Antonius hat einen Kaugummibart - Thesi Frei-Bur - E-Book

Antonius hat einen Kaugummibart E-Book

Thesi Frei-Bur

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Beschreibung

In kurzweiligen Anekdoten erzählt Thesi Frei aus ihrer Kindheit im abgelegenen Bezirk Thal während der Nachkriegszeit. Es gelingt ihr, die einfachen, ärmlichen Verhältnisse ihrer Familie zu schildern, ohne sie je bedauernswert zu finden. Sie beschreibt die damals katholisch konservative Einstellung der Leute im Thal aus einer kindlichen Perspektive, bringt das Wesentliche auf den Punkt ohne zu werten. Ihre Geschichten sind berührend und voll von feinem Humor.

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Seitenzahl: 47

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Für meine Tochter Andrea und meine Enkelin Jana

Eingeklemmt zwischen zwei Juraketten, nur durch drei enge Klusen zugänglich, liegt das Tal, in dem ich geboren wurde. Es liegt so abgelegen und verträumt, von allen Seiten betrachtet hinter dem Berg, dass es den Namen «Thal» verdient hat.

Es war kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Der Vater war aus dem Aktivdienst zurückgekehrt und konnte seiner Arbeit als Taglöhner im Eisenwerk in der vorderen Klus wieder nachgehen.

Wie erleichtert muss die Mutter gewesen sein, dass er nun den spärlichen, aber bitter nötigen Lohn wieder regelmässig nach Hause brachte! Zurecht war sie stolz darauf, die kleine Landwirtschaft, die sie nebenbei betrieben, durch die schwierigen Kriegsjahre gerettet zu haben. Meine vier älteren Geschwister, alle vor dem Krieg geboren, hatten sie dabei so tatkräftig wie möglich unterstützt.

Mit fast 40 Jahren, elf Jahre nach der letzten Niederkunft, noch einmal schwanger zu werden, muss für meine Mutter eher ein Schock als eine freudige Überraschung gewesen sein. Trotzdem musste ich nie daran zweifeln, dass ich für die ganze Familie ein Wunschkind war.

Von meiner Geburt wurde mir so oft und ausführlich erzählt, dass ich beinahe glaube, mich selber daran zu erinnern. An einem lauen Frühlingsabend im April 1947, kurz vor Mitternacht, schickte die Mutter den Vater los, um die Hebamme unten im Dorf zu holen.

Telefonieren war damals im Thal noch ein Fremdwort, Hausgeburten üblich und völlig normal. Die gute Hermine hatte damit gerechnet und ihren Hebammenkoffer griffbereit gepackt.

Hastig eilte sie hinter dem Vater her zu unserm kleinen Bauernhaus im Oberdorf.

Obwohl meine Geschwister von der Geburt nichts mitbekommen sollten, waren sie alle wach und spitzten aufgeregt die Ohren. Mein ältester Bruder überlegte sich laut, dass ein Kind, das in der Nacht geboren wird, nicht das Licht, sondern die Dunkelheit der Welt erblicke.

Kurz nach zwei Uhr morgens war es so weit.

Hermine hatte meinen Nabel geknüpft und öffnete die Türe zum Elternschlafzimmer. Mein Vater und meine Geschwister durften eintreten, um mich zu begrüssen und bestaunen.

Die väterliche Zuneigung und die unerschöpfliche Geschwisterliebe, in die ich von diesem Moment an eingehüllt wurde, wärmten mich mehr, als alle flauschigen Decken es vermocht hätten.

Mein jüngster Bruder, der elfjährige Rolf, machte den Vorschlag, die Fenster zu öffnen, damit alle Nachbarn hören könnten, wie ich weinte.

Die älteren zwei, Edgar und Kurt, beide schon kaufmännische Lehrlinge, kamen an diesem 26. April zum ersten- und gleichzeitig letzten Mal verspätet in ihren Büros an.

Für Fränzi, meine vierzehnjährige Schwester, war ich von diesem Tag an der Mittelpunkt ihres Lebens, ihre lebendige Puppe.

Meine Namensgebung, so wurde mir erzählt, löste lange und heftige Diskussionen aus.

Den zweiten Namen, Alice, erhielt ich nach alter Familiensitte von meiner Patin, da gabs nichts zu rütteln dran.

Der Rufname aber war heiss umstritten. Unsere Mutter wünschte sich ein «Bethli», also eine Elisabeth. «Es kommt überhaupt nicht in Frage, dass dieses Kind den gleichen Namen erhält wie unsere Kuh», protestierte der Vater heftig.

Glücklicherweise konnte er sich durchsetzen.

Es waren meine Geschwister, die den Namen «Theresia» vorschlugen, damals so etwas wie ein Modename, den auch beide Eltern akzeptieren konnten.

So wurde ich schliesslich für alle Leute im Dorf «s Bure Theresli».

S Bure Theresli in Nachbars Blumengarten

Wahrscheinlich hat sich immer, wenn ich nicht schlief, jemand mit mir beschäftigt. So war es nicht weiter erstaunlich, dass ich früh sprechen lernte.

Meine Geschwister behaupten noch heute, dass ich schon mit zwei Jahren Verslein auswendig aufsagen konnte.

Ich bezweifle, dass sich unsere Besucher, die diese immer wieder anhören mussten, gleichermassen daran erfreuten wie meine ganze Familie. Wenn ich ihren Erzählungen glauben kann, liess ich mich nie lange bitten, deklamierte bereitwillig was ich gelernt hatte und suhlte mich selbstverständlich im Applaus, der nie ausblieb Wen wundert es, dass ich mich zu einer Person entwickelt habe, die gern im Mittelpunkt steht?

Ganz selbstverständlich war das Gebet zum Schutzengel, jeden Abend, seit ich sprechen konnte.

Jemand aus der Familie fand immer Zeit, mit mir zu beten: «Schutzängeli mein, lass mich dir empfohlen sein. Tag und Nacht, ich bitte dich, beschütz, regier und leite mich. Hilf mir leben recht und fromm, dass ich zu dir in den Himmel komm.» Wahrscheinlich habe ich damals kein Wort davon verstanden, aber der Text ist bis heute in meinem Gedächtnis eingebrannt.

Gebete spielten in meiner Kindheit, im Leben unserer Familie, eine wichtige Rolle.

Ohne zum Schutzengel zu beten, durfte man unmöglich einschlafen.

Meine Eltern beteten jeweils im Zimmer nebenan mindestens ein «Zähni» eines Rosenkranzes.

«… heilige Maria, Muttergottes, bitte für uns arme Sünder, jetzt, und in der Stunde unseres Absterbens – Amen.»

Stundenlang zerbrach ich mir den Kopf darüber, was das «Absterbensamen» genau sein könnte.

Es war unmöglich, jemanden danach zu fragen.

Über Gebete sprach man im Thal nicht, das war ein unausgesprochenes, aber striktes Verbot, das jedes Kind mitbekam.

Man betete einfach, ohne zu fragen, was die Gebete genau bedeuten.

Mit dem Absterbensamen bekam das Schutzengeli Gesellschaft. Das waren die Mysterien meiner Kindheit.

In meiner eigenen Erinnerung beginnt die Geschichte vor dem alten, etwas windschiefen kleinen Bauernhaus.

Ich stehe auf dem Schotterplatz davor und bin verzweifelt. Die wollenen, von der Mutter gestrickten Strümpfe kratzen gnadenlos an den Beinen, Rotz und Tränen laufen über mein Gesicht. Die Schluchzer kommen tief aus meinem Bauch; ich ringe nach Atem.

Ein Auto fährt davon, die Strasse hinunter und nimmt meine grosse Schwester mit. Ich sehe, dass auch sie weint. Sie winkt, bis ich das Auto nicht mehr sehen kann.

Jetzt bin ich verloren. Fränzi fährt zur Kur nach Aegeri, ans Ende der Welt, für zwei Monate, für eine Ewigkeit!

Wer wird meine Tränen trocknen, mit mir zum Schutzängeli beten und den verhassten Fenchel von meinem Teller essen?