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Die "Antigone", vielleicht das erste Problemstück der Literatur, behandelt den moralischen Widerspruch, der sich aus einem Konflikt zwischen politischer Autorität und dem Gesetz des individuellen Gewissens ergibt. Antigone, den griechischen religiösen Gepflogenheiten und den Geboten ihres Herzens gehorchend, gewährt ihrem rebellischen Bruder Polyneikes entgegen dem Erlass des Königs Kreon die Bestattungsrituale, und führt so nicht nur ihren eigenen Tod herbei, sondern, durch eine tragische Wendung, auch den ihres Geliebten Hæmon, des Königssohns. Diese deutsche Neuübersetzung aus dem Jahre 2021 bringt die "Antigone" in leicht verständlicher Prosafassung dem Verständnis des interessierten Lesers näher.
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Seitenzahl: 62
Antigone
Deutsche Neuübersetzung
SOPHOKLES
Antigone, Sophokles
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
Diese neue Prosa-Übersetzung basiert auf der englischen Übersetzung meines Freundes George Theodoridis, die im Original zu finden ist unter https://bacchicstage.wordpress.com/sophocles/antigone/, und die er mir für dieses Werk zur Verfügung gestellt hat. George, tausend Dank dafür, und möge Zeus dir ewig gewogen sein. Der deutsche Text steht unter der Creative Commons Lizenz Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0). Was unter dieser Lizenz erlaubt und keineswegs gestattet ist, erfahren Sie unter https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.
ISBN: 9783849660574
www.jazzybee-verlag.de
Dramatis Personae. 1
1. Akt2
Erste Szene.3
Zweite Szene.8
Dritte Szene.10
2. Akt15
Erste Szene.17
Zweite Szene. 23
3. Akt26
Erste Szene.28
Zweite Szene. 34
Dritte Szene. 37
4. Akt39
Erste Szene. 39
Zweite Szene. 41
Dritte Szene.45
5. Akt46
Erste Szene. 47
Antigone
Ismene (Antigones Schwester)
Chor der männlichen thebanischen Ältesten
Kreon (König von Theben)
Haemon (Sein Sohn)
Ein Wachsoldat
Ein Herold
Teiresias (Ein blinder Seher)
Ein Junge (Teiresias' Blindenführer)
Eurydike (Kreons Ehefrau)
Soldaten (Diener des Königs; stumm)
Weibliche Sklaven (Dienerinnen der Eurydike, stumm)
Bevor sich der Vorhang hebt, hören wir die Geräusche der Schlacht. Diese werden langsam ausgeblendet..
Pause.
Der Chor stürmt auf die Bühne, alle fallen übereinander und bejammern ein paar Sekunden lang ihre Toten, bevor der Chor so plötzlich verschwindet, wie er erschienen ist.
Pause.
Klänge eines sonnigen Morgens. Heiterer Vogelgesang.
Der Vorhang hebt sich.
Die Morgendämmerung bricht an.
Wir befinden uns vor dem Palast von Theben. Seine drei großen Tore stehen etwas abseits der Mitte im rechten Teil der Bühne.
Das mittlere Tor wird von Kreon benutzt, die Seitentore von allen anderen.
Die Bühne hat zwei Ebenen. Die obere wird von Kreon, Eurydike und ihren Dienern benutzt. Die untere von allen anderen.
Antigone und Ismene stehen gemeinsam auf der linken Seite der Bühne. Ganz offensichtlich hat Antigone Ismene im Geheimen an diesen Platz gebracht. Sie flüstern miteinander, immer darauf bedacht, dass niemand im Palast sie hört.
Das Vogelgezwitscher verstummt.
Antigone, Ismene.
Antigone: Liebe, allerliebste Ismene! Meine arme, geliebte Schwester! Glaubst du, Zeus wird noch mehr Unheil über unser Leben bringen als Strafe für die Sünden unseres Vaters? Bisher haben wir die Pein der Traurigkeit, der Zerstörung, der Schande und sogar der Entehrung gespürt, aber jetzt hat unser König die ganze Stadt mit seinem neuen Gesetz in Erstaunen versetzt. Verstehst du, was es wirklich bedeuten soll? Weißt du, welche Schande dieses neue Gesetz über unsere Brüder bringen wird?
Ismene: Nein, Antigone. Was meinst du? Ich habe nichts über sie gehört, weder Gutes noch Schlechtes, und das seit dem Tag, an dem wir unserer beiden Brüder beraubt wurden – seit diesem einen Tag, seit dieser einen tödlichen Schlacht, in der ein Bruder den anderen tötete. Ich habe gehört, dass der Feind aus Argos letzte Nacht geflohen ist, aber darüber hinaus nichts, was mich weder froh noch traurig machen würde.
Antigone: Das dachte ich mir schon. Darum habe ich dich hierher gebracht, Ismene; um dir davon zu erzählen, heimlich und nur unter uns.
Ismene: Antigone, was ist passiert? Ich spüre etwas Schreckliches, etwas Beängstigendes in deinen Worten.
Antigone: Das Begräbnis unserer Brüder, Ismene! Kreon hat verfügt, dass der eine mit allen Ehren bestattet werden muss, während der andere gar nicht begraben, sondern öffentlich an den Pranger gestellt werden soll! Man sagt, Kreon habe Eteokles alle angemessenen Begräbnisriten und Zeremonien zukommen lassen, um ihn für die Welt da unten vorzubereiten, während unser anderer Bruder, Polyneikes, der einen ebenso schrecklichen Tod starb, unbestattet und unbetrauert gelassen werden soll! Obendrein soll er Futter für die ausgehungerten Raben des Himmels sein, und all jener Raubvögel, die eifrig nach ihrer Nahrung jagen müssen. Das sind die Gesetze, die unser Herr Kreon für uns beide erlassen hat, Ismene! Für dich, Ismene, und für mich – ja, sogar für mich! [Sieht sich ängstlich um] Man sagt, dass er jeden Moment aus dem Palast kommen wird, um diese Erklärung erneut laut und deutlich zu verkünden – falls es jemanden gibt, der sie noch nicht gehört hat. Und diese Erklärung macht er sich nicht leicht! Denn, wenn es jemand wagt, sie zu missachten, hat er den Tod durch öffentliche Steinigung zu erwarten! So steht es also im Moment, meine liebe Schwester Ismene, und nun musst du zeigen, ob du deiner Geburt würdig bist: Bist du ihrer würdig, Ismene, oder willst du Schande über dein Haus bringen, Ismene, über das Haus des Ödipus, unseres Vaters?
Ismene: Aber, Antigone, wenn es schon so weit gekommen ist, was kann ich nur tun? Wie könnte ich überhaupt helfen?
Antigone: Wir können gemeinsam denken und handeln.
Ismene: Und was genau können wir tun? Antigone, was hast du vor? Was für einen schrecklichen, womöglich gefährlichen Plan hast du gerade im Sinn?
Antigone: [Streckt Ismene ihre rechte Hand entgegen] Ismene, hilf dieser Hand, den Leichnam unseres Bruders zu heben!
Ismene: [Entsetzt] Oh, nein! Antigone, denkst du etwa daran, Polyneikes selbst zu bestatten? Das ist gegen den Willen unseres Volkes, gegen den Willen unseres König – Antigone!
Antigone: Er ist unser Bruder, Ismene! Deiner und meiner! Und wenn du mir nicht hilfst, dann können sie zumindest mir nicht vorwerfen, dass ich ihn verraten hätte!
Ismene: Ach, du armseliges, elendes Weibsstück, Antigone! Willst du unseren Bruder wirklich gegen den Willen des Königs bestatten?
Antigone: Kreon hat nicht das geringste Recht, mich von meinem Bruder zu trennen. Nicht das Geringste!
Ismene: Antigone! Liebe Schwester! Denke daran, wie sehr unser Vater verhasst war, als er starb. Wie viel Schmach er auf sich geladen hatte! Er hatte so viele schändliche Sünden begangen, dass er, nachdem er sie alle ans Licht gebracht, sie alle gebeichtet hatte, sich beide Augen ausstach! Daraufhin nahm auch sie, Iokaste, ihm gleichzeitig Mutter und Ehefrau war, sich mit einem Strick das Leben. Und schließlich starben unsere beiden armen Brüder am selben Tag, weil jeder den anderen mit der eigenen Hand tötete. Und so sind wir nun hier – wir beide sind fortan ganz allein. Bedenke, welch schreckliches Ende uns erwartet, wenn wir uns gegen Kreons Gesetz stellen, Antigone! Und letztendlich, bedenke, meine liebe Schwester, wir sind nur Frauen, und können nicht gegen Männer bestehen! Die Herrschenden sind viel mächtiger als wir und wir müssen tun, was sie sagen – nicht nur, was diese Sache betrifft, sondern auch, was weitaus schlimmere Dinge angeht. Was ich tun werde, was mir als einziges übrigbleibt, ist, zu den toten Seelen zu beten, dass diese unserem Polyneikes vergeben. Danach werde ich genau das tun, was Kreon befiehlt. Der Versuch, Taten zu vollbringen, die über deine Fähigkeiten hinausgehen, ist Wahnsinn, Schwester. Hirnlose Torheit, meine Liebe!
Antigone: [Wütend] Nun gut! Ich werde dich weder anflehen noch hätte ich deine Hilfe freudvoll angenommen, selbst, wenn du sie mir angeboten hättest, meine Schwester! Du kannst glauben, was du willst, aber ich werde gehen und ihn bestatten. Mein Tod wird süß sein, wenn ich dies vollendet habe, denn ich werde neben ihm in der Unterwelt liegen, weil ich ein heiliges, ein seliges Verbrechen begangen habe. Die Zeit, die mir bleiben wird, um mit den Toten auszukommen, Schwester, ist viel länger als die Zeit, die ich noch habe, um die Lebenden zufriedenzustellen. Ich werde für immer unter den Toten weilen. Aber du, Ismene, kannst frei wählen, ob du das, was die Götter respektieren, entehren willst oder nicht.
Ismene: Ich entehre überhaupt nichts, Antigone, aber ich sehe auch nicht, wie ich mich gegen die Stadt stellen könnte!
Antigone: Na gut, wie du meinst! Finde Ausflüchte, so viele du willst, Ismene, aber ich gehe jetzt, um die Leiche meines lieben Bruders zu bestatten!
Ismene: Ich habe solche Angst um dich, Antigone!
Antigone: Angst? Oh nein, hab keine Angst um mich, Ismene. Kümmere du dich um dein eigenes Leben!
Ismene: Dann sag es wenigstens niemandem sonst, Antigone; ich werde es auch nicht tun! Lass es uns geheim halten!
Antigone: Mein Gott! Auf keinen Fall, Ismene, erzähle es der ganzen Welt! Tatsächlich, meine Schwester, würde ich dich noch mehr hassen, wenn du es nicht tätest!
Ismene: Kälte umklammert dein heißes Herz, meine liebe Schwester!