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Harald "Toni" Schumacher

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Beschreibung

Toni Schumacher – Torhüter von Weltrang, umstrittene Figur – schildert, analysiert und kritisiert die Fußballszene. Er beschreibt und bewertet, und er regt zum Nachdenken an: über die Krisen, die Chancen und die Herausforderungen des Fußballs.

Bei seinem Erscheinen 1987 stellte das Buch die Fußballwelt auf den Kopf – endlich ist die Originalfassung wieder verfügbar!

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Seitenzahl: 252

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Toni Schumacher

Anpfiff

Enthüllungen über den deutschen Fußball

Legendär: Das Buch, das die Fußballwelt für immer verändert hat

 

33 Jahre alt war Toni Schumacher bei Erscheinen von Anpfiff 1987, Kapitän der Nationalmannschaft. Ein Jahr zuvor, 1986, bei der WM in Mexiko, war er – neben Diego Maradona – der Star der Weltmeisterschaft und wurde zum zweiten Mal nach 1984 zum »Fußballer des Jahres« gewählt.

 

Aus diesen »Enthüllungen über den deutschen Fußball« ist viel zu erfahren – über den Menschen Harald Schumacher, seine persönlichen Erinnerungen, seine Gefühle und Gedanken. Brisant ist der Stoff, den die Szene selbst liefert. Schonungslos charakterisiert Schumacher die Akteure auf dem Rasen, die verantwortlichen Manager und Funktionäre der Vereine und natürlich auch die des DFB. Er schreibt über Trainer und Team-Ärzte, über die Machtlosigkeit der Spieler, die Verquickung von Geld und Sport, die Rolle der Presse und und und.

 

Dabei bleibt es nicht bei Andeutungen. Toni Schumacher nennt, wie man es von ihm erwartet, die Dinge – und auch die Personen – sehr deutlich beim Namen. Aber bei aller kritischen Härte ist auch er selbst bereit, sich der Kritik zu stellen: indem er eigene Vorstellungen, Vorschläge und Reformideen entwickelt und zur Diskussion stellt.

 

»Uli Stein, Bodo Illgner, Oliver Kahn, Jens Lehmann: Die Liste deutscher Torhüter, die nach Schumacher mit ihren Büchern für Aufsehen sorgten, ist lang. Aber der Kölner ragt heraus: Niemand war so schonungslos – und so visionär. … 25 Jahre später wirkt der deutsche Fußball wie die Blaupause von Schumachers Ideen.«

Spiegel online über Anpfiff.

 

 

Zum Autor:

 

Harald »Toni« Schumacher, geboren 1954, war von 1972 bis 1987 Torhüter des 1. FC Köln, wurde dort Deutscher Meister, Pokalsieger sowie mit 422 Bundesligaeinsätzen Rekordspieler, bis der Verein ihn nach der Veröffentlichung des Buches Anpfiff entließ. Daraufhin wechselte er für die Saison 1987/88 zum FC Schalke 04 und anschließend zu Fenerbahçe Istanbul, wo er auf Anhieb als Mannschaftskapitän Türkischer Meister wurde. Erfolgreich verlief die Zeit des zweimaligen Fußballers des Jahres auch in der Nationalmannschaft: Europameister 1980 sowie Vizeweltmeister 1982 und 1986 – und dort nach Diego Maradona zum zweitbesten Spieler gewählt. Nach mehreren Stationen als Torwarttrainer ist Toni Schumacher seit 2012 Vizepräsident des 1. FC Köln und verantwortlich für den sportlichen Bereich.

Die Originalausgabe dieses Buches erschien im März 1987 bei der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München, unter der ISBN 3-426-26298-3.

Die vorliegende Ausgabe ist eine originalgetreue, unveränderte Neuausgabe und deshalb in alter Rechtschreibung gehalten. Aus rechtlichen Gründen konnte der ursprünglich in Anpfiff enthaltene Schwarzweiß-Bildteil (zweimal acht Seiten) leider nicht übernommen werden.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag weist ausdrücklich darauf hin, dass im Text enthaltene externe Links vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden konnten. Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss. Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Copyright © 2017 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Umschlaggestaltung: Karlheinz M. Wendlandt Umschlagfoto: © Picture Press/Harald Schmitt/Stern ISBN: 978-3-641-22274-1V002

Inhaltsverzeichnis

Buch und AutorCopyrightEndspielVon Harald zu »Toni«Battistons FallDas Monster von SevillaRummenigge: Allein gegen die »Mafia«Mexiko-StorySpritzen und SexVerletzungstraumaTrampeltier mit LöwenmutDie NationalmannschaftBundesliga: Faule SäckeSport und MillionenAdidas – Puma: Das ElefantenrennenFußball ist SpektakelDie Presse: Mit Feder und DachlatteFrührentner-Perspektiven

Endspiel

Es ist immer das gleiche.

Da hat man sich wochenlang gegenseitig entweder gemocht oder schief angesehen, unter Spielern und Sportfunktionären.

Gemeinsames Training. Gemeinsame Mahlzeiten und Schlafzimmer.

Anfälle von Wut oder überdrehter Heiterkeit.

Spannungen und Reibereien, verursacht durch das ständige Gemeinschaftsleben von ungefähr dreißig Erwachsenen, bei denen ein bißchen (oder auch mehr) Eitelkeit und ein Ego in der Größe eines Möbelwagens ausgesprochene Berufstugenden sind. All das – plötzlich vergessen, weggefegt.

Auf einmal sind wir alle genauso höflich und schüchtern wie Klosterzöglinge. Fehlt nur noch, daß wir uns auf einmal siezen! Wir werden füreinander wieder Fremde. Nein. Noch mehr. Wir werden uns selber fremd.

Vor dem Nobelhotel in Mexico City, beim Einsteigen in den Bus, haben Hermann Neuberger, Egidius Braun und alle anderen Bosse oder Betreuer uns begrüßt, uns guten Wind oder Glück gewünscht. Und sie haben dabei, fast wie in Trauer, die Blicke auf unbestimmte gedankliche Ziele oder Punkte über die Schulter des Gegenübers hinweg gerichtet. Die wenigen Worte, die fielen, waren fast wie unanständige, störende Geräusche. Unsichtbar und unterschwellig: die Angst zu versagen. Kaum beschreibliche, tiefe Empfindungen. Ich bin Nationaltorwart, habe zwei Europameisterschaften mitgemacht und bin zum zweiten Mal bei einer Weltmeisterschaft dabei.

Ich will Weltmeister werden. Also kann Toni Schumacher nicht mehr einfach »locker vom Hocker« spielen. Ich stelle mich selbst in Frage. Wie jedesmal. Aber heute mehr als je zuvor. Ich zittere vor Aufregung. Alle schweigen. Mit Recht. Nur Schweigen ist Ausdruck von Größe. Alles andere ist Kleinmut.

Ich will Weltmeister werden.

Vier Jahre lang habe ich den faulen, inneren Schweinehund getreten und bekämpft. Ich habe eisern trainiert, mit äußerster Disziplin gelebt. Werden alle Mühen nun belohnt?

Franz Beckenbauer, Weltmeister von 1974, unser »Großer-Bruder«-Trainer, wirkt heute steif wie ein preußischer Oberst. Nur aus seinen Augen strahlt Energie, die er auf uns zu übertragen wollen scheint. Ich kann die allgegenwärtige Machtlosigkeit des genialen Liberos verstehen: Er ist heute dazu verdammt, Sieg oder Niederlage einzig mit dem Kopf zu bewältigen, ohne den Einsatz seiner flinken Beine.

»Schumacher lebt in seinem Körper wie in einem Gefängnis«, hat er einmal gesagt. Er auch. Vielleicht noch mehr als ich.

 

Matthäus sieht finster und entschlossen aus. Er kennt das Gewicht seiner Verantwortung, aber es erdrückt ihn nicht. Als »Wachhund vom Dienst« hat er Maradona auszuschalten. Unser Spiel gegen die Argentinier wird, genau betrachtet, ein auf zehn zu zehn Spieler beschränktes Match sein. Und dazu das Duell Matthäus – Maradona.

Unsere Strategie ist einfach bis doof. Den Argentinier, das Ballgenie, mattzusetzen. Für den Rest hat unser Kampfgeist zu sorgen.

Rummenigge tut mir leid. Ich mag ihn – trotz der dummen Bemerkung über mich und »die Kölner Mafia«, von der er sich »verfolgt« gefühlt hatte.

Der arme »Märtyrer«.

Heute hat er eine so frische Gesichtsfarbe wie ein Marzipanschweinchen. Nur um die Nase hat er tiefe Falten. Er ist in Topform, sagt er. Hat wie ein Tier gelitten, um seine Kondition zu finden. Hut ab. Was mag in seinem Kopf, vorgehen? Wird sein Hirn, sein Verstand die Kreativität und den Torinstinkt hemmen, bremsen oder, schlimmer noch, blockieren? Ich kenne die Folgen nach einer Verletzung. Dieses Zögern, das im entscheidenden Moment vom Verstand her kommt: Werden meine lädierten Knochen und Muskeln das aushalten? Oder reißt was, bricht was? Man braucht einen eisernen Willen gegen den eigenen Körper, das Werkzeug. Der ewige Kampf, die Schmerzgrenze wegzuschieben, zu verdrängen, bis zum »Geht-nicht-mehr«. Schmerz ist Einbildung. Weiß Karl-Heinz das auch? Ich hoffe. Für uns alle.

 

Wir sind auf dem Weg zum Aztekenstadion. Ich sitze auf meinem Stammplatz, ganz hinten rechts auf der Busbank. Das schmutzige Licht von Mexico-City kommt durch die Gardine, die ich zugezogen habe.

Wie immer. Die Luft dieser Stadt erdrückt mich, trotz der Klimaanlage. Wir sind verspätet und bleiben auch noch in der Blechlawine des Stadtverkehrs hängen. Hitze und Chaos.

Die Kopfhörer meines Walkman drücken ein wenig auf den Ohren. Die Musik von Peter Maffay schenkt mir die notwendige Abkapselung von der Stadt, der Hitze, der tausendäugigen Menge, die ich durch die Busgardine mehr ahne als sehe. Der Songtext paßt zu meiner Situation: »Ich bin erst gut mit einer Menge Wut im Bauch … Wer zu den Freunden gehört, für den zerreiß ich mich auch … Ich geb euch gern Revanche, und ich bin erst gut mit Liebe und mit Wut im Bauch.«

 

Aztekenstadion. Knallige Farben. Fahnen. Gemalte Friedenstauben überall. Eine brüllende, kreischende, schreiende Menschenmenge. »Brot und Spiele«. Bin ich einer der Gladiatoren? Oder eine der Bestien? Ich liebe keinen in diesem Stadion. Und ich spüre auch keine Wut im Bauch. Von welcher Revanche spricht er eigentlich, der gute Maffay?

Ich will nur Weltmeister werden.

»Ich bin erst gut mit Liebe und Wut im Bauch«, singt Maffay. Verdammt. Meine Gegner sind doch keine Feinde. Ich war doch bisher ausgesprochen fair. Den Mexikaner Sanchez habe ich massiert, wenige Tage zuvor in Monterrey, als er vor Schmerzen schrie, Negrete am Rand des Spielfeldes getröstet nach der Mexiko-Niederlage. Das war kein Theater, keine Show, war nicht »kalkuliert«, wie ein paar zynische Schreiber angedeutet hatten.

 

Warmlaufen für das deutsche Team. Co-Trainer Horst Köppel schießt mich warm. Ich schwitze. Dieser trockene Hals. Der Rasen ist wie knochentrockene Scheiße, hart, fremd, feindselig. Ich beobachte Karlheinz Förster. Er strahlt zuverlässige Robustheit aus. Seine ruhige Stämmigkeit tut mir gut. Ich könnte ihn küssen, nur weil er existiert. Hier und jetzt. Die Sonne fällt steil auf das Stadion, knallt auf unsere Köpfe. Wir werfen keine Schatten. Das ist gut, sagt man, für die Fernsehaufnahmen, die von hier aus die gesamte Welt berieseln.

1,5 Milliarden schauen zu. Gruselig. Lieber nicht darüber nachdenken. Nachdenken ist Gift. Lähmendes Gift.

 

Nationalhymnen.

»Du bist der beste Torwart der Welt. Du wirst jeden Ball halten. Du bist ein Raubtier …«

So habe ich das beim autogenen Training gelernt.

Das ist mein Trick für Konzentration – oder eine Macke, die ich habe. Aber es hat immer geklappt.

Bisher. So nutze ich die Zeit, in der die Hymnen der Gegner gespielt werden. Ich mache dann die Augen zu. Viele glauben, daß der Toni, nationalbewußt, wie er ist, sich dann in einer Art patriotischem Rausch befindet. Ist nicht. Ich versetze mich einfach für einen Augenblick lang in eine andere Welt: eine unendliche Sandküste, eine leichte Brise fächelt durch Palmen, ich schwimme in einer tiefblauen Lagune irgendwo im Pazifik. Wenn ich dann von meiner »inneren Reise« zurückkomme, fühle ich mich erleichtert und vollkommen konzentriert. Und ich habe nur einen Gedanken: »Du bist der beste Torwart. Wenn der Ball kommt – du fängst ihn. Du bist die Raubkatze, der Ball ist die Beute.« Das hat immer genügt, um 150prozentig konzentriert zu sein. Scharf und hungrig auf jeden Schuß zu lauern.

Vor dem Endspiel habe ich das auch gemacht. Ich habe mir gesagt: »Heute ist das Spiel, das Spiel deines Lebens. Du bist in Hochform. Gegen Mexico: Elfmeter gehalten. Gegen Frankreich: tadellos, super gehalten.« Ich war ganz oben, fast auf Wolken.

Das Spiel beginnt. Ich lauere rechts, links, keine Spur von meiner Beute, zwanzig unendliche Minuten lang. Der Hunger nach dem Ball wird immer größer, gieriger. Nichts da!

 

Und dann kommt der Moment des fatalen Freistoßes von der Seite, der zum ersten Tor führt. Ein Argentinier legt sich den Ball fußgerecht hin. Meine Beute! Sie fliegt in meine Richtung. »Jetzt holst du dir deine Beute, egal was kommt. Den Ball kriegst du. Den schnappst du dir!« Flanke. Ich schieße vor. Nach dem ersten Schritt weiß ich es: Den kriegst du nicht.

Hundertstelsekunden dauern Ewigkeiten. Ich segle durch den Strafraum wie Lohengrin, der seinen Schwan verpaßt hat. Letzte Hoffnung: »Vielleicht kriegt ein Deutscher den Ball auf den Kopf.« Der liebe Gott hat es aber wohl nicht so gewollt. Eine argentinische Stirn kam dazwischen. Ich sehe das Leder ins Tor fliegen und schreie stumm nach innen auf.

Geht durch zuviel Anspannung und Konzentration die Kreativität kaputt? Frust! Nicht zu entschuldigen.

»Ich geb euch gern Revanche …«, sang Peter Maffay. Wird es für mich eine Revanche geben? Ich schwitze, werde wieder mindestens drei Kilo verlieren bei diesem Spiel. Aber ich friere, trotz der Hitze.

Ich hatte mir geschworen: Wenn, dann willst du der beste Torwart der Welt sein. Das heißt, daß du perfekt sein mußt. Und jetzt fängst du so an. In einem Finale. Nur einmal perfekt sein! Für dieses Spiel … Ich will ja nicht der liebe Gott sein, aber für die nächsten 65 Minuten will ich unbedingt perfekt spielen, die perfekte Maschine sein. Dieser verdammte, lächerliche Ziegenbockhupfer ins Leere. Wo bleibt hier das Raubtier?

Ein Torwart schießt keine Tore. Er kann keinen Fehler wieder wettmachen, wie etwa ein Stürmer, der mit einem erfolgreichen Schuß ins Tor über hundert Schüsse in die Sterne vergessen machen kann. Für ihn gilt: Alles oder nichts! Held oder Versager. Ich hasse mich abgrundtief. Jetzt hab ich richtig Wut im Bauch.

 

Die »Beute« springt weiter. Weit weg, kalt, plötzlich gefährlich, von deutschen und argentinischen Füßen beherrscht, strapaziert. Matthäus hat Maradona neutralisiert, aber es wimmelt von Argentiniern. Einer, Valdano, steht frei, hat den Ball. Ich renne um mein Leben, will ihn täuschen, öffne weit die kurze Ecke. Er durchschaut mich und wählt prompt die lange Ecke. Unerreichbar streift die Beute meine Knie. Wieder Frust.

»Bleib im Tor!« rufen Förster und Magath.

Kalle schafft das Anschlußtor durch einen Körperreflex, nach einer Ecke von Brehme. 1:2. Etwas später unverhofft: der Ausgleich! 2:2. Jubel. Offensive deutsche Stürmer. Zu offensiv?

»Bleib im Tor«, hatten die Freunde gesagt.

Fünf Minuten vor dem Abpfiff stürmt ein Argentinier allein auf mein Tor zu. Ich muß raus. Diesmal komme ich zu spät. Zur Strafe stecke ich ein drittes Tor ein. Schlußpfiff. Es wird also nicht mal eine Verlängerung geben, keine Elfmeter, die ich hätte halten können, halten müssen, um meine Fehler wieder wettzumachen.

»Ein guter Tormann ist ein Spieler, der mehrfach seine Mannschaft durch individuelle Handlungen, durch Überschreitung seiner Machtbefugnisse in einer eigenwilligen Aktion gerettet hat.« So hat es der französische Philosoph Jean Paul Sartre gesagt. Recht hat er. Ich hatte aber diesmal absolut nichts gerettet, meine »Machtbefugnisse« nicht überschritten.

War ich ein schlechter Tormann geworden? Niedergeschlagenheit, nein, Depression ist das treffende Wort für das Gefühl, das sich nach einem verlorenen Finale in Kopf und Bauch breitmacht. Man glaubt, man muß sterben. Sieger toben sich aus, überwinden und vergessen ihre Erschöpfung. Verlierer sind bis auf die Knochen ausgelaugt. Briegel hat Tränen in den Augen. Rummenigge ist leichenblaß. Bodenlose Enttäuschung in der deutschen Mannschaft. In der jubelnden Menge sind Verlierer allein, jeder einzelne der Elf für sich. Der Elfte, Torwart, Außenseiter vom Dienst, ist noch mehr: Er ist einsam, denn nur der Sieg schafft Zusammengehörigkeitsgefühl. Ich fühle mich schuldig.

Der nicht gepflückte Ball ist eine verpaßte Chance für die Ewigkeit.

Frust. Leere Hände, Wind im Kopf.

 

Eine halbe Stunde nach dem Endspiel fragte mich Benno Weber von RTL: »Was ist los?« Ich habe ihm gesagt: »Paß auf, Benno, ich hab gehalten wie ein Arsch. Wenn ich in diesem Endspiel so gehalten hätte wie in den Spielen gegen Frankreich und Mexiko, dann wären wir Weltmeister.«

So war’s. »So isses«, wie man in Köln sagt. Alles hätte ich gegeben, um Weltmeister zu werden. Nein, nicht alles. Nicht meine Kinder, auch nicht meine Eltern. Nicht Marlies, meine Frau, oder Rüdiger Schmitz, meinen Freund. Aber sonst alles. Meine Gesundheit zum Beispiel. Wenn ich nach dem Endspiel nie mehr hätte Fußball spielen können, ich hätte es akzeptiert, nur um Weltmeister zu werden.

Der Beste der Welt.

Ein nächstes Mal wird es für mich kaum geben. Es ist beim Fußball ja nicht so wie beim Eishockey. Da gibt es jedes Jahr eine WM. Für Fußballer sind vier Jahre eine lange Zeit. In Spanien und Mexiko waren wir Zweite. Wenn ich eine dritte Chance bekäme, wäre ich 36 Jahre alt.

Wie ich es hasse, Tore einstecken zu müssen. Es hilft ja nicht, ewig zu klagen. Fußball ohne Tore ist wie Kapitalismus ohne Pleiten, wie Christentum ohne Glaube an die Hölle. So sind die Spielregeln – auch für den einzigen Privilegierten, der auf dem Spielfeld die Hände benutzen darf. »Zeig mir einen zufriedenen Zweiten«, pflegte Hennes Weisweiler, mein ehemaliger Kölner Trainer, zu sagen, »und ich zeige dir den ewigen Verlierer.« Er hatte schon recht, der alte »Don Hennes«.

 

Nichts wie weg. Richtung Kabinen in den Tiefen des Aztekenstadions. Alle wollen nur den Sieger sehen. Verlierer haben schleunigst vom Spielfeld zu verschwinden, in die Anonymität zu versinken. In der weißen Tasche, in der meine Ersatzhandschuhe und die Schirmmütze stecken, habe ich auch Talismane: aus Griechenland, aus der Türkei, Geschenke von Fans. Glücksbringer: eine gestrickte Puppe, ein kleines Schwein, einen Glückspfennig. Diese Dinge nehme ich überallhin mit, zum Teil, weil ich sie schön finde, aber auch, weil ich ein bißchen abergläubisch bin. Das Wichtigste: ein Bild von meinem Sohn Oliver. Bei seiner Geburt war ich dabei. Das war etwas Wunderschönes; aber ich kam mir furchtbar hilflos und überflüssig vor. Marlies, meine Frau, hat mir die Hand gehalten. Ich konnte ihr nicht helfen, fühlte mich so ausgeliefert. Da steht man und kann nichts tun.

 

Wenn wir, nein – wenn ich verloren habe, schaue ich mir das Bild an und sage mir: Mensch, guck mal, du hast gesunde Kinder. Auch damals hat es mich im ersten Moment über alles hinweggetröstet. Daraus habe ich neue Kraft geschöpft. War bereit für die Konfrontation mit der Welt, der Presse, der Öffentlichkeit.

 

Ich weiß, daß ich mir meine Feinde redlich verdient habe. Wehe, ich bin am Boden, oder falle auch nur aufs Knie! Seit meinem »Foul« in Spanien an Battiston – so empfanden es die Zuschauer, und ich respektiere das – habe ich zu spüren bekommen, daß ich keine »positive Figur« bin. Im Gegenteil. Viele wollten den Schumacher von weit oben herunterholen. So wie seinerzeit bei Mohammed Ali: auch eine große Klappe, aber was für eine Leistung. »Die Leute können ein Großmaul nicht ausstehen – aber zuhören werden sie ihm immer«, sagte der schwarze amerikanische Boxer. Und alle wünschten sich: Hoffentlich verliert der Kerl mal. Für viele war ich ein ähnliches Monster, ein Marmorklotz im Tor. Einer, der keine Gefühle kennt und nur ein Ziel hat: keinen Ball durchzulassen. Die perfekte, germanische Maschine.

Und was kam dann? Ein Riesenfehler, wie er nur von einem ganz gewöhnlichen Menschen gemacht werden konnte. Alle standen plötzlich da, als ob sie aus dem Takt gekommen wären, den Foxtrott mit dem falschen Fuß angefangen hätten. Man brachte mir Anteilnahme entgegen, Mitleid, Sympathie. Sogar in der Presse.

Für Wolfgang Rothenberger vom Fußball-Magazin hatte ich mich jetzt »als Mensch gewandelt«, war »als Persönlichkeit gereift«, weil »die vier Jahre seit Spanien nicht spurlos an Toni Schumacher vorübergegangen sind«.

Nett. Richtig lieb. Vielleicht ein bißchen einfach. Ein Mensch bin ich eigentlich immer gewesen, nur verwegener, verrückter, was meine Aufgabe im Tor angeht.

Da war ich also nicht nur privat, sondern auch öffentlich ein Mensch geworden. Nach all den Jahren, in denen ich im Gruselkabinett der Menschheit in der »Abteilung Bestie« katalogisiert war. Und, als Deutscher, aus dem gleichen Holz geschnitzt wie die Aufseher in Auschwitz. Nun dieses Licht in meine Misere.

Ich habe mich über diese Sympathiewelle gefreut, sie war wie ein Trostpflaster auf mein verletztes Ego. Aber so schön die neue Zuneigung, die mir entgegengebracht wird, auch ist, sie ist nur entstanden, weil in der Öffentlichkeit ein ganz falsches Bild von mir grassierte. Ich war nie ein Monster. Ich war ein lieber Junge, der den Erfolg suchte. Uli Stein, HSV-Torwart und Nummer Zwei der Nationalelf in Mexiko, hat behauptet, ich ginge über Leichen. Das stimmt. Aber nur über meine eigene. Für den Sieg. Das mag übertrieben klingen, aber so bin ich nun mal. Entweder man nimmt mich, wie ich bin, oder man läßt es. Es gibt eben keine »Halbheiten« für einen Torwart. Der kann nicht sagen: »Heute beim Training laß ich es mal langsam gehen, mit halber Leistung.« Wenn er so denkt, kriegt er ein Tor nach dem anderen rein. Ein Stürmer schießt in der letzten Minute ein Tor, und er ist der König. Der Torwart macht in der letzten Minute einen Fehler, kriegt ein Tor rein, und er ist der Trottel. Da hilft keiner. Freunde hast du zwei, wenn’s hochkommt.

Profi sein heißt, sich mit Leib und Seele dem Verein verkaufen, bei dem man den Vertrag unterschrieben hat. Als ich meinen Vertrag mit dem 1. FC Köln unterschrieb, habe ich gesagt: Hier habt ihr meinen Körper, meine Gesundheit, mein Leben, meine Seele, hier habt ihr alles. Dafür kriege ich gutes Geld. Alles lasse ich aber nicht mit mir machen. Ich will mich nicht zum Instrument für den Ehrgeiz von grauen Sportfunktionären oder aufgeblasenen Politikern degradieren lassen.

 

Ehrentribüne, Aztekenstadion.

Bundeskanzler Helmut Kohl, der gekommen war in der Hoffnung, sich in unserem »Sieg« zu sonnen, war, wenn möglich, noch enttäuschter als wir. Unfähig zu lächeln, grinste er, gratulierte uns rein mechanisch. Es wurde operettenreif, als er für die Fotografen den armen Franz Beckenbauer an den Schultern um die Achse drehte, um seine Anwesenheit neben unserem Trainer verewigen zu lassen. Sind Fußballspieler auch Hampelmänner?

Darf man den Fußball umfunktionieren, um »nationalen Konsens« zu demonstrieren? Gekünstelt, das Ganze. Sport und Politik Hand in Hand. Naivität neben Kalkül.

 

Hotel Sheraton. Das Galadiner kann ich nicht bis zum Ende durchstehen. Der »Vizeweltmeister-Champagner« schmeckt mir sauer. Allein sein! Alles, was ich will: allein sein. Kalte Schweißausbrüche in meinem Zimmer. Ein Kampf ist verloren. Fußball als Ersatzkrieg? Nein, nicht wirklich.

Wenn man gewinnt, gewinnt man alles. Wenn man verliert, bleibt man am Leben.

Bruchteile des Erlebten. Szenen einer Niederlage. Gefühle eines Nationaltorwarts. Ich weiß, daß ich zugleich Richter und Angeklagter bin. Vielleicht bin ich zu hart oder zu milde mit mir selbst. Wer bin ich eigentlich? Ein Torwart mit schnellen Paraden, der gegenüber Funktionären schon mal eine große Klappe riskiert? Ein sensibler Ehemann zu Hause, ein eiskalter Profi auf dem Platz? Eine empfindsame Seele in rauher Schale, wie man es dem Sternzeichen Fische gerne nachsagt? Bin ich eine Bestie, wie die Medien nach dem Foul an Battiston 1982 durchblicken ließen, oder bin ich das Opfer der Zeitlupe, die jede Aktion, jeden Fehltritt, jedes Foul durch endlose Wiederholungen ausschlachten kann, bis Haß aufsteigt?

Schreiben ist wie Beichten, wie Selbsterforschung, sagt man. Für mich ist es die Möglichkeit, meiner Isolation zu entkommen. Es soll keine Selbstbespiegelung sein, und es wird keine Rechtfertigungen geben. Ich möchte wie ein Prisma sein, durch das Licht auf mein Universum fällt: Fußball, in Deutschland und in der Welt. Auf der »Achterbahn« meiner Karriere möchte ich Sie zu einem exklusiven Ausflug in die Kickerszene mitnehmen. Es wird manchmal turbulent zugehen. Ich werde die Akteure auf dem Rasen so schonungslos kritisieren wie die verantwortlichen Manager und Funktionäre hinter den Kulissen der Clubs, der Vereine und natürlich auch des DFB. Nicht um wild, wahl- und zwecklos zu zerstören. Ich möchte keine Institution zertreten,

Von Harald zu »Toni«

In meinem Lieblingsfilm »Rocky« hämmert Sylvester Stallone auf den Koloß im Ring ein. Er schwitzt wie der fürs Höllenfeuer verantwortliche Oberheizer. Er will siegen. Rocky – einer aus der Gosse – will Gegner, Armut, Schicksal bezwingen.

»Das bist ja du. Kein Boxer. Ein Fußball-Rocky. Ein Junge, der aus dem Schlamassel raus will«, fiel es mir wie Schuppen von den Augen, als ich den Film zum ersten Mal sah.

Meine »Slums« lagen in Düren, einer der vom Krieg am schlimmsten betroffenen Städte Deutschlands. Aber auch in Ruinen können Kinder spielen. Wir wohnten in einer »Arme-Leute-Siedlung«, unsere Nachbarn waren die »Asozialen«. Ich konnte den Niedergang ganzer Familien verfolgen; viele Väter waren Alkoholiker, viele Mütter eine Mischung aus Schlampe und Kneifzange. Natürlich gab es auch andere, aber Armut gab es überall, wohin man auch sah. Zu Hause kein Stück Fleisch im Topf. Unser Speiseplan bestand hauptsächlich aus Kartoffeln und nochmals Kartoffeln. Zur Bereicherung mal ein Blatt Kohl. Nicht sehr abwechslungsreich. Meine Schwester und ich teilten uns ein winziges Zimmer. Eigentlich eine größere Schublade. Aus dieser Zeit der drangvollen Enge stammt auch die Platzangst, die mich noch heute verfolgt. Auf dem Spielfeld kann ich nicht in meinem Torkäfig bleiben. Ich suche die Weite bis zur Mittellinie, sooft es eben geht.

 

Mein Vater arbeitete auf dem Bau. Ging früh um sieben aus dem Haus. Abends kam er völlig kaputt wieder. Er war dann schweigsam. Im Winter streckte er seine müden Beine in Richtung Ofen aus. »Vater« – lange Jahre bedeutete das für mich: ein paar Beine vor dem Feuer. Er war kein Säufer. Gott sei Dank. Er war ein ruhiger, einfacher, anständiger Mann. So ist er heute noch. Ohne seine ruhige ehrliche Art wäre ich vielleicht auf die schiefe Bahn geraten. Viele meiner Freunde sind an dem Beispiel ihrer versoffenen Väter kaputtgegangen.

Geprägt hat mich vor allem meine Mutter. Ich war den ganzen Tag mit ihr zusammen, sah zu, wie sie für andere Leute nähte. Und immer wieder trichterte sie mir ein: »Laß nur, Junge. Armut schändet nicht. Ehrlich bleiben und fleißig. Daß man sich nicht schämen muß.«

Auf unserem Spielplatz gab es außer einem Sandkasten wenig Störendes – Platz genug für Fußball. Fußball wurde für mich zum Ventil. Endlich Platz zum Toben. Weg von der Armseligkeit zu Hause. Ich spielte Stürmer. Konnte richtig glänzen.

»Der Junge hat eine Kämpfernatur. Der setzt sich durch«, sagte der Trainer von »Schwarz-Weiß Düren«, meinem ersten Fußballklub. Mutter fand, ich soll doch Mitglied werden.

Kämpfernaturen leben gefährlicher, auch als Kinder. »Du rennst zuviel, Harald. Du verausgabst dich ja völlig«, schimpfte mein Trainer. »Du mußt dir deine Energie und deine Kraft besser einteilen.«

»Richtig«, echote Mutter. »Er kommt jedesmal ganz erschöpft nach Hause. Klitschnaß geschwitzt. Er kann seinen Ehrgeiz nicht bremsen. Rast immer volle Pulle. Sieht richtig klapprig aus.«

Beide sorgten sich um meine Gesundheit. Und wieder entschied Mutter: »Jetzt suchst du dir einen festen, ruhigen Posten. Geh doch ins Tor. Das wär doch was für dich.«

Also wurde ich Torwart. Weil das ein »ruhiger Posten« war … Ich war damals zwölf.

Auch im Tor blieb ich maßlos ehrgeizig. Das Rocky-Syndrom? Für mich war klar: »Du bist eben arm. Abitur ist nicht drin. Studium noch weniger. Aber denen, die lernen dürfen, denen zeig ich, was in mir steckt.«

Neidisch war ich nie. Ich verstand nur nicht, warum jeder von Geburt an seinen Platz an der Sonne oder im Dauerregen haben sollte. Die privilegierten Jungen traf ja keine Schuld am Reichtum ihrer Eltern. Neid ist Schwachsinn. Nach vorne sehen ist sinnvoll. Ich mußte mir alles hart erkämpfen, weil ich einfach nicht besonders talentiert war. Aber Kämpfer schneiden im Leben letztendlich besser ab als die von der Natur verwöhnten Hochtalentierten. Davon bin ich inzwischen – mit dem nötigen Abstand zu den Dingen – felsenfest überzeugt. Ein anfängliches Handicap ist schon vielen zur Leiter nach ganz oben geworden. Die Streisand mit ihrem Silberblick, Clark Gable, der früher erbarmungswürdig stotterte, haben es schließlich zu was gebracht. Mit eisernem Fleiß und Willen, mit harter Arbeit an sich selbst. Bei mir war zuerst mal der Wille da. Im Zweikampf »Feldspieler gegen Torwart« machte ich von Anfang an eine gute Figur. Ich kannte keine Angst vor Verletzungen und dachte nicht an eventuelle Gefahren. Siegen. Der Beste sein.

 

Als 15jähriger trainierte ich dann schon viermal die Woche: je zweimal mit der Jugend- und der ersten Mannschaft. Ich lebte wie ein Mönch. Vor lauter Fußball blieb keine Zeit für Mädchen. Ein Moped besaß ich nicht, und Diskotheken kannte ich nur von außen. Fußball als Lebensinhalt. Und es gab einen Wunschtraum: Meine Vorbilder waren die »Stars im Tor« der 50er Jahre – Toni Turek und Fritz Herkenrath.

Jeden Sonntag konnte ich mit meinen Paraden Anerkennung und Bewunderung ernten. Ich tankte Stolz und Selbstbewußtsein für die ganze Woche. Vergaß die Enge und die Armut meiner Siedlung. »Hast du gesehen, wie der Harald gehalten hat?« schienen die Leute zu tuscheln. »Das ist doch der Sohn von Helga und Manfred. Aus dem Jungen wird noch mal was Besonderes.« Das war Wasser auf die Mühlen meiner ehrgeizigen Wünsche.

 

Sozialer Aufstieg durch Sport. So war das für mich. Ich sah auch die Parallelen zu anderen sozialen Außenseitern. Sind nicht die meisten olympischen Springer und Sprinter Neger? Wie sie jagte auch ich hinter der Anerkennung her. Noch heute ist mir schleierhaft, wieso nicht alle Schwarzen in irgendwas Weltmeister sind. Anfang der 80er Jahre hatten wir in Köln im Verein einen jungen Farbigen. Toni Baffoe war 18 Jahre alt, spielte im A-Jugend-Team und wollte gerne Profi werden. Seine Leistungen waren zu unbeständig, er war schnell entmutigt und neigte zu Selbstzweifeln. Damit brachte er mich in Rage.

»Hör mal zu«, schüttelte ich ihn. »Wenn ich schwarz wäre, was für viele soviel wie Dreck bedeutet, wenn ich so wie du ganz unten säße, dann wäre, verdammt noch mal, meine Hautfarbe schon Grund genug, der beste Fußballer der Welt zu werden. Laß dich doch nicht so hängen, Mann. Zeig denen doch, was in dir steckt!«

Baffoe hatte leider nicht genügend Biß und nicht – wie ich – eine heftige Allergie gegen Demütigungen.

 

Abschlußball nach dem Tanzkurs. Ich war sechzehn. Hatte Schüchternheit und Tangoschritt erfolgreich überlistet. Die Mädchen waren nett – meine Fingernägel blitzblank. Ich genoß den Umgang mit gepflegten Altersgenossen, Cola und Sprudel sowie ein paar Eifersuchtsraufereien. Endlich der erwartungsvoll ersehnte Abschlußball. Das erste gesellschaftliche Ereignis. Und das erste Kleidungs-»Drama«. Mein Kommunionsanzug paßte schon längst nicht mehr. Gleichaltrige Cousins, bei denen ich mir einen Anzug hätte ausleihen können, hatte ich auch nicht. Es blieb nur Vaters guter Dunkelblauer.

»Kommt nicht in Frage«, protestierte ich bei Mutter. »Vaters Anzug sieht an mir aus wie ein Sattel auf’nem Schwein. Ich will einen eigenen!«

»Und mit welchem Geld willst du den bezahlen?« fragte Mutter. »Du bist wohl ein bißchen größenwahnsinnig.«

Zähneknirschend zog ich in Vaters frisch Aufgebügeltem los – mit Hosenträgern, weil die Hose viel zu weit war. Unter all den feingemachten und herausgeputzten Mitschülern fühlte ich mich wie der Dorfprolet. Selten habe ich mich so elend gefühlt. Ich kam mir vor wie ein »weißer Neger« – und war fest entschlossen, mich dieser Haut schleunigst zu entledigen.

 

Meine volle Konzentration steckte ich ins Training. Durch gezielte Fortschritte wollte ich in verschiedene Auswahlmannschaften kommen. Das hab ich auch geschafft: Kreis Düren – erste Stufe; Mittelrhein-Auswahl – zweite Stufe; Westdeutschland – dritte Stufe; Jugendnationalmannschaft – vierte Stufe. Es lief wie geschmiert bis Ende der 60er Jahre.

Trainer der Jugendnationalmannschaft war damals Herbert Widmayer; er hatte mich bei Turnieren beobachtet. Der entscheidende Moment kam während eines Spieles in der westdeutschen Jugendauswahl: am Ende des Turniers – Elfmeterschießen. Von fünf Schüssen hielt ich drei. Danach war mein Name plötzlich in aller Munde: »Schumacher, Schwarz-Weiß Düren, den Jungen muß man im Auge behalten.«

Die Schnüffelnasen der Vereine und des DFB waren hellwach. Meine Aufnahme in die Jugendnationalmannschaft war nur noch eine Frage der Zeit. Die meisten Jugendnationalspieler hatten sogar schon einen Vertrag mit einem der Bundesliga-Clubs. Jupp Röhrig, Jugendtrainer des 1. FC Köln, schlug mir dann eines Tages vor, in der A-Jugend Köln mitzuspielen. Ich war damals sechzehn und fühlte mich riesig geschmeichelt. Aber ich mußte das Angebot – widerstrebend – ablehnen.