedrehten Maus und einem verrückten Hutmacher! Und wo …«

Sie unterbrach mich und presste mir einen Finger auf den Mund, wobei ihre Augen zu Vincent huschten. »Regel Nummer eins: Nenn die beiden niemals verrückt, irre, übergeschnappt oder sonst was in diese Richtung. Das mag Vincent gar nicht.«

Da auch Deedle, der mir gegenübersaß, in das Lied eingefallen war, hatte Vincent mich nicht gehört. Das war mir aber auch egal.

»Mir wurscht, ob er das mag«, zischte ich, stieß ihre Hand beiseite und stellte endlich die wichtigste aller Fragen: »Wo ist Lola?«

»In Toranpu.«

»Was für ein Pu-Pu??«, fuhr ich sie an und sprang schon wieder auf. »Was zur Hölle ist das? Oder besser, wo ist das?«

»Mr. Andrew, jetzt hast du das schöne Lied unterbrochen. Oder möchtest du ein anderes anstimmen?« Mit geradezu vor Erwartung leuchtenden Augen sah Vincent mich an.

»Wir lassen das mit dem Singen mal kurz, okay?« Ginger sah in die Runde, bis sie die Aufmerksamkeit der anderen hatte. »Ich würde Andrew nämlich gern von eurem Ausflug erzählen, Vinc.«

»Oh, aber natürlich. Möchtest du eine Tasse Tee dazu, Mr. Andrew?«

»Nein«, knurrte ich durch zusammengepresste Zähne.

Also wenn ich nicht schon ein Psycho gewesen wäre, würde dieser Kerl mich in den nächsten Minuten dazu machen. Und zu einem Mörder, denn ich würde ihm den Hals umdrehen. Aber … auch das war ich bereits.

Dieser Gedanke schnürte mir die Kehle zu. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass, wenn Ludens City und die Migwicks existierten – zumindest in meinem Kopf –, auch all meine Erlebnisse hier real gewesen waren. Auch mein Zusammentreffen mit dem Eulenmädchen …

Vincent goss sich abermals Tee in seine Tasse, die wohlgemerkt noch voll war, wodurch sich der zusätzliche Inhalt auf dem Tisch ausbreitete. Da es niemanden außer mich zu stören schien, entschied ich, nichts zu sagen und einfach zuzuhören.

»Alles begann damit, dass ein glorreicher Ritter in unsere Welt kam.«

Oh bitte, er würde doch jetzt nicht ganz von vorn anfangen, oder? Dafür hatte ich echt nicht die Geduld.

»Ja, ich weiß, der Ritter war … Aua!« Entgeistert sah ich Ginger an, die mich unter dem Tisch getreten hatte. »Wofür war das denn?«

»Halt einfach deine Klappe, okay? Vincent kennt die Identität des Ritters nicht.« Leise fügte sie an: »Und das ist auch gut so, wenn die nächste Ladung kochenden Teewassers nicht in deinem Gesicht landen soll.«

Äh, hallo? Ich war dieser verfickte Held, von dessen wilden Abenteuern Vincent gerade berichten wollte. Nachdem ich endlich wieder in einer Welt war, in der man mir meine Heldentaten glaubte, wollte ich auch den Ruhm dafür einstecken. Schließlich wäre ich fast draufgegangen, als …

»Und dann brachte uns dieser schleimige, verlogene, schlangenzüngige Möchtegernritter den Schlüssel zum Land der Verderbnis.« Vincent hieb mit der Faust auf den Tisch, sodass das Porzellan klirrte. Sein Gesicht hatte wieder diesen psychopathischen Ausdruck angenommen, der befürchten ließ, er würde jede Sekunde ein Fleischerbeil hinter seinem Rücken hervorholen und auf den Nächstbesten losgehen, während er Gift und Galle auf den Ritter spuckte.

Hui, na nur gut, dass dieser verschwunden war und nicht etwa direkt neben ihm saß …

Ich lehnte mich nach hinten, um möglichst außerhalb seiner Reichweite zu gelangen.

»Der Schlüssel öffnete uns ein Tor in eine Welt, so wunderschön, wie nur ein Traum sie malen könnte. Wir starteten eine Expedition, Mr. Vincent, Ms. Lola und Mr. Pau.« Jetzt flüsterte der Hutmacher. »Aber zurück kehrte nur einer …« Er quiekte vergnügt. »Rate, wer!« Er stützte den Ellbogen auf dem Tisch ab, legte das Kinn auf seine Hand und sah mich gespannt mit seinen riesigen Augen an.

Erwartete er wirklich, darauf eine Antwort zu erhalten? Okay, bitte.

Ich seufzte. »Mr. Vincent?!«, riet ich ohne großen Enthusiasmus und zuckte umso mehr zusammen, als er sich lauthals lachend in seinem Stuhl zurückwarf.

Mina stimmte sofort ein. »Sieht der Typ etwa aus wie Vincent Taylor? Niemals«, gackerte sie.

»Mitnichten, Teuerste«, bestätigte Vincent lachend, bevor er schlagartig ernst wurde. »Ich bin das, wozu der elende Ritter mich gemacht hat. Ich bin der Hutmacher.« Er machte eine Pause, um das Gesagte wirken zu lassen. »Also, Andrew, was ist nun die entscheidende Frage?«

So wie er mich ansah, würde er wirklich nur eine einzige Frage akzeptieren. Aber hallo, ich hatte Millionen davon!

Wieso kannte Vincent meinen Namen, wusste aber nicht, dass ich der Ritter war? Wie hatten sie es geschafft, in die Welt der Spielkarte einzutauchen – denn nichts anderes war Toranpu doch, oder?! Warum waren gerade die drei gegangen? Was war dort geschehen? Wieso war Vincent durchgedreht? Und …

»Wo sind Lola und Pau?«

»Gute Wahl …« Er legte die Fingerspitzen aneinander und blickte mich durchdringend an. »Sie sind noch in Toranpu. Und sie brauchen Ihre Hilfe, Mr. Andrew. Was meinen Sie, schaffen Sie es noch einmal, den Helden zu spielen?«

Etwas hatte sich verändert. Der Hutmacher schien plötzlich viel ernster, weniger struppig und konzentrierter. Zum ersten Mal, seit ich das Esszimmer betreten hatte, saß ich Vincent Taylor gegenüber. Er erkannte mich, das sah ich in seinen Augen, von denen der Wahnsinn einen Moment lang abgelassen hatte. Außerdem war seine Aussprache nun deutlich klarer. Das musste ich nutzen.

»Was muss ich tun?«, fragte ich flüsternd, aus Angst, zu laute Geräusche würden den echten Vincent wieder verscheuchen.

»Gehen Sie nach Toranpu und suchen Sie nach Aeterna. Aber hüten Sie sich vor der Roten Königin. Nur dann werden Sie unsere Freunde retten können.« Er packte meinen Oberarm und krallte seine Finger so fest darum, dass es schmerzte. »Doch bedenken Sie – kein Mensch kehrt so zurück, wie er hineingeraten ist.«

Ich wollte wissen, wie er das meinte. Doch da blinzelte Vincent und schüttelte den Kopf, als wollte er einen schlechten Gedanken vertreiben. »Was für ein faltertastischer Stoff, so zuckerweich«, lispelte er. »So was hätte ich ja auch gern … Wo hast du den her?«

»Von einem sehr guten Schneider, den ich mal kannte«, antwortete ich seufzend und entzog meinen Arm dem Hutmacher, der Vincent ohne Zweifel wieder verdrängt hatte. Ich hoffte nur, nicht für immer.

»Nun dann … Jemand einen Tee?«

Begeistert hielt Mina ihm ihre Tasse entgegen, die bis zur Oberkante mit Sahne gefüllt war.

Ich hatte genug gehört und gesehen. Wortlos erhob ich mich, stupste Ginger an der Schulter an und bedeutete ihr mit einem Kopfnicken, mir zu folgen.

 

»So, und jetzt das Ganze bitte noch mal für psychisch gesunde Menschen«, forderte ich sie zu einer Erklärung auf, nachdem Deedle die Tür geschlossen hatte.

Der Junge war uns gefolgt, was ich ihm nicht verdenken konnte. Selbst für ihn schien der Wahnsinn dort drinnen zu viel.

Ginger betrachtete mich mit hochgezogener Braue. »Soweit ich weiß, gehörst du nicht in die Kategorie ›gesund‹. Oder bin ich plötzlich keine pure Einbildung mehr?«

Als sie auch noch die Arme vor der Brust verschränken wollte, packte ich sie. »Mein Gott, Ginger, deine Schwester ist verschwunden! Wollen wir da wirklich sinnlos Zeit vergeuden, indem wir darüber diskutieren, was Realität ist und was Einbildung?«

»Ja, das müssen wir!«, blaffte sie zurück. »Denn nur wenn du dich endlich damit abfindest, dass …«

»Ich bin im Herrenhaus für euch durch die Hölle gegangen. Glaub mir, ich habe mich damit abgefunden«, unterbrach ich sie. »Bis zu dem Moment, als dein feiner Pau mich gegen meinen Willen hier rausgeschmissen hat und ein Pulk von Ärzten mir einreden wollte, dass es euch nicht gibt.«

»Du nimmst das hier nicht ernst, bist noch nicht ganz zurück. Du siehst mich nur als Traum, oder?«

Völlig unerwartet warf sie sich nach vorn und drückte ihre Lippen auf meine.

Was zum Henker sollte das jetzt? Warum küsste sie mich und … warum wehrte ich mich nicht? Jaaaaa, okay, es war Ginger, die heißeste Katzenlady, die ich kannte. Und wenn sie mich wollte – wer war ich, ihr diesen Wunsch zu verwehren? Und außerdem … Wow, das war einfach wow!

Uuuuund Schluss!, schaltete sich mein Hirn wieder ein. Schnell schob ich sie von mir.

»Und jetzt? Wie siehst du mich jetzt?«, forderte sie mich heraus.

»Verflucht, was soll das? Du weißt genau, dass ich Lola liebe.«

Ich wischte mir über den Mund, als hätte es mich angewidert, sie zu küssen. Klar, als ob sie mir das abkaufen würde.

Ginger zuckte mit den Schultern. »Ich wollte dich nur daran erinnern, dass deine Traumfrau kein Traum ist. Und sie hätte sicher nichts dagegen, wenn wir mit einer kleinen Kissenschlacht den alten Andrew wieder hervorlocken.« Frivol zwinkerte sie mich an. »Beim letzten Mal fand sie es sogar ziemlich antörnend, wenn ich mich richtig erinnere.«

Sie grinste so breit, dass es beinahe ansteckend war – wäre mir die Anspielung auf den Dreier nicht so peinlich gewesen.

»Was macht ihr da?« … »Können wir mitspielen?« … »Kissenschlaaaaaaacht!«

Himmel, ich hatte völlig vergessen, dass Deedle neben uns stand.

Der rannte nun wie ein aufgescheuchtes Huhn herum, wedelte mit den Armen über dem Kopf und brüllte unentwegt »Kissenschlacht!«.

Schon flog die Esszimmertür auf und keine Sekunde später klatschte mir etwas so heftig von hinten gegen den Kopf, dass mir die Brille von der Nase rutschte.

Ich wirbelte herum und entdeckte ein rosafarbenes, mit blauen Blüten besticktes Kissen zu meinen Füßen. Mit voller Wucht trat ich dagegen und schleuderte es zurück zu dem Werfer.

Zumindest war das mein Plan. Ohne Brille war meine Zielfähigkeit nicht die beste – okay, das war eine Ausrede … ich war schlichtweg ein miserabler Fußballer – und so flog das Geschoss an Vincent vorbei durch die geöffnete Tür und fegte scheppernd über den Esstisch.

»Wuhuuuuuuu«, jauchzte Vincent. Er spurtete zur Treppe, schwang sich auf das Geländer und rutschte darauf nach unten.

Deedle folgte ihm, immer noch brüllend und armewedelnd, und kurz danach kam das Kissen, das ich gerade weggekickt hatte, von allein aus dem Esszimmer gelaufen und hüpfte den beiden hinterher.

Hätte ich nicht Minas aufgeregtes Fiepen gehört, hätte ich geglaubt, endgültig den Verstand verloren zu haben. So zweifelte ich nur am Verstand der anderen.

Ein Grollen stieg in meiner Kehle auf. »Sind wir hier in einem fucking Ir…«

Bevor ich den Satz beenden konnte, presste sich eine krallenbewehrte Hand auf meinen Mund.

»Hörst du mir eigentlich auch manchmal zu oder glotzt du mir nur permanent in den Ausschnitt, wenn ich rede?«, zischte Ginger dicht an meinem Ohr. »Hier ist niemand irre, okay?«

Ihre zweite Hand, in der sie meine Brille hielt, schob sich in mein Sichtfeld. Sie musste sie aufgefangen haben – Katzenreflexe eben.

Wütend grapschte ich danach und setzte sie auf, nachdem Ginger mich losgelassen hatte. Na super, die Gläser waren übersät mit Fingerabdrücken. Wie ich so etwas hasste!

Aber hey, wenn das gerade mein größtes Problem war, ging es mir doch richtig gut! Ich machte mir nicht etwa darüber Sorgen, dass ich wieder in meinen Wahnvorstellungen gefangen war, dass ich dabei war, diese als real zu akzeptieren, oder dass meine plüschige Freundin in einem Land namens Toranpu verschollen war. Nein, Fettfinger auf meiner Brille, das war es, was mich belastete. Ich passte wirklich perfekt in dieses Irrenhaus!

Ich atmete ein, hielt die Luft kurz an, um mich zu erden, und stieß sie dann mitsamt meiner Wut wieder aus. Meditation war schon cool, wenn sie auch nicht immer funktionierte.

»Nun gut«, sagte ich und strich meinen Frack glatt. »Dann lass uns die Ausrüstung zusammenpacken, die Kinder einsammeln und dann geht es los.«

»Äh, wie meinen?« Überrascht sah Ginger mich an. Damit hatte sie nicht gerechnet.

»Na, wir machen einen Hüpfer durch das Portal in dieses Toranpu und holen Lola zurück. Nebenbei finden wir Aeterna und danach machen wir dieses ›glücklich bis an ihr Lebensende‹-Dingens.«

Gut, jetzt war nicht nur Ginger überrascht, sondern auch ich. Hatte ich das echt gerade gesagt? Und war ich wirklich so überzeugt davon, wie ich klang?

Ginger fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Nun, ich hatte eigentlich nicht vor …«

»Das kannst du knicken, Kätzchen. Du wirst schön mitkommen, genau wie die anderen Deppen. Ich habe schon einmal den Lieferjungen für euch gespielt und bin dabei fast draufgegangen. Wenn ich noch mal meinen Arsch riskiere, und laut Vincent werde ich das, denn – Zitat – kein Mensch kehrt so zurück, wie er hineingeraten ist, dann mache ich das nicht allein, verstanden?« Ich stemmte die Hände in die Hüften, um meiner Rede Nachdruck zu verleihen. »Wir gehen alle zusammen! Gleich nachdem ich mir eine neue Hose angezogen habe …«

Kapitel 3 - Zeit zum Packen

 

Keine Stunde später stand ich mit Ginger in der Schneiderei und ließ mir von den Migwicks, die für Vincent arbeiteten, das Waffenarsenal hervorkramen, das er mir schon bei den Vorbereitungen für meinen Ausflug ins Herrenhaus zur Verfügung gestellt hatte.

Es war einiges an Überredung nötig gewesen, um die fingerfertigen Nagetiere dazu zu bringen, es uns auszuhändigen. Dass ihr Arbeitgeber offensichtlich nicht mehr alle beieinanderhatte, hielt sie nicht davon ab, weiterhin treu seinen Befehlen zu folgen – und nur seinen.

Doch schließlich hatten die Katzenlady und ich uns mit allerlei nützlichem Krempel ausgestattet – nicht zuletzt mit einer frischen Hose für mich. Ginger hatte sich ebenfalls umgezogen und trug nun ein ähnliches Ensemble wie ich. Wow, es war verblüffend, wie sexy sie selbst in Frack und Hose aussah …

Mit dem Gebrauch von Waffen schien sie deutlich besser vertraut zu sein als ich, zumindest wusste sie bei allen, worum es sich handelte und wie man es benutzte.

Ich nutzte die Zeit, die sie zur Zusammenstellung unserer Ausrüstung brauchte, und ließ mich von ihr auf den aktuellen Stand bringen. Seit ich Ludens City verlassen hatte, war die Zeit hier genauso vergangen wie in Chicago.

Während Pau einen Versuch nach dem anderen verpatzt hatte, über die Spielkarte ein Portal zu öffnen, hatten Ginger und Lola Deedle aus den Klauen des Bürgermeisters befreit. Nicht etwa mit einer heroischen Sneaky-Action à la Andrew – nein, sie hatten schlichtweg Roland gegen ihn eingetauscht, den kleinen Pupperich, den ich aus dem Herrenhaus mitgebracht hatte.

Ich war gespalten, wie ich das finden sollte. Der Kerl war ein Arschloch und hätte sich sicher auch nicht vor einem Deal mit Nicodemus gescheut, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Aber er hatte mir auch geholfen, aus dem Herrenhaus zu fliehen, weswegen ich ihm etwas schuldete.

Begleitet von einem innerlichen Seufzen setzte ich es auf meine Agenda, ihn erneut zu befreien. Prioritätenmäßig kam es allerdings sehr, seeeeehr weit hinten.

Abgesehen davon, dass er sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigte, hielt Nicodemus wohl die Füße still. Das konnte entweder bedeuten, dass ihm die fehlende Karte noch nicht aufgefallen war – was ich ernsthaft bezweifelte – oder dass er irgendetwas plante. Lola hatte ein paar Leute darauf angesetzt, die aber bisher keine Ergebnisse geliefert hatten.

Als es Pau endlich gelungen war, das Portal zu öffnen, war Ginger geblieben, um notfalls Maßnahmen ergreifen zu können, sollte der Bürgermeister irgendeine fiese Aktion gegen die Migwicks starten. Außer Däumchendrehen hatte sie nichts gemacht – bis Vincent ihr in absolut desolatem Zustand wieder vor die Füße gestolpert war.

Ich fand es ja schon ein bisschen süß, dass sie mich in diesem Moment als ›ihre letzte Hoffnung‹ bezeichnet und sich auf die Suche nach mir gemacht hatte, obwohl Pau es ihr strikt verboten hatte.

Warum der Flattermann mich hatte loswerden wollen und ob sie wirklich darüber Bescheid gewusst hatte, darüber schwieg sie sich aus. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass sie sich im Laufe ihrer Erzählung und des Voranschreitens unseres Packens zunehmend unwohler fühlte.

Es gefiel ihr nicht, dass ich sie dazu nötigte, mich zu begleiten. Verständlich, wer stürzte sich schon gern in ein völlig unbekanntes Land, in dem man verschwand oder verrückt wurde.

Aber wenn ich das machte, war das völlig in Ordnung – schon klar!

Was mich wieder zu der Frage führte, was zum Geier ich hier eigentlich tat. Wie kam es, dass ich mich so schnell damit abgefunden hatte, dass ich wieder hier war und mich erneut den Klauen des Todes aussetzen sollte?

Und dabei war die Antwort so leicht …

Das Leben, das ich vor Lola geführt hatte, bevor sie mich aufgegabelt hatte, gab es nicht mehr. In Ludens City war ich zu jemand anderem geworden – zu einem verliebten Trottel, ja, aber auch zu einem Mann mit Courage. Und das, was danach folgte, konnte man kaum als Leben bezeichnen.

Ich war wie ein Geist, denn der Andrew, den es mal in Chicago gegeben hatte, war tot. Und nun war ich erneut in Ludens City und sogar im Begriff, in eine weitere fremde Welt zu wechseln. Und das fühlte sich unglaublich gut an.

Ja, verdammt, ich genoss es, wieder hier zu sein. Das war allemal besser als der Scheiß, den ich in der angeblichen Realität zurückgelassen hatte. Und wer konnte sich schon anmaßen, zu entscheiden, was real war und was nicht? Vielleicht gab es für jeden Menschen eine andere, ganz eigene Realität, getreu dem Motto ›Für mich sieht Grün ganz anders aus als für dich‹ – und das hier war eben meine Realität.

Dazu gehörte auch Lola. Na ja, eigentlich war es nur Lola, die wichtig war. Mehr als wichtig. Und deswegen war ich bereit, mich ohne Wenn und Aber in jede Gefahr dieser und anderer Welten zu stürzen.

»Was grinst du denn so?«, riss Ginger mich aus meiner imaginären Motivationsansprache an mich selbst. »Du siehst ja fast aus, als würdest du dich auf unseren kleinen Ausflug freuen.«

»Im Gegensatz zu dir«, zog ich sie auf. »Wo ist die sprücheklopfende Grinsekatze geblieben, die so scharf auf den Freund ihrer Schwester ist?«

Ginger lachte. Ziel erreicht.

»Bild dir mal nicht zu viel ein«, stichelte sie zurück.

»Ach komm, wir wissen beide, dass du voll auf mich abfährst.«

»Ich meinte auch eher den Teil mit ›Freund meiner Schwester‹.«

Damit ließ sie mich stehen. Blöde Kuh – äh, Katze …

Bevor ich ihr zurück ins obere Stockwerk folgte, ließ ich meinen Blick ein letztes Mal über das restliche Arsenal schweifen, um sicherzugehen, dass wir nichts vergessen hatten. Dabei blieben meine Augen an einem kleinen runden Gegenstand hängen.

Meine Taschenuhr! Pau hatte sie mir gegeben, kurz bevor ich ins Herrenhaus aufgebrochen war. Und sie war das Einzige gewesen, das mich aus dieser Welt zurück nach Chicago begleitet hatte. Jedenfalls war ich überzeugt, sie im Krankenhaus noch gehabt zu haben. Danach war sie jedoch verschwunden – bis jetzt.

»Mein kleiner Freund …«, murmelte ich, als ich die Uhr an mich nahm. Ich hob sie an mein Ohr und lauschte dem Ticken.

Erst erfüllte mich ein beruhigendes Gefühl bei dem monotonen Geräusch. Doch schlagartig wich es einer Art Druck, der mich antrieb. Jedes Klicken, das sie von sich gab, verkündete verlorene Zeit. Und für Lola war vielleicht jede Minute von Bedeutung.

Schnell ließ ich die Uhr in meine Brusttasche gleiten und folgte Ginger nach oben.

 

»Himmel, nein, Deedle, du brauchst keine fünf Paar Handschuhe«, hörte ich ihre verzweifelte Stimme aus einem Raum ganz hinten im Flur.

»Aber wenigstens zwei.« … »Genau, für jeden eins!«, erwiderte der Junge.

»Boah, mach doch, was du willst. Aber jammer dann bloß nicht rum, dass dir der Rucksack zu schwer wird.« Haareraufend kam Ginger in den Flur. »Ich weiß echt nicht, wo Lola die Geduld für den Zwerg hernimmt.«

Als ich mir nur schwer ein Lachen verkneifen konnte, trat sie vor mich und stach mit ihrem Zeigefinger gegen meine Brust.

»Und wieso du diesen kleinen Nervbolzen mitnehmen willst, ist mir auch ein Rätsel.«

Ich zuckte mit den Schultern. »Um etwas Unterhaltung zu haben, schätze ich. Und natürlich, um dich zu ärgern.«

Sie rang sichtlich um Fassung.

Meine Güte, sie musste echt angespannt sein, wenn sie sich so leicht provozieren ließ.

Beschwichtigend legte ich meine Hände auf ihre Schultern. »Okay, ich helfe dem Kleinen beim Packen. Dafür machst du Vincent startklar. Deal?«

Sie seufzte. »Toll, vom Regen in die Traufe. Ich glaube nicht, dass Vincent so begeistert davon sein wird, wieder nach Toranpu zu müssen.«

Da konnte sie recht haben.

»Hmmm …« Ich überlegte kurz, als auch schon eine Idee anklopfte. »Wir lassen ihn in dem Glauben, er solle uns nur das Portal öffnen. Bereite alles mit ihm vor, und wenn es so weit ist, schicken wir ihn genauso zärtlich auf die Reise, wie Pau es damals mit mir gemacht hat«, entschied ich.

Endlich kehrte das Grinsen auf Gingers Gesicht zurück. »Dann: Deal!«

 

Tatsächlich kam ich mit Deedle wesentlich besser zurecht als Ginger. Ich fragte mich einfach, was Lola tun oder zu ihm sagen würde, und das funktionierte.

Diplomatisch gestattete ich ihm sogar drei Paar Handschuhe, konnte ihn im Gegenzug aber dazu bewegen, die große Metallkugel dazulassen, die mich an eine kleinere Ausgabe einer Bowlingkugel erinnerte.

Deedle hatte echt eine eigenartige Vorstellung davon, was man bei einem ›Abenteuerausflug‹, wie er unseren Trip nannte, brauchen konnte. Bei der Wahl zwischen Taschenmesser und Murmeln wanderte Letzteres in den Rucksack – nur als Beispiel …

Aber wer konnte es ihm verdenken. Deedle war völlig von der Rolle bei der Vorstellung, uns begleiten zu dürfen. Er plapperte unentwegt – zum Glück mehr mit sich selbst als mit mir.

Trotzdem fühlte sich mein Hirn matschig an, als er endlich seinen Rucksack schulterte und wir gemeinsam zum Esszimmer gingen. Dort hatten die anderen bereits den Tisch abgeräumt, wenn man den Scherbenhaufen auf dem Boden so nennen konnte. Dafür standen einige Fläschchen, Tiegel und Schüsselchen mit Pulver und getrockneten Blättern bereit.

Mina, die offensichtlich einen klaren Moment hatte, lief dazwischen umher und kippte eine Zutat nach der anderen in einen Topf, der in der Mitte aufgestellt war. Der Hutmacher stand daneben und musterte abwechselnd die Maus und die Spielkarte in seiner Hand.

Die Spielkarte …

Wieder blitzten Erinnerungen an die Geschehnisse im Herrenhaus auf und ein kalter Schauer lief über meinen Rücken, wenn ich mir vorstellte, dass ich Ähnliches in Toranpu erleben könnte.

Aber darüber durfte ich einfach nicht nachdenken. Vielleicht sollte ich mir das Denken ohnehin ganz abgewöhnen. Mein Verstand war nämlich überzeugt, dass es eine ganz, ganz schlechte Idee war, sich blindlings in das Portal zu werfen, das sich in dieser Sekunde im Türrahmen auftat.

Vincent blickte mit großen Augen der Spielkarte hinterher, die ihm ein plötzlicher Wind aus den Fingern gerissen hatte. Sie flatterte durch die Luft und als sie den Türrahmen erreichte, explodierte sie zu einem Meer aus Farben, das schließlich den ganzen Durchgang ausfüllte und in ständiger Bewegung herumwirbelte.

Deedle schob seine schwitzigen kleinen Finger in meine Hand und starrte in den Farbstrudel, der auch meinen Blick gefangen nahm.

»Ist die schöne Karte jetzt kaputt?« … »Du Doofi, das haben wir doch schon mal gesehen. Wenn das bunte Wasser weg ist, ist die Karte wieder da.« … »Ohhhh.«

Ich versuchte verbissen, in dem Strudel etwas zu erkennen, das mich ein wenig darauf vorbereitete, wo die Reise hinging. Doch anders als damals, als ich auf das Zimmer im ›Dark Hole‹ geschaut hatte, sah ich hier nur eine Mischung aus Farben. Und wenn sich darin mal ein Loch auftat, offenbarte es nur Dunkelheit.

Ich schluckte. Nein, da wollte ich keinesfalls hin. Das schrie doch förmlich nach Gefahr. Es war purer Selbstmord, wenn ich da reinsprang. Aber auch wenn mein Verstand noch seine Meinung kundtat, schien er keinen Einfluss mehr auf meine Entscheidungen zu haben.

»Deedle, du gehst mit Ginger«, wies ich den Jungen an und war erstaunt, wie fest meine Stimme klang.

Die Katzenlady ergriff seine andere Hand. Widerwillig ließ er mich los und ich sah den beiden dabei zu, wie sie auf das Portal zugingen. Ginger zögerte keine Sekunde, vermutlich aus Angst, es sich doch anders zu überlegen.

Einmal Blinzeln reichte und sie und der Junge waren verschwunden.

Gut, dann war ich jetzt dran. Ich trat vor den Farbenstrudel, neben dem der noch immer verblüffte Vincent stand. »Danke, mein Freund.« Ich legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Er klimperte mit den Wimpern, wie ein gelobter Hund mit dem Schwanz wedelte. »Wofür?«, fragte er mit einem strahlenden Lächeln.

Ich schluckte. »Dafür, dass du mich nicht umbringen wirst für das, was ich gleich mache …«

Vincent lächelte noch immer. Nur sein Blinzeln wirkte leicht verstört, als ich ihn am Revers seines Hemdes packte und mit mir zog, als ich mich nach vorn in das Portal warf.

Kapitel 4 - Der Kompass

 

Ich stürzte in rasender Geschwindigkeit, während ich gleichzeitig das Gefühl hatte, wie eine Rakete in die Luft zu schießen. Eine unbeschreibliche Macht zerrte mich hin und her, riss an mir, löste mir die Haut ab und die Muskeln von den Knochen, bis sie mich wieder zusammenfügte und ich hart irgendwo aufschlug. Die Welt um mich drehte sich immer noch zu schnell, mir war speiübel und alles tat mir weh.

Den anderen schien es nicht besser zu gehen. Ich konnte Gingers Stöhnen hören und ein leidendes »Oioioioioi« von Deedle. Vincent schwieg, vielleicht weil er solche Reisen gewohnt war?

Ich kam auf die Knie und stützte mich mit den Händen ab, kämpfte noch einige Sekunden mit meinem Magen, bis ich verlor und mich lautstark übergab. Portalreisen waren buchstäblich zum Kotzen.

»Weichei«, hörte ich Ginger. Das zittrige Kratzen ihrer Stimme sagte mir jedoch, dass sie sich nur mit Mühe davon abhalten konnte, es mir gleichzutun.

Als ich mich gesammelt hatte, hob ich den Kopf, um mich umzusehen. Wir befanden uns zwischen zwei riesigen, blätterlosen Hecken, die keinen Fitzel Sonnenlicht hindurchließen. Dass es ebenjenes geben musste, zeigte mir ein Blick nach oben, wo zwischen den Oberkanten der Hecken ein strahlend blauer Himmel zu sehen war.

Nach rechts ging der kahle Erdweg scheinbar endlos weiter, während er links nach wenigen Metern zu einer T-Kreuzung führte.

»Seid ihr beim ersten Mal auch hier gelandet?«, fragte Ginger, die sich bereits aufgerappelt hatte und Vincent ansah.

Dieser stand wie versteinert direkt vor der Hecke und blickte auf das Gestrüpp. Als er nicht reagierte, packte Ginger ihn bei der Schulter und drehte ihn zu sich, sodass auch ich sein Gesicht sehen konnte.

Es war völlig reglos, genau wie der Rest seines Körpers. Seine Lippen waren leicht geöffnet, die Mundwinkel nach oben gezogen und die Augen starr geradeaus gerichtet. Er wirkte weder wütend noch erschüttert, aber auch nicht wirklich teilnahmslos. Eigentlich sah er noch immer genauso aus wie in dem Moment, als er mich vor dem Portal verabschiedet hatte.

»Du hast ihn kaputt gemacht«, meinte Deedle, während er Vincent mit dem Zeigefinger in die Seite pikste.

»Wie meinen?« Vincent sah ruckartig zu dem Jungen, der erschrocken einen Satz rückwärts machte.

Selbst ich zuckte zusammen. So schnell ich konnte, hievte ich mich auf die Füße, um gegen das Donnerwetter gewappnet zu sein, das gleich folgen würde. Vielleicht sollten wir Vincent fesseln, solange er noch nicht begriffen hatte, dass wir ihn abermals hierhergeschleppt hatten.

Anstatt zu toben und mit Speichelfontänen des Zorns um sich zu schleudern, nickte Vincent und wandte sich wieder der Hecke zu. »Das sieht wirklich kaputt aus.« Nachdenklich zwirbelte er sich den kleinen Schnauzer. »Vielleicht müssen wir es füttern. Haben wir Wasser, Mr. Andrew?«

Abermals zog ich beim Klang meines Namens den Kopf ein, auch wenn er ihn keineswegs wütend ausgesprochen hatte. »Ich, äh … Nein.« Dann richtete ich mich erschrocken auf, als mir bewusst wurde, was ich da gerade gesagt hatte.

Scheiße, hatten wir wirklich nicht! Wir hatten Messer, Seile, Drähte, Feuersteine und allerlei anderes Survival-Zeug eingepackt – aber an Proviant hatten weder Ginger noch ich gedacht.

Verzweifelt sah ich zu der Katzenlady, in deren Gesicht die gleiche Erkenntnis geschrieben stand.

»Okay, jetzt nur keine Panik«, beruhigte ich vor allem mich selbst. »Wir werden schon was zu trinken und zu essen finden.«