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Ein journalistischer Auftrag, bei dem Raoul Duke von seinem Anwalt Dr. Gonzo begleitet wird, führt zu einem unglaublichen Trip, der eine ganze Generation geprägt hat. Mit Johnny Depp und Benicio Del Toro von Terry Gilliam kongenial verfilmt, bleibt Hunter S. Thompsons schonungslose Beschreibung des Drogenkonsums und der radikalen Freiheitssuche der 60er bis heute unerreicht.
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Seitenzahl: 324
Das Buch
Vollgepumpt mit einem exquisiten Cocktail illegaler Substanzen und den Auftrag eines großen Sportmagazins in der Tasche, über das berühmte »Mint 400« zu berichten – das höchstdotierte Querfeldeinrennen für Motorräder und Dünen-Buggies –, fährt Hunter S. Thompson alias Raoul Duke zusammen mit seinem samoanischen Anwalt Dr. Gonzo nach Las Vegas. Doch während des Rennens muß der Duke feststellen, daß es außer Staub und Sand nicht viel zu sehen gibt. Statt dessen macht er sich in den glitzernden Casinopalästen von Las Vegas auf die Suche nach dem amerikanischen Traum und will »die entscheidende Geschichte unserer Generation schreiben«. Doch daraus wird nichts. Der Duke und Dr. Gonzo schocken Hoteliers, Putzfrauen, Polizisten, fahren Autos zu Schrott und torkeln von einer Katastrophe in die nächste. Die Situation eskaliert, als ausgerechnet der Duke für den Rolling Stone ein viertägiges Seminar über »Narkotika und gefährliche Drogen« besuchen soll: Tausende ehrlicher Staatsdiener und mittendrin der Duke, kurz vor dem Durchdrehen . . . Angst und Schrecken in Las Vegas gilt weithin als das Kultbuch schlechthin, das eine ganze Generation geprägt hat. Mit Johnny Depp und Benicio Del Toro in den Hauptrollen wurde es 1998 von Regisseur Terry Gilliam kongenial verfilmt.
Der Autor
Hunter S. Thompson (alias Raoul Duke) wurde 1937 in Louisville, Kentucky, geboren. Er begann seine Laufbahn als Sportjournalist, studierte dann an der Columbia University in New York, bevor er wieder zurück zum Journalismus fand und als Reporter für die New York Times und viele andere Zeitschriften schrieb. Als Korrespondent für den National Observer ging er zwei Jahre nach Südamerika, wo er erstmals Bekanntschaft mit der Drogen- und Rocker-Subkultur machte. Als Begründer des Gonzo-Journalismus wurde er schließlich zu einer Ikone der Hippiebewegung. Hunter S. Thompson nahm sich am 20. 02. 2005 in seinem Wohnort Woody Creek, Colorado, das Leben.
Für Bob Geiger aus Gründen, die hier nicht erklärt zu werden brauchen – und für Bob Dylan wegen Mister Tambourine Man
»Der, so sich zum Tier macht, befreit sich von dem Leid, ein Mensch zu sein.«
Dr. Johnson
Wir waren irgendwo bei Barstow am Rande der Wüste, als die Drogen zu wirken begannen. Ich weiß noch, daß ich so was sagte wie: »Mir hebt sich die Schädeldecke; vielleicht solltest du fahren . . .« Und plötzlich war ein schreckliches Getöse um uns herum, und der Himmel war voller Viecher, die aussahen wie riesige Fledermäuse, und sie alle stürzten herab auf uns, kreischend, wie ein Kamikaze-Angriff auf den Wagen, der mit hundert Meilen Geschwindigkeit und heruntergelassenem Verdeck nach Las Vegas fuhr. Und eine Stimme schrie: »Heiliger Jesus! Was sind das für gottverdammte Biester?«
Dann war es wieder still. Mein Anwalt hatte sich das Hemd ausgezogen und goß sich Bier auf die Brust, um den Bräunungsprozeß zu fördern. »Weswegen schreist du so rum, zum Teufel?« murrte er, mit geschlossenen Augen in die Sonne starrend. Er trug eine von diesen spanischen Sonnenbrillen, die um die Schläfen reichen. »Schon gut«, sagte ich. »Du bist jetzt mit Fahren dran.« Ich stieg in die Bremsen und manövrierte den Großen Roten Hai an den Rand der Landstraße. Keinen Zweck, die Fledermäuse zu erwähnen, dachte ich. Das arme Schwein wird sie bald genug selbst sehen.
Es war fast Mittag, und über hundert Meilen lagen noch vor uns. Harte Meilen. Sehr bald würden wir beide völlig weggetreten sein. Aber es gab kein Zurück, keine Zeit, sich auszuruhen. Wir mußten fahren bis zum Ende. Die Presse-Anmeldung für das fantastische Mint 400 war schon angelaufen, und wir mußten vor vier Uhr da sein, um in unsere schalldichte Suite einzuchecken. Ein schniekes Sport-Magazin in New York hatte für uns reserviert und außerdem für dieses riesige rote Chevy-Kabrio geblecht, das wir uns am Sunset Strip gemietet hatten . . . und ich war schließlich ein Profi-Journalist; also hatte ich die Verpflichtung, mit der Story rüberzukommen, was auch geschehen mochte.
Die Redakteure von der Sportzeitschrift hatten mir außerdem 300 Dollar in bar gegeben, und das meiste davon war schon für äußerst gefährliche Drogen ausgegeben. Der Kofferraum des Wagens sah aus wie ein mobiles Labor des Rauschgiftdezernats. Wir hatten zwei Beutel Gras, fünfundsiebzig Kügelchen Meskalin, fünf Löschblattbögen extrastarkes Acid, einen Salzstreuer halbvoll mit Kokain und ein ganzes Spektrum vielfarbiger Upper, Downer, Heuler, Lacher . . . sowie eine Flasche Tequila, eine Flasche Rum, einen Karton Budweiser, einen halben Liter unverdünnten Äther und zwei Dutzend Knick-und-Riech.
Den ganzen Kram hatten wir in der Nacht zuvor zusammengerafft, auf einer wilden Höllenfahrt durch den gesamten Los-Angeles-Bezirk; von Topanga bis Watts griffen wir uns alles, dessen wir habhaft werden konnten. Nicht, daß wir das ganze Zeug für den Trip wirklich brauchten, aber wenn man sich einmal darauf einläßt, eine ernsthafte Drogen-Sammlung anzulegen, neigt man eben dazu, extrem zu werden.
Echte Sorge machte mir nur der Äther. Nichts auf der Welt ist hilfloser und unverantwortlicher und entarteter als ein Mensch in den Klauen eines Äther-Rausches. Und ich wußte, daß wir sehr bald das verfluchte Zeug antesten würden. Wahrscheinlich schon an der nächsten Tankstelle. Fast alles andere hatten wir schon ausprobiert, und jetzt – ja, es war Zeit für eine ausgiebige Nase Äther. Und dann die nächsten hundert Meilen abreißen in schauderhaftem Stupor, sabbelnd wie Spastiker. Die einzige Möglichkeit, auf Äther noch einigermaßen durchzublicken: man muß eine Menge Knick-und-Riech weghauen – nicht alle auf einmal, sondern regelmäßig, gerade genug, um bei neunzig Meilen durch Barstow noch klar zu sehen.
»Mann, so reist sich’s richtig«, sagte mein Anwalt. Er lehnte sich vor, um das Radio voll aufzudrehen, summte den Rhythmus mit und brabbelte die Wörter: »One toke over the line, Sweet Jesus . . . One toke over the line . . .«
Ein Zug zuviel? Du armer Narr! Warte nur, bis du die gottverdammten Fledermäuse siehst. Ich konnte das Radio kaum hören . . . hing ganz außen auf meinem Sitz und rackerte mich mit dem Kassetten-Rekorder ab, aus dem in voller Lautstärke »Sympathy for the Devil« brüllte. Das war das einzige Band, das wir hatten, also spielten wir es ununterbrochen, immer wieder, als eine Art ausgedrehten Kontrapunkt zum Radio. Und auch,um unseren Rhythmus auf der Straße beizubehalten. Eine stete Fahrweise ist gut für den Benzinverbrauch – und auch wegen was anderem, das uns zu der Zeit wichtig schien. Ehrlich. Auf einem Trip wie diesem muß man vorsichtig sein mit dem Benzinverbrauch. Jede plötzliche Beschleunigung vermeiden, die einem das Blut in den Hinterkopf staucht.
Mein Anwalt sah den Tramper lange vor mir. »Komm, den Jungen nehmen wir ein Stück mit«, sagte er, und bevor ich irgendein Gegenargument loslassen konnte, hatte er schon angehalten, und dies bedauernswerte Okie-Bürschchen kam zum Wagen gerannt mit einem breiten Grinsen im Gesicht: »Hundsverdammt! Bin noch nie in ’nem Kabrio gefahren!«
»Tatsächlich?« sagte ich. »Na, dann wird’s wohl mal Zeit, oder?«
Das Bürschlein nickte beifällig, als wir losbrausten.
»Wir sind deine Freunde«, sagte mein Anwalt. »Wir sind nicht wie die anderen.«
Mein Gott, dachte ich, er ist ausgeflippt. »Keine solchen Sprüche mehr«, sagte ich scharf, »sonst setz’ ich dir die Blutegel an.« Er grinste, schien zu verstehen. Glücklicherweise war der Lärm im Wagen so schrecklich – Fahrtwind und Radio und Kassetten-Rekorder zusammen –, daß der Junge auf dem Rücksitz nicht ein Wort verstehen konnte, was wir sagten. Oder doch?
Wie lange können wir durchhalten? fragte ich mich. Wie lange, bis einer von uns zu tönen beginnt und den Jungen vollquasselt? Was wird er dann von uns denken? Dieselbe verlassene Wüste war die letzte bekannte Heimstatt der Manson-Familie. Wird er diese grimmige Assoziation haben, wenn mein Anwalt anfängt, herumzuschreien von Fledermäusen und riesigen Mantarochen, die sich auf den Wagen stürzen. Wenn ja – nun, dann müssen wir ihm eben den Kopf abhacken und ihn irgendwo begraben. Denn es ist wohl einmal klar, daß wir ihn nicht laufenlassen dürfen. Er wird uns sofort bei irgendeiner hinterwäldlerischen Nazi-Gesetzeshüter-Vertretung melden, und die werden uns aufspüren wie Bluthunde.
Jesus! Habe ich das gesagt? Oder nur gedacht? Hab’ ich gesprochen? Hörten sie mich? Ich warf einen Blick auf meinen Anwalt, aber er schien selbstvergessen – beobachtete die Straße, fuhr unseren Großen Roten Hai mit hundertundzehn oder so. Kein Ton ließ sich vom Rücksitz vernehmen.
Vielleicht sollte ich mich mal mit dem Jungen unterhalten, dachte ich. Vielleicht bleibt er ruhig, wenn ich die Sache erkläre.
Klar. Ich drehte mich auf dem Sitz herum und schenkte ihm ein Riesenlächeln . . . seine Schädelform bewundernd.
»Überhaupt«, sagte ich, »gibt es da etwas, das du wohl wissen solltest.«
Er starrte mich an, ohne mit den Wimpern zu zucken. Knirschte er mit den Zähnen?
»Kannst du mich hören?« rief ich.
Er nickte.
»Das ist gut«, sagte ich, »denn ich möchte, daß du etwas weißt: Wir sind auf dem Weg nach Las Vegas, um den Amerikanischen Traum zu finden.« Ich lächelte. »Darum haben wir auch diesen Wagen gemietet. Anders geht es nämlich nicht. Kannst du das kapieren?«
Er nickte wieder, aber seine Augen blickten nervös.
»Ich möchte, daß du den gesamten Hintergrund erfährst«, sagte ich. »Denn es handelt sich um eine schicksalsschwere Aufgabe – mit einem Beiklang äußerster persönlicher Gefahr . . . Teufel auch, ich hab’ ja ganz das Bier vergessen; willst du eins?«
Er schüttelte den Kopf.
»Wie wär’s mit etwas Äther?« fragte ich.
»Was?«
»Schon gut. Kommen wir mal direkt auf den Kern der Sache. Also, hör zu, vor ungefähr vierundzwanzig Stunden saßen wir in der Polo Lounge des Beverly Hills Hotels – im Innenhof selbstverständlich –, und wir saßen da unter einer Palme, als dieser uniformierte Zwerg mit einem rosa Telefon zu mir kam und sagte: ›Dies muß der Anruf sein, auf den Sie schon die ganze Zeit gewartet haben, Sir.‹«
Ich lachte und riß eine Bierdose auf, daß der Schaum auf den Rücksitz spritzte, während ich weitersprach. »Und ahnst du das? Er hatte recht! Ich hatte den Anruf erwartet, aber ich wußte nicht, von wem er kommen würde. Kannst du mir noch folgen?«
Das Gesicht des Jungen war eine Maske purer Furcht und Verwirrung.
Ich blubberte weiter: »Ich möchte, daß du weißt, wer der Mann am Steuer ist. Mein Anwalt! Nicht irgendein Penner, den ich am Strip aufgelesen habe. Scheiße, sieh ihn dir an! Er sieht nicht aus wie du oder ich, stimmt’s? Das kommt, weil er ein Ausländer ist. Meiner Meinung nach ist er wahrscheinlich Samoaner. Aber das macht nichts, oder? Hast du etwa Vorurteile?«
»Um Himmels willen, nein!« platzte er heraus.
»Hab’ ich auch nicht erwartet«, sagte ich. »Trotz seiner Rasse ist dieser Mann für mich äußerst wertvoll.« Ich schielte zu meinem Anwalt, aber der war im Geist ganz woanders.
Ich drosch mit der Faust auf den Fahrersitz. »Das ist wichtig, gottverdammt! Das ist eine wahre Geschichte!« Der Wagen schleuderte unheilvoll, fing sich jedoch wieder. »Nimm deine Hände von meinem verdammten Nacken!« schrie mein Anwalt. Der Junge hinten sah aus, als sei er bereit, auf Teufelkommheraus aus dem Wagen zu springen.
Unsere Vibrations wurden böse – aber warum? Ich war verwirrt, frustriert. Kam denn keine Kommunikation in diesem Wagen zustande? Waren wir degeneriert zu tumben Tieren?
Schließlich war meine Geschichte wahr, daran zweifelte ich nicht. Und es war äußerst wichtig, meinte ich, daß die Bedeutung unserer Reise absolut klar war. Wir hatten tatsächlich da in der Polo Lounge gesessen – stundenlang – und Singapore Slings getrunken, mit Meskal nebenbei und einigen Bieren zum Nachspülen. Und als der Anruf kam, war ich bereit.
Der Zwerg näherte sich nur vorsichtig unserem Tisch, wie ich mich entsinne, und als er mir das rosa Telefon gab, sagte ich nichts, hörte nur zu. Dann legte ich auf und wandte mich meinem Anwalt zu. »Es war das Hauptquartier«, sagte ich. »Sie wollen, daß ich sofort nach Las Vegas fahre und Kontakt aufnehme mit einem portugiesischen Fotografen namens Lacerda. Er weiß die näheren Einzelheiten. Ich brauche nur meine Suite zu belegen, und er wird mich aufsuchen.«
Mein Anwalt sagte einen Augenblick gar nichts, dann schien er auf seinem Stuhl lebendig zu werden. »Gott in der Hölle!« rief er aus. »Ich glaube, ich erkenne den Plan! Das Ding riecht nach bösem Ärger!« Er stopfte sich sein Khaki-Unterhemd in den Bund seiner weißen Kunstseiden-Jeans und orderte neue Drinks. »Du wirst eine ganze Menge Rechtsberatung brauchen, bevor diese Sache durchgestanden ist«, sagte er. »Und mein erster Rat ist, daß du einen sehr schnellen Wagen ohne Verdeck mietest und für mindestens achtundvierzig Stunden aus LA verschwindest.« Traurig schüttelte er den Kopf. »Damit ist mein Wochenende verdorben, denn ich muß dich natürlich begleiten – und wir müssen uns wappnen.«
»Warum auch nicht?« sagte ich. »Wenn eine solche Sache es überhaupt wert ist, dann ist sie es wert, richtig angepackt zu werden. Wir brauchen anständige Ausrüstung und obendrein eine Menge Kohle – hauptsächlich für Drogen und einen superempfindlichen Kassetten-Rekorder, denn schließlich müssen wir eine dauerhafte Aufzeichnung machen.«
»Um was für eine Geschichte geht es überhaupt?« fragte er.
»Das Mint 400«, sagte ich. »Es ist das höchstdotierte Querfeldein-Rennen für Motorräder und Dünen-Buggies in der Geschichte des organisierten Sports – ein fantastisches Spektakel zu Ehren eines fettwanstigen grossero namens Del Webb, dem das luxuriöse Mint Hotel im Herzen von Las Vegas gehört . . . so steht’s jedenfalls in der Presse-Erklärung, und mein Mann in New York hat’s mir gerade vorgelesen.«
»Gut denn«, sagte er, »als dein Anwalt rate ich dir, ein Motorrad zu kaufen. Wie kannst du sonst über eine solche Sache guten Gewissens berichten?«
»Absolut nicht«, stimmte ich zu. »Wie kommen wir an eine Vincent Black Shadow ran?«
»Was is’n das?«
»Ein fantastisches Motorrad«, sagte ich. »Das neue Modell hat wohl so ungefähr zweitausend Kubik-Inches, entwickelt zweihundert Brems-Pferdestärken bei viertausend Umdrehungen in der Minute auf einem Magnesiumrahmen mit zwei Schaumgummisitzen und einem Gesamt-Bordstein-Gewicht von exakt zweihundert Pfund.«
»Das klingt ungefähr richtig für den Job«, sagte er.
»Ist es auch«, versicherte ich ihm. »Das Scheißding hat keine gute Kurvenlage, aber ist die reine Hölle auf ’ner Geraden. Ist schneller als die F-111, bevor sie abhebt.«
»Abhebt?« sagte er. »Könn’n wir mit soviel Drehmoment fertig werden?«
»Absolut«, sagte ich. »Ich werd’ New York anrufen wegen Bargeld.«
Im New Yorker Büro hatte man noch nie von der Vincent Black Shadow gehört: Man verwies mich an das Büro in Los Angeles – es befindet sich in Beverly Hills, nur ein paar Blocks von der Polo Lounge entfernt –, aber als ich dort ankam, weigerte sich die Kohle-Dame, mir mehr als dreihundert Dollar in bar zu geben. Sie hätte schließlich keine Ahnung, wer ich sei, sagte sie, und inzwischen lief mir schon der Schweiß vom Körper. Mein Blut ist zu dick für Kalifornien: Mir ist es noch nie gelungen, mich in diesem Klima angemessen verständlich zu machen. Nicht in Schweiß gebadet . . . mit rollenden roten Augen und zitternden Händen.
Also nahm ich die dreihundert Dollar und ging. Mein Anwalt wartete in einer Bar um die Ecke. »Das haut nicht hin«, sagte er, »es sei denn, wir haben unbegrenzten Kredit.«
Den hätten wir, versicherte ich ihm. »Ihr Samoaner seid alle gleich«, informierte ich ihn. »Ihr habt einfach kein Vertrauen in die Wohlanständigkeit, auf die sich die Kultur des weißen Mannes gründet. Jesus, noch vor einer Stunde saßen wir in diesem stinkenden Polo-Puff, total abgebrannt und ein lahmes Wochenende vor Augen, da kommt ein Anruf von einem Wildfremden aus New York, der sagt mir, ich soll nach Las Vegas fahren und brauche mich um die Kosten nicht zu scheren – und dann schickt er mich in irgendein Büro in Beverly Hills, wo mir eine Wildfremde 300 $ in bar gibt, ohne zu fragen, wieso . . . ich sag’ dir, Mann, das ist der Amerikanische Traum in voller Fahrt! Wir wären doch bescheuert, wenn wir uns nicht auf diesen komischen Torpedo setzen und bis zum Ziel mitfahren.«
»In der Tat«, sagte er. »Wir müssen es machen.«
»Genau«, sagte ich. »Aber zuerst brauchen wir den Wagen. Und gleich danach das Koks. Und dann den Kassetten-Rekorder, für Spezial-Musik, und ein paar Acapulco-Hemden.« Ich war überzeugt, daß man auf einen Trip wie diesen nur gehen konnte, indem man sich ausstaffierte wie ein menschlicher Pfau und verrückt spielte, dann abdüste durch die Wüste und mit der Story rüberkam. Niemals die wesentliche Verantwortung aus den Augen verlieren.
Aber was war das für eine Geschichte? Niemand hatte es für nötig gehalten, davon zu sprechen. Also mußten wir sie auf eigene Faust ausbaldowern. Freie Marktwirtschaft. Der Amerikanische Traum. Horatio Alger auf Drogen ausgeflippt in Las Vegas. Tu’s sofort: reiner Gonzo-Journalismus.
Hinzu kam der sozio-psychische Faktor. Von Zeit zu Zeit, wenn das Leben kompliziert wird und die Hyänen dich einkreisen, dann gibt es nur eine Rettung: sich mit verruchten Chemikalien vollpumpen und wie ein toller Hund von Hollywood nach Las Vegas fahren. Um sich zu entspannen, sozusagen, im Mutterschoß der Wüstensonne. Einfach das Verdeck zurückgerollt und festgemacht, – das Gesicht mit weißer Sonnenmilch eingeschmiert und dann losgefahren mit Musik in voller Lautstärke und mindestens einem halben Liter Äther.
Die Drogen aufzutun, war kein Problem gewesen, aber den Wagen und den Kassetten-Rekorder um 18.30h an einem Freitag abend in Hollywood aufzureißen, war kein Leichtes. Ich hatte zwar schon einen Wagen, aber der war viel zu klein und zu langsam für eine Wüsten-Tour. Wir gingen in eine polynesische Bar, wo mein Anwalt siebzehn Telefonate erledigte, bevor er ein Kabrio mit angemessener PS-Zahl und der richtigen Farbe lokalisiert hatte.
Warten Sie«, hörte ich ihn ins Telefon sagen. »Wir sind in einer halben Stunde bei Ihnen, um den Handel abzuwickeln.« Dann eine Pause, und er schrie: »Was? Natürlich ist der Herr im Besitz einer Kreditkarte von einer angesehenen Gesellschaft! Ist Ihnen verdammt noch mal nicht klar, mit wem Sie es zu tun haben?«
»Laß dich von diesen Schweinen nicht anrotzen«, sagte ich, als er den Hörer auf die Gabel knallte. »Jetzt brauchen wir noch einen Stereo-Laden mit bestem Sortiment. Nichts Piffiges. Wir brauchen eines von diesen neuen belgischen Heliowatts mit Spezial-Richtmikrofon, um Gespräche in entgegenkommenden Autos abzuhören.«
Nach einigen weiteren Anrufen fanden wir genau das richtige Gerät in einem Laden, der ungefähr fünf Meilen entfernt war. Er hatte schon geschlossen, aber der Verkäufer versprach zu warten, wenn wir uns beeilten.Wir wurden jedoch unterwegs aufgehalten, weil direkt vor uns auf dem Sunset Boulevard ein Stingray einen Fußgänger totfuhr. Der Laden war geschlossen, als wir ankamen. Es waren zwar noch Leute drinnen, aber die weigerten sich, an die Doppel-Glastür zu kommen, bis wir kräftig dagegenschlugen und unsere Absicht deutlich machten.
Schließlich kamen zwei Verkäufer an die Tür und schwangen drohend Montiereisen. Durch einen winzigen Schlitz wurden wir uns handelseinig. Dann öffneten sie die Tür gerade weit genug, um das Gerät herauszureichen, bevor sie sie wieder zuschlugen und abschlossen. »Jetzt nehmt das Zeug und macht, daß ihr wegkommt«, rief einer durch den Schlitz.
Mein Anwalt hob die Faust gegen sie. »Wir kommen zurück«, schrie er. »Eines Tages schmeiß’ ich ’ne Bombe in diesen verfickten Laden! Ich hab’ ja deinen Namen auf dem Quittungszettel! Ich finde heraus, wo du wohnst, und dann steck’ ich dein Haus an!«
»Das gibt ihm was zum Nachdenken«, murmelte er, als wir wegfuhren. »Der Bursche ist sowieso ein paranoider Neurotiker. Die erkennt man auf den ersten Blick.«
Bei der Auto-Vermietung hatten wir wieder Ärger. Nachdem ich alle Papiere unterschrieben hatte, stieg ich in den Wagen und verlor beinahe die Kontrolle, als ich ihn zurücksetzte, um an die Tanksäule zu fahren. Der Angestellte war offensichtlich erschüttert.
»Sagt mal . . . äh . . . Freunde, ihr werdet doch vorsichtig sein mit dem Wagen, was?«
»Aber klar.«
»Aber um Gottes willen!« sagte er. »Sie sind gerade über die Beton-Abgrenzung gefahren und haben nicht mal Gas weggenommen! Fünfundvierzig im Rückwärtsgang! Beinahe hätten Sie die Tanksäule umgefahren!«
»Ist doch nichts passiert«, sagte ich. »So teste ich immer das Getriebe. Und die Hinterachse. Auf Belastbarkeit.«
Inzwischen war mein Anwalt damit beschäftigt, Rum und Eis aus dem Pinto auf den Rücksitz des Kabrios umzuladen. Der Leihwagen-Typ sah nervös zu.
»Sagt mal«, ließ er sich hören, »trinkt ihr Burschen etwa?«
»Ich nicht«, sagte ich.
»Machen Sie endlich den gottverdammten Tank voll«, fuhr ihn mein Anwalt an. »Wir haben’s verdammt eilig. Wir sind auf dem Weg nach Las Vegas zu einem Wüsten-Rennen.«
»Was?«
»Schon gut«, sagte ich. »Wir sind verantwortungsbewußte Leute.« Ich sah zu, wie er den Tankdeckel wieder festschraubte, haute einen niedrigen Gang rein, und dann zockelten wir auf die Hauptstraße.
»Wieder einer von diesen Deprimos«, sagte mein Anwalt. »Der ist wahrscheinlich ausgehakt von Speed.«
»Jäh, wir hätten ihm ein paar Rote geben sollen.«
»Solchem Schwein helfen auch keine Roten«, sagte er. »Zur Hölle mit ihm. Wir haben ’ne Menge Sachen zu erledigen, bevor wir auf die Meile gehen können.«
»Wär gut, wenn wir noch ein paar Soutanen auftreiben könnten«, sagte ich. »Die könnten uns in Las Vegas vielleicht nützlich sein.«
Aber es war kein Kostümverleih mehr offen, und uns war nicht danach, eine Kirche zu plündern. »Was soll’s auch?« sagte mein Anwalt. »Denk doch dran, daß viele Bullen bösartig fromme Katholiken sind. Stell dir vor, was die Hundesöhne mit uns machen, wenn sie uns vollgeturnt und in gestohlener Priesterkluft hopsnehmen. Jesus, die würden uns kastrieren!«
»Du hast recht«, sagte ich. »Und rauch die Pfeife um Himmels willen nicht an der Ampel. Denk dran, daß wir halb im Freien sitzen.«
Er nickte. »Wir brauchen eine große Wasserpfeife. Die können wir dann hier auf den Sitz stellen, daß sie keiner sieht. Wenn jemand uns beobachtet, denkt er, wir nehmen ’ne Sauerstoffdusche.«
Wir verbrachten den Rest der Nacht damit, unsere Sachen zusammenzukriegen und den Wagen zu packen. Dann aßen wir das Meskalin und gingen im Ozean schwimmen. Gegen Morgengrauen frühstückten wir in einer Kaffee-Bar in Malibu, fuhren dann vorsichtig durch die Stadt und packten endlich den nebelverhangenen Pasadena Freeway, Richtung Osten.
Noch immer geht mir die Bemerkung unseres Trampers durch den Kopf, er sei »noch nie zuvor in einem Kabrio gefahren«. Hier ist dies armselige Bürschlein: lebt in einer Welt von Kabrios, die überall auf den Landstraßen an ihm vorüberzischen, und er ist noch nicht mal in einem mitgefahren. Ich kam mir vor wie König Faruk. Ich fühlte mich versucht, meinen Anwalt anzuweisen, den nächsten Flughafen anzulaufen und dort einen ganz einfachen, allgemeingültigen Vertrag aufzusetzen, mit dem wir den Wagen diesem glücklosen Idioten schenkten. Einfach zu ihm sagen: »Hier, unterschreib das, und der Wagen gehört dir.« Ihm die Schlüssel geben und dann die Kreditkarte benutzen, um mit einem Jet abzudüsen an einen Ort wie Miami, und dort wieder ein riesiges kirschrotes Kabrio mieten für eine drogenselige, höchstgeschwinde Fahrt über das Wasser hinaus bis zur Endstation in Key West . . . und dort den Wagen eintauschen gegen ein Boot. Nur nicht anhalten, immer voran.
Aber diese Zwangsvorstellung verging mir schnell. Es hatte keinen Sinn, diesen harmlosen Jungen hinter Gitter zu schaffen – und außerdem hatte ich noch meine Pläne mit dem Wagen. Ich war schon geil darauf, mit dem Schlitten in Las Vegas rumzumotzen. Vielleicht ein kleines, aber entschlossenes Straßenrennen auf dem Strip: Rangefahren an die große Ampel direkt vorm Flamingo und dann in den Verkehr gebrüllt:
»Na los, ihr feigen Schlappschwänze! Ihr Hosenscheißer! Wenn diese gottverdammte Ampel auf Grün springt, dann werd’ ich auf die Tube drücken und jeden einzelnen schwachbrüstigen Rotzlümmel von euch von der Straße fegen!«
Genau! Diese Hundesöhne auf ihrem eigenen Pflaster herausfordern. Mit kreischenden Bremsen auf den Überweg zurasen, bockend und schleudernd mit ’ner Flasche Rum in der Hand und auf die Hupe gedrückt, um den Lärm der Musik zu übertönen . . . die glasigen Augen hinter winzigen, goldrandigen Rocker-Sonnengläsern irre weit aufgerissen, Humbug labernd . . . ein echt gefährlicher Trunkenbold, der nach Äther riecht und unheilbarer Psychose. Die Maschine hochgepeitscht, bis sie schauderhaft rappelt und wimmert, bis endlich die Ampel umspringt . . .
Wie oft bietet sich so eine Gelegenheit? Die Hundesöhne richtig in die Mangel nehmen, bis ihnen ihr Tick zum Hirn rausgequetscht ist. Alte Elefanten humpeln in die Berge, um zu sterben; alte Amerikaner begeben sich hinaus auf die Landstraße und fahren sich in riesigen Wagen zu Tode.
Aber unser Trip war etwas anderes. Er war die klassische Bestätigung aller richtigen und wahren und anständigen Eigenschaften unseres Nationalcharakters. Er war eine derbe, physische Ehrenbezeugung an die fantastischen Möglichkeiten, in diesem Lande zu leben – aber
Titel der Originalausgabe
FEAR AND LOATHING IN LAS VEGAS
4. Auflage
Taschenbuchausgabe 05/2005
Copyright © 1971 by Hunter S. Thompson Copyright © dieser Ausgabe 2005 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Copyright © der deutschsprachigen Übersetzung 1977 by Zweitausendeins, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München
eISBN 978-3-641-10251-7
www.randomhouse.de
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