Anthologien des Lebens - Ralf-Peter Nungäßer - E-Book

Anthologien des Lebens E-Book

Ralf-Peter Nungäßer

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Beschreibung

Für alle, die wissen wollen, wie man eine neue Ansicht über die Dinge bekommt, sei mit den Worten von Hermann Hesse gesagt: Neu und schöner blickt einem die Welt ins Auge, wenn man sich auf den Kopf stellt. Und wenn der auf dem Kopf stehende sich wieder auf die Beine stellt, dann blickt ihm die Welt doppelt so schön ins Auge. Willst du also deine Blickrichtung ändern, dann genügt meist schon eine kleine Kopf-Bewegung!

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Für all jene,

die eine tiefe Freude

an den Blüten des Lebens empfinden.

Inhalt

Vorwort

Das Ihnen vorliegende Büchlein „Anthologien des Lebens – Kaleidoskopische Perspektiven“ beschreibt die unterschiedlichen Facetten der Wahrnehmung und Beurteilung ausgewählter Situationen. Hier geschehen die Dinge einfach, entweder eher zufällig oder vorbestimmt, ganz gleich, die Dinge sind wie sie sind. Sie sind nicht richtig, sie sind nicht falsch. Wer die Dinge aus seinen Augen sieht, der sieht sie so wie sie für ihn sind. Das Ausmaß dieser Erkenntnis lässt sich im Alltag bereits daran ermessen, dass, wenn mehr als eine Person das Gleiche tun, das noch lange nicht dasselbe ist. Lassen Sie fünf Ärzte über ein Symptom und die dazugehörige Heilungstherapie entscheiden und Sie erhalten fünf ungleiche Diagnosen zum selben Krankheitsbild. Oder wenn Erzieherinnen untereinander die sinnvollste pädagogische Strategie diskutieren, dann erhalten Sie von jedem der Fachkräfte eine unterschiedliche Expertise zur Sache. So lässt sich diese Latte hinsichtlich differenzierter Ansichten unendlich weiterspinnen: Die Kirchenideologen mit ihren konkurrierendem Christenbildern, die Philosophen mit ihren jeweils einzig wahren Erkenntnistheorien, die Designer, die ein jeder für sich einen anderen Geschmack haben oder die Wissenschaftler, die allesamt in ihrer Fakultät der Meinung sind, dass nur sie alleine die ultimative Erklärung für das Leben haben.

Nun, das Spektrum des Lebens ist so vielfältig wie das Universum selbst. Da reicht die Anzahl der Menschen auf unserem Planeten lange nicht aus, um ein umfassendes Bild des Daseins und des Lebens mitsamt seiner Vielfältigkeit zeichnen zu können. Und selbst ein Menschenleben schafft es nicht, die ganze Bandbreite der Informationsvielfalt in sich aufzunehmen. Und dennoch sind wir Menschen allesamt von Natur aus darauf ausgerichtet, von Leben etwas haben zu wollen, an den irdischen Errungenschaften sinnvoll teilzuhaben, wir wollen mitgestalten an den Entwicklungen der Menschheit, wir setzen alles daran, Fußspuren zu hinterlassen, um am Ende nicht spurlos vom Erdboden zu verschwinden. Wer möchte nicht an Gottes Seite sitzen und auf ein erfülltes Leben blicken, von dem auch andere, im Himmel wie auf Erden, sagen können: Schaut, welch ein Geist unter den Menschen!

Postmoderne Anthropologen sehen den Menschen als ein Wesen mit konstruktiver Wirksamkeit in der Realität. Fürwahr: Du bist was du denkst. Das hatte Hermann Hesse längst in seiner chinesischen Legende erkannt und hierzu geäußert: „Es gibt die Wirklichkeit, ihr Knaben, und an der ist nicht zu rütteln. Wahrheiten aber, nämlich in Worte ausgedrückte Meinungen über das Wirkliche, gibt es unzählige. Und jede ist ebenso richtig, wie sie falsch ist.“ Dabei kommt es letztlich gar nicht so sehr darauf an, ob wir mit unserer Sichtweise richtig liegen oder nicht, vielmehr hat es eine wesentlich höhere Wertigkeit, wenn wir eine Erkenntnis darüber haben, dass das, was man denkt, wie man handelt, stets Wirkungen auf einen selbst und auf seine Umwelt hat - ganz gleich was es auch ist, egal was andere davon halten, immer muss man das, was man denkt und tut, vor sich selbst vertreten können. Richtig oder falsch liegt also immer im Sinne des Betrachters. Es wird immer Menschen geben, die größer oder kleiner sind als du, weiser oder törichter, reicher oder ärmer, herzlicher oder herzloser, dicker oder dünner. Jeder wirkt in Raum und Zeit so wie er ist – allein das zählt.

Die Wahrnehmung des Lebens ist von der Perspektive des Betrachters abhängig. Und die ist nicht monokausal, also nicht einseitig, sondern universell vielfältig und kann sich sogar widersprechen. In diesem Sinne erzählt das Büchlein von unterschiedlichen Phänomenen des Lebens. Für uns gibt es keine political correctness, kein Trend, keine moralischen Vorgaben und kein Tabu. Was gesagt ist, ist gesagt – so wie es dort steht. Alles andere sind Ihre Interpretationen oder die der anderen. Wir zeichnen uns nicht für Ihre Gedanken verantwortlich, sondern nur für das, was wir wörtlich niedergeschrieben haben. So wie die Geschichten dort wörtlich niedergeschrieben stehen, erwachen die Vorstellungen über das imaginär Erlebte ganz einzigartig innerhalb Ihrer eigenen Vorstellung. Niemand liest das Geschriebene so wie Sie. Wenn Sie Rot als Grün wahrnehmen, wenn für Sie Fünf gerade ist, dann ist das so. Es wird immer Leute geben, die gegen das sind was geschrieben oder gesagt wird und es wird immer welche geben, die dafür sind. Wahr ist, was Sie für wahr erachten und nicht was andere davon halten. Die anderen Menschen sind einzig und allein von uns selbst zugelassene Wegbegleiter. Und so verstehen wir auch das Büchlein: Als geistiger Begleiter Ihrer eigenen kaleidoskopischen Gedanken. Mehr nicht.

Viel Spaß beim Lesen!

Das wünschen Ihnen

Ralf-Peter Nungäßer & Angela Nungäßer

Zwischen Kopf und Bauch

Wer kennt nicht all jene Situationen, über die man im Nachhinein betrübt ist, weil man sie in dem Moment des Erlebens auf irgendeine Art und Weise nicht festgehalten hat? Doch, was irgendwie bleibt, ist der verstaubte Schuhkarton unter dem Schrank mit all den vielen verblassten Fotos und Briefen von ehemaligen Freunden, Bekannten oder einem irgendwie einmal nahestehen Menschen und ein leises Bedauern überkommt einen plötzlich darüber, dass man sich an so manche eigens hervorragend verfassten Briefe erinnert, sie aber nicht mehr vor sich liegen hat und auch nicht mehr zurückbekommen kann, weil die ehemaligen Empfänger nun nicht mehr erreichbar sind. Oder da sind so manche tiefsinnigen Gespräche mit einem lieben Menschen, oder Situationen, die plötzlich das eigene Leben verändern, oder einfach nur Geistesblitze während eines Spaziergangs oder im Bus zur Arbeit... Nichts von alledem hat man festgehalten. Was bleibt, sind nur noch blasse Ahnungen von diesem und jenem, womöglich noch mit der nötigen Verklärung oder erinnerungsbedingten Verzerrungen.

Was tut man also nach solch leidvollen Erfahrungen? Man beginnt die aktuell geschriebenen Briefe zu fotokopieren, gute Gespräche und prägnante Situationen im Anschluss aufzuschreiben oder bestimmte Eindrücke irgendwie kreativ zu verarbeiten, um die unmittelbare Erfahrbarkeit aufgrund ihrer Vergänglichkeit als Lebenszeugnisse zu dokumentieren. Und wenn man dann die Briefe ehemals nahestehender Menschen aus dem Schuhkarton nach Jahren noch einmal liest oder sich die vergilbten Bilder anschaut, beginnen die ersten Gehversuche, die Situationen und mögliche Briefwechsel zu rekonstruieren. Plötzlich ist ein Stein ins Rollen gekommen und man beginnt sein Leben aufzurollen oder gar von nun an ein Faible fürs Schreiben, Malen oder Ähnliches zu entwickeln. Es entstehen mit einem Male seitenlang wahre oder fiktive Geschichten, gedichtähnliche Verse, Gemälde und Musikstücke. Sicherlich alles nichts Professionelles, womöglich eher profan und aus dem Leben gegriffen, aber die Kreativität hat sich von nun an zu einem Selbstläufer entwickelt. Sie dient ab sofort mitunter als Spiegel der großen Fülle aller Erlebnisse, die sich alltäglich in uns “Zwischen Kopf und Bauch” abspielen. Das Erlebte bricht sich seine Bahn ins Bewusstsein und will gewürdigt werden. Schließlich hat der Schöpfer sich ja auch irgendetwas dabei gedacht, als er uns erschaffen hat.

Und so erhebt sich in Anbetracht der sich allmählich verblassenden Erlebnisse und Erfahrungen nach und nach die Erkenntnis, dass das Leben sich irgendwo zwischen Kopf und Bauch abspielt. So genau weiß das sowieso niemand. Aber das Denken und das Fühlen treten als zwei Eigenschaften auf, die es scheinbar einfach nicht schaffen, vernünftig miteinander umzugehen und auszukommen. Zumindest ist das bei mir so. Der Kopf sagt nein, der Bauch ruft ja – oder umgekehrt – und dazwischen herrscht entweder blinder Aktionismus oder lebhafte Agonie. Und wenn ich dann Gott – als mein Schöpfer – um Rat frage, schüttelt der nur lächelnd seinen Kopf und sagt: „Höre auf dein Herz, denn es sitzt zwischen deinem Kopf und deinem Bauch!“ OK. Schauen wir mal, wie das so geht, senn sich dazwischen alles dreht in kaleidoskopischen Perspektiven…

Das Kaleidoskop

Es saß eine Fliege früh morgens, kurz nach Sonnenaufgang, behäbig auf einem Fenstersims im ersten Stockwerk des Rathauses der Stadt am Rande des Marktplatzes und schaute gemächlich den Leuten bei ihrer treibenden Geschäftigkeit zu. Ihre Facettenaugen flatterten nervös hin und her beim Scan der Szenerie auf dem von links und rechtsrennenden Menschen beherrschten Marktplatz, immer den Fokus darauf ausgerichtet, ein Opfer zu finden, welches sie summend umrunden kann, um einen Flecken zu finden, auf dem sie sich kamikazeartig zum gierigen Ergriff verfallenen Festmahls niederlasen kann.

Auf dem einen Auge beobachtete sie eine Mutter wie sie an ihrer rechten Hand ihre kleine Tochter hinter sich herzog und ihr mit einer abrupten Drehung nach unten zugeneigt ins Gesicht zischte, dass sie doch bitteschön schneller gehen solle, weil sie sonst nicht ihren Bus bekommen würden. Leicht genervt von kindlicher Unbedarftheit des Mädchens sowie gegenüber der unwilligen Situation, zieht die Mutter ihren Schritt an, den Blick straff geradeaus gerichtet und den Mund spitz angezogen geradezu auf die Bushaltestelle zuhaltend. Das kleine Mädchen indes schaute unerschütterlich fröhlich drein, sich nicht von den Ermahnungen der Mutter beirren lassend und sich unvermittelt dem festen Griff der Mutter entreißend, zog es vor, die Zeit stehen zu lassen und kniete sich ganz langsam auf das Kopfsteinpflaster nieder, um einen winzigen Käfer, der ihr über den Weg krabbelte, ihre volle Aufmerksamkeit zu widmen. Während die Mutter bei der Bushaltestelle ankam und überrascht um sich blickte, im Wahn der Schrecksekunde dem Entsetzen einen adäquaten Ausdruck zu verleihen ob der für sie ärgerlichen Situation des unsinnigen Verhaltens ihrer Tochter, schrie sie mit schmerzverzerrter Mimik über den gesamten Marktplatz in schriller Tonlage ihrem Abkömmling entgegen, sich auf der Stelle in Bewegung Richtung Bus zu setzen. Am Mädchen schienen die Töne unverhallt vorbeizuschwingen, denn sie hielt den Käfer in ihrer linken Hand und schien eine Anstalt in Richtung Mutter zu machen, dass sie etwas für sie sehr wichtiges gefunden habe, was sie ihr auf keinen Fall vorenthalten wolle noch zu zeigen. Während das Mädchen noch zur Mutter rannte, hob der Käfer in ihrer Hand langsam ab und flog in entgegengesetzter Richtung davon. Das Mädchen drehte sich indes innerhalb des Rennvorgangs nach hinten, um dem Käfer nachzublicken und ein leises goodbye nachzurufen, da schnappte sie unvermittelt eine harte Hand von hinten am Kragen und lenkte die Laufbewegung des Mädchens unsanft in Richtung sich gerade schließender Bustür. Mit einem letzten Sprung schaffte es die Mutter gerade noch, sich und Tochter in den Bus zu hieven. Während die Fliege interessiert beobachtete, wie die Mutter noch auf dem Weg zu einem Sitzplatz wild gestikulierend an ihrer Tochter hantierte, erhaschte ihr anderes Auge eine weitere lebhafte Szenerie menschlichen Treibens.

Auf der anderen Seite des Markplatzes, erhob sich ein zerlumpt gekleideter Mann mit Rauschebart von der Bank, auf der er soeben aus seinem nächtlichen Schlaf erwachte. Noch während er sich den Schlaf aus den Augen rieb und den Zigarettenteer aus den Lungen hustete, schüttelte er sich, als wolle er sein Schicksal von sich abwerfen, doch das wollte ihn nicht verlassen und hing an ihm wie eine Klette. Noch schlaftrunken registrierte er aus schmalen Schlitzen seiner verklebten Augen die im Eilschritt an ihm in großen Bogen vorbeihuschenden Leute. Er kennt das schon: den verschämten Blick der Menschen weg aus seinem Dunstkreis. Als würde das allmorgendliche Publikum alias Marktüberquerer den üblen Geruch seiner Kleidung schon von weitem Wahrnehmen und naserümpfend, am liebsten unsichtbar, aus seinem Blickfeld so rasch wie nur möglich entweichen. Als er sich nach links drehte, um im an der Bank installierten Mülleimer nach etwas essbaren Ausschau zu halten, fiel im sofort etwas Sonderbares auf, dass er in dieser Form in einem Abfalleimer nicht erwartet hatte. Sein Herz begann zu rasen und seine Beine fingen an zu zittern, während in seinem Bauch eine Schar bunter Schmetterline ihre Runden flog. Er saß starr auf der Bank, atmete kaum und ganz flach, den Kopf bewegungslos nach vorn gerichtet und die Augen kreisten von links nach rechts, als würde er sich unsichtbar machen wollen, damit niemand seine Aufregung wahrnehmen konnte, die er nun empfand, weil er vermutete, dass der ungewöhnliche Gegenstand seinen Tag heute retten könnte, heute, morgen und vielleicht sogar übermorgen auch noch, oder gar sein weiteres Leben? Nachdem der erste Schwung an morgendlichen Pendlern in den Bussen saß, wurde ihm noch eine schrille Stimme einer Frau am anderen Ende des Marktplatzes gewahr. Er beobachtete noch ein rennendes Kind und griff mit einer hastigen Bewegung in den Dreckkübel und fischte dort eine Geldbörse heraus, die er sogleich ganz verstohlen unter seinen löchrigen Pullover steckte. Dann saß er wieder ganz starr auf seinem Platz, als wäre nichts geschehen. An ihm vorbei huschte ein Käfer, der sich noch auf seine Wange setzen wollte, doch erschlug er diesen mit einem Klatsch und warf ihn hinter sich auf die Wiese. Da nun alle Busse die Pendler zur Arbeit transportierten und der Marktplatz menschenleer war, zog er langsam das Portemonnaie unter seinem Pulli hervor. Er hielt es eine Weile in der Hand, die wie zu einem Gebet gefaltet zum Himmel schreien möchte: Lass mich reich sein, Herr, bitte! Er öffnete mit zitternden Händen gemächlich die beiden Lederwangen. Er schloss die Augen, hob den Kopf nach oben, ertastete das innere Börsenfach und …, die Spannung stieg ins unermessliche…, griff ins Leere. Der enttäuschte Clochard sprang auf und warf das Ledertäschchen voller Wut auf den Marktplatz. Die Fliege jedoch beobachtete nun mit beiden Augen eine hochinteressante Szene.

Noch im Flug der Geldbörse kam eine Elster am Marktplatz vorbeigeflogen und schnappte sie sich bevor sie auf dem Boden aufschlug. In hohem Bogen bewerkstelligte die Elster einen abrupten Richtungswechsel nach oben und sie schwirrte haarscharf am Fenstersims der Fliege vorbei. Als die Elster auch hier noch einen nahezu rechtwinkligen Richtungswechsel vornehmen musste, um nicht mit der Hauswand zu kollidieren, rutschte ihr der Geldbeutel aus dem Schnabel. Die Geldbörse raste in hohem Tempo auf die Fliege zu, die, um noch rechtzeitig fliehen zu können, ohne nach Links und Rechts schauend davonfolg, versenkte sich geradezu im Schnabel einer Amsel.

Der Käfer, der sich vom Schlag des Clochards erholt hatte, flog über den Marktplatz in Richtung Rathaus, er suchte einen Landeplatz und ließ sich auf der Geldbörse nieder, die auf dem Fenstersims gelandet ist, auf dem zuvor die Fliege gesessen hatte. Von hier aus hatte er nun einen wundervollen Ausblick auf das Treiben des Marktplatzes, auf dem wieder das Leben zurückkam durch die ankommenden Markthändler, die nun ihre Stände aufbauten. Der Clochard hofft indes, wieder etwas von den Resten nichtverkauften Obstes und Gemüses ab zu bekommen. Die Amsel indes hat sich auf einem Baum niedergelassen, der sich in der Marktmitte befand und freute sich der vielen Fliegen, die nun um die Obst- und Gemüsekörbe kreisten. Und der Käfer hofft darauf, morgen das kleine Mädchen wieder zu sehen, dass ihn so liebevoll behandelt hatte.

Mein Geheimnis

- Ich dachte "Schlecht",

aber ich sagte "Gut",

denn ich wusste

was die Menschen

hören wollen...

- Soll ich ihnen die Wahrheit

erzählen,

erzwingen,

sie entmutigen,

gar entblößen...?

- Oder nur Lüge

und Unterhaltung

verbreiten,

damit sie an sich selbst

glauben können...?

- Seitdem ich an mich denke

und glaube,

meine ich "Schlecht" und "Gut",

aber ich verrate es

niemandem...

Reichtum

Hilfe, der Kaffee ist leer! – Der Treibstoff für Erzieherinnen

Ein Umweltprojekt im Kindergarten: Fritz macht der Erzieherin einen Kaffee. Es bleibt heißes Wasser übrig und er fragt die Erzieherin: „Du? Was soll ich mit dem restlichen Wasser machen?“ Sie antwortet nach dem Umwelterziehungsansatz: “Na was wohl? Einfrieren! Denn heißes Wasser kann ich für meinen Kaffee immer gebrauchen.“

Haben Sie jemals die Gelegenheit wahrnehmen dürfen, zu erleben was passiert, wenn Erzieherinnen keinen Kaffee mehr haben? Nein? Na, dann passen Sie mal gut auf, denn das folgende Szenario zeichnet in der Tat eine wirklich gute Erzieherin aus:

Wenn Erzieherinnen keinen Kaffee mehr haben, dann bekommt diesen Umstand die Umwelt unmittelbar zu spüren. Denn ohne Kaffee läuft nämlich in den Kinderbetreuungseinrichtungen so gut wie gar nichts mehr: Erzieherinnen ohne Kaffee verfallen praktisch komplett in eine ganz eigenartige Handlungsstarre. Das müssen Sie sich dann in etwa so vorstellen als wolle man ein launisches Maultier mit den besten Absichten zum Fortbewegen ermuntern. Diese Strategie ist allerdings von Vornherein zum Scheitern verurteilt, weil die gute Absicht dahinter, wieder Leben in die Erziehungsbuden reinzubringen, in diesem einzigartigen Fall so gut wie unmöglich zu bewerkstelligen ist. Denn eines müssen Sie wissen: Der Kaffee ist der Treibstoff für pädagogisches Personal. Ist der leer, dann haben die Kinder mehr Freispiel als üblich und können endlich einmal ungestört machen was sie schon immer mal tun wollten: Förderfreien Unsinn. Ist das nicht herrlich? Kein Kaffee für Erzieherinnen heißt also: endlich Kind sein zu dürfen! Hier haben die kleinen Racker die einmalige Gelegenheit den Erziehungsstil des Laissez-Faire bis weit über die Grenzen des Erträglichen hinaus praktisch zu erproben und empirisch nachzuweisen. Also, zum Thema pädagogisches Freispiel fällt mir im Grunde ein Paradebeispiel aus einem Kinderhort ein, in dem plötzlich 15 Kinder wegen besagten Kaffeemangels unvermittelt und ganz freiwillig begannen, ihre Mathematikhausaufgaben zu machen. Einfach so. Ohne aufzumucken, ohne zu Murren und obendrein noch voller Freude. Da stimmte doch irgendwas was nicht. Das dachten sich einige helle Erzieherinnen und überlegten sich, hieraus fachliches Kapital zu schlagen und einen neuen pädagogischen Erziehungsansatz zu kreieren. Bis heute überlegt man sich in Fachkreisen noch einen Namen für diese neue Gangart in den Kinderbetreuungseinrichtungen. Da kursieren Fachbegriffe wie Eduscho-Sensorische Didaktik oder Kiddichino-Ansatz. Man kann an dieser Stelle eindeutig feststellen: Kaffeemangel bei Erzieherinnen scheint auf alle Fälle förderlich für die Spontaneitätsentwicklung unserer Zöglinge zu sein. Derartige bahnbrechende Entwicklungen innerhalb der pädagogischen Erziehungsstrategien müssten zwingend wesentlich mehr Beachtung in der Praxis finden und ließen sich mit an hundert Prozent grenzender Wahrscheinlichkeit auch in akademischen Studien sozio-neurologisch nachweisen.

Aber wehe dem, wenn der Kaffee in Hülle und Fülle vorhanden ist, dann avanciert das Unmögliche zum Möglichen: Es zeigt sich die multiprofessionelle Fachlichkeit einer Erzieherin ausschließlich von ihrer glanzvollen Schokoladenseite. Da wird mit situationsorientierten Handlungsmethoden das Kind von Fördereinheit zu Fördereinheit getrieben, frisch voran im guten Glauben daran, alle präinfantilen Defizite dieser Welt ausschließlich in postadoleszente Ressourcen zu verwanden. Der Kaffee wird hier zum Kitt für Anpassungsprozesse außer- und innerfamiliärer Enkulturation, Sozialisation und Personalisation. Erst wenn der Tank voller Kaffee ist, laufen Erzieherinnen zu fachlichen Höchstformen auf und man sieht sich einem hochqualitativen Erziehungsmanagement gegenüber wie es einem nur noch analog im Qualitätsmanagement des Controllings begegnet.

Doch ist es längst nicht genug der Tatsache einer hochqualitativen Arbeit verpflichtet, dass es Kaffee in Hülle und Fülle gibt, nein, hier lassen sich Qualitätsmerkmale pädagogischen Handelns durchaus noch viel differenzierter betrachten: Denn, je nachdem wie der Kaffee zubereitet ist lässt sich spielend leicht für jeden Laien der persönliche Erziehungsstil einer pädagogischen Fachkraft – frei nach dem Prinzip der Kaffeesatzleserei – ablesen: So steht beispielsweise Kaffee schwarz für „Schwarze Pädagogik“. Die Erklärung hierfür liegt doch auf der Hand: Zeig mir deinen Kaffee und ich sage dir wer du bist. Schwarze Seelen gehen in die psycho-pädagogische Tiefe und stellen stets ein in allen Bereichen hohes autoritatives Anforderungsprofil an ihre Schützlinge. Kaffee weiß hingegen repräsentiert die „Weiße Pädagogik“ und steht vom handlungsleitenden Prinzip den Schwarzkaffeetrinkern diametral gegenüber. Hier können Sie in jedem Fall davon ausgehen, dass die Milch im Kaffee zur Erhellung eines pädagogischen Erkenntnisansatzes mit eher lockerer demokratischer Prägung beiträgt. Und wie sieht es mit den Kaffeeversüßerinnen aus? Hier tummelt sich die Gattung der „Süßen Mäuse“ unter den Erzieherinnen und sie schöpfen – nomen est omen – den Begriff der „Grauen Pädagogik“. Ja, der im Kaffee aufgelöste Zucker geistert in den Grauzonen der Wasser-, Milch- und Kaffeemoleküle umher, will heißen, die pädagogische Geisteshaltung dahinter ist das Bindemittel eines besonderen Harmoniebestrebens zwischen den aus allen Himmelsrichtungen einwirkenden differenzierten Anforderungen an alle am Erziehungsprozess beteiligten Personen.

Puh, wer diese pädagogischen Erkenntnistheorien in irgendeine Art und Weise in seine Hirnwindungen platziert bekommt, der ist wahrlich für diesen Beruf gewappnet und unwiderruflich von der Educationssucht befallen. Es ist ja doch hinlänglich bekannt, dass der Beruf der Erzieherin nicht nur eine Ausübung einer fachlichen Tätigkeit mit geringer Wertschöpfung ist, nein, es ist eine Berufung zu geistigen Höhenflügen und irdischen Entsagungen, außer denen von Kaffee. Tja, spätestens ab jetzt drängen sich eine ganze Menge weiterer Fragen zum Berufsstand auf. So zum Beispiel der nach den männlichen Kaffeeerziehern (gibt es diese Spezies überhaupt?). Und die Frage nach den Teetrinkern haben wir hier auch noch nicht abschließend erörtert (ach du lieber Gott, wer trinkt denn in dieser Branche Tee?).

Also, kaffeetrinkende Erzieher, das männliche Pendant weiblicher Kolleginnen, sind ja bekanntermaßen Mangelware in der Kinderbetreuungsarbeit. Nun weiß man ja nicht so genau welche Ursachen das hat. Ob es allein am Kaffee liegt oder gar am dienstrechtlich verordneten Mangel an Geld und Bier? Da finden wir dann doch die männliche Spezies vermehrt auf Baustellen wieder. Aha! Offensichtlich benötigt der Mann dann doch die Freiluftatmosphäre kombiniert mit Hopfenblütentee. Nun müssten die Verantwortlichen für die Personalpolitik in den Kinder- betreuungseinrichtungen an einem neuen Image für Erzieher arbeiten. Der Dienst des Mannes am Kinde mit Fass-Kaffee, oder so ähnlich. Der derzeit handelsübliche Erzieher mit Kaffeetasse in der Hand wirkt da im Vergleich zu seiner selbstbewussten Kollegin etwas unbeholfen im öffentlichen Auftreten. Das macht sich dann auch irgendwie exemplarisch in seinen Fußballprojekten bemerkbar. So ist mir letztens bei einem Kita-Fußballturnier aufgefallen, wie mehrere Erzieher mit Kaffeetassen in der Hand beieinanderstanden und voller Sehnsucht einem Getränkelastwagen mit aufgedruckter Bierwerbung hinterher blickten während sich auf dem Spielfeld die Kinder in feinster Fußballer-Stammtischmanier gegenseitig anpflaumten.

Nun, es hilft alles Lamentieren nichts, neue Erzieher brauchen das Gefühl von Hopfenblütenkaffee, damit auch hier die maskulinen Erziehungsaspekte geschlechtertypisierter Erziehungskonzepte besser zum Tragen kommen. Denn schließlich benötigen Kinder auch männliche Vorbilder. Und hier zählt allein das kindgerechte Motto: Besser den Erzieher an der Hand als den Macho in der Kneipe. Und letztlich dient der Kaffee auch der pädagogischen Theorieentwicklung. Wie viele Pädagogen haben zu Zeiten der Aufklärung und darüber hinaus im stillen Kämmerlein am Schreibtisch gesessen und unzählige Konzepte pädagogischen Handelns entwickelt. Das alles haben wir wahrscheinlich allein dem kaffeeproduzierenden Gewerbe zu verdanken: Denn ohne dieses bittere Gesöff, hätten viele denkende Männer unter Umständen der Lehrstube die Bierstube vorgezogen. Es liegt also offensichtlich am Bitterstoff, den Männer mögen, um sie zu etwas zu bewegen. Ergo benötigen wir dringend ein Programm zur neuronalen Umprogrammierung männlicher Motivationsobjekte von Bier auf Kaffee – und siehe da, schon würden wir einen männlichen Run ungeahnten Ausmaßes auf die Erzieherausbildungsstätten dieser Republik erzeugen.

Ach so, die Teetrinker wollen an dieser Stelle auch nach den in der Erziehungsbranche bestehenden berufsethischen Prinzipien die gleichberechtigte Beachtung wie ihre erziehenden Kaffeekolleginnen finden. Sie entspringen ihrem Wesen nach aus biologischdynamischem Anbau entgegen ihrer konventionellen Kaffeekolleginnen. Die teetrinkenden Erzieherinnen sind allerdings ähnlich gestrickt wie ihre männlichen Kollegen: Sie bemerkt man kaum, da zahlenmäßig weit unterlegen. Bei Teetrinkerinnen ist das so wie mit der fünften Zahl hinter dem Komma: man nimmt keine Notiz von ihnen. Männliche Erzieher, die Tee trinken, gibt es gemäß meinem kosmopolitischen Kenntnisstand über globalisierende Prozesse und Ereignisse erst gar nicht. Daher sind sie in der ethnographischen Forschung als Forschungsgegenstand im Berufsfeld als entscheidende Variable innerhalb von Bildungsprozessen zu