Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Arbeitslosigkeit, Sucht und Therapie. Der Autor beschreibt ein indikatives Angebot für arbeitssuchende Suchtkranke einer ambulanten Beratungs- und Behandlungsstelle. Dieses Therapieangebot erscheint vor dem Hintergrund bedeutsamer Veränderungen in der Arbeitswelt. Drei Interviews mit Langzeitarbeitslosen illustrieren deren Lebenswelt.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 327
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Für Claudia
Die Gegenwart empfängt keinen Sinn von der Zukunft. Das Schweigen der Geschichte überlässt die Individuen sich selber.
Andre Gorz
Teil 1: Die Folgen von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit
Die Arbeit und ihre Bedeutung für Lohnabhängige
Die Veränderung der Normalarbeitsverhältnisse im ausgehenden 20. Jh
Arbeitslosigkeit und ihre Folgen
Grundsicherung für Erwerbslose
Bedingungsloses Grundeinkommen
Alkoholismus als gesellschaftliches Problem
Arbeitslosigkeit und psychische Erkrankungen
ALG-II-Empfänger und Suchterkrankungen
Teil 2: Die Rehabilitation Suchtkranker
Ambulante Rehabilitation für arbeitssuchende Suchtkranke in Niedersachsen
Ambulante Rehabilitation für arbeitssuchende Suchtkranke in Lüneburg
Erwerbslosigkeit unter den Klienten der Fachstelle für Sucht in Lüneburg
Erwerbslosigkeit unter Klienten der ambulanten Rehabilitation in Lüneburg
Teil 3: Die Lebens- und Erfahrungswelt von ALG-II-BezieherInnen
Interview Nr. 1
Interview Nr. 2
Interview Nr. 3
Literatur
Der Autor
Wer sich für ein indikatives Angebot für Langzeitarbeitslose innerhalb der ambulanten Rehabilitation stark macht, bewegt sich in einem spannungsreichen und widersprüchlichen Feld. Dies betrifft auch, aber weniger den therapeutischen Umgang mit diesen Menschen, als vielmehr die Vorurteile und die Repression, unter der diese Bevölkerungsgruppe zu leiden hat. Somit ist dann auch schnell klar, und es bedarf keiner langatmigen Erklärungen, dass die existenzielle Unsicherheit und Angst vieler ALG-II-Empfänger, hervorgerufen durch oftmals konfliktreiche und langwierige Kontakte zum Jobcenter, sich sehr ungünstig auf die angestrebte und/oder erreichte Abstinenz auswirken kann und sich vielfach auch auswirkt.
Die Kostenträger der Entwöhnungsbehandlungen, zumeist die regionalen Rentenversicherungsträger oder die Deutsche Rentenversicherung Bund, favorisieren schon seit längerer Zeit besondere Angebote für Arbeitslose bzw. Langzeitarbeitslose. „Zukünftig wird es vergleichbar den indikativen Gruppenangeboten im psychotherapeutischen Bereich spezifische Angebote für Patientengruppen mit unterschiedlichen Teilhabeproblemen geben müssen, um auf spezielle Interventionserfordernisse von beruflich besonders desintegrierten, z. B. langarbeitslosen, Versicherten mit destruktiven Erwerbsbiografien gezielt eingehen zu können“ (Kulick 2008, S. 310). Das später beschriebene indikative Gruppenangebot versucht diese hier skizzierten Erfordernisse aufzugreifen. Doch zuvor erscheint es notwendig, einige soziologische und sozialpsychologische Faktoren näher zu betrachten.
Langzeitarbeitslosen wurde noch vor wenigen Jahren von wirtschaftsliberaler Seite der Vorwurf gemacht, sie führten ein luxuriöses Leben, das an »spätrömische Dekadenz« (Vgl. Westerwelle 2010) erinnere. Damit sollte wohl suggeriert werden, dass langfristig die Existenz der bundesdeutschen Gesellschaft davon abhänge, ob man den Langzeitarbeitslosen auch nur das zur Existenz finanziell Notwendige zur Verfügung stelle. Zynisch war es allemal, das Existenzminimum mit einer dekadenten und luxuriösen Lebensweise in Verbindung zu bringen. Entsprechend bräuchten sie Druck oder Hilfe oder gegebenenfalls auch beides, um in das reguläre Leben eines Lohnabhängigen zurückzufinden. „In der Union gab es Stimmen, das Geld für Hartz-IV-EmpfängerArbeitsgeld (sic!) um mehr als 30% zu kürzen“ (Lieberam 2007, S. 13). Dabei machen diese Kosten gerade mal 4,6% der gesamten Sozialleistungen in Deutschland aus (Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2016, S. 6). Diese Strategie, einzelne Fraktionen der Lohnabhängigen gegeneinander in Stellung zu bringen, den in Arbeit Befindlichen mit Arbeitslosigkeit zu drohen und Arbeitslose den noch Arbeitenden als Objekt für verschobene Aggressionen und Wutgefühle anzubieten, ist mindestens so alt wie der Kapitalismus. Bereits Marx sprach vom „Aufhetzen der verschiednen Volksklassen gegeneinander“ (Marx 1980, S. 350). Ziel dieser Vorgehensweise ist es, Konflikte dort zu inszenieren, wo sie nicht systemgefährdent wirken, im Gegenteil, sie schwächt diejenigen, die unter dem zentralen Widerspruch der kapitalistischen Ordnung, dem von Kapital und Arbeit, leiden. Zumindest nachdenklich könnte es im Ernstfall viele Zeitgenossen stimmen, wenn der Unternehmer Baron August von Fink der CSU vor der Landtagswahl 2008, als die Debatte um Steuererleichterungen für Firmenerben begann (die dann später auch durchgesetzt wurden), 820.000€ spendete. „Nur ein Jahr später gelangte dieser Eigentümer des Gastronomiekonzerns Möwenpick durch seine Millionenspende an die FDP zu trauriger Berühmtheit, weil beide so großzügig von ihm alimentierten Parteien gemeinsam mit der CDU die Mehrwertsteuer für Hotelübernachtungen von 19 auf 7 Prozent senkten“ (Butterwegge 2016, S. 70). Wenige Jahre zuvor hatte die damalige rot-grüne Bundesregierung finanzielle Umschichtungen zu Gunsten Wohlhabender und zu Lasten Arbeitsloser vorgenommen. „… – übrigens keineswegs zufällig – am selben Tag wie Hartz IV die letzte Stufe der rot-grünen Einkommenssteuerreform in Kraft trat, bei welcher der Eingangssteuersatz von 16 Prozent auf 15 Prozent und der Spitzensteuersatz von 45 Prozent auf 42 Prozent sanken“ (Butterwegge 2015, S. 2009). Wie schrieben doch Marx und Engels vor über 150 Jahren? „Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisieklasse verwaltet“ (Marx/Engels 1980, S. 464). Bei aller ökonomischen und gesellschaftlichen Wandlung scheint sich hier seit 1848 nichts Wesentliches geändert zu haben. Die Funktion der Staatsgewalt erscheint als Konstante der herrschenden Wirtschaftsweise. Diesen Aspekt betonte auch Engels Jahrzehnte später noch einmal. „Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten. Der moderne Staat, was auch seine Form, ist eine wesentlich kapitalistische Maschine, Staat der Kapitalisten, der ideelle Gesamtkapitalist“ (Engels 1972, S. 222).
Doch noch einmal zurück zu den kruden Vorstellungen Westerwelles, die jeglicher sozialen Empathie bar sind. Die Verführung ist groß, hier reflexartig den gegenteiligen Standpunkt einzunehmen und Langzeitarbeitslose ausschließlich als Opfer des kapitalistischen Wirtschaftssystems anzusehen. Allein diese Sichtweise führt in die Sackgasse, denn sie begreift sie ebenfalls, wenn auch unter anderen Vorzeichen, als Objekte patriarchalischer und autoritärer Intervention ohne jegliche Eigenverantwortung. Dass diese Sichtweise den Blick auf den Eigenanteil des Arbeitslosen an seiner Situation verstellt, wurde schon früh gesehen. „Ich glaube, daß der alte sozialistische Brauch, die Armen zu bemitleiden, den klaren Blick dafür getrübt hat, inwiefern es die Mängel des kleinen Mannes selbst sind, die zu seinem Schicksal beitragen“ (Reich 1947, S. 271). Diese Sichtweise, die Verantwortlichkeit des Individuums zu betonen, ist nun keineswegs neu, kann sie sich doch auf Marx selbst berufen. Auch wenn der Mensch ein „ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ ist, so ist er doch nicht bewusstlos und handlungsunfähig. Nicht zu vergessen ist, „daß die Umstände von den Menschen verändert werden“ müssen (Marx 1981, S. 5ff). Oder, anders ausgedrückt: „daß also die Umstände ebensosehr die Menschen, wie die Menschen die Umstände machen“ (Marx/Engels 1981, S. 38).
Aber Arbeitslose und insbesondere Langzeitarbeitslose, zumal, wenn sie unteren Sozialschichten angehören, werden nicht nur von neoliberalen und reaktionären Politikern und Medien angegriffen und herabgesetzt, sondern auch das linke oder linksalternative politische Spektrum schaut oftmals auf sie herab. „Schließlich werden in diesen Milieus bewusst oder unbewusst alle Unterschichtler als dumm, hässlich, dreckig, laut und unkultiviert betrachtet“ (Baron 2016, S. 47). Und diese vorurteilsvolle und herabsetzende Betrachtungsweise wiegt schwer, da sich das linke oder links-alternative politische Spektrum als Bündnispartner dieser Bevölkerungsschichten versteht. Aber auch die von einem verächtlichen Blick geprägte Umgehensweise ist keineswegs neu. Bereits Marx, obgleich er vor allem mit seinen wirtschaftswissenschaftlichen und politischen Analysen sein Leben lang an der Befreiung der Arbeiter herausragend mitwirkte, äußerte sich gelegentlich abfällig über das Proletariat. Beispielhaft dafür stehen Zeilen, die er einem Freund schrieb: „Ich habe nie, besoffen oder nüchtern, Äußerungen gemacht, daß die Arbeiter nur zu Kanonenfutter gut, obgleich ich die Knoten,….., kaum gut genug dafür halte“ (Marx 1963, S. 596). Und auch gegenüber Engels machte er abfällige Bemerkungen über Arbeiter.“ Unser Einfluß auf dies Beamtentum ist größer als auf die Knoten“ (Marx 1965, S. 291).
Arbeitslose und insbesondere Langzeitarbeitslose haben nicht nur weniger Geld zur Verfügung und müssen mittelfristig zudem oft mit Gefühlen von Sinnentleerung und Hoffnungslosigkeit zurechtkommen, sondern sie sehen sich auch massiven Vorteilen und Ressentiments der Bevölkerung ausgesetzt. 1994 antworteten 39% der westdeutschen Bevölkerung auf die Frage »Glauben Sie, daß es unter denen, die zur Zeit arbeitslos sind, viele gibt, die nicht arbeiten wollen, oder sind das nur Einzelfälle?«, es gäbe ihrer Meinung nach viele, die nicht arbeiten wollen (Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2001). 2001 waren es dann bereits 66%. 1994 waren 55% der Meinung, dies wären nur Einzelfälle und 2001 vertraten noch 28% diese Meinung. Eine etwas andere Situation ergab sich in Ostdeutschland. Hier waren 1994 nur 11% der Meinung, dass es viele Menschen gäbe, die nicht arbeiten wollten. Dieser Wert stieg dann in den Folgejahren auf immerhin 40% im Jahre 2001. Andererseits waren 1994 82% der Ostdeutschen der Meinung, es wären nur Einzelfälle von Menschen, die nicht arbeiten wollten. 2001 betrug dieser Wert dann 53%.
Auf die Frage »Glauben Sie, daß es bei uns in Deutschland viele Menschen gibt, die Sozialleistungen wie beispielsweise Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe, Wohngeld und ähnliches beziehen, obwohl es ihnen gar nicht zusteht, oder ist der Mißbrauch eher die Ausnahme?« antworten in Westdeutschland 65% der Menschen mit »ja, es gibt viel Missbrauch«. 2001 betrug dieser Wert immer noch 65%. Hingegen nahmen 1994 25% der Westdeutschen an, dies wäre eher die Ausnahme. 2001 betrug der Wert 26%, blieb also auch nahezu unverändert. Anders in Ostdeutschland. 1994 nahmen 28% der Bevölkerung an, es gäbe viel Missbrauch von Sozialleistungen, 2001 waren es dann bereits 48%. 1994 gingen 53% der Ostdeutschen davon aus, der Missbrauch von Sozialleistungen wäre eher die Ausnahme, 2001 glaubten dies noch 37%. Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass 2001 72% der Westdeutschen und 60% der Ostdeutschen der Meinung waren, man solle Arbeitslose zu gemeinnütziger Arbeit verpflichten. 15% der westdeutschen und 23% der Ostdeutschen lehnten diesen Standpunkt ab. 13% bzw. 17% der Bevölkerung waren in dieser Hinsicht unentschieden (Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach 2001). Kommen wir auf Westerwelles Äußerungen zurück. Diese Zahlen sprechen nun eben nicht dafür, dass die Leistungsbereitschaft der Menschen nachgelassen hat und sie es sich in der sogenannten sozialen Hängematte des Sozialstaates bequem eingerichtet haben. Diese Meinungsänderung ist eher der permanenten Propaganda der bürgerlichen Medien geschuldet, allen voran der Bild-Zeitung, die ALG-II-Empfänger zum willkommenen Sündenbock erklärt. „Den Medien geht es nicht darum, ein realistisches Bild einer Personengruppe zu zeichnen, sondern darum, Leser- oder Zuschauerquoten zu steigern. Die Inszenierung einer abstoßenden und beschämenden Unterschicht befriedigt einen gewissen Voyeurismus und das Interesse, sich besser zu fühlen und nach unten abgrenzen zu können. Die Medien schüren Neid und Wut bei denen, die ebenfalls nicht viel haben und sich von Hartz-IV-Bezieher_innen ausgenutzt fühlen. Die Arbeitslosen geben sich für ihre Lage selbst die Schuld. Der Wirtschaft dagegen nutzt die Stigmatisierung, hält sie doch Menschen an, sich leistungsbereit zu zeigen und unter schlechtesten Bedingungen zu arbeiten, um bloß nicht zum »Prekariat« zu gehören“ (Majer 2016, S. 4). Insofern scheint das Reich‘sche Fazit, ursprünglich bezogen auf eine ideologische und reaktionäre Sexualpolitik, immer noch zu gelten: „Die herrschende Klasse ist geschickt bei der Auswahl ihrer Prediger“ (Reich 1936, S. 43). Und die Auswirkungen dieser permanenten Hetze gegen Arbeitslose lassen nicht auf sich warten. Industriearbeiter sind augenscheinlich kaum zur Solidarität mit Arbeitslosen bereit. Stattdessen grenzen sie sich ab und fordern mehr Druck. „Mehr als die Hälfte der Befragten unserer Studie (54%) ist der Meinung, auf Arbeitslose solle größerer Druck ausgeübt werden, ein weiteres Drittel stimmt dem immerhin teilweise zu“ (Holst/Matuschek 2013, S. 96). Da die Lohnabhängigen sich einerseits ohnmächtig gegenüber den gesellschaftlichen Verhältnissen erleben, fühlen sie sich andererseits auch durch Langzeitarbeitslosigkeit bedroht. „»Hartz IV« wird mehrheitlich als latente Bedrohung auch des eigenen sozialen Status eingeschätzt…“ (Dörre 2013, S. 145). Angst verhindert hier Klassensolidarität.
Die Bundesagentur für Arbeit führte 2015 eine Umfrage zu ALG-II-Empfängern durch. Danach glaubten 37% der Bevölkerung ALG-II-Empfänger wollten nicht arbeiten, während 75% der ALG-II-Empfänger angaben, Arbeit sei ihnen das Wichtigste im Leben. Weitere 55% der Bevölkerung vertraten die Ansicht ALG-II-Empfänger suchten selbst nicht aktiv nach Arbeit, während 62% der ALG-II-Empfänger selbst direkt beim Arbeitgeber anklopfen. Weitere 57% der Deutschen glauben ALG-II-Empfänger seien bei der Arbeitssuche zu wählerisch, während 71% der Betroffenen angaben, sie wären bereit eine Stelle unter ihrem Leistungsniveau anzunehmen. 55% der Deutschen sind der Meinung ALG-II-Empfänger hätten nichts Sinnvolles zu tun, während 62% der Betroffenen mindestens eine gesellschaftlich relevante Betätigung nannten. 57% der Deutschen gaben an, die ALG-II-Empfänger wären ihrer Einschätzung nach schlecht qualifiziert. Dagegen spricht, dass immerhin 44% über eine abgeschlossene Ausbildung verfügten (Vgl. Wisdorff 2015). Diese Zahlen zeigen, dass Arbeit für die überwiegende Zahl der Deutschen eine zentrale Bedeutung hat und dies unabhängig davon, ob sie aktuell im Besitz eines Arbeitsplatzes sind oder nicht. Und nicht zuletzt dient dieses Thema offenbar vielen Zeitgenossen dazu ihre Vorurteile gegenüber Arbeitslosen zu demonstrieren. Realistischerweise muss dann aber wiederum auch angenommen werden, dass es Arbeitslose gibt, die angeben, sie würden einen Arbeitsplatz anstreben, aber die mit diesem geäußerten Wunsch in erster Linie vermeintlichen sozialen Erwartungen entsprechen wollen. Dass diese Gruppe aber in irgendeiner Weise das Funktionieren des Sozialstaates untergräbt, steht kurz- wie mittelfristig außer Frage.
Die Arbeit unter kapitalistischen Bedingungen hat einen eigentümlichen Charakter. „Die Arbeit produziert nicht nur Waren; sie produziert sich selbst und den Arbeiter als eine Ware, und zwar in dem Verhältnis, in welchem sie überhaupt Waren produziert“ (Marx 1981, S. 511). Arbeit bzw. Lohnarbeit unter den genannten Bedingungen der Profitmaximierung hat besondere Auswirkungen. Marx spricht in diesem Zusammenhang dann von »Entäußerung« bzw. »Entfremdung«. „Worin besteht nun die Entäußerung der Arbeit? Erstens, daß die Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d. h. nicht zu seinem Wesen gehört, daß er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und wenn er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen“ (Marx 1981, S. 514). Aber eigentlich geht er davon aus, „die freie bewußte Tätigkeit ist der Gattungscharakter des Menschen“ (Marx 1981, S. 516). Das bedeutet, unter anderen wirtschaftlichen Produktionsbedingungen erfolgt eine „Verwandlung der Arbeit in Selbstbetätigung“ (Marx/Engels 1981, S. 68). Diese Verwandlung der Arbeit kann aber nur jenseits des Kapitalismus stattfinden. Marx sprach 1875 davon, dass in einer zukünftigen kommunistischen Gesellschaft „Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden“ ist (Marx 1972, S. 21). Vielleicht erschien auch Marx diese Sicht auf die Arbeit letztendlich zu positiv, denn im dritten Band seines Hauptwerkes, das von Engels nach seinem Tod anhand seiner Manuskripte herausgegeben wurde, nimmt er eine deutlich andere Position ein.“ Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muß, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muß es der Zivilisierte, und er muß es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehn, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehn. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühn kann. Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung“ (Marx 1979, S. 828).
Die sehr geraffte Marx‘sche Sichtweise auf die Lohnarbeit bedarf sicher teilweise einer Korrektur und teilweise einer Ergänzung und Differenzierung. Hierzu einige Anmerkungen: Lohnarbeit unter kapitalistischen Produktionsbedingungen kann nicht nur durch das Stichwort Entfremdung abgebildet werden, denn „mehr als 70 Prozent aller Beschäftigten würden ihrer Arbeit angeblich selbst dann weiter nachgehen, wenn sie finanziell nicht darauf angewiesen wären“ (Bauer 2015, S. 18). Schließt man die Möglichkeit aus, dass Menschen hier etwas tun oder fortsetzen, was ihnen letztlich nicht gut tut, und im Einzelfall sicher auch passiert, so ist diese Zahl überraschend. Hier offenbart sich wohlmöglich aber auch der Geist des Kapitalismus, der ein arbeitsames Leben zur ethisch und religiös verbrämten Richtschnur aller Gesellschaftsmitglieder erhob (Vgl. Weber 2007). Etwas abstrakter und verallgemeinernd formuliert findet sich dieser Gedanke bereits beim frühen Marx: „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind“ (Marx/Engels 1981, S. 46). Gerade der letzte Hinweis, dass diejenigen, denen die Mittel zur geistigen Produktion fehlen, dem Einfluss der herrschenden Gedanken unterworfen sind, ist auch heute immer wieder aktuell. Wenn gegen arme Bevölkerungsgruppen polemisiert oder gar gehetzt wird, so fehlt diesen Menschen weitestgehend der Zugang zu den Medien, um hier Gegenwehr zum Ausdruck zu bringen.
Auf einen interessanten Tatbestand weist Klee hin. Er schreibt u. a. über die Arbeitsmotivation von Nichtsesshaften. „Nichtsesshafte arbeiten hart. In Markthallen, im Hafen, auf dem Bau, in der Landwirtschaft, als Möbelpacker“ (Klee 1979, S. 130). Klee räumt einerseits mit dem Vorurteil auf, Nichtsesshafte wollten nicht arbeiten und andererseits verweist er auf Arbeitsbedingungen, die dieses Arbeitskräftepotential Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts noch nachfragte. „Die Arbeitsscheu der Nichtsesshaften ist ein Märchen. Sie arbeiten, hat sich gezeigt, wenn sie können und dürfen. Nur, dass sie selbst darüber nicht zu bestimmen haben. Denn Nichtsesshafte oder Personen, die als »nichtseßhaft« deklariert wurden, bilden ein mobiles Arbeitskräftepotential, das bei Bedarf in den Arbeitsprozeß ein – und bei Nichtbedarf ausgegliedert wird“ (Klee 1979, S. 130). Heute sind Nichtsesshafte weit davon entfernt als Arbeitskräfte gebraucht zu werden. Möglicherweise setzt sich die Population der Nichtsesshaften aber heute auch aus Menschen zusammen, die ein weit höheres Maß an Verelendung aufweisen als diejenigen vor 45 Jahren und die von daher auch keine vergleichbare Arbeitsleistung mehr bringen könnten. Dieser Vermutung kann hier allerdings aus Platzgründen nicht weiter nachgegangen werden.
Doch zurück, in die Gegenwart, zu den 70%, die weiter arbeiten würden, auch wenn sie es finanziell nicht mehr müssten. Hierfür mag es gar neurobiologische Gründe geben wie Bauer weiter ausführt: „Ein zentrales, neurobiologisch (!) begründetes Motiv für die Bereitschaft des Menschen zu arbeiten ist der Wunsch nach direkter oder indirekter Anerkennung“ (Bauer 2015, S. 29). Andererseits „behaupten 83 Prozent der Befragten im Gegenzug: alle anderen würden sich auf die faule Haut legen“, wenn es ein bedingungsloses Grundeinkommen gäbe (Evangelische Zeitung 2014, S. 3). Hier wird allemal Misstrauen in den Nächsten deutlich. Möglicherweise werden hier auch Wünsche nach Passivität und Hingabe auf andere Menschen projiziert, um sie nicht an sich selbst wahrnehmen zu müssen.
Die Marx`sche Sichtweise, dass die Arbeit gar ein Lebensbedürfnis werden könne, wenn sie denn unter nicht entfremdeten Bedingungen stattfinde, mag nun zunächst ihrerseits etwas befremdlich anmuten. Ist so etwas überhaupt möglich, könnte man sich fragen. Auf der anderen Seite kennen viele Menschen einen Zustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass sie völlig in einer Tätigkeit aufgehen. Diese Befindlichkeit wird auch als »Flow« bezeichnet. Er beschreibt das „Gefühl mühelosen Handelns“ (Csikszentmihalyi 2001, S. 45). Welche Bedingungen müssen nun erfüllt sein, um „Flow-Erfahrungen“ machen zu können? Wichtig scheint das Bewusstsein zu sein, dass man etwas gut oder richtig gemacht hat. Hierzu bedarf es eines Feedbacks. Zudem darf die Arbeit keine Unter- und keine Überforderung darstellen. „Entspricht eine schwierige Herausforderung einem großen Können, so kann das zu einem völlig (sic!) Aufgehen in der Aktivität führen. Darin unterscheidet sich der flow-Zustand vom normalen Leben“ (Ders. a. a. O., S. 47).
Die Freiheit der Selbstbestimmung ist insofern nicht umsonst zu haben, liefert aber auf der anderen Seite vielfach ein Gefühl tiefer Befriedigung im Arbeitsprozess. Und gerade hieran mangelt es vielen Lohnabhängigen in Deutschland, wie die Unternehmensberatung Gallup feststellte. „Immerhin 67 Prozent der Beschäftigten machen hierzulande nur noch Dienst nach Vorschrift, sind also kaum bei der Sache. Jeder sechste hat innerlich sogar gekündigt. Demgegenüber geben nur 16 Prozent an, sich ihrem Arbeitgeber stark verbunden zu fühlen – und sich deshalb für ihn ins Zeug zu legen“ (Bund/Rohwetter 2014, S. 23). Gleichzeitig scheint – zumindest untergründig – bei vielen Lohnabhängigen ein Wunsch nach Selbstbestimmung in der Arbeit zu bestehen, auch wenn er sich vornehmlich in Sehnsüchten und Phantasien dokumentiert, die allerdings unter kapitalistischen Produktionsbedingungen nicht zu erfüllen sind, worauf denn auch eiligst hingewiesen wird. „Auch sie überfrachten den Job mit Ansprüchen, die in der Summe kaum zu erfüllen sind: Die Arbeit soll Sinn stiften, Glück verheißen und der Persönlichkeit Bedeutung verleihen“ (Ders. ebd.). Bedeutung zu haben heißt heutzutage vor allem, Wertschätzung zu bekommen. Und hier gibt es einen Zusammenhang mit der Arbeitszufriedenheit. „Der Aussage »Ich habe in den letzten sieben Tagen für gute Arbeit Anerkennung und Lob bekommen« stimmten im Jahr 2011 nur 4 Prozent der Mitarbeiter ohne emotionale Bindung uneingeschränkt zu. Bei den emotional hochgebundenen Arbeitnehmern lag dieser Wert bei 79 Prozent. Ähnlich verhielt es sich, wenn es um ein konstruktives Feedback ging (2 Prozent zu 75 Prozent). Des Weiteren gaben nur 5 Prozent der Mitarbeiter ohne emotionale Bindung an, dass sich jemand bei der Arbeit für sie als Mensch interessiert (emotional hoch Gebundene: 93 Prozent). Nur ein Prozent der Mitarbeiter ohne emotionale Bindung erklärt, dass es jemanden im Unternehmen gibt, der die persönliche Entwicklung fördert (emotional hoch Gebundene: 87 Prozent). Nur drei Prozent der emotional nicht gebundenen Mitarbeiter mochten der Aussage uneingeschränkt zustimmen, ihre Meinungen und Ansichten hätten im Unternehmen Gewicht. In der Gruppe der emotional hoch Gebundenen stimmten 93 Prozent ohne Wenn und Aber zu“ (Berkemeyer 2014, S. 11). Diese Zahlen belegen, dass das Thema Arbeit mit zentralen Emotionen, wie Freude und Frustration, aber auch mit dem Bedürfnis nach Anerkennung legiert ist. So verwundert es nicht, dass es auch im Unbewussten der Lohnabhängigen seinen Platz findet. „Das häufigste Thema in den Träumen der Deutschen ist einer repräsentativen Studie zufolge ihre Arbeit (34 Prozent), es folgten Reisen (27 Prozent) und Verstorbene (22 Prozent)“ (Spät 2016).
Die Entlohnung der arbeitenden Bevölkerung und ihre rechtliche Stellung in der Arbeitswelt sind einem dauernden Wandel unterworfen. Dennoch lässt sich als grobe Orientierung festhalten: „Die ökonomischen Verhältnisse einer gegebenen Gesellschaft stellen sich zunächst dar als Interessen“ (Engels 1971, S. 272). Wenn Normalarbeitsplätze, oft tarifgebunden, aufgelöst werden, wenn schlechter entlohnte Leiharbeiter Stammbelegschaften ersetzen, unbefristete Arbeitsverträge sukzessive durch befristete ersetzt werden, wenn Arbeitslose über ein System von Sanktionen in Teilzeitjobs gepresst werden, ist klar, wessen Interessen sich hier artikulieren – und vor allem – durchgesetzt werden.“ Überall finden wir in der Tat dasselbe Bild: Eine privilegierte Schicht stabiler und in ihrem Betrieb ergebener Kernbelegschaften steht mittlerweile einer wachsenden Masse von prekär Beschäftigten, Zeitarbeitern, Arbeitslosen und Jobbern gegenüber“ (Gorz 1989, S. 98). Durch das Drücken der Arbeitskosten sollen offensichtlich die Verwertungsbedingungen des Kapitals verbessert werden. Dies kann durch billigere Leiharbeiter genau so geschehen, wie ein in geringfügige Beschäftigungen zerstückelter Vollzeitjob die Arbeitsflexibilität erhöht. Als Nebeneffekt führen diese Veränderungen der Arbeitsplatzsicherheit zu einer erhöhten Disziplinierung weiter Schichten der Lohnabhängigen. Hierzu ein kleiner Überblick über das Ausmaß dieser Tendenzen in der deutschen Wirtschaft. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass seit Januar 2015 in vielen Branchen ein Mindestlohn von 8,50€ gilt. (ab 1.1.2017: 8,84€) Das ist nicht viel, und vor allem schützt dieser Lohn nicht vor Altersarmut, aber zuvor herrschten in manchen Branchen Stundenlöhne von fünf oder sechs Euro. Erste Untersuchungen deuten darauf hin, dass der Mindestlohn, abgesehen von den Branchen, in denen er sowieso nicht gilt, wie z. B. bei der Zeitungszustellung, keineswegs flächendeckend gezahlt wird. 2014 verdienten 59,1% der Minijobber weniger als 8,50€, nach der Einführung des Mindestlohns waren es im Jahre 2015 immerhin noch 50,4%. Im Juni 2015, also sechs Monate nach Einführung des Mindestlohns, erhielten immerhin noch 44% der Minijobber einen Lohn unterhalb der Mindestgrenze. „Besonders in den Branchen mit vielen Minijobbern und Niedriglöhnen, für die es keine Ausnahmeregelung gab, lag der Anteil der Verstöße gegen das Mindestlohngesetz bei Minijobbern im Jahr 2015 noch höher. Betroffen sind insbesondere das Gastgewerbe mit 75% und der Einzelhandel mit 53,6%. Außerdem treten Mindestlohnverletzungen mit 62,4% häufiger in Kleinunternehmen (bis zehn Beschäftigte) als in mittelgroßen Unternehmen (44,7%, 11 bis 199 Beschäftigte) und Großunternehmen (40,2%, 200 oder mehr Beschäftigte) auf“ (Pusch/Seifert 2017, S. 5). In diesem Zusammenhang weitere Daten zur atypischen Beschäftigung
Tabelle 1 Atypische Beschäftigung
Männer
Frauen
1991
6%
23%
2014
12%
33%
Quelle: Statist. Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch. Wiesbaden 2015, S. 352
Tabelle 1 zeigt, dass die atypische Beschäftigung in den Zeiten starker Arbeitslosigkeit zugenommen hat und 1/3 der weiblichen Erwerbstätigen betrifft. Aber auch bei den Männern hat sie sich immerhin auf 12% verdoppelt.
Tabelle 2 Formen atypischer Beschäftigung (Überschneidungen möglich)
Jahr
Befristet
Teilzeit
Geringfügig
Gesamt
2000
2.265.000
3.944.000
1.749.000
6.012.000
2005
2.498.000
4.673.000
2.416.000
6.854.000
2010
2.858.000
4.942.000
2.517.000
7.945.000
2014
2.464.000
4.868.000
2.335.000
7.506.000
Quelle: Statist. Bundesamt (Hrsg.): Statistisches Jahrbuch. Wiesbaden 2015, S. 352
Tabelle 2 ist zu entnehmen, dass in 15 Jahren vor allem die Zahl der Teilzeitstellen und die der geringfügig Beschäftigten zugenommen haben. Aber auch die befristet beschäftigten Arbeitnehmer haben sich auf hohem Niveau eingependelt.
Tabelle 3 Entwicklung der Leiharbeit in Deutschland
1985
1994
1997
2002
2015
42.000
103.000
181.000
288.000
951.00
Quelle: Bundesagentur für Arbeit 2016, S.7
Wie stellen sich die aktuellen Verhältnisse im Einzelnen dar? 290 000 Leiharbeiter oder 31% sind in den Bereichen Verkehr, Logistik, Sicherheit und Reinigung beschäftigt. 266 000 oder 28% arbeiten in den Bereichen Metall und Elektro (Vgl. Bundesagentur f. Arbeit 2016, S. 10). Die Frage nach den Gründen des Ansteigens der Leiharbeit erübrigt sich weitgehend, wenn man weiß, dass Leiharbeiter im Schnitt 42% weniger verdienen als der Durchschnitt aller Lohnabhängigen. Bei den gut ausgebildeten Spezialisten sind es immer noch 20%. Fazit: Leiharbeitnehmer sind ein gutes Geschäft für deutsche Unternehmen. Kaum ein Gesetz wurde seit Anfang der 80er Jahre so oft der Interessenslage der Unternehmer bzw. der Zahl der Arbeitslosen angepasst wie das über die Leiharbeit. Auch diese administrative Vorgehensweise ist keineswegs neu. Sie ist mindestens seit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft gebräuchlich. „Sowohl die politische wie die bürgerliche Gesetzgebung proklamieren, protokollieren nur das Wollen der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx 1980, S. 109).
Die Veränderung von Arbeitsformen, Arbeitszeiten, Arbeitsintensität und das Auftreten und der Umgang mit Arbeitslosigkeit geschehen aus materialistischer Sicht nicht zufällig, sondern lassen sich auf die Bedingungen der Produktion und die Verteilung der Produkte zurückführen. „Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, dass die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; dass in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird“ (Engels 1978, S. 248). Und Engels führt sehr pointiert – und damit leider auch zu sehr verkürzt – aus, dass es die materiellen Prozesse und nicht die Ideen der Menschen sind, die gesellschaftliche Veränderungen hervorrufen: „Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in Veränderungen der Produktions- und Austauschweise; sie sind zu suchen nicht in der Philosophie, sondern in der Ökonomie der betreffenden Epoche“ (Ders. a. a. O., S. 248f). In späteren Jahren äußerte Engels sich hier differenzierter. Er gestand zu, dass politischen, juristischen, philosophischen und religiösen Anschauungen eine große Bedeutung in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zukommt. Sie „üben auch ihre Einwirkung auf den Verlauf der geschichtlichen Kämpfe aus und bestimmen in vielen Fällen vorwiegend deren Form“ (Engels 1986, S. 463). Selbstkritisch merkte Engels an, dass er und Marx selbst dazu beigetragen hätten, dass dem ökonomischen Faktor als dem treibenden Moment der gesellschaftlichen Entwicklung eine zu große und vor allem einseitige Beachtung zuteilwurde. „Wir hatten, den Gegnern gegenüber, das von diesen geleugnete Hauptprinzip zu betonen, und da war nicht immer Zeit, Ort und Gelegenheit, die übrigen an der Wechselwirkung beteiligten Momente zu ihrem Recht kommen zu lassen“ (Engels 1986, S. 465).
Aber die Flexibilität am Arbeitsmarkt lässt sich noch weiter verschärfen und auf die Spitze treiben. Ein hierbei verwandtes Instrument ist die »Arbeit auf Abruf«. Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz ist die Arbeit auf Abruf mindestens vier Tage im Voraus anzukündigen. Dieser gesetzlichen Vorgabe wird aber nur sehr unzureichend Folge geleistet. 35,2% der Arbeitnehmer wurden am selben Tag über ihren Arbeitseinsatz informiert, 37% ein bis drei Tage im Voraus und lediglich bei 27,8% der Arbeitnehmer wurde die gesetzlich vorgeschriebene Frist von vier Tagen eingehalten (Vgl. DGB 2016, S.12). Und diese Form des Arbeitens ist keine Randerscheinung, denn 13% der Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern nutzen diese Arbeitszeitform. Diese Arbeitszeitform nutzen 31,4% der Betriebe im Bereich Gastronomie und personenbezogene Dienstleistungen und 26,3% der Betriebe im Bereich Baugewerbe und Versorgung (Vgl. Ders. a. a. O., S. 7). Arbeit auf Abruf findet sich vor allem bei Minijobs und auch im Niedriglohnbereich. Aber die Kapitalseite scheint mit dem Ausmaß der Flexibilisierung noch nicht zufrieden. „Seitens des Arbeitgeberlagers wird der Abbau des bestehenden Arbeitsschutzrahmens z. B. durch die Einschränkung der Ruhezeiten von elf Stunden gefordert, um noch mehr betriebliche Spielräume für zunehmend flexible, arbeitsintensive und mobile Tätigkeiten zu erwirken“ (DGB 2016, S. 3).
Arbeit im Niedriglohnbereich findet vornehmlich bei Minijobs und Teilzeitstellen statt. Seit Jahren wächst der Anteil der Lohnabhängigen, die für einen Niedriglohn (unterhalb von zwei Dritteln des mittleren Stundenlohnes) arbeiten. „Dieser Anteil ist nach Berechnungen des Instituts Arbeit und Qualifikation seit 2000 bis 2015 von rund 20 Prozent auf rund 24 Prozent angestiegen und schwankt seitdem um einen Wert von rund 23 Prozent“ (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2013, S. XI). Mit der Einführung des Mindestlohnes wurde der Versuch unternommen, dem Lohndumping Grenzen zu setzen. Wie war es zuvor? „Nach einer Studie des Instituts für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen müssen knapp acht Millionen Menschen in Deutschland mit einem Niedriglohn von weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde auskommen. Zwischen 1995 und 2010 stieg die Zahl der Niedriglöhner um mehr als 2,3 Millionen. Mehr als eine Million Niedrigverdiener bekommen weniger als fünf Euro…. Friseure arbeiten hingegen auch schon mal für unter vier Euro die Stunde“ (Landeszeitung 2013, S. 20). Dafür bekommen sie dann aber den Dank der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung und der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) (Vgl. Kirchenzeitung 2014, S.10). Mittlerweile liegen auch erste Beschreibungen aus der Arbeitnehmerperspektive vor (Vgl. Wallraff 2009). Trotzdem erleben offenbar manche ehemals Langzeitarbeitslose diese Ausbeutung noch als hilfreich und ziehen sie einem Leben als Arbeitsloser vor. So ein Arbeitnehmer ist Norbert Faltin, Betriebsrat bei Amazon, gleichzeitig CDU-Mitglied und Mitglied der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB). Er feiert es als Riesenerfolg, dass mittlerweile 25% der 2000 Mitarbeiter bei Amazon in Koblenz befristete Verträge haben (Vgl. Gerber 2014, S.10). Wie passt es zusammen, dass er vor Ort als Betriebsrat für soziale Sicherheit und Arbeitnehmerrechte kämpft, während seine Parteifreunde in Berlin gemeinsam mit FDP, SPD und Grünen die Wirtschaft dereguliert und die verschärfte Ausbeutung der Lohnabhängigen in Szene gesetzt haben? Diese Frage stellt er sich offensichtlich nicht. Davon, dass das deutsche Lohndumping in anderen Ländern der EU die Wirtschaft ruiniert, ist ebenfalls nicht die Rede. Im Jahre 2014 wurde bei Amazon, dem Onlineversandhandel, der an neun Standorten in Deutschland 9.000 Menschen beschäftigt, an vier Standorten gestreikt. Ziel von Ver.di war der Abschluss eines Tarifvertrages, was Amazon vehement ablehnte (Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 04.06.2014). Die Aufkündigung von Tarifverträgen ist ein beliebtes Mittel zum Drücken der Löhne. Mittlerweile arbeitet nur noch jeder zweite Lohnabhängige in Deutschland in einem Betrieb, für den ein Branchentarifvertrag gilt (Vgl. Süddeutsche Zeitung v. 03.06.2014, S. 19). 1996 waren es im Westen Deutschlands noch 70% und im Osten immerhin 56%. Stundenlöhne von fünf, sechs oder sieben Euro waren vor 2015 noch nicht das Ende der Lohnskala. Im Juni 2014 meldete die sozialistische Presse, dass aus Osteuropa stammenden Erntehelfern in Thüringen Löhne von nicht einmal 3€ gezahlt wurden (Vgl. Klemm 2014, S. 1). Die betroffenen Arbeitskräfte, etwa 700, wohnten auf dem Betriebsgelände in Zimmern von ca. zehn Quadratmetern Größe, die mit 20 Bewohnern belegt waren. Für 700 Menschen gab es drei WCs bzw. Duschen. Der Betreiber des Hofes bestritt die Zustände (Vgl. Boewe 2014, S. 9). Aber es ist nicht nur der Niedriglohn, der viele Lohnabhängige beutelt.
Der Arbeitsumfang und der Arbeitsdruck steigt insgesamt immer mehr. „Fast die Hälfte aller Erwerbstätigen arbeitet außerhalb der regulären Arbeitszeit, viele sogar im Urlaub. Die Deutschen leisten durchschnittlich rund drei Überstunden pro Woche, und nicht einmal die Hälfte dieser Überstunden wird bezahlt. Tendenz steigend“ (Spät 2016). Dabei werden auch gesetzliche Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes oftmals ausgehebelt. Es „arbeiten zwölf Prozent der Vollerwerbstätigen über 48 Stunden pro Woche – also mehr als gesetzlich erlaubt, bei den Selbständigen sind es sogar 53 Prozent“ (Spät 2016). Aber all dies scheint den Arbeitgebern immer noch nicht zu reichen. „Der gesetzliche Korridor passt nicht mehr in eine Welt, die 24 Stunden am Tag in Echtzeit online ist.“, so Hans-Peter Klos vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (Spät 2016). Verwundert es da noch, dass schon 53% der Studierenden und 50% aller Beschäftigten unter einem hohen Stresslevel klagen (Vgl. AOK Bundesverband 2016, S. 1). Aber diese Zusammenhänge zwischen erhöhtem Arbeitsdruck und langen Arbeitszeiten einerseits und der Angst vor Arbeitslosigkeit andererseits sind keineswegs neu wie ein Blick in die entsprechende Literatur belegt. „Es liegt in der Natur des Kapitals, einen Teil der Arbeiterbevölkerung zu überarbeiten und einen anderen zu pauperisieren“ (Marx 1968, S. 300).
Wie fühlt sich Überarbeitung und Entfremdung heute an? Viele Aspekte dieser Zustände lassen sich sicher unter dem Begriff »Stress« zusammenfassen. „Hohe Anspannung, niedrige Reizschwelle, zu viele Gedanken zur gleichen Zeit und eine genervte Ungeduld mit anderen genau wie mit sich selbst – so in etwa fühlt sich Stress an“ (Techniker Krankenkasse 2016, S. 6). 63% der Frauen und 58% der Männer stehen immer wieder unter Stress. 39% der Frauen und 54% der Männer fühlen sich durch ihre Arbeit gestresst. Unter hohen Ansprüchen an sich selbst leiden 48% der Frauen und 37% der Männer. 23% der Frauen und 34% der Männer fühlen sich durch die ständige Erreichbarkeit gestresst (Vgl. Techniker Krankenkasse 2016, S. 13). Extensives Arbeiten kann insbesondere für Männer zum Stressfaktor werden. „Eine Arbeitszeit mit weniger als 30 Stunden steht mit zwei Prozent bei kaum einem Mann im Vertrag. Dafür sind es dann aber 39 Prozent der Männer, die mehr als 40 Stunden, und weitere zwölf Prozent, die mehr als 51 Stunden in der Woche arbeiten“ (Techniker Krankenkasse 2016, S. 22). Eindeutige Zusammenhänge gibt es zwischen der Höhe des Verdienstes und der Freude an der Arbeit. „Von denen, die 4.000 Euro und mehr an Einkommen haben, gehen fast acht von zehn mit Freude zur Arbeit. Nur sechs von zehn sind es dagegen bei denen, die 1.500 Euro oder weniger zur Verfügung haben“ (Techniker Krankenkasse 2016, S. 23). Hier dürften die Arbeitsbedingungen der wichtigste Faktor sein. Wer weniger qualifiziert ist, kann in der Arbeit in der Regel weniger seine Kreativität entfalten und hat auch weniger Gestaltungsspielräume – und nicht zuletzt ist das Einkommen relativ gering. Vier von zehn Lohnabhängigen fühlen sich abgearbeitet und verbraucht. 38% können abends und am Wochenende nicht richtig abschalten. 29% können auch im Urlaub nicht mehr richtig abschalten. Die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes ist ein bedeutsamer Stressfaktor. Geringer Qualifizierte fürchten sich hier häufiger. „19 Prozent derer mit Hauptschulabschluss sorgen sich aktuell um ihren Arbeitsplatz. Von denen mit mittlerem Abschluss sind es 13 Prozent, von denen mit Abitur oder Studium nur sieben Prozent“ (Techniker Krankenkasse 2016, S. 29).
Stressauswirkungen zeigen sich in vielfältigen psychosomatischen Symptomen. 54% berichten von Verspannungen/Rückenschmerzen, 30% leiden unter Schlafstörungen, 26% unter Migräne, 25% leiden unter Nervosität/Gereiztheit, 25% haben Herz-Kreislauf/Bluthochdruck-Beschwerden. 13% leiden unter depressiven Verstimmungen und 12% unter Magenbeschwerden/Übelkeit (Vgl. Techniker Krankenkasse 2016, S. 47).
Was Arbeiter und andere Lohnabhängige heute über ihre Kollegen, ihren Betrieb und das Leben jenseits der Lohnarbeit denken, ist trotz aller demoskopischen Untersuchungen kaum bekannt. Die Zahl der hierzu vorliegenden Studien ist sehr begrenzt. Nachfolgend werden Befunde dargelegt, die aus Belegschaftsbefragungen aus Betrieben der Metall- und Elektroindustrie stammen. Von Repräsentativität im statistischen Sinne ist dabei allerdings nicht die Rede.
Bei der Betrachtung der vorliegenden Ergebnisse wird schnell klar, dass von einem Klassenbewusstsein im herkömmlichen Sinne nicht (mehr) gesprochen werden kann. Hierunter wäre Klarheit über die eigene Stellung im Wirtschaftsprozess und die dadurch bedingten Machtverhältnisse zu verstehen. Klassenbewusste Arbeiter würden erkennen, dass sie als produktive Arbeiter einen Mehrwert erarbeiten, der ihnen aber nicht zunutze kommt, sondern privat angeeignet wird. Diesen Widerspruch von Kapital und Arbeit würden sie als historisch bedingt und damit auch als durch kollektive Anstrengungen veränderbar erkennen. Derzeit ist dies aber nicht so. „Kritisches Gesellschaftsbewusstsein findet im Mikrokosmos des Arbeitsbewusstseins nicht mehr selbstverständlich eine Stütze. Im Gegenteil, die positive Identifikation mit dem Betrieb, dem Werk und gegebenenfalls dem Unternehmen als sozialem Ort vermag eine kritische Sicht auf die Gesellschaft subjektiv zu relativieren, ja zu entschärfen“ (Dörre/Matuschek 2013, S. 40f). Dieser Mangel an kritischem Bewusstsein ist zum Teil der wirtschaftlichen Entwicklung geschuldet. „Wer die Bewährungsproben immer neuer Standortkonkurrenzen zu bestehen hat, dem fällt es schwer, das dichotomische Gesellschaftsbild auf die betriebliche Leistungsgemeinschaft anzuwenden“ (Dörre/Matuschek 2013, S. 51). Auch diese der kapitalistischen Wirtschaftsweise innewohnende Tendenz ist keineswegs neu. „Diese Organisation der Proletarier zur Klasse, und damit zur politischen Partei, wird jeden Augenblick wieder gesprengt durch die Konkurrenz unter den Arbeitern selbst“ (Marx/Engels 1980, S. 471). Allerdings werden diese zentrifugalen Kräfte im Laufe der kapitalistischen Entwicklung überwunden und die Konstituierung als Klasse schreitet fort. Mit dieser Entwicklung hatten Marx und Engels lange Zeit Recht, vielleicht sogar bis Anfang der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts: „Aber sie ersteht immer wieder, stärker, fester, mächtiger. Sie erzwingt die Anerkennung einzelner Interessen der Arbeiter in Gesetzesform, indem sie die Spaltungen der Bourgeoisie unter sich benutzt“ (Marx/Engels 1980, S. 471). Nach Ende des zweiten Weltkrieges findet die arbeitende Klasse nicht mehr zu ihrem ehedem bestehenden politischen Bewusstsein zurück. Der Ausschluss des marxistischen Wirtschaftswissenschaftlers, Viktor Agartz, aus SPD und DGB Ende der 50er Jahre und die Verabschiedung des Godesberger Programms der SPD mit der darin enthaltenen Aufgabe sozialistischer Positionen ist Symptom dieser Entwicklung. Dies bleibt fernerhin nicht ohne Folgen. „Wird die Kapitalismuskritik z. B. in gewerkschaftlichen Politikansätzen still gestellt, muss die ungerechte Gesellschaft als unveränderliches Kontinuum, als Ansammlung von Sachzwängen erscheinen, mit denen man sich ausschließlich individuell auseinanderzusetzen hat“ (Dörre/Matuschek 2013, S. 51). Damit fehlt es dann aber auch an politischen Leitbildern, die der alltäglichen Kritik eine realistische Perspektive jenseits der Ohnmachtserfahrungen bieten können. Auch diese Entwicklung ist seit langem bekannt. Bereits Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts stellte Gorz ähnliches fest: „Dieser Partikularismus entwickelt sich vielmehr genau dann, wenn eine Perspektive fehlt, die die lokalen Forderungen eng mit den Aktionen der Arbeiterklasse verbindet.“ (Gorz 1967, S.71) Wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit von den industriellen Arbeitsplätzen hin zu denen in der sozialen Dienstleistungsbranche. Welche Tendenzen sind hier vorherrschend?
Vor rund 40 Jahren wurde davon ausgegangen, dass soziale Dienstleistungsberufe ein geringeres Maß an Entfremdung beinhalten als industrielle Arbeitsplätze. Mit Entfremdung wurde zuvörderst ein Gefühl von Sinnentleerung und mangelnder Befriedigung verbunden. Es wurde festgestellt, „dass viele Menschen mit dem Helfen starke Erlebnisse von Sinnhaftigkeit verbinden“ (Schmidbauer 2007, S.15). Es wurde unterstellt, dass die Helfer-Branche eine Art Refugium ist, in das die kapitalistische Produktionsweise nur sehr bedingt eingreift. „In einer zunehmend sinnentleerten, von verschärfter Konkurrenz bestimmten, taylorisierten und computergesteuerten Arbeitswelt bieten die sozialen Berufe einer wachsenden Zahl von Menschen Möglichkeiten, noch einen persönlichen Sinn, das Gefühl unmittelbarer Wirksamkeit zu erleben“ (Schmidbauer 1981, S. 265). Wir werden später sehen, dass diese Annahme eines Refugiums so nicht (mehr) haltbar ist.