Einwurf - Harald "Toni" Schumacher - E-Book

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Harald "Toni" Schumacher

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Beschreibung

März 1987: Toni Schumachers Buch »Anpfiff« erscheint. Seine »Enthüllungen über den deutschen Fußball« werden im In- und Ausland ein Bestseller. Doch Toni Schumacher, den besten Torwart der 80er Jahre, kosten sie den Job: Rauswurf aus der Nationalmannschaft, Rauswurf beim 1. FC Köln.

30 Jahre später: Toni Schumacher ist Vizepräsident des 1. FC Köln. Gemeinsam mit einem neuen Vorstand und dem Team um Trainer Peter Stöger hat er die Geißböcke aus der 2. Liga zurück in die Top 10 der Bundesliga geführt – die beste Plazierung seit 25 Jahren.

Jetzt erzählt Toni Schumacher, wie sein Leben nach dem »Anpfiff« verlief und was es persönlich bedeutet, den schwierigen Weg zu gehen. Zudem skizziert er, wer hierzulande für den ehrlichen und transparenten Sport steht und was getan werden muss, um den deutschen Fußball weiterzuentwickeln. Denn klar ist unter anderem auch, dass der Grat zwischen fortwährendem Doping und beschleunigter Regeneration schmal ist und dass die Liga ungebremst hunderte Millionen Euro für Spielerberater ausgibt. Bei alldem bleibt sich Toni Schumacher treu: Schreibt kritisch und visionär, offen und direkt.

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Seitenzahl: 250

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Das Buch

Erfolge erringt man nicht in der Komfortzone. Mit seinem ersten Buch Anpfiff hat Toni Schumacher Tabus gebrochen und radikale Veränderungen gefordert. Kurz darauf war für ihn nichts mehr, wie es war. Die Buchveröffentlichung hat zum Rauswurf beim 1. FC Köln wie auch aus der Nationalmannschaft geführt. Dabei ging es ihm damals wie heute nur um eines: Wahrheiten. In dieser Hinsicht ist sich Toni Schumacher treu geblieben. Doch aus dem kompromisslosen Rebellen ist ein besonnener Vermittler geworden, der mit klaren Überzeugungen den Profifußball als Vizepräsident des 1. FC Köln gestaltet und zugleich als Fan beobachtet.

Jetzt erzählt Toni Schumacher, wie sein Leben nach dem Karrierebruch verlief und was es persönlich bedeutet, den steinigen Weg zu gehen. Zudem zeigt er, wer hierzulande für den ehrlichen Sport steht und was getan werden muss, um den Fußball weiterzuentwickeln. Denn trotz Zuschauer-Boom und TV-Millionen ist nicht alles Gold, was im deutschen Fußball glänzt: Aus eigener Erfahrung weiß Toni Schumacher, wie schnell Ehrgeiz einen Menschen psychologisch aushöhlt und aus der Traumfabrik Bundesliga eine innere Sackgasse wird. Und aus eigener Anschauung skizziert Toni Schumacher, wie moderne Technik den Fußball und seine Protagonisten auf und neben dem Platz verändern wird und wie es allen Beteiligten gelingen kann, aus Nachwuchsfußballern starke Menschen zu formen. Denn zwei Lehren hat er stets vor Augen: Niemand ist größer als der Verein und kein Wettkampf ist größer als das Leben.

Ein Buch wie Toni Schumacher selbst: kritisch und visionär, offen und direkt.

Der Autor

Harald »Toni« Schumacher, geboren 1954, war von 1972 bis 1987 Torhüter des 1. FC Köln, wurde dort Deutscher Meister und Pokalsieger sowie mit 422 Einsätzen Bundesligarekordspieler, bis der Verein – und kurz danach die DFB-Führung – ihn nach der Veröffentlichung des Buches Anpfiff suspendierte. Daraufhin wechselte er im Sommer 1987 zum FC Schalke 04 und im folgenden Jahr zu Fenerbahçe Istanbul, wo er auf Anhieb als Mannschaftskapitän die Türkische Meisterschaft errang. Erfolgreich verlief die Zeit des zweimaligen Fußballers des Jahres auch in der Nationalmannschaft: Er wurde Europameister 1980 sowie Vizeweltmeister 1982 und 1986 – und dort nach Diego Maradona zum zweitbesten Spieler gewählt. Nach mehreren Stationen als Torwarttrainer ist Toni Schumacher seit 2012 Vizepräsident des 1. FC Köln und verantwortlich für den sportlichen Bereich.

TONI

SCHUMACHER

EINWURF

Wahrheiten über den Fußball

und mein Leben

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Copyright © 2017 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Thomas Bertram

Bildredaktion: Tanja Zielezniak

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Fotos von © Uli Grohs

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN 978-3-641-21613-9V001

www.heyne.de

Dieses Buch ist allen Fans des Fußballs gewidmet

Inhalt

Vorwort

Der Tag danach

Hart aber herzlich auf Schalke

Willkommen in Istanbul

WM-Titel – verpasste Chance?

Turniervorbereitung – damals und heute

Mission in München erfüllt

Seitenwechsel

Danke, BVB

Kein Glück mit der Fortuna

Trainer im Wandel

# Feiner Klub

Heimkehr zum FC

Peter Stöger

Köln is e Jeföhl

Gradmesser Fans

»Meine« erfolgreichste FC-Elf

Torhüter – Einzelkämpfer im Team

Schiedsrichter – ein undankbarer Job

Fußballer nach der Karriere

Nachwuchs – unsere Zukunft

Doping – Spiel mit gefährlichen Substanzen

Verletzungen – Geht nicht, gibt’s nicht

Der ganz private Toni Schumacher

Danke

Vorwort

Im Laufe eines Jahres besuche ich an die 60 Fanklubs. Eine Frage wird mir bei den Begegnungen immer wieder gestellt: »Was ist denn eigentlich passiert zwischen 1987 und 2012? Was hat dich so verändert? Warum bist du, wie du jetzt bist? Kein Rebell mehr, sondern jemand, dem man gerne begegnet und der für unseren Verein da ist.« Und: »Toni«, heißt es, »du musst doch noch mal ein Buch schreiben!«

Spontan dachte ich: »O Gott, soll ich am Ende wieder auswandern?« Zu sehr hatte der Anpfiff mein Leben auf den Kopf gestellt. Es brauchte deshalb einige Ermunterungen meiner Freunde und Familie, um mich auf das Buchprojekt Nummer zwei einzulassen. Ohne ihre unablässige Unterstützung hätte ich die Monate des Schreibens vielleicht nicht durchgehalten. Natürlich geht es auch in diesem Buch wieder um Fußball und um Wahrheiten im Fußball. Aber mehr noch geht es um mich selbst und meine eigene Wahrheit. Damit muss man sich dann sehr intensiv auseinandersetzen und das Ganze im Rückblick noch einmal verdauen.

Ich habe Zeit meines Lebens nach dem Motto gelebt: »Lieber ein Knick in der Laufbahn als im Rückgrat.« Das Motto steht noch, doch heute bin ich versöhnlicher geworden, man könnte auch sagen diplomatischer. Auch das wird dieses Buch widerspiegeln. Als es bei der Verlagssitzung zur Buchplanung ein klares Votum für Einwurf als Buchtitel für dieses Buch gab, war das natürlich mit der Idee verbunden, Anpfiff fortzusetzen. Trotzdem ist dieses Buch ein ganz eigenes, persönliches geworden.

Unter anderem soll es die Frage »Wo bist du eigentlich all die Jahre gewesen? Wie ging es dir?« zufriedenstellend beantworten. Danke an euch, dass ihr mich immer wieder nach meinem Verbleib gefragt habt. Danke für euer Interesse an mir. Ihr habt mich damit einmal mehr in meiner Heimat beim FC aufgenommen. Ohne eure Ausdauer wäre es zu dieser Auseinandersetzung mit mir und Anpfiff von 1987 sicherlich nicht mehr gekommen. Auch nicht zu der Frage, warum ich das alles geschrieben habe. Hatte ich mich damals überschätzt? Dachte ich, ich könnte die Fußballwelt verändern? Vielleicht ging es ja nie darum und ich wollte einfach nur die Wahrheit loswerden?

Ich hoffe, dieses Buch gibt auf eure und meine Fragen eine Antwort.

Toni Schumacher, im März 2017

Der Tag danach

The Day After heißt ein US-amerikanischer Fernsehfilm aus dem Jahr 1983, der auf beklemmend-realistische Art und Weise die Folgen eines atomaren Krieges zeigt. Das Ende der Welt, wie wir sie kannten.

Für mich gab es vor einigen Jahrzehnten einen ganz persönlichen »Tag danach«. Als der Spiegel am 23. Februar 1987 Auszüge aus meinem Buch Anpfiff veröffentlichte, war einen Tag später in meinem Leben nichts mehr, wie es vorher war.

Das Hamburger Nachrichtenmagazin hatte die Rechte zum Vorabdruck von Anpfiff exklusiv und hoch dotiert erworben. Am Montag, dem Erscheinungstag des Spiegel, sollte die Bombe platzen. Das Fatale: Die Bahnhofsbuchhandlungen bekamen den Spiegel immer schon am Sonntag. So auch am 22. Februar 1987. Ein gefundenes Fressen für alle Gazetten, deren Redakteure den Vorabdruck noch am gleichen Tag ausschlachteten. Aus der Exklusivstory wurde ein mediales Großereignis. Der Skandal war perfekt.

Die ersten Inhalte meines Zwischenfazits als Fußballprofi lagen also am Montagmorgen buchstäblich auf jedem Frühstückstisch.

Der Spiegel wollte die Leserschaft mit Häppchen anfüttern, Appetit auf das große Mahl machen. In meinem Falle galt: Von wegen Häppchen – es waren dicke Brocken, die der Öffentlichkeit hingeworfen wurden. Und für viele entpuppten sie sich als unverdaulich.

Der Tag danach … – © Imago (Sven Simon)

Schon die Spiegel-Headline genügte wohl, um dem konservativen, damals allgewaltig regierenden DFB-Präsidenten Hermann Neuberger den Appetit zu verderben. »Ich kam mir vor wie Schlachtvieh«, musste er dort lesen, noch verstärkt durch den Untertitel: »Nationaltorwart Toni Schumacher über Doping, Geld und Sex im deutschen Fußball«.

Die Atmosphäre, die von diesem Montag an um mich herum herrschte, ließ den heißesten Kaffee in den Tassen gefrieren.

Der Tag danach. Es war der Tag, an dem ich für lange Zeit die Rolle mit meinem Sandsack tauschte, diesem Trainingsutensil, das im Keller unseres Hauses hing und von mir nach jeder Niederlage, nach jedem Fehler erbarmungslos durchgeprügelt wurde. Teils, um mich selbst zu bestrafen, teils um meine aufgepeitschten Emotionen zu beruhigen.

Nun war ich der Sandsack. Und es gab niemanden – außer dem Spiegel natürlich –, der nicht auf mich eindrosch. Die bundesdeutsche Medienlandschaft mit der Bild-Zeitung an der Spitze nahm mich unter Dauerbeschuss. Das war ich als Torwart zwar gewohnt, doch statt Bällen kamen nun andere Geschosse auf mich zugeflogen. Schlagzeilen und Anfeindungen, scharf wie Messer. Nicht nacheinander, sondern alle auf einmal. Links, rechts, vor mir, hinter mir landeten die Einschläge, oft genug auch unter der Gürtellinie. Der Tenor: Nestbeschmutzer, Verleumder, Verräter, Denunziant. Lügner nannte mich keiner. Natürlich waren sie alle beleidigt, weil der Vorabdruck dem Spiegel verkauft worden und mein Ghostwriter kein »Kölscher Intimkenner«, sondern ein französischer Politik-Journalist und Romanautor war. Ich versuchte das dröhnende, niederschmetternde Echo auszublenden. Aus Selbstschutz. Las keine Zeitung mehr, ließ die Nachrichten ausgeschaltet. Hätte Edvard Munch sein weltberühmtes Bild »Der Schrei« nicht längst gemalt, ich wäre ein wunderbares Modell gewesen.

Ohne Verhandlung, ohne mich verteidigen zu können, wurde ich schuldig gesprochen. Statt als Held im Tor stand ich als Sünder am Pranger. Warum? Ich hatte die Wahrheit gesagt.

Meine Mutter hatte mir einen Rat mit auf den Weg gegeben: »Junge, du musst immer ehrlich sein.« Dass ich nun für die Wahrheit bestraft wurde, stellte mein Weltbild infrage. Ich wollte nicht schönfärben, ich wollte das Bild so malen, wie ich es sah. Fette Ölfarbe statt Aquarell.

Die Reaktionen darauf zeigten mir, wie oberflächlich die Welt sein kann. Jeden einzelnen Aspekt aus Anpfiff hatte ich vorher versucht, in unzähligen Gesprächen an den Mann zu bringen. Nicht mit dem Nachbarn oder dem freundlichen Taxifahrer. Nein, mit dem Trainer. Mit dem Manager. Mit dem Präsidenten. Mit dem DFB-Chef. Mit dem Teamchef. Mit Kollegen aus der Mannschaft. Mit Journalisten. Kurz: mit den Verantwortlichen. Die mich jetzt auf meinen Geisteszustand untersuchen lassen wollten.

Jeder von ihnen wusste, wie ich ticke, was mich bewegt, beunruhigt, stört, aufregt. Ich war, wenn man so will, für alle ein offenes Buch. Aber niemand reagierte auf den Inhalt. Was ich dort aufgeschrieben hatte, war mein Alltag. Das Buch war mein Instrument, auf die Missstände aufmerksam zu machen, die ich alleine nicht beseitigen konnte. Das Fass war übergelaufen, ich wollte alles loswerden. Nun stand es schwarz auf weiß zwischen zwei ockergelben Buchdeckeln. Und ich stand im Dauerregen der Empörung.

Es gab Kollegen, auch Funktionäre oder Journalisten, die riefen mich in den Tagen nach der Veröffentlichung an und gratulierten mir zu meinem Mut. Noch bevor ich mich für ihre Unterstützung bedanken konnte, baten mich meine »Freunde« im gleichen Atemzug um Anonymität: »Klar, Toni. Du hast recht. Aber das kann ich nicht öffentlich zugeben.« Stattdessen baten mich viele: »Bitte behandele unser Telefonat vertraulich.« Ich kam mir vor, als hätte ich die Beulenpest. Schöne Kumpel hatte ich in den vergangenen zehn Jahren um mich geschart. Das Erste, was ich durch die Veröffentlichung verlor, waren die Parasiten.

Umso mehr bedeuteten mir die Ausnahmen, die ich an den Fingern einer Hand abzählen konnte. Paul Breitner, der von mir hart kritisiert worden war, bezog Position für mich und redete in einem Interview mit dem Spiegel (Nr. 10/1987) Klartext: »Es ist verlogen, Doping abzustreiten.« Knallhart analysierte er die Fußballbranche der 1980er-Jahre: »Unter Fußballern gibt es keine Solidarität. Deshalb fallen Typen wie Toni und ich, die unbequeme Themen anreißen, auch immer wieder auf die Schnauze.« Mein Mitspieler Hans-Peter Lehnhoff, der als Youngster noch nicht zu den etablierten Profis beim 1. FC Köln gehörte, bewies in einem TV-Interview Zivilcourage: »Man kann zwölf Jahre doch nicht so einfach wegwerfen. Ich habe geheult, das durfte nicht passieren. Es war für ihn das Größte, für den FC zu spielen. Das war sein Verein, seine Stadt.«

Mein väterlicher FC-Präsident Peter Weiand – © BILD (Wilfried Hartmann)

Ausgerechnet der für meinen Rauswurf mitverantwortliche Geschäftsführer Michael Meier traf in einer WDR-Dokumentation mit drastischen Worten den Nagel auf den Kopf: »Toni hätte sich für seinen 1. FC Köln die Hand und den Kopf abhacken lassen. Mit dem Rauswurf haben wir ihm ein Stück seines Herzens herausgerissen.«

Peter Weiand, der damalige Präsident des 1. FC Köln, war nach der Veröffentlichung am Montagmorgen einer der ersten Anrufer. Er bestellte mich umgehend in sein Büro in der Lotto-Zentrale am Theodor-Heuss-Ring 13. In seine Regierungszeit beim FC fallen drei Pokalsiege (1977/1978/1983), das Finale des UEFA-Pokals 1986 gegen Real Madrid und die Deutsche Meisterschaft 1978, bis heute die beste Bilanz in der Klub-Historie. Im Hauptberuf war Weiand Geschäftsführer von WestLotto, er erfand das »Spiel 77«, war zudem Geschäftsführer der Westdeutschen Spielbanken GmbH und als FC-Präsident zeitgleich Boss des Leichtathletik-Klubs ASV Köln, den er – ebenso wie den FC – finanziell sanierte. Ein Multifunktionär alter Prägung.

Peter Weiand und ich pflegten ein nicht immer ganz einfaches, jedoch sehr emotionales und vertrauensvolles Vater-Sohn-Verhältnis. Ich mochte ihn. Er verhielt sich auch in diesem Fall aufrecht: »Toni, wir kommen nicht umhin, dich zu bestrafen. Wahrscheinlich läuft es auf eine Trennung hinaus«, eröffnete er mir ohne Umschweife. Ich war geschockt. Er offensichtlich auch. Von den Inhalten meines Buches wie von der Perspektive, mich zu entlassen. Kleinlaut fragte ich ihn: »Finden wir keine andere Lösung?« Er nahm mich in den Arm und antwortete: »Doch, Toni, eine Möglichkeit gibt es. Ich trete zurück. Dann muss ich dich nicht rausschmeißen.« Peter Weiand meinte das ernst. Seine große Geste überwältigte mich. Gleichzeitig stand für mich fest, dass ich das niemals akzeptieren würde. Ich antwortete: »Herr Weiand, der Vorschlag ehrt Sie. Aber Sie wissen genau, dass ich das nicht annehmen werde.« Der Präsident des FC durfte auf keinen Fall für mich zurücktreten. Niemand ist größer als der Verein. Und der durfte nicht führungslos durch diese Krise gehen. »Es ändert nichts an unserer Freundschaft, wenn Sie mich entlassen«, versicherte ich ihm.

Ganz ungeschoren ließ ich ihn allerdings nicht davonkommen: »Mein Rausschmiss hält mich nicht davon ab, auch weiterhin die Wahrheit zu sagen.«

Damals war ich nicht bereit, auch nur einen Meter zu weichen. Schließlich wird uns Torhütern der natürliche Reflex, in Deckung zu gehen, von Kind an abtrainiert. Instinktives Ausweichen wird ausgeschaltet. So wurde ich von Anfang an darauf konditioniert, keinen Schritt zurückzugehen, es sei denn, um Anlauf zu nehmen.

Ich stand wie eine Mauer zu allem, was ich geschrieben hatte. Relativieren, um meinen Job zu retten? Nein, das liegt nicht in meinen Genen. »Lieber ein Knick in der Laufbahn als im Rückgrat« – das ist mein Lebensmotto, nach dem ich auch meine drei Kinder erzogen habe. Etwas Authentischeres hätte ich ihnen nicht mit auf den Weg geben können.

So wuchs ich auf, so reifte ich vom Zappelphilipp mit der Figur einer Colaflasche zum »Fußballer des Jahres«. Schonungslos gegen alle – ja –, aber am meisten gegen mich selbst. Ich habe immer den schwierigeren Weg gewählt, nie die bequeme Lösung. Erfolge erringt man nicht in der Komfortzone.

Damals, im Februar 1987, wurde es richtig ungemütlich für mich. In den Augen der Öffentlichkeit hatte ich alle kritisiert, beleidigt, attackiert, vielleicht auch überführt. Mit Tabus gebrochen und für die herrschenden Verhältnisse unvorstellbare Veränderungen gefordert. Mich mit einem übermächtigen und unantastbaren System angelegt.

Aber: Ich bekam keine einzige einstweilige Verfügung, keine Verleumdungsklage. Weil alles, was ich in meinem Buch geschrieben hatte, stimmte.

*

Das Projekt Anpfiff war über Monate gereift. Der französische Journalist Michel Meyer wollte ursprünglich einen Film über mich drehen, irgendwann wurden die Gespräche so intensiv, dass er vorschlug, ein Buch daraus zu machen. Wir trafen uns, redeten, er nahm alles auf, und als er mir zwei Probekapitel vorlegte, erkannte ich mich wieder. Wie in einem blank geputzten Spiegel.

Am Ende kamen 30 Kassetten Material zusammen. Teile des daraus entstandenen Manuskripts sind heute im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund ausgestellt. Meyer arbeitete viele Jahre als Korrespondent des französischen TV-Senders Antenne 2 in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn, sprach perfekt Deutsch und betrachtete den Fußball aus einer anderen Perspektive als seine deutschen Kollegen. Vor allem aus Sicht der Franzosen. In deren Augen hatte Toni Schumacher 1982 in Sevilla durch das Foul an Patrick Battiston im WM-Halbfinale eine Wunde hinterlassen, die sich nicht schließen wollte. Während meiner monatelangen intensiven Gespräche mit ihm wurde mir klar: Ich wollte nichts mit Berechnung verbergen. Ich wollte die Abrechnung.

Ungefiltert, nicht differenziert und nur am Skandal interessiert, schlachteten die Medien die spektakulären Passagen des Buches aus. Aus unzähligen Gesprächen wusste ich, dass viele Journalisten im Bilde waren: über Doping, über die unprofessionelle Vorbereitung auf die WM 1982. Ich hatte offene Geheimnisse auch öffentlich gemacht. Mein Kommentar zu Olaf Thons Verhalten wurde zum Paradebeispiel undifferenzierter Berichterstattung. Er hatte 1986 während der WM in Mexiko die Wahl, sich nach seiner Verletzung im deutschen Camp behandeln zu lassen und die besten Fußballer der Welt vor Ort zu studieren oder nach Hause zu fahren. Er fuhr nach Hause. Aus meiner Sicht eine dumme Entscheidung. Die Journalisten machten daraus »doof«. Ein feiner Unterschied mit großer Wirkung auf die öffentliche Meinung über mich.

Nicht die Missstände wurden beseitigt, sondern derjenige, der sie offen angesprochen hatte. Das Volk liebt den Verrat, aber es hasst den Verräter. Ich wurde zur Persona non grata. Und die Reporter pressten sich die Hände vor die Augen. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte. Toni Schumacher wollte die schöne heile Fußballwelt kaputt machen? Nicht mit uns! Ich hatte ein Schlachtfeld beschrieben, wo sie eine Blümchenwiese sehen wollten. Es gab Journalisten, von denen ich annahm, sie hätten Mumm und den entsprechenden Rückhalt in ihrer Redaktion. Von denen ich glaubte, sie würden meine Thesen nach dem ersten Sturm journalistisch differenziert aufgreifen – sie haben es nicht einmal versucht. Die wenigen, die nicht auf mich eindroschen, blieben Schaulustige, anstatt Position zu beziehen. Vielleicht habe ich sie mit der Fülle an Informationen und Kritik überfordert.

*

Das Erscheinen des Vorabdrucks von Anpfiff leitete einen emotionalen Sinkflug ein, der mit einer Bruchlandung endete.! Ich hatte die Auswirkungen unterschätzt. Die Vorstellung, nie mehr für die Nationalmannschaft und meinen 1. FC Köln spielen zu dürfen, fraßen sich wie Monster durch meine Eingeweide. Der FC und die Nationalmannschaft waren mein Leben. Für das eine wie das andere hatte ich gekämpft, alles gegeben. Mit Verletzungen im Tor gestanden, mit denen sich viele wochenlang ins Bett gelegt hätten.

Mein Kartenhaus stürzte mit großem medialen Getöse ein. Wenn es stimmt, dass jeder Mensch der Architekt seiner eigenen Zukunft ist, dann hatte ich mir eine frei schwebende Außentreppe ohne Geländer gebaut, auf der ich nun in schwindelerregender Höhe balancierte.

Franz Beckenbauer vermittelte mir zunächst den Eindruck, ich könne weiter Nationalspieler bleiben. »Nächste Woche wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben, mach dir keine zu großen Sorgen«, beruhigte mich der Teamchef, der das Buch zu diesem Zeitpunkt noch nicht komplett gelesen hatte.

War es der Druck der Presse und der Funktionäre, der ihn später umdenken ließ? Ich habe ihn nie gefragt. Es hätte nichts geändert. Paul Breitner sagte später dazu im Spiegel: »Franz Beckenbauer war in einer schwierigen Situation. Er weiß, der Toni hat recht, er musste aber auch die Interessen des Deutschen Fußball-Bundes vertreten.«

In Köln wurde unterdessen öffentlich geredet, verhandelt, gestritten, besänftigt, angeklagt. Die Gespräche liefen mit mir und ohne mich, vor allen Dingen aber aus dem Ruder. Und immer mit dem Ziel, mich loszuwerden. Obwohl ich im Herbst 1986 für den Nachwuchstrainer Christoph Daum als neuen Profitrainer plädiert hatte, war mir klar: Er kann gut auf mich als kritischen Platzhirsch verzichten. Gar nicht unverständlich für einen ehrgeizigen Newcomer wie ihn. Mein Nachfolger stand parat, Daum baute auf Bodo Illgner, auch weil er wusste, dass er mit ihm so oder so kein Risiko einging.

Mein doppelter Rausschmiss kam im März 1987.

Die »Trennung in beiderseitigem Einvernehmen« wurde am 4. März, Aschermittwoch, in Köln von Präsident Peter Weiand bekannt gegeben – welche Ironie für einen bekennenden Jecken wie mich. Der DFB zog zwei Tage später nach, am 6. März, meinem 33. Geburtstag. Empathie pur. Franz Beckenbauer und DFB-Präsident Hermann Neuberger verkündeten die Entscheidung in Frankfurt.

Die Situation beim 1. FC Köln gestaltete sich in diesen Tagen surreal. Mein bis 1989 laufendes Vetragsverhältnis wurde zum 30. Juni 1987 aufgelöst. Trotz der »Trennung«, die faktisch ein Rauswurf war, wollte man noch eine Ablöse für mich kassieren und fixierte einen Betrag im sechsstelligen Bereich. Doch noch war ich da, und tatsächlich war ich nicht gesperrt. Bis zum Ende der Saison wurde ich – ganz unüblich – nicht von der Mannschaft separiert. So trainierte ich weiter – meistens mit Torwarttrainer Rolf Herings, aber auch mit den Kollegen. Ich brüllte im Training wie ein Stier, feuerte die Jungs an, gab keinen Ball verloren, mahnte, lobte, motzte, schnauzte herum – wie ein Spielführer das macht. Ich war ein König ohne Reich, ein Herrscher ohne Volk, ein Kapitän ohne Mannschaft. Machten sich die Profis des 1. FC Köln für das nächste Spiel fertig, bat Christoph Daum zur Besprechung, legte der Zeugwart Trikots und Schuhe raus – dann fuhr der Rekordspieler des 1. FC Köln mit 544 Pflichtspieleinsätzen in 15 Jahren nach Hause. Wer meinen Ehrgeiz kennt, weiß, was in mir vorging.

FC-Präsident Peter Weiand verkündet meinen Rausschmiss – © BILD (Wilfried Hartmann)

Als mein ehemaliger Berater Rüdiger Schmitz erfuhr, dass ich an einem neuen Buch arbeite, stand er prompt vor der Tür und brachte mir einen Ordner, in dem das geballte Medienecho auf Anpfiff abgeheftet war. Ich sollte mir das mit dem Buch besser noch einmal überlegen, scherzte er. In der Tat: Die Lektüre der Zeitungsausschnitte verdeutlichte mir noch einmal die feindselige Atmospäre von 1987. Wie ein gehetztes Tier sah ich mich allein und ohne Deckung auf der Lichtung, um mich herum zahllose Jäger mit der Waffe im Anschlag. Das war die eine Seite. Auf der anderen standen wie eine Mauer meine Fans. Bei jeder Abstimmung, egal in welchem Medium, sahen sie in mir die ehrliche Haut, die jetzt zu Markte getragen wurde. Mehr als 3 000 Briefe schrieben sie an den Vorstand des 1. FC Köln, alle mit der Forderung: »Toni muss beim FC bleiben.« Und das zu einer Zeit, als man noch nicht einfach seinen Kommentar im Internet abgeben konnte.

Die Fans stehen zu mir – © Imago (Ferdi Hartung)

*

Was damals im März 1987 geschah, hatte ich so nicht gewollt. Heute, mit der Erfahrung aus 30 Jahren, sage ich mir, ich hätte noch hartnäckiger, noch intensiver das Gespräch mit meinen Kollegen und den Verantwortlichen suchen müssen. Nicht irgendwann frustriert aufgeben und ein Buch schreiben. Vielleicht hätte ich auf diese Weise schneller mehr erreichen können, wenn auch leiser. Aus heutiger Sicht stellt sich mir immer wieder eine zentrale Frage: Warum habe ich nach dem Vorabdruck nicht darauf bestanden, zeitnah mit einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit zu gehen? Vor den versammelten Medienvertretern hätte ich mich deutlich erklären können. Das wäre die Gelegenheit gewesen, meine Kritiker coram publico daran zu erinnern, dass wir über alle Themen des Buches lang und breit gesprochen hatten.

Die Antwort darauf, was ich hätte anders, besser machen können, führt zu der Überlegung, was die anderen hätten anders, besser machen können. Warum organisierten mein Manager und die Funktionäre von Klub und Verband ihrerseits keine Pressekonferenz, um die strittigen Fragen zu klären? Warum zogen sie es vor, eine Personalie abzuwickeln, anstatt einen wichtigen Spieler zu schützen?

Damals war ich mitunter so verzweifelt, dass ich mir sogar Trost von einem Shakespeare-Zitat im Abreißkalender holte: »Ein tiefer Fall führt oft zu höherm Glück!« Sollte dies auch für mich gelten? Wie würde es weitergehen nach diesem Skandal? Würde mir ein Verein noch einmal Vertrauen schenken? Mein sportlicher Ehrgeiz war ungebrochen. Das Schicksal hatte mir die rot-weiße Brille von der Nase gerissen. Doch als sich nach der Explosion der Rauch verzogen hatte, sah ich neue Perspektiven. So machte ich mich auf den Weg …

Hart aber herzlich auf Schalke

Mein doppelter Rausschmiss reichte einigen Kräften im Deutschen Fußball-Bund nicht. Sie wollten verhindern, dass ich jemals wieder in Deutschland Fußball spielte. Hans Kindermann, der damalige »Chefankläger« des DFB, war einer von ihnen. Ich war fassungslos. Mir auch noch die Existenzgrundlage zu entziehen – das ging entschieden zu weit. Ich zog die Reißleine und spielte das schmutzige Spiel gezwungenermaßen mit: Dezent wies ich darauf hin, dass ich meine »Freizeit« nutzen würde, um ein zweites Buch zu schreiben. Im Vergleich dazu würde sich Anpfiff wie »Hänsel und Gretel« lesen. Ich hörte nie mehr etwas von einer lebenslangen Sperre.

Der erste Verein, der mich nach dem Erscheinen meines Buches verpflichten wollte, war der FC Schalke 04. Rolf »Rolli« Rüßmann sprach mich an. Der ehemalige Nationalspieler war soeben Manager der Königsblauen geworden. Allerdings gab es ein Problem zwischen Schalke und mir, das zuerst gelöst werden musste.

Olaf Thon, den ich in Anpfiff kritisiert hatte, war der große Hoffnungsträger und Fanliebling auf Schalke. Er hatte zunächst mit einem Anwalt gedroht, doch als die Klubbosse ihm signalisierten, dass sie mit mir über eine gemeinsame Zukunft sprechen wollten, kehrte in Rekordzeit Ruhe ein. Da war ihm – angesichts der Schalker Probleme auf der Torwartposition – das Hemd näher als die Hose. Ich machte Olaf klar: »Ich komme nur, wenn wir an einem Strang ziehen.« Wir gaben uns die Hand, die Sache war vergessen. Die Gespräche konnten starten.

Der FC Schalke 04 war nicht der einzige Klub, der mich verpflichten wollte. Zwei französische Vereine hatten sich ebenfalls gemeldet.

Frankreich, ausgerechnet Frankreich. Das Land, das in mir den Inbegriff des hässlichen Deutschen, ein Monster sah. Allein der Gedanke, in jedem Stadion ausgepfiffen zu werden – genial. Der Hass, der mir aus gegnerischen Kurven entgegenschlug, hatte mich noch nie gelähmt. Ich drehte ihn um in Motivation, steigerte damit meine Konzentration. Umgehend engagierte ich eine Sprachlehrerin und begann Französisch zu lernen.

Fünf Jahre lag das Foul an Patrick Battiston zurück, ich hatte mich bei ihm entschuldigt, und wir versöhnten uns vor laufenden Fernsehkameras. Schon im April 1984, als wir mit der deutschen Nationalmannschaft in Straßburg erstmals nach dem WM-Halbfinale von Sevilla wieder auf Frankreich trafen, spürte ich, dass die Franzosen trotz aller Vorbehalte sportliche Leistung respektieren. Im Meinau-Stadion herrschte vor dem Anpfiff eine hochaggressive Stimmung. Wegen der »Bestie von Sevilla«. Verbale Anfeindungen, Nazi-Vergleiche auf Transparenten, der Höhepunkt ein Galgen hinter dem Tor mit mir als Gehenktem. Schon beim Warmmachen war ich Freiwild. Obst, Dosen, Becher, sogar Kracher flogen in meine Richtung. Der übertragende TV-Sender hatte zwei zusätzliche Kameras im 16-Meter-Raum aufgebaut, um meine Reaktion einzufangen. Wir verloren 0:1. Dennoch war ich nach 90 Minuten regelrecht euphorisiert. Die Niederlage schmerzte nicht. Dieses eine Mal nicht. Ich hatte es in diesem Spiel geschafft, den Großteil der 50 000 Zuschauer auf meine Seite zu ziehen, teils mit sportlicher Leistung, sicher aber auch durch die versöhnlichen Gesten mit Patrick Battiston. Ich hatte gewonnen – den Respekt der Franzosen.

Ich fühlte mich wohl in der Höhle des Löwen. In zwei Abendshows im französischen Fernsehen lernten die Franzosen mich besser kennen. In beiden Sendungen ließen die Macher die Zuschauer per Telefon abstimmen, für wie glaubwürdig sie den Gast aus Deutschland hielten. Beide Male schlug der Pegel zu meinen Gunsten aus.

Einer der zwei interessierten französischen Vereine kam nicht infrage wegen der fehlenden internationalen Schule für meine Kinder. Der zweite Klub unterschätzte meine kompromisslose preußische Disziplin und entschied damit über meinen nächsten Lebens- und Karriereabschnitt. Wir hatten uns für einen Montag im Mai um neun Uhr am Pariser Flughafen »Charles de Gaulle« verabredet. Pünktlich erwarteten wir unsere Verhandlungspartner am Treffpunkt. Gleichzeitig stand ich bei Rolf Rüßmann mit einer Entscheidung im Wort. Ich hatte ihm meinen Anruf für elf Uhr versprochen, rechtzeitig zur Vorstandssitzung. Wer leider nicht rechtzeitig kam, waren die Franzosen. War es Laissez-faire? Oder waren es unglückliche Umstände? Für mich machte das in diesem Moment keinen Unterschied. Ich bin ein Mensch, der zu seinem Wort steht, der seine Verabredungen einhält. Unpünktlichkeit empfinde ich als respektlos.

Um Punkt elf Uhr rief ich Rüßmann an: »Rolli, alles klar. Ich komme. Mach die Verträge fertig.« Auf dem Weg zurück zum Gate sprachen mich zwei Franzosen an: meine potenziellen Verhandlungspartner. Ob ich »Sorry« oder »Pardon« sagte, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls teilte ich ihnen mit, dass der Zug abgefahren sei. Ohne sie. »Das geht nicht«, insistierte einer der Herren verzweifelt. »Doch«, erwiderte ich, »das geht. Sie sind zu spät.«

Wie sehr Frankreich mich auch gereizt hätte, meine Prinzipien ließen keine andere Entscheidung zu.

Das Schalke, das mich verpflichtete, war nicht vergleichbar mit dem Zuschauermagneten von heute. 1987 war der Verein Bundesliga-Dreizehnter, der Trend zeigte abwärts. Der siebenmalige Deutsche Meister steckte in einer tiefen Krise.

Der Kader war eine bunte Mischung aus alternden Stars (wie Klaus »Tanne« Fichtel oder Rüdiger Abramczik) und jungen Talenten. Mittendrin Olaf Thon, auf Kohle geborener Hoffnungsträger, sportlich und finanziell. Die »Knappen« plagten Schulden in Höhe von fast acht Millionen Mark, Thon galt als Fallschirm für den Fall des sportlichen Absturzes. In dieser Situation hätte seine Ablöse die Insolvenz verhindert.

Wie »sensibel« man damals auf Schalke mit vertraulichen Daten umging, erlebte ich im Frühjahr 1988. Die gerade auf dem Markt platzierte Zeitschrift Sport Bild veröffentlichte auf dem Titelblatt »exklusiv« mein Gehalt: »Schumacher – Schalke zahlt ihm 510 000 Mark pro Jahr!«

Dagegen war nichts zu sagen, die Summe stimmte. Jetzt wusste man auch in Köln, dass der Verstoßene mehr als das Doppelte verdiente. 220 000 Mark pro Jahr hatte mir mein Sechs-Jahres-Vertrag mit dem FC gebracht. Kein Trost für mich, lieber wäre ich für weniger Geld beim 1. FC Köln geblieben.

Sportlich lief es katastrophal. Auf den emotionalen Tiefpunkt meiner Karriere folgte der sportliche. Die Saison 1987/88 endete mit Schalkes drittem Abstieg in die 2. Liga innerhalb eines Jahrzehnts.

Unglaubliches Verletzungspech zwang die Trainer immer wieder zu Umstellungen. Die Mannschaft konnte keine Einheit werden. Ein einziger Spieler im Kader spielte diese Saison durch – das war ich. Der 41-jährige Fichtel lief noch elfmal auf, einzig Olaf Thon versprühte so etwas wie Glanz, erzielte in 28 Spielen 14 Tore. Reihenweise verletzten sich die Routiniers, die das Gerüst bilden sollten. Irgendwann wurde es selbst Trainer Rolf Schafstall zu viel, der eines Tages in die Kabine kam und wieder einmal zusehen musste, wie sich einige Spieler fit spritzen ließen: »Lasst es sein, Jungs. Ich kann nicht mehr sehen, wie ihr eure Gesundheit ruiniert.«

Voller Einsatz auf Schalke – © Imago (Ferdi Hartung)