Ärger im Bellona-Club - Dorothy L. Sayers - E-Book

Ärger im Bellona-Club E-Book

Dorothy L. Sayers

5,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey ist Zeuge, als General Arthur Fentiman in den frühen Abendstunden tot in einem Sessel am Kamin des Bellona-Clubs entdeckt wird. Am selben Morgen wurde auch Fentimans Schwester, die wohlhabende Lady Dormer, in ihrem Haus tot aufgefunden – sanft entschlafen. Mit ihrem Testament wird der genaue Todeszeitpunkt des Generals entscheidend für die Erbfolge. Doch niemand scheint Fentiman am besagten Tag überhaupt lebend gesehen zu haben. Starb er tatsächlich eines natürlichen Todes? Lord Peter Wimsey beschließt, den Bellona-Club sowie die Familie Fentiman genauer unter die Lupe zu nehmen …

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 369

Bewertungen
5,0 (1 Bewertung)
1
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Dorothy L. Sayers

Ärger im Bellona-Club

Ein Fall für Lord Peter Wimsey

Kriminalroman

Aus dem Englischen von Otto Bayer

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Amateurdetektiv Lord Peter Wimsey ist Zeuge, als General Arthur Fentiman in den frühen Abendstunden tot in einem Sessel am Kamin des Bellona-Clubs entdeckt wird. Am selben Morgen wurde auch Fentimans Schwester, die wohlhabende Lady Dormer, in ihrem Haus tot aufgefunden – sanft entschlafen. Mit ihrem Testament wird der genaue Todeszeitpunkt des Generals entscheidend für die Erbfolge. Doch niemand scheint Fentiman am besagten Tag überhaupt lebend gesehen zu haben. Starb er tatsächlich eines natürlichen Todes? Lord Peter Wimsey beschließt, den Bellona-Club sowie die Familie Fentiman genauer unter die Lupe zu nehmen …

Über Dorothy L. Sayers

Dorothy L. Sayers, Jahrgang 1983, legte als eine der ersten Frauen an der Universität ihres Geburtsortes Oxford ihr Examen ab. Mit ihren mehr als zwanzig Detektivromanen schrieb sie Literaturgeschichte, und sie gehört neben Agatha Christie und P.D. James zur Trias der großen englischen «Ladies of Crime». Schon in ihrem 1923 erschienenen Erstling «Ein Toter zu wenig» führte sie die Figur des eleganten, finanziell unabhängigen Lord Peter Wimsey ein, der aus moralischen Motiven Verbrechen aufklärt. Dieser äußerst scharfsinnige Amateurdetektiv avancierte zu einem der populärsten Krimihelden des Jahrhunderts.

Bevor sie die Übersetzung von Dantes «Göttlicher Komödie» vollenden konnte, starb die Autorin 1957 in Witham/Essex.

Inhaltsübersicht

1 Moosgesicht2 Die Dame ist gefallen3 Herz ist Trumpf4 Lord Peter spielt aus5  – und findet die Farbe blockiert6 Der Führungsstich7 Schottlands Fluch8 Lord Peter bekommt ein starkes Blatt9 Der Bube steht hoch10 Lord Peter spielt einen Impasse11 Lord Peter zieht die Trümpfe12 Lord Peter macht einen Stich13 Schippen sind Trumpf14 Groß-Schlemm in Schippen15 Die Karten gemischt und neu verteilt16 Quadrille17 Parker macht ein Spiel18 Lauter Bilder19 Lord Peter spielt Strohmann20 Ann Dorland spielt Misère21 Lord Peter blufft22 Die Karten auf den TischPost mortem

1Moosgesicht

«Wimsey, was in aller Welt suchen Sie denn in dieser Leichenhalle?» fragte Hauptmann Fentiman und warf, wie von einer lästigen Pflicht erlöst, seinen Evening Banner beiseite.

«Na, eine Leichenhalle würde ich das nicht gerade nennen», versetzte Wimsey liebenswürdig. «Bestattungssalon wäre das mindeste. Sehen Sie sich doch nur den Marmor an, die Palmen, das Mobiliar und den keuschen bronzenen Nackedei da in der Ecke.»

«Ja, und die Leichname. Ich fühle mich hier immer an diesen Witz im Punch erinnert – ‹Ober, nehmen Sie Lord Dingsda mit hinaus, er ist schon zwei Tage tot.› Sehen Sie nur mal den alten Ormsby da drüben – schnarcht wie ein Nilpferd. Oder meinen hochverehrten Herrn Großpapa – jeden Morgen Punkt zehn kommt er hier hereingeschlurft, beschlagnahmt die Morning Post und den Ohrensessel am Kamin und gehört dann bis abends einfach zum Inventar. Armer Teufel! Aber so enden wir wohl eines Tages alle. Hätten die Deutschen mich doch gleich mit den andern umgelegt! Wozu am Leben bleiben, wenn es zum Schluß so aussieht? Was trinken Sie?»

«Einen trockenen Martini», sagte Wimsey. «Und Sie? Zwei trockene Martini bitte, Fred. Kopf hoch. Dieser ganze Gedenktagsrummel geht einem schon auf die Nerven, nicht? Ich bin überzeugt, die meisten Leute würden diese Massenhysterie am liebsten abschaffen, wenn die Sache nur von den Zeitungen nicht so auf Teufel komm raus hochgespielt würde. Na ja, aber so etwas sagt man eben nicht. Man würde mich hier achtkantig rauswerfen, wenn ich es nur laut dächte.»

«Schon dafür, daß Sie etwas laut sagen, würden Sie rausfliegen, egal was Sie sagen», meinte Fentiman düster. «Aber was machen Sie nun eigentlich hier?»

«Ich warte auf Oberst Marchbanks. Zum Wohl.»

«Sind Sie mit ihm zum Essen verabredet?»

«Ja.»

Fentiman nickte stumm. Er wußte, daß der junge Marchbanks auf Höhe Sechzig gefallen war und der Oberst seitdem die engsten Freunde seines Sohnes am Waffenstillstandstag zu einem informellen Essen einzuladen pflegte.

«Der alte Marchbanks geht ja noch», sagte er nach einer Pause. «Ganz netter Kerl.»

Wimsey stimmte ihm zu. «Und wie geht’s Ihnen?» fragte er.

«Bescheiden wie immer. Magen verkorkst und kein Geld. Wozu soll das alles gut sein, Wimsey? Da geht man hin und kämpft für sein Vaterland, läßt sich die Innereien vergasen, verliert seine Stellung und erwirbt dafür das Recht, einmal im Jahr am Heldendenkmal vorbeizumarschieren und auf jedes Pfund Einkommen vier Shilling Steuern zu bezahlen. Und Sheila nörgelt auch – sie arbeitet sich kaputt, das arme Ding. Ganz schön demütigend für einen Mann, wenn er vom Verdienst seiner Frau leben muß. Aber ich kann doch nichts dafür, Wimsey. Sowie ich mich krank melde, bin ich meine Arbeit wieder los. Geld – vor dem Krieg hätte ich keinen Gedanken daran verschwendet, aber ich schwör’s Ihnen, heute würde ich jedes Verbrechen begehen, nur um an genug Geld zu kommen.»

Fentimans Stimme hatte sich in eine nervöse Erregung gesteigert. Ein schockierter Veteran, bis dahin unsichtbar in einem benachbarten Lehnsessel, reckte den mageren Hals vor wie eine Schildkröte und ließ ein giftiges «Schsch» vernehmen.

«Na, das täte ich aber nicht», sagte Wimsey leichthin. «Verbrechen wollen gelernt sein. Selbst ein relativ Schwachsinniger wie ich kommt einem Möchtegern-Moriarty allemal auf die Schliche. Sollten Sie mit dem Gedanken spielen, sich einen falschen Bart anzukleben und einem Millionär den Schädel einzuschlagen, lassen Sie’s lieber bleiben. Diese abscheuliche Angewohnheit, Ihre Zigaretten immer bis auf den letzten Millimeter herunterzurauchen, würde Sie immer und überall verraten. Ich brauchte nur mit meiner Lupe und einer Schieblehre zu kommen und zu sagen: ‹Der Mörder ist mein lieber alter Freund George Fentiman. Verhaftet den Mann!› Sie mögen es nicht glauben, aber ich bin bereit, meinen Allernächsten zu opfern, um mich bei der Polizei lieb Kind zu machen und in die Zeitung zu kommen.»

Fentiman lachte und drückte den anstößigen Zigarettenstummel im nächststehenden Aschenbecher aus.

«Mich wundert, daß überhaupt noch jemand mit Ihnen verkehrt», sagte er. Die Anspannung und Bitterkeit war aus seiner Stimme gewichen, und sie klang jetzt nur mehr amüsiert.

«Das täte auch keiner», sagte Wimsey, «wenn sie nicht alle dächten, daß ich viel zu reich bin, um Verstand zu haben. Das ist so, wie wenn man hört, daß der Graf von Soundso in irgendeinem Stück die Hauptrolle spielt. Alle halten es für ausgemacht, daß er ein miserabler Schauspieler ist. Ich verrate Ihnen mal mein Geheimnis. Alle meine kriminalistischen Taten vollbringt ein Double für drei Pfund pro Woche, während ich in die Schlagzeilen komme und im Savoy mit bekannten Journalisten die Zeit totschlage.»

«Ich finde Sie richtig erfrischend, Wimsey», sagte Fentiman matt. «Sie sind nicht im mindesten witzig, aber Sie haben so einen offenen Humor, der mich immer an weniger anspruchsvolles Varieté erinnert.»

«Das ist der Selbstschutz des erstklassigen Geistes gegen den Stärkeren», sagte Wimsey. «Aber sagen Sie, das mit Sheila tut mir leid. Ich will Sie nicht kränken, alter Freund, aber wie wär’s, wenn Sie von mir –»

«Das ist verdammt nett von Ihnen», sagte Fentiman, «aber ich mag nicht. Es bestände wirklich nicht die mindeste Aussicht, daß ich es je zurückzahlen könnte, und an dem Punkt bin ich noch nicht angelangt, daß ich –»

«Da kommt Oberst Marchbanks», unterbrach ihn Wimsey. «Wir reden ein andermal darüber. Guten Abend, Oberst.»

«Guten Abend, Peter. Abend, Fentiman. War ein schöner Tag. Nein – nein, keinen Cocktail, danke. Ich bleibe beim Whisky. Tut mir leid, daß ich Sie habe warten lassen, aber ich mußte noch was mit dem armen alten Grainger da oben besprechen. Es geht ihm leider nicht besonders. Unter uns gesagt, Penberthy glaubt nicht, daß er den Winter überlebt. Guter Mann, dieser Penberthy – eigentlich ein Wunder, daß er den Alten so lange am Leben gehalten hat bei den schwachen Lungen. Ach Gott, da ist ja auch Ihr Großvater, Fentiman. Noch so eines von Penberthys Wundern. Er muß mindestens neunzig sein. Entschuldigen Sie mich einen kleinen Augenblick? Ich muß ihm kurz guten Tag sagen.»

Wimseys Blick folgte der drahtigen Gestalt des älteren Herrn, wie er den großen Rauchsalon durchquerte und da und dort kurz stehenblieb, um mit anderen Mitgliedern des Bellona-Clubs ein Wort zu wechseln. Dicht an den Kamin gerückt stand ein alter Ohrensessel aus viktorianischer Zeit. Zwei auf einen Schemel gestützte, ordentlich geschnürte Schuhe und spindeldürre Waden waren das einzige, was man von General Fentiman sah.

«Komisch», flüsterte sein Enkel, «wenn man sich vorstellt, daß für das alte Moosgesicht der Krimkrieg immer noch der Krieg ist und er im Burenkrieg schon zu alt war, um ins Feld zu ziehen. Er ist ja schon mit siebzehn in die Armee eingetreten, bei Majuba verwundet –»

Er unterbrach sich. Wimsey hörte ihm nicht zu. Er sah immer noch Oberst Marchbanks nach.

Der Oberst kam zu ihnen zurück. Sein Schritt war ruhig und sicher. Wimsey stand auf und ging ihm entgegen.

«Peter», sagte der Oberst, das freundliche Gesicht in sorgenvolle Falten gelegt, «kommen Sie doch rasch mal mit. Ich glaube, es ist etwas Unangenehmes passiert.»

Fentiman sah zu ihnen hin, und etwas in ihrem Benehmen ließ ihn aufstehen und ihnen zum Kamin folgen.

Wimsey beugte sich über General Fentiman und nahm behutsam die Morning Post aus den knorrigen alten Händen, die zusammengefaltet über der schmalen Brust lagen. Er legte die Hand auf die Schulter – schob sie unter den weißen Kopf, der gegen die Seite des Sessels lehnte. Der Oberst sah ihm besorgt zu. Dann hob Wimsey mit einem schnellen Ruck die reglose Gestalt an. Sie kam an einem Stück hoch, steif wie eine Holzpuppe.

Fentiman lachte. Ein hysterischer Lachanfall nach dem andern schüttelte seine Kehle. Überall im Rauchsalon erhoben sich erschütterte Bellonier mit gichtknarrenden Gelenken, schockiert ob des ungehörigen Lärms.

«Bringt ihn raus!» rief Fentiman. «Bringt ihn raus, er ist schon zwei Tage tot! Und Sie auch! Und ich! Wir sind alle tot und haben es nur noch nicht gemerkt!»

2Die Dame ist gefallen

Es ist schwer zu sagen, was den älteren Mitgliedern des Bellona-Clubs peinlicher war – der aberwitzige Tod General Fentimans in ihrer Mitte oder die ungehörige Nervenschwäche seines Enkels. Nur die jüngeren nahmen keinen Anstoß: sie wußten zuviel. Dick Challoner – seinen engsten Freunden als Eisenbauch-Challoner bekannt, weil ihm nach der zweiten Schlacht an der Somme ein Ersatzteil eingepflanzt worden war – brachte den keuchenden George Fentiman in die menschenleere Bibliothek und flößte ihm eine Stärkung ein. Der Clubmanager kam in Frackhemd und Hosen herbeigeeilt, den halb eingetrockneten Rasierschaum noch an den Wangen. Nach einem kurzen Blick schickte er einen aufgeregten Kellner nachsehen, ob Dr. Penberthy noch im Club war. Oberst Marchbanks legte pietätvoll ein großes seidenes Taschentuch auf das starre Gesicht im Lehnsessel und blieb still daneben stehen. Ein kleiner Kreis bildete sich um den Kaminvorleger, und man wußte nicht recht, wie man sich verhalten sollte. Hin und wieder erweiterte sich der Kreis der Neuankömmlinge, denen die Neuigkeit schon beim Betreten der Eingangshalle entgegengekommen war. Aus der Bar kam eine kleine Gruppe hinzu. «Was, der alte Fentiman?» fragten sie. «Mein Gott, was Sie nicht sagen! Der arme Kerl. Da hat wohl doch zuletzt das Herz nicht mehr mitgemacht.» Und sie drückten ihre Zigarren und Zigaretten aus und stellten sich dazu, denn fortgehen mochte keiner so recht.

Dr. Penberthy hatte sich gerade zum Abendessen umgezogen. Er kam in aller Eile herunter, nachdem man ihn im letzten Moment abgefangen hatte, ehe er zu einem Gedenktagsessen ausging; er hatte den Zylinder in den Nacken geschoben und Mantel und Schal nur lose umgehängt. Er war ein schmaler, dunkler Mann mit der kurz angebundenen Art, die den Militärarzt vom Inhaber einer Westend-Praxis unterscheidet. Die Gruppe um den Kamin machte ihm Platz, bis auf Wimsey, der etwas albern über den großen Ohrensessel gebeugt stand und hilflos die Leiche ansah.

Penberthys erfahrene Hände glitten schnell über Hals, Handgelenke und Knie des Toten.

«Schon seit mehreren Stunden tot», meldete er schneidig. «Rigor mortis weit fortgeschritten – beginnt schon wieder abzuklingen.» Zur Demonstration bewegte er das linke Bein des Toten; es baumelte lose am Kniegelenk. «Ich hatte schon damit gerechnet. Herz sehr schwach. Konnte jeden Augenblick passieren. Hat jemand heute mit ihm gesprochen?»

Er blickte fragend in die Runde.

«Ich habe ihn nach dem Lunch hier gesehen», ließ jemand sich vernehmen. «Aber gesprochen habe ich nicht mit ihm.»

«Ich dachte, er schliefe», sagte ein anderer.

Niemand konnte sich erinnern, mit ihm gesprochen zu haben. Sie waren es so gewohnt, daß General Fentiman vor dem Kamin schlummerte.

«Na schön», sagte der Arzt. «Wieviel Uhr ist es? Sieben?» Er schien rasch ein paar Berechnungen anzustellen. «Sagen wir, fünf Stunden bis zum Einsetzen der Leichenstarre – muß ziemlich schnell gegangen sein – wahrscheinlich ist er um die gewohnte Zeit hierhergekommen, hat sich hingesetzt und ist auf der Stelle gestorben.»

«Er ist immer von der Dover Street aus zu Fuß gekommen», mischte ein älterer Mann sich ein. «Ich habe ihm schon gesagt, daß die Anstrengung in seinem Alter zu groß ist. Sie haben gehört, wie ich das gesagt habe, Ormsby.»

«O ja, durchaus», sagte der puterrote Ormsby. «Du lieber Gott. Einfach so.»

«Na ja, da kann man nichts machen», sagte der Arzt. «Im Schlaf gestorben. Gibt es hier ein leeres Zimmer, in das wir ihn legen können, Culyer?»

«Ja, natürlich», sagte der Clubmanager. «James, holen Sie den Schlüssel zu Nummer sechzehn aus meinem Büro und sagen Sie Bescheid, man soll das Bett in Ordnung bringen. Ich nehme an – nicht wahr, Doktor? – wenn die Leichenstarre abklingt, werden wir ihn auch – äh – richtig –»

«Ja, ja, Sie werden alles Erforderliche tun können. Ich schicke Ihnen die richtigen Leute, die ihn für Sie aufbahren. Jetzt sollte wohl jemand seine Familie benachrichtigen – aber von denen kommt besser keiner hierher, bevor wir ihn etwas präsentabler machen können.»

«Hauptmann Fentiman weiß es schon», sagte Oberst Marchbanks. «Und Major Fentiman wohnt im Club – er dürfte bald hier sein. Dann hatte er, glaube ich, noch eine Schwester.»

«Ja, die alte Lady Dormer», sagte Penberthy, «sie wohnt am Portman Square. Sie haben seit Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Trotzdem wird sie’s erfahren müssen.»

«Ich rufe sie an», sagte der Oberst. «Hauptmann Fentiman können wir das nicht zumuten, er ist nicht in der Verfassung für so etwas, der arme Kerl. Sie werden ihn sich mal kurz ansehen müssen, Doktor, wenn Sie hier fertig sind. Wieder einer seiner alten Anfälle – die Nerven, Sie wissen schon.»

«Gut. Ah, ist das Zimmer fertig, Culyer? Dann tragen wir ihn da mal rein. Könnte ihn jemand an den Schultern nehmen? Nein, nicht Sie, Culyer» (denn der Clubmanager hatte nur noch einen gesunden Arm), «Lord Peter, ja danke – vorsichtig anheben.»

Wimsey schob seine kräftigen Hände unter die steifen Arme; der Arzt nahm die Beine; sie gingen. Sie sahen aus wie eine makabere kleine Guy Fawkes-Prozession, die verkrümmte, würdelos schaukelnde und baumelnde kleine Gestalt zwischen sich.

Die Tür ging hinter ihnen zu, und die Anspannung schien sich zu verflüchtigen. Der Zuschauerkreis löste sich in Grüppchen auf. Jemand zündete sich eine Zigarette an. Gevatter Tod, der Welttyrann, hatte ihnen für einen kurzen Augenblick den grauen Spiegel vorgehalten und sie die Zukunft sehen lassen. Aber jetzt war er wieder fort. Die Peinlichkeit war beseitigt. Es war wirklich ein Glück, daß Penberthy der Hausarzt des alten Mannes gewesen war. Er wußte alles über ihn. Er konnte den Totenschein ausstellen. Keine gerichtliche Untersuchung. Nichts Unerfreuliches. Die Mitglieder des Bellona-Clubs konnten zum Essen gehen.

Oberst Marchbanks ging auf die hintere Tür zu, die zur Bibliothek führte. In dem kleinen Vorzimmer zwischen den beiden Räumen befand sich eine bequeme kleine Telefonzelle für solche Mitglieder, die sich nicht in die Halböffentlichkeit der Eingangshalle begeben mochten.

«Halt, Oberst, nicht der da! Der Apparat ist außer Betrieb», rief ein Mann namens Wetheridge, der ihn gehen sah. «Eine Schande nenne ich das! Den ganzen Morgen hab ich schon telefonieren wollen und – oh! Nanu! Das Schild ist ja weg! Dann wird es wohl wieder in Ordnung sein. Das könnten die einem aber auch sagen.»

Oberst Marchbanks kümmerte sich nicht weiter um Wetheridge. Er war der Nörgler des Clubs, ein Mann, der selbst in dieser Gesellschaft der Verdrießlichen und Herrischen noch unangenehm auffiel – der immerzu drohte, sich beim Vorstand zu beschweren, den Clubmanager plagte und den übrigen Mitgliedern ein ewiger Stachel im Fleische war. Er zog sich maulend zu seinem Sessel und der Abendzeitung zurück, und der Oberst trat in die Telefonzelle, um Lady Dormers Haus am Portman Square anzurufen.

Bald kam er durch die Bibliothek in die Eingangshalle heraus und begegnete Penberthy und Wimsey, die soeben die Treppe herunterkamen.

«Haben Sie Lady Dormer die Neuigkeit beigebracht?» fragte Wimsey.

«Lady Dormer ist tot», sagte der Oberst. «Ihr Mädchen hat mir mitgeteilt, daß sie heute morgen um halb elf sanft entschlafen ist.»

3Herz ist Trumpf

Etwa zehn Tage nach diesem denkwürdigen Waffenstillstandstag saß Lord Peter Wimsey in seiner Bibliothek und las in einer seltenen Handschrift des Justinian aus dem 14. Jahrhundert. Sie bereitete ihm einen besonderen Genuß, denn sie war ausgeschmückt mit einer großen Zahl von Sepiazeichnungen, ungewöhnlich kunstvoll in der Ausführung, wenn auch nicht unbedingt im Thema. Neben ihm stand auf einem praktischen Tischchen eine langhalsige Karaffe mit unbezahlbar altem Portwein. Hin und wieder stimulierte er sein Interesse mit ein paar kleinen Schlückchen, wobei er andächtig die Lippen spitzte und langsam den milden Nachgeschmack auskostete.

Ein Läuten an der Wohnungstür ließ ihn zuerst «Hol’s der Teufel!» ausrufen und dann die Ohren spitzen. Das Ergebnis schien jedoch erfreulich zu sein, denn er klappte den Justinian zu und hatte, bis die Tür aufging, ein freundliches Begrüßungslächeln auf sein Gesicht gezaubert.

«Mr. Murbles, Mylord.»

Der ältliche kleine Herr, der ins Zimmer trat, war so ein vollkommener Familienanwalt, daß er schon gar keine erkennbare Eigenpersönlichkeit mehr besaß, abgesehen von einer großen Herzensgüte und einer Vorliebe für Pfefferminzpastillen.

«Ich störe Sie hoffentlich nicht, Lord Peter?»

«Aber nein, Sir. Ich freue mich immer über Ihren Besuch. Bunter, ein Glas für Mr. Murbles. Wirklich sehr schön, daß Sie gekommen sind, Sir. Der 86er Cockburn schmeckt viel besser in Gesellschaft – in kundiger Gesellschaft, heißt das. Ich kannte mal einen, der ihn mit Tonicwasser panschte. Er wurde nie mehr eingeladen. Acht Monate später beging er Selbstmord. Ich will nicht behaupten, daß er es aus diesem Grunde getan hat. Aber es mußte ein böses Ende mit ihm nehmen, nicht?»

«Sie erschrecken mich», sagte Mr. Murbles ernst. «Ich habe schon manchen Mann für ein Verbrechen zum Galgen gehen sehen, für das ich mehr Verständnis aufbrachte. Danke, Bunter, danke. Es geht Ihnen gut, hoffe ich?»

«Vielen Dank, Sir, ich erfreue mich ausgezeichneter Gesundheit.»

«Das ist schön. Fotografieren Sie noch?»

«Ein wenig, Sir. In letzter Zeit habe ich jedoch nur Aufnahmen künstlerischer Art gemacht, wenn ich es so ausdrücken darf. An kriminalistischem Material herrscht im Augenblick ein beklagenswerter Mangel.»

«Vielleicht hat Mr. Murbles uns etwas mitgebracht», meinte Wimsey.

«Nein», sagte Mr. Murbles, indem er den 86er Cockburn unter die Nase hielt und das Glas behutsam schwenkte, um das Aroma freizusetzen, «nein, das kann man so direkt nicht sagen. Ich will nicht verhehlen, daß ich hierhergekommen bin, weil ich hoffe, aus Ihrer hochentwickelten Beobachtungs- und Kombinationsgabe Nutzen zu ziehen, aber ich fürchte – das heißt, ich hoffe – im Grunde bin ich sogar zuversichtlich –, daß hier nichts im Spiel ist, was unerfreulicher Natur wäre. Es hat sich nämlich», fuhr er fort, als die Tür hinter Bunter zuging, «ein nicht alltägliches Problem im Zusammenhang mit General Fentimans traurigem Tod im Bellona-Club ergeben, dessen Zeuge Sie meines Wissens waren.»

«Wenn Sie das wissen, Murbles», sagte Seine Lordschaft geheimnisvoll, «wissen Sie sehr viel mehr als ich. Ich war nicht Zeuge seines Todes – ich war Zeuge der Entdeckung seines Todes – und das ist ein sehr, sehr großer Unterschied.»

«Ein wie großer Unterschied?» fragte Mr. Murbles eifrig. «Genau das möchte ich nämlich wissen.»

«Wie neugierig von Ihnen», meinte Wimsey. «Ich glaube, es wäre besser –» er hob sein Glas und neigte es bedächtig, so daß der Wein sich in feinen Blütenmustern vom Rand bis zum Stengel kräuselte – «wenn Sie mir genauer sagten, was Sie wissen wollen … und warum. Schließlich … ich bin Mitglied des Clubs … hauptsächlich wohl durch Familienbeziehungen … aber ich bin es nun einmal.» Mr. Murbles sah ruckartig auf, aber Wimseys Aufmerksamkeit schien ausschließlich dem Portwein zu gelten.

«Ganz recht», sagte der Anwalt. «Also schön. Hier sind die Fakten. General Fentiman hatte, wie Sie wissen, eine Schwester namens Felicity, zwölf Jahre jünger als er. Sie war als Mädchen sehr schön und sehr eigenwillig und hätte eigentlich eine recht gute Partie machen müssen, wenn die Fentimans nicht – trotz ausgesprochen guter Familie – alles andere als wohlhabend gewesen wären. Wie zu dieser Zeit üblich, wurde alles vorhandene Geld in die Erziehung des Sohnes gesteckt – man kaufte ihm ein Offizierspatent in einem hochvornehmen Regiment und unterstützte ihn so, daß er den Lebensstil pflegen konnte, den man bei einem Fentiman für unverzichtbar hielt. Folglich blieb für Felicitys Aussteuer nichts mehr übrig, und so etwas hatte vor sechzig Jahren noch katastrophale Folgen für ein junges Mädchen.

Nun, Felicity wurde es allmählich leid, sich in ihrem geflickten Musselinkleid und einem Paar Handschuhen, das schon in der Reinigung gewesen war, durch die Gesellschaft zerren zu lassen – und sie hatte den Mut, sich den Verheiratungsstrategien ihrer Mutter zu widersetzen. Da gab es zum Beispiel einen tattrigen alten, von Krankheit und Ausschweifungen zerfressenen Vicomte, der nur zu gern mit so einem knusprigen jungen Ding von achtzehn Jahren zum Altar gewatschelt wäre, und zu meinem Kummer muß ich sagen, daß die Eltern des Mädchens alles darangesetzt haben, sie zur Annahme dieses schändlichen Antrags zu zwingen. Man hatte sogar schon die Verlobung bekanntgegeben und den Hochzeitstermin festgesetzt, als Felicity eines schönen Morgens der darob maßlos entsetzten Familie gelassen mitteilte, sie sei vor dem Frühstück ausgegangen und habe in höchst ungehöriger Heimlichkeit und Eile geheiratet, und zwar einen Mr. Dormer, einen Mann in den besten Jahren, überaus ehrlich, ungeheuer reich und – die Zunge sträubt sich, es auszusprechen – seines Zeichens ein erfolgreicher Fabrikant. Knöpfe – aus Pappmaché oder so etwas Ähnlichem gemacht, mit unzerbrechlichem Patentstiel – waren die abscheulichen Ahnen, mit denen diese eigensinnige junge Viktorianerin einen Bund eingegangen war.

Natürlich gab es einen fürchterlichen Skandal, und die Eltern unternahmen alles, um die Heirat – Felicity war schließlich noch minderjährig – zu annullieren. Felicity aber durchkreuzte diese Absicht sehr nachhaltig, indem sie aus ihrem Zimmer flüchtete – ich fürchte, sie ist zu diesem Zweck sogar einen Baum hinterm Haus hinuntergeklettert, mit Reifrock und allem Drum und Dran – und mit ihrem Gatten durchbrannte. Woraufhin die alten Herrschaften, als sie sahen, daß es bereits zum Schlimmsten gekommen war – Mr. Dormer war ein Mann der entschlossenen Tat und hat nicht lange gefackelt, bevor er seine Braut zur Mutter machte –, in großer viktorianischer Manier das Gesicht zu wahren trachteten. Das heißt, sie stimmten der Heirat zu, schickten der Tochter alle persönliche Habe in ihr neues Heim in Manchester und verboten ihr, jemals wieder ihren Schatten auf ihre Schwelle zu werfen.»

«Ganz wie es sich gehört», meinte Wimsey. «Ich bin fest entschlossen, nie den Elternberuf zu ergreifen. Moderne Sitten und der Zusammenbruch der schönen alten Traditionen haben schlicht das Geschäft ruiniert. Ich werde mein Leben und Geld der Erforschung geeigneter Methoden widmen, wie man menschliche Lebewesen sittsam und bescheiden aus Eiern züchten kann. Alle elterliche Verantwortung ginge damit auf den Brutapparat über.»

«Das will ich nicht hoffen», sagte Mr. Murbles. «Mein Berufsstand lebt weitgehend von häuslichen Zwistigkeiten. Aber weiter: Der junge Arthur Fentiman scheint die Ansichten der Familie geteilt zu haben. Es kränkte ihn zutiefst, einen Schwager in der Knopfbranche zu haben, und die Sticheleien im Kasino waren wohl auch nicht dazu angetan, seine Gefühle für seine Schwester zu steigern. Er wurde zu einem unnahbaren Militaristen, verkrustete vorzeitig und weigerte sich sein Leben lang, die Existenz eines Mr. Dormer anzuerkennen. Wohlgemerkt, der alte Knabe war ein hervorragender Soldat und ging völlig in seinen Offizierskreisen auf. Er heiratete dann auch standesgemäß – keine sehr gute Partie, denn er hatte nicht das Geld, das ihm ein Anrecht auf eine Frau aus hohem Adel gegeben hätte, und er würde sich nie dazu erniedrigt haben, Geld zu heiraten wie die unmögliche Felicity. Er heiratete also eine geeignete Frau aus niederem Adel. Sie starb (wohl hauptsächlich an der militärischen Regelmäßigkeit, mit der ihr Mann sie ihren Mutterpflichten nachkommen ließ) und hinterließ ihm eine große, aber schwächliche Kinderschar. Von diesen Kindern erreichte nur ein Sohn das Erwachsenenalter, und das war der Vater der beiden Fentimans, die Sie kennen – Major Robert Fentiman und Hauptmann George Fentiman.»

«Ich kenne Robert nicht besonders gut», warf Wimsey dazwischen. «Ich habe ihn mal kennengelernt. Furchtbar herzlich und so – Soldat vom Scheitel bis zur Sohle.»

«Ja, er ist ein Fentiman vom alten Schlag. Der arme George hat, wie ich fürchte, einen schwächlichen Zug von seiner Großmutter geerbt.»

«Ja, die Nerven», sagte Wimsey, der die körperlichen und seelischen Strapazen, denen George Fentiman ausgesetzt gewesen war, besser kannte als der alte Rechtsanwalt. Der Krieg lastete schwer auf dem Gemüt sensibler Menschen in verantwortungsvoller Position. «Und dann ist er auch noch in einen Gasangriff geraten», fügte er zu Georges Entschuldigung hinzu.

«Richtig», sagte Murbles. «Robert ist, wie Sie wissen, unverheiratet und noch in der Armee. Er lebt natürlich nicht besonders üppig, denn kein Fentiman hat je einen krummen Penny gehabt, wie man, glaube ich, heutzutage sagt. Aber er hat sein Auskommen. George –»

«Ach ja, der arme George! Sie brauchen mir nichts von ihm zu erzählen, Sir. Die alte Geschichte. Brauchbarer Beruf – unkluge Heirat – läßt 1914 alles stehen und liegen, um einzurücken – kommt als Invalide zurück – Stelle futsch, Gesundheit futsch – kein Geld – tapfere Frau sorgt dafür, daß Ofen raucht – Nase voll bis oben hin. Schonen wir unsere Gefühle. Setzen wir das als bekannt voraus.»

«Richtig, damit brauche ich mich nicht weiter zu befassen. Der Vater ist tot, und bis vor zehn Tagen gab es von der älteren Generation nur noch diese beiden Fentimans. Der alte General lebte von einem bescheidenen festen Einkommen, das sich aus der Hinterlassenschaft seiner Frau und seiner Pension zusammensetzte. Er hatte eine kleine Wohnung in der Dover Street und einen älteren Diener und wohnte praktisch im Bellona-Club. Und außer ihm gab es noch seine Schwester Felicity.»

«Wie ist sie überhaupt Lady Dormer geworden?»

«Nun, damit kommen wir auf den interessanten Teil der Geschichte. Henry Dormer –»

«Der Knöpfemacher?»

«Der Knöpfemacher. Er wurde wirklich schwerreich – so reich, daß er in der Lage war, einer bestimmten hochgestellten Persönlichkeit, die wir nicht beim Namen zu nennen brauchen, finanzielle Hilfe anzubieten, und so wurde er zu gegebener Zeit und in Würdigung seiner nicht näher bezeichneten Verdienste ums Vaterland Sir Henry Dormer. Sein einziges Kind – ein Mädchen – war gestorben, weiterer Nachwuchs stand nicht in Aussicht, und so gab es keinen Grund, ihn für seine Mühen nicht zum Baronet zu machen und damit in den erblichen Adelsstand zu erheben.»

«Was sind Sie für ein bissiger Mensch!» sagte Wimsey. «Kein Respekt, kein schlichter Glaube, nichts. Kommen Juristen manchmal in den Himmel?»

«Mir liegen diesbezüglich keine Informationen vor», antwortete Mr. Murbles trocken. «Lady Dormer –»

«Ist die Ehe ansonsten gutgegangen?» wollte Wimsey wissen.

«Ich glaube, sie war sogar sehr glücklich», antwortete der Anwalt, «was auf eine Art ein Nachteil war, da es die Möglichkeit einer Aussöhnung mit der Familie gänzlich ausschloß. Lady Dormer, die eine herzensgute, großmütige Frau war, machte laufend Friedensangebote, aber der General blieb starr auf Abstand. Sein Sohn tat es ihm gleich – teils wohl aus Respekt vor den Wünschen des alten Herrn, hauptsächlich aber, wie ich glaube, weil er in einem Indienregiment diente und meist im Ausland war. Robert Fentiman hingegen brachte der alten Dame eine gewisse Aufmerksamkeit entgegen, besuchte sie gelegentlich und so weiter, und dasselbe tat George eine Zeitlang. Natürlich ließen sie den alten General nie etwas davon wissen, sonst hätte ihn der Schlag getroffen. Nach dem Krieg ließ George dann seine Großtante sozusagen fallen – warum, weiß ich nicht.»

«Ich kann es mir denken», sagte Wimsey. «Keine Arbeit – kein Geld, verstehen Sie? Wollte nicht wie ein Bettler aussehen. So ähnlich.»

«Möglich. Oder es könnte auch Streit gegeben haben. Ich weiß es nicht. Jedenfalls sind das die Fakten. Ich will übrigens nicht hoffen, daß ich Sie langweile, nein?»

«Ich fasse mich in Geduld», sagte Wimsey, «und harre des Augenblicks, da das Geld ins Spiel kommt. Ich sehe ein ehernes Blitzen in Euerm Juristenauge, Sir, aus dem ich schließe, daß es bald aufregend wird.»

«Völlig richtig», sagte Mr. Murbles. «Ich komme jetzt – danke – o ja – ich nehme gern noch ein Gläschen. Gott sei Dank habe ich keine Veranlagung zu Gicht. Ja. Ah! – Nun kommen wir also zu dem traurigen Ereignis am elften November, und da muß ich Sie bitten, mir mit der größten Aufmerksamkeit zu folgen.»

«Selbstverständlich», antwortete Wimsey höflich.

«Lady Dormer», fuhr Mr. Murbles fort, indem er sich mit ernstem Gesicht nach vorn beugte und jeden Satz mit gestochenen, kurzen Bewegungen der rechten Hand unterstrich, zwischen deren Daumen und Zeigefinger er seine Goldrandbrille hielt, «war eine alte Frau und schon lange bei schwacher Gesundheit. Aber noch immer war sie so eigensinnig und lebenslustig, wie sie schon als junges Mädchen gewesen war, und am fünften November hatte sie es sich plötzlich in den Kopf gesetzt, abends auszugehen und sich ein Feuerwerk beim Kristallpalast anzusehen – es könnte auch woanders gewesen sein, Hampstead Heath oder White City – das weiß ich nicht mehr, und es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß es ein kühler, unfreundlicher Abend war. Sie bestand dennoch auf dieser kleinen Expedition, genoß den Abend wie ein kleines Kind, setzte sich dabei unklugerweise der Nachtluft aus und holte sich eine schwere Erkältung, die sich im Verlaufe von zwei Tagen zur Lungenentzündung entwickelte. Am zehnten November ging es so rapide mit ihr abwärts, daß niemand mehr damit rechnete, sie werde die Nacht überleben. Aus diesem Grunde schickte die junge Dame, die als Gesellschafterin bei ihr wohnte – eine entfernte Verwandte, Miss Ann Dorland – eine Nachricht an General Fentiman: Wenn er seine Schwester noch einmal lebend sehen wolle, müsse er auf der Stelle kommen. Um unserer gemeinsamen menschlichen Natur willen freue ich mich sagen zu dürfen, daß diese Nachricht endlich die Schranken von Stolz und Starrsinn brach, die den alten Herrn so lange von ihr ferngehalten hatten. Er kam, traf Lady Dormer gerade noch bei Bewußtsein an, wenn auch schon sehr schwach, blieb eine halbe Stunde bei ihr und ging dann, immer noch steif wie ein Ladestock, aber sichtlich besänftigt. Das war gegen vier Uhr nachmittags. Kurz danach wurde Lady Dormer bewußtlos und schlief, ohne noch einmal zu sich zu kommen, am nächsten Morgen um halb elf friedlich hinüber.

Vielleicht war die Aufregung und Anspannung ob des Wiedersehens mit der Schwester, die ihm so lange entfremdet gewesen war, zuviel für die angegriffene Gesundheit des alten Generals, denn wie Sie wissen, starb er am selben Tag, dem elften November, zu irgendeinem – noch nicht genau festgestellten – Zeitpunkt im Bellona-Club.

Und nun endlich – ich muß wirklich sagen, Sie hatten große Geduld mit meiner umständlichen Art, das alles zu erklären – kommen wir zu dem Punkt, an dem ich Ihre Hilfe brauche.»

Mr. Murbles stärkte sich mit einem Schlückchen Portwein und nahm nach einem leicht besorgten Blick auf Wimsey, der die Augen geschlossen hatte und kurz vorm Einschlafen zu sein schien, den Faden wieder auf.

«Ich habe, glaube ich, noch nicht erwähnt, wie ich selbst nun in diese Geschichte verwickelt wurde. Mein Vater war der Familienanwalt der Fentimans, eine Stellung, in die ich selbstverständlich nachrückte, als ich nach seinem Tode seine Praxis übernahm. General Fentiman gehörte, obwohl er nicht viel zu vererben hatte, nicht zu der unordentlichen Sorte Menschen, die sterben, ohne geeignete testamentarische Verfügungen getroffen zu haben. Seine Pension ist natürlich mit ihm gestorben, aber sein kleines Privatvermögen wurde in angemessener Weise testamentarisch aufgeteilt. Eine kleine Summe – fünfzig Pfund – geht an seinen Diener (einen sehr treuen und tüchtigen Menschen); ein paar weitere Kleinigkeiten (Ringe, Orden, Waffen und ein paar winzige Geldbeträge von jeweils ein paar Pfund) wurden alten Kriegskameraden und den Bediensteten des Bellona-Clubs vermacht. Dann war da der Hauptanteil seines Vermögens, rund 2000 Pfund, investiert in solide Wertpapiere, die ihm ein Jahreseinkommen von etwas über 100 Pfund einbrachten. Diese Papiere, alle sorgfältig aufgeführt, sollte Hauptmann George Fentiman, der jüngere Enkel, bekommen. Dies wird in einer ausführlichen Testamentsklausel verfügt, in der es heißt, der Erblasser beabsichtige keinerlei Affront gegen seinen älteren Enkel, Major Robert Fentiman, indem er diesen übergehe, aber George sei als Invalide und verheirateter Mann und so weiter stärker auf finanzielle Hilfe angewiesen, während Robert doch seinen Beruf habe und ungebunden sei, und so habe George infolge größerer Bedürftigkeit ein größeres Anrecht auf das vorhandene Geld. Robert wurde schließlich als Testamentsvollstrecker eingesetzt und bekommt somit alles an Sach- und Geldwerten, was nicht an anderer Stelle ausdrücklich erwähnt wurde. Ist das klar?»

«Glockenklar. War Robert mit dieser Regelung einverstanden?»

«O ja, natürlich; vollkommen. Er kannte das Testament im voraus und fand es richtig und angebracht.»

«Trotzdem», sagte Wimsey, «erscheint mir die Sache auf den ersten Blick so klein und geringfügig, daß ich glaube, Sie haben noch etwas richtig Niederschmetterndes im Ärmel. Heraus damit, Verehrtester, heraus damit! Mag der Schock noch so groß sein, ich bin bereit, ihn zu ertragen.»

«Der Schock», sagte Mr. Murbles, «wurde mir persönlich vorigen Freitag von Lady Dormers Anwalt – Mr. Pritchard aus Lincoln’s Inn – versetzt. Er schrieb mir und bat mich, ihm General Fentimans genaue Todeszeit mitzuteilen. Ich antwortete natürlich, daß ich ihm auf Grund der besonderen Umstände, unter denen das Ereignis stattfand, diese Frage nicht so genau beantworten könne, wie ich es gern täte, daß aber Dr. Penberthy meines Wissens gemeint habe, der General sei irgendwann am Vormittag des 11. November gestorben. Mr. Pritchard fragte dann, ob er mir unverzüglich seine Aufwartung machen dürfe, denn die Angelegenheit, die er mit mir zu besprechen habe, sei von höchster Wichtigkeit. Ich habe ihm also einen Termin für Montag nachmittag gegeben, und als Mr. Pritchard dann kam, setzte er mich von folgendem in Kenntnis:

Etliche Jahre vor ihrem Tod hatte Lady Dormer – die, wie ich schon sagte, eine überaus großherzige Frau war – ihr Testament gemacht. Ihr Mann und ihre Tochter waren damals schon tot. Henry Dormer hatte nur eine kleine Verwandtschaft – und das waren alles recht wohlhabende Leute. In seinem Testament hatte er für diese Personen in ausreichender Weise vorgesorgt, und den Rest seines Vermögens, der sich auf ungefähr siebenhunderttausend Pfund belief, hatte er seiner Frau vermacht, und zwar mit der ausdrücklichen Verfügung, daß sie es als ihr Eigentum betrachten und damit machen könne, was sie wolle, ohne irgendwelche Einschränkungen. Dementsprechend wird dieses sehr ansehnliche Vermögen in Lady Dormers Letztem Willen – bis auf ein paar karitative und persönliche Vermächtnisse, mit denen ich Sie nicht behelligen möchte – zwischen den Menschen aufgeteilt, die aus dem einen oder anderen Grund das größte Anrecht auf ihre Wertschätzung hatten. Zwölftausend Pfund sollten an Miss Ann Dorland gehen. Den ganzen Rest sollte ihr Bruder, General Fentiman, bekommen, wenn er bei ihrem Hinscheiden noch lebte. Für den Fall aber, daß er vor ihr starb, sollte genau das Umgekehrte gelten. Dann sollte der Löwenanteil an Miss Dorland fallen, und fünfzehntausend Pfund sollten zu gleichen Teilen an Major Robert Fentiman und seinen Bruder George gehen.»

Wimsey stieß einen leisen Pfiff aus.

«Ganz meine Meinung», sagte Mr. Murbles. «Es ist eine ausgesprochen heikle Situation. Lady Dormer ist am 11. November Punkt 10 Uhr 37 gestorben. General Fentiman ist irgendwann am selben Morgen gestorben, vermutlich nach zehn Uhr, weil das seine gewöhnliche Ankunftszeit im Club war, und mit Sicherheit vor 19 Uhr, als sein Tod entdeckt wurde. Wenn er sofort nach seiner Ankunft im Club gestorben ist, oder wenigstens bis spätestens 10 Uhr 36, ist Miss Dorland eine reiche Erbin, und meine Klienten, die Fentimans, bekommen jeder lediglich etwas über siebentausend Pfund. Wenn andererseits sein Tod auch nur wenige Sekunden nach 10 Uhr 37 eingetreten ist, erhält Miss Dorland nur zwölftausend Pfund, George Fentiman bleibt nur das kleine Taschengeld nach dem Testament seines Großvaters – während Robert Fentiman als Nachvermächtnisnehmer ein erkleckliches Sümmchen von weit über einer halben Million erbt.»

«Und was wünschen Sie in dieser Angelegenheit von mir?» fragte Wimsey.

«Nun», erwiderte der Anwalt mit leisem Hüsteln, «mir ist der Gedanke gekommen, daß Sie mit Ihrer – wenn ich so sagen darf – außergewöhnlichen Beobachtungs- und Kombinationsgabe vielleicht das ungeheuer schwierige und delikate Problem zu lösen imstande sind, zu welchem genauen Zeitpunkt General Fentiman gestorben ist. Sie waren im Club, als der Tod entdeckt wurde, Sie haben die Leiche gesehen, Sie kennen die Örtlichkeiten und die betroffenen Personen, und Sie sind auf Grund Ihres Standes und Ihrer Persönlichkeit geeignet wie kein zweiter, um die nötigen Ermittlungen anzustellen, ohne irgendwelches – äh – Aufsehen oder – äh – einen Skandal oder überhaupt ein öffentliches Interesse zu erregen, was wohl, wie ich nicht eigens erwähnen muß, für alle Beteiligten höchst unangenehm wäre.»

«Peinlich», sagte Wimsey, «ausgesprochen peinlich.»

«Allerdings», sagte der Anwalt mit einigem Nachdruck, «denn nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge ist es nicht möglich, weder das eine noch das andere Testament zu erfüllen oder – oder mit einem Wort, überhaupt etwas zu tun. Es ist bedauerlich, daß alle diese Umstände nicht schon allgemein bekannt waren, als der – äh – Leichnam des Generals noch zur Begutachtung zur Verfügung stand. Natürlich hatte Mr. Pritchard von der ungewöhnlichen Situation keine Ahnung, und da ich meinerseits nichts von Lady Dormers Testament wußte, konnte ich nicht ahnen, daß einmal mehr benötigt würde als nur Dr. Penberthys Totenschein.»

«Könnten Sie die Parteien nicht zu einem Vergleich bewegen?» regte Wimsey an.

«Wenn wir hinsichtlich des Todeszeitpunkts nicht zu einem schlüssigen Ergebnis kommen, wird das wahrscheinlich der einzige Ausweg aus der Klemme sein. Aber im Augenblick gibt es da gewisse Hindernisse –»

«Da kann einer nicht genug kriegen, wie? Etwas Genaueres möchten Sie dazu wohl nicht sagen. Nein? Na ja, auch gut. Aus der Distanz betrachtet, erscheint mir das als ein ausgesprochen hübsches kleines Problemchen.»

«Sie versuchen also, es für uns zu lösen, Lord Peter?»

Wimseys Finger trommelten eine schwierige Fuge auf der Sessellehne.

«Wenn ich Sie wäre, Murbles, würde ich es noch einmal mit einer gütlichen Einigung versuchen.»

«Heißt das», fragte Mr. Murbles, «Sie halten den Fall für aussichtslos im Sinne meiner Klienten?»

«Nein – das kann ich nicht behaupten. Wer ist denn übrigens Ihr Klient, Murbles – Robert oder George?»

«Nun, die Familie Fentiman im allgemeinen. Ich weiß natürlich, daß Roberts Gewinn Georges Verlust wäre. Aber keiner der Beteiligten wünscht etwas anderes, als daß die wahre Rechtslage an den Tag kommt.»

«Aha. Und Sie würden alles, was ich da eventuell ausgrabe, hinnehmen?»

«Aber selbstverständlich!»

«Ganz gleich, wie günstig oder ungünstig es auch sein mag?»

«Zu etwas anderem würde ich mich nie bereit finden», versetzte Mr. Murbles steif.

«Das weiß ich, Sir. Aber – na ja! – ich meine ja nur … Schauen Sie, Sir, sind Sie als kleiner Junge auch manchmal herumgelaufen und haben mit Stöcken in friedlichen, geheimnisvollen Tümpeln herumgestochert, nur um zu sehen, was auf dem Grund war?»

«Oft sogar», antwortete Mr. Murbles. «Ich hatte ein großes Interesse an der Natur und besaß (soweit ich das aus dem großen zeitlichen Abstand noch sagen kann) eine recht stattliche Sammlung einheimischer Wasserfauna.»

«Haben Sie bei Ihren Forschungen manchmal auch eine fürchterliche Schweinerei aufgerührt?»

«Mein lieber Lord Peter – Sie erschrecken mich!»

«Nun, ich weiß nicht, ob dazu Grund besteht. Ich will Sie nur ganz allgemein warnen, verstehen Sie? Wenn Sie es wünschen, werde ich der Sache natürlich unverzüglich nachgehen.»

«Das ist sehr freundlich von Ihnen», sagte Mr. Murbles.

«Keineswegs. Ich werde bestimmt meinen Spaß haben. Wenn etwas Komisches dabei herauskommt, ist das Ihr Bier. Man kann ja nie wissen, wie?»

«Wenn Sie zu dem Schluß kommen, daß ein befriedigendes Ergebnis nicht zu erzielen ist», sagte Mr. Murbles, «können wir immer noch auf eine gütliche Einigung zurückkommen. Ich bin überzeugt, daß alle Beteiligten einen Rechtsstreit vermeiden möchten.»

«Damit die Kosten das Vermögen nicht aufzehren? Sehr weise. Ich hoffe, es läßt sich machen. Haben Sie schon irgendwelche Vorermittlungen betrieben?»

«Nichts Nennenswertes. Es wäre mir lieber, Sie würden das von Anfang an in die Hand nehmen.»

«Na schön. Dann fange ich morgen an und werde Sie wissen lassen, wie ich vorankomme.»

Der Anwalt dankte ihm und verabschiedete sich. Wimsey blieb noch kurze Zeit grübelnd sitzen, dann läutete er nach seinem Diener.

«Bunter, bitte ein neues Notizbuch. Schreiben Sie ‹Fentiman› darauf und halten Sie sich bereit, mich morgen in den Bellona-Club zu begleiten, ausgerüstet mit Kamera und allem Zubehör.»

«Sehr wohl, Mylord. Ich nehme an, Eure Lordschaft haben einen neuen Fall an der Hand?»

«Ja, Bunter – einen ganz neuen.»

«Darf ich mir die Frage erlauben, ob es ein vielversprechender Fall ist, Mylord?»

«Er hat schon seine Reize – und seine Tücken. Na ja. Dahin, eitle Sorge! Versuchen Sie das Leben aus der Distanz zu betrachten, Bunter. Nehmen Sie sich ein Beispiel am Bluthund, der mit dem gleichen unvoreingenommenen Eifer die Fährte eines Muttermörders oder einer Flasche Anisett verfolgt.»

«Ich werde es beherzigen, Mylord.»

Wimsey ging langsam an den kleinen schwarzen Stutzflügel, der in einer Ecke der Bibliothek stand.

«Nein, heute abend keinen Bach», sagte er leise zu sich selbst. «Bach ist für morgen, wenn die grauen Zellen zu arbeiten beginnen.» Unter seinen Fingern gestaltete sich schmeichelnd eine Melodie von Parry. «Sie gehen daher wie ein Schatten … Sie sammeln und wissen nicht, wer es kriegen wird.» Plötzlich lachte er auf und stürzte sich in eine schrill disharmonische Etüde eines modernen Komponisten, gesetzt mit sieben Kreuzen.

4Lord Peter spielt aus

«Sind Sie auch ganz sicher, daß dieser Anzug richtig ist, Bunter?» fragte Lord Peter besorgt.

Es war ein leichter Straßenanzug von tweedartiger Qualität und ein wenig auffälliger in Farbe und Muster, als Wimsey sich normalerweise gestattete. Er war für die Stadt nicht direkt ungeeignet, und doch verströmte er einen Hauch von Bergen und Meer.

«Ich möchte ansprechbar wirken», fuhr er fort, «aber um keinen Preis aufdringlich. Ich kann mir nicht helfen, aber ich meine, dieser Streifen unsichtbaren Grüns wäre vielleicht doch besser ein blasses Purpurrot.»

Diese Äußerung schien Bunter unsicher zu machen. Es trat eine kurze Pause ein, in der er sich die Streifen in blassem Purpurrot vorzustellen versuchte. Doch mit der Zeit kam sein schwankendes seelisches Gleichgewicht wieder zur Ruhe.

«Nein, Mylord», sagte er bestimmt, «ich glaube nicht, daß Purpurrot besser wäre. Interessant – ja; aber, wenn ich mir den Ausdruck gestatten darf, entschieden weniger freundlich.»

«Dem Himmel sei Dank», sagte Seine Lordschaft. «Sie haben sicherlich recht. Sie haben ja immer recht. Und es wäre so umständlich gewesen, ihn jetzt noch umzutauschen. Sie haben hoffentlich alle Spuren von Neuheit beseitigt? Ich kann neue Anzüge nicht leiden.»

«Ganz bestimmt. Ich kann Eurer Lordschaft versichern, daß dieser Anzug in jeder Beziehung so wirkt, als ob er schon Monate alt sei.»

«Dann ist es ja gut. Bringen Sie mir also meinen Malakka, den mit der Zolleinteilung – und wo ist meine Lupe?»

«Hier, Mylord.» Bunter reichte ihm ein harmlos aussehendes Monokel, das in Wirklichkeit ein starkes Vergrößerungsglas war. «Und das Pulver für Fingerabdrücke ist in Eurer Lordschaft rechter Jackentasche.»

«Danke. Das ist dann wohl alles, glaube ich. Ich gehe jetzt, und Sie kommen in ungefähr einer Stunde mit den Sachen nach.»

Der Bellona-Club befindet sich im Stadtteil Piccadilly, nur wenige hundert Meter entfernt von Wimseys Wohnung, aus der man über den Green Park blickte. Der Portier begrüßte ihn mit erfreutem Lächeln.

«Morgen, Rogers, wie geht’s?»

«Danke, Mylord, sehr gut.»

«Wissen Sie zufällig, ob Major Fentiman im Club ist?»

«Nein, Mylord. Major Fentiman weilt zur Zeit nicht bei uns. Ich glaube, er bewohnt das Appartement des verstorbenen Generals Fentiman, Mylord.»

«Ah, ja – traurige Geschichte, nicht?»

«Ja, sehr betrüblich, Mylord. Nicht sehr angenehm, wenn so etwas hier im Club passiert. Richtig schockierend, Mylord.»

«Ja – aber schließlich war er schon sehr alt. Irgendwann mußte es wohl so kommen. Schon komisch, sich vorzustellen, wie alle da herumsitzen und keiner etwas merkt.»

«Meine Frau war ganz entsetzt, als ich ihr das erzählte.»

«Man möchte es fast nicht glauben, wie? Sitzt die ganzen Stunden da – es müssen ja etliche Stunden gewesen sein, wenn ich den Arzt richtig verstanden habe. Ich nehme an, der alte Herr ist um seine gewohnte Zeit hier hereinmarschiert, nicht?»

«Oh, der General war pünktlich wie die Uhr. Immer um Punkt zehn. ‹Guten Morgen, Rogers›, hat er immer gesagt, ein bißchen steif, aber freundlich. Und meist hat er dann noch gesagt: ‹Schöner Tag heute›, und manchmal hat er sich sogar nach meiner Frau und der Familie erkundigt. Ein feiner Mann, Mylord. Er wird uns allen sehr fehlen.»

«Ist Ihnen aufgefallen, ob er an diesem Morgen besonders schwach und müde wirkte?» erkundigte Wimsey sich beiläufig, indem er eine Zigarette auf dem Handrücken aufklopfte.

«Ich? O nein, Mylord. Ich bitte um Verzeihung, aber ich dachte, das wüßten Sie schon. Ich hatte an dem Tag keinen Dienst, Mylord. Man hatte mir freundlicherweise erlaubt, die Festtagsparade am Heldendenkmal zu sehen. Ein großartiger Anblick, Mylord. Meine Frau war ganz gerührt.»

«Ach ja, natürlich, Rogers – das hatte ich vergessen. Ist doch klar, daß Sie da waren. Sie haben sich also vom General sozusagen gar nicht mehr verabschieden können. Aber die Parade am Heldendenkmal zu verpassen, wäre natürlich nicht angegangen. Dann hat sicher Matthews Ihren Dienst übernommen?»

«Nein, Mylord. Matthews lag mit Grippe im Bett, leider. Weston hat den ganzen Morgen an der Tür gestanden, Mylord.»

«Weston? Wer ist denn das?»