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Iphigenie, Agamemnon, Klytaimnestra, Orestes und Elektra: Mord wird mit Mord gesühnt – es ist eine Spirale der Gewalt. Aber kann Rache gerecht sein? Und kann Gewalt durch Gewalt beendet werden? Diese Fragen schwingen im Hintergrund mit, und sie verliehen diesem Spätwerk des Sophokles eine politische Dimension, denn der Ort der Aufführung, Athen, befand sich Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. mitten im Krieg, ja hatte die Chance auf Frieden soeben vertan. Nicht zuletzt diese Fragen lohnen auch heute eine Beschäftigung mit diesem Drama und dem Mythos rund um die fluchbeladenen Atriden in Mykene. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
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Seitenzahl: 143
Sophokles
Übersetzung und Anmerkungen von Kurt SteinmannNachwort von Markus Janka
Reclam
2013, 2021 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2021
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-961905-7
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014230-1
www.reclam.de
Die Personen des Dramas
Prolog (1–120; 1. Teil 1–85, ...
Parodos (121–250). Einzug des Chores.
1. Epeisodion (251–471)
1. Stasimon (472–515)
2. Epeisodion (516–822). Klytaimestra erscheint auf der Schwelle des Palastes mit einer Dienerin, die Opfergaben trägt.
Kommos (823–870)
3. Epeisodion (871–1057)
2. Stasimon (1058–1097)
4. Epeisodion (1098–1383). 1. Szene (1098–1231). Orestes und Pylades treten auf, gefolgt von Dienern; einer von ihnen trägt eine Urne.
Kommos (1232–1287). Wiedererkennungs-Duett.
4. Epeisodion. 2. Szene (1288–1383)
3. Stasimon (1384–1397)
Amoibaion (1398–1441). Elektra kommt wieder aus dem Haus.
Zu dieser Ausgabe
Anmerkungen
Literaturhinweise
Textausgaben
Kommentare zum Gesamtwerk
Kommentare zur Elektra
Übersetzungen
Interpretationen
Zur ironischen Interpretation des Dramas
Weitere Literatur
Zu den Träumen der Klytaimestra
Zur Nachwirkung
Ikonographie
»Muttermord und gute Laune« oder Die unheile Welt der Vergeltungsspirale
I »Ewige« Forschungstradition und keine Klarheit über »die Elektren«
II Konzentrik und Leitmotive: Die klassische Struktur von Sophokles’ Elektra
III Elektra und ihr Hass: Antigones unheimliche Schwester?
IV Sophokles’ Elektra und die Elektren: Seitenblicke auf die Motivgeschichte
V Sophokles’ Elektra, die Polis und die Historie: Zum geschichtlichen Ort von Sophokles’ Tragödie
DER ALTE ERZIEHER (ERZ.)
ORESTES (OR.)
ELEKTRA (EL.)
CHOR EINHEIMISCHER (mykenischer) JUNGFRAUEN (CH.)
CHRYSOTHEMIS (CHR.)
KLYTAIMESTRA (KL.)
AIGISTHOS (AI.)
(Stumme Person: PYLADES)
[7]Prolog (1–120; 1. Teil 1–85, 2. Teil 86–120). Vor dem Königspalast in Mykene. Vorn Götterbilder, darunter ein Altar Apollons. Der Tag bricht an. Der alte Erzieher, Orestes und sein Freund Pylades treten auf. Sie sind bewaffnet und tragen Wanderstäbe und breitkrempige Reisehüte.
ERZ.
Sohn Agamemnons, der das Heer vor Troja einst
befehligte, nun bist du hier und darfst
all das erblicken, was du innig immer schon dir wünschtest.
Denn das alte Argos, deines Sehnens Ziel, ist dies:
der geweihte Grund der von der Bremse Fortgehetzten, die Tochter war des Inachos,5
und, Orestes, das dort ist des Wölfe tötenden, des Gottes
Markt: Lykeios, und zur Linken dort der Hera
berühmter Tempel. Hier aber, wo wir hingekommen sind,
sag dir, dass du Mykene vor dir siehst, das reich an Gold,
und dort, reich an Vernichtung, das Haus der Pelopiden,10
von wo ich einst aus deines Vaters Schlachtung,
von deiner Schwester gleichen Blutes dich empfangend,
hinweg dich trug, hinaus dich rettete und groß
dich zog so weit ins Mannesalter, dass du rächst des Vaters Mord.
So gilt es jetzt, Orestes, und du der Freunde liebster,15
Pylades, eiligst, was zu tun ist, zu bedenken.
Denn es erweckt uns schon der Strahlenglanz der Sonne
zu hellem Lied der Vögel morgendliche Stimmen,
und hingeschwunden ist die schwarze Sternennacht.
Drum, ehe nun der Männer einer aus dem Hause tritt,20
[8]besprecht euch miteinander, denn wir sind nun an dem Punkt,
wo nicht mehr der Moment zum Zaudern ist, sondern zum Handeln höchste Zeit.
OR.
O liebster du der Männer, meiner Diener, wie du deutlich mir
Beweise zeigst, dass du loyal gesinnt bist gegen mich!
Denn wie ein Rassepferd, und wäre es auch alt,25
in der Gefahr sein Feuer nie verliert,
vielmehr die Ohren spitzt, genauso treibst auch du
mich an und folgst, der ersten einer, selbst.
So will ich denn, was ich beschlossen habe, offenbaren,
du aber leihe meinem Wort ein scharf Gehör,30
und verfehle ich das Richtige, verbessre mich!
Als ich zum Sehersitz von Pytho kam,
um zu erfahren, wie ich für den Vater
von seinen Mördern Sühne mir verschaffen soll,
gab Phoibos mir die Weisung, die du gleich vernehmen wirst:35
allein und unbeschützt von einem schildbewehrten Heer
mit Listen heimlich mit gerechter Hand das Blutbad zu vollziehn.
Da wir nun solchen Götterspruch vernommen,
so gehe du, sobald Gelegenheit dir winkt,
in dieses Haus und forsche alles aus, was dort geschieht,40
damit du mir mit sichrer Kenntnis klar berichten kannst.
Gewiss wird man dich nicht bei deinem Alter und nach langer Zeit
erkennen, wird Verdacht nicht hegen, da dir silbern blüht dein Haar.
Tisch diese Mär auf: Gastfreund seiest du
[9]und von Phanoteus kämst du her, dem Phoker,45
denn dieser ist der nächste ihnen von den Waffenbrüdern.
Und melde ihnen, es bekräftigend durch Eid,
tot sei Orestes durch ein unausweichliches Geschick, da er
bei Pythos Siegeskämpfen aus dem radgetriebenen
Gefährt geschleudert worden sei; darauf beruhe dein Bericht!50
Doch ich, hab ich des Vaters Grab, wie er gebot,
zuerst mit Opferspenden und vom Haupt geschnittner Lockenpracht
geehrt, kehr’ wieder dann zurück hierher,
die Urne mit den Bronzewänden in den Händen tragend,
von der auch du ja weißt, dass im Gesträuch sie ist versteckt,55
damit mit irreführendem Bericht erwünschte Kunde
ich ihnen bring, es sei mein Leib dahin,
bereits vom Feuer aufgezehrt, verkohlt zu Asche.
Denn was bekümmert’s mich, wenn ich, dem Wort nach tot,
in Wirklichkeit gerettet bin und Ruhm daraus gewinne?60
Ich denk, kein Wort, das uns Gewinn einträgt, kann Unheil bringen.
Denn oft schon hört’ ich auch von weisen Männern,
die man irrtümlich totgesagt; doch dann, wenn sie nach Hause
zurückgekehrt, ehrt man sie umso mehr.
So, hoff ich zuversichtlich, werd auch ich infolge dieser Kunde65
den Feinden lebend als ein Stern erstrahlen noch!
Doch, väterliche Erde und ihr Heimatgötter,
verleiht mir Glück auf diesem meinem Gang,
[10]auch du, mein Vaterhaus! Denn als dein Reiniger
komm rechtens ich, von Göttern angestiftet.70
Und schickt mich nicht erfolglos weg aus diesem Land,
nein, lasst mich neuen Reichtum gründen, wiedererwecken dieses Haus!
Gesprochen habe ich nun dies. An dir ist’s, Alter,
zu gehen nun und nachzukommen deiner Pflicht!
Wir gehn hinaus! Der Augenblick ist da, er, der den Männern75
bei jedem Werk der größte Lenker ist.
EL.
(aus dem Palast ertönen ihre Klagen). Weh mir, weh, ich Unglückselige!
ERZ.
Wirklich, mir schien, ich hörte von der Türe her
eine der Mägde drinnen leise jammern, Kind.
OR.
Ist die Unglückselige Elektra? Möchtest du,80
dass wir hier bleiben, um zu lauschen, wie sie klagt?
ERZ.
Nein! Auf nichts lasst eher uns bedacht sein, als des Loxias
Gebote zu befolgen und daranzugehn,
die Totenspende deinem Vater auszugießen! Denn es trägt
dies uns den Sieg ein und Erfolg bei allem Tun.85
(Die drei Männer ab; Elektra erscheint auf der Schwelle des Palastes.)
EL.
O heilige Sonne
und Luft, die gleichen Anteil ihr habt am Licht: Wie ihr mir
viele Klagegesänge
habt vernommen und viele auf die blutende
Brust einprasselnde Schläge,90
sooft die finstere Nacht schwand!
[11]Und um das Leid meiner »nächtlichen Feiern«
weiß das verhasste Lager im elenden Haus,
wie viel um den unseligen ich klage,
meinen Vater, den im Land der Barbaren95
der blutgierige Ares gastlich nicht aufnahm,
die Mutter aber, die meine, und ihr Genosse des Bettes
Aigisthos spalten – wie Holzfäller den Eichbaum –
das Haupt ihm mit dem blutigen Beile!
Und keine Klage darüber wird100
von einer andern erhoben als mir, um dich, Vater,
obgleich so schmählich und kläglich du hinstarbst.
Doch nie, ja nie,
lass ich ab von Totenklagen und düsteren Trauerweisen,
solang ich das hell erstrahlende Funkeln105
der Sterne sehe und diesen Tag,
nein, ich will, der Nachtigall gleich, die ihr Kind erschlug,
mit dem Wehruf hier vor des Vaters
Türen vor allen laut es hinausschrein!
O Haus des Hades und Persephones,110
o unterirdischer Hermes und du, mächtige Göttin des Fluchs,
und ehrwürdige ihr, der Götter Töchter, Erinyen,
die ihr blickt auf die, die widerrechtlich man tötet,
und auf die, deren Ehebett man sich heimlich erschleicht,
kommt, helft, rächt den Mord115
an unserem Vater,
und schickt mir her meinen Bruder!
Denn ich habe nicht länger die Kraft, allein
aufzuwiegen die Last des Leids auf der Waage.120
CH. O Kind! Kind der verworfensten[Str
Mutter, Elektra! Warum ohne Ende
zerfließt du so in unersättlicher Klage
um den vor Zeiten von der tückischen Mutter
aufs gottloseste hinterhältig wehrlos gemachten Agamemnon,125
das Opfer feigen Verrats? Käme, wer solches verübt,
doch um – wenn mir so zu reden erlaubt ist!
EL.
O Edlen Entsprossne,
gekommen seid ihr meinen Qualen zum Trost!130
Ich weiß und seh ein es, und nicht entgeht’s mir,
doch will ich nicht davon lassen,
zu klagen um meinen unglückseligen Vater.
Darum, o die ihr vielfältiger Freundschaft Gunst stets erwidert,
lasst mich so außer mir sein!135
Ai, ai, ich flehe.
CH. Nie jedoch wirst du den Vater[Gegenstr. 1
aus dem allen bestimmten Sumpfland des Hades
wiederauferstehen lassen, mit Klagen nicht noch Gebeten!
Doch vom richtigen Maß abrückend hin zum nicht zu meisternden140
Schmerz, richtest du dich, immer seufzend, gänzlich zugrunde,
worin aber keine Erlösung ist von den Übeln.
Was strebst du mir nach dem schwer zu Ertragenden?
§1.
Ein Narr ist, wer die kläglich145
hingeschwundenen Eltern vergisst!
[13]Doch geht mir nie aus dem Sinn die Wehklagende,
die verängstigte Vogelfrau, die Botin des Zeus,
die um Itys immer, um Itys schluchzt.
Io, allduldende Niobe, als Göttin erachte ich dich,150
die du in dem steinernen Grabmal
ai, ai, noch immer dich ausweinst.
CH. Nicht dir allein,[Str. 2
Kind, ist Leid erschienen unter den Sterblichen,
worin du stärker betroffen wärst als die drinnen,155
mit denen du gleichen Ursprungs und Bluts bist,
wie Chrysothemis und Iphianassa
und er, dessen glückliche Jugend vor Leiden geschützt ist,
den das berühmte160
Land der Mykener einst
empfangen wird als Spross edler Väter, wenn er
unter dem wohlgesinnten Geleit des Zeus in dies Land kommt – Orestes!
EL.
Ja, er, auf den ich unentwegt wartend
ohne Kind, ohne Ehe, ich Arme, immer dahinleb,165
von Tränen benetzt, mit diesem Schicksal,
das kein Ende verheißt meiner Übel; doch der vergisst,
was er erlitten und was er erfuhr. Denn welche
Nachricht kommt nicht zu mir, die sich nicht als Täuschung herausstellt?170
Denn immer zwar sehnt er sich,
doch bei all seinem Sehnen hält er’s für unwert zu kommen.
CH. Fasse Mut mir, fasse Mut,[Gegenstr. 2
Kind! Noch ist groß im Himmel
[14]Zeus, der alles überwacht und beherrscht!175
Ihm stell anheim den allzu bitteren Groll
und hass deine Feinde nicht maßlos, noch auch vergiss sie!
Die Zeit ist ein entlastender Gott!
Denn weder er, der in Krisa180
die rinderbeweidete Küste bewohnt,
der Sohn, der Spross Agamemnons, ist darum unbesorgt,
noch der an Acherons Ufern herrscht, der Gott.
§1.
Doch mir ist dahin schon der beste Teil meines Lebens,185
hoffnungslos, und ich kann nicht mehr!
Kinderlos schwinde ich hin,
und kein liebender Mann beschützt mich,
nein, gleich einer Fremden, die keiner beachtet,
halt ich in Ordnung die Kammern des Vaters190
in einem so schäbigen Kleid
und stehe herum an leeren Tischen!
CH. Erschütternd bei der Heimkehr der Schrei,[Str
erschütternd auf dem festlichen Lager des Vaters,
als auf ihn wuchtig auftreffend herabfuhr
des ganz ehernen Beiles Schneide.195
Arglist war es, die den Weg wies, Geilheit, die mordete,
die beide ein entsetzliches Gebilde entsetzlich
erzeugten – ob’s nun ein Gott war, ob der Sterblichen einer,
der dieses wirkte.200
EL.
O jener Tag, der mir als feindlichster,
feindlicher als alle Tage, kam!
O Nacht, o des unsäglichen Mahls
furchtbare Qualen,
bei welchem mein Vater205
[15]schimpflichen Tod sah von den Händen des Paars,
das mein Leben mir nahm,
mich verriet, mich zerstörte!
Mag der große Gott im Olymp
zur Vergeltung mit Leiden sie schlagen,210
und mögen sie niemals sich ihres Glanzes erfreuen,
die solche Werke verrichtet!
CH. Sei darauf bedacht, nicht weiterzureden![Gegenstr. 3
Erkennst du nicht, woraus
die jetzige Lage erwuchs? In eigenes Unheil215
stürzt du so schmählich?
Einen Großteil der Übel zogst du selbstverschuldet dir zu,
da du in deiner mutlosen Seele
immer Kriege gebierst! Dies Leid – mit den Mächtigen
kann man nicht streiten – ertrag es!220
EL.
Furchtbares zwang mich zu Furchtbarem!
Ich weiß es wohl, nicht ist mir verborgen mein hitziges Wesen.
Indes: In dieser furchtbaren Not
werde ich nicht meine Klagen hemmen,
solange ich lebe.225
Denn wer glaubt wohl, geliebte Schwestern,
ich könnte ein dienliches Wort hören,
wer, der sich in mein Elend hineindenkt?
Lasst mich, ihr Tröstenden, lasst mich!
Denn für unauflösbar wird immer dies gelten.230
Und nie werde ich finden das Ende der Qualen,
maßlos in meinen Liedern der Trauer.
[16]CH. Jedoch in guter Absicht rede ich dir zu,[Epode
gleich einer Mutter, der man trauen kann:
Setz du nicht Unheil über Unheil in die Welt!235
EL.
Und welches Maß kennt ihre Niedertracht? Nun,
wie wär Gleichgültigkeit den Toten gegenüber recht?
In welchem Menschen keimte solch ein Denken auf?
Nicht mag bei diesen Ehre ich genießen,
noch, wenn etwas Anstand in mir ist,240
zusammen mit ihnen behaglich wohnen,
dass ich – zu Vaters Schande – hemmte
die Schwingen meiner schrillen Klagen.
Denn wenn der Tote, Erde bloß, ein Nichts,245
erbärmlich liegen soll,
sie hingegen nicht,
ihrerseits ermordet, büßen,
dann wäre aus es mit dem menschlichen Respekt
und der Ehrfurcht unter allen Sterblichen.250
CH.
Ich bin, o Kind, im Eifer um dein Wohl
wie um mein eigenes gekommen; ist jedoch mein Wort
nicht richtig, gelte deines; denn wir folgen dir.
EL.
Wohl schäm ich mich, ihr Frauen, wenn ich euch
mit meinen vielen Klagen gar zu ungestüm erscheine.255
Doch da Gewalt mich nötigt, dies zu tun,
verzeiht! Wie sollt’ denn eine Frau von edler Art,
die Leiden, die ihr Vater litt, vor Augen, anders handeln,
wie ich sie immer Tag und Nacht
weit eher blühen als hinwelken seh.260
Denn erstens ist der Umgang mit der Mutter,
[17]die mich gebar, von schlimmstem Hass geprägt; dann lebe ich
in meinem eignen Haus zusammen mit des Vaters
Mördern, und von ihnen werde ich beherrscht, von ihnen hängt
es ab, ob etwas ich bekomme oder darben muss.265
Und weiter: Was für Tage, meinst du wohl, verbringe ich,
wenn ich Aigisthos sitzen sehe auf dem Thron,
dem väterlichen, sehe ihn die gleichen
Gewänder tragen, die er trug, und an dem Herde
Trankopfer bringen, wo er ihn erschlagen hat,270
und seh – das Äußerste von alledem an Dreistigkeit! –
den Mörder uns im Bett des Vaters
mit der verworfnen Mutter – wenn denn »Mutter«
man die soll nennen, die mit diesem schläft!274
Doch sie, so unverfroren, dass sie mit dem Mordbefleckten
zusammenlebt und keine Rachegöttin scheut,
nein, als ob sie sich lustig machte über das, was sie getan:
Hat sie den Tag ermittelt, an dem damals
sie meinen Vater tückisch hingemordet hat,279
führt sie an diesem Reigentänze auf und schlachtet Schafe
zum Opfer allmonatlich für die Rettergötter.
Doch ich, wenn ich es seh, ich Unglücksel’ge,
wein im Gemach, schwind hin vor Gram, beklag dabei
das Unglücksmahl, das nach dem Vater
den Namen trägt – allein für mich allein! Denn auch zu weinen ist285
mir nicht erlaubt so viel, wie es mein Herz gelüstet.
Sie nämlich, die angeblich edle Frau,
deckt, ihre Stimm’ erhebend, mich mit schlimmer Schmähung ein:
[18]»Du gottverhasste Ausgeburt, ist dir allein der Vater
tot? Gibt es keinen andern Menschen, der in Trauer ist?290
Verrecke elend! Mögen nie vom jetz’gen Wehgeheul
die Götter drunten dich befreien!«
So kränkt sie hemmungslos, allein, wenn sie von jemand hört,
Orestes werde kommen, rasend dann
tritt sie zu mir und schreit: »Bist du nicht mir an diesem schuld?295
Ist dies nicht dein Werk, die aus meinen Armen
Orestes du geraubt und heimlich weggebracht?
Doch sei gewiss: Du wirst noch büßen, wie du es verdienst!«
So bellt sie, und daneben steht und hetzt
in gleicher Art wie sie ihr löblicher »Gemahl«,300
er, dieser Feigling durch und durch, der Schädling sondergleichen,
der nur mit Weiberhilfe Schlachten schlägt.
Ich aber, immer harrend, dass Orestes kommen wird,
um alledem ein End’ zu setzen, geh zugrund in meiner Pein.
Denn immer schiebt er’s vor sich her zu handeln und löscht so305
mir jede nahe oder ferne Hoffnung aus.
In solcher Ausweglosigkeit, ihr Lieben, ist nicht Mäßigung,
nicht ehrfurchtsvolle Scheu erlaubt: O nein, in schlimmer Lage
kann man nicht anders, als auch Schlimmes zu verüben!
§1.
Doch sage, ist Aigisthos in der Nähe, während du310
so zu uns redest, oder ist er außer Haus?
[19]EL. Ja klar! Denk ja nicht, wär er in der Näh, ich käme
zur Tür hinaus! Jetzt aber weilt er auf dem Land.
CH.
So kann mit größerem Vertrauen ich mit dir
mich unterhalten, wenn sich’s so damit verhält.315
EL.
Da er jetzt fort ist, frage nur! Was ist’s, das dir beliebt?
CH.
So frage ich dich, was du von dem Bruder meinst:
Kommt oder schiebt er es hinaus? Ich will es wissen.