Angriff auf Syrakus - Adrian W. Fröhlich - E-Book

Angriff auf Syrakus E-Book

Adrian W. Fröhlich

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Beschreibung

Tja, mein Freund, meinte Hagenbusch zu mir, ich habe das Privileg, dass ich der Gesellschaft dieser Menschen enthoben bin. (...) Sie sind zwar oft geistreich und sogar gebildet, moralisch jedoch verfault. Und sie reden ununterbrochen von der Moral, auf eine Weise, wie das früher nur die Könige taten. Der Mensch, mein Lieber, ist ein Schwein. Es gibt nur sehr wenige wie du und ich, und schon bald wird es keine mehr geben. Ich lese nie Gebrauchsanweisungen, meinte ich, ausser solche fürs Universum, und das ist eine.

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Seitenzahl: 390

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Wie alle meine Bücher ist auch dieses von mir selbst lektoriert und korrigiert worden, so dass es zahlreiche Eigenheiten und Fehler enthalten kann, die mir entgingen, oder die meiner schweizerischen Ausdrucksweise geschuldet sind. Man möge, sofern man sich dazu in der Lage sieht, grosszügig darüber hinwegsehen.

Die Belagerung von Syrakus 396 v. Chr. durch Himilkon von Karthago. Dargestellt sind links in der Ebene vor der Stadt Feldlager und Angriffsstrassen gegen die Mauern der Euryalos-Festung auf der Epipolai, sowie ein Doppelangriff der punischen Flotte (ganz links und rechts) auf die Stadtinsel Ortygia, Residenz Dionysios I., um die sich die griechische Flotte geschart hat. (Handzeichnung des Autors, 1989)

Inhaltsverzeichnis

TITEL UND ANSPRUCH

DER COLT IN DEN KULISSEN

MEINE GELIEBTE TOCHTER…

MIT HAGENBUSCH DENKEN

«KALEIDON», DER URKNALL

«SCHÖPFUNG RELOADED» RELOADED

MIND PLOTS, MODE SHIFTS

VOM LAUF DER DINGE

EINE BILANZ

TITEL UND ANSPRUCH

Im für mein Denken wegweisenden Dialog «Kaleidon» – dessen wichtigster Abschnitt im vorliegenden Buch enthalten ist - wird ein fiktiver römischer Angriff auf das vom nicht minder fiktiven Spartaner Kaleidon verteidigte Syrakus konstruiert, der sich an historische Angriffe auf die Stadt anlehnt, bei welcher Spartaner (ob nun Spartiaten oder Mothaken) jeweils das Steuer zugunsten der Stadt herumzureissen vermocht hatten, wie gegen Athen und später mehrere Male gegen Karthago, beispielsweise 396 v. Chr., als Himilkon die von Dionysios I. kurz zuvor überstark befestigte Riesenstadt erfolglos angriff (siehe meine Handzeichnung).

Der im Dialog «Kaleidon» in der Stadt gefangene Römer Scipio - einem ciceronischen Dialog entnommen - muss den Ausgang der Belagerung mitbestimmen, indem er dem spartanischen Hegemonen Kaleidon auf dessen Befehl erklären soll, was «Wahrheit» ist. Angesichts der Bedrohung durch den herangerückten, imperialen Ungeist soll also eine letzte Betrachtung dessen, was den Kultivierten auszeichnet, Vorrang vor dem Krieg geniessen. Der abgedruckte Teil des relativ umfangreichen Dialogs, der mehrere Themen behandelt, enthält meine mit neunzehn Jahren beim Niederschreiben des Gesprächs errungene Grunderkenntnis über die Fatalitäten ontologischer Betrachtungen.

Im Grunde fasst die Metapher des Angriffs auf das antike Syrakus die Lage, der wir uns heute in Europa insgesamt ausgesetzt sehen, in ein allgemein verständliches Bild. Syrakus steht hier für das herkömmliche, das alte Europa, den «Okzident», verteidigt nur noch durch verzweifelte Populisten mit Bildungsanspruch, wie ihn die Grossväter pflegten. Die Stadt, am Geschehen, wie der historisch Versierte noch weiss, keineswegs unschuldig, verteidigt sich angesichts der Lage gegen einen immer mächtiger werdenden, inneren Gegner - grosse Teile der eigenen Bevölkerung, die sich einem billigen Opportunismus verschrieben haben, um weiter zechen und prassen zu können - und gegen einen äusseren Feind, der wie damals Karthago aus dem «Orient» (im Dialog ist es freilich das aus hellenischer Sicht nicht minder barbarische Rom), halb herbeigerufen, halb angelockt, halb provoziert, halb aus eigenem Antrieb, doch vor allem enorm beutelüstern heranrückt.

In der Rolle dieses «Scipio» in dem sich hinziehenden, mal näherkommenden, mal entfernteren Kampf der Kulturen habe ich mein bisheriges philosophisches Leben verbracht. Auf der Suche nach der «Wahrheit» und ihrer Einbettung in das Zeitgeschehen schrieb ich über Jahrzehnte Texte, die sich mit Politik, Kultur und Philosophie auseinandersetzen. Das hat mich schliesslich zu den für mich, eingedenk meines Alters, absehbar endgültigen Positionen gebracht, deren Darstellung ich mit diesem Buch abschliessen will.

Vedersö Klit, 2019, Langendorf, 2020

DER COLT IN DEN KULISSEN

Autoren irren, wenn sie meinen, jemand interessiere sich für ihre gesamte, komplexe Argumentation, Wissen gelange überhaupt durch Lesen in die Köpfe, und der Mensch könne mehr wissen, als er gerade jetzt weiss, es seien Ideen und Argumente, welche die Welt lenkten. Was den Menschen von einem anderen Menschen überzeugt, ist sein Geruch, nicht sein Geist, oder besser gesagt, hält er dessen Geruch für seinen Geist. Da Bücher den Geruch des Autors nicht verströmen, ist auch der Geist des Autors in neun von zehn Fällen dem Leser nicht erfahrbar.

Auf der Welt setzen sich sowieso keine Ideen durch, sondern ausschliesslich Vorteile. Der allgemeinste Vorteil ist das Kapital, sind Gold und Geld, der spezifischste ist Sex. Frauen punkten bis zum heutigen Tag am meisten mit dem spezifischen, Männer mit dem allgemeinen Vorteil.

Bücher bewirken in der Postmoderne nichts mehr. Diese Erkenntnis muss ein Autor erst gewonnen haben, bevor er mitreden kann. Was etwas bewirkt - falls überhaupt irgendwo eine Wirkung erkennbar wird -, ist das Meme. Wenn ein letzter, verirrter Leser ein Buch ganz gelesen hat, und man fragt ihn, was drinsteht, erzählt er Dinge, die dem Autor völlig fremd sind. Ganzleser sind Perverse, die schreiben, indem sie lesen, was andere schrieben. Kein Autor kann sie wollen. Jedes anständige Buch ist ohnehin nur das Selbstgespräch des Autors über die Sache, die er sich erschreibt.

In Michelangelo Antonionis Film Blow up spielt die ständige Vergrösserung einer Fotografie die zentrale Rolle. Der Künstler fotografiert ein Paar in einem Park. Doch beim Entwickeln des Negativs fällt ihm im Hintergrund ein Detail auf, das ihn immer stärker beunruhigt, je mehr er das Bild durch Vergrösserung aufbläht. Schliesslich kommt ein Revolver zum Vorschein, der auf die beiden gerichtet ist. Er ist der buchstäbliche rauchende Colt.

Der Colt in meinem Leben ist in der Tat meine Geburt, an die ich seltsame Erinnerungen habe. Er taucht dann wieder auf bei der Geburt meines Denkens angesichts der Lektüre des platonischen Parmenides, er bestimmte das Geschehen rund um Hagenbusch 1984 und um Plastware 1991. Immer, wo er in meinem Leben auftaucht, passierte etwas Entscheidendes, entstand ein Werk, ereignete sich ein Durchbruch oder explodierte eine Gewissheit, wie im Januar 1998, dem Tiefpunkt meiner Existenz.

Doch auch später geistert er noch in den Kulissen herum und bewirkt Entscheidendes. Das Bild vom Colt, von der smoking gun, ist zutreffend, handelt es sich bei diesem Objekt doch um ein Explosionsgerät. Seine Betätigung bewirkt eine Kette von Explosionen, eine erste in ihrem Schloss, eine zweite in der Materie, die vom Projektil getroffen wird, eine dritte im Bewusstsein des Getroffenen, sofern es die zweite überlebt. Wo der Colt auftaucht, da kommt es zu einem Quantensprung, zerreisst das Kontinuum, und es wird neu geknüpft.

Dieses Buch kreist um Einschüsse, die Erkenntnisse sind, die ohne diese Gewalt nicht zustande gekommen wären. Man kann tiefe Dinge nicht erfahren, wenn man sich nicht dem Beschuss aussetzt. Dieser Beschuss heisst von alters her das Schicksal.

MEINE GELIEBTE TOCHTER…

…es tut mir leid, dir eine Welt zu hinterlassen, auf deren Entwicklung ich keinen Einfluss hatte. Ich fürchte, weil ich Zeuge dieser Entwicklung war und weiss, wie der Hase läuft, dass auch du auf sie kaum Einfluss haben wirst. Wie Leibniz kann man sich damit trösten, dass das hier immer noch die beste aller Welten sei. Wenn das so ist, dann verstehen wir ihr Grundgesetz entweder immer noch nicht, oder sie verhält sich nur chaostheoretisch erklärbar. Das Erste ist unwahrscheinlich, das Zweite unappetitlich, aber erstaunlich vernünftig.

Ich bin Zeuge einer Epoche gewesen, in der alles zerstört wurde, was hoch und edel schien, und in welcher der Geist als eine unabhängige Instanz abdankte. Dagegen ist die Technologie in dieser Zeit geradezu explodiert. Aus einer Welt der Haltung und des Geistes, die zugleich eine sinnliche Welt war, da zwischen den Menschen noch keine Maschinen vermittelten, und alles auf Anhieb sitzen musste, wurde eine Welt narzisstischer Selbstblasen, zwischen denen sich die Welt der Informationstechnologie ausdehnt. Du wirst wohl Zeuge davon werden, wie aus den Smartphones Roboter werden und aus dem Internet kohärente, holografische Welten. Du wirst das Ende der Freiheit des Individuums miterleben und seine Entschädigung durch lebensbegleitende, artifizielle Pornografie, die zur Pornobiotik aufsteigt. Du wirst dabei sein, wenn der Geist ganz verschwindet, und Denk- und Sprachtokens ihn ersetzen. Niemand wird sich in jener Zukunft, die du noch erleben wirst, mehr vorstellen können, selbst zu denken und etwas selbst zu entwickeln, weil das Universum des Verfügbaren so erdrückend sein wird, dass für Selbstgemachtes überhaupt kein Platz mehr ist. Es wird aussehen, als wären die Menschen sehr gescheit geworden, so wie heute jeder Mensch durch sein Auto hochmobil ist und Kräfte dirigiert, welche die seinen um Welten übertreffen. Und doch begreift er nichts an seinem Automobil.

Doch es kann auch anders kommen. Es kann eine Zeit des Ressourcentransfers in eine neue, islamistische Religiosität anbrechen, welche der Technikentwicklung Hemmschuhe anzieht.

Wahrscheinlich wird beides zugleich passieren.

Du wirst erleben, dass Schauspielhäuser und Opernpaläste geschlossen werden, dass die grossen Bibliotheken verschwinden, dass die Festivals der klassischen Musik mangels Interesses und Finanzen der Vergangenheit angehören. Du wirst erleben, dass die meisten der Kirchen schliessen und umgenutzt werden. Du wirst erleben, dass ein neues Kollektivzeitalter unsere jetzige Epoche aussehen lässt wie ein fernes, goldenes Zeitalter individueller Freiheit, deren Realität man im Nachhinein bestreiten wird.

Du wirst erfahren, dass - bis hinein in die kommende Tyrannis - alles und jedes «Demokratie» und «Entwicklung der Demokratie» genannt werden wird. Jede Reduktion der Demokratie wird als ein Entwicklungsschritt der Demokratie empfunden werden. Eine kommende Gottesherrschaft schliesslich wird man als den Inbegriff der Demokratie feiern und die Unterwerfung des Menschen als den Inbegriff seiner Befreiung. Individualität wird man als Asozialität brandmarken, echte Asozialität dagegen wird sich als eine Schergenkultur etablieren, die einer höheren Weihe unterworfen ist. Die ganze Welt wird auf den Kopf gestellt, auch im Biologischen. Die künftigen Eliten werden hauptsächlich aus Orientalen und aus Afrikanern bestehen.

Du wirst dabei sein, wenn man dereinst Russland wie seinerzeit Deutschland mit Krieg überzieht, aufteilt und aussaugt. Du wirst erleben, dass Hundert Millionen Afrikaner in Russland einziehen, und dass das russische Volk, wie wir es heute kennen, ebenso verschwinden wird wie weit vorher das deutsche oder das schweizerische. Du wirst erleben, dass künftig an allem stets das Opfer schuld sein wird, nie der Täter. Und du wirst unermesslich reiche Verbrecher erleben, die als Midasse und Krösusse über die ganze Erde herrschen, tausendfach abgesichert, wie einst die chinesischen Kaiser in der verbotenen Stadt. Und man wird dir sagen, das seien die demokratischen Führer, welche die Menschheit immer gesucht habe, und jetzt endlich seien sie gekommen, wie die alten Pharaonen zu den Fellachen am Nil, und du wirst zu den Fellachen gehören, wie alle anderen auch.

Vorausgesetzt, du wirst alt genug. Ich denke, du könntest bis gegen das Ende des Jahrhunderts leben. Wenn du dereinst auf deinen Vater zurückblickst, wird er dir naiv und unerfahren vorkommen, weil so vieles erst nach seinem Tod geschah. Doch der Schein trügt auch hier. Der Unterschied zwischen uns wird in Wahrheit gering sein. Und so war es auch zwischen mir und meinem Vater. Und zwischen ihm und seinem. Durch die Fülle meiner Aufzeichnungen wirst du aber ungleich viel besser vergleichen können, als ich es in Bezug auf meinen Vater vermochte, und in Bezug auf den Grossvater leider gar nicht. Halte auch du so viel wie möglich fest, falls du Kinder hast oder den Menschen in Erinnerung bleiben willst. Doch ist das nicht nötig. Nötig ist nur, wirklich gelebt zu haben.

Es ist nicht so, dass wir etwa «zu kurz» leben. Nein, die Kürze unserer Lebensspanne ist ein Segen! Du wirst erfahren, dass das Sterben der Sinn von allem ist, und dass deine Erinnerung mit deinem Tod ewig wird, gerade weil niemand sie kennt! Ein Mysterium, ich weiss, auch du wirst es erfahren. Das gelebte Leben ist die Ewigkeit und nicht das, was nach dem Tod folgt, denn es folgt nichts. Die beschränkte Ewigkeit ist der Sinn von allem. Was wir uns mitteilen, ist weniger wichtig und fast immer eitel. Im Moment, wo ich im Tod meine Augen schliesse, hat alles stattgefunden, wurde es erst ganz, aber nur für mich und das Universum, nicht für die, die weiterleben.

Trauere also nicht um mich, sondern um diese Welt! Denn sie wird bestimmt sein durch das Chaos, weil der Mensch unfähig ist, sie zu bewahren. Er versagt ununterbrochen und nennt es Entwicklung und Regierung. Nicht mein Tod ist traurig, denn er ist schön, wohl aber dein Weiterleben ist es, bis auch dein Tod die Schönheit zu dir zurückbringt.

Denke in fünfzig Jahren an Viggo und an Malu zurück! Und weine, nicht um die beiden, sondern um die Schönheit ihres Lebens, um die Güte die darin liegt, gestorben zu sein, heute nicht mehr sein zu müssen, sondern in der Erinnerung versunken und im Vergessen zu existieren. Denke an deinen Vater zurück, denke daran, wie sehr er um Sinn und Erkenntnis rang, und dass er mit dem hoch zufrieden war, was er fand! Er fand es ganz allein. Er war einer derjenigen, die alles ganz allein tun. Wie vieles er fand, weisst du nur ansatzweise, und auch das Studium seiner Werke wird es dir nicht wirklich erschliessen. Das ist gut so. So ist es eben.

Du wirst darüber lächeln, wie dein Vater die Zukunft sah, denn sie wird anders sein, wird unendlich langsam kriechen, und doch wiederum heranrasen, und sie wird noch vieles enthalten, von dem dein Vater annahm, es entfalle künftig. Darum wirst du als ihre Zeugin unentbehrlich sein. Dein Vater konnte deine Zukunft nicht vorwegnehmen, dazu braucht es dich selbst. Wie schön! Du wirst weiser sein als dein Vater, und doch nicht, wirst mehr wissen, und doch nicht. So wie das auch bei mir und bei meinem Vater war.

Da wir, du und ich, beide ein Problem mit unseren Müttern hatten und haben, wird uns deren Verschwinden wenig ausmachen, dennoch aber vor das Rätsel stellen, wieso Mütter ihre Kinder nicht sein lassen können? Die Verhaftung durch die Mütter teilt uns mit, dass da noch eine andere Welt existiert, in der es den Tod nicht gibt, die Welt der Geburt, und dass die Herrin über sie nichts von der Freiheit weiss. Freiheit gibt es nur angesichts des Todes. Nur da bedeutet sie etwas.

Ich weiss nicht, wieso das alte Europa, dieser gewaltige Kunstkosmos, dieser Wissenspalast, diese unendlich schönen Länder untergehen mussten, aber sie taten es, Zug um Zug. Die offiziellen Erklärungen dafür sind wertlos, sind eitle Ausreden. Es steckt Verantwortungslosigkeit dahinter. Der Untergang jener alten, intakten, auf Natur und Kunst und Mass gegründeten Welt habe ich noch miterlebt. Ich erlebte mit, wie sich der gewöhnliche Mensch ins Prinzipienlose verabschiedete und zum Parasiten an der ganzen Welt wurde, und wie die Intellektuellen versandeten und zu Ideologen und Adakadabristen wurden, wie sie entseelten und erloschen. Es hat mir unendlichen Schmerz bereitet, dieses Ende der alten Welt! Im Aufbruch der Sechziger lag eine puerile Auflehnung dagegen, die sehr rasch den Marxisten zum Opfer fiel. Ich kann nur hoffen, dass der Marxismus dereinst überwunden wird, aber ich glaube nicht daran. Er ist ein perfides, noetisches Gift. Er schmeichelt dem Durchschnittsgeist und dem eitlen Narren, dem Vaganten und Verbrecher, die er allesamt in den Adelsstand erhebt.

Ich habe die alte Welt mit ihren Dörfern, Handwerkern und schmalen Strassen und den alten Kreuzungen und die unasphaltierten Alpenpässe noch erlebt, das Blau stiller Sommertage voller Heuduft, tief verschneite Winternächte voller Sterne in einem pechschwarzen Himmel. Ich habe es noch erlebt, als die Parlamente voll ernster, reifer Männer waren, und die Regierungsvertreter waren unnahbare, disziplinierte Herren von überragender Ausbildung, makellosem Lebenslauf und höchstem Treuebewusstsein. Du dagegen erlebst jetzt Kindergartenparlamente und unreife Politikerinnen in höchsten Ämtern, einen Zirkus voller Eitelkeit und Unbildung, eine unablässige Behaupterei ohne Hintergrund, und das Fehlen persönlicher Integrität und Treue. Das war und ist wieder das Zeitalter des späten Tiberius, des Caligula, des Claudius und des Nero, ein Zeitalter des Unernsten und der ewigen Party, der Verkommenheit und des falschen, des schmierig Satirischen. Dieses Zeitalter wird weggewischt werden, denn Geschichte erträgt keine Kinder und keine Unreife. Du wirst Zeuge von all dem sein. Ich umarme dich durch die Zeiten hindurch.

MIT HAGENBUSCH DENKEN

Im Carlton

In gewisser Weise sind meine Bücher also wertlos, sofern man die Ansicht vertritt, dass ohne Wert sei, was keiner versteht. Freilich wäre das eine hypermoderne Sicht auf die Welt. Denn bis anhin galt alles, was zu schwierig war, noch als Schatz. Sein Wert war umso grösser, je weniger Leute ihn verstanden. Doch in der Epoche, in der wir seit einigen Jahrzehnten leben, ist alles anders geworden. Hier bemisst man den Wert einer Sache daran, wie viele Leute sie kaufen, zumindest kaufen würden, empfänden sie auch nur das geringste Verlangen danach, was sie natürlich nur in den allerseltensten Fällen tun. Niemand kauft heute ein schwieriges Buch, ausser er müsse an einer höheren Lehranstalt eine Prüfung ablegen, wozu das Buch Voraussetzung ist. Doch auch da wird er sich einer der auf dem Netz verfügbaren Zusammenfassungen bedienen, die der Einfachheit seines Verstandes entgegenkommen und ihm das Gefühl geben, er sei gescheit.

Nun, gescheite Menschen im eigentlichen Sinn gibt es kaum noch. Gescheit sein bedeutet nicht automatisch auch intelligent sein. Viele Leute sind intelligent bis sehr intelligent, sind aber keinesfalls so etwas wie «gescheit». Zur Gescheitheit gehört mehr als die blosse, die messbare Intelligenz. Nicht nur gehört eine umfassende Lebens- und Selbsterfahrung zu seinen Prämissen, sondern auch ein kluger Körper. Doch was ist das, ein kluger Körper? Der kluge Körper ist der durch den Geist vollständig und hochgradig kongruent bewohnte Körper, eine Rarität unter modernen Menschen, die sich in aller Regel – weil fundamental nur noch Konsumenten - gehen lassen.

Und was wäre denn Geist? Der Geist ist keine Entität, er ist ein Hilfskonstrukt der Sprache. Der Geist ist die intelligible Welt, eine Definition, die ihn bereits enthält. Er hat diesbezüglich nicht von ungefähr eine gewisse Ähnlichkeit mit «Gott». Beide existieren im trivialen Sinn nicht. «Gott» lässt sich nur in einer Psychose erfahren, der Geist aber nur ohne eine solche. Ich möchte sagen: «Gott» ist der psychotische Geist, «Geist» ist der gesunde Gott. Und beides sind wir selbst.

Wie immer, wenn ich mich verständlicher ausdrücken möchte, als es mein Brauch ist, führe ich Gespräche. Aber keine mit Menschen, die «Meinungen» vertreten. Wer eine Meinung vertritt, taugt nicht als Debattant! Das hat nicht nur, wie jedermann weiss, Sokrates klargestellt, es gilt noch viel grundsätzlicher, als Sokrates es herausstellte. Doch gibt es eben auch Ausnahmen von der Regel, und zwar von allerhöchster Qualität, und also waren und sind sie äusserst selten. Die letzte solche Debatte, in der alle Beteiligten «Meinungen» vertraten, führten Einstein, Bohr, Pauli, Dirac, Heisenberg, Planck, Schrödinger und Sommerfeld. Geht man noch weiter zurück, landet man ohne nennenswerte Zwischenhalte in Platons Zeitalter, im Athen des späten Peloponnesischen Krieges und kurz danach.

Was kennzeichnet nun den idealen Debattanten? Wie wir ahnen, ist es nicht seine «Meinung». Sokrates hat darauf hingewiesen, was in all diesen Dingen unabdingbar ist: Mäeutik. Der Debattant muss das Handwerk der geistigen Hebamme beherrschen. Er muss weder selbst im Geiste Kinder zeugen, noch muss er die geistigen Kinder seines Gegenübers mit Hilfe von Argumenten liquidieren, wie das die Sophisten tun, um seiner Rolle als Debattant gerecht zu werden. Er muss sie gewissermassen erst noch zur Welt bringen, obschon sie ja bereits da sind, in den mit ihnen schwangeren Köpfen. Sie sind durch einen Affekt bedeckt, im Falschen verborgen, in Gerede eingewickelt. Der ideale Debattant erspürt den Gedanken in den Klauen dieser Kalamitäten, empfindet seine genaue Lage im Kontext der Irrtümer, und er hilft, ihn in Worte zu fassen, indem er dem Anderen, der mit ihm schwanger geht, seelenruhig zuredet, bis die Dinge in diesem drin von selbst in Fluss gelangen und sich das Erz von der Schlacke trennt. Dann formuliert er mit dem Gebärenden mit, bis das Kind im Licht liegt und schreit. Es geht ihm nur darum, womit sein Gegenüber schwanger ist, nie um Eigenes! Eigenes bringt er nur so ein, als dass er zusieht, dass sein Gegenüber die ihm angebotene Hilfe als Teil des Prozesses annimmt, der ihn zur Klarheit führt. Zwar kann, darf und soll er zwischendurch auch einmal smalltalken, dies aber nicht als Teil des Geburtsvorgangs missverstehen, sondern im Sinne einer Entspannungstechnik einsetzen, um dann an einem gewissen Punkt wieder Tritt zu fassen.

Doch wieso soll genau das eine Debatte sein? Nun, ja, weil es keine andere gibt. Alles andere erweist sich als Geschwätz, oder es ist Gedankenmord. Eine Debatte ist also die Geburt eines lebenstauglichen, gedanklichen Kindes eines Einzelnen unter Zuhilfenahme der Künste Anderer, und nicht jener Salat, den «Meinungsträger» anrichten, wie in den medialen Talkshows. Zu debattieren bedeutet nicht, dass jeder seine «Meinung» äussert, so dass am Ende alle ausgesagt haben, was sie angeblich denken und vertreten. Was so entsteht, ist ein kognitiver Salat und kein Kochgericht.

Wenn wir nun betrachten, was denn jene beiden historischen Ausnahmen ausgezeichnet hat, erkennen wir zwei Sachverhalte: Erstens waren alle Beteiligten Genies. Und zweitens hielten sie sich alle ausschliesslich im Bereich der Sache auf, nie in jenem der Person. Das ist von entscheidender Bedeutung für den geistigen Fortschritt. Wer das Sachliche mit dem Personalen vermischt, ist nicht debattentauglich. In diesem Sinne gab und gibt es ganze Kulturen, in der es nie auch nur eine einzige Debatte gab, respektive gibt. Die Teilnehmer an den grossen Ausnahmedebatten unserer eigenen Kulturen bearbeiteten stets den gemeinsamen Nenner, nie die Zähler. In den alltäglichen «Salatgesprächen» hingegen geht es fast ausschliesslich um die Zähler und nur dann um einen gemeinsamen Nenner, wenn er verneint, bzw. entwertet werden soll. Nicht das Gemeinsame gilt hier als das Ergebnis des Kommunizierens, sondern die Vielfalt des Unvereinbaren, das Unausgegorene, Behauptete, Subjektive und rein Zufällige. Und es setzt sich immer durch, wessen Beziehungsmacht sich durchsetzt, was fast immer damit verbunden ist, dass emotionale Gewalt – erpresserisch, manipulativ - eingesetzt wird. Diese ist der rauchende Colt des ad personam Redens, der Tod der Sachlichkeit.

Immer dann, wenn ich selbst debattieren möchte, um gewisse Dinge klarer zu fassen, lasse ich mich sozusagen «interviewen». Das Interview ist zwar eine eminent sophistische Allzweckwaffe, doch gibt es auch hier Könner. Das beste Interview nach Sokrates führte meines Erachtens Fellini in seinem gleichnamigen Film, ein Interview mit sich selbst, die höchste aller Debattenformen überhaupt.

Zu diesem Zweck verlasse ich jeweils mein Heim und begebe mich sehr weit weg, tausend oder mehr Kilometer, um es hinter mir zu lassen. Ich nehme nur die Sache mit auf den Weg, und ich lasse alles Alltägliche zurück. Ich bin mit mir allein, wenn ich mich zu einem Interview begebe. Tiefe Denker und Denkerinnen sind autistisch veranlagt, manchmal weniger, manchmal mehr, und wie in Diracs Fall, sogar sehr. Man kann die Welt nicht «gemeinsam» entdecken, man entdeckt sie immer nur für sich selbst, und das geht dann am einfachsten, wenn man wirklich ganz allein ist. Es existiert keine kollektive Erkenntnis, die mehr wäre als geistiger Unrat. Kommen Hochgescheite zusammen, bilden sie nie ein «Team», obschon auch sie davon sprechen, Teil eines «Teams» zu sein. Die Solvay-Konferenzen waren keine Teambildungsprozesse. Wer ein Team bilden will, hat «nichts zu sagen». Es geht ihm um Beziehungsintelligenz, nicht um die Sache selbst. Selbst wo Wissenschaftler, wie etwa im CERN, zusammenarbeiten, passieren alle wichtigen Schritte abseits des «Teams», so wie der Jäger nicht in der Höhle jagt, wo alle beisammensitzen, sondern draussen in der Leere der Wildnis. Er kann dort zwar mit anderen unterwegs sein. Geht es aber um die Wurst, operiert nicht ein «Team» mit einer Teamintelligenz, sondern eine Handvoll hochtrainierter, talentierter Einzelner, jeder seine Legende, jeder allein. Nur so hat das vermeintliche «Team» eine Chance auf den Durchbruch.

Das Bewusstsein für diesen basalen Zusammenhang ist in unserer Zeit abhandengekommen. Durch die Inflation an Teams und Teambildungsprozessen wurde Zusammenarbeit dermassen entseelt und trivialisiert, dass die Beziehungsintelligenz die Sachintelligenz beim Umgang mit dem Problem weitgehend eliminiert hat. Deshalb sind die meisten heutigen Teams, die sich wirklich als solche verstehen, eine Mogelpackung, sobald sie erfolgreich arbeiten. Schaut man sie sich sehr genau an, leisten in solchen Teams stets die Gleichen die Arbeit, welche zur Grundlage der kaum noch mehr als dekorativen Arbeit der anderen Mitglieder wird. Doch nimmt die Arbeit der Ziselierer und Dekorateure oft viel mehr Raum ein als die eigentliche Arbeit der Erfinder und Entdecker, ohne die nichts ginge.

Mein idealer Interviewpartner ist stets mein Alter Ego. Es weiss, was ich sagen will, auch wenn ich es noch gar nicht ausgesprochen habe. Denn es hört, wie ein verdeckter Ermittler, an der Quelle mit und kennt die geistigen Handgriffe. Es kritisiert nicht, widerlegt nicht, sondern hilft bei der Geburt dessen, was da kommen will. Seine Kritik ist sekundär und oft unnötig. Um nun also erneut etwas Wichtiges zu schreiben, zog ich mich, wie so oft, nach Dänemark zurück, an die Westküste im Norden, in das Häuschen von Freunden, und da besuchte mich Hagenbusch. Ich hatte ihm einiges an Material zugestellt, meine Bücher, die er natürlich nicht las. Doch blätterte er darin und nahm einiges davon in seine Gedanken auf. Das genügt ihm. Mir auch. Mehr wäre weniger, findet er.

Hagenbusch und ich trafen uns diesmal in Aarhus, in meinem geliebten «Carlton», mitten in der Altstadt. Und immer, wenn wir uns sehen, beginnt zwischen uns das grosse Grinsen. Manchmal schütteln wir uns vor Lachen, wenn wir uns gegenüberstehen. Ach, du Arsch! rief er mir diesmal entgegen, willst schon wieder ein Buch schreiben? Ja, erwiderte ich und blickte ihn herausfordernd an. Gut, meinte er, aber zuerst trinken wir eine Kleinigkeit und speisen anständig, wie es sich gehört! Genau, erwiderte ich ihm, das ist, was ich gerade vorhabe. Also ein Buch soll es werden? Ja, ein Buch. Wie viele Seiten? Na, ungefähr vierhundert, denke ich. Okay, ich sehe, worauf du hinauswillst. Kein Problem, kriegen wir hin! Und Sie, damit meinte er den Kellner, der an unserem Tisch stand und wartete, servieren uns eine Flasche Champagner Pol Roger Sir Winston Churchill, lege artis eisgekühlt, wenn ich bitten darf! Der Kellner lächelte. Selbstverständlich, Sir! Einen 2008er hätten wir. Nun ja, grinste Hagenbusch, wir sind 2, beide komplette Nullen, und mein Name beginnt mit H! 2008, passt! Hätten Sie gerne dazu einige Kleinigkeiten? fragte der Kellner, vielleicht in der Anzahl ihrer Freundinnen? Oh Gott, oh Gott! ruft mein Cousin und hebt abwehrend die Hände vors Gesicht, dann werden wir hier niemals fertig! Es genügen uns einige wenige Häppchen. Wir wollen doch vernünftig bleiben!

Es machte wie immer zack! und wir waren mitten drin, nicht in der Sache zwar, aber im Stil, der zur Sache gehört, was ganz wichtig ist für die Debatte, und wir verlassen ihn von jetzt an ihn nie mehr, auch nicht, wenn wir zur Toilette gehen oder uns schlafen legen. Es ist ein geistiges Turnier. Keine Kritik! rief Hagenbusch und hob den Zeigefinger. Keine Kritik! erwiderte ich ihm und breitete versöhnlich meine Hände aus. Geist, und nur Geist! sagte er und blickte mich triumphierend an. Geist, sagte ich und schob lächelnd ein Stück Brot in den Mund.

Hagenbusch kostete den Champagner, den ihm der Kellner nach dem Vollzug des Korkenrituals in einem glitzernden Kelch reichte. Vorzüglich, meinte mein Cousin, nachdem er gekostet hatte. Wir nehmen ihn! Der Kellner brachte uns alsdann eine Gänseleberterrine mit Zwetschgenkompott und eine Portion Pustervig Salat, Rauchlachs mit gerösteten Jakobsmuscheln und Foie-gras. Alles bestens, quittierte ich! Wunderbar, schmunzelte Hagenbusch.

Ich beginne mal so, meinte Hagenbusch und kaute genüsslich, ich las deinen Dialog mit Talberg und Vincennes, als ich hierher flog. Über ihn müssen wir reden, er ist fantastisch, unglaublich. Den hast du mir bis heute vorenthalten. Warum? Warum? wiederholte ich seine Frage. Ich hatte ihn vergessen, darum! Als ich ihn in den Achtzigern schrieb, war ich verzweifelt. Ich drehte versuchsweise meine Untersuchungen um, so dass ich sie befragte, als wären sie bereits erfolgreich abgeschlossen worden. Das heisst, ich tat mit meinen Ideen, was du damals mit dir selbst in Mailand gemacht hast. Ich näherte mich ihnen aus ihrer eigenen Zukunft. Da drin hat es eine Stelle, die ist Wahnsinn, meinte Hagenbusch und genoss den Champagner. Doch eines nach dem anderen! Ich denke nicht, dass du damit anfangen willst, nicht? Nein, sagte ich, ich will, dass du mich über mein Leben ausfragst, über meine Kindheit, meine Jugend. Nichts Triviales, nur Wesentliches, weisst du? Na ja, meinte er gedehnt, dass du geboren wurdest, weiss ich, und dass du sterben wirst auch. Aber die Frage ist: Hattest du jemals eine Kindheit? Na siehst du! rief ich, das kannst nur du. Das ist ja genau die Frage: Hatte ich denn eine Kindheit?

Doch bevor wir diese Frage angehen konnten, servierte uns der Kellner den in diesem Lokal für den Kenner obligaten, auf der Zunge zerschmelzenden Ochsenschmorbraten mit einer hausgemachten, weltmeisterlichen Sauce Béarnaise und fast schon karamellisierten Pommes-Frites. Alles auf die feine englische Art wie beiläufig zubereitet und arrangiert, understated, wie es für freie Menschen mit freiem Sinn halt einfach sein muss. Kein Brimborium, keine Show, sondern Alltag, wie wir ihn lieben. Dazu tranken wir zwanzigjährigen Fonseca Porto, schlückchenweise, nachdem wir uns kurz einen Domaine de la Romanée-Conti überlegt hatten. Doch Hagenbusch fand, er sei für den Anlass dann doch zu teuer, übertreiben sollten wir nicht. Im Übrigen habe er Vergleichbares im Gepäck mitgebracht, für später, am Abend, vor dem Kamin.

Kindheit und Ontologie

Müsste ich Gott gegenübertreten und die Frage beantworten, wie meine Kindheit gewesen sei, so würde ich ihm ohne zu zögern antworten, sie war schön. Und warum bist du denn mit ihr nicht zufrieden? wird er mich fragen. Weil sie grässlich war, müsste ich ihm erwidern. Eine schöne, grässliche Kindheit. Ich bin also ein Neurotiker, das scheint mir das Erste, was man hier über mich festhalten sollte. Nichts ist bei mir eindeutig, alles ist zwei-, und das meiste ist gar mehrdeutig. Die Bruchlinie des Konflikts läuft durch alles im Zickzack hindurch. Und wie würdest du den Konflikt beschreiben, fragte mich Hagenbusch. Ich schwieg erst einmal und überlegte. Siehst du, lächelte ich, das ist das Neurotische, man kann es nicht ausdrücken. Man sucht einen Weg, und was man findet, sind Ausreden.

Wir befanden uns inzwischen auf der Autobahn nach Herning. Ich sass am Steuer, Hagenbusch im Fond. Das tut er immer. Er setzt sich nie vorne hin. Das Wetter war an diesem Tag diesig. Weite Landschaften zogen an uns vorbei, verstreut liegende Bauerngehöfte, Wälder, ein grosser Himmel voller Dunst. Das ist ja ein ganz schön schweigsamer Konflikt, meinte der Cousin lächelnd. Ja, er schweigt gerne, erwiderte ich ihm. Also, grundsätzlich war ich immer zerrissen zwischen Geist und Sexualität, schon ganz früh, viel zu früh! Bevor ich überhaupt wissen konnte, was Sex ist, empfand ich bereits sexuell. In diesem Punkt bin ich Woody Allen ähnlich. Ich war mit vielleicht vier Jahren in Jutta verliebt, ein gleichaltriges Mädchen, deren Familie mit der unsrigen damals befreundet war. Ihr Vater war ein Avantgardemusiker, ein sogenannter Neutöner, und das passte meinen Eltern gar nicht, von Neutönern hielten sie nichts, und doch war er ihnen sehr lieb. Auch bei deinen Eltern eine Konfliktlinie? warf Hagenbusch ein. Ja, Sie waren ambivalent! Auf der menschlichen Ebene waren sie grossartig, auf jeden Fall der Vater, enorm generös, auf der Ebene der Weltanschauung hingegen waren sie engstirnig, im Grunde unbelehrbar. Am Menschen, solange er nicht primitiv war, liessen sie alles gelten. Die Ansichten anderer Menschen interessierten sie zwar, doch sobald es aber um ihre eigenen Ansichten ging, waren sie stahlhart und hielten sich gegenüber Dritten bedeckt. Sie waren wie Spione im Feindesland, sie waren perfekt an ihre Umgebung angepasst, wirkten auf der menschlichen Ebene befreit, umso stärker aber empfanden sie sich in der Pflicht, wenn es darum ging, ihre «Heimat» zu verteidigen. Doch gab es diese nicht mehr. Du meinst, unterbrach mich Hagenbusch, das Nazireich? Ja, dieses unsägliche Reich, es hat ihr ganzes Leben vergiftet! Noch heute ist es mir unbegreiflich, wie sie ihr Leben lang an diesem Reich hängen konnten. Sie schwadronierten darüber und taten so, als wäre es mehr um das «Reich» an sich gegangen, weniger um die Hitlerei, doch konnte ich das nie ganz ernstnehmen. Und so wurde auch ich gnadenlos in der Sache, zu einem Spion der Wahrheit, so extrem, dass ich mit niemandem darüber reden konnte, was ich wirklich dachte. Denn man kann die Welt der Eltern nicht einfach ablehnen, wenn man gescheit ist, selbst, wenn sie grundfalsch aussieht. Man ist gezwungen, sie zu widerlegen, und dazu muss man sie erst einmal selbst vertreten, damit man merkt, wo ihre geistigen Schwachstellen sind. Moralisch gesehen, war diese Welt eine Null. Doch ging es mir nie um eine blosse moralische Verurteilung, das war mir viel zu billig. Das machte ja alle Welt. Für mich war das immer nur eine Lüge. Ich musste unbedingt den ontologischen Beweis finden, dass die Welt meiner Eltern nichts taugt. Im Menschlichen Bereich dagegen, den es für Kinder so doch noch gar nicht wirklich gibt, empfand ich mich erotisiert, durchdrungen von schier unerschöpflicher Liebesgier, für die ich keine Erklärung hatte. Ich musste lieben, oder ich musste verachten! Etwas dazwischen gab es für mich damals nicht. Dazwischen lag nur die Angst, und sie ist keine Heimstatt. Das Hassen verstand ich nicht, ich fand es dumm. Nur die Verachtung war damals meiner angemessen. Ich wollte unbedingt zu den Menschen hingelangen, doch stiessen mich die meisten sofort ab, wenn ich mich ihnen näherte. Und etwas fällt mir immer mehr auf, es reicht wirklich bis in die früheste Kindheit zurück: Ich war magisch angezogen vom Leid! Das ist ganz merkwürdig. Leiden war für mich etwas Positives! Ein Masochismus. Doch war es mehr als nur das, es war das Tragische, das mich verzauberte, das Ausweglose, das Geschick, die Maschinerie, nicht die Süsse des Schmerzes allein, die ich dabei aber auch empfand. Mein jüngerer Bruder und ich hatten damals einen Jungen zum Freund, der mit seiner geschiedenen Mutter allein in einer winzigen Altstadtwohnung lebte. Er war stigmatisiert, weil geschiedene Frauen damals verachtet wurden. Geschiedene waren damals noch sehr selten. Er oder seine Mutter, ich weiss es nicht mehr, hatte eine schlimme Krankheit, Krebs oder die Tuberkulose, und sie hatten kein Geld, waren mausarm. Diesen Jungen mochte ich sehr, obschon er mir gänzlich innerlich fremd war, und ich verliebte mich irgendwie in seine Mutter wegen des spürbaren Leidens, das sie beseelte. Die beiden entstammten einer Geschichte, ein Schicksal hielt sie gefangen, und sie waren auf ihre Weise tiefgründig und nicht trivial. Ich habe von Anfang an das Oberflächliche, bloss Lustige, Unernste verachtet. Ich empfand unernste Menschen immer als überflüssige Menschen. Nur das vom Geschick Getroffene, sich im Schmerz Windende konnte ich nachempfinden, konnte ich spüren, war mir verwandt. Ein Erlebnis auf der sogenannten Plattform, der parkähnlichen Terrasse hoch über der Aare, die ans Münster, die Berner Stadtkathedrale angrenzt, heute Hotspot der Drogensüchtigen und Flüchtlinge, damals Spielplatz der Altstadtfamilien, ist mir noch in Erinnerung. Einmal musste ich in einer Kindergruppe mitspielen, was mir an sich schon ein Graus war. Man spielte das sogenannte «Häschen in der Grube». Als ein kleines, verschupftes Mädchen zum Häschen wurde, und die anderen um es herumtanzten, überfiel mich das ganze Elend der Existenz, tiefste Traurigkeit und eine Liebessehnsucht, die mich zerriss. Ich versuchte, das unglückliche Mädchen aus den Klauen der gefühllosen Rotte zu retten, was mir aufgrund meiner Schüchternheit jedoch misslang, ich verliess die Gruppe und begab mich zu meiner Grossmutter, die in der Nähe auf einer Parkbank sass und strickte. Ich wusste nicht, wie mit einer solchen Situation umgehen. Ich suchte nicht «Gerechtigkeit», wie es vielleicht andere getan haben würden, Gerechtigkeit für das Mädchen, das unendlich gequält wirkte, das von der Gruppe quasi geopfert wurde. Es war Liebe für dieses Mädchen, Verschmelzungswunsch, körperlicher Verschmelzungswunsch, um dem Schicksal zu trotzen, um nicht allein zu sein in diesem sinnlosen Dasein, das da gerade von den Jungen und Mädchen umtanzt wurde, als wären sie die Kannibalen, die den Kessel umtanzen, worin das Opfer lebendig gekocht wird. Ich empfand diese – aus heutiger Sicht ganz normalen Kinder – nicht als Subjekte und Verantwortliche für das, was sie taten, sondern als Puppen, als Marionetten in einem abgründigen Spiel, von dem sie nichts ahnten, das sie missverstanden, dessen Schrecklichkeit ihnen entging. Das «Setting» war es, welches mich in Verzweiflung stürzte, der Tod. Später, als wir dann ausserhalb der Stadt in einem schönen Haus lebten, flösste mir die alte, trommelförmige Wäscheschleuder diese Urangst ein, wenn ich mich ihr schon nur näherte, was ich nie ganz schaffte. Der sich drehen könnende Schlund dieser Maschine, der mich angähnte, war die Verkörperung jenes «Settings», worin wir zu Objekten werden, worin wir sterben. Hagenbusch, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, meldete sich an dieser Stelle zu Wort. Hattest du denn bis dahin je ein wirkliches Todeserlebnis? Warst du traumatisiert durch etwas, wie man ihm heute sagen würde? Nein! erwiderte ich. Das einzige Trauma, dazu komme ich noch, an das ich mich erinnere, war vermutlich - es ist und bleibt natürlich eine blosse, vielleicht auch eine dumme Vermutung - meine Geburt. Ich werde gleich davon erzählen. Ich empfand quasi von Beginn weg die Existenz. Die Existenz, im Grunde genommen bereits im Sinne Sartres, war etwas Grauenhaftes für mich, eine Wahl, die ich nie getroffen hatte, etwas, wozu man mich verdammt hatte. Sie war ein Mahlstrom, und geriet ich bewusst in ihn hinein, wie damals angesichts des Häschens in der Grube und später vor der Wäscheschleuder, empfand ich enorme Angst. Ich musste dann mit etwas verschmelzen, um zu überleben, mit jenem Mädchen, das litt, wie ich litt, oder mit mir selbst, indem ich mich von der Schleuder losriss und mir selbst zuführte. Du blicktest gleichermassen in den rauchenden Lauf des Colts, meinte mein Cousin. Ja, das trifft es, stimmte ich ihm bei. Ich blickte in den Tod und erkannte seine Maschinerie, das Geschick, das Tragische, wie ich dem heute sage, das Puzzle, das explodiert, wenn man das letzte Teil einsetzt. Wenn man es ganz und gar erfährt, zerstört es den Erfahrenden. Ich empfand so den Grundzusammenhang zwischen dem Objekt und dem Subjekt, die Grundverstrickung mit dem Gegenüber, dass Sein und Bewusstsein dasselbe ist. Natürlich empfand ich damals nicht diese philosophischen Dummheiten, ich empfand das Ding erst einmal im rein Sinnlichen, ich hatte noch keinen Namen dafür. Damals begann meine Anabasis zu den Namen der Dinge, begann der Erklärungszwang, dem ich als Philosoph unterliege. Du hast dich also umgedreht in Patons Höhle und erkannt, dass du an einem Ort bist, der nicht trivial ist, meinte Hagenbusch. Doch konntest du darüber natürlich nicht sprechen. Du warst so einsam wie nur etwas mit dieser Erfahrung. Ja, das ist schön gesagt, erwiderte ich. Ich empfand die Nichttrivialität des Ortes, ich empfand sie körperlich und war sprachlos, buchstäblich sprachlos. Als vierjähriges Kind. Ich hatte ja noch gar keine Sprache, die man als eine solche bezeichnen kann. Und schon empfand ich das Fehlen der Worte für etwas, wofür es womöglich überhaupt keine Namen gibt. Siehst du, das meinte ich mit der Grässlichkeit meiner Kindheit. Rein äusserlich, trivial gesehen, hatte ich eine wohlbehütete, überaus liebevoll umsorgte und stets rational gelenkte Kindheit, die voller Geist und Emotionen war. Ein Wunder! Doch ich lebte zugleich im Hades, ich blickte zugleich in einen Abgrund, ins Nichts. Eine frühe Psychose? fragte Hagenbusch. Nein, das glaube ich nicht, denn meine Person, mein Ich standen nie in Gefahr sich aufzulösen, und recht eigentlich magisch verhielten sich die Dinge nicht, auch nicht jene Wäscheschleuder. Es war kein Wahn, und all das waren keine Halluzinationen. Ich verfiel nicht in Rituale. Das Einzige, was angestossen wurde, war die lebenslange Suche nach dem letzten Grund der Dinge. Eine rein kognitive Suche, eine Suche nach der Brücke, der Brücke zwischen a und b, zwischen ich und du, zwischen jetzt und wieder jetzt. Es klafft. Doch wo ist die Brücke? Das war und ist die Grundfrage meiner Philosophie, und vielleicht überhaupt aller Philosophie, wie auch aller Physik. Man kann die Grundempfindung dieses Klaffens nicht in Worte fassen. Es ist ein absolutes Klaffen, es ist kechorismenos, wie sich Heraklit auszudrücken beliebte. Wie jenes Klaffen, das die Schöpfung eröffnet oder im Urknall das Universum entfacht. Ein Riss, ein Einriss, vor allem anderen. Ich denke, und das klingt etwas verrückt, und ist es vielleicht auch, es ist die Spiegelung des ersten Einrisses in die Dunkelheit unserer embryonalen Nichtexistenz während der Öffnung des Geburtskanals, durch den das allererste Photon zu uns dringt. Dieses erste Photon wird zum Born und zum Skandalon unserer Existenz. Ich formuliere das bewusst etwas farbig, natürlich meine ich nicht, dass es in physikalischer Hinsicht ein Photon sei. Denn vielleicht dringt ja bereits vorgeburtlich Licht durch die dünne Bauchdecke bis zum Kind, so dass es bereits intrauterin sehen kann. Doch wird diese vorgeburtliche Welt augenblicklich zerstört durch den Einriss ihrer Fleischhülle, wodurch es zu einem Quantensprung kommt, was ich auch wieder nicht quantentheoretisch meine. Zu einem Qualitätssprung. Als zünde der Motor.

Jene Jutta nun, in die ich damals auch, aber nur kurz verliebt war, litt in meinen Augen nicht, sie war das verhätschelte und lebensfrohe, ältere Töchterchen jener mit uns befreundeten Familie. Diese Liebe hatte keinen Wert für mich. Sie war konventionell, weil auch die Eltern einander mochten, und mein Bruder mochte die jüngere der beiden Töchterchen. Der bodenlosen, verzweifelten, sinnlichen Liebe zum Mädchen auf der Münsterplattform, die einer Urverwandtschaft unseres Schicksals entsprang, wurde die Liebe zu Jutta mit ihrer konventionellen Schicksalslosigkeit gegenübergestellt, ein Muster, das ich fortan, eigentlich bis heute, immer wieder erlebe. Und immer ist es noch so, dass meine sinnlichen Liebschaften, welche meine eigentlichen Liebschaften sind, als ungebührlich, meiner nicht würdig gelten, bis heute, und dass jene Beziehungen, die den Leuten für mich gefallen, die sie für mich «richtig» finden, mir nichts bedeuten, denn sie sind flach und schicksallos. Ich habe mich also in meinem Leben stets in Frauen verliebt, die sozial abgewertet oder gar geächtet wurden. Für die anderen waren es immer «Nutten», «dumme Gänse», «Borderlinerinnen», für mich waren die gleichen Frauen immer einfach nur «wesentlich», sie beflügelten meine Liebesfähigkeit, sie forderten mich heraus, mich mit ihnen gegen die Welt zu verbünden, die uns beiden nicht wohlgesonnen ist, die uns missversteht und zu toten Objekten machen will, um dann zu behaupten, dass dies das wahre Leben sei. Das Unabgegrenzte in mir sucht das Unabgegrenzte im Partner, damit wir zusammenfinden wie die erotischen Wesenshälften des Aristophanes, um endlich ganz zu werden. Natürlich ist das immer nur Prozess, er funktioniert sogenannt nicht, führt nie zu einem stabilen Ganzen, er wirft sich immer wieder selbst an. Das ist hoch interessant, meinte Hagenbusch nachdenklich. Denn mir ergeht es ganz ähnlich, obschon ich nicht deine Grundsätzlichkeit in mir habe. Wieso ist das bei uns so? Wenn ich das wüsste! lachte ich. Es ist einfach so, und wir sollten es akzeptieren, meinte er. Ja, das ist das Beste, stimmte ich ihm bei. Vielleicht ist es das Schicksal der Begabten, meinte er. Das sicher auch, aber nicht nur das. Ich finde, es ist eine ganz besonders gut entwickelte Spiegelung des initialen Einrisses, welche die Existenz eröffnet, eine Dauerspiegelung in allem. Ist sie mit Begabung verknüpft, wirst du Grosses tun, ist sie unbegabt, wirst du Nutte oder kriminell. Happig! meinte er. Ja, happig, aber so ist es. Das Genie, die Begabung, das Nuttige und das Verbrecherische liegen extrem nahe beieinander. Und es gibt Menschen, bei denen ist alles zugleich präsent, wie bei Hitler und Mao. Man kann sie nicht fassen, man kann sie nur totschlagen, oder man wird sich ihnen dem Fellachen gleich unterwerfen, wodurch man sie zu Pharaonen macht. So brutal ist der Mensch und ist seine Geschichte wirklich. Und nun geh hin und lies all die Bücher! Ist alles Mist! Alles wertloses Geschwätz. Immer und total daneben, radikal falsch, alles, was du lesen kannst, mit Ausnahme von ganz wenigen Schriften. Oder besser gesagt, von ganz wenigen Passagen in ganz wenigen Schriften. Weltweit.

Viel später, als Oberstufenschüler lehrte ich einige meiner Kumpane das «Verzweifeln», wie ich es nannte, was die Seele reinige, wie ich ihnen erzählte. Ich empfahl ihnen, jede Gelegenheit zu nutzen, um zu verzweifeln, es gebe nichts Besseres. Da müsse man durch, auf der anderen Seite beginne dann das Leben erst so richtig. Verzweiflung war mein Weg, mir Selbstfürsorge angedeihen zu lassen, mich selbst zu lieben. Ich stelle hier fest, lieber Hagenbusch, dass ich mich nie geliebt habe, ausser im Leiden. Das sogenannte Glück sagt mir bis heute eigentlich nichts, es schreckt mich als Vorstellung eher ab. Das war auch ein Grund, wieso ich sehr oft unerfüllt und verbittert wirkende, reifere Frauen attraktiver fand als junge, blühende. Und fremdstämmige Frauen stets anziehender als einheimische, dass ich haltlose stärker begehrte als starke, problemlose Charaktere. Ist das nicht verrückt? Doch war es nie so, dass mich das stark werden liess, dass ich so empfand, weil es mich zum «Retter» machte. Ich empfand mich selten als «Retter», mehr als «Begleiter», wollte die Geliebte nicht retten, sondern mit ihr in den Hades hinabsteigen, Teil ihres Schicksals werden. Sie sollten nicht das meine teilen, sondern ich das ihre! Ich habe mich nie um die Hübscheste bemüht, sondern um das Aschenputtel. Dieser Zug war mir bereits mit vier Jahren eigen, als mein Bruder und ich auf der Münsterplattform mit all den anderen Kindern spielten. In der ersten Klasse hatte ich eine wiederkehrende Liebesimagination, der ich mich hingab, dass man mich mit einem italienischen Arbeitermädchen – Italiener waren damals die Parias im Dorf - , welches mit mir zur Schule ging, in eine Kiste eingesperrt habe, in der wir uns küssten, herzten und schliesslich einkoteten, eine Vorstellung, die mir grosse Lust verschaffte. In der siebten Klasse war es dann die Tochter der Putzfrau meiner Eltern, die mit mir in die Klasse ging, von der ich mich ganz offen sexuell angezogen fühlte. Und diesmal war die Anziehung gegenseitig! Doch wagte ich nichts zu unternehmen. Wir schmachteten beide, und hätte ich wirklich nachgegeben, wären wir übereinander hergefallen wie die Tiere. Ich erinnere mich nur, dass ich einmal fast soweit war, dass mir alles egal wurde. Ich suchte die Angebetete in der Molkerei auf, wo sie in ihrer Freizeit aushalf. Sie folgte mir auf den Vorplatz, wo ich sie von hinten umarmte und ihre grossen Brüste besinnungslos knuffte, während sie vor Lust kreischte, bis das halbe Quartier zusah. Es hat wirklich nichts mehr gefehlt, und wir wären hinter dem Haus übereinander hergefallen. Doch zwei meiner Freunde tauchten auf, und ich musste aufhören, denn sie mochten dieses Mädchen nicht, bezeichneten sie als «Hexe» und als «Hure», und ich wollte meine Peers nicht verlieren. Aus reiner Feigheit bin ich damals nicht Vater geworden. Nach dem Ende der Schule wurde sie Kellnerin in einer Bar und dann sehr rasch, wofür alle Welt sie von Anfang an gehalten hatte, Prostituierte.

Du hast eine Erinnerung an deine Geburt erwähnt, unterbrach mich Hagenbusch. Du wolltest auf sie zu sprechen kommen. Richtig, erwiderte ich, es war ein rekurrenter Traum, den ich über mehrere Jahre hatte. Es